Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
19. Sitzung vom 8. Dezember 1971
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zu beseitigen. Es ist dies schnell und unbürokratisch ge
schehen und wird auch zum besseren Ansehen der Verwal
tung selbst bei den betroffenen Personen beitragen.
Es ist die vordringlichste Pflicht des Petitionsausschusses,
auf fehlerhafte und unbillige Entscheidungen aufmerksam
zu machen und darauf zu dringen, daß dem Bürger das
zuteil wird, was ihm nach Recht und Billigkeit zusteht.
Gerade Verwaltungsroutine mag häufig dazu führen, daß
mehr die große Linie und weniger die Umstände des Ein
zelfalles gesehen werden. Das ist verständlich. Besonders
in diesen Fällen ist es notwendig, daß der Petitionsausschuß
umgekehrt sein Hauptaugenmerk den individuellen Gege
benheiten des Falles widmet. Wir haben hören müssen, daß
eine Verwaltungsbehörde meinte, ihre Beamten brauchten
die Rechtsvorschriften für das immittelbar benachbarte
Ressort nicht zu kennen, während sie gleichzeitig einem
rat- und rechtsuchenden Bürger die Unkenntnis und Nicht
beachtung eben dieser Vorschriften zum Vorwurf machte
und nur deshalb seinen Antrag ablehnte.
Selbst wenn eine solche Auffassung aus der Sicht des
spezialisierten Sachbearbeiters einleuchtend erscheinen mag,
kann sie vom politisch und rechtlich Denkenden nicht
gebilligt werden. Der Petitionsausschuß wird deshalb in
verstärktem Maße den Dialog mit den jeweils politisch
Verantwortlichen suchen, wenn die Stellungnahme seiner
Verwaltung die Bedenken des Ausschusses nicht auszu
räumen vermag. Wir sind jederzeit gern bereit, uns der
Rechts- und Sachkenntnis der Verwaltung zu beugen, wenn
uns diese überzeugend dargelegt werden kann. Der Aus
schuß wird aber sehr hartnäckig sein können, wenn er sich
im Recht weiß. Wir hoffen, daß eine vertrauensvolle Zu
sammenarbeit mit allen Bereichen der Verwaltung möglich
sein wird, und wir hoffen dies gerade im Interesse der Bür
ger. Dazu gehört, daß der Ausschuß zutreffend und um
fassend informiert wird. Es kann nicht hingenommen wer
den, wenn beispielsweise Senats- und Bezirks Verwaltung in
derselben Sache zu unterschiedlicher Beurteilung kommen,
so zum Beispiel bei einer Lärmbelästigung. Diese Fälle
werden uns Anlaß sein, in stärkerem Maße, als dies bisher
geschehen ist, unmittelbar vor Ort selbst Ermittlungen an
zustellen. Die Möglichkeiten des Petitionsgesetzes, die eine
solche unmittelbare Sachaufklärung zulassen, sind sicher
lich noch nicht voll von uns ausgeschöpft worden. Wir sind
jedoch entschlossen, in allen Fällen, in denen dies ange
bracht zu sein scheint, in erheblich größerem Umfange
selbst zu ermitteln, als es bisher geschehen ist. So haben
mehrere Berichterstatter des Petitionsausschusses in der
vergangenen Zeit Ortsbesichtigungen durchgeführt, um sich
davon zu überzeugen, ob und inwieweit Beschwerden von
Petenten zutreffen. Derartige Überprüfungen soll es nach
dem Willen des Ausschusses künftig öfter geben.
Es ist ganz sicher, daß jede Tätigkeit des Petitionsaus
schusses der Exekutive Arbeit bringt. Das ist nicht zu ver
meiden. Ein Petitionsausschuß, der der Verwaltung nicht
Arbeit macht, ihr nicht unbequem wird, kann seiner Auf
gabe nicht gerecht werden. Das eine bedingt das andere.
Herr Kollege Luster hat in seinem letzten Rechenschafts
bericht am 22. Januar 1971 gesagt, man würde sicherlich
in Berlin ein gutes Stück weiter sein, wenn die Verwaltung
sich bei einer schwierigen Entscheidung zumindest am
Rande die Frage stellen würde: Was würde der Petitions
ausschuß hierzu sagen? — so wie sich in Dänemark und
Schweden die dortigen Behörden fragen: Wie würde der
Ombudsman diese Frage beurteilen? — Dazu gehört nach
unserer Auffassung, daß die Exekutive nicht nur die Be
stimmungen des Petitionsgesetzes noch eingehender als bis
her zur Kenntnis nimmt, sondern auch, daß sie Existenz
und Befugnisse des Ausschusses in ihre eigenen Überlegun
gen und Entscheidungen einbezieht. Auf dem Wege zu die
sem Ziel, an dem für die Verwaltung die parlamentarische
Kontrolle immer in’s Haus steht, wollen wir in dieser
Legislaturperiode ein Stück weiterkommen. Wir meinen,
hier auf dem richtigen Wege zu sein.
