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So ging es namentlich der jüngsten Schwer
ster, Emilie. In ihrem Herzen tobte bereits die
Leidenschaft, oder vielmehr die Todsünde des
Neides, die Eifersucht. Sie urtheilte plötzlich
ganz anders von ihrer sonst braven und sanft
ten Schwester; sie sah in ihr das einzige Hin
derniß in der Erreichung ihrer heißesten Wünsche,
denn sie traute auch dem jungen Offizier so
viel Edelmuth und Charakter zu, daß er bei
einer Wahl zwischen ihr und ihrer Schwester
Susanne den Vorzug geben würde. Diese
Selbstbekenntnisse machten sie höchst unglücklich
und brachten sie endlich zu einem verzweifelten
Entschlüsse, wie ihn leidenschaftliche und schwache
Personen zuletzt zu fassen pflegen. Die Unglück
liche fing an, ihre brave Schwester zu hassen und
zu fürchten, und sie beschloß, durch alle mög
lichen Mittel die Befriedigung ihrer Leidenschaften
zu erstreben.
Herr Berg endlich, der grade, einfache
Rentier und Politiker, der zärtliche Vater und
sorgsame Erzieher seiner Kinder, ahnete keines
wegs die tobenden Elemente, welche die Herzen
seiner Töchter entflammten. Weil der Name des
jungen Offiziers bisher nicht über die Lippen
seiner Kinder gekommen war, hielt er die Ju
gend für eben so ruhig und überlegt, wie das
Alter. Eine andere Ansicht, als die eines klu
gen und gerechten Hausvaters und eines be
dächtigen Kaufmannes ging über seinen Hori
zont; cs stand vielmehr bei ihm fest, seine äl
teste Tochter zuerst zu verheirathcn, und nur
die Befürchtung gewann Raum bei ihm, daß
ein so würdiger Eidam wie der Eugen Werner
oder vielmehr der glanzende Offizier, seine Nei
gung auf eine andere Familie übertraget, könnte,
und er nahm sich daher vor, seinen Neffen bei
der nächsten schicklichen Gelegenheit in Ver
suchung zu führen, und ihm Anlaß zu einer
Erklärung zu geben.
Eugen Werner hingegen, der vergötterte
Lieutenant, war klug wie ein Mensch und spe
kulativ wie ein Kaufmann von Fach. Nachdem
er sich in diese Familie eingeführt, halte auch
sein Scharfblick sogleich erkannt, mit welchen
Charakteren er es hier zu thun habe, und wel
chen Vortheil er daraus ziehen könne. Er war
mit sich selbst bis auf die Wahl der Person
einig, und diese war allerdings für ihn etwas
schwierig, denn zu der Einen der Töchter zog
ihn mehr die Sinnlichkeit, zu der andern der
sanftere Charakter, welcher leichter zu hinter
gehen war, hin. Seine Vermögensverhältnisse
waren durch Spiel, Schwelgerei und Luxus
gänzlich ruinirk, und seine Schulden waren be
reits zu einer beträchtlichen Höhe angeschwol
len. Gleichwohl wünschte er, noch fortzuleben,
so daß er eigentlich nichts weiter suchte, als
Geld, und dieses sollte ihm eine reiche Heirath
bringen.
Den Abend dieses Tages verbrachte die
Familie sehr einsilbig, Jeder mit sich selbst be
schäftigt, und als endlich der Rentier sein
Schlafzimmer aussuchte, folgten die beiden Töch
ter alsbald seinem Beispiele. Als sich die bei
den Schwestern trennten, welche bisher in so
angenehmer Zärtlichkeit mit einander gelebt und
sich nun heut so schroff gegenüber zu stehen
glaubten, indem Eine der Andern mißtraute,
umarmte Susanne in einer Aufwallung von
unendlicher Wehmuth ihre Schwester, deren
Augen sich unwillkürlich mit Thränen füllten.
Beide liebte», Beide fürchteten und Beide waren
gleich unglücklich. —
Man begreift, daß in dieser Nacht der
Traumgott ein bald beunruhigendes, bald be
glückendes Bild. vor den geistigen Augen der
Schwestern aufrollte, in welchem der Lieutenant
der Hauptgegenstand.."war. So war es auch
bei dem Lieutenant,^-welcher aus seiner Jugend
zeit die Vermuthüng mitbrachte, daß aus deit
etwas feisten Gespielinnen seiner Kindheit zwei
derbe, hausbackene.Jungfrauen von sehr zwei
felhafter Schönheit erblüht sein möchten, nun
plötzlich zu seiner Ueberraschung zwei angenehm
gestaltete, wohlerzogene und reizende Mädchen
fand, zu welchen selbst ein Offizier höheren
Ranges aufzublicken wagen durfte. — Beim
Erwachen der' vier Personen unserer Erzählung
war denn auch der erste Gedanke eines Jeden
auf den Andern gerichtet, und mit Ungeduld
erwarteten die Schwestern und Herr Berg die
Ankunft des Herrn Werner. Dieser erschien auch
endlich, eben so liebenswürdig als gestern, und
eben so ruhig und ungezwungen im Aeußern
ließ er sich bereden, den Mittagstisch mit der
Familie ju theilen und die Speise» durch seine
gute Laune zu würzen. Nichts verrieth bei
Eugen Werner, was in seinem Innern vor
ging, und auch die Schwestern verstanden sich
so gut zu beherrschen, daß sie die größte Gleich
gültigkeit heuchelten, während ihr Inneres ei»
sehr aufgeregtes Bild ahnen ließ.
(Fortsetzung folgt.)