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Volume Nr. 13, 23. September 1971

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1971, 6. Wahlperiode, Band I, 1.-21. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode 
18. Sitzung am 28. September 1971 
288 
Hoppe (P.D JP.): Herr Präsident I Meine Damen und Herren! 
Der vorgegebenen Konfrontation zwischen Opposition und 
Regierung werde ich nicht dadurch ausweichen, daß ich die 
Politik der Bundesregierung — weder der jetzigen noch 
einer früheren — zum Gegenstand meiner Ausführungen 
und meiner Kritik mache, sondern ich werde mich mit die 
sem Senat und seiner Finanz- und Haushaltspolitik aus 
einandersetzen. 
Meine Damen und Herren! Die stolze These der Regie 
rungserklärung: Das Programm dieses Senats, Berlin zum 
Modell einer modernen Großstadt auszubauen, ist finanziell 
gesichert!, wird mit dem Entwurf des Haushaltsplans 1972 
ad absurdum geführt. 
(Zuruf: Sehr gut?) 
Eine, wie so schön formuliert wird, „bewußt anspruchs 
volle These“ ist damit wie eine Seifenblase geplatzt. Ins 
besondere die Feststellung des Herrn Regierenden Bürger 
meisters, das Programm sei finanziell gesichert, ist nicht 
bestätigt worden, vielmehr wird gerade dieses Wort durch 
den Haushaltsplan als Großsprecherei entlarvt. 
Meine Damen und Herren! Wer, wie jetzt der Senat, zur 
Begründung des Haushaltsplans 1972 vorträgt, er habe 
wegen der Konjunkturlage bereits vorab eine drastische 
Volumenskürzung vorgenommen — sie wird mit 462 Mil 
lionen beziffert — aber dann immer noch zur Deckung sei 
ner Ausgaben mit 600 Millionen an den Kapitalmarkt 
geht und außerdem Steuererhöhungen und finanzielle Aus 
gleichsmaßnahmen vorschlägt, die zu Miet-, Tarif- und 
Fahrpreiserhöhungen führen, kann nicht von einem finan 
ziell gesicherten Regierungsprogramm sprechen. Bei den 
tatsächlichen Schwierigkeiten, die uns dieser Haushalt 
insgesamt aufgibt, wäre ein bißchen mehr Selbstkritik und 
ein bißchen weniger Selbstgefälligkeit am Platz gewesen. 
Meine Damen und Herren! Nach der Begründung des 
Entwurfs durch den Senator für Finanzen besteht zudem 
die Sorge, daß der Senat bei seinen Haushaltsüberlegungen 
die Grundlagen der Finanzplanung verlassen hat und gerade 
dadurch in besonderem Maße in einen Widerstreit zur 
Konjunkturpolitik gerät. Wie ist es anders zu erklären, daß 
der Senator für Finanzen in seiner Einleitung und in der 
Darstellung der wirtschaftlichen und finanziellen Ausgangs 
situation davon spricht, daß die Bundeshilfe in ihrer Ent 
wicklung zu optimistisch eingeschätzt worden sei und daß 
die Konjunkturlage drastische Volumensreduzierungen er 
zwungen habe. Tatsächlich entspricht doch aber das Aus 
gabevolumen des Haushalts und die jetzt vereinbarte 
Bundeshilfe den Daten der Finanzplanung des Landes Ber 
lin der Jahre 1970 bis 1974. Ja, Ausgabevolumen und Bun 
deshilfe liegen — auch unter Berücksichtigung der Haus 
haltsentwicklung 1971 — sogar über den Planungsdaten. 
Wenn bei diesem Sachverhalt vom Senat gleichwohl von 
negativen Faktoren geredet wird, so kann das eigentlich 
nur bedeuten, daß der Senat die Absicht hatte, die bis 
herige Finanzplanung zu verlassen und zu einer expansiven 
Haushaltsführung überzugehen. Die Konjunkturempfehlun- 
gen der Bundesregierung, des Finanzplanungsrats und der 
EWG-Kommission haben dem Senat offenbar das Konzept 
verdorben und seine Haushaltsplanung ins Schleudern ge 
bracht. 
Meine Damen und Herren, der Senat behauptet nun kon 
junkturgerechtes Verhalten und Einsparung, verstößt aber 
in Wirklichkeit mit der Zuwachsrate von 10 % gegen die 
marktwirtschaftlichen Orientierungsdaten, mit denen die 
Stabilität nur erreicht werden kann. Auch die behauptete 
Steuerung der Haushaltswirtschaft nach den Senats 
beschlüssen vom 8. Juni 1971 bleibt Deklamation, wenn der 
konsequente Durchgriff auf die preistreibenden Investi 
tionen vermieden wird. 
Die Ausführungen über die gesamtwirtschaftliche Aus 
gangslage, meine Damen und Herren, bestärken diese 
Sorge, weil darin — so scheint es jedenfalls — eine gefähr 
liche Tendenz unterstrichen wird. Der Hinweis auf den 
Eventualhaushalt des Bundes zur möglichen Gegensteue 
rung bei Abflachen der Konjunktur mit dem gleichzeitigen 
Bemerken, daß Berlin für eine solche Eventualität nur 
56 Millionen aus der Konjunkturausgleichsrücklage zur 
Verfügung stehen würden, soll offenbar die Tatsache ka 
schieren, daß der Senat von Berlin seinen Eventualhaushalt 
bereits in die Vorlage mit eingearbeitet hat. 
