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Volume Nr. 27, 20.04.72

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1972, 6. Wahlperiode, Band II, 22.-42. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode 
27. Sitzung vom 20. April 1972 
879 
Das gleiche war übrigens im Handelsvertrag zwischen 
Bonn und Moskau von 1958 der Fall: Berlin wurde in ihn 
nicht einbezogen, es gab keine Berlin-Klausel. 
Damals gab es also Bundesregierungen — damals, meine 
Damen und Herren von der CDU —, die Verträge mit der 
Sowjetunion unterschrieben, die Berlin isoliert außen vor 
ließen und die Berlin nicht in den Gesamtzusammenhang 
ihrer Vertragspolitik mit Osteuropa einbezogen haben. 
(Zuruf: Hört, hört! — Beifall bei der SPD) 
Das ist jetzt endlich überwunden. Und nicht durch eine 
Politik der starken Worte, sondern dadurch, 
(Zurufe von der CDU) 
daß Berlin zum zentralen Punkt aller Bemühungen um 
Entspannung und Frieden erklärt wurde, und dadurch, daß 
die Berlin-Regelung auf Wunsch unserer Bundesregierung 
und auf unsere eigene Bitte hin zum Eckpfeiler der Ver 
tragspolitik der Bundesrepublik Deutschland mit der 
UdSSR wurde. 
(Beifall bei der SPD und der F.D.P.) 
Vielleicht kann eine derartige Erkenntnis manchen unter 
den Kritikern des Berlin-Abkommens und des Moskauer 
Vertrages bei ihrer Urteilsfindung behilflich sein. 
(Abg. Luster: Vielleicht Ihren drei Bundestags 
abgeordneten!) 
Dieser ganze Komplex, den das Berlin-Abkommen be 
schreibt und der für unsere Stadt insgesamt und für jeden 
einzelnen von höchster Wichtigkeit ist, steht jetzt in äußerst 
lebhafter und manchmal erbitterter Debatte, weil er zu 
Recht im Zusammenhang gesehen wird und zu sehen ist 
mit dem Warschauer Vertrag und vor allen Dingen mit 
dem Moskauer Vertrag. 
Es ist nicht nötig, das Hin und Her dieser Diskussionen 
hier aufzunehmen. Unstreitig ist, daß die beiden Ostver 
träge formal-rechtlich völlig getrennt vom Berlin-Abkom 
men sind. Unstreitig ist aber auch, daß die beiden Ost 
verträge und das Berlin-Abkommen infolge der Interessen 
der daran Beteiligten in einem außergewöhnlich engen 
politischen Zusammenhang stehen. 
Es hat — wir erinnern uns — längere Zeit gedauert, bis 
es uns — vor allem unserer Bundesregierung — gelungen 
war, die Sowjetunion von diesem politischen Zusammen 
hang, von diesem Junktim — wie wir damals sagten — zu 
überzeugen. Bundesaußenminister Scheel hat es der sowje 
tischen Regierung vor Vertragsabschluß eindeutig erklärt, 
und wir haben an unserem Standpunkt gegen viele Äuße 
rungen aus Moskau und aus Ostberlin nichts geändert, wir 
haben unseren Standpunkt durchgehalten und wir haben 
ihn dann durchgesetzt. Und die CDU stand dabei am 
Rande und spendete einigen von uns sogar Beifall damals, 
aber das wohl, wie man heute feststellen muß, nicht um 
der Sache willen, sondern weil sie hoffte, in dieser Frage 
den einen aus dem Regierungslager gegen den anderen 
ausspielen zu können, also mehr aus Gründen der Partei 
taktik und weniger, um tatsächlich die Ostverträge mit 
einer befriedigenden Berlin-Regelung eng zu verknüpfen. 
(Abg. Dr. Behrendt: Primitiver geht’s nicht, 
dafür bekommt er das Verdienstkreuz!) 
Heute heißt es nun, das Berlin-Abkommen sei zu haben 
ohne den Moskauer Vertrag. Dazu sagen wir klar und ein 
deutig: Das ist bestenfalls eine Illusion. Man könnte über 
sie hinweggehen, wenn sie nicht gefährlich wäre. Wer uns 
heute sagt, das Berlin-Abkommen werde auch ohne Rati 
fizierung der Ostverträge in Kraft treten, der verfällt in 
den früher nicht selten begangenen verhängnisvollen Feh 
ler, Erklärungen der sowjetischen Regierung nur dann 
ernstzunehmen, wenn sie in den eigenen Kram, wenn sie 
ins eigene Konzept passen. Ich denke nicht daran, die 
entsprechenden Erklärungen der sowjetischen Seite ein 
fach beiseite zu schieben. 
