Sanierungsgebiet
Südliche Friedrichstadt
Sozialstudie zur Konkretisierung sozialer Sanierungsziele Abschlussbericht
Sozialstudie „Südliche Friedrichstadt“ 2013 – Abschlussbericht
Sanierungsgebiet
Südliche Friedrichstadt
Sozialstudie zur Konkretisierung sozialer Sanierungsziele Abschlussbericht
Auftraggeber: Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin Stadtentwicklungsamt Fachbereich Stadtplanung Yorckstraße 4-11, 10965 Berlin Auftragnehmer: ASUM Angewandte Sozialforschung und Urbanes Management GmbH Sonntagstraße 21, 10245 Berlin Bearbeitung: Kerima Bouali Dr. Regina Jäkel Werner Oehlert Benjamin Kulka Theresa Schlegel
Berlin, im September 2014
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1.
ANLASS UND ZIEL DER UNTERSUCHUNG ......................................................................... 5
1.1. Gebietsbeschreibung ............................................................................................... 5
2.
SOZIODEMOGRAFISCHE ENTWICKLUNGSTRENDS......................................................... 10
2.1. 2.2. 2.3. 2.4. Einwohnerentwicklung und Altersstruktur .................................................................... 11 Haushaltsgrößenstruktur ............................................................................................... 16 Erwerbslagen und berufliche Qualifikation.................................................................... 18 Einkommenssituation..................................................................................................... 20
3.
WOHNVERHÄLTNISSE..................................................................................................... 24
3.1. 3.2. 3.3. 3.4. Wohnungsgrößenstruktur.............................................................................................. 26 Wohnraumversorgung ................................................................................................... 26 Ausstattung der bewohnten Wohnungen...................................................................... 28 Mietpreisniveau und Mietbelastung.............................................................................. 29
4.
GEBIETSBINDUNG UND VERDRÄNGUNGSGEFÄHRDUNG.............................................. 34
4.1. 4.2. Gebietsbindung .............................................................................................................. 34 Verdrängungsgefährdung............................................................................................... 39
5.
QUALITÄTEN UND DEFIZITE DES GEBIETES AUS SICHT DER BEWOHNERSCHAFT.......... 41
5.1. 5.2. 5.3. 5.4. 5.5. Beurteilung des Wohnumfeldes nach ausgewählten Merkmalen der Infrastruktur ..... 43 Nutzung von sozialen, kulturellen und Bildungseinrichtungen...................................... 44 Defizite im öffentlichen Raum aus Sicht der BewohnerInnen ....................................... 45 Verkehrssituation ........................................................................................................... 46 Verkehrsbelastung ......................................................................................................... 47
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6. SOZIALE LAGE VERSCHIEDENER BEVÖLKERUNGSGRUPPEN UND IHRE GEBIETSBEWERTUNG ............................................................................................................... 48
6.1. 6.2. 6.3. 6.4. Haushalte mit Kindern.................................................................................................... 48 Einkommensärmere Haushalte...................................................................................... 53 Haushalte mit älteren Personen..................................................................................... 55 Teilräumliche soziale Differenzierungen (Tabellarische Übersicht)............................... 56
7. 8.
ÖFFENTLICHKEITSBETEILIGUNG AM SANIERUNGSPROZESS.......................................... 60 SOZIALE SANIERUNGSZIELE UND STEUERUNGSINSTRUMENTE .................................... 62
8.1. 8.2. Soziale Sanierungsziele................................................................................................... 63 Steuerungsinstrumente.................................................................................................. 68
9.
METHODISCHES VORGEHEN .......................................................................................... 72
9.1. 9.2. 9.3. 9.4. Sekundärstatistische Analyse ......................................................................................... 72 Haushaltsbefragung ....................................................................................................... 73 ExpertInneninterviews ................................................................................................... 75 Repräsentativität der Befragung .................................................................................... 76
10.
10.1.
ANLAGEN........................................................................................................................ 79
Stellungnahme des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin, Abteilung für Familie, Gesundheit und Personal; Planungs- und Koordinierungsstelle Gesundheit zum Zwischenbericht, Kapitel „Soziale Sanierungsziele“ Fragebogen
10.2.
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1. Anlass und Ziel der Untersuchung
Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin hat die ASUM GmbH beauftragt, eine Untersuchung durchzuführen. Mit dieser Untersuchung sollen gemäß Beauftragung die sozialen Sanierungsziele konkretisiert und die Steuerungsinstrumente zu ihrer Umsetzung benannt werden. Um dies zu erreichen, war die soziale Situation der Bewohnerschaft und deren Wohnverhältnisse zu erheben und zu analysieren, die Handlungserfordernisse aus Sicht der Bewohnerinnen und Bewohner zu ermitteln sowie auf Basis dieser Erkenntnisse soziale Zielsetzungen für den Sanierungsprozess abzuleiten. Der vorliegende Endbericht nimmt entsprechend der Aufgabenstellungen eine Analyse vor und vertieft die Ergebnisse und Schlussfolgerungen des im September 2013 vorgelegten Zwischenberichts. Für die Untersuchung wurde umfangreiches Datenmaterial sekundäranalytisch ausgewertet. Daten und Statistiken des Statistischen Landesamtes Berlin-Brandenburg, des Monitoring Soziale Stadtentwicklung der Berliner Senatsverwaltung sowie des Berliner Mikrozensus und weitere Quellen wurden herangezogen. Ferner wurden Interviews mit SchlüsselakteurInnen im Gebiet geführt. Die wesentlichen Datengrundlagen für die vorliegende Analyse wurden aus Ergebnissen der Bewohnerbefragung gewonnen, die von Mai bis Juli 2013 durchgeführt wurde und an der sich insgesamt 534 Haushalte beteiligt haben. Die Größe der Stichprobe gewährleistet den Schluss auf die Grundgesamtheit mit den üblichen Fehlertoleranzen sozialstatistischer Untersuchungen. Eine besondere Anforderung bei der Bewohnerbefragung ergab sich aus dem hohen Anteil von MigrantInnen an der Gebietsbevölkerung und daraus resultierenden Besonderheiten hinsichtlich Teilnahmeverhalten und -bereitschaft, Geschlechterspezifik und Erfordernissen der Sprachmittlung. Daher wurden, neben der schriftlichen Befragung, bei der alle Haushalte einen Fragebogen erhalten haben, Haushalte mit Migrationshintergrund per Zufallsauswahl auch direkt persönlich mit Hilfe von InterviewerInnen befragt. Detaillierte Erläuterungen zur Methodik werden in Kapitel „Methodisches Vorgehen“ gegeben. 1.1. Gebietsbeschreibung
Das Untersuchungsgebiet liegt im westlichen Teil des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg im Ortsteil Kreuzberg. Es wird im Norden durch die Hedemannstraße und die Besselstraße mit den nördlich angrenzenden Grünflächen sowie die Ritterstraße, im Osten durch die Alte Jacobstraße und Zossener Straße, im Süden durch die Baruther Straße und im Westen durch den Mehringdamm und die Stresemannstraße begrenzt (siehe Karte auf Seite 6). Das Untersuchungsgebiet umfasst 14 statistische Blöcke, die mit Ausnahme des Blocks 019 das Sanierungsgebiet „Südliche Friedrichstadt“ abbilden. Der Block 019 gehört zum Quartiersmanagementgebiet „Mehringplatz“, das sich bis auf diesen Block gänzlich im Sanierungsgebiet „Südliche Friedrichstraße“ befindet. Der Block 155 ist unbewohnt (Kirchhöfe/Friedhof). Das Sanierungsgebiet wurde per 12. Verordnung über die förmliche Festlegung von Sanierungsgebieten vom 31.3.2011 (GVBl. Nr.9 S. 90) zum Sanierungsgebiet gemäß §142 BauGB Absatz 4 erklärt. Damit wurde das vereinfachte Verfahren für die Festsetzung gewählt. Als Durchführungszeitraum für die Sanierung sind 10 Jahre vorgesehen. Die südliche Friedrichstadt, deren Stadtgrundriss und Bebauung aus dem 18. Jahrhundert durch mehrere baugeschichtliche Epochen und geschichtliche Zäsuren grundlegend verändert wurde, entwickelte sich ab dem 19. Jahrhundert im Zuge des rasanten Wachstums Berlins und durch die ReichsSeite 5 von 80
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gründung 1871 zu einem innerstädtischen Wohn- und Arbeitsort im Zentrum Berlins. Der II. Weltkrieg und die Folgen der deutschen Teilung stellen auch städtebaulich eine Zäsur dar. Abbildung 1: Blockübersicht
1945 ist die südliche Friedrichstadt fast vollständig zerstört und fällt mit dem Mauerbau 1961 in eine randständige Stadtlage. Der Wiederaufbau orientiert sich an der Leitidee der gegliederten und aufgelockerten Stadt und überformt weitgehend den historischen Stadtgrundriss des Areals rund um den Mehringplatz. Die Friedrichstraße, vor dem Krieg eine der wichtigsten Geschäftsstraßen der südlichen Friedrichstadt, wird durch die Überbauung am Mehringplatz zur Sackgasse. Die Straßenzüge Lindenstraße und Wilhelmstraße werden aufgrund verkehrsplanerischer Konzepte anders trassiert und vom Mehringplatz abgekoppelt. Zwischen 1967 und 1975 werden ca. 1.550 Wohnungen rund um den Mehringplatz und auf den angrenzenden Arealen an der Lindenstraße, Friedrichstraße und Wilhelmstraße als Großsiedlung erstellt. Mehr als zwei Drittel der Wohnungen sind Sozialbauwohnungen und im Eigentum der Neuen Heimat.
