Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
Sitzung Nr. 20 a vom 11. Dezember 1971
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nicht nachgeeicht worden ist und daß Sie deshalb, meine
Damen und Herren von der CDU, mit Ihrer verhärteten
Haltung in dieser Sache einfach in falschen Gleisen fahren.
Aber ich muß auch sagen: Das SPD-Meter scheint uns
künstlich verlängert, damit eine großzügige Beurteilung
möglich gemacht wird.
(Abg. Lummer: Das liberale Meter?)
Meine Damen und Herren! Die SPD übt zumindest in der
öffentlichen parlamentarischen Diskussion — so scheint
uns — Solidarität um jeden Preis. Das kann nicht und das
darf nicht die Position des Parlaments sein, das die Inter
essen der Bürger in dieser Stadt zu vertreten hat. Wir
sollten deshalb die Einwände und Bedenken, die zu Recht
bestehen und die in der Öffentlichkeit erörtert werden, auch
hier miteinander offen besprechen. Es hilft keinem, Zwei
fel und Enttäuschungen zu verdrängen. Eine solche Hal
tung hilft schon gar nicht der Ostpolitik. Jede Politik wird
nur glaubwürdig, wenn sie sich der Kritik stellt und wenn
sie sich mit ihren Kritikern und den berechtigten kritischen
Einwendungen sachlich und nüchtern auseinandersetzt.
Erst in der Abwägung und in der Wertung der negativen
Elemente und des positiven Gesamtgehalts des Vorgangs
wird man nüchtern zu einer abschließenden Entscheidung
und richtigen Beurteilung des Vorgangs gelangen. Nach
Auffassung der FJD.P.-Fraktion bleibt jedenfalls der Ber
liner Teil des Abkommens hinter den Erwartungen zurück;
er hätte besser sein können und besser sein müssen. Dieser
Teil der Vereinbarungen ist kein Glanzstück, und der Herr
Regierende Bürgermeister hat dabei ganz gewiß keine
glanzvolle Rolle gespielt.
(Beifall bei der FDP.)
Wir haben uns in der Vergangenheit um Verbesserungen
in diesem Teil des Vorgangs bemüht. Diese Phase ist mit
der Paraphierung abgeschlossen. Jetzt haben wir ein Er
gebnis und mit diesem Ergebnis müssen wir uns beschäf
tigen. Wir können den Berliner Teil nicht loben. Aber wir
sind nüchtern genug, das Gesamtergebnis als Beitrag der
Bundesregierung und des Senats von Berlin zur internatio
nalen und europäischen Entspannung einzuordnen. Aber
es bleibt dann die Kritik am Senat und es bleibt unser Be
dauern, daß im Berliner Teil der Vereinbarungen die Mög
lichkeiten des Vier-Mächte-Abkommens nicht besser aus
genutzt worden sind.
Meine Damen und Herren! Mit diesen Einschränkungen
können wir das Gesamtergebnis der Verhandlungen als
Mittel zur Normalisierung der Beziehungen zwischen den
beiden deutschen Staaten und für eine Friedenspolitik in
Europa insgesamt als akzeptabel bezeichnen. Ob diese Auf
fassung bestätigt oder widerlegt wird, das wird sich erst
aus der Durchführung der Vereinbarung und aus der
Durchführung des Vier-Mächte-Abkommens erweisen. Ge
wiß gehört Mut und Risiko zur Politik. Zu einem Risiko für
eine neue Ostpolitik sind wir auch bereit.
(Beifall bei der F.DJP.)
Mit den uns bekannten Risiken müssen wir nun auch das
Risiko bei der Durchführung der Vereinbarungen tragen.
Präsident Sickert: Meine Damen und Herren! Bevor ich
dem nächsten Redner das Wort gebe: Die F.DJP.-Fraktion
hat gebeten, die Sitzung um eine halbe Stunde zu unter
brechen. Bitte?
Oxfort (F.D.P.): Herr Präsident! Ich war davon aus
gegangen, daß dann die Rednerrunde bereits beendet sein
würde. Ich bitte, den Antrag so zu verstehen, daß wir den
Antrag auf Unterbrechung auf eine halbe Stunde für den
Zeitraum vor der Abstimmung stellen.
Präsident Sickert: Aber Sie hatten vorher etwas anderes
gesagt, damit das klar ist. Sie hatten nach dieser Runde
darum gebeten. Das heißt also, daß die FJD.P. den Antrag
stellt, wenn die Rednerliste beendet ist, vor Beratung der
Anträge.
