Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
10. Sitzung am 7. Juli 1971
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Präsident Sickert: Das Wort hat Herr Senator Striek.
Striek, Senator für Finanzen: Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Die beiden Oppositionsfraktionen
(Abg. Lummer: In dem Pall gibt es nur eine
Opposition!)
haben mit sehr unterschiedlicher Diktion mich hier als
Kronzeugen bemüht. Ich darf sagen, das gehört nachge
rade zum Geschäft eines Finanzministers, immer als Kron
zeuge, manchmal sogar wie bei Ihnen als Kronzeuge der
Anklage zitiert zu werden. Ich darf hier, um das noch ein
mal richtig zu
(Zurufe von der CDU)
— Ich fühle mich auch nicht als Angeklagter, wenn ich
Kronzeuge bin.
(Abg. Lorenz: Der Kronzeuge wird laufengelassen,
Sie aber nicht!)
— Das weiß man noch gar nicht, warten Sie mal ab. Meine
Damen, ich fühle mich veranlaßt, nachdem hier in der
Debatte wiederum meine Bemerkungen etwas frei inter
pretiert worden sind, noch einmal folgendes festzustellen:
Nach meiner eigenen Einschätzung besteht seit Jahren die
Gefahr, daß im Klinikum Steglitz wegen einer besseren
Ausstattung der Planstellen als der Eröffnung von Betten
ein Gewöhnungsprozeß im Gange ist, der das Zurückfinden
zu normalen Normen außerordentlich schwierig machen
wird.
(Zuruf von der SPD: Sehr richtig! — Weitere
Zurufe von der CDU)
Dies stelle ich hier wieder fest und bleibe bei meiner aus
der Finanzverantwortung diktierten Sorge.
(Zuruf von der CDU: Sehr gut!)
Dabei habe ich mich gar nicht dazu geäußert, ob zuviel
Krankenschwestern oder zuviel Verwaltungspersonal für
diese Zahl von Betten vorhanden ist.
(Abg. Franke: Es ist ausdrücklich von Pflege
personal gesprochen worden!)
Ja, ja, ich habe das ja hier interpretiert, Herr Abgeordneter.
(Weitere Zwischenrufe)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich am
Schluß eines jeden langen Zwischenrufes bescheinigt be
komme, daß ich recht habe, unterbreche ich gerne das, was
ich sagen wollte.
Ich möchte mich hier nur zu zwei Bemerkungen aus die
ser Diskussion noch einmal im Zusammenhang äußern: zu
den Personalkosten und zu 600 Millionen Mark Kredit
marktmittelaufnahme. Meine Damen und Herren, ich
möchte zu beiden Themen — und ich möchte dabei meiner
eigenen Anregung treu bleiben, die Grundsatzdebatte über
diese beiden Themen, mit der Einbringung des Haushalts
1972 zu führen und von mir aus jetzt nicht zu eröffnen —,
nachdem sie heute Bestandteil dieser Diskussion waren,
doch ein paar Bemerkungen machen. Hier ist gesagt wor
den, die Personalkosten werden mehr und mehr zur drücken
den Last; hier ist gesagt worden, damit sei die Frage des
öffentlichen Dienstes, ja die Form unseres staatlichen
Lebens aufgerufen und zur Debatte gestellt. Lassen Sie es
mich bitte mit einigen wenigen Sätzen die Diskussion auf
die ganze Grundlage dieses Problems wieder zurückführen,
um deutlich zu machen, daß nicht die Frage der Ein- oder
Zweistufigkeit der Berliner Verwaltung dieses Problem
löst, sondern daß dieses Problem sehr viel tiefer in unsere
Gesellschaftspolitik geht.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Ausdeh
nung oder die Vermehrung der Planstellen im öffentlichen
Dienst und die Ausdehnung der Personalkostenansätze in
allen öffentlichen Haushalten ist letzten Endes auf den
Tatbestand zurückzuführen, daß der Einzelmensch in die
ser Massengesellschaft immer mehr vereinsamt, daß in
diesem Prozeß Solidaritätsgefühle, die früher unsere Ge-
seUschaft beherrscht haben, abgebaut werden, daß sich
diese Gesellschaft immer mehr in der Gefahr befindet, sich
in Einzelgruppeninteressen aufzulösen und daß sich daraus
die Notwendigkeit ergibt, öffentliche Dienstleistungen an
die Stelle mitbürgerlicher Hilfe zu setzen; und diese öffent
lichen Dienstleistungen kosten in erster Linie und zu aller
erst Personal und Personalkosten und erfordern danach
die Bewilligung von Sachmitteln. Das ist unser Problem
und nicht die Zweistufigkeit dieser Verwaltung.
