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35) Der deutsche Michel und die Reue?
Beide kommen in Fällen, wo sie etwas
Gutes Wen wollen, gewöhnlich zu spät.
36) Die hohen Verwandtschaften und die
Maitressen?
Sie verhelfen zu Aemtern, denen man
nicht gewachsen.
(Schluß folgt,)
Das Gelöbniß.
Historisch - humoristisch-politische Novelle
von
vr. A. W. L. Scheel.
Einleitung.
In einem Wiegensessel sich hin und her
schaukelnd, eine Zeitung in der Hand — wir
glauben, es war die weltberühmte Tante
Boß — saß gegen Ende des Monats Juni
1818 ein Mann in einem Gartensalon, von
wo aus man einen großen Theil des angren
zenden Gartens durch die bis an den Fußbo-
den reichenden Glasfenster übersehen konnte.
Sein umfangreicher Bauch, der aus dem
geöffneten Sammetschlasrock hervorzuquellen
schien, sein starker, kurzer Speckhals und sein
breites vierkantiges Gesicht bekundeten zur
Genüge, daß er, für die Zeit wenigstens, nichts
von einer Hungersnoth verspüre.
Bei aller seiner körperlichen Plumpheit
und Unbeholfenheit, konnte man es den Ge
sichtszügen nicht absprechen, daß sie noch die
Spuren früherer männlicher Schönheit bekun
deten, und die auf dem Haupte sitzende, runde,
mit Gold gestickte Sammetmütze, unter der ei
nige dunkelblonde, mit Silberhärchen ver
mischte Locken hervorsahen, gaben ihm das
Ansehen jüngerer Jahre, als er in der That
zählte. Ein kleiner Schnurrbart, den er öfter
mit der Pfeifenspitze wohlgefällig strich, schien
eine schwache Seite seiner Koketterie zu sein.
Die schwarzen, feurigen Augen, umgeben von
zwei Linien starken Braunen, blickten bald
auf das Zeitungspapier, bald auf einen im
Garten beschäftigten Mann.
Dem Schaukeln seines Wiegensessels war
man es im Stande abzumerken, wenn der
dicke Herr entweder einen unangenehmen Ar
tikel in der Zeitung, gefunden, oder wenn der
Gärtner die Unzufriedenheit erregte. Alsdann
flogen auch in schnell hintereinander ansge
stoßenen Hauchen die Dampfwolken des Ta
backs über seine gewölbten Lippen, und ein
tiefer Seufzer beschloß das Intermezzo, wo
nach die Zeitung wieder fortgelesen wurde.
Die ganze Haltung des Mannes, die
reine Wäsche,, fast an allen Körpertheilen sicht
bar, ja hauptsächlich die mit Gold gestickten
und von Silberband durchwirkten Pantoffeln
ließen auf einen wohlhabenden oder vorneh
men Herrn schließen.
Und das war er auch. Denn wir sehen
in der beschriebenen Person den Grafen Geier
auf Geiersdorf.
Nach den historischen Nachrichten besaß
die Familie Geier schon vor dreihundert Jah
ren das Stammschloß Geiersdorf, welches
später, nachdem das Faustrecht überwältigt
worden, in ein Majorat übergegangen war.
Denn Einer der hohen Ahnen des gegenwär
tigen Besitzers war schon bei Luthers Lebzei
ten zu Felde gezogen gegen den berüchtigten
Bauernaufwiegler Kohlhaase. Also war es
eine altadlige Familie; nur ist nicht genau
anzugeben, seit wann dieselbe in den Grasen
stand erhoben.
Ueberhaupt findet man in den Familien
annalen mehrere Helden dieses alten Hauses.
Auch unser Graf war kein Feigling, er
hatte den deutschen Freiheitskrieg gegen die
Franzosen in den Jahren 1813 bis 1815 mit
gemacht und im Jahre 1816 als Rittmeister
und Ritter des eisernen Kreuzes den Abschied
genommen, um im Schoße seiner Familie von
den Mühseligkeiten des Krieges auszuruhen.
Seit dem Jahre 1810 war er mit einer
jungen Dame verheirathet, die zwar nur aus
einer gewöhnlichen Adelsfamilie stammte, de
ren etwas schiefe Schulter auf der eingedrück
ten Seite aber von Hochdero reichem Vater
mit anderthalb hundert tausend Thalern aus
geglichen worden, weshalb ihm auch sein in
Gott ruhender, gräflicher Vater zu dieser Ehe
gerathen hatte, um einem Deficit in dem Nach
lasse abzuhelfen.
(Fortsetzung folgt.)