72. Sitzung vom G. Mai 1970
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Boehm
Ich möchte nur erwähnen, daß die Mobilisierung des
Arbeitskräftepotentials in Berlin noch weiter ausgebaut
werden sollte, als dies sicher in Ansätzen heute schon
versucht wird. Es gibt Einrichtungen wie „Job" — von
der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung angeregt —,
die aber in Berlin noch viel zu wenig — unserer Mei
nung nach — in Erscheinung treten und deren Arbeit
in ganz anderer Weise gefördert werden sollte, und
zwar nicht nur im Hinblick darauf, beispielsweise Haus
frauen in Halbtags-Beschäftigungen zu bringen, sondern
vielmehr oder in eben dem gleichen Maße noch ältere
Mitbürger, die sich im Ruhestand befinden, zu zusätz
licher Arbeit anzuregen, vor allem auch zu Gelegen
heitsarbeiten. Es gibt private Institute in dieser Stadt,
die im Volksmund „Sklavenhändler“ genannt werden,
die übrigens unter recht bedenklichen Methoden, näm
lich der Bemessung eigener Gewinnspannen, hier Ge
legenheitsarbeiten vermitteln an solche Unternehmen,
die in Notlage im Arbeitskräfteeinsatz sind. Hier in
unkonventioneller Weise in der Stadt durch Einrichtung
von solchen Vermittlungsbüros zu arbeiten, sollte die
zuständige Senatsverwaltung der zuständigen Behörde
als stärkere Anregung geben. Dabei soll erwähnt wer
den, daß wir auf einem Gebiet, das zwar der Bundes
gesetzgebung unterliegt, nämlich dem Einsatz der Rent-
nerinnen, die die Rente vom 60. Lebensjahr an in An
spruch nehmen, aus der besonderen Berliner Situation
heraus vielleicht ein wenig Nachdruck verschaffen und
dem Abbau bisher vorgefaßter Grundsätze, nun neben
diesem Rentenbezug nicht arbeiten zu dürfen, wenn
man über 60 ist; auf der Bundesebene mehr Geltung
zu verschaffen. Es geht nämlich nicht allein darum, daß
wir allein das sehen, was wir mit Maßnahmen in unse
rer Zuständigkeit erreichen können. Berlin hat auch
in der Verhandlung mit dem Bund gewisse Möglich
keiten und gewisse Ansprüche und außerdem auch über
den Bundesrat eine gewisse Rechtsposition, Änderungen
zu initiieren.
Erwähnen möchte ich an vorletzter Stelle das, was
im Bericht nicht besonders zum Ausdruck gekommen
ist, was aber in bemerkenswerter Deutlichkeit von der
Industrie- und Handelskammer ausgesprochen wurde
und was hier von der CDU-Fraktion schon vor zwei
und mehr Jahren besonders erwähnt worden ist: daß
wir bei allen Bemühungen, den Handel mit dem Osten
zu verstärken, die Situation des Osthandels keines
wegs überschätzen dürfen. Hier, Herr Senator Dr. König,
richtet sich unser Wort ganz besonders an Sie. Die
CDU-Fraktion hat einen Antrag eingebracht, der in
der nächsten Sitzung vorliegen wird, der Sie bittet, über
die Entwicklung der „Berlin Consult“ vor dem Haupt
ausschuß und erforderlichenfalls vor dem Ausschuß für
Wirtschaft Auskunft zu geben. Die Berlin Consult
GmbH ist gegründet worden unter einer SOprozentigen
Beteiligung des Landes Berlin mit erheblichen Zu
schüssen aus dem Haushalt 1968 und dann ausgewiesen
auch 1969 mit der Erklärung, daß man für Berlin, für
die Berliner Wirtschaft, den Export fördern wolle und
die Beratung für Absatzplanung, Einrichtungen von
Unternehmen in Deutschland wie im Ausland, insbe
sondere aber — und darauf wurde damals in der Be
gründung Wert gelegt — auch in den Entwicklungs
ländern den Namen Berlins einmal durch die Firma
selbst nach draußen tragen wolle als eines beratenden
Institutes, dann aber eben auch Aufträge für die Ber
liner Wirtschaft vermitteln wolle im Zusammenhang
roit dieser Beratung. Es ist richtig, daß in der Begrün
dung zu den Haushaltsberatungen in einem Satz von
vielen gesagt worden ist, es solle auch versucht werden,
sich in den innerdeutschen Handel bzw. in das Ost-
West-Geschäft einzuschalten. Das aber war die einzige
Erwähnung gegenüber breiten Darstellungen, daß die
Arbeit darin bestehe, Verbindungen zu nationalen und
mternationalen Entwicklungshilfebehörden aufzuneh
men, Bundesministerien, dem Bundesamt für gewerb-
iche Wirtschaft, zur Europäischen Entwicklungsstelle in
russel, zur Weltbank, zur UN-Wirtschaftskommission
ur Lateinamerika und Afrika und ähnlichem mehr,
m ln dieser Richtung tätig zu sein. Es ist unzweifel
haft der Haushaltszuschuß für diese Einrichtung damals
gegeben worden unter dieser Blickrichtung. Sie selbst,
Herr Senator, haben in einem Ausschuß von sich aus
einmal berichtet, daß die Entwicklung sich verkehrt
habe in den ursprünglichen Vorstellungen und daß man
viel mehr in das Ostgeschäft gekommen sei — zwar
nicht nach der Anzahl der Geschäfte, aber nach dem
Umfang —, als dies für die Entwicklungshilfe und ähn
liches der Fall sei. Nun ist dagegen von vornherein
noch nichts zu sagen. Wenn aber unsere Recherchen
ergeben haben — Andeutungen darüber haben wir sogar
im „Spiegel“ gefunden in der letzten Woche, oder sogar
schon sehr weitgehende Berichte —, daß diese Gesell
schaft lediglich dazu benutzt worden ist in einem Fall
z. B., der uns bekannt geworden ist, nur als Kredit
vermittler letzten Endes tätig zu werden, indem der
eigentliche anvisierte Auftragnehmer der DDR, d. h.
