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kamen zwischen uns und ich wurde von meinem
Freunde zurückgehalten, welcher mich einer Bekannt
schaft vorstelle» wollte, die sich uns eben näherte.
Sobald ich frei werden konnte, eilte ich auf den Kirch
hof und sah meine schöne Nachbarin auf einen klei
nen Pony steigen. Kaum batte mein Auge sie er
blickt, als sie ihre Peitsche aus der Hand auf die Erde
falle» ließ und indem sie den Sattel verlassen wollte,
um die Peitsche wieder aufzuheben, wurde ihr Kleid
verschoben und ich sah einen der schönsten Füße, wel
chen je eine Frau auf den Steigbügel gesetzt hat.
Sie stand beinahe eine Minute und schien den Zweck
ihres Absteigenö vergessen zu haben.. Ich hob daher
die Peitsche auf und überreichte ihr selbige, mich ver
beugend. Ich bot ihr meine Dienste an, ihr beim
Aufsteigen zu helfen. Sie nahm mein Erbieten mit
einer hochgeröthetcn Wange an. Ihr Fuß, den ich
beinahe umspannen konnte, stand auf meiner Hand
und ihre Hand ruhte aus meiner Schulter, mit einem
Sprunge war sie auf ihrem Sitze und fort; mich er
staunt an dem Orte stehen lassend. Ich fühlte, ich
weiß nicht was. Ich hatte mein ganzes Leben lang
in London gelebt und manche schöne Frau gesehen,
aber da war eine Frische in dieser ländlichen Schön
heit, welche einen neuen Geist in mir erweckte. Schwei
gend ging ich nach dem Wirthshause, speisete zum
Mittag, kaum ein Wort mit meinem Freunde spre
chend, welcher die Ursache meiner Zerstreutheit ver
muthete und sich damit unterhielt, mich darüber zu
necken. Abends war wiederum Gottesdienst in der
Kirche; ich ging dahin und in denselben Kirchstuhl;
aber anstatt meiner schöne» Nachbarin von heute
Morgen saß ein handfester Pächter neben mir. Der
Geistliche war »och nicht auf die Kanzel gestiegen,
als ich versuchte, ein Gespräch mit meinem Nachbar
anzufangen. Ich fragte ihn, ob ihm der Kirchstuhl
zugehöre. N
„Ja, Sir!" sagte er.
Als ich weiter fragte, ob ich ihn auch nicht störe,
wenn ich mit darin sei, erwiederte er:
„Nein, Sir!"
Ich sagte nun, daß ich seiner Tochter sehr ver
pflichtet sei, welche mir am Morgen gütig erlaubt
habe, in den Kirchstuhl einzutreten. Er antwortete:
„Ich habe keine Tochter, Sir!"
Ich bat um Verzeihung, bemerkend, daß es viel
leicht seine Nichte oder eine weibliche Verwandte von
ihm gewesen sei.
„Ick habe keine Nichte, oder weibliche Ver
wandte, Sir!" sagte er.
Der Prediger stand nun auf der Kanzel und es
schickte sich nicht, weiter zu sprechen. Ich kehrte mein
Gesicht nach dem Eingänge der Kirche, aber die Kirch-
zeit verging, ohne daß die von mir Erwartete er
schien. vd ’s,] i.\f‘
Nach Beendigung deS Gottesdienstes kehrte ich
in das Wirthshaus zurück, und nachdem ich sehr
wenig zu Abend gegessen hatte, und auch das nur,
um meinem Freunde gefällig zu sein, welcher nicht
allein essen wollte, ging ich zu Bette, und träumte die
ganze Nacht von der Kirche und meiner schönen Mit-
bcterin. Den folgenden Tag stand ich sehr früh auf
und sah jedes, nur etwas gut aussehende Haus in
dem Dorfe an. Ich that Fragen nach dem Vor
nehmsten des Dorfes, aber Alles vergebens. Der
Wirth ist mein Mann, sagte ich zu mir selbst, und in
fünf Minuten war ich mit ihm in Unterhaltung.
Nach seiner Aussage war das schönste Mädchen in
Breading die Tochter deS Doktors. Nicht lange
darauf paradirte ich vor des Doktors Fenstern. Eins
von denselben war geschlossen. Das mußte die Stube
seiner Tochter sein und sie war »och nicht aufgestan
den. Wie ängstlich bewachte ich es. — Nach einer
halben Stunde öffnete sich der Laden etwas und ich
sah — eine Nachtmütze. — Wie ängstlich schlug mein
Herz. — Die Nachtmütze kam — verschwand
und kam wieder. Endlich wurde der Laden ganz
aufgemacht und da stand — eine schmutzige, dicke
Dienstmagd, mich grinsend anstarrend. Wie sollte
ich cS nun anfangen, deS Doktors Tochter zu sehen?
Ei» Gedanke durchkreuzte mein Gehirn. Ich ging
geradksweges auf die Thüre zu und klopfte. Die
Thüre wurde geöffnet durch die dicke Dienstmagd,
welche ich schon gesehen hatte. Als sie die Thüre
öffnete, machte sie mir einen kleinen Kim und lachte
mir ins Gesicht- —
„Ich will den Doktor sprechen" sagte ich. ,,Va
ter ist nicht zu Hause" antwortete die Schöne. Ich
stürzte fort, ohne von der Frage Notiz zu nehmen,
wann ich wieder kommen wolle. Aus-Verzweifelung
über die Enttäuschung aß ich ein tüchtiges Frühstück.
Mein Freund hatte Briefe erhalten und war den gan
ze» Tag beschäftiget, sie zu beantworten, worüber ich
sehr erfreut war, .denw ich verlangte keine Gesellschaft
außer meiner eigenen. Ich fragte, Wb man mir mein
Pony verschaffen könnte/ und in nicht weniger als
einer Viertelstunde stand ein solcher vor der Haus
thür für mich bereit. — Nachdem ich mich, nach dem
Wege nach Undcr-Cliff, dem schönsten Theile der In
sel — erkundiget hatte, ritt ich fort. Eine halbe
Stunde brachte mich an die Seeküstea Die Straße
führte an dem Füße einer Reihe von luftigen Berge»
entlang und wand sich durch feste Fragmente von
Felsen, besetzt mit Unterholz und geschmückt mit kleinen
Bäumen, welches Alles eine sehr hübsche Wirkung
und einen fortwährenden Wechsel hervorbrachte- — •
Die Schönheiten des WegeS schienen sich zu vergrö
ßern je weiter ich vorrückte. — Plötzlich stand eine
kleine Hütte vor mir — ein wahres Muster von Rein
lichkeit und Einfachheit, von einem kleinen Gehölz,
welches aus Weiden, Birken und Ulmen bestand.
Vielleicht war die Bewohnerin dieser Hütte daS schöne
Mädchen, neben dem ich.gestern gckniret hatte. Ich
spornte das kleine Thier, welches ich ritt, zu schnelle