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In dem sechsgeschossigen Rondell befinden sich neben den Wohnungen auch rund 3.000 m² Gewerbefläche.1 Im Rahmen der Internationalen Bauausstellung 1984/1987 werden rund 350 Wohnungen im Untersuchungsgebiet östlich der Lindenstraße und westlich der Friedrichstraße neu gebaut und teilweise als Sozialer Wohnungsbau erstellt. Die Bebauung folgt im Gegensatz zur Nachkriegsbebauung dem neuen städtebaulichen Leitbild der „kritischen Rekonstruktion“ der historischen Stadtstruktur verbunden mit Grünflächen und Gemeinbedarfseinrichtungen. Abbildung 2: Baualtersklassen im Untersuchungsgebiet2
Nach 1990 entsteht nur vereinzelt Wohnungsneubau. Die heute vorhandene Wohnbebauung ist deshalb durch den Wohnungsbau der 60er/70er Jahre mit den Hochhäusern an der Linden- und Wilhelmstraße sowie durch die im Rahmen der Internationalen Bauausstellung in den 1980er Jahren erstellte Bebauung gekennzeichnet. Einen gründerzeitlichen Altbaubestand gibt es aufgrund der starken Kriegszerstörung nur auf relativ wenigen Grundstücken des Untersuchungsgebietes. Teilweise werden diese Gebäude gewerblich genutzt. Der dem Altbau zuzuordnende Wohnungsbestand konzentriert sich in den Blöcken 019, 601, 602 und 606.
1 2
Berliner Wohnquartiere; Berning, Braum, Daldrup 3.Auflage 2003, S. 190ff Quelle: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, FIS Broker
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Das Gebiet ist sehr gut an den öffentlichen Nahverkehr angeschlossen. Aufgrund seiner Zentrumsnähe besitzt das Untersuchungsgebiet eine wachsende Attraktivität sowohl als Wohnstandort als auch für gewerbliche Nutzungen wie das Beherbergungsgewerbe. Die Planungen für ein Kunst- und Kreativ-Quartier am ehemaligen Blumengroßmarkt unterstreichen, welche Potenziale das Gebiet auch für höherwertiges Wohnen bietet. Abbildung 3: Luftbild des Untersuchungsgebiets3
Innerhalb bzw. angrenzend an das Untersuchungsgebiet befinden sich eine Reihe von Kultur- und Bildungseinrichtungen mit überörtlicher Bedeutung und Relevanz für den Tourismus wie die Amerika-Gedenkbibliothek, das Jüdische Museum, die Berlinische Galerie oder die jüngst eröffnete Jüdische Akademie am ehemaligen Blumengroßmarkt und jüngst eingeweihten Fromet-MosesMendelssohn-Platz. Zusätzlich zu den öffentlichen Grünflächen, Parks, Spielplätzen und dem Mehringplatz gibt es größere private Grünflächen, die zur Wohnbebauung der 1960er/70er und der 80er Jahre gehören. Mehrere Gemeinbedarfseinrichtungen, darunter zwei Grundschulen und eine Jugendeinrichtung versorgen das Gebiet. Die Bewohnerschaft im Untersuchungsgebiet ist international zusammengesetzt. Der Anteil von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsen an der Gesamtbewohnerschaft ist überproportional hoch.
3
Quelle: Google maps
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Die soziale Problematik besteht in einer hohen Quote arbeitsloser Menschen im erwerbsfähigen Alter und von Menschen, die Transferleistungen beziehen. Die dadurch bedingte hohe Armutsquote betrifft überwiegend Menschen mit Migrationshintergrund und in besonderem Maße Kinder und Jugendliche. Das Monitoring Soziale Stadtentwicklung weist den Planungsraum 02010102 rund um den Mehringplatz als eines der Gebiete Berlins aus, die seit 2007 unverändert den niedrigsten Entwicklungsindex haben. Bemerkenswert ist, dass sich der Anteil von TransferleistungsbezieherInnen etwas stärker verringert hat als dies im Berlinvergleich erfolgte. Gleichwohl ist der Anteil aber dreimal so hoch wie im Berliner Durchschnitt. Seit 2005 ist das Gebiet rund um den Mehringplatz aufgrund der sozialräumlichen Problemlagen als Quartiersmanagementgebiet festgelegt. Abbildung 4: Gebietskarte mit Begrenzungen der Teilräume
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2. Soziodemografische Entwicklungstrends
Die demografische Entwicklung im Untersuchungsgebiet ist in den letzten sieben Jahren durch einen kontinuierlichen Anstieg der Einwohnerzahlen geprägt. Im Zeitraum zwischen 2000 und 2006 blieben die Einwohnerzahlen nahezu konstant. Da kaum neue Wohnungen entstanden sind, kann angenommen werden, dass der Bevölkerungszuwachs in der Zeit danach wesentlich auf die Vergrößerung von Haushalten sowie die Verringerung des Wohnungsleerstandes durch Zuzug zurückzuführen ist. Die Altersstruktur der BewohnerInnen des Untersuchungsgebietes (Sanierungsgebiet + Block 019) unterscheidet sich sowohl von der bezirklichen Situation als auch im Berliner Vergleich. Die Gebietsbevölkerung ist deutlich jünger als in der Gesamtstadt, aber auch im Vergleich zur Bevölkerung im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und zum Ortsteil Kreuzberg. Zwei Drittel der Bewohnerschaft sind nicht älter als 44 Jahre. Gleichzeitig ist die Altersstruktur deutlicher polarisiert als im Bezirk. Im Gebiet leben prozentual mehr Kinder und Jugendliche, aber auch mehr ältere Personen über 65 Jahren. Der für Berlin seit rund 10 Jahren zu beobachtende Trend, dass die Anzahl der Kinder und Jugendlichen bzw. der jungen Erwachsen unter 20 Jahren abnimmt, ist im Untersuchungsgebiet gegenläufig. Die Bewohnerschaft im Untersuchungsgebiet unterscheidet sich in zentralen sozialstrukturellen Merkmalen von der Situation in Berlin und im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Der Anteil von Personen unter 26 Jahren, von Haushalten mit Kindern, von einkommensarmen Haushalten und von erwachsenen Personen ohne einen beruflichen Abschluss ist überproportional hoch. Die soziale Situation ist nach Alter und sozialer Lage stärker polarisiert als im Bezirk. Der Anteil von Personen mit Migrationshintergrund ist mit zwei Dritteln aller BewohnerInnen überdurchschnittlich hoch und der dritthöchste in allen Berliner Planungsräumen. Haushalte mit Migrationshintergrund, die nicht aus der EU kommen, sind überproportional Haushalte, in denen Kinder leben und die von Einkommensarmut betroffen sind. Familien sind überproportional einkommensarm. Dagegen sind deutsche Haushalte und Haushalte mit EU-BürgerInnen vergleichsweise einkommensstärker und überwiegend Haushalte ohne Kinder. Die Haushaltsgrößenstruktur ist atypisch für Berlin und den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Sie ist durch Mehrpersonenhaushalte geprägt. Single-Haushalte sind nur gut ein Viertel aller Haushalte, während es in Berlin und Friedrichshain-Kreuzberg mehr als die Hälfte aller Haushalte sind. Der überproportional hohe Anteil von Familien mit Kindern korreliert mit dem Migrationshintergrund. Haushalte mit drei und mehr Personen machen mehr als ein Drittel aller Haushalte aus und haben damit einen Anteil an der Gebietsbewohnerschaft, der mehr als doppelt so hoch ist wie im Bezirk und in Berlin. Bemerkenswert ist der relativ hohe Anteil junger Erwachsener, die gemeinsam mit den Eltern in einem Haushalt wohnen. Insgesamt wohnen in 40% der Familien Kinder über 18 Jahren. Überproportional häufig sind diese Familien Bedarfsgemeinschaften nach ALG II, was vermutlich auf die im ALG II-Bezug gesetzten Rahmenbedingungen für die Übernahme der Wohnkosten zurückzuführen ist. Die Familienstruktur ist durch das traditionelle Familienmodell geprägt, der Anteil von Alleinerziehenden ist im Berliner Vergleich stark unterdurchschnittlich.
