Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
34. Sitzung vom 34. Februar 1973
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operative Gesamtschule, aber nur als Vorbereitung auf eine
integrierte. Das liegt ja auf der Hand.
4. Die Ergebnisse — Herr Kollege Hauff, Sie sind ja
Fachmann und selbst in einer solchen Schule tätig — wis
senschaftlicher Untersuchungen über die bisherigen Lei
stungen und Erfolge der integrierten Gesamtschule, die
inzwischen vorliegen, sind zumindest — vorsichtig ausge
drückt — kontrovers und es ist eine gewisse Unsicherheit
in dieser Frage entstanden. Ich möchte Ihnen das auch be
weisen. — Sie schütteln mit dem Kopf ? Ich werde es Ihnen
beweisen.
5. möchte ich feststellen, daß wesentliche politische In
halte und Bestandteile des integrierten Programms auch
in einem kooperativen System mit enthalten sind a) eine öko
nomische bessere Raumausnutzung, als sie in getrennten
Schulsystemen möglich ist, b), was ganz außer Frage steht,
ein besserer mobiler Einsatz der Lehrkräfte in den ver
schiedenen Schulzweigen in einem solchen System, c) ist
die Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Schulzweigen
in einem Hause unter einem Dach viel größer. Dafür haben
wir auch in Berlin Beweise; ich darf nur an das Modell der
Carl-Friedrich-von-Siemens-Schule in Spandau erinnern,
wo diese Möglichkeit des Übergangs von einem Zweig zum
anderen sich als wesentlich praktikabler und einfacher
erwiesen hat, als in völlig getrennten Schulen.
Meine Damen und Herren, Berlin bekundet immer —
und es ist ja sogar gesetzlich vorgeschrieben — seine
Offenheit für Schulversuche, für Experimente auf dem
Sektor der Schulstruktur. Daraus ergibt sich eigentlich die
Folgerung, daß man Anregungen und Ideen dieser Art zu
mindest zunächst einmal offen gegenübertritt, wenn man
sich nicht dem Vorwurf aussetzen will, daß man von vorn
herein mit einseitiger Schlagseite an dieses Problem heran
geht und sich damit dem Vorwurf des Ideologieverdachts
aussetzt, dem Sie sich nicht entziehen können, wenn Sie
prinzipiell sagen — wie das offenbar die F.D.P. tut —:
„Nein, so etwas wollen wir erst gar nicht probieren.“
Meine Damen und Herren, die Idee der „integrierten
Gesamtschule“, das möchte ich hier mal sagen, ist ja
wohl der schulpolitische Schlager dieser Zeit. Die SPD hat
diese Idee aufgegriffen und zu ihrem Parteiprogramm er
hoben und sie hat es zweifellos mit großer Geschicklichkeit
getan; ich möchte auch sagen, es läßt sich kaum eine Idee
schulpolitisch besser verkaufen.
(Zuruf von der SPD: Ach nee!)
Und darauf sind auch die von Ihnen genannten Zahlen
zurückzuführen.
Wenn ich verkünde: „Optimale Förderung des Einzelnen,
größte Differenzierung bei größter sozialer Integration und
kein Sitzenbleiben bei garantierter individuellster Förde
rung.“ Dann möchte ich mal denjenigen, der von der Sache
nichts genaues versteht, sehen, der sich nicht mit Begei
sterung zunächst für ein solches Programm einsetzt.
Aber wie sieht denn die Wirklichkeit aus — und da
möchte ich mit meinen Ihnen eben angekündigten Be
weisen kommen —. Welches sind denn tatsächlich die zur
Zeit in der wissenschaftlichen Diskussion befindlichen Pro
bleme? Ich darf Sie erstens darauf hinweisen — Herr
Kollege Hauff, ich weiß nicht, ob Sie dabeigewesen sind,
vielleicht waren Sie dabei: Im Dezember war eine Arbeits
tagung der „Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschule“.