Meine Damen und Herren! Der Petitionsausschuß ist ein
Arbeitsausschuß. Sie werden dieser Feststellung sicher zu
stimmen, wenn Sie hören, daß wir seit Beginn dieser Legis
laturperiode über 900 Eingaben abschließend bearbeitet
haben, von denen etwa 230 noch aus der vergangenen Wahl
periode Übernommen werden mußten. Sie können sich den
ken, daß diese große Zahl von Fällen zu einer erheblichen
Belastung im Ausschuß geführt hat. Wir haben sehr oft
zweimal in der Woche tagen müssen, und die Parlaments
ferien — sonst Ruhezeit für vielgeplagte Parlamentarier —
sind für die Mitglieder des Petitionsausschusses auf zwei
mal zwei Wochen zusammengeschrumpft. Wir haben im
Ausschuß Sachressorts gebildet, die jeweils von einem Ab
geordneten selbständig betreut werden und über die er im
Ausschuß berichtet. Somit ist eine einigermaßen ausge
glichene Arbeitsverteilung im Ausschuß gesichert. Anderer
seits führt dies häufig dazu, daß viele von uns Feierabende
und Wochenenden nur auf die Bearbeitung von Petitionen
verwenden müssen. Hieran wird sich vermutlich auch in
Zukunft nichts ändern. Gleichwohl hat der Ausschuß mei
stens im Stillen gewirkt. Er ist im Rahmen der parlamen
tarischen Arbeit nicht allzu stark hervorgetreten.
Wir haben noch keinen anderen Abgeordneten zu unserer
Unterstützung hinzubitten müssen. Auch die Fälle, in denen
wir an andere Ausschüsse mit der Bitte um fachlichen Rat
herangetreten sind, sind nicht allzu häufig.
Die Tätigkeit des Ausschusses schlägt sich in einer Un
menge an Schreiberei nieder; um so dankbarer hat es der
Ausschuß begrüßt, daß der Herr Präsident und das Prä
sidium doch durch kurzfristig getroffene personelle Maß
nahmen eine in Zukunft schnellere Erledigung der anfallen
den technischen Arbeiten ermöglicht hat.
Der Petitionsausschuß konnte im letzten halben Jahr
etwa ein Sechstel aller Eingaben positiv bescheiden. In
einem weiteren Sechstel aller Fälle konnte dem Petitum
teilweise entsprochen werden. Daß zwei Drittel aller Ein
gaben demgegenüber abschlägig beschieden werden muß
ten, liegt unter anderem daran, daß ein außerordentlich
hoher Prozentsatz hoffnungsloser Anliegen an den Ausschuß
herangetragen wurde. Das ist unvermeidlich, denn viele
Petenten wenden sich erst dann an den Ausschuß, wenn sie
die Instanzen der Verwaltung und der Gerichte bereits
erfolglos durchlaufen haben. Zwar entbindet diese Tatsache
den Ausschuß nicht von der Pflicht, auch diese Fälle ein
gehend zu überprüfen, doch sind die Erfolgsaussichten hier
häufig sehr gering.
Wir haben des öfteren dartun müssen, daß auch der
Petitionsausschuß ebenso wie das Plenum des Abgeord
netenhauses von Berlin dem Gewaltenteilungsprozeß unter
liegt. Das bedeutet insbesondere, daß richterliche Entschei
dungen in jedem Falle der Kontrolle durch den Petitions
ausschuß entzogen sind. Diese Tatsache scheint noch nicht
überall verstanden worden zu sein. So müssen wir immer
wieder erleben, daß Bürger uns zum Teil die Akten ihrer
Zivilprozesse mit der Bitte um Überprüfung zuleiten. Selbst
verständlich ist uns das ebensowenig möglich, wie wir in
bundesrechtliche Zuständigkeiten eingreifen können. Um
so eingehender werden wir uns unserer Aufgabe widmen,
eine wirksame Kontrolle der Berliner Verwaltung vorzu
nehmen.
Aber einige Worte müssen auch an die Öffentlichkeit ge
richtet werden: Wir haben in letzterer Zeit wiederholt
anonyme Eingaben bekommen. Anonyme Eingaben kön
nen nur einen Zweck erfüllen: den Papierkorb des Aus
schusses zu füllen. Wir haben zwar in einem einzigen Fall
einmal eine Ausnahme gemacht, weil aus unerklärlichen
Gründen ein Petent seinen Namen nicht unter die Eingabe
gesetzt hat, obwohl ein die Allgemeinheit interessierendes
Problem angesprochen worden ist. In diesem Fall hat ein
Abgeordneter die Sache zu seiner eigenen Angelegenheit
gemacht, und die Petition hat ihre Erledigung gefunden.
Aber wir bitten doch sehr herzlich darum, daß derjenige,
der an das Abgeordnetenhaus von Berlin eine Eingabe
richtet, auch seinen Namen und seine Adresse angibt. Wir
appellieren aber auch zugleich an die Bürger, sich nicht
wegen geringfügiger Kleinigkeiten oder auch wegen solcher
Dinge an den Ausschuß des Abgeordnetenhauses zu wenden,
die von den jeweiligen Petitionsausschüssen oder — genauer
gesagt — den Ausschüssen für Eingaben und Beschwerden
bei den Bezirksämtern erledigt werden können.
Ich hoffe, meine Damen und Herren, daß es uns gelingen
wird, auch in weiterer Zukunft gute Arbeit zu leisten zum
Wohie unserer Bürger. Ich danke Ihnen.
(Beifall)