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75. Sitzung vom ll. Juni 197Ö
Präsident Sickert
Ich rufe auf die Überschrift und die Einleitung des
Gesetzes im Wortlaut der Drucksache Nr. 805. Abstim
mung über die Überschrift und die Einleitung im Wort
laut der Drucksache Nr. 805. Bevor wir zur Schlußab
stimmung kommen, hat der Herr Regierende Bürger
meister um das Wort gebeten. Bitte Herr Regierender
Bürgermeister!
Schütz, Regierender Bürgermeister; Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Sach-
diskussion, die Erörterung über das Gesetz zur Anwen
dung des unmittelbaren Zwangs bei der Ausübung
öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Landes
Berlin, wurde heute hier geführt. Sie ist im zuständigen
Ausschuß geführt worden, sie ist in den Parteien, sie
ist in der Öffentlichkeit geführt worden. Mit diesem
Gesetz haben sich aber nicht nur die beschäftigt, die der
Verfassung nach mit der Gesetzgebung zu tun haben.
Es ist in der Öffentlichkeit sehr breit zum Gegenstand
lebhafter Diskussionen geworden, einer Öffentlichkeit,
die sehr unterschiedlich orientiert war und die in ihrem
Urteil auch sehr widersprüchlich reagiert hat. Das ist
verständlich. Und es ist im besonderen verständlich, daß
die Diskussion sich auf den Teil des Gesetzes konzen
trierte, der von dem Schußwaffengebrauch handelt und
von den besonderen Waffen.
Ich meine, die Fragen nach diesen Waffen werden zu
Recht gestellt. Daß sie gestellt werden und daß sie
gestellt werden können, das hängt selber mit unserer
Gesellschaftsordnung zusammen, um deren Zustand
und um deren Fortbestand es den Befürwortern und
Kritikern, wie ich hoffe, gleichermaßen geht. Denn
diese unsere Gesellschaftsordnung ist es, die der Demo
kratie und der Menschenwürde den höchsten Rang
zuspricht und die das Leben und die Unversehrbarkeit
des einzelnen Menschen in den Mittelpunkt ihrer Rang
ordnungen stellt.
Damit mache ich schon deutlich, meine Damen und
Herren, daß ich mich nicht an die wende, denen das
UZwG nur ein willkommener Anlaß ist, sich wieder
einmal auf unsere Gesellschaftsordnung insgesamt zu
stürzen. Das sind die, die auf das Gesetz einschlagen
und in Wirklichkeit unsere gesamte Gesellschaftsord
nung meinen. Denen kann ich nur sagen; wenn dieser
Staat und wenn diese Stadt von der Art wären, wie sie
uns vormachen und glauben machen wollen, dann wür
den wir über das Gesetz über die Anwendung unmittel
baren Zwangs bei der Ausübung öffentlicher Gewalt
überhaupt nicht diskutieren. Dann wäre es völlig un
nötig, darüber nachzudenken, wie wir durch gesetzliche
Maßnahmen klare Kompetenzen finden in dem Ge
brauch und in der Anwendung von Waffen, und wie wir
es unmöglich machen, daß Waffen, welcher Art auch
immer, außerhalb des Gesetzes und unangemessen ge
genüber den Situationen angewendet werden.
Ein Wort füge ich ganz bewußt hinzu: Wir haben die
Meinung derer, die sich gegen dieses Gesetz ausge
sprochen haben und wir haben ihren Protest und wir
haben ihre Appelle ernst genommen und sie in unsere
Überlegungen voll einbezogen. Nur; es geht in diesen
Tagen auch darum, wie glaubwürdig Proteste und
Appelle dieser Art sind. Wer sich hier etwa zusammen
getan hat mit der kommunistischen SED, sei sie aus
West-Berlin, sei sie aus Ost-Berlin, der muß sich sagen
lassen und dem sagen wir es auch, daß angesichts der
Zwangsmaßnahmen der Behörden Ostberlins und ange
sichts des Schußwaffengebrauchs an den Grenzen zu
West-Berlin jeder Protest und jeder Appell sich selbst
richtet und nur noch politische Heuchelei ist.
(Allgemeiner Beifall.)
Das mag im Augenblick nach dieser Seite hin genügen.
Ich möchte aber trotzdem richtig verstanden werden:
Wir werfen nicht und ich werfe nicht all die Argumente
und all die Zweifel in einen Topf. Ganz im Gegenteil:
Gerade weil wir die Meinungen, die zu diesem Gesetz
entwurf vorgebracht wurden, ernstgenommen haben und
ernstnehmen, geht es mir jetzt vielmehr und nochmals
um einige andere Klarstellungen.