(Vereinzelter Beifall)
Ich möchte es einmal so deutlich hier angesprochen haben,
damit nicht über die nächsten Wochen und Monate aus
dieser Debatte eine falsche Ausgangsposition für die De
batten zum Haushalt 1972 stehen bleibt.
Herr Kollege Hoppe, Vereinfachung des Steuerrechts; es
gibt in Deutschland keinen, der diese Auffassung nicht ver
tritt, aber wenn es dann zum Schwur kommt, dann stellen
(Zurufe)
alle fest, daß unser Gesellschaftssystem unter anderem
auch darauf beruht, daß Steuergesetze dazu benutzt wer
den, als staatliches Mittel der Wirtschaftspolitik zu dienen,
und daß sie von daher so kompliziert sein müssen, wie die
Wirtschaftsabläufe es sind. Wenn es also dann zum Schwur
kommt, stellt man fest: Steuerreform ja, Steuerverein
fachung nein, und wenn man dann zu den anderen Fragen
kommt, die Sie mit angeschnitten haben im Zusammenhang
des Zweiten Themas, dann kommt man also auch zu der
Frage, ob Koalitionsregierungen schlechthin überhaupt und
die Koalitionsregierung in Bonn in der Lage ist, sich zu
sammenzuraufen, um die Verschuldung der öffentlichen
(Abg. Lummer: Das geht nur mit großer
Koalition)
Hand dadurch zu vermindern oder zu mildern, daß sie zu
einer Verbesserung der Staatseinnahmenseite aus dem Ur
sprung der Staatseinnahmen heraus kommt. Aber Sie wis
sen wie ich, wie problematisch das zwischen Parteien und
Fraktionen ist und von wie unterschiedlichen Standpunkten
diese schwierige Frage diskutiert wird.
(Abg. Franke: Und noch dazu bei diesen
Koalitionsparteien!)
Ich möchte eine Bemerkung des Herrn Kollegen Hoppe
hier ausdrücklich noch einmal aufgreifen, weil diese Be
merkung sozusagen auch meine eigene Sorge zum Aus
druck bringt. In dem Maße, meine Damen und Herren, wie
die öffentliche Hand gezwungen ist, in immer stärkerem
Maße in die Verschuldung hineinzugehen, um ihrer Pflicht,
Investitionsvorhaben durchzuführen, gerecht zu werden,
tritt ja nicht nur eine Belastung des öffentlichen Haushalts
mit Schuldendienst auf, sondern in dem Maße erwächst zu
gleich die Gefahr, daß die Ausgabenpolitik nicht mehr so
kontinuierlich fortlaufen kann, wie sie aus allgemeinen
Deckungsmitteln eigentlich fortläuft, sondern beeinflußt
wird durch das Auf und Ab im Kapitalmarkt, das Angebot
von Kapital und Kosten des Geldes. Insofern möchte ich
absolut Ihre Bemerkung hier aufgreifen und als eine
meiner großen Sorgen darstellen. Im übrigen darf ich Ihnen
sagen, daß die Verschuldung, wie sie heute hier zur Be
schlußfassung steht für 1971, leider keine „Einjahrsfliege“
sein wird. Der Haushalt, den der Senat am Dienstag dieser
Woche beraten hat, geht praktisch — soweit will ich das
hier vorwegnehmen — von der gleichen Betragsgrenze
hinsichtlich der Verschuldung im Jahre 1972 aus.
Herr Abgeordneter Mendel hat die rügende Frage auf
geworfen, ob ich nicht meinen eigenen Steuerbeamten
gegenüber zu optimistisch in der Darstellung der Mög
lichkeiten der zukünftigen Gestaltung des Dienstrechtes
und der Arbeitsbelastung gewesen bin. Ich würde dieses
sehr klar in Abrede stellen, Herr Abgeordneter. Was ich
getan habe, ist, daß ich Anfang des Jahres dargelegt habe,
wie der Senat von Berlin sich einschalten wird in die in
Gang befindliche Diskussion über die Änderung des Dienst
rechtes für Steuerbeamte in der Bundesrepublik Deutsch
land. Ich habe aus voller Überzeugung dargestellt, daß der