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Volume No. 1

Full text: Berliner Omnibus (Public Domain) Issue1.1847 (Public Domain)

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kamen zwischen uns und ich wurde von meinem 
Freunde zurückgehalten, welcher mich einer Bekannt 
schaft vorstelle» wollte, die sich uns eben näherte. 
Sobald ich frei werden konnte, eilte ich auf den Kirch 
hof und sah meine schöne Nachbarin auf einen klei 
nen Pony steigen. Kaum batte mein Auge sie er 
blickt, als sie ihre Peitsche aus der Hand auf die Erde 
falle» ließ und indem sie den Sattel verlassen wollte, 
um die Peitsche wieder aufzuheben, wurde ihr Kleid 
verschoben und ich sah einen der schönsten Füße, wel 
chen je eine Frau auf den Steigbügel gesetzt hat. 
Sie stand beinahe eine Minute und schien den Zweck 
ihres Absteigenö vergessen zu haben.. Ich hob daher 
die Peitsche auf und überreichte ihr selbige, mich ver 
beugend. Ich bot ihr meine Dienste an, ihr beim 
Aufsteigen zu helfen. Sie nahm mein Erbieten mit 
einer hochgeröthetcn Wange an. Ihr Fuß, den ich 
beinahe umspannen konnte, stand auf meiner Hand 
und ihre Hand ruhte aus meiner Schulter, mit einem 
Sprunge war sie auf ihrem Sitze und fort; mich er 
staunt an dem Orte stehen lassend. Ich fühlte, ich 
weiß nicht was. Ich hatte mein ganzes Leben lang 
in London gelebt und manche schöne Frau gesehen, 
aber da war eine Frische in dieser ländlichen Schön 
heit, welche einen neuen Geist in mir erweckte. Schwei 
gend ging ich nach dem Wirthshause, speisete zum 
Mittag, kaum ein Wort mit meinem Freunde spre 
chend, welcher die Ursache meiner Zerstreutheit ver 
muthete und sich damit unterhielt, mich darüber zu 
necken. Abends war wiederum Gottesdienst in der 
Kirche; ich ging dahin und in denselben Kirchstuhl; 
aber anstatt meiner schöne» Nachbarin von heute 
Morgen saß ein handfester Pächter neben mir. Der 
Geistliche war »och nicht auf die Kanzel gestiegen, 
als ich versuchte, ein Gespräch mit meinem Nachbar 
anzufangen. Ich fragte ihn, ob ihm der Kirchstuhl 
zugehöre. N 
„Ja, Sir!" sagte er. 
Als ich weiter fragte, ob ich ihn auch nicht störe, 
wenn ich mit darin sei, erwiederte er: 
„Nein, Sir!" 
Ich sagte nun, daß ich seiner Tochter sehr ver 
pflichtet sei, welche mir am Morgen gütig erlaubt 
habe, in den Kirchstuhl einzutreten. Er antwortete: 
„Ich habe keine Tochter, Sir!" 
Ich bat um Verzeihung, bemerkend, daß es viel 
leicht seine Nichte oder eine weibliche Verwandte von 
ihm gewesen sei. 
„Ick habe keine Nichte, oder weibliche Ver 
wandte, Sir!" sagte er. 
Der Prediger stand nun auf der Kanzel und es 
schickte sich nicht, weiter zu sprechen. Ich kehrte mein 
Gesicht nach dem Eingänge der Kirche, aber die Kirch- 
zeit verging, ohne daß die von mir Erwartete er 
schien. vd ’s,] i.\f‘ 
Nach Beendigung deS Gottesdienstes kehrte ich 
in das Wirthshaus zurück, und nachdem ich sehr 
wenig zu Abend gegessen hatte, und auch das nur, 
um meinem Freunde gefällig zu sein, welcher nicht 
allein essen wollte, ging ich zu Bette, und träumte die 
ganze Nacht von der Kirche und meiner schönen Mit- 
bcterin. Den folgenden Tag stand ich sehr früh auf 
und sah jedes, nur etwas gut aussehende Haus in 
dem Dorfe an. Ich that Fragen nach dem Vor 
nehmsten des Dorfes, aber Alles vergebens. Der 
Wirth ist mein Mann, sagte ich zu mir selbst, und in 
fünf Minuten war ich mit ihm in Unterhaltung. 
Nach seiner Aussage war das schönste Mädchen in 
Breading die Tochter deS Doktors. Nicht lange 
darauf paradirte ich vor des Doktors Fenstern. Eins 
von denselben war geschlossen. Das mußte die Stube 
seiner Tochter sein und sie war »och nicht aufgestan 
den. Wie ängstlich bewachte ich es. — Nach einer 
halben Stunde öffnete sich der Laden etwas und ich 
sah — eine Nachtmütze. — Wie ängstlich schlug mein 
Herz. — Die Nachtmütze kam — verschwand 
und kam wieder. Endlich wurde der Laden ganz 
aufgemacht und da stand — eine schmutzige, dicke 
Dienstmagd, mich grinsend anstarrend. Wie sollte 
ich cS nun anfangen, deS Doktors Tochter zu sehen? 
Ei» Gedanke durchkreuzte mein Gehirn. Ich ging 
geradksweges auf die Thüre zu und klopfte. Die 
Thüre wurde geöffnet durch die dicke Dienstmagd, 
welche ich schon gesehen hatte. Als sie die Thüre 
öffnete, machte sie mir einen kleinen Kim und lachte 
mir ins Gesicht- — 
„Ich will den Doktor sprechen" sagte ich. ,,Va 
ter ist nicht zu Hause" antwortete die Schöne. Ich 
stürzte fort, ohne von der Frage Notiz zu nehmen, 
wann ich wieder kommen wolle. Aus-Verzweifelung 
über die Enttäuschung aß ich ein tüchtiges Frühstück. 
Mein Freund hatte Briefe erhalten und war den gan 
ze» Tag beschäftiget, sie zu beantworten, worüber ich 
sehr erfreut war, .denw ich verlangte keine Gesellschaft 
außer meiner eigenen. Ich fragte, Wb man mir mein 
Pony verschaffen könnte/ und in nicht weniger als 
einer Viertelstunde stand ein solcher vor der Haus 
thür für mich bereit. — Nachdem ich mich, nach dem 
Wege nach Undcr-Cliff, dem schönsten Theile der In 
sel — erkundiget hatte, ritt ich fort. Eine halbe 
Stunde brachte mich an die Seeküstea Die Straße 
führte an dem Füße einer Reihe von luftigen Berge» 
entlang und wand sich durch feste Fragmente von 
Felsen, besetzt mit Unterholz und geschmückt mit kleinen 
Bäumen, welches Alles eine sehr hübsche Wirkung 
und einen fortwährenden Wechsel hervorbrachte- — • 
Die Schönheiten des WegeS schienen sich zu vergrö 
ßern je weiter ich vorrückte. — Plötzlich stand eine 
kleine Hütte vor mir — ein wahres Muster von Rein 
lichkeit und Einfachheit, von einem kleinen Gehölz, 
welches aus Weiden, Birken und Ulmen bestand. 
Vielleicht war die Bewohnerin dieser Hütte daS schöne 
Mädchen, neben dem ich.gestern gckniret hatte. Ich 
spornte das kleine Thier, welches ich ritt, zu schnelle
	        
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