eine schwedische Firma, bar Kasse verlangt hat
(Senator Dr. König: Haben Sie etwas gegen
schwedische Firmen ?)
— Augenblick, Herr Senator, wir sprechen uns gleich
noch weiter —, bar Kasse verlangt hat und man nur
über die Berlin Consult den Trick gefunden hat, dieses
Geschäft zu kreditieren, und — und diese Frage wird
noch besonders zu untersuchen sein — wenn das Ge
rücht geht, daß dieser Kredit nun auch noch verbürgt
worden sein soll aus unserem Bürgschaftsprogramm,
der Auftrag aber tatsächlich nach wie vor an Schweden
gegangen ist und nicht an die Berliner Wirtschaft,
dann scheinen uns das Methoden zu sein, die sehr
bedenklich sind. Und, wie gesagt, wir werden diese
Frage noch im Ausschuß im einzelnen zu untersuchen
haben, wir werden dazu unsere konkreten Fragen zu
stellen haben. Wie sich die Sache im Augenblick dar
stellt, würde sie eine Entfremdung des Gesetzes sein,
das zur Bürgschaft für Kredite für die Berliner Wirt
schaft geschaffen worden ist.
Der Fall wird deshalb erwähnt, Herr Senator Dr.
König, weil er im Zusammenhang steht mit Äußerun
gen, die Sie auch in letzter Zeit noch immer wieder
holen und übrigens ja auch in einem anderen Aus
schuß uns gesagt haben, man wolle Atmosphäre schaf
fen im Osthandelsgeschäft, man müsse auch einmal
Gefälligkeiten erweisen, und das alles gibt uns den
Eindruck, daß Sie über das Atmosphäre-Schaffen nicht
hinauskommen und gerade das tun, was Ihnen auch
von den Kammern vorgehalten wird, d. h. von den
Selbstverwaltungsorganen der Berliner Wirtschaft,
nämlich in dem Osthandelsgeschäft und in der Ost-
Wirtschaftspolitik — so will ich es genauer sagen —
eine gewisse Traumtänzerei zu begehen.
Wichtig ist — das darf ich abschließend sagen — für
die wirtschaftliche Entwicklung unserer Stadt, daß wir
hier eine ruhige Entwicklung haben, daß die Wirtschaft
wie die gesamte Bevölkerung Vertrauen in die politische
Führung hat, daß der Senat verzichtet auf alle ver
wirrenden Äußerungen, die sich zwischen Ost und
West bewegen, und daß wir auch verzichten auf die
Verfolgung von Traumzielen, wie Sie sie selbst einmal,
Herr Dr. König, genannt haben: Berlin zur Drehscheibe
zwischen Ost und West zu machen. Für die Entwick
lung der Berliner Wirtschaft ist es notwendig, daß wir
auch in diesen Dingen klare Fronten haben. — Ich
däiikc
(Beifall bei der CDU.)
Stellv. Präsident Lorenz: Das Wort hat der Abgeord
nete Jannicke.
Jannicke (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Namens der sozialdemokratischen Fraktion
dieses Hauses freue ich mich, erklären zu können, daß
wir den 8. Bericht über die Lage der Berliner Wirtschaft
als außerordentlich informativ betrachten und daß er
eine deutliche Tendenz der Verbesserung, der Weiter
entwicklung der Qualität früherer Berichte erkennen
läßt.