Manche fragen, ob wir dieses Gesetz überhaupt brau
chen.— Ich sage: Ja, wir brauchen es. Für einen Rechts
staat ist die gesetzliche Basis für alle seine Handlungen
notwendig. Wir tun nichts anderes, als eine längst ge
übte Praxis zu kodifizieren. Es geschieht nichts Neues
außer der Tatsache der Gesetzesbildung selbst. Über
dies holen wir mit diesem Gesetz nur nach, was im Bund
und was in anderen Bundesländern seit langem vor
handen ist.
Und, meine Damen und Herren, es ist so, daß die
Schutzmächte die Ablösung des zur Zeit geltenden Be
satzungsrechts durch ein deutsches Gesetz erwarten.
Und im Hinblick auf eine Bemerkung in der Debatte
möchte ich hier noch einmal klarstellen — so schwierig
es ist, über diese Frage eine öffentliche Erörterung zu
führen —, daß wir in Zusammenarbeit mit den drei
Schutzmächten klar unterscheiden zwischen einerseits
den allgemeinen Polizeiaufgaben, andererseits den Aus
nahmesituationen im Innern und drittens dem inneren
und äußeren Notstand, d. h. dem Notstand an sich. Für
den letzteren ist auch weiterhin klar die Zuständigkeit
bei den drei Schutzmächten gewährleistet. Für die bei
den anderen Fragen sind wir heute dabei, uns eine
Rechtsbasis nach deutsche^ Gesetz zu schaffen.
Ich darf an dieser Stelle den drei Mächten unseren
Dank dafür aussprechen, daß sie es möglich gemacht
haben, daß wir, das Parlament dieses Teils der Stadt,
das Abgeordnetenhaus von Berlin, dieses Gesetz heute
schaffen können.
Dieses Gesetz hat etwas zum Gegenstand, was sehr
ernstzunehmen ist. Sein Inhalt hat in der Tat nichts
mit Routine zu tun, es ist ein Gesetz von den Gesetzen,
die unabhängig von Parteistandpunkten, unabhängig
also auch von der jeweiligen Opposition und jeweiligen
Regierung die Staats- und Gesellschaftsordnung grund
sätzlich berühren. Sein Kern ist der Schutz des einzel
nen Bürgers.
In diesem Gesetz geht es darum, daß die Bürger ge
schützt werden und daß diejenigen, die diesen Schutz
übernehmen, also die Polizeibeamten, ebenfalls ge
schützt werden sollen. Derjenige, der andere schützt,
hat das gleiche Recht auf Schutz wie diejenigen, zu
deren Schutz er da ist. Wir schaffen also die Grundlage
dafür, daß unsere Polizei, streng orientiert allein an
einem Gesetz, eingebaut und eingeordnet in unsere Ver
fassung, die Möglichkeit erhält, die Verbrechen zu be
kämpfen, die bekämpft werden müssen, und dafür zu
sorgen, daß dieser freiheitliche Staat erhalten bleibt.
Wer anderes vermutet, vermutet Falsches.
Der Gebrauch von Schußwaffen ist in dem. Gesetz so
präzisiert — und das heißt vor allem; so begrenzt und
eingeengt —, wie es einem Rechtsstaat entspricht. Der
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel gilt wie
bisher. Dem Prinzip der Androhung, der wiederholten
Androhung des Schußwaffengebrauchs kommt die
größte Bedeutung zu. Dies ist, der Wichtigkeit entspre
chend, ausführlich und fundamental erörtert worden.
Und lassen Sie mich zuletzt noch dies sagen: Für
dieses Gesetz steht der gesamte Senat ein. Es ist also
falsch und geht völlig daneben, wenn einige in unserer
Stadt ihre Abneigung dagegen auf die Person eines
Senatsmitglieds projizieren. Die Versuche, den zustän
digen Senator als ein Mitglied des Senats darzustellen,
das der demokratischen Kontrolle entzogen ist oder ent
zogen werden soll, haben nichts mehr mit der Sache zu
tun. Es ist überhaupt keine Frage, daß die Polizei d.e
Zuständigkeit kennen muß und daß der Senator für
Inneres die Verantwortung trägt. Daß diese Zuständig
keit besonders verantwortungsvoll ist, das ist, wie icn
meine, unbestritten; es gibt bequemere Zuständigkeiten
in Berlin. Aber bei wem sonst sollten die Entscheidungs
befugnisse liegen, wenn nicht bei dem Senatsmitglieu,
das gegenüber dem Parlament, aber selbstverständlich
auch gegenüber dem gesamten Senat für die Polize*
verantwortlich ist ? —