Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
18. Sitzung vom 25. November 1971
443
längere Zeit übersehen, stellt sich heraus, daß dennoch,
obwohl man umgestellt hat auf Repertoire-Spielplan, fast
immer nur zwei Stücke auf dem Spielplan stehen.
Nicht zuletzt durch die Vorgänge um die „Tribüne“ hat sich
meine Fraktion Gedanken gemacht über das Gesamtthema
der Subventionspolitik. Und da ist zu sagen, daß, wie man
hier verfahren ist, doch rechtlich ganz erhebliche Bedenken
auslösen muß. Die Tribüne ist ein gemeinnütziges Theater,
d. h. sie macht keine Gewinne, wenn sie sie einmal gemacht
haben sollte, sind diese zurückgezahlt worden — soweit
Subventionen gezahlt worden sind. Die „Tribüne“ also soll,
wenn der Senator bei seinem Plan bleibt, von der kommen
den Spielzeit an nicht mehr berücksichtigt werden.
Wir fragen uns, weshalb so plötzlich auf einmal? Wes
halb sagt man das mit Überraschungseffekt? Weshalb hat
man nicht früher darauf hingewiesen? Weshalb hat man
nicht bei Subventionierungen in den letzten Jahren ent
sprechende Auflagen gemacht, wenn der Senat überhaupt
glaubte, solche machen zu müssen oder machen zu können ?
Wir stellen fest, daß noch im vorigen Jahr der Zuschauer-
raum, Bühnenraum renoviert wurden in diesem Hause mit
Lottomittein auf Antrag und auf Empfehlung und mit
Unterstützung des Senators für Wissenschaft und Kunst.
Hier also bei diesem Fall wird, ohne die „Tribüne“ selbst
dabei zu behandeln, die ganze Problematik der Subven
tionierung sichtbar. Wie soll das vor sich gehen? Ich sagte
eingangs, daß eine Berücksichtigung des Artikels 5 des
Grundgesetzes im Auge behalten werden muß. Es kommen
wettbewerbsrechtliche Gesichtspunkte hinzu. Hier aber hat
man nun durch Federstrich verfügt, daß Subventionen ge
strichen werden.
Der Herr Senator hat dies, wie er auf eine Mündliche
Anfrage des Kollegen Rasch schriftlich im Landespresse
dienst vom 1. November erläuterte, mit einer Begründung
getan, die ich vielleicht zu einem kleinen Teil mit Genehmi
gung des Herrn Präsidenten zitieren darf. Er hat also
gesagt:
Wenn wir Beschränkungen vornehmen müssen,
dann müssen sich Beschränkungen in erster Linie
auf die Theater beziehen, deren äußerstensfalls in
Kauf zu nehmende Schließung das Spektrum des
Theaterangebotes in Berlin am wenigsten ein
engen würde.
Die CDU-Fraktion hat überhaupt nichts gegen Entschei
dungen — im Gegenteü, Ihnen ist bekannt, daß wir diesen
Senat sehr häufig angegriffen haben wegen seiner sehr
gering ausgeprägten Entscheidungsfreudigkeit.
(Zuruf des Abg. Hannemann)
— Wir haben auch nichts, Herr Kollege Hannemann, gegen
Negativentscheidungen, nur müssen Negativentscheidungen
— übrigens genauso wie Positiventscheidungen — nach
prüfbar sein, sie müssen einem rationalen Überlegungs
prozeß standhalten können; und die hier gegebene Begrün
dung läßt das im Grunde genommen nicht zu.
Der Herr Senator hat auch sehr variabel argumentiert,
indem er zunächst sagte: „Es sind finanzielle Überlegun
gen, wir haben kein Geld, wir können nicht alle Theater
weiterhin unterstützen wie bisher.“ Die Finanzfrage ist
durchaus ein Grund, über solche Dinge zu sprechen. Aber
nachdem bekannt wurde, daß der Etatansatz ja nicht ver
mindert, sondern erweitert wird, ließ er dann mehr und
mehr diese finanzielle Argumentation fallen und ging über
zu der Argumentation, die Zuflucht nahm in einer Quali
tätsbeurteilung dieses Hauses. Ich sage dieses Hauses, weil
es hier symptomatisch ist; es könnte sich jederzeit auf eine
andere Bühne beziehen, denn der Senator selbst hat ja nur
gesagt, er hoffe, daß sich eine solche Negativentscheidung
in den nächsten Jahren nicht wird wiederholen müssen. Es
ist also keineswegs sicher, daß die „Tribüne“, wenn sie
schließen sollte, das letzte Theater wäre, das aus diesem
Grunde schließen müßte.
Nun, aber diese Begründung, Herr Senator Stein, hält
einer Nachprüfung überhaupt nicht stand. Denn wer
beurteilt Qualitätsmerkmale ? Wer beurteilt, ob ein
Theater eine Linie hat? Muß es überhaupt haben?