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Die soziale Lage der Bewohnerschaft ist heterogen, aber überproportional durch Haushalte in relativer Armut geprägt. Wesentliche Ursache hierfür ist der hohe Prozentsatz von Auszubildenden, Erwerbslosen, NichtErwerbstätigen und prekär Beschäftigten. Im Vergleich zum Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und zu Berlin ist die Erwerbsquote im Untersuchungsgebiet deshalb deutlich niedriger. Das Qualifikationsniveau der Bewohnerschaft ist breit gefächert, aber auch polarisiert. Bemerkenswert ist, dass ein großer Anteil erwachsener Personen ohne beruflichen Abschluss ist und überdurchschnittlich viele Personen über einen Fach- bzw. Hochschulabschluss verfügen. Die Einkommenssituation der im Untersuchungsgebiet Wohnenden ist deutlich ungünstiger als im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und in Berlin. Das Äquivalenzeinkommen liegt ein Fünftel unter dem von Berlin. Von der prekären Einkommenssituation sind mehrheitlich Haushalte mit Migrationshintergrund aus Nicht-EU-Ländern und insbesondere Familien betroffen. Im Vergleich zum Land Berlin ist der Anteil von Personen, die allein oder in einer Bedarfsgemeinschaft Arbeitslosengeld II beziehen, im Untersuchungsgebiet dreimal so hoch. Insgesamt bündeln sich im Untersuchungsgebiet soziale Problemlagen in besonders starkem Maß.
2.1.
Einwohnerentwicklung und Altersstruktur
Das Untersuchungsgebiet hat derzeit knapp 7.600 EinwohnerInnen. Im Jahr 2000 lebten hier 7.100 EinwohnerInnen. Die Zahl der EinwohnerInnen hat sich damit seit 2000 um rund 5% erhöht. Der Zuwachs erfolgte wesentlich ab 2006 und ist prozentual höher als vergleichsweise für Berlin, in der zeitlichen Dynamik aber ähnlich verlaufen. Teilräumlich war die Bevölkerungsentwicklung jedoch gegenläufig. Während rund um den Mehringplatz und im westlichen Teil des Untersuchungsgebietes ein deutlicher Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen ist, sind im nördlichen und östlichen Bereich des Untersuchungsgebietes Bevölkerungsverluste bzw. ein rückläufiger Trend zu beobachten. Abbildung 5: Einwohnerentwicklung im Untersuchungsgebiet „Südliche Friedrichstadt“ 2000 bis 2012
7.700 7.600 7.500 7.400 7.300
7.539 7.588
Einwohner
7.200
7.336 7.386
7.100
7.157 7.154 7.145 7.124 7.163
7.000 6.900 6.800 6.700
2000
2001
7.013
2002
7.060
2003
2004
2005
2006
2007
7.253
2008
2009
2010
7.489
2011
2012
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Abbildung 6:
Trends der Einwohnerentwicklung nach Blöcken
Die Blöcke unmittelbar um den Mehringplatz (615, 616, 626) herum sowie die nordöstlich gelegenen Blöcke 622 und 033, insbesondere aber der Block 036 direkt am Mehringplatz hatten Einwohnergewinne zu verzeichnen. Die Einwohnerzahl in den nördlich gelegenen Blöcken 601 und 606 ging dagegen zurück. Am stärksten fällt hierbei im Zeitraum seit 2000 der Block 601 mit einem Rückgang um ein Drittel bzw. knapp 200 Personen auf. Diese Verluste sind möglicherweise auf Umwidmungen von Wohnen in Gewerbe, u.a. Beherbergungsgewerbe, zurückzuführen. Der Block 036 hat dagegen nahezu 20% oder knapp 100 Einwohner mehr als im Jahr 2000. Betrachtet man nur den Zeitraum seit 2005, so zeigt sich im Block 601 eine wachsende Bewohnerzahl um rund 10%. In den letzten Jahren ist demnach eine leichte Trendumkehr zu verzeichnen, die jedoch die Verluste insgesamt bisher nicht ausgeglichen hat. In allen übrigen Blöcken sind in diesem Zeitraum ebenfalls Zugewinne zu verzeichnen. Lediglich der Block 606 im Norden hat auch in diesem Zeitraum deutlichere Verluste (-8%). Im Block 019 sind die Verluste nur marginal (-1%). Insgesamt war der Zeitraum zwischen 2000 und 2005 von stärkerer Bevölkerungsveränderung geprägt als der Zeitraum danach.
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Die Bewohnerschaft ist stark migrantisch geprägt, dies betrifft insbesondere die Gruppe der Kinder und Jugendlichen. Der Anteil von BewohnerInnen ohne deutsche Staatsangehörigkeit bzw. mit Migrationshintergrund beträgt rund zwei Drittel (68%). Bei Kindern unter 6 Jahren sind es rund 92%. Diese Situation unterscheidet sich deutlich vom Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg (35,9%) und auch von der im Ortsteil Kreuzberg (49,6%)4. Knapp 6 % aller EinwohnerInnen im Untersuchungsgebiet kommen aus EU-Staaten.5 Es sind mehrheitlich Haushalte ohne Kinder. Altersstruktur Die Alterszusammensetzung der Bewohnerschaft hat sich im Verlauf der letzten 10 Jahre wenig verändert. Dies betrifft insbesondere den relativ hohen Anteil von Kindern und Jugendlichen einerseits und den konstanten Anteil von Menschen im Rentenalter. Der Altersaufbau der Bevölkerung im Untersuchungsgebiet unterscheidet sich deutlich vom Bezirk und der Gesamtstadt. Die Bewohnerschaft ist überproportional jung. Im Gebiet leben mit rund 24% aller BewohnerInnen deutlich mehr Kinder und Jugendliche als im Ortsteil Kreuzberg mit 17%, im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg mit 15% und in Berlin mit 14%. Gleichzeitig wohnen mit rund 12% anteilig mehr ältere BewohnerInnen über 65 Jahre im Gebiet als im Ortsteil Kreuzberg (9%) und im Bezirk (10%). In Relation zu diesen beiden Altersgruppen ist der Anteil von Erwachsenen im mittleren Alter vergleichsweise gering. Der Altersdurchschnitt liegt bei 32,9 Jahren und ist damit deutlich niedriger als im Bezirk mit 37,3 Jahren und in Berlin mit 42,8 Jahren.6 Tabelle 1. Altersstruktur im Untersuchungsgebiet „Südliche Friedrichstadt“ im Vergleich
<6
7
% aller Personen (Alter) Untersuchungsbereich 2012 Ortsteil Kreuzberg 2012 Bezirk FHain-KBerg 2012 Berlin 2011
8
6-14
15-17
18-26
27-44
45-54
55-64
65 u. ä.
