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Volume Nr. 20a, 11. Dezember 1971

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1971, 6. Wahlperiode, Band I, 1.-21. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode 
Sitzung Nr. 20 a vom 11. Dezember 1971 
567 
Meine Damen und Herren, wir haben das sogenannte 
Transitabkommen danach zu beurteilen, ob es das Rahmen 
abkommen der Alliierten wirklich ausfüllt und nicht in 
Teilen aushöhlt. Ich finde, eine solche Beurteüung ist nur 
dann möglich, wenn man sich gleichzeitig in Erinnerung 
ruft, was — und das muß ich jetzt hier noch einmal er 
wähnen, Herr Kollege Voelker, weil Sie selbst darauf zu- 
rtickgekommen sind — für erhebliche Konzessionen die 
Westmächte der Sowjetunion gegenüber gemacht haben, 
wie wir annehmen wollen, um eine Verbesserung auf den 
Zufahrtswegen und im innerstädtischen Verkehr zwischen 
den beiden Teilen der Stadt erst zu erreichen. 
Nämlich erstens, die Westmächte haben eine negative 
Festlegung in bezug auf die Zugehörigkeit West-Berlins zur 
Bundesrepublik Deutschland getroffen, die leider nur mit 
sowjetischer Zustimmung geändert werden kann. 
Ferner; Die Westmächte haben einer erheblichen Ein 
schränkung und Verminderung der Bundespräsenz in Berlin 
zugestimmt und sich dadurch damit einverstanden erklärt, 
daß die Bundesrepublik Deutschland in Berlin nicht mehr 
die gleichen Rechte hat wie heute die DDR. Dadurch ist die 
rechtliche und politische Stellung der beiden Teile der 
gespaltenen Stadt zum Nachteil West-Berlins ungleicher 
geworden. 
Und drittens: Die Westmächte haben durch Einrichtung 
eines sowjetischen Generalkonsulats auch eine unterschied 
liche Präsenz der vier Mächte in Berlin hingenommen. 
Und, meine Damen und Herren, dafür haben wir nun 
erwartet, dafür mußte nun erwartet werden, daß die andere 
Seite wenigstens in vollem Umfang diejenigen Einschrän 
kungen und Hindernisse beseitigt, die in den letzten Jahren 
auf den Zufahrtswegen und im geteilten Berlin zum Teü 
unter Verletzung der Menschenrechte, zum Teil unter Ver 
letzung des Völkerrechts und wesentlicher anderer Rechts 
vorschriften auf gebaut worden sind, und es konnte erwartet 
werden, daß für diese ganzen Konzessionen nun wirklich 
eine echte und dauerhafte Erleichterung und Verbesserung 
für die Menschen unserer Stadt eintreten würde. Das war 
unsere Ausgangsposition. 
(Beifall bei der CDU) 
Wir müssen leider feststellen, daß die vorliegenden Er 
gebnisse den Erwartungen nicht entsprechen. Die CDU hat 
in Schreiben an den Herrn Regierenden Bürgermeister 
und an den Staatsekretär Bahr und später auch gegenüber 
der Öffentlichkeit rechtzeitig ihre Auffassung darüber 
niedergelegt, was sie als Mindestvoraussetzungen — nicht 
als Maximalforderungen — für einen befriedigenden In 
halt der von deutscher Seite zu treffenden Vereinbarungen 
ansieht. Und diese Mindestvoraussetzungen sind leider nur 
zum Teil erfüllt. Soweit sie das Abkommen des Senats mit 
der „DDR“ betreffen, hat das hier der Herr Kollege Lum 
mer dargesteUt. 
Ich möchte noch einige Bemerkungen zum Abkommen 
Bahr—Kohl machen. 
Erstens; Wir sind davon ausgegangen, daß Visa auf den 
Transitwegen abgeschafft werden und zum Betreten des 
andern Teüs der Stadt auch nicht verlangt werden, wie 
das heute schon bei Westdeutschen nicht der Fall ist. Die 
alliierte Vereinbarung schreibt eine Verwendung von Visa 
nicht vor. Für den Personenverkehr in durchgehenden Zü 
gen und Autobussen ist in dem Abkommen als Kontrolle 
lediglich die Identifizierung der Personen vorgesehen und 
keine andere Formalität, wie es wörtlich heißt. Obwohl 
diese Bestimmungen in den deutschen Abkommen noch 
einmal wiederholt werden, werden sie nach unserer Auf 
fassung durch die Beibehaltung der Visa praktisch um 
gangen. Denn ich finde, es ist doch lediglich ein Trick, 
wenn man davon ausgeht, daß die Vorlage eines Visums 
nicht zum Kontrollverfahren gehört. Auch ein Visum wird 
«och kontrolliert, meine Damen und Herren. Und auch die 
für die Benutzung der Pkw vorgeschriebene Identitäts- 
Kontrolle als Transitreisender dürfte nach unserer Auffas 
sung nicht als Zwang zur Visaeinführung mißbraucht wer- 
en. Also wir meinen, es steht im Widerspruch zum Ab- 
Kommen, daß es auf den Durchfahrtswegen heute noch 
isa gibt, und vor allem auch zu der festlegenden Bestim- 
ung, daß der Verkehr in der einfachsten, schnellsten 
und günstigsten Weise erfolgen soll, die in der internatio 
nalen Praxis vorzufinden ist. Die Bundesrepublik hat mit 
mindestens 106 auswärtigen Mächten Vereinbarungen ge 
troffen, die eine Visaerteilung unnötig machen, und wir 
hören auch, daß im Ostblock die Visa zunehmend abge 
schafft werden. Es ist unverständlich, warum sie auf den 
Durchgangswegen aufrechterhalten werden. 
