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Volume Nr. 19 (84), 22. Oktober 1970

Full text: Stenographischer Bericht (Public Domain) Issue1970/71, V. Wahlperiode, Band IV, 66.-95. Sitzung (Public Domain)

84. Sitzung vom 22. Oktober 1970 
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Frau Dr. Besser 
Ausbildungskommissionen. Und wer in den Ausbildungs 
kommissionen sitzt, gerade in diesen Fächern, die Er 
ziehungsbereich sind und die die Gesellschaft von mor 
gen gestalten werden — auch das machen Sie sich 
bitte klar —, das sind bis zu 75 % Radikale. Wenn Sie 
das nicht sehen wollen, sondern versuchen, das noch 
herunterzuspielen —- und damit, meine ich, ist auch die 
Formulierung richtig, daß hier der Bericht schönfärbt; 
das stellt er nämlich nicht deutlich heraus —, dann 
erreichen Sie eine Ausrottung der Universität. Ich bin 
überzeugt, daß das in diesem Hause niemand will. Und 
darum muß man sich das klar und deutlich vor Augen 
halten und muß aus diesem Grunde Maßnahmen fin 
den, die in der Lage sind, dem zu steuern. 
Wenn die CDU nach einer langen Diskussion und erst 
in der letzten Phase dazu gekommen ist zu sagen: 
alle Maßnahmen einschließlich des Verbots, — dann ist 
das geschehen aufgrund der Erfahrungen, die wir in 
den letzten Monaten — und eigentlich ist ja der Sena 
tor für Wissenschaft und Kunst mit einer der Leid 
tragenden hier an dieser Stelle — mit Hinweisen der 
Universitätspräsidenten durch den Senat auf nicht 
richtige Handlungen gemacht haben. Ich erinnere Sie an 
den lebhaften Frage- und Antwortwechsel, den wir da 
zu gehabt haben, und Sie brauchen sich ja nur vorzu 
nehmen, was der Universitätspräsident der Freien Uni 
versität in der gestrigen Pressekonferenz herausgege 
ben hat als Antwort auf eine Zusammenstellung der 
Notgemeinschaft, wo er schlicht sagt: Hier bin ich 
anderer Auffassung, — oder wo er sagt: Da hat mich 
der Senator für Wissenschaft und Kunst darauf hinge 
wiesen, diese Veröffentlichung hätte ich nicht machen 
dürfen. Ich halte den Senator für Wissenschaft und 
Kunst für politische Partei in der Auseinandersetzung 
in dieser Stadt zwischen Universität und Polizei. — Ich 
weiß ja nicht, ob Sie meinen, daß sich das bessern wird, 
wenn Sie ganz sachte und peu ä peu Vorgehen und sa 
gen: das machen wir vorsichtig. An irgendeiner Stelle 
werden Sie ein Zeichen setzen müssen. Glauben Sie bitte 
nicht, daß die CDU-Praktion der Auffassung ist, daß 
man dieses Zeichen leichten Herzens setzen kann. Die 
ses Zeichen kann man nur sehr schweren Herzens set 
zen. Aber die Erfahrungen, die auf diesem Gebiete ge 
macht worden sind, sind so — entschuldigen Sie — ha 
nebüchen in dieser Stadt, daß da tatsächlich nun auch 
deutlich gesagt werden muß, was man will. 
Ich erinnere Sie daran, daß sich der Senator für Wis 
senschaft und Kunst verzweifelt bemüht hat, junge Wis 
senschaftler von internationalem Ruf in dieser Stadt zu 
halten, daß daran doch wohl aller Voraussicht nach auch 
ein Institut scheitern wird, und daß es die Universität 
war, die diesen Mann durch ihr Verhalten dazu ver 
anlaßt hat zu sagen: Ich gehe als politischer Emigrant 
aus Berlin; denn bliebe ich hier, würde ich mich selbst 
für vogelfrei erklären. — Das sind Zustände, die man in 
dieser Form eben nicht dulden kann. 
Trennen Sie doch bitte zwei Dinge, die Sie immer 
gern in einen Topf tun; den Radikalismus und die Re 
form. Wenn Sie den Radikalismus als Feuer ansehen 
und Ihren Kraftstoff „Reform der Universität“ dazu 
tun, dann brennt die Sache eben so auf, wie das in ein 
zelnen Fachbereichen gegenwärtig der Fall ist. Wir 
müssen uns damit auseinandersetzen, daß wir erstens 
die richtige Form, und zwar einschließlich der Hoch 
schullehrerstruktur und einschließlich der Studienre- 
form für die Universitäten finden müssen, u. z. definiert 
von Wissenschaft her. 
* ch kenne den Standpunkt, der gerne vertreten wird: 
Wissenschaft wäre eigentlich heute nur noch kollektiv 
zu betreiben. Wissenschaft wird immer individuell blei 
ben, denn Wissen muß sich jeder selber aneignen. Daß 
ein Team Zusammenarbeiten kann, das ist eine andere 
