Abgeordnetenhalis von Berlin - 6. Wahlperiode
27. Sitzung vom 20. April 1972
912
ein Problem der Abfallbeseitigung, sondern ein Rechts
problem. Der Senat wird Ihnen — wie ich aus anderem
Anlaß schon angekündigt habe — noch in diesem Jahr, so
hoffe ich, die Novelle des Stadtreinigungsgesetzes vorlegen,
und ich werde mich mit meinem Kollegen Justizsenator da
bei auseinanderzusetzen haben, bis an welche Grenze recht
lich zulässiger Methoden wir gehen können, um früher fest
stellen zu können, was ein „herrenloses Gut“ in Form
einer Rostlaube ist und was kein herrenloses Gut ist, um die
Liegezeit verkehrsgefährdender, kindergefährdender Auto
wracks in unseren Straßen zu vermindern. Mir scheint von
dieser Betrachtung aus das Thema „Autowracks“ sehr viel
trächtiger zu sein als von der Frage, wie sie dann, wenn
wir sie erst von den Straßen räumen können, oder wenn
der ehemalige Besitzer sie einer Verwertungsanstalt über
gibt, beseitigt werden können. Aber wir werden im einzel
nen darauf zu sprechen kommen, wenn wir Ihnen im Laufe
dieses Jahres die Neufassung eines Stadtreinigungsgeset
zes vorlegen.
Ich darf jetzt, Herr Abgeordneter Boroffka, ein paar
Ihrer gezielten Fragen in einem Zusammenhang erörtern,
um dann von mir aus in eine Darstellung der Problematik,
wie sie der Senat sieht und wie sie mit der ursprünglichen
Großen Anfrage von Ihnen erfragt und mit einer Antwort
zu belegen ist, zu kommen.
Der von Ihnen erwähnte Berliner Erfinder — nun gibt es
sicherlich sehr viele Erfinder, ich muß also Rätsel raten.
Dann darf ich also mal fragen: Meinen Sie einen Herrn,
dessen Name mit „A“ anfängt ?
(Abg. Boroffka: Just den!)
Wunderbar! Ich glaube, daß man dem Herrn übrigens auch
keinen Zwang antut, wenn man seinen Namen voll nennt.
Sie meinen also sicherlich Herrn Aretz.
(Abg. Boroffka: Eben den!)
Gut. Natürlich ist das, was Herr Aretz mit seinen Erfin
dungen in die Diskussion gestellt hat, den Berliner Stadt
reinigungsbetrieben bekannt, und dem Senator, der hier
diese Problematik und diese Aufgabe zu vertreten hat,
auch. Aber Sie befinden sich in Ihrer Darstellung in einem
Irrtum, wenn Sie es so darstellen, wie Sie es dargestellt
haben, wobei ich Sie jetzt nicht wörtlich zitieren kann, weil
mein Gedächtnis dazu nicht ausreicht. Lassen Sie mich
aber folgendes feststellen — und eine einfache Rückfrage
bei Ihrem Fraktionskollegen, der seit Jahren Mitglied des
Verwaltungsrats der Berliner Stadtreinigungsbetriebe ist,
hätte Ihnen diese Auskunft, die ich jetzt leider öffentlich
geben muß, verschafft —: Der Verwaltungsrat hat in den
letzten Monaten dreimal eine Aussprache mit Herrn Aretz
auf der Tagesordnung gehabt, und er hat sie dreimal von
der Tagesordnung absetzen müssen, weil, mit welchen
Gründen auch immer, dieser von Ihnen zitierte Berliner
Erfinder den Stadtreinigungsbetrieben nicht zur Verfügung
stehen konnte, und das Angebot der Berliner Stadtreini
gungsbetriebe, ihm Müll zur praktischen Erprobung und
Durchführung und Vertiefung seiner Erfindung zur Verfü
gung zu stellen, ist länger als ein Jahr in der Welt, ohne
daß darauf eine positive Reaktion erfolgt ist.
(Abg. Hannemann: Warum wohl?)
Das von Ihnen erwähnte Angebot eines Unternehmens, das
mit Müllgroßcontainern eine Million cbm Müll pro Jahr in
auswärtige Deponien verbringen will, liegt den Stadtreini
gungsbetrieben nicht einmal 14 Tage vor. Es wird geprüft,
und es wird nicht nur auf seinen finanziellen Gehalt geprüft
werden müssen, sondern diejenigen, die dieses anbieten,
werden sich auch die Frage gefallen lassen müssen, welche
Deponien in Westdeutschland sie eigentlich ausfindig ge
macht haben, um eine Million cbm Müll pro Jahr dorthin
zu transportieren. Sie können sicher sein, daß wir auch
diesen Fragen nachgehen.
Mein Kollege Professor Wolters und ich sind gerade in
diesen Tagen dabei, mit den Stadtreinigungsbetrieben ge
meinsam eine Pressekonferenz für die nächste Woche
vorzubereiten, in der wir das, was nach Ihrer Meinung
offensichtlicher Mißstand sein könnte und zu einem Teil
sicherlich auch war — schon nicht mehr ist, übrigens —,
behandeln werden und darstellen werden, welche Maß
nahmen wir eingeleitet haben, um die Verhältnisse in den
Deponien ganz entscheidend zu verbessern durch Schwer
schaum, durch Einsatz neuer Maschinen, die die abgelager
ten Abfallstoffe sehr viel komprimierter verdichten, um
Gasbildungen und Schwelbrände und so weiter für die Zu
kunft so gut wie auszuschalten. Und wer sich die Ge
schichte in Wannsee in den letzten Wochen und Monaten
angesehen hat, wird ja bereits die Feststellung getroffen
haben, daß dort wesentliche Verbesserungen durchgeführt
worden sind. Zu sagen, daß da nichts geschehen wäre, kann
ja wohl nicht richtig sein.
