Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
30. Sitzung vom 3. Juni 1972
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Vier-Mächte-Abkommen, wie aus dem Absatz davor erhellt:
„Was im Abkommen nicht konstituiert wurde* waren Sofort-
Besuche von West-Berlinern in die DDR. Und in diesem
Punkt tat sich die DDR bis zum letzten Tag ungemein
schwer. Als DDR-Staatssekretär Peter Florin in der ent
scheidenden Nacht gegen 3.30 Uhr die Sofort-Besuche für
West-Berliner an jedem Tag der Woche praktisch zuge
stand und diese Zusage wenige Stunden später zurückziehen
mußte, war spätestens deutlich geworden, mit welcher Kon
sequenz ein Teil der DDR-Führung falschverstandenes
Sicherheitsdenken in den Vordergrund stellte. Was mag in
dieser Gruppe, die 36 Stunden danach — zum Glück — in
der Minderheit blieb, vorgegangen sein?“
(Zuruf von der F.D.P.: Hört! Hört!)
Hier wird deutlich, welche überragende Bedeutung dieser
Vorgang für den Senat gewonnen hat und weshalb der
Senat mit diesem späten Erfolg bei den Verhandlungen
werbend vor das Parlament, aber in erster Linie werbend
vor seine Fraktion, getreten ist.
(Zurufe von der F.D.P.; Sehr richtig! Sehr gut!)
Hier sollte nun bei allen Fraktionen deutlich geworden
sein, daß diese so gerühmte Vereinbarung, die als eine
authentische Interpretation des Abschnittes 4 c des Proto-
kollvermerks zur Besuchsregelung zu werten ist, daß die
so behauptete Interpretation heute durch den Herrn Regie
renden Bürgermeister in seiner Regierungserklärung leise
und behutsam zurückgenommen wurde.
Wir können jetzt nur hoffen — und das sage ich im In
teresse des Herrn Regierenden Bürgermeisters —, daß er
die Chancen der angebahnten Verhandlungen nutzt, um in
dieser Sache sein Wort, das er dem Parlament und der
Öffentlichkeit gegeben hat, einzulösen. Sonst, meine Damen
und Herren — und da führt kein Weg daran vorbei —,
wird es nur zwei Möglichkeiten der Beurteilung geben. Ich
gelange zu einer solchen Alternative, weil ich — und
das möchte ich ausdrücklich hier feststellen — nicht von
einer bewußten Irreführung des Parlaments und der Öffent
lichkeit durch den Herrn Regierenden Bürgermeister aus
gehe. Ich halte dies nicht zuletzt deshalb für ausgeschlos
sen, weil der Herr Regierende Bürgermeister selbst durch
seine Informationspolitik die Bevölkerung dieser Stadt auf
die Sofortregelung vorprogrammiert hat. Dies etwa nach
der Methode: Morgen kommt der Weihnachtsmann, kommt
mit seinen Gaben, von morgen an — nach dem Inkraft
treten der Vereinbarungen — sind für jeden Sofortbesuche
möglich. Er hätte sich doch nicht selbst mit dem vollen
Einsatz seiner Informationsmittel in eine so ausweglose
Lage hineinargumentiert, wenn er gewußt hätte, daß diese
Interpretation absolut unrichtig ist. Deshalb schließe ich
eine bewußte Irreführung des Parlaments und der Öffent
lichkeit aus.
Es bleibt — und das ist im Augenblick die Position des
Senats — die Möglichkeit der hartnäckigen Verweigerung
einer vertraglich übernommenen Leistung durch die Be
hörden der DDR. Wenn das so ist — und wir hoffen, daß
es so ist —, dann müssen und wollen wir den Senat bei sei
nen Bemühungen unterstützen, die DDR-Behörden anzu
halten, sich vertragsgemäß zu verhalten. Ich habe nur den
Eindruck und bedauere es, daß der Herr Regierende Bür
germeister diese Position des Senats nicht gestärkt, son
dern durch seine Formulierungen geschwächt hat.
(Beifall bei der F.D.P.)
Wenn wir wirklich von dieser Vertragslage ausgehen kön
nen, bin ich allerdings der Meinung, daß wir der DDR den
daraus resultierenden Vertragsbruch dann auch mit der
ganzen politischen Bedeutung und Auswirkung anzulasten
haben. Denn dann muß sie wissen, daß sie sich mit einem
solchen Verhalten — so wird es doch offenbar vom Senat
gesehen — den Weg ln die internationale Anerkennung
selbst verbaut.
