Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
Sitzung Nr. 20 a vom 11. Dezember 1971
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Meine Damen und Herren, wir haben das sogenannte
Transitabkommen danach zu beurteilen, ob es das Rahmen
abkommen der Alliierten wirklich ausfüllt und nicht in
Teilen aushöhlt. Ich finde, eine solche Beurteüung ist nur
dann möglich, wenn man sich gleichzeitig in Erinnerung
ruft, was — und das muß ich jetzt hier noch einmal er
wähnen, Herr Kollege Voelker, weil Sie selbst darauf zu-
rtickgekommen sind — für erhebliche Konzessionen die
Westmächte der Sowjetunion gegenüber gemacht haben,
wie wir annehmen wollen, um eine Verbesserung auf den
Zufahrtswegen und im innerstädtischen Verkehr zwischen
den beiden Teilen der Stadt erst zu erreichen.
Nämlich erstens, die Westmächte haben eine negative
Festlegung in bezug auf die Zugehörigkeit West-Berlins zur
Bundesrepublik Deutschland getroffen, die leider nur mit
sowjetischer Zustimmung geändert werden kann.
Ferner; Die Westmächte haben einer erheblichen Ein
schränkung und Verminderung der Bundespräsenz in Berlin
zugestimmt und sich dadurch damit einverstanden erklärt,
daß die Bundesrepublik Deutschland in Berlin nicht mehr
die gleichen Rechte hat wie heute die DDR. Dadurch ist die
rechtliche und politische Stellung der beiden Teile der
gespaltenen Stadt zum Nachteil West-Berlins ungleicher
geworden.
Und drittens: Die Westmächte haben durch Einrichtung
eines sowjetischen Generalkonsulats auch eine unterschied
liche Präsenz der vier Mächte in Berlin hingenommen.
Und, meine Damen und Herren, dafür haben wir nun
erwartet, dafür mußte nun erwartet werden, daß die andere
Seite wenigstens in vollem Umfang diejenigen Einschrän
kungen und Hindernisse beseitigt, die in den letzten Jahren
auf den Zufahrtswegen und im geteilten Berlin zum Teü
unter Verletzung der Menschenrechte, zum Teil unter Ver
letzung des Völkerrechts und wesentlicher anderer Rechts
vorschriften auf gebaut worden sind, und es konnte erwartet
werden, daß für diese ganzen Konzessionen nun wirklich
eine echte und dauerhafte Erleichterung und Verbesserung
für die Menschen unserer Stadt eintreten würde. Das war
unsere Ausgangsposition.
(Beifall bei der CDU)
Wir müssen leider feststellen, daß die vorliegenden Er
gebnisse den Erwartungen nicht entsprechen. Die CDU hat
in Schreiben an den Herrn Regierenden Bürgermeister
und an den Staatsekretär Bahr und später auch gegenüber
der Öffentlichkeit rechtzeitig ihre Auffassung darüber
niedergelegt, was sie als Mindestvoraussetzungen — nicht
als Maximalforderungen — für einen befriedigenden In
halt der von deutscher Seite zu treffenden Vereinbarungen
ansieht. Und diese Mindestvoraussetzungen sind leider nur
zum Teil erfüllt. Soweit sie das Abkommen des Senats mit
der „DDR“ betreffen, hat das hier der Herr Kollege Lum
mer dargesteUt.
Ich möchte noch einige Bemerkungen zum Abkommen
Bahr—Kohl machen.
Erstens; Wir sind davon ausgegangen, daß Visa auf den
Transitwegen abgeschafft werden und zum Betreten des
andern Teüs der Stadt auch nicht verlangt werden, wie
das heute schon bei Westdeutschen nicht der Fall ist. Die
alliierte Vereinbarung schreibt eine Verwendung von Visa
nicht vor. Für den Personenverkehr in durchgehenden Zü
gen und Autobussen ist in dem Abkommen als Kontrolle
lediglich die Identifizierung der Personen vorgesehen und
keine andere Formalität, wie es wörtlich heißt. Obwohl
diese Bestimmungen in den deutschen Abkommen noch
einmal wiederholt werden, werden sie nach unserer Auf
fassung durch die Beibehaltung der Visa praktisch um
gangen. Denn ich finde, es ist doch lediglich ein Trick,
wenn man davon ausgeht, daß die Vorlage eines Visums
nicht zum Kontrollverfahren gehört. Auch ein Visum wird
«och kontrolliert, meine Damen und Herren. Und auch die
für die Benutzung der Pkw vorgeschriebene Identitäts-
Kontrolle als Transitreisender dürfte nach unserer Auffas
sung nicht als Zwang zur Visaeinführung mißbraucht wer-
en. Also wir meinen, es steht im Widerspruch zum Ab-
Kommen, daß es auf den Durchfahrtswegen heute noch
isa gibt, und vor allem auch zu der festlegenden Bestim-
ung, daß der Verkehr in der einfachsten, schnellsten
und günstigsten Weise erfolgen soll, die in der internatio
nalen Praxis vorzufinden ist. Die Bundesrepublik hat mit
mindestens 106 auswärtigen Mächten Vereinbarungen ge
troffen, die eine Visaerteilung unnötig machen, und wir
hören auch, daß im Ostblock die Visa zunehmend abge
schafft werden. Es ist unverständlich, warum sie auf den
Durchgangswegen aufrechterhalten werden.