Sie haben nach den Investitionskosten für die Sinter
nachbehandlungsanlage gefragt. Die Sinternachbehand
lungsanlage hat, im Verhältnis zu rund 110 Millionen DM
Gesamtinvestitionskosten, Investitionskosten von 4,5 Millio
nen DM erfordert. Es sind im Jahre 1971, um eine weitere
Frage von Ihnen aufzunehmen, in Ruhleben zirka 40 000 t
Sinterbims erzeugt worden. Davon sind 13 0001 an Dritte
verkauft worden und 27 000 t im Wege des bezahlten Eigen
verbrauchs in anderen Abteilungen der Stadtreinigungs
betriebe selbst verbraucht worden. Damit glaube ich, Ihnen
auch diese Frage beantwortet zu haben.
Zu der bohrenden Frage in Richtung Kassel lassen Sie
mich bitte folgendes sagen: Ich habe Ihrer Begründung
entnommen, daß Sie ein hervorragender Kenner, ein
Experte, auf diesem Gebiet sind. Aber lassen Sie mich
bitte hinzufügen, vielleicht habe ich etwas größere Erfah
rungen im Wirtschaftsleben, sonst wären Sie nämlich
über die Konsortialbildung nicht so erstaunt gewesen, die
Sie da irgendwo in den Nachrichten bemerkt haben. Es
ist das legitime Recht von wirtschaftlichen Interessen-
vertretem, sich für eine Großinvestition von 200 Millionen
zu einem Konsortium zusammenzufinden, auf Verdacht
— ich sage Ihnen ausdrücklich auf Verdacht — Konzep
tionen zu entwickeln, sie dem Bauherrn einzureichen, ohne
daß sie dazu aufgefordert sind in diesem Falle und sich
in Konkurrenz zu stellen. Da darf ich Ihnen sagen, es
gibt noch weitere Konsortialbildungen ähnlicher Art, die
sich ebenfalls ungefragt und ohne Auftrag gebildet haben.
Seitens der Berliner Stadtreinigungsbetriebe ist für den
Bau der zweiten Müllverbrennungsanlage bisher kein
konkreter Auftrag an die Wirtschaft erteilt worden und
wird auch nicht erteilt werden, ehe die Standortfrage nicht
klar ist und ehe andere Umweltfragen, die damit aufgewor
fen sind, geklärt sind, um das hier völlig klar von mir aus
zu sagen.
Flüssige Stoffe in Ruhleben zu verbrennen, Herr Ab
geordneter, ich geniere mich fast, diese Frage zu beantwor
ten, — ja, flüssige Stoffe in der Müllverbrennungsanlage
Ruhleben mit zu vernichten, hängt im wesentlichen damit
zusammen, daß die Schomsteinhöhen in Ruhleben die
Gefahr heraufbeschworen hätten — hätten wir diesen Weg
beschritten —, zu besonders schädlichen Emissionen zu
kommen. Wir haben deswegen dieses nicht gemacht; ob wir
es anderswo machen würden mit höheren Schornstein
höhen, ist eine offene Frage, die ich abschließend nicht
behandeln und beantworten kann. Ich glaube nicht, daß wir
in diesen Zwang kommen.
Und nun lassen Sie mich in der Beantwortung der
schriftlich vorliegenden Großen Anfrage Ihnen noch einige
zusammenfassende Gesichtspunkte hier vortragen. Ich
räume nämlich den Fragestellern ein, daß im Senatsbericht
vielleicht für den einen oder anderen Leser oder Kritiker
die Möglichkeit der Kompostierung zu kurz gekommen ist.
Und lassen Sie mich deshalb hierauf etwas ausführlicher
zu sprechen kommen, auch schon deshalb, weil in der
mündlichen Begründung der Großen Anfrage ja ebenfalls
sehr ausführlich mit den Auffassungen der fragestellenden
Fraktion dazu Stellung genommen worden ist.
Zunächst einige Zahlen und Vergleiche: Bezogen auf das
Bundesgebiet — natürlich einschließlich West-Berlin —
wurde 1971 der Müll wie folgt beseitigt: 78 % des anfallen
den Haushaltsmülls wurde in Deponien abgelagert, 20 %
wurde in etwa 30 Anlagen verbrannt. An einer Anlage
waren im Durchschnitt 415 000 — ja, wie sage ich es jetzt
— Verbraucher, Bürger angeschlossen. Der Schwerpunkt
der Verbrennung von Müll liegt also bei der Entsorgung
von Ballungsgebieten — darauf kam es mir an, das eben
darzustellen — und etwa 2 % des Haushaltsmülls wurde in
16 Anlagen kompostiert. An einer Anlage waren im Durch
schnitt 77 000 Gemeindebürger angeschlossen. Der Schwer