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Volume Nr. 24, 24.02.72

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1972, 6. Wahlperiode, Band II, 22.-42. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode 
34. Sitzung vom 34. Februar 1973 
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operative Gesamtschule, aber nur als Vorbereitung auf eine 
integrierte. Das liegt ja auf der Hand. 
4. Die Ergebnisse — Herr Kollege Hauff, Sie sind ja 
Fachmann und selbst in einer solchen Schule tätig — wis 
senschaftlicher Untersuchungen über die bisherigen Lei 
stungen und Erfolge der integrierten Gesamtschule, die 
inzwischen vorliegen, sind zumindest — vorsichtig ausge 
drückt — kontrovers und es ist eine gewisse Unsicherheit 
in dieser Frage entstanden. Ich möchte Ihnen das auch be 
weisen. — Sie schütteln mit dem Kopf ? Ich werde es Ihnen 
beweisen. 
5. möchte ich feststellen, daß wesentliche politische In 
halte und Bestandteile des integrierten Programms auch 
in einem kooperativen System mit enthalten sind a) eine öko 
nomische bessere Raumausnutzung, als sie in getrennten 
Schulsystemen möglich ist, b), was ganz außer Frage steht, 
ein besserer mobiler Einsatz der Lehrkräfte in den ver 
schiedenen Schulzweigen in einem solchen System, c) ist 
die Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Schulzweigen 
in einem Hause unter einem Dach viel größer. Dafür haben 
wir auch in Berlin Beweise; ich darf nur an das Modell der 
Carl-Friedrich-von-Siemens-Schule in Spandau erinnern, 
wo diese Möglichkeit des Übergangs von einem Zweig zum 
anderen sich als wesentlich praktikabler und einfacher 
erwiesen hat, als in völlig getrennten Schulen. 
Meine Damen und Herren, Berlin bekundet immer — 
und es ist ja sogar gesetzlich vorgeschrieben — seine 
Offenheit für Schulversuche, für Experimente auf dem 
Sektor der Schulstruktur. Daraus ergibt sich eigentlich die 
Folgerung, daß man Anregungen und Ideen dieser Art zu 
mindest zunächst einmal offen gegenübertritt, wenn man 
sich nicht dem Vorwurf aussetzen will, daß man von vorn 
herein mit einseitiger Schlagseite an dieses Problem heran 
geht und sich damit dem Vorwurf des Ideologieverdachts 
aussetzt, dem Sie sich nicht entziehen können, wenn Sie 
prinzipiell sagen — wie das offenbar die F.D.P. tut —: 
„Nein, so etwas wollen wir erst gar nicht probieren.“ 
Meine Damen und Herren, die Idee der „integrierten 
Gesamtschule“, das möchte ich hier mal sagen, ist ja 
wohl der schulpolitische Schlager dieser Zeit. Die SPD hat 
diese Idee aufgegriffen und zu ihrem Parteiprogramm er 
hoben und sie hat es zweifellos mit großer Geschicklichkeit 
getan; ich möchte auch sagen, es läßt sich kaum eine Idee 
schulpolitisch besser verkaufen. 
(Zuruf von der SPD: Ach nee!) 
Und darauf sind auch die von Ihnen genannten Zahlen 
zurückzuführen. 
Wenn ich verkünde: „Optimale Förderung des Einzelnen, 
größte Differenzierung bei größter sozialer Integration und 
kein Sitzenbleiben bei garantierter individuellster Förde 
rung.“ Dann möchte ich mal denjenigen, der von der Sache 
nichts genaues versteht, sehen, der sich nicht mit Begei 
sterung zunächst für ein solches Programm einsetzt. 
Aber wie sieht denn die Wirklichkeit aus — und da 
möchte ich mit meinen Ihnen eben angekündigten Be 
weisen kommen —. Welches sind denn tatsächlich die zur 
Zeit in der wissenschaftlichen Diskussion befindlichen Pro 
bleme? Ich darf Sie erstens darauf hinweisen — Herr 
Kollege Hauff, ich weiß nicht, ob Sie dabeigewesen sind, 
vielleicht waren Sie dabei: Im Dezember war eine Arbeits 
tagung der „Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschule“. 
