Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
18. Sitzung am 88. September 1971
281
Bei den Personalausgaben sieht die Situation so aus: Im
Bund 15,1 % Mehrausgaben, bei den Ländern 20 %, bei uns
17,7 %.
Und nun kommt die vielleicht interessanteste Zahl, die
zwei Bemerkungen zusätzlich erfordert: Die Bauausgaben.
In den ersten 7 Monaten im Bund eine Mehrausgabe von
11,4 %, bei den Ländern von 25,7 % und bei uns von 36,2 %.
Dies alles sind Zahlen, die am Dienstag, im Finanzpla
nungsrat bekanntgegeben worden sind.
Das enorme Anwachsen der Bauausgaben in Berlin führe
ich auf zwei Gründe zurück:
1. Hiermit wird noch einmal demonstriert, daß wir das
einzige Land sind, das trotz seiner Finanzierungsschwierig
keiten Investitionsausgaben nicht einschränkt, sondern un
verzüglich und uneingeschränkt weiterlaufen läßt; im Ge
gensatz zu anderen Ländern, die für wichtige neue Einrich
tungen Baustop verfügt haben.
Und 2. ist aus dieser Zahl, wie auch aus den Zahlen der
anderen Länder und des Bundes, klar ablesbar, was ein
milder Winter heute für die Finanzwirtschaft der öffent
lichen Hand, dadurch, daß die Bauwirtschaft unvermindert
Weiterarbeiten kann, ergibt.
Meine Damen und Herren! Die Steuerung der Haushalts
wirtschaft aus konjunkturpolitischen Gründen hat hier im
Hause schon bei der Beratung des 2. Nachtragshaushaltes
eine Rolle gespielt. Ich brauche auf diese Fragen im ein
zelnen nicht mehr einzugehen.
Sie wissen, daß wir in eine Steuerung eingetreten sind
der Investitionen bei Bau- und Erneuerungsmaßnahmen ge
nauso wie bei Beschaffungen über 500 000 DM im Einzelfall,
daß wir eine Verfügungsbeschränkung von 3 % der Sach
ausgaben ausgebracht, und daß wir diese erstmalig auch
ausgedehnt haben auf die Universitäten und die Eigen
betriebe.
Trotz allem, die angespannte Haushaltslage ist eine
weitere Belastung der Debatte, die in den nächsten Monaten
hier stattfinden wird. Denn wir sind im Grund fast Tag für
Tag seit Anfang dieses Jahres im Kassenkredit; in einem
Kassenkredit, der in den einzelnen Monaten zwar mit unter
schiedlichen Inanspruchnahmen bei der Bundesbank zu ver
zeichnen war, der aber beispielsweise im August den Betrag
von 173,4 Millionen erreicht hat; einen Betrag, den ich in
Beziehung setze zu dem rechtlich möglichen Kassenkredit
bei der Bundesbank von rund 178 Millionen.
Dies alles wird von mir hier mit vorgetragen, um die
Risiken aufzuzeigen, unter denen die Aufstellung dieses
Haushalts und die Vorlage dieses Haushaltsentwurfes steht.
Ein anderes Risiko ist die allgemeine Konjunkturlage.
Hier lassen Sie mich auch, wie eigentlich in diesem Hause
seit Jahrzehnten bei jeder Haushaltsberatung und der Haus
haltsbegründung durch den Finanzsenator üblich, eine
kurze -— sehr kurze — und knappe Betrachtung der ge
samtwirtschaftlichen Ausgangslage geben, wie sie heute
wohl gegeben werden kann.
glaube ich, mit berücksichtigt werden, wenn die Einnahme
erwartungen für 1972 hier zur Diskussion stehen.
Diese Maßnahmen der Vereinigten Staaten dürften für
Berlin, so scheint es, nicht so übermäßig stark ln Erschei
nung treten, wie in der gesamten Bundesrepublik, weil der
Wert der in die USA exportierten und damit unter die Im
portabgabe fallenden Güter aus Berlin nur 5,7 % des Ex
ports der Berliner Industrie ausmacht. Dabei muß man aber
wissen, daß in einzelnen Branchen sehr unterschiedliche
Sätze gelten, daß insbesondere Feinmechanik und Optik
mit 20,8 % bzw. 12,2 % ihres Absatzes in den USA beson
ders gefährdet zu sein scheinen.
Es kann auch nicht verkannt werden, daß wir in der wei
teren gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in der Bundes
republik unter einen neuen Konkurrenzdruck dann kommen
werden, wenn sich die Absatzchancen der westdeutschen
Industrie vermindern, bzw. wenn sie beeinträchtigt werden.
Betrachtet man dies alles unter den nüchternen statisti
schen Zahlen, so ergibt sich für Berlin folgende Lage:
Erstens: Die statistischen Zahlen umfassen den Zeitraum
des 1. Halbjahres 1971. Der preisbereinigte Index der indu
striellen Auftragseingänge läßt eine leichte Abflachung auf
hohem Niveau erkennen; für das 1. Halbjahr einen Auf
tragseingang, der um 4,1% niedriger ist als im Vorjahr, für
die gesamte Bundesrepublik 1,2% niedriger.