7,8% 6,3 % 6,2 % 5,1 %
12,4 % 7,9 % 6,5 % 6,8 %
3,5% 2,6 % 1,9 % 2,5 %
14,0 % 12,7 % 13,8 % 11,4 %
26,3% 36,2 % 39,9 % 27,0 %
13,8 % 15,8 % 13,8 % 15,2 %
9,7 % 9,4 % 8,0 % 12,4 %
12,5 % 9,2 % 9,9 % 19,7 %
Kinder und Jugendliche: 2012 lebten insgesamt 1.795 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren im Untersuchungsgebiet. Im Jahre 2000 waren es etwa 130 Kinder und Jugendliche weniger. Der Zuwachs beträgt 8 % gegenüber 2000 und erfolgte mit größerer Dynamik ab 2005. Demgegenüber ist in Berlin die Zahl der Kinder und Jugendlichen seit 2002 um 8% gesunken und steigt erst seit 2011 durch Wanderungsgewinne,9 vor allem von Kindern im Schulalter. Im Untersuchungsgebiet war die Entwicklung in 2011 und 2012 leicht gegenläufig dazu. Die Zahl der Kinder und Jugendlichen verringerte sich in diesen Jahren jeweils im Vergleich zum Vorjahr. Grund für die leicht sinkende Zahl von Kindern
4 5
Quelle: Monitoring Soziale Stadtentwicklung 2011, Tabellen 6.1. (Bezirke), 6.2. (Bezirksregionen, mit eigenen Berechnungen)
Quelle: Monitoring Soziale Stadtentwicklung 2011, Tabelle 8.2. für Ortsteil Kreuzberg 7,9% aller Einwohner (eigene Berechnungen), Planungsraum Mehringplatz 5,6%.
6 7 8 9
Quellen: Haushaltsbefragung, Statistisches Jahrbuch Berlin 2011 Quelle: Sonderauswertungen Amt für Statistik Berlin Brandenburg per 31.12.d.J., ebenso für Bezirk und seine Ortsteile Quelle: Mikrozensus 2011, Amt für Statistik Berlin Brandenburg IBB Wohnungsmarktbericht 2012
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und Jugendlichen unter 18 Jahren dürften Altersübergänge zur nächsten Altersgruppe und eine leicht verringerte Geburtenzahl sein. Im Hinblick auf die Bedarfe an Kita- und Grundschulplätzen ist die Entwicklung der Zahl jüngerer Kinder unter 6 Jahren und der Grundschulkinder aber als stabil zu bewerten. Im Jahr 2009 hatte die Zahl der Vorschulkinder mit 670 das Maximum erreicht und war um rund 24% höher als im Jahr 2001 (Minimum). Derzeit sind es knapp 600 Vorschulkinder. Junge Erwachsene: Die Zahl junger Erwachsener zwischen 18 und 26 Jahren hat sich seit 2004 kontinuierlich erhöht, nachdem sie in den Jahren zuvor stetig abnahm. Im Vergleich zu 2000 ist ihre Anzahl um rund 200 Personen gestiegen (+25%). Berlin verzeichnet in dieser Altersgruppe seit einigen Jahren die größten Wanderungsgewinne. Für das Untersuchungsgebiet ist aber festzustellen, dass der Zugewinn mit darauf zurückzuführen ist, dass die erwachsenen Kinder zum Einen in den Ursprungsfamilien bleiben und zum Anderen verstärkt im Familienzusammenhang zugezogen worden ist. Etwa die Hälfte dieser Personengruppe ist seit 2006 mit Angehörigen ins Gebiet gekommen. Mit 56% sind überdurchschnittlich viele dieser Familien Bedarfsgemeinschaften, die ALGII beziehen. Es ist zu vermuten, dass ein Grund dafür in den Bemessungsgrenzen für angemessenen Wohnraum bei ALGIIBezug liegt, da die Höhe der übernommenen Wohnkosten von der Haushaltsgröße abhängt. Abbildung 7: Entwicklung der Altersgruppe 18-26 Jahre
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Abbildung 8:
Entwicklung von Altersgruppen im Untersuchungsgebiet „Südliche Friedrichstadt“
2.500
2.000
Anzahl Personenl
1.500
1.000
500
0 0 bis 17 18 bis u 27
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 1.661 1.569 1.625 1.705 1.728 1.707 1.770 1.807 1.825 1.863 1.888 1.816 1.795 835 2072 782 2077 779 2075 761 2047 781 2007 794 1969 834 2012 899 2011 971 1960 997 1957 1033 2012 1061 1998
851 27 bis u 45 2150
Erwachsene: Anders als aufgrund des hohen Anteils von Familien mit Kindern zu erwarten, ist die Gruppe mittleren Alters zwischen 27 und 44 Jahren (26%) im Vergleich zum Bezirk (40 %) und zum Ortsteil Kreuzberg (36 %) deutlich unterrepräsentiert. Die Bevölkerungszuwächse im Untersuchungsgebiet sind auch anders als zum Beispiel in den gründerzeitlichen Quartieren Friedrichshains nicht auf Zugewinne in dieser Altersgruppe zurückzuführen. Ihr Anteil an der Bewohnerschaft hat sich sogar seit dem Jahr 2000 um 4% reduziert. Personen im Rentenalter: Die Zahl älterer Menschen im Rentenalter ab 65 Jahre ist um etwa 23% und absolut um rund 170 Personen seit 2000 gestiegen. Damit fallen die Bevölkerungszugewinne durch diese Gruppe ähnlich stark aus wie durch die Gruppe der jungen Erwachsenen (+25%). Diese Entwicklung unterscheidet sich ebenfalls deutlich von anderen innerstädtischen Gebieten, in denen sich die Zahl älterer BewohnerInnen zum Teil drastisch verringert hat. Im Untersuchungsgebiet gibt es dagegen einen hohen Anteil von Menschen, die schon sehr lange im Gebiet wohnen und hier alt geworden sind. Die durchschnittliche Wohndauer beträgt bei Personen, die älter als 55 Jahre sind, 19 Jahre.
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Abbildung 9:
Entwicklung von Altersgruppen im Untersuchungsgebiet „Südliche Friedrichstadt“
1.200 1.000
Anzahl Personen
800 600 400 200 0 45 bis u 55 55 bis u 65 65 u.m.
2000 960 791 744
2001 980 774 783
2002 1009 773 794
2003 982 797 816
2004 959 806 844
2005 960 778 891
2006 969 761 900
2007 923 750 927
2008 933 749 919
2009 995 723 874
2010 1040 707 900
2011 1049 711 918
2012 1049 733 952
2.2.
