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Volume Nr. 10 (75), 11. Juni 1970

Full text: Stenographischer Bericht (Public Domain) Issue1970/71, V. Wahlperiode, Band IV, 66.-95. Sitzung (Public Domain)

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75. Sitzung vom ll. Juni 197Ö 
Präsident Sickert 
Ich rufe auf die Überschrift und die Einleitung des 
Gesetzes im Wortlaut der Drucksache Nr. 805. Abstim 
mung über die Überschrift und die Einleitung im Wort 
laut der Drucksache Nr. 805. Bevor wir zur Schlußab 
stimmung kommen, hat der Herr Regierende Bürger 
meister um das Wort gebeten. Bitte Herr Regierender 
Bürgermeister! 
Schütz, Regierender Bürgermeister; Herr Präsident! 
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Sach- 
diskussion, die Erörterung über das Gesetz zur Anwen 
dung des unmittelbaren Zwangs bei der Ausübung 
öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Landes 
Berlin, wurde heute hier geführt. Sie ist im zuständigen 
Ausschuß geführt worden, sie ist in den Parteien, sie 
ist in der Öffentlichkeit geführt worden. Mit diesem 
Gesetz haben sich aber nicht nur die beschäftigt, die der 
Verfassung nach mit der Gesetzgebung zu tun haben. 
Es ist in der Öffentlichkeit sehr breit zum Gegenstand 
lebhafter Diskussionen geworden, einer Öffentlichkeit, 
die sehr unterschiedlich orientiert war und die in ihrem 
Urteil auch sehr widersprüchlich reagiert hat. Das ist 
verständlich. Und es ist im besonderen verständlich, daß 
die Diskussion sich auf den Teil des Gesetzes konzen 
trierte, der von dem Schußwaffengebrauch handelt und 
von den besonderen Waffen. 
Ich meine, die Fragen nach diesen Waffen werden zu 
Recht gestellt. Daß sie gestellt werden und daß sie 
gestellt werden können, das hängt selber mit unserer 
Gesellschaftsordnung zusammen, um deren Zustand 
und um deren Fortbestand es den Befürwortern und 
Kritikern, wie ich hoffe, gleichermaßen geht. Denn 
diese unsere Gesellschaftsordnung ist es, die der Demo 
kratie und der Menschenwürde den höchsten Rang 
zuspricht und die das Leben und die Unversehrbarkeit 
des einzelnen Menschen in den Mittelpunkt ihrer Rang 
ordnungen stellt. 
Damit mache ich schon deutlich, meine Damen und 
Herren, daß ich mich nicht an die wende, denen das 
UZwG nur ein willkommener Anlaß ist, sich wieder 
einmal auf unsere Gesellschaftsordnung insgesamt zu 
stürzen. Das sind die, die auf das Gesetz einschlagen 
und in Wirklichkeit unsere gesamte Gesellschaftsord 
nung meinen. Denen kann ich nur sagen; wenn dieser 
Staat und wenn diese Stadt von der Art wären, wie sie 
uns vormachen und glauben machen wollen, dann wür 
den wir über das Gesetz über die Anwendung unmittel 
baren Zwangs bei der Ausübung öffentlicher Gewalt 
überhaupt nicht diskutieren. Dann wäre es völlig un 
nötig, darüber nachzudenken, wie wir durch gesetzliche 
Maßnahmen klare Kompetenzen finden in dem Ge 
brauch und in der Anwendung von Waffen, und wie wir 
es unmöglich machen, daß Waffen, welcher Art auch 
immer, außerhalb des Gesetzes und unangemessen ge 
genüber den Situationen angewendet werden. 
Ein Wort füge ich ganz bewußt hinzu: Wir haben die 
Meinung derer, die sich gegen dieses Gesetz ausge 
sprochen haben und wir haben ihren Protest und wir 
haben ihre Appelle ernst genommen und sie in unsere 
Überlegungen voll einbezogen. Nur; es geht in diesen 
Tagen auch darum, wie glaubwürdig Proteste und 
Appelle dieser Art sind. Wer sich hier etwa zusammen 
getan hat mit der kommunistischen SED, sei sie aus 
West-Berlin, sei sie aus Ost-Berlin, der muß sich sagen 
lassen und dem sagen wir es auch, daß angesichts der 
Zwangsmaßnahmen der Behörden Ostberlins und ange 
sichts des Schußwaffengebrauchs an den Grenzen zu 
West-Berlin jeder Protest und jeder Appell sich selbst 
richtet und nur noch politische Heuchelei ist. 
(Allgemeiner Beifall.) 
Das mag im Augenblick nach dieser Seite hin genügen. 
Ich möchte aber trotzdem richtig verstanden werden: 
Wir werfen nicht und ich werfe nicht all die Argumente 
und all die Zweifel in einen Topf. Ganz im Gegenteil: 
Gerade weil wir die Meinungen, die zu diesem Gesetz 
