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Volume Nr. 30, 08.06.72

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1972, 6. Wahlperiode, Band II, 22.-42. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode 
30. Sitzung vom 3. Juni 1972 
1028 
Vier-Mächte-Abkommen, wie aus dem Absatz davor erhellt: 
„Was im Abkommen nicht konstituiert wurde* waren Sofort- 
Besuche von West-Berlinern in die DDR. Und in diesem 
Punkt tat sich die DDR bis zum letzten Tag ungemein 
schwer. Als DDR-Staatssekretär Peter Florin in der ent 
scheidenden Nacht gegen 3.30 Uhr die Sofort-Besuche für 
West-Berliner an jedem Tag der Woche praktisch zuge 
stand und diese Zusage wenige Stunden später zurückziehen 
mußte, war spätestens deutlich geworden, mit welcher Kon 
sequenz ein Teil der DDR-Führung falschverstandenes 
Sicherheitsdenken in den Vordergrund stellte. Was mag in 
dieser Gruppe, die 36 Stunden danach — zum Glück — in 
der Minderheit blieb, vorgegangen sein?“ 
(Zuruf von der F.D.P.: Hört! Hört!) 
Hier wird deutlich, welche überragende Bedeutung dieser 
Vorgang für den Senat gewonnen hat und weshalb der 
Senat mit diesem späten Erfolg bei den Verhandlungen 
werbend vor das Parlament, aber in erster Linie werbend 
vor seine Fraktion, getreten ist. 
(Zurufe von der F.D.P.; Sehr richtig! Sehr gut!) 
Hier sollte nun bei allen Fraktionen deutlich geworden 
sein, daß diese so gerühmte Vereinbarung, die als eine 
authentische Interpretation des Abschnittes 4 c des Proto- 
kollvermerks zur Besuchsregelung zu werten ist, daß die 
so behauptete Interpretation heute durch den Herrn Regie 
renden Bürgermeister in seiner Regierungserklärung leise 
und behutsam zurückgenommen wurde. 
Wir können jetzt nur hoffen — und das sage ich im In 
teresse des Herrn Regierenden Bürgermeisters —, daß er 
die Chancen der angebahnten Verhandlungen nutzt, um in 
dieser Sache sein Wort, das er dem Parlament und der 
Öffentlichkeit gegeben hat, einzulösen. Sonst, meine Damen 
und Herren — und da führt kein Weg daran vorbei —, 
wird es nur zwei Möglichkeiten der Beurteilung geben. Ich 
gelange zu einer solchen Alternative, weil ich — und 
das möchte ich ausdrücklich hier feststellen — nicht von 
einer bewußten Irreführung des Parlaments und der Öffent 
lichkeit durch den Herrn Regierenden Bürgermeister aus 
gehe. Ich halte dies nicht zuletzt deshalb für ausgeschlos 
sen, weil der Herr Regierende Bürgermeister selbst durch 
seine Informationspolitik die Bevölkerung dieser Stadt auf 
die Sofortregelung vorprogrammiert hat. Dies etwa nach 
der Methode: Morgen kommt der Weihnachtsmann, kommt 
mit seinen Gaben, von morgen an — nach dem Inkraft 
treten der Vereinbarungen — sind für jeden Sofortbesuche 
möglich. Er hätte sich doch nicht selbst mit dem vollen 
Einsatz seiner Informationsmittel in eine so ausweglose 
Lage hineinargumentiert, wenn er gewußt hätte, daß diese 
Interpretation absolut unrichtig ist. Deshalb schließe ich 
eine bewußte Irreführung des Parlaments und der Öffent 
lichkeit aus. 
Es bleibt — und das ist im Augenblick die Position des 
Senats — die Möglichkeit der hartnäckigen Verweigerung 
einer vertraglich übernommenen Leistung durch die Be 
hörden der DDR. Wenn das so ist — und wir hoffen, daß 
es so ist —, dann müssen und wollen wir den Senat bei sei 
nen Bemühungen unterstützen, die DDR-Behörden anzu 
halten, sich vertragsgemäß zu verhalten. Ich habe nur den 
Eindruck und bedauere es, daß der Herr Regierende Bür 
germeister diese Position des Senats nicht gestärkt, son 
dern durch seine Formulierungen geschwächt hat. 
(Beifall bei der F.D.P.) 
Wenn wir wirklich von dieser Vertragslage ausgehen kön 
nen, bin ich allerdings der Meinung, daß wir der DDR den 
daraus resultierenden Vertragsbruch dann auch mit der 
ganzen politischen Bedeutung und Auswirkung anzulasten 
haben. Denn dann muß sie wissen, daß sie sich mit einem 
solchen Verhalten — so wird es doch offenbar vom Senat 
gesehen — den Weg ln die internationale Anerkennung 
selbst verbaut. 
