Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
SO. Sitzung vom 8. Juni 1973
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Präsident Sickert: Das Wort hat der Regierende Bürger
meister.
Schütz, Regierender Bürgermeister: Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Darf ich zu
einigen Fragen, die aufgeworfen sind, etwas sagen:
1. Wir haben im Dezember eine Vereinbarung abge
schlossen und ein Verfahren über Besuche und Reisen ver
einbart. Wir haben darüber mit vollen Texten, die wir vor
gelegt haben, dem Abgeordnetenhaus von Berlin einen Be
richt erstattet. Nicht unsere Interpretation, nicht die In
terpretation des Regierenden Bürgermeisters, sondern die
Texte, so wie sie Vorlagen, sind die Geschäftsgrundlage der
Entscheidung gewesen. Aufgrund dieser Texte haben Sie,
Kollege Lummer, und die CDU-Fraktion nein gesagt zu
der Regelung über Reisen und Besuche. Aufgrund dieser
Texte haben andere sich dazu bekannt. Dies ist der Punkt.
Hier geht es nicht um Auslegungen, die damals oder in der
einen oder anderen Veröffentlichung drin waren, sondern
wir alle haben zum Zeitpunkt die gleiche Geschäftsgrund
lage unserer Entscheidungen gehabt.
Präsident Sickert: Gestatten Sie eine Zwischenfrage,
Herr Regierender Bürgermeister? — Herr Oxfort!
Oxfort (F.D.P.); Herr Regierender Bürgermeister! Ver
stehe ich Ihre Ausführungen richtig, daß über den Text
der Vereinbarungen zwischen dem Senat und der Regierung
der DDR und den anschließenden Protokollvermerk hinaus
keine weitere, auch keine weitere mündliche Vereinbarung
getroffen worden ist ?
Schütz, Regierender Bürgermeister: Im Grunde genom
men sage ich: Sie verstehen zu Recht. Ich komme nur an
einen Punkt, wo ich eine zusätzliche Frage beantworte, die
Sie gestellt haben. Ich muß nur hier erst einmal deutlich
machen: Jedem lag bei seiner Entscheidung die gleiche
Voraussetzung vor. Und aufgrund dieser Voraussetzungen
ist damals unterschiedlich in diesem Haus entschieden wor
den. Die CDU hat nein gesagt, die Sozialdemokraten haben
ja gesagt, und an Ihre Entscheidung erinnere ich mich
nicht mehr, Herr Oxfort. Aber das liegt in der Situation,
vor der wir damals standen.
(Heiterkeit bei der SPD)
Das heißt, wir haben also hier einen Text gehabt
Präsident Sickert: Gestatten Sie eine weitere Zwischen
frage, Herr Regierender Bürgermeister ?
Oxfort (F.D.P.): Herr Regierender Bürgermeister! Dür
fen wir Ihre beklagenswerten Erinnerungslücken als sym
ptomatisch für dieses gesamte Verfahren ansehen?
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU)
Schütz, Regierender Bürgermeister: Herr Kollege Oxfort,
wie andere Passagen Ihrer Rede will ich auch diese Frage
mit der notwendigen Milde übergehen, der ich mich anpas
sen will, weil ich es in der Tat ein bißchen eigentümlich
finde, wie Sie in einer Diskussion wie dieser — aber das
haben wir ja im Dezember schon mal erlebt — dem Ver
such nicht widerstehen können, in auch schwierigen Dingen
— das war ja im Dezember so, erinnern Sie sich daran —
sich den Beifall in diesem Hause von der — wie Ich meine
— falschen Seite zu holen. Und dazu möchte ich Ihnen
dieses hier gesagt haben.
(Beifall bei der SPD)
Das heißt, es ist hier nicht entschieden worden aufgrund
einer Interpretation des Senats oder einer Deutung des
Regierenden Bürgermeisters, sondern aufgrund von Texten,
die Vorgelegen haben, und deshalb will ich mich — aller
dings entscheidend — hier auch in meiner Antwort darauf
beziehen. Das heißt, allen lagen die Texte vor, und — da
mag man sich noch so erregen hier in der Debatte — an
dem, was ich in meinem ersten Punkt gesagt habe, und
was sich entscheidend deshalb auf Ziffer 4 c des Protokoll
vermerks der Vereinbarung stützt, kommen wir auch in
dieser Debatte nicht vorbei und — was jetzt im Augenblick
höchstwahrscheinlich noch wichtiger ist — kommt auch
die DDR in den vor uns liegenden, jetzt zu führenden und
jetzt schon im Stadium der Führung befindlichen Verhand
lungen nicht vorbei. In Ziffer 4 c steht das drin, was ich in
meinem ersten Punkt gesagt habe:
1. Es können Anträge persönlich gestellt werden.
2. Sie werden unverzüglich bearbeitet.
3. Die ausgestellten Berechtigungsscheine werden — ich
nehme jetzt mal das Postverfahren beiseite — sofort aus
gehändigt.
