Path:
Volume Nr. 10, 7. Juli 1971

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1971, 6. Wahlperiode, Band I, 1.-21. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode 
10. Sitzung am 7. Juli 1971 
212 
Präsident Sickert: Das Wort hat Herr Senator Striek. 
Striek, Senator für Finanzen: Herr Präsident! Meine 
Damen und Herren! Die beiden Oppositionsfraktionen 
(Abg. Lummer: In dem Pall gibt es nur eine 
Opposition!) 
haben mit sehr unterschiedlicher Diktion mich hier als 
Kronzeugen bemüht. Ich darf sagen, das gehört nachge 
rade zum Geschäft eines Finanzministers, immer als Kron 
zeuge, manchmal sogar wie bei Ihnen als Kronzeuge der 
Anklage zitiert zu werden. Ich darf hier, um das noch ein 
mal richtig zu 
(Zurufe von der CDU) 
— Ich fühle mich auch nicht als Angeklagter, wenn ich 
Kronzeuge bin. 
(Abg. Lorenz: Der Kronzeuge wird laufengelassen, 
Sie aber nicht!) 
— Das weiß man noch gar nicht, warten Sie mal ab. Meine 
Damen, ich fühle mich veranlaßt, nachdem hier in der 
Debatte wiederum meine Bemerkungen etwas frei inter 
pretiert worden sind, noch einmal folgendes festzustellen: 
Nach meiner eigenen Einschätzung besteht seit Jahren die 
Gefahr, daß im Klinikum Steglitz wegen einer besseren 
Ausstattung der Planstellen als der Eröffnung von Betten 
ein Gewöhnungsprozeß im Gange ist, der das Zurückfinden 
zu normalen Normen außerordentlich schwierig machen 
wird. 
(Zuruf von der SPD: Sehr richtig! — Weitere 
Zurufe von der CDU) 
Dies stelle ich hier wieder fest und bleibe bei meiner aus 
der Finanzverantwortung diktierten Sorge. 
(Zuruf von der CDU: Sehr gut!) 
Dabei habe ich mich gar nicht dazu geäußert, ob zuviel 
Krankenschwestern oder zuviel Verwaltungspersonal für 
diese Zahl von Betten vorhanden ist. 
(Abg. Franke: Es ist ausdrücklich von Pflege 
personal gesprochen worden!) 
Ja, ja, ich habe das ja hier interpretiert, Herr Abgeordneter. 
(Weitere Zwischenrufe) 
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich am 
Schluß eines jeden langen Zwischenrufes bescheinigt be 
komme, daß ich recht habe, unterbreche ich gerne das, was 
ich sagen wollte. 
Ich möchte mich hier nur zu zwei Bemerkungen aus die 
ser Diskussion noch einmal im Zusammenhang äußern: zu 
den Personalkosten und zu 600 Millionen Mark Kredit 
marktmittelaufnahme. Meine Damen und Herren, ich 
möchte zu beiden Themen — und ich möchte dabei meiner 
eigenen Anregung treu bleiben, die Grundsatzdebatte über 
diese beiden Themen, mit der Einbringung des Haushalts 
1972 zu führen und von mir aus jetzt nicht zu eröffnen —, 
nachdem sie heute Bestandteil dieser Diskussion waren, 
doch ein paar Bemerkungen machen. Hier ist gesagt wor 
den, die Personalkosten werden mehr und mehr zur drücken 
den Last; hier ist gesagt worden, damit sei die Frage des 
öffentlichen Dienstes, ja die Form unseres staatlichen 
Lebens aufgerufen und zur Debatte gestellt. Lassen Sie es 
mich bitte mit einigen wenigen Sätzen die Diskussion auf 
die ganze Grundlage dieses Problems wieder zurückführen, 
um deutlich zu machen, daß nicht die Frage der Ein- oder 
Zweistufigkeit der Berliner Verwaltung dieses Problem 
löst, sondern daß dieses Problem sehr viel tiefer in unsere 
Gesellschaftspolitik geht. 
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Ausdeh 
nung oder die Vermehrung der Planstellen im öffentlichen 
Dienst und die Ausdehnung der Personalkostenansätze in 
allen öffentlichen Haushalten ist letzten Endes auf den 
Tatbestand zurückzuführen, daß der Einzelmensch in die 
ser Massengesellschaft immer mehr vereinsamt, daß in 
diesem Prozeß Solidaritätsgefühle, die früher unsere Ge- 
seUschaft beherrscht haben, abgebaut werden, daß sich 
diese Gesellschaft immer mehr in der Gefahr befindet, sich 
in Einzelgruppeninteressen aufzulösen und daß sich daraus 
die Notwendigkeit ergibt, öffentliche Dienstleistungen an 
die Stelle mitbürgerlicher Hilfe zu setzen; und diese öffent 
lichen Dienstleistungen kosten in erster Linie und zu aller 
erst Personal und Personalkosten und erfordern danach 
die Bewilligung von Sachmitteln. Das ist unser Problem 
und nicht die Zweistufigkeit dieser Verwaltung. 