Haushaltsgrößenstruktur
In insgesamt rund 3.250 Haushalten10 lebten 2012 knapp 7.600 EinwohnerInnen. Die durchschnittliche Haushaltsgröße beträgt 2,33 Personen je Haushalt. Die im Untersuchungsgebiet vorhandene Haushaltsgrößenstruktur unterscheidet sich von der Berliner und bezirklichen Situation erheblich. Tabelle 2. Haushaltsgrößenstruktur im Vergleich
Südliche Fried11 richstadt 2013 27% 41% 14% 10% 4% 4% 100% 2,38 Bezirk FHain12 KBerg 62% 22% 8% 8% k.A. k.A. 100% 1,64 Berlin
13
Haushaltsgröße nach Personenzahl ( in %) 1 Person 2 Personen 3 Personen 4 Personen 5 Personen 6 und mehr Personen Insgesamt Personen/Haushalt Ø
54% 29% 9% 8% k.A. k.A. 100% 1,74
Die Haushaltsgrößenstruktur ist durch Zwei-Personenhaushalte und Familien mit Kindern geprägt. Insbesondere die Gruppe der Single-Haushalte ist mit gut einem Viertel aller Haushalte im Vergleich
10
Schätzung der absoluten Haushaltszahlen auf Basis der Wohnungszahlen, der Verteilung der Befragungsbögen und der dabei vorgefundenen Leerstände. Leer stehende Wohnungen wurden anhand sichtbar vermüllter Briefkästen, Briefkästen ohne Namen bzw. Kästen, deren Beschriftung auf einen Gewerbebetrieb/Firma hindeuteten, bei der Verteilung ausgelassen und deren Zahl hausweise erfasst. Ferner erfolgte - soweit möglich - ein Abgleich der ermittelten Zahlen durch die Inaugenscheinnahme der Gebäude von außen.
11 12 13
Quelle: Haushaltsbefragung ASUM 2013 Quelle: Mikrozensus 2011, Amt für Statistik Berlin Brandenburg Ebenda
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zum Bezirk und zur Gesamtstadt weit unterdurchschnittlich repräsentiert. Dagegen ist der Anteil von Zwei-Personenhaushalten und von Haushalten, in denen 3 und mehr Personen leben, doppelt so hoch wie im Bezirk und auch erheblich höher als im Berlinvergleich. Menschen mit Migrationshintergrund leben überwiegend in Haushalten mit 3 und mehr Personen. Abbildung 10: Haushaltsgrößenstruktur im Vergleich zum Bezirk und zu Berlin
Haushalte mit Kindern: Rund 25% aller Haushalte sind Familien mit minderjährigen Kindern. Der Anteil dieser Haushalte ist ebenso wie die Kinderzahl höher als im Bezirks- bzw. Berlinvergleich. 14 Haushalte mit Kindern sind überproportional migrantische Haushalte. Der Anteil von Alleinerziehenden an den Familien ist mit 3% stark unterdurchschnittlich. Die mittlere Kinderzahl pro Haushalt mit minderjährigen Kindern beträgt 2,23, während sie im Bezirk bei 1,58 und in Berlin bei 1,56 liegt. 27% der Haushalte mit minderjährigen Kindern im Untersuchungsgebiet haben ein Kind, 42% haben 2 Kinder und 31% der Familien haben mehr als 2 Kinder. Bemerkenswert ist der relativ hohe Anteil von Familienhaushalten, in denen Eltern mit minderjährigen und / oder erwachsenen Kindern leben sowie das Phänomen von Mehrgenerationenhaushalten. Berücksichtigt man die Haushalte, in denen Eltern mit ihren erwachsenen Kindern leben, als Familienhaushalte, dann steigt der Anteil von Familien auf rund 31% an allen Haushalten. Es ist davon auszugehen, dass diese Lebensverhältnisse komplexe Ursachen haben. Darunter dürften auch die Bemessungsgrenzen im ALG II – Bezug für angemessenen Wohnraum eine Rolle spielen, die bei Auszug eines Familienmitglieds schnell überschritten werden können.
14
Der Mikrozensus 2011 hat für den Bezirk insgesamt 21 % Haushalte mit Kindern ermittelt, für Berlin wurden 16% ausgewiesen.
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Insgesamt leben im Untersuchungsgebiet absolut ca. 1.000 Familien. Darunter sind 200 Familien, in denen Kinder unter 18 Jahren sowie weitere, bereits erwachsene Kinder leben. Zusätzlich leben in etwa 230 Haushalte junge Erwachsene unter 30 Jahren mit Ihren Eltern zusammen. Damit wohnen in gut 40% aller Familien Eltern mit ihren minderjährigen und /oder mit den erwachsenen Kindern gemeinsam. Es handelt sich fast ausschließlich um Haushalte mit Migrationshintergrund. Mehrpersonenhaushalte ohne Kinder: Haushalte mit drei und mehr erwachsenen Personen ohne Kinder unter 18 Jahren stellen eine kleine Gruppe unter allen Haushalten im Untersuchungsgebiet dar. Lediglich 2% aller Haushalte sind typische Wohngemeinschaften von Erwachsenen bis 30 Jahre. Tabelle 3. Haushaltsstruktur von Familien
Haushalte ohne Kinder (unter 18 J) 75% 88% 54% 84% Haushalte mit 1 Kind (unter 18 J) 10% 6% 17% 9% Haushalte mit Haushalte mit 2 Kindern (un- > 2 Kindern ter 18 J) (unter 18 J) 10% 2% 19% 5% 4% 10% 7% Anteil Alleinerziehender an allen HH 3% 0% 3% 5%
in % aller Haushalte UG Südliche Friedrichstadt 2013 migrantische HH aus EU migrantische HH Nicht-EU Berlin 2012
2.3.
Erwerbslagen und berufliche Qualifikation
Der Anteil der Erwerbstätigen an der Gebietsbewohnerschaft ist mit 32% stark unterdurchschnittlich. Die Gründe dafür liegen zum einen in der atypischen Bevölkerungsstruktur mit überdurchschnittlich vielen Kindern und einem relativ hohen Anteil älterer Menschen im Rentenalter. Zum anderen ist die Erwerbslosenquote mit 16,5% besonders hoch. Das bildungs- und Qualifikationsniveau weist eine gewisse Polarisierung auf. Jede vierte Person über 16 Jahren ist ohne beruflichen Abschluss. Dabei handelt es sich überwiegend nicht um Jugendliche. Dem gegenüber ist der Anteil akademisch qualifizierter Personen ähnlich hoch wie im Bezirk und deutlich höher als in Berlin. Von den Personen im erwerbsfähigen Alter sind 54% erwerbstätig, rund jeder siebte davon ist selbstständig bzw. freischaffend tätig (14%). Rund 14% der BewohnerInnen beziehen Rente, knapp 5% Sozialhilfe. Der Anteil von Studierenden ist im Vergleich zu innerstädtischen Gründerzeitvierteln mit knapp 6% aller Personen sehr gering.
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Abbildung 11: Erwerbssituation im Vergleich zum Bezirk und zu Berlin
Tabelle 4.
Alle Personen Erwerbstätige Erwerbslose
Erwerbslagen und Erwerbsquoten im Vergleich zu anderen Gebietseinheiten
Südliche Friedrichstadt 2013 32 % 16 % 52 % gesamt 100% 68,1%
16
Bezirk FHain-KBerg, Mikrozensus 2012 51% 8% 41% 100% 78,9% 11,1%
Berlin, Mikrozensus 2012 47% 6% 47% 100% 76,1% 10,7%
Nichterwerbstätige Erwerbsquote
15
Erwerbslosenquote
16,5%
Arbeitslosengeld II: Im Vergleich zum Land Berlin (9%)17 ist der Anteil von Personen, die allein oder in einer Bedarfsgemeinschaft Arbeitslosengeld II beziehen, im Untersuchungsgebiet mit rund 29% dreimal so hoch. Darunter sind 8% aller Haushalte, bzw. jeder vierte Haushalt mit Bezug von Arbeitslosengeld II, in denen Erwerbstätigkeit besteht und mit ALG II aufgestockt wird. Im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg insgesamt leben vergleichsweise 18% 18 aller Personen in Bedarfsgemeinschaften. Sozialhilfe: In 8% der Haushalte beziehen Personen Sozialhilfe. In diesen Haushalten leben einerseits überwiegend ältere Menschen, die Rente beziehen. Andererseits gehören auch Haushalte mit sehr
15 16
Anteil der Erwerbspersonen im Alter von 15 bis unter 65 Jahren an der Bevölkerung dieser Altersgruppe
Anteil der Erwerbslosen im Alter von 15 bis unter 65 Jahren an den Erwerbspersonen dieser Altersgruppe, Erwerbspersonen=Erwerbstätige + Erwerbslose
17
18
Ebenda, Tab. 1.4.
