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Volume Nr. 18, 25. November 1971

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1971, 6. Wahlperiode, Band I, 1.-21. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode 
18. Sitzung vom 25. November 1971 
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längere Zeit übersehen, stellt sich heraus, daß dennoch, 
obwohl man umgestellt hat auf Repertoire-Spielplan, fast 
immer nur zwei Stücke auf dem Spielplan stehen. 
Nicht zuletzt durch die Vorgänge um die „Tribüne“ hat sich 
meine Fraktion Gedanken gemacht über das Gesamtthema 
der Subventionspolitik. Und da ist zu sagen, daß, wie man 
hier verfahren ist, doch rechtlich ganz erhebliche Bedenken 
auslösen muß. Die Tribüne ist ein gemeinnütziges Theater, 
d. h. sie macht keine Gewinne, wenn sie sie einmal gemacht 
haben sollte, sind diese zurückgezahlt worden — soweit 
Subventionen gezahlt worden sind. Die „Tribüne“ also soll, 
wenn der Senator bei seinem Plan bleibt, von der kommen 
den Spielzeit an nicht mehr berücksichtigt werden. 
Wir fragen uns, weshalb so plötzlich auf einmal? Wes 
halb sagt man das mit Überraschungseffekt? Weshalb hat 
man nicht früher darauf hingewiesen? Weshalb hat man 
nicht bei Subventionierungen in den letzten Jahren ent 
sprechende Auflagen gemacht, wenn der Senat überhaupt 
glaubte, solche machen zu müssen oder machen zu können ? 
Wir stellen fest, daß noch im vorigen Jahr der Zuschauer- 
raum, Bühnenraum renoviert wurden in diesem Hause mit 
Lottomittein auf Antrag und auf Empfehlung und mit 
Unterstützung des Senators für Wissenschaft und Kunst. 
Hier also bei diesem Fall wird, ohne die „Tribüne“ selbst 
dabei zu behandeln, die ganze Problematik der Subven 
tionierung sichtbar. Wie soll das vor sich gehen? Ich sagte 
eingangs, daß eine Berücksichtigung des Artikels 5 des 
Grundgesetzes im Auge behalten werden muß. Es kommen 
wettbewerbsrechtliche Gesichtspunkte hinzu. Hier aber hat 
man nun durch Federstrich verfügt, daß Subventionen ge 
strichen werden. 
Der Herr Senator hat dies, wie er auf eine Mündliche 
Anfrage des Kollegen Rasch schriftlich im Landespresse 
dienst vom 1. November erläuterte, mit einer Begründung 
getan, die ich vielleicht zu einem kleinen Teil mit Genehmi 
gung des Herrn Präsidenten zitieren darf. Er hat also 
gesagt: 
Wenn wir Beschränkungen vornehmen müssen, 
dann müssen sich Beschränkungen in erster Linie 
auf die Theater beziehen, deren äußerstensfalls in 
Kauf zu nehmende Schließung das Spektrum des 
Theaterangebotes in Berlin am wenigsten ein 
engen würde. 
Die CDU-Fraktion hat überhaupt nichts gegen Entschei 
dungen — im Gegenteü, Ihnen ist bekannt, daß wir diesen 
Senat sehr häufig angegriffen haben wegen seiner sehr 
gering ausgeprägten Entscheidungsfreudigkeit. 
(Zuruf des Abg. Hannemann) 
— Wir haben auch nichts, Herr Kollege Hannemann, gegen 
Negativentscheidungen, nur müssen Negativentscheidungen 
— übrigens genauso wie Positiventscheidungen — nach 
prüfbar sein, sie müssen einem rationalen Überlegungs 
prozeß standhalten können; und die hier gegebene Begrün 
dung läßt das im Grunde genommen nicht zu. 
Der Herr Senator hat auch sehr variabel argumentiert, 
indem er zunächst sagte: „Es sind finanzielle Überlegun 
gen, wir haben kein Geld, wir können nicht alle Theater 
weiterhin unterstützen wie bisher.“ Die Finanzfrage ist 
durchaus ein Grund, über solche Dinge zu sprechen. Aber 
nachdem bekannt wurde, daß der Etatansatz ja nicht ver 
mindert, sondern erweitert wird, ließ er dann mehr und 
mehr diese finanzielle Argumentation fallen und ging über 
zu der Argumentation, die Zuflucht nahm in einer Quali 
tätsbeurteilung dieses Hauses. Ich sage dieses Hauses, weil 
es hier symptomatisch ist; es könnte sich jederzeit auf eine 
andere Bühne beziehen, denn der Senator selbst hat ja nur 
gesagt, er hoffe, daß sich eine solche Negativentscheidung 
in den nächsten Jahren nicht wird wiederholen müssen. Es 
ist also keineswegs sicher, daß die „Tribüne“, wenn sie 
schließen sollte, das letzte Theater wäre, das aus diesem 
Grunde schließen müßte. 
Nun, aber diese Begründung, Herr Senator Stein, hält 
einer Nachprüfung überhaupt nicht stand. Denn wer 
beurteilt Qualitätsmerkmale ? Wer beurteilt, ob ein 
Theater eine Linie hat? Muß es überhaupt haben? 
