84. Sitzung vom 22. Oktober 1970
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Senator Dr. Stein
sitäten betrifft. Diese schwierige Gesinnung, die wir
heute antreffen, wird wahrscheinlich durch keinen Ge
setzestext befriedigend geregelt werden können. Wir
müssen verbreitet feststellen, daß die Bewahrung oder
die Gewinnung von Vorrechten ein sehr starkes Motiv
des Handelns von Gruppen in unserer Gesellschaft ist
und daß auch außerhalb der Universität bei dieser Ge
winnung oft bis an die Grenze gesetzlicher Möglich
keiten, ja darüber hinaus gegangen wird, daß wir eben
nicht davon ausgehen können, daß alle Bürger innerhalb
oder auch außerhalb der Universität bereit sind, ihre
Interessen unter allen Umständen gesetzlichen Ord
nungen unterzuordnen, sondern auch bereit sind, dar
über hinäuszugehen. Aber ich sage hier ausdrücklich;
Die alte Ordinarien-Universität, wie sie manchmal
etwas abkürzend genannt worden ist, war dadurch ge
kennzeichnet, daß eine bestimmte kleine Gruppe —
wenn auch hochqualifizierte Gruppe — Vorrechte hatte;
und ich sage hier mit aller Deutlichkeit; Diese Vorrechte
sind nicht abgeschafft worden, um neue Vorrechte an
der Universität zu begründen.
(Beifall.)
Wenn bisher unterprivilegierte Gruppen — und die hat
es gegeben — ihre neuen Rechte nur dazu gebrauchen
wollen, Macht zu mißbrauchen, werden diese Rechte,
die man ihnen gegeben hat, auf die Dauer keinen Be
stand haben können genausowenig wie die Rechte der
Ordinarien Bestand gehabt haben, als es sich zeigte,
als damit Probleme der Universität nicht geregelt wer
den konnten.
(Beifall bei der SPD.)
Es geht also nicht darum, alte durch neue Vorrechte
zu ersetzen, sondern das Universitätsgesetz, das dieses
Haus verabschiedet hat, ist ja ausdrücklich von dem
Leitgedanken getragen, daß es darum gehen soll, einen
gerechten Ausgleich zwischen den verschiedenen Inter
essen, die in einer Universität vorhanden sein können
und zweifellos auch vorhanden sind, herzustellen.
Den Ordinarien — und Sie wissen, hier spricht ein
Ordinarius — ist des öfteren vorgeworfen worden, daß
sie ihre Vorrechte, die sie gebraucht haben, auch in
einem intoleranten Maße gebraucht haben. Das ist
nicht auszuschließen, daß es so etwas gegeben hat, ob
wohl man feststellen kann, daß die patriarchalische
Form der Ordinariatsherrschaft manche menschlich
auch anziehenden Züge gehabt haben kann. Einige der
neueren Erscheinungen zeigen aber, daß hier eine In
toleranz in Anspruch genommen wird, die alles über
steigt, was man an Intoleranz den Ordinarien seinerzeit
einmal hätte vorwerfen können. Wir werden diese Er
scheinungen sehr aufmerksam beobachten müssen und
werden es mit geeigneten Maßnahmen verhindern müs
sen, daß diese intolerante Haltung in der Universität
sich ausprägt. Es ist das Ziel gewesen, Intoleranz durch
Toleranz zu ersetzen, Vorrechte durch gerechten Inter
essenausgleich zu ersetzen. Daran werden wir alles
messen müssen, was auch in der Universität geschieht.
Ich erinnere noch einmal daran, daß wir es mit diesen
Erscheinungen nicht nur in den Hochschulen zu tun
haben, sondern daß auch andere Bereiche unseres Lebens
von solchen Erscheinungen gekennzeichnet sind. Ich
will unsere Debatte nicht damit belasten, daß ich hier
Beispiele nenne. Jeder hält solche Beispiele für sich
bereit.
Nun, in der Durchführung, die in diesem Bericht hier
auch angesprochen ist, kommt noch einmal zum Aus
druck, was ich sagte: daß hier aus'Gründen, die der
Bericht nicht im einzelnen analysiert, die auch im ein
zelnen hier nicht besprochen werden müssen, die Freie
Universität weit vor die Technische Universität gelangt
ist. Wir haben in den Anlagen 3 und 4 — und bei dieser
Gelegenheit möchte ich überhaupt das Haus doch bit
ten, nicht nur den Text, sondern auch den Anlagen
Aufmerksamkeit zu schenken, weil sie, wie ich meine,
ein integrierender Bestandteil des Berichtes sind —
einmal gezeigt, wie nun praktisch das Universitäts
gesetz realisiert wird. Wir haben die wichtigsten Be
schlüsse von Universitätsgremien aufgezählt, die etwas
mit der Durchführung des Gesetzes zu tim haben, und
Sie sehen, daß hier durchaus Arbeitsfähigkeit bestan
den hat, daß hier durchaus Arbeit geleistet worden ist.
