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Volume Nr. 4, 29. April 1971

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1971, 6. Wahlperiode, Band I, 1.-21. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode 
4. Sitzung am 29. April 1971 
IT 
des einzelnen auf Freiheit geht, so klar und so deutlich muß 
es uns zugleich darum gehen, jeden Mißbrauch dieser Frei 
heit, jeden Mißbrauch unserer Verfassung mit allen gesetz 
lichen und angemessenen Mitteln zu bekämpfen. 
Freiheit und Ordnung sind unlösbar miteinander ver 
bunden. Im Interesse des einzelnen und der Gesamtbevölke 
rung werden wir allen Bestrebungen links- und rechts 
extremer Kräfte, die unsere verfassungsmäßig garantierten 
Freiheitsrechte mißbrauchen, wie bisher energisch ent 
gegentreten. 
Ehe ich zu einigen Schwerpunkten der zukünftigen Regie 
rungspolitik etwas sage - detaillierte Angaben finden Sie 
in den „Materialien zur Regierungserklärung 4 *, auf die ich 
ausdrücklich und nachdrücklich hinweise möchte ich 
vergegenwärtigen, daß unsere Vorhaben nur denkbar sind 
im Rahmen des finanziell Möglichen. Der Senat entwirft 
keine wirklichkeitsfernen Utopien, sondern er sagt, was 
realistisch, was vernüftig und was erreichbar ist. Damit 
wird deutlich werden, worauf wir noch etwas werden war 
ten müssen. 
Bei der Finanzplanung für die nächsten Jahre gehen 
wir davon aus, daß die Einnahmen und die Ausgaben im 
Durchschnitt um etwa 7% jährlich steigen werden. Wir 
sind sicher und werden es, falls notwendig, sicherstellen, 
daß der Bundeszuschuß auch künftig in angemessener Höhe 
erhalten bleibt. 
Dieser Senat wird umsichtig wirtschaften. Aber er wird 
sich bemühen, einige neue Akzente zu setzen. Noch in die 
sem Jahr wird ein Bericht über Subventionen vorgelegt, an 
hand dessen entschieden werden soll, ob und wie Steuer 
gelder effektiver für unsere Ziele eingesetzt werden kön 
nen. 
Wir werden in jedem der vor uns liegenden vier Jahre 
etwa 20% unserer gesamten öffentlichen Mittel dafür 
investieren, neue Einrichtungen zu schaffen und alte zu 
modernisieren. Das ist ein erfreulich hoher Prozentsatz. 
Ich sage offen: Sollten unsere Steuereinnahmen und 
sollte ein zusätzliches finanzielles Engagement des Bundes 
nicht ausreichen, um notwendige Aufgaben zu finanzieren, 
so sind wir - wie die anderen Bundesländer und die meisten 
Gemeinden auch - gezwungen, eine weit stärkere Verschul 
dung als bisher zu erwägen, um die Zukunft dieser Stadt 
zu sichern. 
Wir werden einen Teil der öffentlichen Lasten also auch 
nachkommenden Generationen von Steuerzahlern auf 
erlegen; das ist kein neues Verfahren, und das ist nicht 
ungerecht, denn diese werden auch den größten Nutzen 
von dem haben, was wir heute schaffen. 
Neben der Finanzplanung des Landes Berlin, die als 
festen Bestandteil dieser Regierungserklärung zu werten 
ich Sie bitte, werden wir auch in anderer Weise dafür sor 
gen, daß die Zukunft nicht aus Zufällen, sondern mög 
lichst planvoll gestaltet wird. Die politische Führung muß 
alle Mittel an die Hand bekommen, die derzeit vorstellbar 
sind, um in die Lage versetzt zu werden, Entscheidungen 
zu treffen, die so sachgerecht und so fehlerfrei wie irgend 
möglich sind. 
Damit West-Berlin zum Modell einer modernen Groß 
stadt wird, müssen aber nicht nur die Finanzen, sondern 
muß auch sein wirtschaftliches Gefüge in Ordnung sein. 
Die Wirtschaftspolitik hat deshalb wie in den vergangenen 
Jahren für die Politik des Senats höchste Priorität. Denn 
alle Pläne laufen ins Nichts und bleiben Papier, wenn es 
nicht gelingt, die Wirtschaft dieser Stadt kraftvoll in die 
Zukunft zu entwickeln. 
Es ist sichergestellt, daß viele Nachteile, die sich aus der 
besonderen Lage unserer Stadt sowohl für die Arbeitnehmer 
als auch für die Unternehmen ergeben, durch Förderungs 
maßnahmen des Bundes und durch vom Land gewährte 
Vergünstigungen auch weiterhin so weit wie möglich aus 
geglichen werden. 
Deshalb ist in der letzten Legislaturperiode die Bundes 
gesetzgebung, die bisher „Hilfe“ für die Berliner Wirt 
schaft bringen sollte, umgewandelt worden in ein Gesetz 
zur „Förderung der Wirtschaft Berlins“. Das ist, wie sich 
erweisen wird, nicht nur ein Wechsel im Wort, sondern 
ein neues und, wie wir meinen, besseres Programm. 