Nach dem zitierten Freiheitsraum, den die Verfassung
Forschung und Lehre, aber auch Wissenschaft und Kunst
gibt, ist es doch so, daß wir es den Theatern, den staat
lichen wie den privaten, Überlassen müssen, was sie bringen
und wie sie es bringen. Wir können doch nicht Zuflucht
nehmen zu einer solchen Beurteilung. Wer nimmt die Über
haupt vor? Heute in einer Demokratie darf es nicht mehr
so sein, daß wie in geheimen Kabinettsausschüssen ent
schieden wird über solche Fragen. Sie müssen transparent
werden.
(Abg. Stobbe: Wir haben öffentliche Ausschuß
sitzungen!)
— öffentliche Aussprache, Herr Kollege Stobbe, hat statt
gefunden. Bloß die Begründung wurde bis heute nicht
gegeben, warum nun gerade dieses Theater schließen
muß.
Ich darf mich deswegen noch einmal ganz kurz aus-
einandersetzen mit diesem Punkte des vom Senator zitier
ten „mangelnden Stiles“ dieses Theaters. Nun, Herr
Senator, der Bundesgerichtshof hat entschieden, daß die
Kunst ein Bereich sei, der sehr stark der Geschmacks
bildung der Konsumenten unterworfen sei, und daß im
Bereich des Kunstlebens sehr viele Meinungen möglich und
zulässig sind, die selbst Sachverständigen und sachver
ständigen Kritikern nicht immer einen Beurteilungsmaß
stab finden lassen, der den allgemeinen Interessen gerecht
wird. Und ich darf vielleicht einen Satz aus diesem Urteil
des Bundesgerichtshofs wiederum mit Genehmigung des
Herrn Präsidenten zitieren, in dem es heißt:
Bewertungen auf diesem Gebiet, also der Qualität
eines Theaters, müssen deshalb gesellschaftlichen
Kräften überlassen bleiben.
Und in der Begründung hat der Bundesgerichtshof sehr
genau ausgeführt, daß diese gesellschaftlichen Kräfte eben
das Publikum sind — das Publikum, das in ein Theater
geht.
Und da ist es nun wiederum gar keine Frage, daß die
Tribüne — selbst nach einer Auskunft des Senates, auf
eine Kleine Anfrage des Kollegen Goldberg — besucher
mäßig das zweitbeste Privattheater unserer Stadt ist.
Ich darf Ihnen zu diesem Komplex noch eines sagen, und
zwar finde ich, daß das eines demokratisch verfaßten Lan
des eigentlich sehr abträglich ist und heutzutage nicht
möglich sein sollte. Der Herr Senator hat es nämlich für
richtig befunden, offenbar weil er sich seines wenig glück
haften Auftretens bei einer Diskussionsveranstaltung in
der Tribüne selbst bewußt geworden war, einen Artikel im
Landespressedienst vom 27. Oktober zu schreiben mit der
Überschrift: „Schwindende Attraktivität der Tribüne“. Ich
meine, daß es ein Unding ist, einem Theater über mehrere
Jahre hinweg Subventionen zu geben, einem Theater, das
— wie gesagt — gut beim Publikum ankommt, das man
dann in einer Weise öffentlich beschimpft, in einer Weise,
die dem Rufe dieser Stadt als Theaterstadt überhaupt nicht
gerecht werden kann.
Der Entzug von Subventionen setzt — viel mehr noch als
deren Bewilligung — eine genaue Begründung voraus. Na
türlich müssen positive Entscheidungen klar und übersicht
lich sein und begründet werden können. Und sie dürfen
nicht begründet werden in einer Weise, die den Wettbewerb
verzerrt und die überhaupt nicht erkennbar werden läßt,
warum man nun z. B. der „Schaubühne“ oder der „Freien
Volksbühne“ in dieser Weise unter die Arme greift, wäh
rend man das bei anderen Theatern, die mindestens ebenso
ankommen, nicht tut.
Der Entzug von Subventionen aber unterliegt neben dem
Freiheitsraum der Kunst auch noch dem Prinzip der Gleich
behandlung. Wenn ein Theater über längere Zeit Subven
tionen erhalten hat, dann kann es sich verlassen darauf,
daß es, wenn nicht geradezu völlig neue Gesichtspunkte
auftreten, auch weiterhin im Rahmen des allgemein Üb
lichen Förderung erhält — in diesem Falle also Zuschüsse.
(Abg. Dr. Haus: Das ist der Grundsatz!)
— Das ist der Grundsatz der Gleichbehandlung. Und von
dem kann natürlich abgewichen werden, Herr Dr. Haus,
wenn man Kriterien anführt, die davon zeugen, daß eben
hier ungleiches vorliegt, was bei anderen Theatern nicht
der Fall ist. Das ist aber, wie gesagt, nicht erkennbar. Was
könnte das überhaupt sein? Wir fügen uns, wie gesagt,
auch in Negativentscheidungen — z. B. wenn eine Bühne
das Geld nicht zweckentsprechend verwendet, wenn es nicht