entwurf vorgebracht wurden, ernstgenommen haben und 
ernstnehmen, geht es mir jetzt vielmehr und nochmals 
um einige andere Klarstellungen. 
Manche fragen, ob wir dieses Gesetz überhaupt brau 
chen.— Ich sage: Ja, wir brauchen es. Für einen Rechts 
staat ist die gesetzliche Basis für alle seine Handlungen 
notwendig. Wir tun nichts anderes, als eine längst ge 
übte Praxis zu kodifizieren. Es geschieht nichts Neues 
außer der Tatsache der Gesetzesbildung selbst. Über 
dies holen wir mit diesem Gesetz nur nach, was im Bund 
und was in anderen Bundesländern seit langem vor 
handen ist. 
Und, meine Damen und Herren, es ist so, daß die 
Schutzmächte die Ablösung des zur Zeit geltenden Be 
satzungsrechts durch ein deutsches Gesetz erwarten. 
Und im Hinblick auf eine Bemerkung in der Debatte 
möchte ich hier noch einmal klarstellen — so schwierig 
es ist, über diese Frage eine öffentliche Erörterung zu 
führen —, daß wir in Zusammenarbeit mit den drei 
Schutzmächten klar unterscheiden zwischen einerseits 
den allgemeinen Polizeiaufgaben, andererseits den Aus 
nahmesituationen im Innern und drittens dem inneren 
und äußeren Notstand, d. h. dem Notstand an sich. Für 
den letzteren ist auch weiterhin klar die Zuständigkeit 
bei den drei Schutzmächten gewährleistet. Für die bei 
den anderen Fragen sind wir heute dabei, uns eine 
Rechtsbasis nach deutsche^ Gesetz zu schaffen. 
Ich darf an dieser Stelle den drei Mächten unseren 
Dank dafür aussprechen, daß sie es möglich gemacht 
haben, daß wir, das Parlament dieses Teils der Stadt, 
das Abgeordnetenhaus von Berlin, dieses Gesetz heute 
schaffen können. 
Dieses Gesetz hat etwas zum Gegenstand, was sehr 
ernstzunehmen ist. Sein Inhalt hat in der Tat nichts 
mit Routine zu tun, es ist ein Gesetz von den Gesetzen, 
die unabhängig von Parteistandpunkten, unabhängig 
also auch von der jeweiligen Opposition und jeweiligen 
Regierung die Staats- und Gesellschaftsordnung grund 
sätzlich berühren. Sein Kern ist der Schutz des einzel 
nen Bürgers. 
In diesem Gesetz geht es darum, daß die Bürger ge 
schützt werden und daß diejenigen, die diesen Schutz 
übernehmen, also die Polizeibeamten, ebenfalls ge 
schützt werden sollen. Derjenige, der andere schützt, 
hat das gleiche Recht auf Schutz wie diejenigen, zu 
deren Schutz er da ist. Wir schaffen also die Grundlage 
dafür, daß unsere Polizei, streng orientiert allein an 
einem Gesetz, eingebaut und eingeordnet in unsere Ver 
fassung, die Möglichkeit erhält, die Verbrechen zu be 
kämpfen, die bekämpft werden müssen, und dafür zu 
sorgen, daß dieser freiheitliche Staat erhalten bleibt. 
Wer anderes vermutet, vermutet Falsches. 
Der Gebrauch von Schußwaffen ist in dem. Gesetz so 
präzisiert — und das heißt vor allem; so begrenzt und 
eingeengt —, wie es einem Rechtsstaat entspricht. Der 
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel gilt wie 
bisher. Dem Prinzip der Androhung, der wiederholten 
Androhung des Schußwaffengebrauchs kommt die 
größte Bedeutung zu. Dies ist, der Wichtigkeit entspre 
chend, ausführlich und fundamental erörtert worden. 
Und lassen Sie mich zuletzt noch dies sagen: Für 
dieses Gesetz steht der gesamte Senat ein. Es ist also 
falsch und geht völlig daneben, wenn einige in unserer 
Stadt ihre Abneigung dagegen auf die Person eines 
Senatsmitglieds projizieren. Die Versuche, den zustän 
digen Senator als ein Mitglied des Senats darzustellen, 
das der demokratischen Kontrolle entzogen ist oder ent 
zogen werden soll, haben nichts mehr mit der Sache zu 
tun. Es ist überhaupt keine Frage, daß die Polizei d.e 
Zuständigkeit kennen muß und daß der Senator für 
Inneres die Verantwortung trägt. Daß diese Zuständig 
keit besonders verantwortungsvoll ist, das ist, wie icn 
meine, unbestritten; es gibt bequemere Zuständigkeiten 
in Berlin. Aber bei wem sonst sollten die Entscheidungs 
befugnisse liegen, wenn nicht bei dem Senatsmitglieu, 
das gegenüber dem Parlament, aber selbstverständlich 
auch gegenüber dem gesamten Senat für die Polize* 
verantwortlich ist ? —
	        
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