(Zuruf: Wie steht es im Vertrag?) 
Die Vorstellung, es könnte das Berlin-Abkommen geben 
ohne die Ratifizierung des Moskauer Vertrages, ist aber 
nicht nur gefährlich; sie ist steril und sie ist, gemessen 
an der Interessenlage dieser Stadt, falsch. Denn wer diese 
Vorstellung nährt, fällt in jene Illusion über eine isolierte 
Berlin-Lösung zurück, die mittlerweile nicht nur in der 
politischen Theorie, die vielmehr, wie ich meine, in der 
politischen Praxis unseres Landes überwunden sein sollte. 
Zum wiederholten Male sagen wir deshalb hier: Es gibt 
keine isolierte Lösung, keine befriedigende Lösung für 
Berlin außerhalb der politischen Zusammenhänge in Eu 
ropa und außerhalb der politischen Zusammenhänge zwi 
schen dem Westen und dem Osten überhaupt. 
Man kann Politik in Berlin und für Berlin nicht machen 
gelöst von der Politik der Vereinigten Staaten und des 
westlichen Bündnissystems gegenüber der Sowjetunion und 
deren Verbündeten, und man kann Politik in Berlin und 
Politik für Berlin nicht machen in Absehung der Politik der 
Bundesrepublik Deutschland in diesen Zusammenhängen. 
Wenn zwischen Ost und West kalte Zeiten sind, haben wir 
in Berlin keinen Sommer. Niemand kann und darf uns 
weismachen, wir könnten für uns in Berlin die warme Jah 
reszeit pachten, während es ringsum und neben uns wieder 
kälter wird. 
Wir, die wir uns, gestützt auf vielfältige Erfahrungen, 
immer wieder gegen isolierte Berlin-Regelungen gewehrt 
haben, wir, die wir diese Stadt immer eingeordnet haben 
in den Gesamtzusammenhang der internationalen Politik, 
wir sagen deshalb: Diese Bundesregierung, die Regierung 
Brandt/Scheel, hat durch ihre Politik der Verständigung 
und des Ausgleichs mit dem Osten die Bundesrepublik 
Deutschland vor zunehmender Isolierung in dem auf Ent 
spannung bedachten Europa und hinsichtlich der auf Ent 
spannung bedachten beiden Weltmächte nicht nur bewahrt; 
sie hat vielmehr eine Politik eingeleitet und vor allem 
durchgeführt, die selber die Entspannung in Europa ganz 
wesentlich fördert. Und im Zusammenhang mit dieser 
Politik ist es gelungen, Berlin aus der Gefahr der Isolie 
rung zu lösen und voll in diesen Entspannungsprozeß ein 
zubeziehen. 
(Beifall bei der SPD) 
Ich erkläre deshalb mit Nachdruck und mit großer Ent 
schiedenheit: Wir wenden uns auch in Zukunft gegen jene 
illusionäre Vorstellung, Berlin könne in dieser Welt, in 
der es keinen Ort mehr für Robinsonaden gibt, eine sepa 
rate Idylle eingerichtet bekommen. Wir werden alle An 
strengungen darauf verwenden, daß die Sicherheit, die 
durch die beiden Ostverträge und das Berlin-Abkommen 
für die Bundesrepublik Deutschland und für Berlin erreicht 
werden soll, endlich bei uns Wirklichkeit wird. Wir sagen 
Ja zu den Ostverträgen, weil wir Ja sagen zu einer ge 
sicherten Zukunft unserer Stadt. 
(Beifall bei der SPD und der F.D.P.) 
Die Berliner wollen, daß das, was sich jetzt schon be 
währt hat, alltägliche Praxis wird. Sie wollen, daß am 
Testfall Berlin Entspannungsbereitschaft und Friedens 
sicherung demonstriert werden. 
(Zuruf von der CDU: Woher wißt ihr das?) 
Die Berliner wollen, daß wir, gestützt auf das Viermächte- 
Abkommen vom 3. September 1971 und auf die Friedens 
politik unserer Bundesregierung, die Zukunft dieser Stadt 
langfristig sichern. 
(Zuruf von der CDU: Die Berliner vorher 
mal fragen!) 
Das Land Berlin hat aus den bekannten Gründen nicht 
die Möglichkeit, seine Stimme, seinen Willen im Bundes 
rat und im Bundestag voll zur Geltung zu bringen. 
(Zurufe von der CDU)
	        
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