(Beifall bei der CDU)
Und wir müssen bei der Gelegenheit darauf hinweisen, daß
durch die Notwendigkeit der Ausfüllung der Visa die Mög
lichkeit der Verzögerung und sogar der Schikane bestehen
bleibt; denn keiner von uns weiß bisher, wieviel Spalten
oder wieviel Seiten man auf solchen Formularen ausfüllen
muß oder der Kontrollbeamte ausftillen muß, wenn man die
Durchgangswege benutzt.
Zweitens: Das Abkommen sieht für den Regelfall ledig
lich eine Identitätskontrolle vor. Und auch auf den Zu
gangswegen müßten sich Reisende aus West-Berlin inso
weit wie Reisende aus der Bundesrepublik entweder durch
den Personalausweis oder wahlweise auch durch den Bun
despaß ausweisen können. Die Beschränkung auf den Per
sonalausweis für West-Berliner zeigt, daß auch hier die
DDR mit Erfolg versucht hat, ein Stück von ihrer These
von der besonderen politischen Einheit West-Berlin zu ver
wirklichen. Und wir bedauern, daß das nun auch die Unter
schrift der Bundesrepublik Deutschland trägt.
Drittens: Beim Warendurchgangsverkehr ist der Regel
fall die Verplombung. Leider bestimmt ein Artikel des
Bahr-Kohl-Abkommens, daß die Organe der DDR in
nicht klar festgelegten Fällen auch eigene Verschlüsse an-
legen können. Auch hier bleiben für spätere Zeiten die
Möglichkeiten der Behinderungen in vielfältiger Weise
offen.
Und schließlich viertens: Es war von vornherein klar,
daß die Regelung im Mißbrauchsfall am schwierigsten da
sein würde, wo in Artikel 16 einzelne Möglichkeiten auf-
gezählt werden, und hier mußte besondere Sorgfalt ver
wendet werden. Das Ergebnis kann uns auch nicht befrie
digen. Wir müssen dabei von dem Text und den Anlagen
sowie von den Protokollvermerken ausgehen, die verschie
dene Auslegungen offenlassen. Bei der Beurteilung spielt
nach unserer Auffassung eine wesentliche Rolle, daß nach
Artikel 2 Absatz 2 auf den Durchgangswegen die allgemein
üblichen Vorschriften der DDR gelten. Das heißt also, daß
jeder Reisende zunächst einmal allgemein DDR-Recht un
terworfen ist, also auch Gesetzen und Bestimmungen, über
deren jeweilige Fassung oder Gültigkeit weder er, noch die
Bundesregierung, noch der Senat irgendwelchen Einfluß
haben. Und wenn sogar Formulierungen des Abkommens
unter Bezug auf diese Gesetze erfolgt sein sollten — wie
wir hören —, dann hätte sichergestellt werden müssen, um
welche Fassungen der Gesetze es sich handelt und daß sie
nicht einseitig verändert werden können.
(Beifall bei der CDU)
Da das nicht der Fall ist, sind die in Artikel 16 nieder
gelegten Mißbrauchsregelungen umso entscheidender.
Daß hier auch kleinere Vergehen — auch Ordnungs
widrigkeiten und Vergehen gegen die Straßenverkehrs
ordnung — zu den Mißbrauchstatbeständen gezählt werden,
erscheint uns äußerst bedenklich. Wenn es in Artikel 16
Absatz 2 heißt, daß schon im Falle hinreichenden Verdachts
eines Mißbrauchs die zuständigen Organe der DDR die
Durchsuchung von Reisenden, ihrer Autos und ihrer Ge
päckstücke durchführen werden — meine Damen und Her
ren, „werden“, es heißt nicht „können“, sondern „wer
den“ , f wenn das nicht durch andere Vereinbarungen, die
wir nicht kennen, in irgendeiner Weise modifiziert ist,
dann müssen wir sagen, bietet das die Handhabe für alle
möglichen Schikanen und Behinderungen. Denn es ist nicht
erforderlich, daß der Verdacht sich bestätigt, sondern Zu
rückweisung, Durchsuchung und so weiter kann bereits
erfolgen, wenn hinreichender Verdacht ausgesprochen
wird. Und leider muß ich an dieser Stelle sagen, daß meine
Befürchtungen, die ich in der Aktuellen Stunde zum Aus
druck gebracht habe über die Behandlung von politischen
Flüchtlingen, auch durch die neuere Formulierung nicht