Andernfalls, meine Damen und Herren — und das wäre 
dann allerdings die allein verbleibende Möglichkeit —, 
müßte es sich um eine leichtfertige Fehlinterpretation der 
Vereinbarung durch den Herrn Regierenden Bürgermeister 
handeln. Und dazu sage ich mit allem Bedacht — gerade 
der nachdrückliche Hinweis des Herrn Regierenden Bür 
germeisters auf die schriftlichen Texte macht dies erfor 
derlich —: Wer möglicherweise die Textstellen selbst nicht 
richtig lesen kann, der könnte natürlich leicht in die Situa 
tion geraten sein, den Inhalt dieser Texte in der Öffent 
lichkeit falsch interpretiert zu haben. 
(Zuruf: Sehr richtig! — Beifall bei der F.D.P.) 
Es ist nicht mehr auszuschließen, daß die eindeutigen Be 
griffe „unverzüglich" und „sofort" vom Regierenden Bürger 
meister oder seinem Verhandlungsführer gleichgesetzt oder 
verwechselt worden sind. Gerade deshalb wird es aber für 
den Senat bei der Fortführung seiner Verhandlungen dar 
auf ankommen, das als Ergebnis nach Hause zu bringen, 
was der Bevölkerung versprochen wurde. Wir wollen ihm 
dafür alles Gute wünschen und ihn im Interesse der Bür 
ger dieser Stadt in seinen Bemühungen dabei unterstützen. 
(Beifall bei der F.D.P.) 
Präsident Sickert: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. 
Riebschläger. 
Dr. Riebschläger (SPD): Herr Präsident! Meine Damen 
und Herren! Die letzten, zum Teil milden Worte, die der 
Herr Kollege Hoppe hier in die Diskussion gebracht hat, 
können nicht darüber hinwegtäuschen, daß den anderen 
Reden der Herren Kollegen der Oppositionsfraktionen eine 
Einschätzung der Motive der SPD-Fraktion, des Senats und 
speziell des Regierenden Bürgermeisters zugrunde lag, der 
ich nicht mit dem gleichen Vokabular begegnen möchte, 
das hier in die Debatte gebracht worden ist, sondern dem 
ich die Frage entgegenhalten möchte: Wofür halten Sie 
uns eigentlich? Wofür halten Sie eigentlich einen Regie 
renden Bürgermeister, dem Sie die Frage stellen, ob er 
wisse, mit wem er verhandele ? 
(Zuruf von der CDU) 
Wofür halten Sie uns eigentlich, wenn Sie unsere Beiträge 
zitieren, doch offensichtlich, um zu belegen, daß wir uns 
vor Monaten zu einem Standpunkt bekannt haben und jetzt 
die Frage auf werfen: Bekennt Ihr Euch immer noch dazu? 
Mein Kollege Voelker hat für die SPD-Fraktion das Not 
wendige gesagt, wir bekennen uns uneingeschränkt zu dem, 
was wir gesagt haben, 
(Abg. Lummer: Da stehen Sie bloß im 
. Gegensatz zu dem Regierenden!) 
und all die Konstruktionen, die Sie hier versuchen anzu 
stellen, um zu belegen, daß irgendwo Ansätze als Beleg 
für Ihr Mißtrauen vorhanden sind, gehen fehl, insbesondere 
in der insofern beispielhaften Rede des sonst von mir so 
geschätzten Kollegen Lorenz. Was sich dort an Widersprü 
chen binnen weniger Sätze fand, wird hoffentlich das Pro 
tokoll auch zur Überzeugung derer, die nur gläubig an sei 
nen Lippen hingen, an den Tag bringen. 
(Abg. Lorenz: Da haben Sie nicht richtig zugehört!) 
Wenn hier in zwei Sätzen hintereinander einmal die 
These aufgestellt wurde: „Wie kann man sich denn nur auf 
mündliche Abreden verlassen,“ und kurz zuvor die Tatsache, 
in Anlehnung an den Regierenden Bürgermeister, festge 
stellt wurde, es gebe offensichtlich keine mündlichen Ab 
reden, so könen derartige Patzer nur in einer Atmo 
sphäre passieren, in der man schlechterdings den Attackier 
ten zuungunsten dieser Stadt alles zutraut. 
(Abg. Luster: Wir trauen Ihnen eben 
nicht alles zu, das ist es doch!) 
Ich möchte Sie sehr herzlich davor warnen, sich ln eine 
Stimmung hineinzusteigern oder für die, die es schon sind, 
darin zu bleiben, daß Sie der Regierungsfraktion, dem 
Senat und dem Regierenden Bürgermeister mit einigen der 
von Ihnen aufgeworfenen Alternativen unterstellen, Herr 
Lummer hat sich da schon auf Zwischenrufe korrigieren
	        
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