Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
27. Sitzung vom 20. April 1972
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Wenn ich Ihnen aus der großen Debatte im Deutschen
Bundestag einen Gedankengang, der vor wenigen Tagen
wiederholt worden ist, noch einmal hier vortragen darf,
um Ihnen klarzumachen, welche Bedenken gegen das ge
samte Vertragswerk bestehen, dann deshalb, um Ihnen
beispielhaft zu zeigen, daß wir nicht nur auf Berlin
schauen können, wie es hier heute versucht wird. Wenn
heute diese Bundesregierung der deutschen Bevölkerung
erklärt, daß sie nicht die deutsche Teilung hinnehmen
wolle — so erklärt sie —, dann muß sie sich entgegen
halten lassen, und das ist im Bundestag und ist in der
Diskussion allenthalben geschehen, auch in ihren eigenen
Reihen, wie Sie wissen, daß ihre Politik genau darauf
hinausläuft. Und sie muß sich entgegenhalten lassen, Herr
Kollege Voelker, daß das Ausland genau das in der Politik
dieser Bundesregierung sieht und deshalb Beifall spendet,
ausdrücklich mit dieser Begründung.
(Beifall bei der CDU)
Und wenn dann, Herr Kollege Voelker — Sie können es
nachlesen, dieser Gedankengang steht mehrfach in den
Protokollen —, wenn dann dieses Lob des Auslands von der
Bundesregierung für diese Politik in Anspruch genommen
wird als Rechtfertigung der Politik, dann muß die Frage
erlaubt sein, ob nicht doch die deutsche Spaltung als End
ergebnis dieser Politik von der Bundesregierung in Kauf
genommen wird.
Meine Damen und Herren! Wenn diese Bundesregierung
mit ihrer Politik scheitert, dann kann ihr auch nicht der
Regierende Bürgermeister von Berlin helfen. Denn sie
scheitert an ihrer eigenen Schwäche. Man kann in einer
Demokratie auf einer schwankenden Mehrheit keine stabile
Politik betreiben, und schon gar keine zweideutige. In
dieser Situation versuchen Sie sich!
Diese Mehrheit — ich darf das hier wiederholen, es ist
vorhin angesprochen worden — hat die Bundesregierung in
dieser Stadt, in den Reihen der Berliner Bundestagsabge
ordneten schon verloren, und mich wundert, daß mit
kühner Stimme die Frage des Stimmrechts der Berliner
Bundestagsabgeordneten hier angesprochen wird, aber die
ser Komplex überhaupt nicht berührt wird. Und wenn Herr
Kollege Oxfort eine Aufforderung an die Abgeordneten der
CDU richtet, doch nun die Lücken zu füllen, die in den
eigenen Reihen entstanden sind, so mutet es etwas seltsam
an, wenn er diese Lückenentstehung völlig verschweigen
will.
Herr Kollege Voelker, die CDU steht auch nicht allein,
und das wissen Sie auch. Sie steht mit weiten Teilen der
SPD und der F.D.P. zusammen da, und das sind die Ab
geordneten, die Ihre politische Seite verlassen haben und
bei uns mitarbeiten, und das sind geprüfte, langjährige
Demokraten und Sozialdemokraten genauso wie Freie De
mokraten, und es muß doch eigentlich auch wirklich dem
Gutgläubigsten die Frage entlocken: Was ist denn an einer
solchen Politik dran, wenn die Mitglieder, wenn die engsten
Mitarbeiter dieser Politik den Rücken kehren ?
Meine Damen und Herren! Wenn dieser Regierende Bür
germeister einer wankenden Bundesregierung quasi als
Wahlhelfer zur Seite springen will, so ist das schon vom
Ansatz her verkehrt. Wenn Sie, Herr Regierender Bürger
meister, jetzt nach Baden-Württemberg wieder zurückeilen,
dann nehmen Sie einmal die Frage mit ins stille Kämmer
lein, ob es wirklich gut war, daß Sie hier im einseitigen
parteipolitischen Interesse agiert haben, ob es wirklich gut
war, daß Sie zu diesem Zeitpunkt diese Regierungserklä
rung vorgelegt haben. Denn der Zeitpunkt dieser Regie
rungserklärung, die Zeitwahl, verrät am deutlichsten die
Absicht, unter dem Eindruck menschlichen Leids, das uns
über Ostern wieder einmal vor Augen geführt worden ist,
noch schnell ein paar Argumente zu sammeln.