(Beifall bei der CDU) 
Und wir müssen bei der Gelegenheit darauf hinweisen, daß 
durch die Notwendigkeit der Ausfüllung der Visa die Mög 
lichkeit der Verzögerung und sogar der Schikane bestehen 
bleibt; denn keiner von uns weiß bisher, wieviel Spalten 
oder wieviel Seiten man auf solchen Formularen ausfüllen 
muß oder der Kontrollbeamte ausftillen muß, wenn man die 
Durchgangswege benutzt. 
Zweitens: Das Abkommen sieht für den Regelfall ledig 
lich eine Identitätskontrolle vor. Und auch auf den Zu 
gangswegen müßten sich Reisende aus West-Berlin inso 
weit wie Reisende aus der Bundesrepublik entweder durch 
den Personalausweis oder wahlweise auch durch den Bun 
despaß ausweisen können. Die Beschränkung auf den Per 
sonalausweis für West-Berliner zeigt, daß auch hier die 
DDR mit Erfolg versucht hat, ein Stück von ihrer These 
von der besonderen politischen Einheit West-Berlin zu ver 
wirklichen. Und wir bedauern, daß das nun auch die Unter 
schrift der Bundesrepublik Deutschland trägt. 
Drittens: Beim Warendurchgangsverkehr ist der Regel 
fall die Verplombung. Leider bestimmt ein Artikel des 
Bahr-Kohl-Abkommens, daß die Organe der DDR in 
nicht klar festgelegten Fällen auch eigene Verschlüsse an- 
legen können. Auch hier bleiben für spätere Zeiten die 
Möglichkeiten der Behinderungen in vielfältiger Weise 
offen. 
Und schließlich viertens: Es war von vornherein klar, 
daß die Regelung im Mißbrauchsfall am schwierigsten da 
sein würde, wo in Artikel 16 einzelne Möglichkeiten auf- 
gezählt werden, und hier mußte besondere Sorgfalt ver 
wendet werden. Das Ergebnis kann uns auch nicht befrie 
digen. Wir müssen dabei von dem Text und den Anlagen 
sowie von den Protokollvermerken ausgehen, die verschie 
dene Auslegungen offenlassen. Bei der Beurteilung spielt 
nach unserer Auffassung eine wesentliche Rolle, daß nach 
Artikel 2 Absatz 2 auf den Durchgangswegen die allgemein 
üblichen Vorschriften der DDR gelten. Das heißt also, daß 
jeder Reisende zunächst einmal allgemein DDR-Recht un 
terworfen ist, also auch Gesetzen und Bestimmungen, über 
deren jeweilige Fassung oder Gültigkeit weder er, noch die 
Bundesregierung, noch der Senat irgendwelchen Einfluß 
haben. Und wenn sogar Formulierungen des Abkommens 
unter Bezug auf diese Gesetze erfolgt sein sollten — wie 
wir hören —, dann hätte sichergestellt werden müssen, um 
welche Fassungen der Gesetze es sich handelt und daß sie 
nicht einseitig verändert werden können. 
(Beifall bei der CDU) 
Da das nicht der Fall ist, sind die in Artikel 16 nieder 
gelegten Mißbrauchsregelungen umso entscheidender. 
Daß hier auch kleinere Vergehen — auch Ordnungs 
widrigkeiten und Vergehen gegen die Straßenverkehrs 
ordnung — zu den Mißbrauchstatbeständen gezählt werden, 
erscheint uns äußerst bedenklich. Wenn es in Artikel 16 
Absatz 2 heißt, daß schon im Falle hinreichenden Verdachts 
eines Mißbrauchs die zuständigen Organe der DDR die 
Durchsuchung von Reisenden, ihrer Autos und ihrer Ge 
päckstücke durchführen werden — meine Damen und Her 
ren, „werden“, es heißt nicht „können“, sondern „wer 
den“ , f wenn das nicht durch andere Vereinbarungen, die 
wir nicht kennen, in irgendeiner Weise modifiziert ist, 
dann müssen wir sagen, bietet das die Handhabe für alle 
möglichen Schikanen und Behinderungen. Denn es ist nicht 
erforderlich, daß der Verdacht sich bestätigt, sondern Zu 
rückweisung, Durchsuchung und so weiter kann bereits 
erfolgen, wenn hinreichender Verdacht ausgesprochen 
wird. Und leider muß ich an dieser Stelle sagen, daß meine 
Befürchtungen, die ich in der Aktuellen Stunde zum Aus 
druck gebracht habe über die Behandlung von politischen 
Flüchtlingen, auch durch die neuere Formulierung nicht
	        
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