Dort haben von den damals existierenden 83 Schulen allein
Teams von 77 Schulen teilgenommen. Es waren 150 Teil
nehmer; das war die Elite unserer Gesamtschulpädagogen,
meine Damen und Herren. Ich lese hier in der „Frankfurter
Rundschau“ -—die ja wohl nicht uns, sondern eher Ihnen
nahesteht, als Ergebnis dieser Tagung — und das möchte
ich Ihnen doch einmal zur Kenntnis bringen, wenn Sie es
nicht kennen sollten:
Die meisten Teilnehmer waren zu diesem Treffen ge
kommen, weil die Sorge um das Gelingen dieses Expe
riments Gesamtschule sie bedrückt. Im einzelnen a):
Sie waren sich einig, daß die Lehrer dort ständig über
fordert werden, b) Ein brauchbares Verfahren des
Curriculums könne nur sehr mühsam entwickelt wer
den; es herrsche ein zermürbender Leerlauf. Viel Zeit
ginge verloren, und das verstärke die Frustration der
dort beteiligten Lehrer, c) Es war das offene Problem
dieser Tagung. Ist die Gesamtschule wirklich ein
Mittel, um mehr soziale Gerechtigkeit in der Bildung
herzustellen ?
Wenn auf diesem Kongreß diese Frage offengeblieben ist,
dann sollte doch wirklich jeder, der sich damit beschäftigt,
die Dinge nicht einfach vom Tisch wischen und sagen: Wir
sind uns klar darüber, es gibt überhaupt keine Alternative
zur integrierten Gesamtschule.
Ein zweiter Punkt, der mir wichtig erscheint und der die
Sache von der anderen Seite zeigt. Ich möchte hier nicht
mit Anmeldezahlen operieren, was bedeutet das schon. Ich
habe auch eine große Zahl von Anmeldungen, die ich gar
nicht erfüllen kann, und die Universitäten sind auch mit
riesigen Zahlen von Anmeldungen überfordert. Das sagt
über die Qualität zunächst gar nichts aus, sondern nur
etwas aus über die Vorstellungen und Erwartungen der
Eltern, mehr nicht.
Meine Damen und Herren, inzwischen gibt es aber eine
ganze Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen, und ich
möchte einige hiervon ganz kurz zitieren von Leuten, die
Sie selber vielleicht für sich in Anspruch nehmen, die sich
ein bißchen Mühe gemacht haben, den Dingen auf den
Grund zu gehen. Zunächst einmal habe ich hier eine Unter
suchung von Mock über das Verhältnis der Auf stuf ungen
und Abstufungen in den Leistungs-Kursen. Mock kommt zu
dem Ergebnis:
Das Verhältnis — in Nordrhein-Westfalen unter
sucht — verhält sich in der Regel wie eins zu drei, eine
Aufstufung entsprechen drei Abstufungen. — Mit
dem Einsetzen der zweiten Fremdsprache ist das Pro
blem der Aufstufung praktisch völlig illusorisch.
— das ist ein Zitat aus einer wissenschaftlichen Arbeit.
In einer anderen Arbeit wurde folgendes festgestellt:
Die Reproduktion der gesellschaftlichen Schichten
wurde durch die Gesamtschule bisher im wesentlichen
nicht verändert.
Man stellt fest —
und das ist jetzt eine Berliner Untersuchung eines Herrn,
den Sie ja ja kennen müssen, von Herrn Teschner
Stellv. Präsident Hoppe: Gestatten Sie eine Zwischen
frage ?
Abg. Padberg (CDU): Bitte!
Beier (SPD): Herr Kollege Padberg, ist Ihnen bekannt,
daß unsere Geschäftsordnung Zitate nur mit Zustimmung
des Herrn Präsidenten zuläßt ?
(Ach, Ach von der CDU —
Frau Abg. Schneider: Das ist aber schlechter Stil!)
Padberg (CDU): Ich bitte nachträglich um Genehmi
gung, daß ich das zitieren darf. — Die Arbeit von Herrn
Teschner, weist nach — er ist Ihnen ja sehr bekannt, Herr
Hauff —, daß 30 % der Schüler in allen Fächern in dem
gleichen Kurs sitzen und daß die Intermobilität, um die es
nämlich geht, um das Auf- und Abstufen, sich in der Regel
lediglich auf einen einzigen Kurs fixiert. Nehmen Sie das
einmal — auch diejenigen, die sich mit der Problematik
nicht so beschäftigen — als wissenschaftliches Ergebnis
zur Kenntnis.
Ich darf Ihnen aus einer Arbeit von Herrn Scheuerl —
mit Erlaubnis des Präsidenten, wie ich annehme — zitieren.
Er schreibt:
Die Hoffnung auf Durchlässigkeit der einzelnen
Niveaugruppen ist im wesentlichen ein pädagogischer
Irrglaube.