Angelegenheit, aber zunächst einmal muß die Individua- 
ntat gerade im wissenschaftlichen Bereich erhalten 
bleiben. Aus diesem Grunde sollte man sich auch daher 
überlegen, was Autonomie an Universitäten künftig 
f em ,kann. Wehn ich mir die Entwicklung an den Uni 
versitäten in Berlin ansehe, muß ich den Eindruck ge 
winnen, daß die Autonomie -— und zwar diesmal von 
den Gruppen, die dort die Macht usurpieren -— längst 
zerstört ist. Wir werden Autonomie der Wissenschaft 
neu definieren müssen, wahrscheinlich als Summe der 
autonomen Wissenschaftler — anders wird sich das 
nicht machen lassen —, und werden von daher auch 
Universität neu konstruieren müssen. Sie können im 
Leben eine Menge abschaffen, meine Damen und Herren, 
fast alles. Was Sie nicht abschaffen können, auch im 
geistigen Sinne nicht, ist die Vaterschaft und die Mut 
terschaft. Und das gilt auch für eine Sozialinstitution 
wie die Universität. An dieser Stelle erinnere ich Sie nun 
— und das versöhnt vielleicht manche Schärfen, die 
vorhin hier im Raume waren -—, daß ein früheres Mit 
glied des SDS, Professor Hennes, hierzu sehr klare 
Grundsätze aufgestellt hat. Ich kann Sie nur daran er 
innern, was er selber dazu gesagt und geschrieben hat; 
da gibt es Grundsätze, von denen her mit Sicherheit 
für die Zukunft Grundlagen für neues Universitätsrecht 
gefunden werden können. 
Wenn man sich die Entwicklung, so wie sie läuft, 
ansieht, dann habe ich für eines in diesem Hause kein 
Verständnis, und das ist, daß auf den Erfahrungen der 
letzten Monate, in denen häfig genug — Beispiele dafür 
gibt es; Sie wissen, auch schriftliche — auch Studenten 
vergeblich und verzweifelt gebeten haben; „Sichert uns 
doch die Möglichkeit, daß wir die Vorlesungen, die wir 
hören wollen, auch wirklich hören können.“ Das kann 
man ja heute draußen nicht mehr. Daß man dann den 
§ 42 des Universitätsgesetzes nicht daraufhin abändert, 
daß den Studenten die Möglichkeit dazu gegeben wird, 
die eine solche Vorlesung hören wollen oder ein solches 
Seminar oder eine Übung durchführen, daß sie das dann 
auch können, und daß man diesen Paragraphen in dieser 
Form auch noch auf die Fachhochschulen überträgt, 
wahrscheinlich doch um dort dieselben Verhältnisse 
nachher zu haben, ist völlig unverständlich. 
Von einem sollte sich dieses Haus freimachen, daß es 
meint, die politischen Probleme, die dort auftauchen, 
die müssen die allein auskämpfen; sollen sie mal sehen, 
wie sie damit fertig werden. Die politischen Probleme, 
die es dort gibt, sind unsere Probleme hier; und wir 
haben uns damit intensiv auseinanderzusetzen und wir 
haben uns von hier aus Gedanken zu machen, wie dem 
Abhilfe zu leisten ist. 
(BeifaU bei der CDU.) 
Alles andere ist ein Ausweichen vor dem Problem. 
Wäre das in der Vergangenheit in der erforderlichen 
Form geschehen, dann stünde heute nicht die Forderung 
im Raum: „einschließlich des Verbots“. 
(Beifall bei der CDU.) 
Präsident Sickert: Das Wort hat der Herr Abgeord 
nete Lummer. 
Lummer (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und 
Herren! Herr Voelker, Sie haben darauf verwiesen, 
daß ich gesagt habe, dieses Thema sollte nicht einfach 
Wahlkampfthema werden. Das trifft zu. Das trifft des 
halb zu, weil uns dieses Thema vier Jahre lang schon 
beschäftigt. Ob wir es gewollt haben oder nicht, die 
Tagesordnung ist von den Realitäten bestimmt worden. 
Ich möchte mir gern ein paar Bemerkungen hier er 
lauben, nach dem Motto — wenn Sie so wollen —: Laßt 
Realitäten sprechen! Da ist zunächst dieses: Wir haben 
gesagt — und wir bleiben dabei —, daß der Bericht des 
Senats zwar sehr wesentliche Pakten feststellt, bis hin 
zu der Verfassungswidrigkeit bestimmter Gruppen, daß 
er aber dennoch eine Verniedlichung, Verharmlosung 
und an einer bestimmten Stelle auch eine Täuschung 
des Vorganges vorlegt. Wenn man den Referentenent 
wurf vergleicht mit dem, was später geschrieben wurde, 
uns vorgelegt wurde, dann gibt es einige bemerkens 
werte Streichungen, und ich weiß nicht, warum diese
	        
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