Meine Damen und Herren, der Senat hat damit der Inve 
stitionspolitik ganz bewußt den Vorrang vor der Stabilitäts 
politik gegeben. Die Bundesregierung hat diesen Zielkonfiikt 
gekonnter gelöst. Sie weiß, daß die Bürger unseres Landes 
Reformen nicht um den Preis der Geldstabilität erwarten. 
Bei den gesellschaftspolitischen Ziel-Vorstellungen wird 
eben gerade der Stabilität besonderes Gewicht beigemessen, 
und dies sollte auch der Senat nicht übersehen. 
Meine Damen und Herren, es hilft deshalb gar nichts, 
über die in vielen Bereichen unbefriedigende Preisentwick 
lung zu klagen, solange man gleichzeitig diesen Preisauf 
trieb fördert. 
(Sehr gut! von der CDU) 
Die Entwicklung am Baumarkt ist ein Musterbeispiel da 
für. Wir wissen, daß die Nachfrage nach Bauleistungen bis 
zum Jahre 1972 noch weiter ansteigt, um dann in den Jah 
ren danach zurückzugehen. Wie das Deutsche Institut für 
Wirtschaftsforschung nachweist, wird selbst eine gestei 
gerte Investitionsbereitschaft der Öffentlichen Hand dann 
nicht mehr ausreichen, um den zu erwartenden Rückgang 
der Bautätigkeit — insbesondere im Gewerbebau — auszu 
gleichen. In dieser Situation die Nachfrage nach Bauleistun 
gen aber gerade für 1972 zu steigern, erscheint mir bau 
wirtschaftlich und konjunkturpolitisch gleichermaßen ver 
fehlt. Es bleibt abzuwarten, ob das Parlament bereit ist, 
bei der Beratung des Haushaltsplans die daraus erforder 
lichen Konsequenzen zu ziehen. Der Senat hat es jedenfalls 
bisher nicht getan. Er beklagt deshalb seine eigenen Fehler, 
wenn er über den Preisauftrieb am Baumarkt jammert. 
Zugleich wird damit auch deutlich, daß der Senat eine der 
in der mündlichen Begründung ausgebreiteten Alternativen 
offensichtlich falsch entschieden hat. Mindestens die Tempo 
drosselung der Bauinvestitionen mußte in Erwägung gezo 
gen werden, weil Arbeitsplätze in der Berliner Bauwirt 
schaft gerade im Haushaltsjahr 1972 dadurch nicht gefähr 
det werden. 
Meine Damen und Herren, von dieser allgemeinen 
Haushaltsproblematik abgesehen, zeigt der Entwurf seine 
kritischen Punkte auf der Einnahmeseite mit der erneuten 
Aufnahme von 600 Millionen DM am Kapitalmarkt, den 
angekündigten Steuererhöhungen und den Verteuerungen 
der öffentlichen Dienstleistungen mit unvermeidbarer Aus 
wirkung auf die Wohnungsmieten. 
Die erneute Steigerung der Bundeshilfe um 588 Millionen 
verdient in der Tat uneingeschränkte Anerkennung und 
Dankbarkeit. Um so unverständlicher, wenn in der Begrün 
dung des Senators für Finanzen dann an anderer Stelle 
von dem „nur begrenzten Wachstum“ der Bundeshilfe 
gesprochen wird. Die 600 Millionen Kapitalmarktmittel da 
gegen, die zu einer schönen Dauereinrichtung werden sollen, 
halten wir weder für finanzwirtschaftlich vertretbar noch 
für haushaltspolitisch abgesichert. 
(Abg. Dyllick: Sehr gut!) 
Um diese Kreditmarktlinie mit der Kennzeichnung „solide“ 
zu belegen, braucht man schon den Mut der Verzweiflung. 
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und F.D.P.) 
Ich will nicht wiederholen, was ich über das finanzpolitische 
Risiko im Zusammenhang mit dem erstmaligen Riesen 
schritt in die Verschuldung 1971 bei der Verabschiedung 
des 2. Nachtragsetats gesagt habe. Aber es bleibt richtig 
und liegt auf der Hand, daß gerade der zwischen eigenen 
Einnahmen und Ausgaben so ungleichgewichtige Berliner 
Haushalt mit Rücksicht auf die Besonderheiten seiner 
Struktur und bar jeglicher Reserven, nicht in dieser Form 
unter Einengung seiner Dispositionsmöglichkeiten den Zu 
fälligkeiten des Kreditmarkts ausgeliefert werden darf. 
Selbst wenn der Senator für Finanzen nun wortreich 
Bereitschaft und Notwendigkeit zu kontinuierlich wachsen 
der Verschuldung anpreist, werden wir ihm auf diesem 
Wege schwerlich folgen. Der Hinweis auf wissenschaftliche 
Erkenntnisse für die Notwendigkeit der Staatsverschul 
dung und der gleichzeitige Hinweis auf fehlende wissen 
schaftliche Erkenntnisse für ihre Grenze reichen jedenfalls 
nicht für die Festellung aus, der Vorgang sei haushalts 
politisch abgesichert.
	        
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