Abgeordnetenhaus von Berlin - 6. Wahlperiode
&. Sitzung am 10. Juni 1971
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Beier (SPD): Herr Senator, ist Ihnen bekannt, daß der
Leiter des Postscheckamtes vor zwei Stunden in einem
Rundfunkinterview erklärt hat, durch Überstunden am
Sonnabend würden die Rückstände aufgearbeitet ?
(Heiterkeit bei der CDU und P.D.P.)
Präsident Sickert: Herr Senator Grabert!
Grafoert, Senator für Bundesangelegenheiten: Ich weiß
nicht, ob ich dieses Rundfunkinterview
(Präsident Sickert: Sie dürfen danken für
die Mitteilung!)
Ich habe diese Sendung leider nicht hören können. — Ich
bedanke mich.
Präsident Sickert: Weitere Zusatzfragen? — Das ist
nicht der Fall.
Dann rufe ich auf die Anfrage Nr. 9 und erteile Herrn
Abgeordneten Kittelmann das Wort zum Thema Wieland
Deutsch.
Kittelmann (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Ich frage den Senat:
1. Kann der Senat aufgrund seiner engen politischen
Verbindungen zur derzeitigen Bundesregierung Auskunft
geben, ob der umstrittene Beitrag in der Zeitschrift
„liberal“ über Berlin, der mit „Wieland Deutsch“ gezeich
net war, von einem Sprecher oder Mitglied der Bundes
regierung stammt ?
2. Ist der Senat mit dem Herrn Bundesinnenminister
Genscher der Meinung, daß dieser Artikel „nur schwer zu
verantwortendes pseudojuristisches Gewäsch sei“ ?
3. Hat der Senat festzustellen versucht, von welchem
Autor der aufsehenerregende und berlinschädliche Artikel
stammt ?
4. Zu welchem Ergebnis haben diese Feststellungen ge
führt?
Präsident Sickert: Herr Regierender Bürgermeister zur
Beantwortung!
Schütz, Regierender Bürgermeister: Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Kittelmann!
Zu 1: Der Senat hat aus der Antwort der Bundesregierung
im Deutschen Bundestag ersehen, daß es sich bei dem
nicht gekennzeichneten Artikel um eine Meinungsäußerung
handelt, keinesfalls um eine Stellungnahme der Bundes
regierung.
Zu 2: Der Senat sieht keine Veranlassung, diese im
Schutz der Anonymität abgegebene Äußerung zu bewerten.
Zu 3: Nein! Damit entfällt die Antwort zu 4.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)
Präsident Sickert: Wird eine Zusatzfrage gewünscht? —
Herr Abgeordneter Kittelmann!
Kittelmann (CDU): Herr Regierender Bürgermeister,
sind Sie mit mir der Meinung, daß die Berliner Bevölke
rung einen Anspruch darauf hätte, daß der Senat von
Berlin, vertreten durch den Regierenden Bürgermeister,
zu diesem Artikel eine Äußerung abgibt, die weit über das
hinausgeht, was Sie eben gesagt haben?
(Beifall bei der CDU)
Präsident Sickert: Herr Regierender Bürgermeister!
Schütz, Regierender Bürgermeister: Herr Abgeordneter
Kittelmann, ich bin nicht mit Ihnen dieser Auffassung.
Diese Zeitung, von der hier che Rede ist, gehört nicht zur
Pflichtlektüre des Regierenden Bürgermeisters,
(Abg. Franke: Was ist denn Ihre Pflichtlektüre ?)
und ich gedenke, sie auch nicht zur Pflichtlektüre zu ma
chen. Ich glaube nicht, daß es Aufgabe des Senats ist, auch
in Zukunft anonyme Artikel in derartigen Presseorganen
in der Öffentlichkeit zu kommentieren und zu bewerten.
(Beifall bei der SPD)
Präsident Sickert: Noch eine Zusatzfrage? — Herr Ab
geordneter Kittelmann!
Kittelmann (CDU): Herr Regierender Bürgermeister,
sind Sie auch dann dieser Meinung, wenn es sich, wie nie
mand bestreitet, bei diesem Artikel um einen Versuchs
ballon handelt, der zumindest — das wird nicht abge
stritten — von einem Sprecher der Bundesregierung stam
men soll, und wenn der Berliner, der diesen Artikel liest,
dahinter mehr vermuten muß als das, was von Ihnen jetzt
gesagt worden ist ?
Präsident Sickert: Herr Regierender Bürgermeister!
Schütz, Regierender Bürgermeister: Herr Abgeordneter
Kittelmann, ich muß Sie verweisen auf die Debatten des
Deutschen Bundestages von gestern und auf die Antworten,
die die Bundesregierung gestern dazu gegeben hat. Ich
kann deshalb die Unterstellung nicht im Raume stehen
lassen, als ob es sich um einen Sprecher der Bundesregie
rung handelt, der hier eine Erklärung abgegeben hat. Für
mich ist es eine anonyme, nicht namentlich gekennzeichnete
Stellungnahme eines Bürgers in einer Zeitung, die nicht zu
den amtlichen Organen der Bundesrepublik Deutschland
und des Senats von Berlin gehört.
Präsident Sickert: Eine Zusatzfrage? — Herr Abge
ordneter Luster!
Luster (CDU): Herr Regierender Bürgermeister, fanden
Sie in Ihrer Eigenschaft als Regierender Bürgermeister die
ser Stadt die Auskünfte, die gestern von der Bundesregie
rung zu dem in seiner Wichtigkeit nicht zu unterschätzen
den Artikel gegeben wurden, auch für Sie als ausreichend ?
Präsident Sickert: Herr Regierender Bürgermeister!
Schütz, Regierender Bürgermeister: Ich empfand die
Auskünfte, die die Bundesregierung gegeben hat, als aus
reichend.
Präsident Sickert: Eine weitere Zusatzfrage? — Herr
Abgeordneter Wronski!
Wronski (CDU): Herr Regierender Bürgermeister, wür
den Sie für den Fall, daß weitere anonyme Artikel anderen
Inhalts, die die unmittelbaren Interessen Berlins berühren
wie dieser,
(Abg. Hannemann: Gehört nicht zur Frage!)
— Ich frage ja nicht Sie, meine Herren Kollegen — die
gleiche Reserviertheit und Zurückhaltung bei Ihrer Kom
mentierung solcher Artikel üben, wie Sie es jetzt tun?