Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
19. Sitzung: vom 8. Dezember 1971
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sagt, die Zahlen bezweifele man. Dagegen kann ich auch
schlecht argumentieren, wenn Sie sagen, daß Sie die
Zahlen bezweifeln, und wenn dann gesagt wird, da kann
Ihnen sicher die Kollegin Dr. Besser oder irgendein an
derer Kollege noch Traktätchen bringen, mit denen Sie
was anfangen können. Nein, meine Damen und Herren, das
nützt mir nichts. Traktätchen! Die habe ich berge weise.
(Heiterkeit bei der SPD)
Die braucht mir nicht zusätzlich noch jemand zu liefern.
Eis kommt darauf an, dort, wo Erkenntnisse vorliegen,
Materialien zu haben, die auch durchstehen dort, wo Ent
scheidungen letztlich getroffen werden. Ich treffe diese Ent
scheidungen nicht — und jetzt füge ich hinzu —, und das
ist gut so. Dafür haben wir andere Einrichtungen. Dieses
Material muß den anderen Instanzen standhalten. Denn
eines kann sich der Staat auch nicht erlauben: Aufgrund
von irgendwelchen Hinweisen in unbeschränkter Zahl Ver
fahren einzuleiten, um sich in unbeschränkter Zahl be
stätigen zu lassen, daß das falsch war, was er gemacht hat.
Dieses schadet dem Staat dann auch. Und dann bringen
Sie mir also nicht Traktätchen, das sage ich in aller
Freundschaft, sondern wer glaubt, klare Erkenntnisse zu
haben, der soll mir den Fall auf den Tisch legen, damit
untersucht werden kann, was daran ist. Da kann man
keine allgemeinen Andeutungen, Bemerkungen machen.
Da gibt es sicher noch mehr, ich kenn da auch noch
welche — das hilft niemanden. Das erweckt bestenfalls
den Eindruck, als seien wir in einer Situation, in der eine
große Zahl der im öffentlichen Dienst Tätigen nicht mehr
auf dem Boden des Grundgesetzes steht, und das ist falsch,
meine sehr verehrten Damen und, Herren.
Ich wollte das einfach noch gesagt haben, und ich habe
es mir auch nicht einfach gemacht. Ich habe meine Grund
haltung, das ist die Grundhaltung des Senats, hier dar
gelegt. Ich habe deswegen um Vertagung auf Januar
gebeten, damit wir uns alle gemeinsam darauf verstän
digen — denn in der Grundhaltung gibt es keine Unter
schiede bei Innenministern und Ministerpräsidenten bei
den bisherigen Besprechungen —, uns auch die Grundlagen
dafür zu schaffen, aus dieser Grundhaltung heraus mit
Erfolg tätig sein zu können.
(Beifall bei der SPD)
Präsident Sickert: Das Wort hat der Herr Abgeordnete
Diepgen.
Diepgen (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Herr Senator Löffler! Ich muß zunächst bedauern,
daß ich Sie falsch zitiert habe, aber Sie sagten es ja, in
der Presse und in Veröffentlichungen einer Arbeitsgemein
schaft wird das immer so zitiert. Nur ist die Frage: Sind
meine Schlußfolgerungen deswegen falsch ?
Zunächst einmal, wenn ich tatsächlich davon ausgehe,
daß es keine Renaissance des Neomarxismus in den Schu
len geben sollte, sondern nur an der Hochschule, dann sind
meine Schlußfolgerungen im Hinblick auf die Anstellung
von Lehrern in der Zukunft um so richtiger. Aber selbst
diese Behauptung, daß es diese Renaissance nicht gebe,
ist ja nicht ganz korrekt. Herr Senator, ich muß Sie auch
darauf hinweisen, daß ich den Unterschied zwischen amt
licher und persönlicher Kenntnisnahme durchaus zu ma
chen in der Lage bin und daraus meine Schlußfolgerungen
ziehen möchte.
Zu der Frage der amtlichen Kenntnisnahme darf ich Sie
darauf hinweisen, daß es manchmal im Verwaltungsgang
zwischen den Bezirken und der Hauptverwaltung einige
Schwierigkeiten gibt. Beispielsweise gab es in der letzten
Bezirksverordnetenversammlung von Neukölln sehr kon
krete Hinweise in einer ganz bestimmten Form. Ich habe
den Eindruck, meine Damen und Herren, daß, wenn wir
jetzt hier die Frage stellen, was getan werden muß, und
wir insbesondere die Ausdehnung des Problems behandeln
wollen, dann bestehen einige unterschiedliche Vorstellungen
Uber den Begriff „gewichtig“, den der Herr Bürgermeister
benutzt hat.