Statistik Bundesagentur für Arbeit, April 2013
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jungen Personen unter 30 Jahre dazu, sie haben nahezu ausnahmslos einen migrantischen Hintegrund. Arbeitslosengeld I: In 12% der Haushalte beziehen eine oder mehrere Personen Arbeitslosengeld I. Insgesamt betrifft das 11% aller Personen im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 65 Jahren. Bildungs- und Qualifikationsniveau: Im Untersuchungsgebiet ist das Bildungs- und Qualifikationsniveau der erwachsenen BewohnerInnen heterogen und weist eine gewisse Polarisierung auf. Einem im Berliner Vergleich überdurchschnittlich hohen Anteil von Fachhochschul- und Hochschulabsolventen steht ein vergleichsweise hoher Anteil von erwachsenen Personen gegenüber, die über keinerlei berufsqualifizierenden Abschluss verfügen. Von den Personen über 15 Jahre befinden sich mit rund 40% überproportional viele Personen in einer schulischen Ausbildung, im Studium oder verfügen über keinen Abschluss. Mehr als die Hälfte dieser Personen befinden sich weder in Schule noch Studium und haben keinerlei Abschluss. Es handelt sich dabei vorwiegend um ältere Personen, die Hälfte ist älter als 44 Jahre und weitere 40% sind zwischen 27 und 44 Jahre alt. Der Anteil derer, die über einen Hochschul- bzw. Fachhochschulabschluss verfügen, ist mit 33% ähnlich hoch wie im Bezirksvergleich und liegt deutlich über dem in Berlin von 22%. Der Anteil derer, die eine betriebliche Ausbildung abgeschlossen haben bzw. in Lehre sind, macht gut ein Viertel aller Personen über 16 Jahren aus. Tabelle 5. Qualifikation nach Bildungsabschluss im Vergleich zu anderen Gebietseinheiten
Südliche Friedrichstadt 2013 23% 16% 14% 13% 33% 100% FHain-KBerg, Mikrozensus 2011 33% 29% 7% 31% 100% Berlin, Mikrozensus 2011 27%
19
Personen ab 16 Jahre ohne Abschluss in Studium / Ausbildung Facharbeiter(in) / Lehre Fachschulabschluss / Meisterprüfung Fachhochschulabschluss / Hochschulabschluss
42% 9% 22% 100%
2.4.
Einkommenssituation
Die Einkommensstruktur zeigt zunächst eine relativ gleichmäßige Verteilung der Haushaltsnettoeinkommen. Ein Drittel aller Haushalte hat nur ein geringes Einkommen von weniger als 1.300 € für die Bestreitung des Lebensunterhalts. Andererseits verfügt jeder fünfte Haushalt über ein Einkommen von mehr als 2.600 €. In Berlin ist das jeder vierte, im Bezirk ebenfalls jeder fünfte Haushalt. Da im Gebiet aber überproportional größere Haushalte und vor allem Haushalte mit mehr als einem Kind leben, ist diese Einkommensverteilung nur scheinbar unproblematisch. Auf Grund der besonderen Haushaltsgrößenstruktur ist das Pro-Kopf-Einkommen deutlich niedriger als in der Gesamtstadt oder im Bezirk. Unter Berücksichtigung der Bedarfe unterschiedlicher Haushaltsgrößen gibt es einen größeren Anteil von Haushalten, deren Einkommensverhältnisse prekär sind. Fast jeder zweite Haus-
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Der Mikrozensus gibt nur die Gesamtheit aller Personen ohne beruflichen Ausbildungsabschluss an und differenziert nicht nach „in Ausbildung / Studium und ohne Ausbildung“, daher hier zusammengefasst.
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halt im Gebiet hat nur ein sehr eingeschränktes finanzielles Budget zur Verfügung, um den Lebensunterhalt für alle Haushaltsmitglieder zu bestreiten. Das bedarfsgewichtete Äquivalenzeinkommen liegt gut 20% unter dem vergleichbaren Berliner Wert. Tabelle 6. Einkommensstruktur im Vergleich zu anderen Gebietseinheiten (N=455)
Südliche Friedrichstadt 2013 13 % 19 % 8% 18 % 21 % 9% 8% 4% 1.740 € 1.030 € 800 € Bezirk FHain-KBerg, Mikrozensus 2012 23 % 18 % 8% 16 % 13 % 7% 14 % 1.500 € Berlin, Mikrozensus 2012 18 % 18 % 8% 18 % 15 % 8% 15 % 1.650 € 1.332 € Haushaltsnettoeinkommen pro Monat In % aller Haushalte unter 900 € 900 – unter 1.300 € 1.300 – unter 1.500 € 1.500 – unter 2.000 € 2.000 – unter 2.600 € 2.600 – unter 3.200 € 3.200 – unter 5.000 € 5.000 € und mehr Mittleres Einkommen (Median) Äquivalenzeinkommen (Median) Pro-Kopf-Einkommen (Median)
Die finanzielle Situation von Familien mit Kindern, Alleinerziehenden und Single-Haushalten ist besonders häufig schlecht. Migrantische Haushalte sind überproportional einkommensärmer. Deren mittleres Pro-Kopf–Einkommen beträgt nur 54% dessen eines deutschen Haushalts. Tabelle 7. Einkommensstruktur im Vergleich (Haushalte mit / ohne Migrationshintergrund)
Deutsche Haushalte 4% 13% 15% 13% 21% 20% 14% 1.150 € Haushalte mit Migrationshintergrund 29% 30% 18% 15% 7% 0% 1% 625 € Haushalte mit EU-Bürgern 5% 26% 12% 17% 22% 3% 15% 1.000 €
Pro-Kopf-Einkommen pro Monat In % aller Haushalte (N=454) unter 500 € 500 – unter 700 € 700 – unter 900 € 900 – unter 1.100 € 1.100 – und 1.500 € 1.500 – und 2.000 € 2.000 € und mehr Mittleres Pro-Kopf-Einkommen (Median)
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Tabelle 8.
In % des Haushaltstyps
Einkommensstruktur nach Haushaltstypen
mit monatlichem Haushaltsnettoeinkommen von ... bis unter ... Euro 1.300 1.500 10 9 11 1.500 2.000 13 10 12 2.000 2.600 19 7 28 20 4 5 30 13 19 7 2 32 49 18 29 21 21 17 4 2.600 5.000 15 4 18 80 26 2 Mittleres Einkommen (Median) in € ProKopf– Einkom kommen in € 982 985 1.000 850 500 520 800 Äquivalenzeinkommen in € 1.170 985 1.335 1.360 925 925 1.030
< 900
900 1.300 23 31 20
>= 5.000 5 * 8
Haushalte ohne Kinder SingleHaushalte Paare ohne Kinder WG * Paare mit Kindern Alleinerziehende* Insgesamt
16 39 2
1.600 985 2.000 3.400 2.100 1.600 1.740
*Zu geringe Fallzahlen Einkommensschwache Haushalte: Die Einkommensverhältnisse sind insgesamt deutlich ungünstiger als im Bezirks- und Berlinvergleich. Im Gebiet sind 18% aller Haushalte als einkommensarm einzustufen, als armutsnah weitere 28%20. Die Armutsgefährdungsquote ist zunächst ähnlich hoch wie in Berlin. Jedoch gibt es innerhalb des Gebiets deutliche Unterschiede zwischen den Haushalten in Abhängigkeit vom Migrationshintergrund. Armutsgefährdete und einkommensschwächere Haushalte sind überproportional Haushalte nicht-deutscher Herkunft, die aus Nicht-EU-Ländern kommen. Demgegenüber befinden sich Haushalte mit EU-Angehörigen bzw. deutschstämmige Haushalte nur halb so häufig in einer prekären Einkommenssituation. In 16% aller Haushalte sowie in jedem vierten armutsgefährdeten Haushalt liegt das Pro-Kopf-Einkommen unter 500 €. In 40% aller Haushalte des Gebiets beträgt das Pro-Kopf-Einkommen weniger als 700 €.
