74. Sitzung vom 4. Juni 1970
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Lummer
gen. Einige konkrete Vorgänge auf unseren Straßen
waren der Tropfen, der das Faß zum überlaufen
brachte.
Sie, Herr Regierender Bürgermeister, haben im
November 1967 gesagt, ob der Senat Erfolg habe, das
entscheide sich auch auf den Straßen unserer Stadt.
Und Sie haben gesagt;
Die Ereignisse des Sommers 1967 werden sich nicht
wiederholen.
Sie haben sich wiederholt. Wieder und wieder. Und Sie
selbst haben gesagt, was sich an jenem Sonnabend im
Mai ereignete, der hinter uns liegt, gehöre zum
Schlimmsten. Ich will das alles hier nicht ausweiten,
weil es den Berlinern — und sicherlich Ihnen auch —
noch zu sehr im Bewußtsein ist.
Sie, Herr Regierender Bürgermeister, haben auf
Ihrem Parteitag ein böses Wort gesprochen. Sie haben
gesagt:
Wären Sie den Empfehlungen der CDU gefolgt,
dann gäbe es heute weder Ruhe noch Ordnung.
Wenn wir im Mai nach Ihren eigenen Worten vom
Schlimmsten einiges erlebt haben, dann hätte es mit
den Empfehlungen der CDU ja wohl kaum schlimmer
kommen können. Aber welche Empfehlungen meinen
Sie denn überhaupt, Herr Regierender Bürgermeister?
Normalerweise geht Ihnen doch die Behauptung so
leicht über die Lippen, die CDU habe überhaupt keine
Empfehlungen gegeben und keine Vorschläge gemacht.
Aber an Ihre Widersprüche haben wir uns gewöhnt.
Und die dadurch verbreitete Unsicherheit ist ein Teil
dessen, weshalb wir Ihnen mißtrauen.
In der Tat hat die CDU Empfehlungen gegeben.
Glauben Sie z. B., die im Dezember 1968 vorgeschlagene
Änderung des Allgemeinen Zuständigkeitsgesetzes, die
den Senat verpflichtet hätte, in den Universitäten eine
stärkere Aufsicht auszuüben, hätte uns deshalb mehr
Unordnung gebracht ?
Glauben Sie weiter, daß eine Aufschiebung der
Amnestierung bis zur Verabschiedung eines neuen
Demonstrationsrechtes — wie wir es vorgeschlagen
haben — zusätzliche Unordnung gebracht hätte ?
Vielmehr ist es doch so: Die vorzeitige Ankündigung
und Vorwegnahme der Amnestie führte dazu, daß die
Straftäter vom 9. Mai nun zum großen Teil nicht be
straft werden können. Sind Sie etwa der Meinung, eine
Beschleunigung der Verfahren gegen Demonstrations
täter — wie wir es im Februar 1968 vorgeschlagen
haben — hätte mehr Unruhe gebracht ?
Glauben Sie wirklich, das disziplinarische Vorgehen
gegen Beamte, die die Freiheit von Forschung und
Lehre für antidemokratische Propaganda mißbrauchen,
hätte uns dem Chaos nähergebracht? Und glauben Sie,
die Unruhe und die Auseinandersetzungen am 23. Mai
wären größer geworden, wenn Sie unserem Vorschlag
gefolgt wären, von vornherein auszuschließen, daß die
1 u zu einer Zufluchtsstätte der Demonstranten wird ?