Herr Senator Löffler, auch noch eine weitere Bemerkung:
Ich weiß, daß das Problem, das zur Zeit an den Schulen
besteht, nicht nur unter dem Gesichtspunkt von Verfas
sungsfeinden und dergleichen zu sehen ist. Wir haben
es hier mit einem gesellschaftlichen Problem der jungen
Generation zu tun, mit der Frage der Bereitschaft der
jungen Generation, sich mit diesem Staat zu identifizie
ren — eine Frage des Selbstverständnisses unserer De
mokratie —, die wir jetzt hier an dieser SteUe nicht
diskutieren wollen. Aber ich weiß, daß man das so aus
gedehnt sehen muß. Nur — ich habe den Eindruck, und
das gerade vor dem Hintergrund der konkreten Situation,
die nach meinem Eindruck in den Schulen ja immer schwie
riger wird — wir haben uns ja hier schon einmal darüber
unterhalten, daß die Entwicklung der Lehrerzahlen ins
besondere im Verhältnis zwischen Junglehrern und den
älteren Lehrkräften zu einer Reihe von Problemen führen
muß — eine politische Demonstration gegen jene notwendig
ist, die willens sind, gegen diese Gesellschaft vorzugehen,
und für jene, die bereit sind, für diese Gesellschaft noch
einzutreten. Letztere dürfen nicht das Gefühl bekommen
oder behalten — und das letztere scheint mir das Haupt
problem insbesondere aus der Amtszeit Ihres Vorgängers
zu sein —, daß sie alleingelassen werden in einer not
wendigen Auseinandersetzung mit utopischen und ver
fassungsfeindlichen Ideologien in der Schule.
(Beifall bei der CDU)
Präsident Sickert: Das Wort hat Frau Abgeordnete
Dr. Besser.
Frau Dr. Besser (CDU): Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Ich glaube, daß die Debatte an einer Stelle
an der Sache vorbeigeht, und möglicherweise sind wir,
Herr Senator Neubauer, auch nicht so ganz der gleichen
Auffassung, jedenfalls nach den Äußerungen, die ich von
Ihnen hörte.
Ich glaube, es ist unbestritten — nicht nur in diesem
Hause —•, daß das, was heute in unserem Lande als Ver
fassungsfeind auftritt, bestimmte Taktiken eingeschlagen
hat, die eben gerade vermeiden sollen — und zum Teil
auch mit Erfolg vermeiden —daß sie vom Verwaltungs
gericht erfaßt werden können. Aus diesem Grunde ist
ja wohl die Bestimmung darin, daß da, wo konkrete Tat
bestände vorliegen, die begründeten Anlaß zur Besorgnis
geben et cetera, dann auch Möglichkeiten vorhanden sind,
entsprechend zu verfahren. Das ist genau der Punkt, um
den es an und für sich geht. Dieser Punkt stand ja schon
zur Debatte, als seinerzeit der Senat selbst offiziell hier
in diesem Hause feststellte, daß die Zielsetzung der Roten
Zellen im ganzen verfassungsfeindlich und verfassungs
widrig ist, daraus dann aber nicht die entsprechenden Kon
sequenzen zog, was übrigens hinter den Kulissen — das
wissen Sie besser als ich — anders vorgesehen war, als es
dann nachher hier im Hause gelaufen ist. Ich glaube, daß
der Zeitpunkt gekommen ist, zu dem man sich mit dieser
Frage tatsächlich nun einmal ernsthaft auseinandersetzen
muß. Ich glaube auch, daß dieser Zeitpunkt gekommen ist,
gerade weil Sie eine solche Konferenz vor sich haben, und
daß sich die Innenminister Gedanken darüber machen
müssen, ob es tatsächlich so richtig ist, wie in diesem
Hause hier immer verfahren wird. Wenn wir beispiels
weise den Herausgeber der „Roten Fahne“ haben — mit
entsprechenden klaren Auskünften, die er gibt —, oder
wenn wir Dozenten an der Pädagogischen Hochschule
haben, die entsprechend klare Texte in die Öffentlichkeit
gegeben haben, die in eben dieser Weise dozieren — ich
kann Ihnen da ein Beispiel von heute aus der Freien
Universität bringen —, ist zu fragen, ob man das alles in
dieser Weise so weiterlaufen lassen kann? Ist es bei
spielsweise das Richtige, daß TUB V die Diplomarbeiten
über einen übrigens — ich würde ganz grob sagen — sau
schlechten Marxismus unter der Überschrift „Verkehrs
planung im Monopolkapitalismus“ uns hier auf den Tisch
des Hauses legt, finanziert aus den Mitteln der Berliner
Universität? Sind das alles Dinge, die tatsächlich dazu
angetan sind, im Zweifelsfalle zu sagen — wie es der
Senat tut — das ist alles nur verbal, die müssen jetzt erst