Andernfalls, meine Damen und Herren — und das wäre
dann allerdings die allein verbleibende Möglichkeit —,
müßte es sich um eine leichtfertige Fehlinterpretation der
Vereinbarung durch den Herrn Regierenden Bürgermeister
handeln. Und dazu sage ich mit allem Bedacht — gerade
der nachdrückliche Hinweis des Herrn Regierenden Bür
germeisters auf die schriftlichen Texte macht dies erfor
derlich —: Wer möglicherweise die Textstellen selbst nicht
richtig lesen kann, der könnte natürlich leicht in die Situa
tion geraten sein, den Inhalt dieser Texte in der Öffent
lichkeit falsch interpretiert zu haben.
(Zuruf: Sehr richtig! — Beifall bei der F.D.P.)
Es ist nicht mehr auszuschließen, daß die eindeutigen Be
griffe „unverzüglich" und „sofort" vom Regierenden Bürger
meister oder seinem Verhandlungsführer gleichgesetzt oder
verwechselt worden sind. Gerade deshalb wird es aber für
den Senat bei der Fortführung seiner Verhandlungen dar
auf ankommen, das als Ergebnis nach Hause zu bringen,
was der Bevölkerung versprochen wurde. Wir wollen ihm
dafür alles Gute wünschen und ihn im Interesse der Bür
ger dieser Stadt in seinen Bemühungen dabei unterstützen.
(Beifall bei der F.D.P.)
Präsident Sickert: Das Wort hat der Abgeordnete Dr.
Riebschläger.
Dr. Riebschläger (SPD): Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Die letzten, zum Teil milden Worte, die der
Herr Kollege Hoppe hier in die Diskussion gebracht hat,
können nicht darüber hinwegtäuschen, daß den anderen
Reden der Herren Kollegen der Oppositionsfraktionen eine
Einschätzung der Motive der SPD-Fraktion, des Senats und
speziell des Regierenden Bürgermeisters zugrunde lag, der
ich nicht mit dem gleichen Vokabular begegnen möchte,
das hier in die Debatte gebracht worden ist, sondern dem
ich die Frage entgegenhalten möchte: Wofür halten Sie
uns eigentlich? Wofür halten Sie eigentlich einen Regie
renden Bürgermeister, dem Sie die Frage stellen, ob er
wisse, mit wem er verhandele ?
(Zuruf von der CDU)
Wofür halten Sie uns eigentlich, wenn Sie unsere Beiträge
zitieren, doch offensichtlich, um zu belegen, daß wir uns
vor Monaten zu einem Standpunkt bekannt haben und jetzt
die Frage auf werfen: Bekennt Ihr Euch immer noch dazu?
Mein Kollege Voelker hat für die SPD-Fraktion das Not
wendige gesagt, wir bekennen uns uneingeschränkt zu dem,
was wir gesagt haben,
(Abg. Lummer: Da stehen Sie bloß im
. Gegensatz zu dem Regierenden!)
und all die Konstruktionen, die Sie hier versuchen anzu
stellen, um zu belegen, daß irgendwo Ansätze als Beleg
für Ihr Mißtrauen vorhanden sind, gehen fehl, insbesondere
in der insofern beispielhaften Rede des sonst von mir so
geschätzten Kollegen Lorenz. Was sich dort an Widersprü
chen binnen weniger Sätze fand, wird hoffentlich das Pro
tokoll auch zur Überzeugung derer, die nur gläubig an sei
nen Lippen hingen, an den Tag bringen.
(Abg. Lorenz: Da haben Sie nicht richtig zugehört!)
Wenn hier in zwei Sätzen hintereinander einmal die
These aufgestellt wurde: „Wie kann man sich denn nur auf
mündliche Abreden verlassen,“ und kurz zuvor die Tatsache,
in Anlehnung an den Regierenden Bürgermeister, festge
stellt wurde, es gebe offensichtlich keine mündlichen Ab
reden, so könen derartige Patzer nur in einer Atmo
sphäre passieren, in der man schlechterdings den Attackier
ten zuungunsten dieser Stadt alles zutraut.
(Abg. Luster: Wir trauen Ihnen eben
nicht alles zu, das ist es doch!)
Ich möchte Sie sehr herzlich davor warnen, sich ln eine
Stimmung hineinzusteigern oder für die, die es schon sind,
darin zu bleiben, daß Sie der Regierungsfraktion, dem
Senat und dem Regierenden Bürgermeister mit einigen der
von Ihnen aufgeworfenen Alternativen unterstellen, Herr
Lummer hat sich da schon auf Zwischenrufe korrigieren