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Volume Nr. 5, 6. Mai 1971

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1971, 6. Wahlperiode, Band I, 1.-21. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode 
& Sitzung am 6. Mai 1971 
52 
Reihe von Widersprüchlichkeiten enthalten ist, und daß 
er die Grundlage für die künftige Entwicklung der Schulen 
offenbar doch noch nicht so ohne weiteres sein kann. Hier 
fehlt also zumindest die Abstimmung mit den Bezirken. 
Aber, meine Damen und Herren, ich will nicht nur auf 
die Zahlen eingehen, sondern viel wichtiger ist ja die 
Frage: Welche pädagogische Konzeption wird in Zukunft 
dieser Senat verfolgen. Da heißt es in den Materialien, daß, 
wenn die Voraussetzungen vorliegen — so heißt es wört 
lich —, die Mittelstufen zu integrierten Gesamtschulen zu 
sammengefaßt werden sollen. Herr Senator, hier die Frage: 
Was sind die Voraussetzungen, die nach Ihrer Auffassung 
vorliegen müssen? Ist es die Voraussetzung — und dann 
würden wir uns völlig decken —, daß sämtliche Probleme 
der Gesamtschule schon soweit wissenschaftlich abgeklärt, 
daß die Versuche abgeschlossen sind, so daß Sie einen 
weiteren Ausbau der Gesamtschule verantworten können? 
Wenn das so ist — voUe 'Übereinstimmung. 
Aber, meine Damen und Herren, aus den sonstigen For 
mulierungen sowohl in den Materialien als auch im Schul 
entwicklungsplan ist zu entnehmen, daß das offenbar doch 
schon vorher geschehen soll. Und hier muß ich ganz klar 
das Veto der CDU-Fraktion einlegen. Wir haben hier eine 
Reihe von Bedenken. Nicht gegen die Gesamtschule, nicht 
gegen die Versuche, aber dagegen, daß, bevor die aus 
reichende Würdigung der einzelnen pädagogischen Möglich 
keiten der Gesamtschule abgeschlossen ist, Sie sich völlig 
festlegen. Wir haben die dringende Bitte an Sie, daß Sie 
auch in dem Sinne der Zurückhaltung in der Bund-Länder- 
Kommission agieren werden. Ich weiß, das ist für Sie ein 
sehr weitgehender Vorschlag, aber ich glaube, es würde 
doch der Gesamtdiskussion hier erheblich dienen. 
Meine Damen und Herren, die Zielsetzung will ich nur 
noch einmal ganz kurz andeuten: Wir sind uns wohl 
einig darin, daß das Hauptziel der Bildungspolitik die Ver 
wirklichung der Chancengleichheit ist. Wir wollen Durch 
lässigkeit erreichen und wir wollen eine optimale individu 
elle Förderung haben. Aber, meine Damen und Herren, 
schon bei dem Problem der individuellen Förderung muß 
Ich ganz klar sagen, daß dieses Prinzip vor dem Prinzip 
der Durchlässigkeit steht. Wenn die Durchlässigkeit, die 
Sie durchgängig erreichen wollen, dazu führt, daß der 
Einzelne nicht mehr voll gefördert werden kann — wie 
man in der Gesamtdiskussion hierbei befürchten muß —, 
dann sagen wir dazu auch klar und deutlich Nein. Wir 
haben Veranlassung dazu, daß die Schulpolitik der Sozial 
demokratie hier das Schwergewicht mehr auf Durchlässig 
keit und auf Gleichheit stellt, als auf optimale Förderung 
des Einzelnen. Dazu sagen wir nein. Das ist ein Widerspruch 
auch gegen das, was man unter Grundrecht auf Bildung 
versteht. Das ist ein ganz klarer Widerspruch. Wir haben 
besondere Veranlassung, hier acht zu geben, weil ja im 
Rahmen der Insich-Koalition — so möchte ich das einmal 
nennen — der Sozialdemokraten jetzt diejenigen, die sich 
als die Vereinigte Linke verstehen, erhebliche Bedeutung 
im gesamten Bildungsbereich erhalten haben, in der Senats 
verwaltung für Jugend und Sport, auch in der Senatsver 
waltung für Schulwesen bis hin zu den Universitäten. Meine 
Damen und Herren, hier ist ganz klar und deutlich die Ab 
sage der CDU an das, was sehr stark nur zur Gleichheits 
ideologie neigt. Ich beziehe mich da lediglich auf Formu 
lierungen, die aus diesem Bereich der Insich-Koalition 
der Sozialdemokraten kommt. Klare Ablehnung einer 
Gleichheitsideologie, Vorrang der individuellen Förderung 
des Einzelnen. 