Dort haben von den damals existierenden 83 Schulen allein 
Teams von 77 Schulen teilgenommen. Es waren 150 Teil 
nehmer; das war die Elite unserer Gesamtschulpädagogen, 
meine Damen und Herren. Ich lese hier in der „Frankfurter 
Rundschau“ -—die ja wohl nicht uns, sondern eher Ihnen 
nahesteht, als Ergebnis dieser Tagung — und das möchte 
ich Ihnen doch einmal zur Kenntnis bringen, wenn Sie es 
nicht kennen sollten: 
Die meisten Teilnehmer waren zu diesem Treffen ge 
kommen, weil die Sorge um das Gelingen dieses Expe 
riments Gesamtschule sie bedrückt. Im einzelnen a): 
Sie waren sich einig, daß die Lehrer dort ständig über 
fordert werden, b) Ein brauchbares Verfahren des 
Curriculums könne nur sehr mühsam entwickelt wer 
den; es herrsche ein zermürbender Leerlauf. Viel Zeit 
ginge verloren, und das verstärke die Frustration der 
dort beteiligten Lehrer, c) Es war das offene Problem 
dieser Tagung. Ist die Gesamtschule wirklich ein 
Mittel, um mehr soziale Gerechtigkeit in der Bildung 
herzustellen ? 
Wenn auf diesem Kongreß diese Frage offengeblieben ist, 
dann sollte doch wirklich jeder, der sich damit beschäftigt, 
die Dinge nicht einfach vom Tisch wischen und sagen: Wir 
sind uns klar darüber, es gibt überhaupt keine Alternative 
zur integrierten Gesamtschule. 
Ein zweiter Punkt, der mir wichtig erscheint und der die 
Sache von der anderen Seite zeigt. Ich möchte hier nicht 
mit Anmeldezahlen operieren, was bedeutet das schon. Ich 
habe auch eine große Zahl von Anmeldungen, die ich gar 
nicht erfüllen kann, und die Universitäten sind auch mit 
riesigen Zahlen von Anmeldungen überfordert. Das sagt 
über die Qualität zunächst gar nichts aus, sondern nur 
etwas aus über die Vorstellungen und Erwartungen der 
Eltern, mehr nicht. 
Meine Damen und Herren, inzwischen gibt es aber eine 
ganze Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen, und ich 
möchte einige hiervon ganz kurz zitieren von Leuten, die 
Sie selber vielleicht für sich in Anspruch nehmen, die sich 
ein bißchen Mühe gemacht haben, den Dingen auf den 
Grund zu gehen. Zunächst einmal habe ich hier eine Unter 
suchung von Mock über das Verhältnis der Auf stuf ungen 
und Abstufungen in den Leistungs-Kursen. Mock kommt zu 
dem Ergebnis: 
Das Verhältnis — in Nordrhein-Westfalen unter 
sucht — verhält sich in der Regel wie eins zu drei, eine 
Aufstufung entsprechen drei Abstufungen. — Mit 
dem Einsetzen der zweiten Fremdsprache ist das Pro 
blem der Aufstufung praktisch völlig illusorisch. 
— das ist ein Zitat aus einer wissenschaftlichen Arbeit. 
In einer anderen Arbeit wurde folgendes festgestellt: 
Die Reproduktion der gesellschaftlichen Schichten 
wurde durch die Gesamtschule bisher im wesentlichen 
nicht verändert. 
Man stellt fest — 
und das ist jetzt eine Berliner Untersuchung eines Herrn, 
den Sie ja ja kennen müssen, von Herrn Teschner 
Stellv. Präsident Hoppe: Gestatten Sie eine Zwischen 
frage ? 
Abg. Padberg (CDU): Bitte! 
Beier (SPD): Herr Kollege Padberg, ist Ihnen bekannt, 
daß unsere Geschäftsordnung Zitate nur mit Zustimmung 
des Herrn Präsidenten zuläßt ? 
(Ach, Ach von der CDU — 
Frau Abg. Schneider: Das ist aber schlechter Stil!) 
Padberg (CDU): Ich bitte nachträglich um Genehmi 
gung, daß ich das zitieren darf. — Die Arbeit von Herrn 
Teschner, weist nach — er ist Ihnen ja sehr bekannt, Herr 
Hauff —, daß 30 % der Schüler in allen Fächern in dem 
gleichen Kurs sitzen und daß die Intermobilität, um die es 
nämlich geht, um das Auf- und Abstufen, sich in der Regel 
lediglich auf einen einzigen Kurs fixiert. Nehmen Sie das 
einmal — auch diejenigen, die sich mit der Problematik 
nicht so beschäftigen — als wissenschaftliches Ergebnis 
zur Kenntnis. 
Ich darf Ihnen aus einer Arbeit von Herrn Scheuerl — 
mit Erlaubnis des Präsidenten, wie ich annehme — zitieren. 
Er schreibt: 
Die Hoffnung auf Durchlässigkeit der einzelnen 
Niveaugruppen ist im wesentlichen ein pädagogischer 
Irrglaube.
	        
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