(Vereinzelter Beifall) 
Ich möchte es einmal so deutlich hier angesprochen haben, 
damit nicht über die nächsten Wochen und Monate aus 
dieser Debatte eine falsche Ausgangsposition für die De 
batten zum Haushalt 1972 stehen bleibt. 
Herr Kollege Hoppe, Vereinfachung des Steuerrechts; es 
gibt in Deutschland keinen, der diese Auffassung nicht ver 
tritt, aber wenn es dann zum Schwur kommt, dann stellen 
(Zurufe) 
alle fest, daß unser Gesellschaftssystem unter anderem 
auch darauf beruht, daß Steuergesetze dazu benutzt wer 
den, als staatliches Mittel der Wirtschaftspolitik zu dienen, 
und daß sie von daher so kompliziert sein müssen, wie die 
Wirtschaftsabläufe es sind. Wenn es also dann zum Schwur 
kommt, stellt man fest: Steuerreform ja, Steuerverein 
fachung nein, und wenn man dann zu den anderen Fragen 
kommt, die Sie mit angeschnitten haben im Zusammenhang 
des Zweiten Themas, dann kommt man also auch zu der 
Frage, ob Koalitionsregierungen schlechthin überhaupt und 
die Koalitionsregierung in Bonn in der Lage ist, sich zu 
sammenzuraufen, um die Verschuldung der öffentlichen 
(Abg. Lummer: Das geht nur mit großer 
Koalition) 
Hand dadurch zu vermindern oder zu mildern, daß sie zu 
einer Verbesserung der Staatseinnahmenseite aus dem Ur 
sprung der Staatseinnahmen heraus kommt. Aber Sie wis 
sen wie ich, wie problematisch das zwischen Parteien und 
Fraktionen ist und von wie unterschiedlichen Standpunkten 
diese schwierige Frage diskutiert wird. 
(Abg. Franke: Und noch dazu bei diesen 
Koalitionsparteien!) 
Ich möchte eine Bemerkung des Herrn Kollegen Hoppe 
hier ausdrücklich noch einmal aufgreifen, weil diese Be 
merkung sozusagen auch meine eigene Sorge zum Aus 
druck bringt. In dem Maße, meine Damen und Herren, wie 
die öffentliche Hand gezwungen ist, in immer stärkerem 
Maße in die Verschuldung hineinzugehen, um ihrer Pflicht, 
Investitionsvorhaben durchzuführen, gerecht zu werden, 
tritt ja nicht nur eine Belastung des öffentlichen Haushalts 
mit Schuldendienst auf, sondern in dem Maße erwächst zu 
gleich die Gefahr, daß die Ausgabenpolitik nicht mehr so 
kontinuierlich fortlaufen kann, wie sie aus allgemeinen 
Deckungsmitteln eigentlich fortläuft, sondern beeinflußt 
wird durch das Auf und Ab im Kapitalmarkt, das Angebot 
von Kapital und Kosten des Geldes. Insofern möchte ich 
absolut Ihre Bemerkung hier aufgreifen und als eine 
meiner großen Sorgen darstellen. Im übrigen darf ich Ihnen 
sagen, daß die Verschuldung, wie sie heute hier zur Be 
schlußfassung steht für 1971, leider keine „Einjahrsfliege“ 
sein wird. Der Haushalt, den der Senat am Dienstag dieser 
Woche beraten hat, geht praktisch — soweit will ich das 
hier vorwegnehmen — von der gleichen Betragsgrenze 
hinsichtlich der Verschuldung im Jahre 1972 aus. 
Herr Abgeordneter Mendel hat die rügende Frage auf 
geworfen, ob ich nicht meinen eigenen Steuerbeamten 
gegenüber zu optimistisch in der Darstellung der Mög 
lichkeiten der zukünftigen Gestaltung des Dienstrechtes 
und der Arbeitsbelastung gewesen bin. Ich würde dieses 
sehr klar in Abrede stellen, Herr Abgeordneter. Was ich 
getan habe, ist, daß ich Anfang des Jahres dargelegt habe, 
wie der Senat von Berlin sich einschalten wird in die in 
Gang befindliche Diskussion über die Änderung des Dienst 
rechtes für Steuerbeamte in der Bundesrepublik Deutsch 
land. Ich habe aus voller Überzeugung dargestellt, daß der
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.