Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
Sl. Sitzung vom 22. Juni 1972
lediglich Verfahrensanträge oder aber ein Mißtrauens
antrag zulässig. Ein Verfahrensantrag ist in der vergan
genen Sitzung gestellt worden, und zwar in der Weise, daß
für die Fortsetzung der Debatte in der heutigen Sitzung
plädiert wurde; diesem Antrag hat das Haus zugestimmt.
Ein Mißtrauensantrag wurde nicht gestellt. In der letzten
Sitzung wurden Fragen an den Regierenden Bürgermeister
gestellt, die wegen seiner Abwesenheit aus dringenden Re
präsentationspflichten nicht mehr beantwortet werden
konnten; deshalb also die Fortführung der Aussprache
über die Regierungserklärung in der heutigen Sitzung.
Nun hat die CDU-Praktion für die heutige Sitzung einen
sogenannten Mißbilligungsantrag einbringen wollen. Ein
solcher Antrag ist auch nach den Ausführungen der Ver
treter der CDU im Ältestenrat und im Geschäftsord
nungsausschuß ausdrücklich nicht einem Mißtrauensantrag
gleichzusetzen. Einen solchen Mißtrauensantrag bringt
die CDU offensichtlich nicht ein,
(Abg. Lummer: Noch nicht!)
weil sie wohl von den Argumenten, die in der politischen
Debatte — und das ist letzten Endes das entscheidende —
hier ausgetauscht werden, selber nicht so überzeugt sein
kann.
(Beifall bei der SPD —
Abg. Lorenz: Wir werden uns dazu äußern!)
Meine Damen und Herren, unsere Geschäftsordnung
kennt aber nicht das Institut des „Ein-bißchen-Mißtrauens-
antrages“, da muß man sich schon entscheiden. Ich darf
wiederholen, daß aus Anlaß der Besprechung der Erklä
rung des Regierenden Bürgermeisters nur Verfahrens
anträge gestellt werden können oder aber ein Mißtrauens
antrag, alles andere ist unzulässig.
Diese Regelung in unserer Geschäftsordnung stellt eine
lex specialis dar gegenüber § 40 Absatz 1 der Geschätfs-
ordnung, wonach selbständige Entschließungsanträge
grundsätzlich unzulässig sind, nicht jedoch unselbständige
Entschließungsanträge. Aus diesem Grunde haben wir
auch keine Verfahrenseinwendungen gegen den Antrag,
den die F.D.P.-Fraktion heute vorgelegt hat. Der soge
nannte Mißbilligungsantrag der CDU stellt einen solchen
unzulässigen selbständigen Entschließungsantrag dar, da
er in keiner Verbindung mit einem Tagesordnungspunkt
steht und die CDU ausdrücklich auch noch darauf hinge
wiesen hat.
Diese Geschäftsordnungslage ist auch in jeder Hinsicht
für die Arbeit des Hohen Hauses sinnvoll. Selbstverständ
lich bestreiten wir der CDU-Opposition und der F.D.P.-
Opposition in diesem Hause nicht die Möglichkeit, wäh
rend der Debatte um eine Regierungserklärung oder auch
zu jedem anderen Tagesordnungspunkt, den Senat ins
gesamt oder ein einzelnes Mitglied des Senats zu miß
billigen.
(Abg. Lorenz: Das ist aber nett von Ihnen!)
— Das ist eine Selbstverständlichkeit. Aber wenn über
diese Frage verfahrensmäßig abgestimmt werden soll,
dann geht das eben nur in Verbindung mit einem Sach-
antrag; so legen wir die Geschäftsordnung in dieser Frage
gemeinsam mit der F.D.P. aus.
Es liegt schließlich im Interesse des ganzen Hauses,
wenn die Bestimmungen der Geschäftsordnung eingehalten
werden. Das ganze Haus sollte Interesse daran haben, daß
Präzedenzfälle vermieden werden, die uns in eine Parla
mentspraxis hineinführen würden, die der Arbeit dieses
Hauses nicht dienen kann. Es muß darauf ankommen, das,
was man politisch artikulieren will, in Formen zu tim, die
wir uns in der Geschäftsordnung nun einmal gegeben haben,
und dann kann man hier über die Sache streiten.
Meine Damen und Herren, wir unterstützen deshalb
den Präsidenten des Abgeordnetenhauses, der sich nach
der Entscheidung des Geschäftsordnungsausschusses ent
schlossen hat, den sogenannten Mißbilligungsantrag der
CDU in der Form eines selbständigen Entschließungsantra
ges nicht auf die Tagesordnung zu setzen. Das halten wir
für eine vernünftige Praxis in diesem Hause.