Nach dem zitierten Freiheitsraum, den die Verfassung 
Forschung und Lehre, aber auch Wissenschaft und Kunst 
gibt, ist es doch so, daß wir es den Theatern, den staat 
lichen wie den privaten, Überlassen müssen, was sie bringen 
und wie sie es bringen. Wir können doch nicht Zuflucht 
nehmen zu einer solchen Beurteilung. Wer nimmt die Über 
haupt vor? Heute in einer Demokratie darf es nicht mehr 
so sein, daß wie in geheimen Kabinettsausschüssen ent 
schieden wird über solche Fragen. Sie müssen transparent 
werden. 
(Abg. Stobbe: Wir haben öffentliche Ausschuß 
sitzungen!) 
— öffentliche Aussprache, Herr Kollege Stobbe, hat statt 
gefunden. Bloß die Begründung wurde bis heute nicht 
gegeben, warum nun gerade dieses Theater schließen 
muß. 
Ich darf mich deswegen noch einmal ganz kurz aus- 
einandersetzen mit diesem Punkte des vom Senator zitier 
ten „mangelnden Stiles“ dieses Theaters. Nun, Herr 
Senator, der Bundesgerichtshof hat entschieden, daß die 
Kunst ein Bereich sei, der sehr stark der Geschmacks 
bildung der Konsumenten unterworfen sei, und daß im 
Bereich des Kunstlebens sehr viele Meinungen möglich und 
zulässig sind, die selbst Sachverständigen und sachver 
ständigen Kritikern nicht immer einen Beurteilungsmaß 
stab finden lassen, der den allgemeinen Interessen gerecht 
wird. Und ich darf vielleicht einen Satz aus diesem Urteil 
des Bundesgerichtshofs wiederum mit Genehmigung des 
Herrn Präsidenten zitieren, in dem es heißt: 
Bewertungen auf diesem Gebiet, also der Qualität 
eines Theaters, müssen deshalb gesellschaftlichen 
Kräften überlassen bleiben. 
Und in der Begründung hat der Bundesgerichtshof sehr 
genau ausgeführt, daß diese gesellschaftlichen Kräfte eben 
das Publikum sind — das Publikum, das in ein Theater 
geht. 
Und da ist es nun wiederum gar keine Frage, daß die 
Tribüne — selbst nach einer Auskunft des Senates, auf 
eine Kleine Anfrage des Kollegen Goldberg — besucher 
mäßig das zweitbeste Privattheater unserer Stadt ist. 
Ich darf Ihnen zu diesem Komplex noch eines sagen, und 
zwar finde ich, daß das eines demokratisch verfaßten Lan 
des eigentlich sehr abträglich ist und heutzutage nicht 
möglich sein sollte. Der Herr Senator hat es nämlich für 
richtig befunden, offenbar weil er sich seines wenig glück 
haften Auftretens bei einer Diskussionsveranstaltung in 
der Tribüne selbst bewußt geworden war, einen Artikel im 
Landespressedienst vom 27. Oktober zu schreiben mit der 
Überschrift: „Schwindende Attraktivität der Tribüne“. Ich 
meine, daß es ein Unding ist, einem Theater über mehrere 
Jahre hinweg Subventionen zu geben, einem Theater, das 
— wie gesagt — gut beim Publikum ankommt, das man 
dann in einer Weise öffentlich beschimpft, in einer Weise, 
die dem Rufe dieser Stadt als Theaterstadt überhaupt nicht 
gerecht werden kann. 
Der Entzug von Subventionen setzt — viel mehr noch als 
deren Bewilligung — eine genaue Begründung voraus. Na 
türlich müssen positive Entscheidungen klar und übersicht 
lich sein und begründet werden können. Und sie dürfen 
nicht begründet werden in einer Weise, die den Wettbewerb 
verzerrt und die überhaupt nicht erkennbar werden läßt, 
warum man nun z. B. der „Schaubühne“ oder der „Freien 
Volksbühne“ in dieser Weise unter die Arme greift, wäh 
rend man das bei anderen Theatern, die mindestens ebenso 
ankommen, nicht tut. 
Der Entzug von Subventionen aber unterliegt neben dem 
Freiheitsraum der Kunst auch noch dem Prinzip der Gleich 
behandlung. Wenn ein Theater über längere Zeit Subven 
tionen erhalten hat, dann kann es sich verlassen darauf, 
daß es, wenn nicht geradezu völlig neue Gesichtspunkte 
auftreten, auch weiterhin im Rahmen des allgemein Üb 
lichen Förderung erhält — in diesem Falle also Zuschüsse. 
(Abg. Dr. Haus: Das ist der Grundsatz!) 
— Das ist der Grundsatz der Gleichbehandlung. Und von 
dem kann natürlich abgewichen werden, Herr Dr. Haus, 
wenn man Kriterien anführt, die davon zeugen, daß eben 
hier ungleiches vorliegt, was bei anderen Theatern nicht 
der Fall ist. Das ist aber, wie gesagt, nicht erkennbar. Was 
könnte das überhaupt sein? Wir fügen uns, wie gesagt, 
auch in Negativentscheidungen — z. B. wenn eine Bühne 
das Geld nicht zweckentsprechend verwendet, wenn es nicht
	        
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