Meine Damen und Herren, die Sorge, die die CDU hier 
hat, liegt auch darin, daß man ja im Bereich der Universitä 
ten Erfahrungen hat sammeln müssen, wie gesellschaftlich 
wichtige Positionen benutzt werden können zur Verände 
rung nicht nur der Gesellschaft, sondern mit dem Ziel der 
Veränderung der Gesellschaftsordnung. Ich mache hier ganz 
klar diesen Unterschied. Und, meine Damen und Herren, 
wir haben feststellen müssen, wie die Besetzung der ein 
zelnen Positionen dann nachher auch dazu führt, daß es 
später heißt: Wieso, die Unruhe ist doch erheblich einge 
schränkt worden. Das sei ein Vorteil, ein positives Ergebnis 
unserer gesamten Politik. Im Ergebnis war es aber doch so, 
daß die zumindest von uns politisch und im Sinne der 
parlamentarischen Demokratie abzulehnenden Konzeptionen 
Im Bereich der Universität ein Mehr an Einfluß gewonnen 
haben. Und gerade um die Bekämpfung dieses Einflusses 
geht es aber. Wir werden also in der Zukunft sehr genau 
achtgeben einmal auf die Personalpolitik auch im Bereich 
Schulwesen, dann auf die Auswahl der einzelnen For 
schungsprogramme, gerade vorschulischer Erziehung. Das 
ist ein so wesentlicher Bereich, dem man für die gesamte 
künftige gesellschaftliche Entwicklung größte Bedeutung 
beimessen muß. Wir werden also hier achtgeben in der 
Zukunft, wobei ich gern eingestehen oder zugestehen 
möchte, daß die bisherigen Formulierungen in den Materia 
lien der Regierungserklärung die Befürchtungen, von de 
nen ich eben gesprochen habe, noch nicht rechtfertigen. 
Aber, Herr Senator, es gibt eben aus dem Bereich Ihrer 
Partei — und wir müssen ja nun einmal mit dieser Insich- 
Koalition rechnen — eine Reihe von Formulierungen, die 
diese Bedenken geradezu jedem Interessierten ins Gesicht 
springen lassen. 
(Zwischenrufe der SPD) 
Meine Damen und Herren, es geht hier nicht um „Papp 
kameraden“, das möchte ich ganz klar und deutlich sagen, 
dem Pappkameraden, von dem Sie immer reden, wenn es 
um Universitätspolitik geht. Aber es ist ja gerade konkret 
anders, wie es die Entwicklung zeigt, 
(Beifall bei der CDU) 
und wenn Sie beispielsweise jetzt den Bereich der Päd 
agogischen Hochschule nehmen, wo die Senatsverwaltung 
Dienstaufsichtsbeschwerden schon damit beantwortet, daß 
sie sie für einen wertvollen Hinweis auf künftige Hochschul 
politik wertet und daß sie in diesen Stellungnahmen sagt, 
daß dort von Minderheiten Terror ausgeübt wird, daß dort 
eine Pädagogik und eine wissenschaftliche Arbeit geleistet 
wird, die gerade gegen diese Gesellschaft gerichtet werden 
soll. Hier sehen Sie doch die ganze Tragweite der Probleme, 
um die es hier geht. 
(Beifall bei der CDU) 
Herr Voelker hat vorhin noch davon gesprochen, daß 
demnächst 40 0/ o der Lehrer an den Schulen neue Lehrer 
sein werden. Meine Damen und Herren! Diese 40 ®/o Lehrer 
werden zu einem großen Teil aus dem Bereich der Pädago 
gischen Hochschule kommen, und auch hier haben wir 
größte Sorge um das, was dann in den Schulen los sein 
wird. Ich habe Herrn Voelker so verstanden, daß er diese 
Sorge teilt. 
Doch, meine Damen und Herren, noch einmal zur Frage 
der Gesamtschule hier. Ich habe immer wieder den Ein 
druck gewonnen, daß hier dieses Problem sehr stark sich 
in den extremen Argumentationen erschöpft. Ich glaube, 
daß die Prinzipien, die auch in der Gesamtschule verwirk 
licht werden können — und das glaube ich nicht nur, das 
ist feststehende Tatsache —, auch im herkömmlichen 
Schulwesen verwirklicht werden können, nämlich mehr 
Chancengleichheit, Durchlässigkeit und dergleichen. Ich 
möchte feststellen, und das sei an die Richtung derjenigen, 
die die Gesamtschule als die alleinige Schule der Zukunft 
so eifrig verteidigen, gerichtet: sie werten ihre eigene 
Schulpolitik ab, sie leugnen die Erfolge, die die jetzige 
Schule schon hatte — nämlich die herkömmliche Schule — 
bei der Verwirklichung der Chancengleichheit, bei dem 
Mehr an Arbeiterkindern beispielsweise, die es heute hier 
gibt. 
(Zuruf von der SPD) 
— Herr Kollege, seien Sie vorsichtig, wenn Sie Vergleiche 
mit westdeutschen Bundesländern ziehen. Zum einen kann 
das ganz unheimlich ins Auge gehen, wie ich ihnen gerne 
bei Gelegenheit einmal beweisen werde, zum anderen muß 
ich hier eines feststellen: Es geht um Schulpolitik hier in 
Berlin, unter den Voraussetzungen von Berlin, die günstiger 
sind als die ln einem Flächenstaat. Sie müssen auch aus 
gehen von dem Potential, das Sie hier voraus haben an 
Lehrern, an Schulen und allem, was dazu gehört. Ich halte 
jeden Vergleich mit anderen Bundesländern für sehr frag 
würdig, meist dient er lediglich der parteipolitischen Pole 
mik und das sollten wir, wenn er geht, hier sein lassen. 
(Beifall bei der CDU) 
Aber, meine Damen und Herren, noch einmal zur Ge 
samtschule. Ich sagte, wir würden auch die Gesamtschule
	        
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