Zweitens: Der Index der industrieUen Nettoproduktion
stagniert sowohl im übrigen Bundesgebiet als auch in Ber
lin; und zwar im Grunde, insgesamt betrachtet, fast seit
einem Jahr.
Dieses erklärt sich wohl aus der Unsicherheit ln der Ein
schätzung der Konjunkturlage für die Zukunft, in der
voUen Ausnutzung der Kapazitäten im Augenblick und
wohl auch aus der Lage auf dem Arbeitsmarkt, obgleich
auch hier eine leichte Tendenz zu größerer Arbeitslosigkeit,
von 0,5 % Mitte vorigen Jahres auf 0,7 % in der Mitte dieses
Jahres, unverkennbar ist.
Hinter diesen Globalzahlen, die ich in einer solchen Haus
haltsrede nur geben kann, verstecken sich natürlich sehr
unterschiedliche Situationen und Einschätzungen in den
einzelnen Branchen. Ich habe hier nicht die Absicht und
auch nicht die Aufgabe, den Wirtschaftsbericht des Senats
noch einmal in Ihr Gedächtnis zurückzurufen.
Ein Problem, das ich in diesem Zusammenhang aber noch
kurz anschneiden muß, weil es mir ebenfalls ein Risiko zu
sein scheint für die Haushaltswirtschaft 1972, ist folgendes:
Der Haushalt 1972, unsere Finanzlage und unsere Kassen
liquidität lassen kaum Spielraum für Überlegungen zur
Aufstellung eines Eventualhaushalts bei etwa abflachender
Konjunktur. Während die Bundesregierung mit ihren Be
schlüssen zum Haushalt 1972 bereits zugleich einen Even
tualhaushalt verabschiedet hat mit einem zusätzlichen Vo
lumen von mehr als 2% des Haushalts, steht Berlin aus
seiner Konjunkturausgleichsrücklage bei der Bundesbank
lediglich ein Betrag von 56 Millionen im Falle einer Kon
junkturabflachung für konjunkturstützende Maßnahmen
zur Verfügung.
Eine Beurteilung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage
ist in diesem Spätsommer, so scheint es mir, noch schwieri
ger als vor einem Jahr, als es im wesentlichen noch darum
ging, die auf Hochtouren laufende Konjunkturmaschine mit
vertretbaren Konsequenzen auf angemessene normale Tou
renzahlen zu drosseln. Inzwischen dürften Teilerfolge dieser
Maßnahmen wirksam geworden sein. Stabilisierungsbemü-
nungen der Bundesregierung und der Deutschen Bundesbank
sind erfolgreich zu verzeichnen. Noch aber sind schwierige
Aufgaben in der Wirtschaftspolitik zu bewältigen. Ich
aenke dabei nicht zuletzt an die in vielen Bereichen weiter
hin unbefriedigende Preisentwicklung.
In jüngster Zeit haben nun die Ihnen bekannten wäh-
rungs- und handelspolitischen Maßnahmen der Vereinigten
Staaten von Nordamerika zusätzliche Probleme aufgewor-
fm, Es . ist na -turgemäß auch heute, glaube ich, noch zu
truh, (jj e möglichen quantitativen Auswirkungen dieser
Maßnahmen in eine Betrachtung über die gesamtwirtschaft-
hii £ Ausgangslage ln dieser Stadt — in diesem Augen-
oiick — einzubeziehen, aber trotzdem muß auch dieses,
Es war deshalb Aufgabe des Senats, und er hat sie wahr
genommen, mit der Bundesregierung in erste Beratungen
darüber einzutreten, wie dieser Stadt volkswirtschaftlich
und finanzpolitisch zu Hilfe gekommen werden kann für
den Fall, daß aus dem Konjunkturverlauf zusätzliche an
reizende Maßnahmen der öffentlichen Hand zu finanzieren
sind. Die Gespräche haben sich positiv angelassen.
Und nun, meine Damen und Herren, ein paar Bemerkun
gen zur allgemeinen Haushaltsproblematik. Lassen Sie mich
hier — statt längerer Ausführungen — auf einige wenige
Passagen früherer Haushaltsreden verweisen, um deutlich
zu machen, daß das Problem, mit dem ich mich hier in
dieser Haushaltsrede auseinandersetze, dos ich versuche,
Ihnen nahezubringen für die Beratungen, eigentlich ein
Problem ist, das sich langfristig entwickelt hat und, so
befürchte ich, den Höhepunkt noch nicht einmal erreicht
hat.
Am 21. September 1967 habe ich im Verlauf meiner Haus
haltsrede folgende Bemerkungen gemacht: „Eine Gesell
schaft, die ständig mehr Leistungen von der öffentlichen