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— Und wenn der Verdacht auf Dich fal
len sollte?
— So hat der Schlüssel zufällig in der
Thüre gesteckt, antwortete Julie lächelnd.
Es klopfte mehrercmal; erst leise, und dann
etwas stärker. Julie fuhr erschrocken zusammen,
drängte Fürst in seine Haft zurück und bat
ihn, sich so lange ruhig zu verhalten, bis der
Besuch sich entfernt haben werde.
Es war die verwittwete Krebs, die ganz
erschöpft in's Zimmer trat.
— Verzeihen Sie, gnädiges Fräulein, meine
Dreistigkeit. Gönnen Sie einer rechlschaffcnc»
Frau ein ruhiges Plätzchen zum Sterben.
— Sie erschrecken mich, liebe Frau, was
ist Ihne»? Sprechen Sie frei, wenn cs in
meiner Macht steht, Ihnen zu helfen, so sollen
Sie mich jeder Zeit bereit finden.
— O, Sie Engel an Güte und Milde!
Ich will von Ihrer Güte Gebrauch machen.
Was mir fehlt? Alles; ich werde sterben. Und
wie werde ich sterben? Miserabel. Denken
Sie sich, gnädiges Fräulein, ich sitze da drüben
in meinem Geschäft, im Krebs vormals Fisch,
das sich des beste» Rufes erfreut, denke in
meiner Unschuld an meinen Karl, den ich seit
zehn Jahren heute zum erstenmal wieder ge
sprochen, und weiß sonst von nichts Bösem,
da kommen mit Eins Soldaten und Gensd'ar-
men, und arrelircn mir meine besten Kunde».
Gut, denke ich, die haben was eingebrockt und
müssen's nun ausessen, was geht's Dich an?
Allein es sollte auch milch angehen. Denken
Sie sich, gnädiges Fräulein, sie haben mir
meinen Schreibsekretair versiegelt.
— Und das ohne alle Ursache?
— Rein vor umsonst, mein gnädiges
Fräulein. So wahr ich Krebs, vormals Fisch
heiße, rein vor umsonst. Ich will sterben,
wenn ich was Anderes weiß.
— Ja, aber liebes Madamchen, was kann
ich dabei thun?
— Das sollen Sie sogleich hören, liebes,
gnädiges Fräulein. Unter den Sergeanten war
einer, den ich trotz seiner Verkleidung und Ver
stellung, sogleich erkannte, und wie ich ihn
genau auf's Korn nehme, war er's wirklich.
— Wer?
heiße, cs war Ihr und mein Karlos. Ich
wollte ihn ailreden, allein die Andern verwehr
ten es mir. Wenn Sie mirs nun erlauben,
so will ich ihn hier spreche». Ich habe ihn
eben »ach Hause gehen sehen.
— Ich sollte mich eigentlich in Dienst
sachen nicht mischen, allein ich will für Sie
und Ihre Liebe schon ein klebriges thun, will
Ihren Karlos rufen lassen, nur bitte ich Sie,
mich in keinerlei Gefahr zu bringen.
— Ich weiß von nichts, und Sie wissen
auch von nichts, gnädiges Fräulein, und Gott,
der Alles weiß, wird Ihnen diese Liebe ver
gelten.
Julie ließ ihren Bedienten »ach diesem
Zimmer bescheiden. Dieser kam sogleich, und
war nicht wenig verlegen die Krebs vorzu
finden; er schwieg.
— Bist Du cs wirklich, Barbar? Ist
Dein Herz so entartet und verstcint, daß Du
an Deiner Caroline so grausam handeln konntest?
— Dienstpflicht kennt keine Schonung, ent-
gcgncte Karl.
— Warum bin ich versiegelt worden?
— Das ist mein Berliner Geheimniß.
— Höre Karl, ich bitte Dich, sage mir
nur noch daö Eine: Hast Du noch daS Pet-
schier, womit Du meinen Sckretair versiegelt
hast, noch bei Dir?
— Ich weiß nicht.
— Ich beschwöre Dich bei unserer Liebe,
sage „ja!"
— Und wenn ich „ja" sagte?
— So beschwöre ich Dich bei unserer Zu
kunft, das Pult geschwind wieder zu öffne».
— Geht nicht, geht nicht; Dienstpflicht
kennt keine Schonung.
— Sich mich hier zu Deinen Füßen; ich
habe noch nie vor einem Manne gekniet; im
Gegentheil — aber es schadet nichts, ich lhu's
und beschwöre Dich, das Pult zu öffnen. Ich
will bloß ein Papier herausnehme», und dann
kannst Du es wieder zusiegeln, wen» es so
sei» muß.
— Diese Gefälligkeit will ich Dir nicht
geradezu abschlagen, wenn ich erst weiß, was
das fragliche Schreiben enthält?
— Gut, mein Karlos, vor Dir habe ich
keine Geheimnisse.
(Fortsetzung folgt.)
Mein Karlos, Ihr Bedienter.
Micht-mMchl
So wahr ich Krebs, vormals Fisch