Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
18. Sitzung am 28. September 1971
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Hoppe (P.D JP.): Herr Präsident I Meine Damen und Herren!
Der vorgegebenen Konfrontation zwischen Opposition und
Regierung werde ich nicht dadurch ausweichen, daß ich die
Politik der Bundesregierung — weder der jetzigen noch
einer früheren — zum Gegenstand meiner Ausführungen
und meiner Kritik mache, sondern ich werde mich mit die
sem Senat und seiner Finanz- und Haushaltspolitik aus
einandersetzen.
Meine Damen und Herren! Die stolze These der Regie
rungserklärung: Das Programm dieses Senats, Berlin zum
Modell einer modernen Großstadt auszubauen, ist finanziell
gesichert!, wird mit dem Entwurf des Haushaltsplans 1972
ad absurdum geführt.
(Zuruf: Sehr gut?)
Eine, wie so schön formuliert wird, „bewußt anspruchs
volle These“ ist damit wie eine Seifenblase geplatzt. Ins
besondere die Feststellung des Herrn Regierenden Bürger
meisters, das Programm sei finanziell gesichert, ist nicht
bestätigt worden, vielmehr wird gerade dieses Wort durch
den Haushaltsplan als Großsprecherei entlarvt.
Meine Damen und Herren! Wer, wie jetzt der Senat, zur
Begründung des Haushaltsplans 1972 vorträgt, er habe
wegen der Konjunkturlage bereits vorab eine drastische
Volumenskürzung vorgenommen — sie wird mit 462 Mil
lionen beziffert — aber dann immer noch zur Deckung sei
ner Ausgaben mit 600 Millionen an den Kapitalmarkt
geht und außerdem Steuererhöhungen und finanzielle Aus
gleichsmaßnahmen vorschlägt, die zu Miet-, Tarif- und
Fahrpreiserhöhungen führen, kann nicht von einem finan
ziell gesicherten Regierungsprogramm sprechen. Bei den
tatsächlichen Schwierigkeiten, die uns dieser Haushalt
insgesamt aufgibt, wäre ein bißchen mehr Selbstkritik und
ein bißchen weniger Selbstgefälligkeit am Platz gewesen.
Meine Damen und Herren! Nach der Begründung des
Entwurfs durch den Senator für Finanzen besteht zudem
die Sorge, daß der Senat bei seinen Haushaltsüberlegungen
die Grundlagen der Finanzplanung verlassen hat und gerade
dadurch in besonderem Maße in einen Widerstreit zur
Konjunkturpolitik gerät. Wie ist es anders zu erklären, daß
der Senator für Finanzen in seiner Einleitung und in der
Darstellung der wirtschaftlichen und finanziellen Ausgangs
situation davon spricht, daß die Bundeshilfe in ihrer Ent
wicklung zu optimistisch eingeschätzt worden sei und daß
die Konjunkturlage drastische Volumensreduzierungen er
zwungen habe. Tatsächlich entspricht doch aber das Aus
gabevolumen des Haushalts und die jetzt vereinbarte
Bundeshilfe den Daten der Finanzplanung des Landes Ber
lin der Jahre 1970 bis 1974. Ja, Ausgabevolumen und Bun
deshilfe liegen — auch unter Berücksichtigung der Haus
haltsentwicklung 1971 — sogar über den Planungsdaten.
Wenn bei diesem Sachverhalt vom Senat gleichwohl von
negativen Faktoren geredet wird, so kann das eigentlich
nur bedeuten, daß der Senat die Absicht hatte, die bis
herige Finanzplanung zu verlassen und zu einer expansiven
Haushaltsführung überzugehen. Die Konjunkturempfehlun-
gen der Bundesregierung, des Finanzplanungsrats und der
EWG-Kommission haben dem Senat offenbar das Konzept
verdorben und seine Haushaltsplanung ins Schleudern ge
bracht.
Meine Damen und Herren, der Senat behauptet nun kon
junkturgerechtes Verhalten und Einsparung, verstößt aber
in Wirklichkeit mit der Zuwachsrate von 10 % gegen die
marktwirtschaftlichen Orientierungsdaten, mit denen die
Stabilität nur erreicht werden kann. Auch die behauptete
Steuerung der Haushaltswirtschaft nach den Senats
beschlüssen vom 8. Juni 1971 bleibt Deklamation, wenn der
konsequente Durchgriff auf die preistreibenden Investi
tionen vermieden wird.
Die Ausführungen über die gesamtwirtschaftliche Aus
gangslage, meine Damen und Herren, bestärken diese
Sorge, weil darin — so scheint es jedenfalls — eine gefähr
liche Tendenz unterstrichen wird. Der Hinweis auf den
Eventualhaushalt des Bundes zur möglichen Gegensteue
rung bei Abflachen der Konjunktur mit dem gleichzeitigen
Bemerken, daß Berlin für eine solche Eventualität nur
56 Millionen aus der Konjunkturausgleichsrücklage zur
Verfügung stehen würden, soll offenbar die Tatsache ka
schieren, daß der Senat von Berlin seinen Eventualhaushalt
bereits in die Vorlage mit eingearbeitet hat.