(Beifall bei der CDU)
Die Form der Zusammensetzung, die Form der Zusam
menfassung dieser Regierungserklärung verrät auch die
Hast ihrer Hersteller. Uns ist zum Beispiel angekündigt
worden, daß die Regierungserklärung uns in ihrem zu
stimmungsbedürftigen Teil eine Woche vor der heutigen
Sitzung zur Prüfung zugeleitet werde. Beim Durchlesen
stellt man dann fest, daß der Zustimmung des Abgeord
netenhauses nicht nur die Zusammenfassung in drei Punk
ten vorgelegt wird, sondern die gesamte Regierungserklä
rung mit der Zusammenfassung, und ich stelle die Frage,
ob da nicht etwas anderes drin ist für den kritischen
Betrachter.
Und die andere Frage, die sich erhebt: Hier wird von den
Abgeordneten des Berliner Abgeordnetenhauses eine po
sitive Stellungnahme zu dem Handelsvertrag mit der
UdSSR gefordert, der vor wenigen Tagen paraphiert wor
den ist. Kennen Sie den eigentlich in allen Einzelheiten?
Haben Sie den in allen Einzelheiten geprüft? Fühlen Sie
sich in der Lage, alle — so, wie Sie da sitzen — hier heute
ja zu sagen? Ich wage das zu bezweifeln, denn Sie können
ihn gar nicht geprüft haben, schon aus zeitlichen Gründen
nicht. Und wenn ich sagen darf, daß auch der Inhalt
(Abg. Voelker: Es geht um die Einbeziehung und
nicht um den Inhalt des Handelsvertrages!)
— Herr Kollege Voelker, ich habe das durchaus verstanden,
daß da eine vorsichtige Formulierung gewählt worden ist,
aber Sie kommen nicht umhin, zuzugeben, daß es sich um
einen Vertrag handelt, den Sie in seiner Gänze kennen
lernen müssen, um ihn beurteilen zu können. Das wissen
wir alle aus leidvollen Erfahrungen der Vergangenheit
nur zu gut.
Aber auch der Inhalt dieser Regierungserklärung ist
dürftig. Was soll denn die Geschichtsbeschreibung und die
Beschreibung des Ist-Zustandes, die Aufzelgung der Pro
blematik, wenn als einzige Konsequenz ein Appell an den
Deutschen Bundestag herauskommt? Mehr will der Senat
aus dieser Darstellung nicht tun? Und ich frage mich, ob
der Senat nicht besser daran getan hätte, in einer solchen
Situation ganz aktuell sich mal zu äußern, was es denn
mit dem ebenso törichten wie gefährlichen Vergleich von
Egon Bahr zwischen Berlin und Liechtenstein auf sich hat.
(Beifall bei der CDU)
Dazu soll geschwiegen werden? Ich kann mir nicht vor
stellen, daß die Entscheidung über den Moskauer Vertrag
einzig und allein mit Berlin-Argumenten geführt werden
soll. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, daß es ein
kluger Beobachter der politischen Szene rechtfertigen
könnte, daß diese Zielsetzung des Senats, die er aus seiner
Darstellung genommen hat, die einzige für seine Politik
sein soll. Berlins Aufgabe kann nicht sein, eine Alibi-
Funktion für eine Politik zu übernehmen, die die Freiheit —
ich betone, die Freiheit — nicht sicherer macht. Und Berlins
Aufgabe kann auch nicht sein, eine Alibi-Funktion zu über
nehmen, die das Selbstbestimmungsrecht aller Deutschen
in West und Ost in Frage stellt. Darum geht die Diskussion
im Deutschen Bundestag und in den Landen.
(Beifall bei der CDU)
Und wenn, Herr Regierender Bürgermeister, das Berlin-
Abkommen hier in den politischen Zusammenhang mit den
Verträgen gesetzt wird, dann hätte ich eigentlich erwartet,
daß der Senat dieser Stadt im Interesse der Berliner eine
andere Position bezogen hätte. Denn das Berlin-Abkommen
ist rechtlich und politisch nicht in einem unlösbaren Zu
sammenhang. Das ist hier an dem Beispiel der Ausführun
gen des Außenministers Scheel vor dem Auswärtigen Aus
schuß des Deutschen Bundestages mit belegt worden. Es
ist oft angesprochen worden. Aber der nackte Vertragstext,
die gewechselten Erklärungen zwischen den vier Regie
rungen zeigen deutlich, daß auch die Sowjetunion bei Ab
schluß solche Vorbedingungen nicht mit aufgenommen
hat. Und der Berliner Senat sollte nicht seine vornehme
Verpflichtung darin sehen, zu versuchen, hier ein Gegen
junktim aufzubauen — ein umgekehrtes Junktim —. Die
sem entgegenzutreten, das wäre, richtig verstanden, Politik
im Interesse des Landes Berlin!