V7as soll denn Ihr ständiges Gerede, die Universitäten
stehlen keinen rechtsfreien Raum dar, wenn Sie es
nimer wieder zulassen, daß in den Universitäten Dut-
enae von Veranstaltungen stattfinden, in denen zu
ewalt aufgefordert wird und konkrete Anweisung bis
1 Her stellung von Sprengmitteln erfolgt? Sie haben
zugelassen, daß Anweisungen existieren, denen
tt o!® 6 ‘Ü 6 Polizei nicht unverzüglich in der Freien
niversität für die notwendige Sicherheit sorgen
1| ™• Eine solche Anweisung war rechtswidrig. Gott
1 Dank gibt es sie nicht mehr.
am uf nic i 1 t der zuständige Senatsdirektor zugegeben
im 1 p i- en Wochenende in der „Berliner Stimme“, daß
erste r ' ner stra f v ollzug der zweite Schritt vor dem
n Setan worden sei? Die Verunsicherung der Voll
zugsbeamten kam nicht von ungefähr. Und schon vor
dem Baader-Skandal gab es erfolgreiche Ausbrüche aus
Berliner Gefängnissen. An Erfahrungen mangelt es
nicht, es mangelt an Einsicht! Lassen Sie es nicht immer
wieder geschehen, daß Institute besetzt werden, ohne
die dadurch eintretende Einschränkung der Funk
tionsfähigkeit der Universität zu beseitigen 7
Begreifen Sie nicht, daß Intoleranz und Indoktrina
tion der Gegner unserer Demokratie zum Fortgang
vieler Hochschullehrer führen? Und sehen Sie nicht,
daß durch Ihr Verhalten die Ausbildungs- und Berufs
chancen vieler junger Menschen schuldhaft gefährdet
werden ?
Sie haben inzwischen selbst erkannt, daß die Sorge
um die Freiheit von Forschung und Lehre in einigen
Bereichen der Universität begründet ist. So haben Sie
es auf dem Parteitag Ihrer Partei gesagt. Das ist eine
mehr als bescheidene Erkenntnis. Bedroht ist die Frei
heit im ganzen Hochschulbereich. In einigen Bereichen
gibt es sie bereits nicht mehr, meine Damen und
Herren!
Haben Sie nicht erkannt, daß diese Vorgänge in einem
ursächlichen Zusammenhang mit Ihrer Politik stehen?
Fällt Ihnen nicht auf, daß sich die Universität gerade
wegen des neuen Universitätsgesetzes und nach seiner
Verabschiedung auf dem Weg der Indoktrination und
der Ideologisierung der Wissenschaften befindet ?
Sehen Sie nicht, daß diese Universität den Weg in
eine Atmosphäre der Unfreiheit antritt, die sich mit
dem Geist der Wissenschaft schlechterdings nicht ver
einbaren läßt? Was aber ist Ihre Politik in diesem
Bereich? Sie schleichen sich aus der Verantwortung.
Und deshalb mißtrauen wir Ihnen.
(Beifall bei der CDU.)
Sie haben geglaubt, es genüge, wenn man die Univer
sität sich selbst überlasse, dann werde der Konflikt von
den Straßen verschwinden. Und so schien es zunächst
auch. Aber nachdem in der Universität ein Machtwechsel
stattgefunden hat, lebt er verstärkt und gefährlicher
wieder auf. Offensichtlich haben Sie immer noch nicht
begriffen, daß hier Kräfte am Werk sind, für die die
Eroberung der Universität nur den ersten Schritt auf
einem revolutionären Weg gegen die Demokratie als
Ganzes darstellt.
Diese Legislaturperiode ist im Gegensatz zu früheren
.durch eine Auseinandersetzung mit einer unruhigen
Jugend und einer militanten außerparlamentarischen
Opposition gekennzeichnet. Und daran hat sich bis
heute nichts geändert.
Bereits im Dezember 1965 — eineinhalb Jahre, bevor
die Namen Dutschke, Ohnesorg oder Teufel traurige
Berühmtheit erlangten und ehe es einen Republika
nischen Club, Kommunen oder ein Bürgerkomitee
gab —, damals schon sprach unsere Fraktion im Ple
num des Abgeordnetenhauses die Besorgnis darüber
aus, daß es an einer Reihe von Stellen des geistigen
Lebens in Berlin eine Art Verdrossenheit, eine Art
Fremdheit, ja eine Art Feindseligkeit im Verhältnis zur
Bundesrepublik gebe.
Eine derartige Entwicklung sei schlechthin gefähr
lich für Berlin. So sagten wir. Die völlige Fehleinschät
zung der Ursachen und Entwicklungen durch den Senat
wurde schon damals durch die Antwort des Senators
Stein deutlich, der behauptete, der Unmut der Jugend
richte sich lediglich gegen die bestehende Bundesregie
rung. Die war in der Tat damals von der CDU geführt.
Diese, durch eine parteipolitische Interessenbasis be
gründete Blindheit gegenüber den Vorgängen hat sich
dann fortgesetzt bis zu jenem Zweckoptimismus, der
sich angesichts einer fast funktionsunfähigen Juri
stischen Fakultät zu der Behauptung verstieg;
Der Vorlesungsbetrieb an der Juristischen Fakultät
läuft nahezu normal.