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löhnertochter besser unterrichten und derselben eine
ihrem Geiste angemessenere Erziehung geben zu las
se». Zu welchem Zwecke er für sich dieses wün
sche, war ihm nicht klar; daß eine sich ausbildende
Liebe diesen Wunsch rege mache, davon ahnte der
die Symptome dieser Seelenkrankheit noch nicht ken
nende Jüngling nichts; nur daß er es müsse, sagte
ihm eine innere Stimme. Die schlechte Jahreszeit
batte ein Begegnen lange verhindert, da traf es
sich, daß Ferdinand, wie aus dem ersten Kapitel
hervorgeht, die Wandernde in seine» Wagen nahm
und Abends von seinem Kutscher ein Beurelchen
mit einigen Franken, das derselbe im Wagen ge
funden, erhielt. Theils um diesen Fund der recht
mäßigen Eigenthümerin einzuhändigen, theils um
den frischgefallenen Schnee zu einer Jagdparlhie
zu benutzen, hatte Ferdinand seinen Jäger mit dem
Frühesten des andern Tages zu sich entboten und
wanderte mit diesem, der Pfade kundig, an dem
nur durch den Schnee erhellten Wintermorgen in
den Wald hinein. Schon war man eine Stunde
unterweges und wollte eben eine zu der Wohnung
des alten Thomas führende Schlucht hinunterstei
gen, als auS derselben ein wiederholtes Stöhnen
heraufscholl und man in der Ferne etwas Lebendi
ges inmitten des kahlen Gestrüppes sich bewegen
sah. Ferdinand war der Erste, der sich dem Ge
genstände genaht, der anbrechende Wintertag zeigte
ihm die Umrisse einer weiblichen Gestalt und nicht
wenig erschrak er, als er seine Babelte am Kopfe
blutend in seine Arme aufnehmen, mußte. Da der
Schreck beim Falle, indem die Ärmste den Berg
hinaufklimmen gewollt, hier das größte Übel gewe
sen, so klärte es sich bald auf, daß Babelte von
dem in der Nacht vernommenen Gespräch ihrer El
tern für die Bewohner des Edelhvfes besorgt ge
worden und diese Besorgniß sie vermocht habe,
zum Frühesten, unter dem Vorwände, das gestern
verlorne Geld auf dem Wege zu suchen, den durch
das Wetter der Nacht mühsam zu ersteigenden
Berg passircn zu wollen, um so früher das Schick
sal des Edelhofes zu wissen und zeitiger wie
der zu Hause zu sein. Hatte Ferdinand mit Freu
de die besondere Theilnahme dcS Mädchens vernom
men, so war Babetten nicht minder die Beruhi
gung ob des gesund vor ihr stehenden Junkers
aus den freudestrahlenden blauen Augen zu lesen.
Die kleine unbedeutende Kopfwunde wußte Ferdi
nand so geschickt mit dem blendend weißen Schnee
zu säubern und sie nächstdem mit seinem Taschen
tuche zu verbinden, daß kein Aesculap daran zu
tadeln haben dürfte; er gedachte eines ähnlichen
Dienstes, der ihm im Sommer von der vor ihm
stehenden Patientin erwiesen, entledigte sich, das auf
gefundene Geld überreichend, seines Vornehmens
und wäre gern der Begleiter bis zur Hütte des
Thomas gewesen, wenn Babelte es erlaubt hätte.
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Mehre Tage waren verflossen, unheimlich sah
es um die Wohnung des alten ThomaS auS, das
plötzlich eingefallene Thauwetter hatte die Steg«
überschwemmt und die alten kahlen Bäume sahen
trübe aus die vielen sich gebildeten Schneebäche.
Alles war in der kleinen Stube beschäftigt; Tho
mas schärfte sein Beil, die Alte ließ daS Rädchen
schnurren und Babette, die von ihrer Kopfwunde
keine Spur mehr zeigte, nestelte an einem Häub
chen und hörte geduldig die Vorwürfe an, die auS
dem Munde der Mutter ob des seit einiger Zeit
träumerischen Wesens glitten.
Ein Geknurre, dann ein Bellen des alten Phi
lar veranlaßte Thomas, durchs Fenster zu schauen.
Potz Velten! da hält ja der Wagen der Ba
ronin, und wenn ich nicht irre, so will die rechte
Hand derselben, die alte Maintenon, uns einen
Besuch machen, doch komme ich der alten Eule
nicht zu Hülfe, so würde es lange währen, ebe sie
bei uns einflöge. — Er ging hin und kaum hatte
Babette ein wenig AlleS im Zimmer zurechtgestellt,
so trat Frau Maintenon ein, nahm, ehe fie ihre
korpulente Figur von den vielen Tüchern befreite,
eine stärkende Prise und warf sich dann auf einen
Sessel, um sich zu sammeln. ■*- Ist das ein Wetter!
begann fie nach einer Pause; nun komm einmal her,
mein Töchterchen I Sieh, Dir zu Liebe habe ich mich
-aufgemacht und von Euch Allen wird es abhängen,
ob ich mich vergebens bemüht. Meine gnädige
Herrin will Eure Tochter zu sich nehmen, sie in
allen geistigen und weiblichen Beschäftigungen un
terrichten lassen und sich durch das junge Ding
eine Lücke ausfüllen, die bereits seit diesem Mor
gen durch die Abreise unseres lieben Ferdinands
eingetreten. Um Euch Alten die Dienstleistungen, die
Ihr von dem Mädchen habt, zu entschädigen, sollt
Ihr monatlich zwölf Franken beziehen und nun
sagt, ist es Euch genehm, schon heute den Tausch
gelten zu lassen und die schmucke Dirne meiner
unmittelbaren Führung zu übergeben? — Mit freu
digem Erstaunen hatten die Bethciligten die Rede
vernommen, gerührt ob der Güte der Baronin,
öffnete die Mutter vie Kiste, um ihr Bäble mit
dem Sonntagsputze zu behängen und noch ehe der
kurze Nachmittag verronnen, legten segnend die Al
ten die Hände auf die schluchzende Tochter und ge
leiteten sie zum harrenden Wagen. Befangen von
der Plötzlichen Veränderung ihres Schicksals, währte
es mehre Tage, bevor Babette ihrer klaren Begriffe
Meisterin werden konnte, doch verrieth sie vom er
sten Augenblicke an, daß ihre Unterrichtsstunden
bei einem auf dem Schlosse Pension beziehenden
biedern Geistlichen begonnen, eine besondere Lern
begierde und ihre bescheidenen, von einem natürli
chen feinen Takt ausgehenden Manieren gewannen
ihr die Liebe der Baronin, ja sogar die der nicht