Dies ist die Grundlage, aufgrund deren wir nach den
Verhandlungen und dem Verhandlungsablauf davon aus
gehen konnten und ausgegangen sind, daß das Sofortver
fahren vorliegt. Und ich würde meinen — ich möchte den
Einwand noch einmal klar unterstreichen, den ich vorhin
versucht habe darzubringen in meiner Präsentation —, wir
tun gut daran, in einem Augenblick, in dem auch die DDR
in ihren schärfsten Erklärungen diesem Grundsatz nicht
widersprochen hat, dann, wenn es darum geht, diesen
Grundsatz nicht so restriktiv zu praktizieren, wie er von
ihr praktiziert wird, nicht in diesem Haus etwa daran zu
gehen, diese grundsätzliche Übereinstimmung in Frage zu
stellen. Und deshalb, um, Kollege Lummer, gleich auf
einen Ihrer Punkte zu antworten, scheue ich mich nicht zu
sagen, auch nach einem Kontakt mit meinem Freund Kurt
Mattick, daß er in diesem Punkte geirrt hat, als er sich
geäußert hat. Und ich gehe davon aus, daß Herr Mattick —
ich rufe ihn nicht zu einem Dementi auf — versteht, aus
welcher Kenntnis des Textes heraus ich dieses hier er
kläre. Um es also klar zu sagen: Für uns und für die, die
dieser Vereinbarung zugestimmt haben über Reisen und
Besuche, war also klar, daß das Sofortverfahren eines der
fünf zur Verfügung stehenden Verfahren ist. Dabei sind
zwei Fragen im engeren vom Kollegen Oxfort gestellt wor
den, die möchte ich versuchen zu beantworten. Die eine ist
einfach zu beantworten, nämlich wie das mit den Tou
ristenreisen ist. Das ist nun klar aus dem Text dieser von
mir eben zitierten Ziffer 4 c des Protokollvermerks zu ent
nehmen, der behandelt im wesentlichen das Problem der
Touristenreisen. Es kann also gar kein Zweifel sein. Das
zweite ist die zahlenmäßige Frage. Das ist in der Tat —
und das ist auch ein schwieriger Punkt bei der zahlenmäßi
gen Größe dieses Vorgangs — ein Punkt gewesen, über
den wir uns . alle im klaren gewesen sind, als wir uns ent
schieden haben, daß dieses nicht ein Verfahren sei, durch
das — sagen wir einmal — ein vergleichbarer Massenvor
gang wie der zu Ostern oder zu Pfingsten in Zukunft abge
fertigt werden kann. Das wußten' wir alle, denn in der
Vereinbarung steht beispielsweise drin, wieviel Mitarbeiter
die DDR in ihren Büros haben wird. Daraus kann man
ablesen, in welcher Größenordnung der Antragsbearbei
tung es sich vollziehen wird. Es werden also dort nicht die
600- oder 700 000 Anträge bearbeitet werden, sondern es
wird immer, gemessen an den anderen großen — quanti
tativ großen — Verfahren, ein Verfahren sein, das auch
zahlenmäßig anders aussieht. Das wußte jeder und weiß
jeder; daß also ein Sofortverfahren mit sechs Bediensteten
der DDR, am Sonnabend und am Sonntag drei Stunden
geöffnet, bedeutet, daß es zahlenmäßig Begrenzungen ha
ben wird. Daß diese zahlenmäßige Begrenzung weit über
dem liegt, was beispielsweise am Sonntag an Wunsch da
war, den Sofortschein zu bekommen, das ist von uns
genauso klar gesagt worden, wie es, wenn ich es richtig
sehe, auf allen Seiten des Hauses einheitlich mit dem Senat
beurteilt wurde. Das — jetzt auf die Gefahr hin, daß das
nicht so präzis aussieht — halte ich und das halten wir in
diesem Stadium unserer Gespräche auch mit der DDR für
nicht vertragskonform.
Und deshalb — dies sei mein zweiter Punkt, Kollege
Lummer, auf eine Frage, die Sie gestellt haben —
sind wir auch dabei — und darf ich darauf hinweisen, daß
ich versucht habe, das deutlich zu machen —, die in der
Vereinbarung und im gesamten Berlin-Abkommen, Vier