20
Definitionen für Einkommensarmut: weniger als 60% des vergleichbaren Äquivalenzeinkommens für Berlin (Quelle: Mikrozensus 2013), Armutsnähe: weniger als 75% des vergleichbaren Äquivalenzeinkommens
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Tabelle 9.
Einkommensarme und einkommensgefährdete Haushalte nach ausgewählten Haushaltstypen
Verfügung über monatlich weniger Verfügung über monatlich maxiHaushalte (in %) der jeweiligen Grund- als 60% des Berliner* Äquivalenz- mal 75% des Berliner* Äquivalenzgesamtheit einkommens (einkommensarm) einkommens (armutsnah) gesamt Südliche Friedrichstadt insgesamt deutschstämmige Haushalte Migrantische HH ohne EU-Hintergrund Migrantische HH mit EU-Hintergrund Studentische HH Rentner HH Familien Alleinerziehende Berlin 18% 10% 23% 17% 26% 12% 19% 25% 15% 46% 29% 62% 35% 79% 24% 64% 74% ---
* Durchschnittliches Äquivalenzeinkommen in Berlin 2012 = 1.332 € (Mikrozensus 2013)
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3. Wohnverhältnisse
Es gibt insgesamt rund 3.300 Wohnungen im Untersuchungsgebiet. Für den Wohnungsbestand sind die Nachkriegsbebauung und der Wohnungsneubau der IBA 86 / 87 charakteristisch. Knapp 10% der Wohnungen befinden sich in Altbauten, die vor 1918 erstellt wurden. Der Leerstand liegt deutlich unterhalb der Fluktuationsreserve. Die Wohngebäude im Gebiet sind im Mietspiegel 2013 überwiegend in einfache Wohnlage eingeordnet. Die Mehrzahl der Wohnungen sind Sozialwohnungen und / oder im Bestand der GEWOBAG. Die Wohnungsgrößenstruktur ist stark durch kleinere, aber auch familiengeeignete Wohnungen mit 2 ½ und mehr Räumen geprägt. Knapp 60 % aller Wohnungen fallen in dieses Segment. Gebietstypisch sind einerseits Wohnungen mit 1 ½ – 2 Zimmern und andererseits 2 ½ bis 3 Zimmer. Knapp ein Viertel aller Wohnungen verfügt über 1- 1 ½ Zimmer. Der Anteil von großen Wohnungen mit mehr als 3 Wohnräumen beträgt 15 %. Die Wohnraumversorgung ist hinsichtlich der vorhandenen Wohnungsgrößen nach Zimmerzahl für einen Teil der BewohnerInnen nicht ausreichend. Mit rund 30 m²/Person ist der durchschnittliche Wohnflächenkonsum deutlich geringer als im Bezirk (42 m²/Pers.) und in Berlin (41 m²/ Pers.). Der niedrige Wohnflächenverbrauch korrespondiert mit der vergleichsweise durchschnittlich höheren Belegungsdichte und den kleineren Wohnungsgrößen. Im Wohnungsbestand gibt es zu wenige Wohnungen mit mehr als drei Wohnräumen. Wohnungsgrößen- und Haushaltsstruktur stimmen zwar mehrheitlich überein. Den 20 % Haushalten mit mehr als drei Personen stehen aber nicht entsprechend große Wohnungen gegenüber. Rund ein Viertel aller Haushalte ist mit Wohnraum unterversorgt, weil sie mindestens ein Zimmer weniger als Personen zur Verfügung haben. Überproportional häufig leben erwachsene Kinder mit den Eltern in einer gemeinsamen Wohnung. Die Ausstattung der Wohnungen im Gebiet ist durch einen zeitgemäßen Wohnstandard mit moderner Heizung und Bad gekennzeichnet. Aufzug und noch stärker Balkon bzw. Loggia oder Terrasse gehören zum gebietstypischen Merkmal der Wohnungen im Untersuchungsgebiet. Die Warmwasserversorgung ist trotz zentralisierter Beheizung in mehr als der Hälfte dieser Wohnungen dezentral hergestellt. Die mittlere Nettokaltmiete im Gebiet ist durch das Mietniveau im kommunalen Wohnungsbestand der GEWOBAG sowie im Sozialen Wohnungsbau geprägt. Die Gebietsmieten liegen bei durchschnittlich 6,19 €/m² nettokalt und differieren in Abhängigkeit davon, ob der Wohnungsbestand privat oder städtisch ist, ob Bindungen aus der öffentlichen Förderung bestehen und nach Wohnungsgröße und der Baualtersklasse. Die höchsten Mieten werden im privaten, nicht mietpreisgebundenen Wohnungsbestand, die niedrigsten im Altbau gezahlt. Die Neuvertragsmieten bei den in den letzten 2 Jahren Zugezogenen lagen im Mittel um 11% über den mittleren Bestandsmieten. Die „kalten“ und „warmen“ Betriebskosten haben einen hohen Anteil an den Wohnkosten und liegen deutlich über den im Mietspiegel 2013 angegebenen durchschnittlichen Werten in Berlin. Die Warmmietbelastung liegt durchschnittlich bei 41% des Nettohaushaltseinkommens. Ein erheblicher Teil von Haushalten ist allein durch die gesetzlich möglichen Mieterhöhungen verdrängungsgefährdet. Modernisierungsbedingte Mieterhöhungen würden ein beträchtlicher Anteil der Haushalte nicht finanzieren können bzw. würden Auszugsaufforderungen des Job-Centers zur Folge haben.
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Im Untersuchungsgebiet gibt es rund 3.300 Wohnungen, davon 2.800 im Sanierungsgebiet. Der Wohnungsbestand im Untersuchungsgebiet ist durch die Wohnbebauung der Großsiedlung und die IBA-Bauten aus Mitte der 1980er Jahren geprägt. Nur rund 10% der Wohnungen sind gründerzeitliche Altbauten. Der überwiegende Teil der Wohnungen befindet sich im Eigentum großer Wohnungsunternehmen. Die Grundstücke im Gebiet sind im Mietspiegel 2013 überwiegend als einfache Wohnlage ausgewiesen. Lediglich die Grundstücke im Block 33 sowie die in den Blöcken 606, 618, 619, in denen der Wohnungsbestand aber relativ gering ist, sind als mittlere Wohnlage klassifiziert. Belegungs- und mietengebundener Wohnungsbestand: Die GEWOBAG als kommunale Wohnungsgesellschaft besitzt rund 1.300 Wohnungen und damit rund 40 % aller Wohnungen im Untersuchungsgebiet. Im Sanierungsgebiet sind es rund 1.030 Wohnungen, was einem Anteil von 37% aller Wohnungen des Sanierungsgebiets entspricht. Daneben gibt es mit der EB Group und der GSW zwei weitere Wohnungsunternehmen, die über einen großen Wohnungsbestand mit jeweils mehreren hundert Wohnungen verfügen. Im Gebiet befindet sich außerdem ein Seniorenwohnhaus mit rund 100 Wohnungen, das ursprünglich in bezirklichem Besitz war und 2008 an ein Immobilienunternehmen verkauft wurde. Die Wohnungen sind bis 2023 als Seniorenwohnraum zweckgebunden. Von großer Bedeutung für die künftige Mietentwicklung auf dem Wohnungsmarkt im Untersuchungsgebiet sind neben dem GEWOBAG–Bestand die 1.343 Sozialwohnungen in der Großsiedlung Mehringplatz sowie die rund 600 Sozialwohnungen, die im Rahmen der IBA in den 1980er Jahren erstellt wurden.21 Für die Sozialwohnungen in der Großsiedlung Mehringplatz gilt aufgrund des vom Senat beschlossenen Maßnahmenprogramms, dass die Wohnungen von Belegungsbindungen freigestellt sind. Ziel des Maßnahmenprogramms ist, die soziale Mischung in diesen Gebieten durch die Möglichkeit des Zuzugs von Besserverdienenden in diese Wohnungsbestände zu verändern.22 Vom Wegfall der Anschlussförderung sind im Untersuchungsgebiet rund 90 Wohnungen betroffen, im Sanierungsgebiet sind es drei Objekte mit rund 60 Wohnungen. Leerstand: Der Leerstand im Untersuchungsgebiet liegt unterhalb der Fluktuationsreserve von 4-5 % und beträgt bei der GEWOBAG sogar nur 0,5%23. Im Altbau, mit seiner insgesamt begrenzten Wohnungszahl, ist der Leerstand allerdings deutlich höher. Er liegt nach der Wohnungsbestandsanalyse im Rahmen der Untersuchung bei geschätzten 11%. Es ist zu vermuten, dass der Grund für diesen Leerstand weniger die Nicht-Vermietbarkeit ist, sondern dass Wohnungen aufgrund geplanter Baumaßnahmen und / oder Umwandlungen aktuell nicht dem Wohnungsmarkt zur Verfügung stehen. Umwandlungsgeschehen: Selbst genutztes Wohneigentum sowie die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen haben bisher kaum eine Relevanz im Untersuchungsgebiet. Nach bezirklichen Unterlagen sind im Zeitraum 2009-2012 mit Ausnahme von zwei Fällen keine Abgeschlossenheitsbescheinigungen erteilt worden. Der Anteil von selbstgenutztem Wohneigentum liegt unter 1%. Ferienwohnungen: Ungefähr 7% der Befragten gaben an, dass Wohnungen als Ferienwohnungen vermietet werden (über das Gebiet verteilt). Eine zuverlässige Einschätzung zur tatsächlichen Anzahl von Ferienwohnungen konnte mit der Befragung jedoch nicht ermittelt werden, da den Fragebögen
21
WE-Zahlen 2011 aus Schreiben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 10.2.2012 an den Hauptausschuss im Abgeordnetenhaus und eigene Recherchen. Bestand an Sozialwohnungen ist teilweise im Besitz der GEWOBAG und überschneidet sich damit.