Dann hat das Wort Herr Abgeordneter Lummer, dann
folgt Herr Stobbe.
Lummer (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Her
ren! Zunächst eine Bemerkung zum Abgeordneten Dr.
Riebschläger, der mir heute sehr viel Ehre angedeihen ließ,
denn er hat sich fast ausschließlich mit dem, was ich gesagt
oder geschrieben habe, beschäftigt. Dieses läßt zumindest
darauf schließen, daß Sie eine ganze Menge davon gelesen
haben; ich weiß nicht, ob Sie es immer richtig verstanden
haben.
Herr Dr. Riebschläger, Sie haben an dieser Stelle gewis
sermaßen eine beschwörende Formel verwendet, bezogen
auf die Gemeinsamkeit aller Parteien und Fraktionen
dieses Hauses, um ein bestimmtes Ziel für die Berliner zu
erreichen.
(Abg. Jannicke: So ist es!)
Ich nehme für mich und für meine Fraktion in Anspruch,
daß wir uns von Beginn an darum bemüht haben, diese
Gemeinsamkeit zu erzielen, daß wir es immer wieder erneut
versucht haben — auch wenn es nicht immer wieder gelun
gen ist —, in einigen Punkten — Herr Voelker hat darauf
hingewiesen, ist es einmal gelungen, wie es heute scheint,
zu einem Teil unter falschen Voraussetzungen, weil viel
leicht die Formeln nicht konkret genug gewesen sind, und
das überdeckt haben, was an gegensätzlichen Auffassungen
vorhanden ist. Aber schauen Sie, ein konkretes Beispiel:
Ich habe ja doch den Eindruck gehabt — und nicht nur ich,
sondern das hat in jeder Berliner Zeitung gestanden und
Sie konnten es in jedem Berliner Sender am 23. November
dieses Jahres hören: SPD- und CDU-Fraktion in einer
Front gegen die Kontingentierung. Wir, meine Damen und
Herren, sind dabei geblieben, aber Sie sind offensichtlich
gefallen. Denn Sie sind bis heute für eine Regelung einge
treten — die haben Sie bestätigt und unterstrichen —, die
nicht nur die Dreißfg-Tage-Kontingentierung, sondern noch
ganz andere bösartig diffizile Formen der Kontingentierung
mit einschließt.
(Beifall bei der CDU)
Wir waren ja für die Gemeinsamkeit, wir sind es noch, aber
Sie haben uns verlassen, Sie sind von unserer Seite ge
wichen, offenbar nicht zum Nutzen der Berliner.
Nun, meine Damen und Herren, es sind hier eine ganze
Reihe von Ausführungen gemacht worden; eine unserer Be
schwerden hat darin bestanden, daß wir gesagt haben: In
diesen Vereinbarungen gibt es viele offene Fragen, die nicht
beantwortet worden sind. Der Regierende Bürgermeister
hat in seinen Ausführungen dies und jenes Konkrete gesagt
zu den vorliegenden Texten und wie es zu verstehen sei.
Ich habe schon neulich in der Abgeordnetenhaussitzung
eine Frage gestellt, habe sie in den internen Gesprächen der
drei Parteien wiederholt und heute hier noch einmal wie
derholt. Es ist die Frage gewesen, wie denn die rechtliche
Bewertung der unterschiedlichen Anhänge, Protokollnotizen
und Erklärungen darzustellen sei. Sind sie alle gegen den
Vorbehalt einseitiger Änderungen geschützt oder gibt es
solche, die einseitig geändert werden können?
(Abg. Schmitz: Ja oder nein!)
Dies ist eine wichtige Frage, meine Damen und Herren. In
einigen Texten steht so etwas drin, daß in bestimmten
Fällen gesagt wird: Änderungen nur beidseitig möglich;
heißt das, daß es andere gibt, die einseitig veränderbar
sind? Der Regierende Bürgermeister hat sich bisher nicht
gemeldet. Ich halte diese Frage aufrecht, weil es nach mei
nem Dafürhalten und nach dem was aus Ostberlin ver
lautbart ist, eine wichtige Frage ist.
(Zuruf von der CDU: Sehr richtig!)
Ich will hier jetzt nur wenige Fragen stellen, die nach mei
nem Dafürhalten für den Gesamtkomplex für jeden Ber
liner von Bedeutung gerade bei der praktischen Durch
führung sind. Schauen Sie zum Beispiel die Formulare an.
Da steht die Rubrik „Staatsbürgerschaft“. Da werden wir
selbstverständlich „deutsch“ eintragen. Aber was passiert