(Beifall bei der SPD)
Präsident Sickert; Das Wort hat der Abgeordnete Oxfort.
Oxfort (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Namens der Fraktion der F.D.P. bedauere ich, daß
wir zu Beginn dieser Sitzung, nachdem eine geschäfts
ordnungsmäßige Entscheidung anhand der Geschäftsord
nung des Abgeordnetenhauses bereits gefallen war, hier
in eine solche Geschäftsordnungsdebatte eintreten müssen,
die uns im Grunde genommen nur weiter zurückdrängt von
der wichtigen politischen Auseinandersetzung, die wir
heute zu führen haben.
Lassen Sie mich folgendes feststellen: Die Geschäfts
ordnung des Abgeordnetenhauses regelt im § 39 die Forma
lien, unter denen ein Antrag im Abgeordnetenhaus ein
gebracht werden kann. Dazu gibt es eine Reihe von Spezial
vorschriften ; dazu gehört der § 40 der Geschäftsordnung,
der besagt, daß Anträge auf Annahme einer Entschließung
nicht allein, sondern nur im sachlichen Zusammenhang mit
einem anderen Tagesordnungspunkt eingebracht werden
können. Ein Antrag auf Annahme einer Entschließung —
dies sagt das Wort Entschließung selbst — ist ein An
trag, der darauf abzielt, daß dieses Abgeordnetenhaus als
Körperschaft eine Meinungsäußerung von sich gibt. Die
Kundgabe einer Mißbilligung des Verhaltens des Senats
stellt eine solche Meinungsäußerung dar und ist mithin
ein Entschließungsantrag. Daß es diesem Hause nicht
darum ging — auch mit seiner Mehrheit nicht —, den
Fraktionen irgend etwas politisch zu verbauen, mag
daraus erhellen, daß der von uns vorgelegte Antrag, der
ja ebenfalls auch eine Mißbilligung zum Gegenstand hat,
begreiflicherweise auf geschäftsordnungsmäßige Bedenken
nicht gestoßen ist.
Nun haben Sie, Herr Kollege Lummer, davon gesprochen,
daß es nach der Verfassung das Recht einer Fraktion sei,
einen Mißbilligungsantrag einzubringen, und daß des
halb die Geschäftsordnung eine Einschränkung nicht ge
statte. Diese Auffassung, Herr Kollege Lummer — ent
schuldigen Sie, wenn ich das so deutlich sage —, ist ab
wegig. Die Verfassung von Berlin, Herr Kollege Lummer,
garantiert jedem Abgeordneten, im Abgeordnetenhaus zu
sprechen. Dennoch kann es die Geschäftsordnung jedem
Abgeordneten vorschreiben, wie lange er sprechen darf.
(Beifall bei der F.D.P. und der SPD)
Präsident Sickert: Meine Damen und Herren! Herr
Lummer hatte seine Redezeit nicht voll ausgenutzt, es
fehlte noch eine Minute, er hat das Recht, fünf Minuten
zu sprechen. Herr Lummer hat sich noch einmal gemel
det. — Bitte, Herr Lummer.
Lummer (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Ich will nur eine kurze Bemerkung machen, weil
Herr Stobbe die Geschäftsordnungsdiskussion schon auf
eine Sachdebatte ausgedehnt hat, und hier eines klar
stellen: Die Tatsache, daß wir heute nur einen Mißbilli
gungsantrag und keinen Mißtrauensantrag eingebracht
haben, berechtigt nicht zu der Feststellung, daß wir den
Vorgang nicht für geeignet oder nicht für schwerwiegend
genug hielten. Wir haben uns dieses Instrument Vorbe
halten. Sie wissen genau, weshalb wir beim letzten Mal
die Sitzung unterbrochen haben: um bestimmte Verhand
lungen nicht zu erschweren. Sie werden zu gegebener Zeit
die gehörigen Anträge von uns bekommen.
Zum zweiten: Auch wir bedauern, Herr Oxfort, daß diese
Debatte an dieser Stelle notwendig ist. Aber es ist selbst
ein Stück politischer Vorgang, wenn einer Fraktion oder
einem Parlament die Möglichkeit genommen werden soll,
von einem Recht Gebrauch zu machen, ein Recht in An
spruch zu nehmen, das in allen anderen Parlamenten vor
handen ist und praktiziert wird.
(Beifall bei der CDU)
Präsident Sickert: Das Wort zur Geschäftsordnung! —
Herr Abgeordneter Hoppe!
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