Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
24. Sitzung vom 24. Februar 1972
743
die Ratifizierungsdebatte im Deutschen Bundestag zu be
einflussen; denn in der Tat wäre ein solcher Versuch ange
sichts der Probleme, um die es insgesamt geht, wohl auch
ein wenig lächerlich.
Ich möchte statt dessen noch folgendes klarstellen:
1. Nach unserer Auffassung wird die Regierung der
DDR bei der beschränkten Anwendung der Berlin-Ver-
einbarung für die genannten Zeiträume beweisen können,
wie in der Zukunft die praktische Ausfüllung der Berlin-
Vereinbarungen tatsächlich funktioniert, und sie wird sich
daran für die Zukunft messen lassen müssen.
2. Der untrennbare Zusammenhang zwischen der Rati
fizierung der Ost-Verträge und der Berlin-Vereinbarung ist
nicht zuletzt von deutscher Seite hergestellt worden. Es
gibt keinen Anspruch, der rechtlicher Natur gewesen
wäre, auf den man sich berufen könnte, wenn man nicht
bereit ist, die Politik insgesamt mitzuvertreten, die zu
diesen Regelungen geführt hat.
Daß damit nicht der moralische Anspruch gemeint ist,
den wir seit Jahren immer wieder erhoben haben, versteht
sich von selbst.
Ich sage nur: Es wäre falsch, an dieser Stelle jemanden
zu schelten, weil mit dem Willen und mit dem Einver
ständnis der Bundesregierung ein Zusammenhang zwischen
dem Inkrafttreten der Berlin-Vereinbarungen und der Ra
tifizierung der Ost-Verträge ebenso hergestellt worden ist,
wie dies im Interesse Berlins von seiten der Bundesre
gierung, und insbesondere durch den Bundesaußenminister,
geschehen ist.
(Beifall bei der F.D.P.)
Präsident Sickert: Das Wort hat Herr Abgeordneter
Stobbe.
Stobbe (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Namens der SPD-Fraktion begrüße ich die Er
klärung des Herrn Regierenden Bürgermeisters und
unterstreiche die darin vorgenommenen politischen Wertun
gen nachdrücklich.
Während der Oster- und Pfingsttage werden die Ber
liner nach sechs Jahren zum ersten Mal, wieder ihre Ver
wandten und Freunde im Ostteil der Stadt besuchen oder
als Touristen nach Ostberlin gehen können. Nach vielen,
vielen Jahren werden Sie darüber hinaus während dieser
Zeiträume zum ersten Mal wieder Magdeburg, Dresden
oder Rostock besuchen können. Auf den Zufahrtswegen
werden jene Erleichterungen eihtreten, um die wir uns so
sehr bemüht haben. Diese praktischen Verbesserungen er
geben sich, weil sich die Verantwortlichen in der DDR dazu
entschlossen haben, Teile der Berlin-Vereinbarungen wäh
rend der Oster- und Pfingsttage anzuwenden, obwohl die
politischen Grundentscheidungen über die Verträge von
Moskau und Warschau, die in einem inneren Zusammen
hang zu den Berlin-Vereinbarungen stehen, noch nicht
getroffen wurden.
Die DDR hat diese Entscheidung eine Geste des guten
Willens genannt. Der Herr Regierende Bürgermeister hat
diese Entscheidung kommentiert. Wir sehen keine Veran
lassung, seiner Kommentierung noch etwas hinzuzufügen.
Meine Damen und Herren! Die Teilanwendung der Ber
lin-Vereinbarungen während der genannten Zeiträume wird
gewissermaßen einen Probelauf darstellen, der wichtige
Erkenntnisse für die spätere Gesamtanwendung vermitteln
wird.
Wir möchten hier erklären, daß wir den Senat bei allen
Maßnahmen unterstützen werden, die erforderlich sind, um
ein gutes Ergebnis.dieses Testes herbeizuführen. ..
• Was sich während der Oster- und Pfingsttage hier in:
Berlin und auf den Zufahrtswegen tun wird und was’
für jeden einzelnen Bürger dieser Stadt von größter Be
deutung ist, ist das Ergebnis einer zielstrebig geführten
Entspannungspolitik, die wir Sozialdemokraten mitgestal
tet haben und für die wir die Verantwortung gern tragen.
Dies ist eine Politik, die auf praktische Verbesserungen
für die Menschen im geteilten Deutschland gerichtet ist.
Wir erkennen hierzu keine realistische Alternative, und
dieser Überzeugung hier und heute noch einmal Ausdruck
zu geben, ist der Sinn dieser Erklärung, die ich im Namen
der SPD-Fraktion abgegeben habe.
(Beifall bei der SPD)
Präsident Sickert: Wird weiterhin das Wort gewünscht?,
— Das ist nicht der Fall. Damit ist dieser Tagesordnungs
punkt abgeschlossen.
Ich möchte Ihnen mitteilen, daß für die heutige Sitzung
zwölf Abgeordnete entschuldigt sind; hiervon sind zehn
Abgeordnete beurlaubt, ein Abgeordneter ist krank.
Meine Damen und Herren! Ich möchte Sie dann auf die-
Ihnen hektographiert vorliegende Nachweisung der ein
gegangenen Entschließungen hinweisen und feststellen, daß
das Haus davon Kenntnis genommen hat.
Ich rufe auf
Lfd. Nr. 1:
Mündliche Anfragen gemäß . § 51
der Geschäftsordnung
und gebe Herrn Abgeordneten Rasch das Wort zu einer
Mündlichen Anfrage über Sitz des EWG-Kartellamtes.
Rasch (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Ich frage den Senat;
1. War der Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters,
das EWG-Kartellamt nach Berlin zu legen, mit der Bundes
regierung abgestimmt und zuvor mit der EWG-Kommis-
sion erörtert ?
Ist dabei insbesondere mit der Regierung Luxemburgs
die Frage erörtert worden, ob Luxemburg zugunsten Ber
lins verzichten würde ?
2. Ist zu erwarten, daß der Senat weiterhin Vorschläge
veröffentlichen wird, die weder mit der zuständigen Stelle
abgesprochen noch überhaupt realisierungsfähig sind ?
Präsident Sickert: Das Wort zur Beantwortung der
Mündlichen Anfrage hat der Regierende Bürgermeister.
Schütz, Regierender Bürgermeister: Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Rasch! An
läßlich eines Besuchs beim Präsidenten der Europäischen
Gemeinschaft in Brüssel im Zusammenhang mit der
Diskussion über die Errichtung von Oberbehörden der
Europäischen Gemeinschaften habe ich in der Tat darauf
hingewiesen, daß sich auch Berlin als Sitz solcher Ober
behörden eignen würde. Da in Berlin bereits das Bundes
kartellamt seinen Sitz hat, habe ich der Auffassung Aus
druck gegeben, daß eine eventuell zu errichtende euro
päische Kartellbehörde nach Berlin gelegt werden sollte.
Da es sich bei dem Gespräch mit dem Präsidenten der
EWG-Kommission um die erste Kontaktaufnahme in
dieser Angelegenheit handelte, ist eine vorherige Erörte
rung mit anderen Stellen nicht erfolgt. Dies wäre nicht
zweckmäßig gewesen. Aber selbstverständlich ist die Bun
desregierung von meinem Vorhaben unterrichtet worden.
Insbesondere aber wäre eine Erörterung mit der luxem
burgischen Regierung im gegenwärtigen Zeitpunkt ver
früht.