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Volume Nr. 4. April

Full text: Berliner Omnibus (Public Domain) Issue2.1848 (Public Domain)

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Berichte aus Berlin. 
— Am Nachmittage deS 18. März, nachdem sich 
die Barricadcnkämptcr mit Waffen aus dem Königs- 
städlischen Theater versehen, stürmte ein großer Haute 
nach einem Hause auf dem Atcrandcrplatz, welches 
die berühmte Intelligenz des <9. Jahrhunderts sehr 
in Frage stellt. Es war das Gchuldgcsängniß, 
welches sich zuerst der zu erkämpfenden Freiheit er 
schloß. Wir sahen die Gefangenen mit glücklichen Ge 
sichtern aus dem schauerlichen Gebäude stürzen, wir 
sahen einige nach den Waffen greifen, die ihnen cnt- 
gegenglänzten, um die lange Schmach der Gefangen 
schaft und Unthätizkcit abzustreifen, und im Kampfe 
für die Freiheit ihre Dankbarkeit zu bethätigen. Unter 
den Befreiten befand sich auch ein junger Mann, ein 
Dr. R., der sofort sich hinter einer Barricade pcr- 
schanzte und aus seiner Büchse Kugel auf Kugel in 
die Königsstraße sandte. Eine halbe Stunde darauf 
siel er selbst, ein Opfer der Freiheit, deren Morgen 
roth ihm kurze Zeit nur gelacht. — Wir knüpfen 
hieran die Bemerkung, wie es sich nunmehr mit un 
serer politischen Freiheit nicht mehr verträgt, wenn 
wir noch ein Schuldgcfängniß dulden. Mit dem 
alten Systeme falle auch dieses barbarische Ueber- 
bleibsel des Mittelalters! Einen Grund mehr für Ab 
schaffung dieser Menschcnqual-Anstall finden wir auch 
in folgender Thatsache: Zwei hiesige Jugendfreunde 
erzürnten sich vor einigen Jahren durch die Intrigue 
eines imfamen Jesuiten, der sich in das Bertrauen 
Beider einzuschleichcn gewußt hatte, um nachher desto 
sicherer seinen Vorthctt durch de» Sturz des Einen 
der beiden Freunde wahrzunehmen. Der Eine der 
Freunde, ein Kaufmann, gericth in Schulden, und 
unter seinen Gläubigern befindet sich auch ein sehr 
harter und böshcrziger Mann. Diesen sucht sich der 
ändere ehemalige Jugendfreund, auf Anrathe» des 
Jesuiten, auf, um sich durch Pcrsonalarrcst an 
ihm zu rächen, indem er dem Gläubiger die 
Gebühren bezahlt, welche zu einer Haft von Mo 
naten und, wie er sagte, für ein ganzes Jahr, er 
forderlich sind. Der Streich gelang, und der Kauf 
mann war mehrere Monate lang aus Rache der Ge 
fangene eines elenden Heuchlers. '* 
— Die jüngsten Ereignisse in Berlin beschäftigen 
noch immer die Tagespresse in hunderterlei verschie 
denen Formen und drängen alle andern Fragen in 
den Hintergrund. Die freie Presse, deren Entfesselung 
wir cntgegenjauchzen, wird ihre Ausgabe würdig und 
mit Ernst und Sicherheit zu lösen wissen und die 
politische und sociale Fortentwickelung des gesanim- 
ten deutschen Vaterlandes zu einer schönen und kräf 
tigen Vollendung entgegenführen. Leider müssen wir 
es gestehen, daß die unselige Furcht vor der Frei- 
gcbung der Presse einen großen Theil des vergossenen 
Bürgerblules auf dem Gewissen hat, und daß die 
falschen Rathgebcr der Machthaber weder vor dem 
weltlichen, noch vor dem ewigen Richter die dadurch 
herbeigeführten Scenen des Brudermordes .werden 
verantworten können. Sicherlich hätte eine freie 
Presse unsere'sociale und politische Fortentwickelung 
zu einer unblutigen, befriedigenden Lösung gebracht. 
— Specieller betrachtet, hat das hiesige Gouverne 
ment eine schwere Verantwortlichkeit auf sich genom 
men, indem es, von dem Gespenste Furcht irre ge 
leitet, lange vor dem Ausbruche der Berliner Revo 
lution eine Erbitterung zwischen Militair und Bür 
gern dadurch aussäele, daß es die Soldaten vierzehn 
Tage lang unter dem Gewehr und im Sattel hielt, 
und durch diese und andere Vorkehrungen den gute» 
Geist der Eintracht zwischen Volk und Fürsten ent 
fernte. — Eine Fortsetzung dieser Zwietracht glauben 
wir in der Verheimlichung der Milikair-Todten und 
in deren heimlichem Begräbniß zu erblicken, während 
die Bürger ihre Todten speciell namhaft machten. Es 
ist crwic>en, daß mehr denn 4UÜ Soldaten im Kampfe 
für die falschen Rathgcber unsers Königs den Tod 
der Pflicht starben, und doch hat man hier nur ist 
Soldaten auf dem Invaliden - Kirchhofe begraben. 
Warum diese Heimlichkeit, diese Täuschung? Es ist 
durchaus nothwendig, daß von beiden Seiten die 
Todten und Verwundeten genau ermittelt und nam 
haft angegeben werden; dies erfordert nicht allein 
die Achtung vor der Nation, sondern auch die Welt 
geschichte, welche das Richterschwert über den Sieg, 
über Ursache und Wirkung der Wiedergeburt Deutsch 
lands zu führen hat. ** 
— Nachdem wieder Militair auch ohne Bolks- 
beschluß und ohne Garantie in unser freies Berlin 
eingerückt ist, bleibt cs uns nur übrig, mitzutheilen, 
auf welche Weise die Veranlasser dieser Maßregel die 
Verantwortlichkeit derselben auf sich zu nehmen und 
zu tragen gedenken. Das Militair ist bis zur Ver 
eidigung auf die Constitution überall dem Commando 
der Bürgerwehr insofern untergeordnet, als es bei 
etwaigen Tumulten nur auf ausdrücklichen Befehl 
des Bürgerwehrcommandeurs einschreite» darf. Außer 
dem bleiben die Schlösser und Thore von der Bür- 
gcrwchr allein besetzt; die Wachen imJnnernder 
Stadt, das Arbeitshaus, die Stadlvoigtei und die 
Hausvvigtei werden allein von Soldaten und die 
übrigen Wachen halb von Bürgern, halb von Sol 
daten besetzt, auf welchen letzteren der Bürgerführer 
das Commando hat. »* 
Anzeige. 
Beiträge, Wünsche und Beschwerden, welche begründet werben können, und durch 
unsern „Omnibus" zurOeffentlichkeit gelangen sollen, nehmen wir gern auf und bitten Der 
artiges franco an die Redaction, Tempelhofersiraße No. 11., gelangen zu lassen. 
Verlag von C. E. Braune in Berlin. Haupt-Erpedltlon: Roßstr. 8.— Druck von Brand es üc Sch ul tz e, Roßstr.8.
	        
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