Das Hauptziel unserer Wirtschaftspoliitk ist ein Wirt 
schaftswachstum, das im Tempo und im Ausmaß dem im 
Bundesgebiet entspricht. Die differenzierte Gestaltung der 
Investitionszulagen, die Einführung von Wertschöpfungs 
elementen in das System der Umsatzsteuerpräferenzen, die 
Einbeziehung bestimmter überregionaler Dienstleistungen 
sowie die spezielle Förderung von Industrieentwicklung 
und Forschung, wie sie das neue Förderungsgesetz vor 
sehen, werden uns helfen , diesem Ziel näherzukommen. 
Wir haben noch keine wirklichen Erfahrungen mit der 
neuen Gesetzgebung, dazu ist wohl mehr Zeit erforderlich. 
Aber schon heute zeigt sich, daß die seit dem 1. Januar 
1971 verbesserte Arbeitnehmerpräferenz ihre Wirkung 
nicht verfehlen wird. Diese Präferenz ist familiengerechter 
geworden und, so meinen wir, sie ist ein guter Beginn auf 
einem Weg, den wir weiter gehen sollten. 
Wir wissen durch die laufende Befragung der zuziehen 
den Arbeitnehmer ziemlich genau, welche Motive für die 
Zuwanderung maßgeblich waren und daß zum Beispiel nur 
45% zur Zeit ihres Zuzugs ständig in Berlin bleiben woll 
ten. Nach den letzten repräsentativen Erhebungen des Lan 
desarbeitsamtes beträgt die Bleibequote aber rund 65%; 
ein erfreuliches Ergebnis für Berlin. Der größte Teil der 
Rückwanderer wird also lediglich seine ursprüngliche Ab 
sicht in die Tat umsetzen. 
Trotzdem wird es noch eine Vielzahl individueller Motive 
geben, die zu kennen wichtig ist. Wenn auch noch nicht 
schlüssig beantwortet werden kann, was einen Arbeitneh 
mer in der Stadt hält und was ihn veranlaßt, zurück- oder 
abzuwandem, so steht doch fest, daß die familiengerechte 
Förderung der Arbeitnehmer und die Familiengründungs 
und Einrichtungsdarlehen einen starken Bleibeeffekt aus- 
lösen. 
Ein Schwerpunkt unserer Wirtschaftspolitik ist die För 
derung der Investitionstätigkeit des verarbeitenden Gewer 
bes. Die Investitionsförderung wird sich erstrecken auf eine 
Verbesserung der Leistungsfähigkeit bestehender Betriebe 
und auf die Industrie-Ansiedlung. Um die Ansiedlung zu 
fördern, wird der Senat Maßnahmen ergreifen, vorhandene 
Grundstücksreserven freizumachen und zu erschließen; In 
dustrieland wird in Berlin mehr als bisher durch Erbbau 
recht und Pachtverträge vergeben werden. 
(Abg. Voelker; Sehr gut!) 
Die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft wird nicht von 
den großen Firmen allein bestimmt. Sie wird wesentlich 
mitbestimmt von den kleinen und mittleren Unternehmen. 
Zum Ausgleich einiger struktureller Wettbewerbsnach 
teile werden wir auch in Zukunft diese Unternehmen ver 
stärkt fördern. Neben den kreditpolitischen Förderungs 
maßnahmen werden Fragen, die mit einem besseren 
Betriebsberatungswesen, mit der Anwendung der elektroni 
schen Datenverarbeitung und ähnlichem Zusammenhängen, 
besondere Beachtung finden. 
Die wirtschaftliche Verflechtung zwischen der Bundes 
republik und Berlin ist so offenbar, daß ich hier nicht be 
sonders darauf hinzuweisen brauche. Das Bundesgebiet 
wird auch weiterhin der Hauptabnehmer und der Haupt 
lieferant Berlins sein. Das stimmt überein mit unserem 
ausdrücklichen politischen Wollen. 
Der Handel mit den Ländern des Gemeinsamen Marktes 
ist von wachsender Bedeutung. Die Ausweitung des Wirt 
schaftsaustausches mit der DDR und den Staaten Osteuro 
pas verlieren wir nicht aus den Augen. Wenn die EWG 
sich entschließt, ein besonderes Osthandelsbüro einzurich 
ten, so sollte es seinen Platz in Berlin haben. 
Unserer wirtschaftspolitischen Zielsetzung entsprechend 
werden in den nächsten Jahren mit erheblichen Investitio 
nen die öffentlichen Betriebe noch leistungsfähiger werden. 
Dabei steht die Gewährleistung einer modernen und allen 
Ansprüchen gerecht werdenden Energieversorgung im Vor 
dergrund unserer Planungen. 
Eine unserer wichtigsten Aufgaben ist und bleibt es, die 
Arbeitsplätze in Berlin zu sichern und darüber hinaus zu 
qualifizieren. Wir wenden uns wie bisher entschieden gegen 
die Verlagerung von Betrieben aus Berlin. Politische Gründe 
dafür sind nicht vorhanden. Unsere Stadt ist jetzt und
	        
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