Meine Damen und Herren, der Senat hat damit der Inve
stitionspolitik ganz bewußt den Vorrang vor der Stabilitäts
politik gegeben. Die Bundesregierung hat diesen Zielkonfiikt
gekonnter gelöst. Sie weiß, daß die Bürger unseres Landes
Reformen nicht um den Preis der Geldstabilität erwarten.
Bei den gesellschaftspolitischen Ziel-Vorstellungen wird
eben gerade der Stabilität besonderes Gewicht beigemessen,
und dies sollte auch der Senat nicht übersehen.
Meine Damen und Herren, es hilft deshalb gar nichts,
über die in vielen Bereichen unbefriedigende Preisentwick
lung zu klagen, solange man gleichzeitig diesen Preisauf
trieb fördert.
(Sehr gut! von der CDU)
Die Entwicklung am Baumarkt ist ein Musterbeispiel da
für. Wir wissen, daß die Nachfrage nach Bauleistungen bis
zum Jahre 1972 noch weiter ansteigt, um dann in den Jah
ren danach zurückzugehen. Wie das Deutsche Institut für
Wirtschaftsforschung nachweist, wird selbst eine gestei
gerte Investitionsbereitschaft der Öffentlichen Hand dann
nicht mehr ausreichen, um den zu erwartenden Rückgang
der Bautätigkeit — insbesondere im Gewerbebau — auszu
gleichen. In dieser Situation die Nachfrage nach Bauleistun
gen aber gerade für 1972 zu steigern, erscheint mir bau
wirtschaftlich und konjunkturpolitisch gleichermaßen ver
fehlt. Es bleibt abzuwarten, ob das Parlament bereit ist,
bei der Beratung des Haushaltsplans die daraus erforder
lichen Konsequenzen zu ziehen. Der Senat hat es jedenfalls
bisher nicht getan. Er beklagt deshalb seine eigenen Fehler,
wenn er über den Preisauftrieb am Baumarkt jammert.
Zugleich wird damit auch deutlich, daß der Senat eine der
in der mündlichen Begründung ausgebreiteten Alternativen
offensichtlich falsch entschieden hat. Mindestens die Tempo
drosselung der Bauinvestitionen mußte in Erwägung gezo
gen werden, weil Arbeitsplätze in der Berliner Bauwirt
schaft gerade im Haushaltsjahr 1972 dadurch nicht gefähr
det werden.
Meine Damen und Herren, von dieser allgemeinen
Haushaltsproblematik abgesehen, zeigt der Entwurf seine
kritischen Punkte auf der Einnahmeseite mit der erneuten
Aufnahme von 600 Millionen DM am Kapitalmarkt, den
angekündigten Steuererhöhungen und den Verteuerungen
der öffentlichen Dienstleistungen mit unvermeidbarer Aus
wirkung auf die Wohnungsmieten.
Die erneute Steigerung der Bundeshilfe um 588 Millionen
verdient in der Tat uneingeschränkte Anerkennung und
Dankbarkeit. Um so unverständlicher, wenn in der Begrün
dung des Senators für Finanzen dann an anderer Stelle
von dem „nur begrenzten Wachstum“ der Bundeshilfe
gesprochen wird. Die 600 Millionen Kapitalmarktmittel da
gegen, die zu einer schönen Dauereinrichtung werden sollen,
halten wir weder für finanzwirtschaftlich vertretbar noch
für haushaltspolitisch abgesichert.
(Abg. Dyllick: Sehr gut!)
Um diese Kreditmarktlinie mit der Kennzeichnung „solide“
zu belegen, braucht man schon den Mut der Verzweiflung.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und F.D.P.)
Ich will nicht wiederholen, was ich über das finanzpolitische
Risiko im Zusammenhang mit dem erstmaligen Riesen
schritt in die Verschuldung 1971 bei der Verabschiedung
des 2. Nachtragsetats gesagt habe. Aber es bleibt richtig
und liegt auf der Hand, daß gerade der zwischen eigenen
Einnahmen und Ausgaben so ungleichgewichtige Berliner
Haushalt mit Rücksicht auf die Besonderheiten seiner
Struktur und bar jeglicher Reserven, nicht in dieser Form
unter Einengung seiner Dispositionsmöglichkeiten den Zu
fälligkeiten des Kreditmarkts ausgeliefert werden darf.
Selbst wenn der Senator für Finanzen nun wortreich
Bereitschaft und Notwendigkeit zu kontinuierlich wachsen
der Verschuldung anpreist, werden wir ihm auf diesem
Wege schwerlich folgen. Der Hinweis auf wissenschaftliche
Erkenntnisse für die Notwendigkeit der Staatsverschul
dung und der gleichzeitige Hinweis auf fehlende wissen
schaftliche Erkenntnisse für ihre Grenze reichen jedenfalls
nicht für die Festellung aus, der Vorgang sei haushalts
politisch abgesichert.