Wenn man einmal überlegt, für wie schwierig ich selbst
beispielsweise es angesehen habe, die alten Fakultäten
durch Fachbereiche zu ersetzen, und daß immerhin in
einer verhältnismäßig kurzen Zeit ein erstes Ergebnis
dieser Aufteilung — das noch nicht für alle Zeiten in
dieser Form Bestand haben muß — erreicht werden
konnte und auch in den Universitäten akzeptiert wor
den ist, dann möchte ich an diesem Beispiel zeigen, daß
durchaus die Durchführung des Gesetzes positive Fort
schritte im Sinne der Zielgebung des Gesetzes gemacht
hat.
Der Abschnitt 4 dieses Berichtes handelt mm von den
hochschulpolitischen Auseinandersetzungen. Wir haben
hier auch einmal chronologisch, um Ihnen einen Über
blick zu geben, welchen Charakter sie gehabt haben
und was sich zeitlich abgewickelt hat, in den Anlagen 1
und 2 die wichtigsten dieser hochschulpolitischen Aus
einandersetzungen aufgeschrieben. Ich habe es persön
lich als sehr informativ empfunden, es einmal in dieser
chronologischen Form zu überschauen. In der rasch
lebigen Zeit, in der wir leben, in der eine Fülle von
Ereignissen auf uns zukomrat, die wir durchdenken
müssen, auf die wir reagieren müssen, verliert man
manchmal diesen Gesamtüberblick, und ich glaube, es
ist nützlich, sich damit zu beschäftigen.
Der Senat nimmt in Anspruch, daß aus dieser Chro
nologie, wenn man sie allein auf sich wirken läßt, doch
ein Unterschied vor und nach dem Universitätsgesetz
zu verzeichnen ist. Natürlich hat das etwas damit zu
tun, daß nach dem Universitätsgesetz die Verantwor
tungen anders geregelt wurden und daß insbesondere
— auch darüber handelt der Bericht an einer Stelle —
durch die neuen Präsidenten aus ihrer hochschulpoliti
schen Gesinnung heraus eine Art neuen Krisenmanage
ments entwickelt worden ist. Der Bericht stellt sehr
deutlich gegenüber, daß auch mit dieser Form, mit Aus
einandersetzungen der Hochschule fertigzuwerden,
Nachteile verbunden sind, sogar sehr ernste Nachteile
für einen Teil der Betroffenen verbunden sind, weil
durch diese Art, mit rationalen Mitteln, Auseinander
setzungen, Diskussionen zu einem Kompromiß und zur
Erprobung eines Kompromisses zu kommen, die per
sönliche Belastung lange Zeit anhält und manchmal
sehr schwer für den einzelnen zu tragen ist. Trotzdem
bin ich der Meinung, daß es ein Versuch ist, der Unter
stützung verdient, auf diese Weise einmal zu versuchen,
wie man mit den Problemen der Hochschule fertig wird.
Alles in allem kann man sagen, daß nach dem Univer
sitätsgesetz mit einem geringeren Aufwand an Ord
nungsmaßnahmen jedenfalls kein schlechteres Ergebnis
erzielt worden ist für die Universität. Und das ist im
merhin eine beachtliche Tatsache, die der Bericht des
Senats herausstellt.
Wie Sie wissen, haben die Rektoren aus der Tradi
tion der Universität heraus, wie sie sie vertraten, vor
allen Dingen staatliche Mittel bevorzugt, um solche
gebeten, sehr stark auch erhalten — Sie wissen noch,
wie unsere Universitäten, insbesondere die Freie Uni
versität, fast einem polizeilichen Heerlager glichen —,
während die Präsidenten, so problematisch das auch
ist, mit inneruniversitären Mitteln versuchen, mit den
Problemen fertigzuwerden. Ich würde also sagen, daß
dieser Versuch, auf andere Art und Weise mit den Pro
blemen fertigzuwerden, ernste Beachtung verdient,
obwohl ich nicht verkenne, daß auch die neue Art, mit
den Problemen umzugehen, die Mitglieder der Univer
sität stark in Anspruch nimmt, ja in mancher Weise
stärker in Anspruch nimmt als die früheren Mittel.
Nun hat der Kemteil des Berichtsauftrages vor allen
Dingen nach der Art und Tätigkeit der radikalen Grup
pen gefragt, die im allgemeinen unter dem Stich- und
Schlagwort „Rote Zellen“ sich selbst bekanntgemacht