22
Das Maßnahmenprogramm sieht vor, dass bei der Vermietung von Sozialwohnungen auf die Vorlage eines Wohnberechtigungsscheines verzichtet wird, so dass einkommensunabhängig und unabhängig von einer personengerechten Auslastung eine Vermietung erfolgen kann. Formulierte Zielsetzung für die Freistellung von gesetzlichen Belegungsbindungen ist die „Sicherung und Verbesserung des Sozialgefüges“. ebenda S.3
23
Angaben zum vermietungsbedingten Leerstand und zum Wohnungsstruktur stammen aus dem Experteninterview mit MitarbeiterInnen der GEWOBAG
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keine Hausnummern (lediglich Blocknummern und Straßen) zugeordnet werden können und insofern Doppelungen (mehrere Angaben aus einem Haus mit Hinweis auf Ferienwohnungen) nicht auszuschließen sind. Auch die Auswertung der Angebote von Ferienwohnungen im Internet führt zu keinen verlässlichen Ergebnissen, da dort in der Regel das Viertel oder die Straßen, jedoch keine Hausnummern angegeben werden. 3.1. Wohnungsgrößenstruktur
Wohnungsgrößenstruktur: Der Wohnungsbestand ist durch kleinere und mittelgroße Wohnungen geprägt, die im Zuge des in den 1960er -70er Jahren erstellten Siedlungsbaus sowie die im Rahmen der IBA erbaut wurden. Die durchschnittliche Wohnfläche je Wohnung beträgt 71,4 m². Gebietstypisch sind einerseits 1 bis 1½-Zimmerwohnungen und andererseits familiengeeignete Wohnungen mit 2½ bis 3 Wohnräumen. In dem für die Großsiedlung typischen Wohnungsbestand der GEWOBAG machen kleinere Wohnungen mit 1 bis 2 Zimmern gut die Hälfte des Bestandes aus. Große Wohnungen mit 3½ und mehr Räumen haben einen Anteil von knapp 15%. Die durchschnittliche Wohnungsgröße beträgt 64,4 m² und liegt damit unter dem Gebietsdurchschnitt. Die Wohnungsgrößenstruktur im gründerzeitlichen Altbaubestand weicht hiervon deutlich ab. Unter den Altbauwohnungen dominieren 2-Zimmer-Wohnungen mit einem Anteil von rund 40% sowie große Wohnungen über 90 m² mit nahezu einem Drittel aller Wohnungen. Die durchschnittliche Wohnfläche beträgt 75,0 m². Tabelle 10.
in % aller Wohnungen 1 Zimmer 1,5 - 2 Zimmer 2,5 – 3 Zimmer 3,5 – 4 Zimmer 4, 5 - 5 Zimmer mehr als 5 Zimmer Südliche Friedrichstadt 2013
Wohnungsgrößen nach Anzahl der Zimmer und Wohnfläche (N=508)
unter 40 m² 4 1 --------5% 40 – unter 60 m² 5 19 3 ------27% 60 – unter 90 m² --14 34 2 ----50% 90 m² u. mehr --1 4 11 2 * 18% gesamt 9 35 41 13 2 * 100% Ø m² 39,2 57,6 77,8 103,0 117,8 * 71,4
* geringe Fallzahl
3.2.
Wohnraumversorgung
Wohnraumversorgung: Knapp ein Viertel aller Wohnungen eignen sich aufgrund der Größe besonders für einkommensschwächere Single-Haushalte wie studentische Haushalte oder Einpersonenhaushalte im ALG II-Bezug. Das Verhältnis zwischen familiengeeigneten größeren 3- und Mehrzimmerwohnungen, die rund 56% des Wohnungsbestandes ausmachen und Haushalten mit 3 und mehr Personen, die rund ein Drittel aller Haushalte umfassen, erscheint zunächst rein zahlenmäßig günstig. Etwas mehr als die Hälfte der größeren Haushalte ist jedoch mit mindestens 1 Zimmer im Verhältnis
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zur Personenzahl unterversorgt, ein Viertel dieser Haushalte hat sogar mindestens 2 Zimmer weniger zur Verfügung. Insbesondere trifft die Unterversorgung auf Haushalte mit 4 und mehr Personen zu, von denen 85% mit einem oder mehreren Zimmern weniger auskommen müssen im Vergleich zur Personenzahl. Derzeit besteht in fast einem Fünftel aller Wohnungen eine deutliche Überbelegung, in ihnen leben 4 Personen und mehr. Von den Haushalten mit 1 oder 2 Personen haben die Hälfte 1 Zimmer mehr, 12% sogar mehr als 1 Zimmer mehr zur Verfügung als Personen im Haushalt leben. Jeder fünfte dieser Haushalte ist ein Single-Haushalt in einer 2-Zimmer-Wohnung, was unter heutigen Wohnbedürfnissen jedoch als angemessene Versorgung anzusehen ist. Insgesamt ist knapp ein Viertel aller Haushalte mit Wohnraum unterversorgt. Für fast jeden zehnten Haushalt ist die Unterversorgung als gravierend zu beurteilen, da ihre Wohnungen mindestens 2 Zimmer weniger als Personen haben. Tabelle 11. Wohnungsbelegung nach Haushaltsgröße
1-P-HH ----9% 14% 4% 27% 2-P-HH ----15% 20% 6% 41% 3-P-HH --3% 8% 3% --14% 4-P-HH 2% 6% 2% ----10% 5+P-HH 5% 2% 1% ----8% ∑ 7% 11% 35% 37% 10% 100%
In % aller Haushalte 2 Zimmer weniger als Personen 1 Zimmer weniger als Personen Zimmer gleich Personen 1 Zimmer mehr als Personen 2 Zimmer und mehr als Personen ∑
Tabelle 12.
Wohnungsbelegung im Vergleich
Untersuchungsgebiet 7% 11 % 35% 37% 14% 10% HH mit Migrationshintergrund (MHD, ohne EU) 14 % 21 % 39 % 25 % 13% 1% HH mit Migrationshintergrund (EU-Herkunft) 2% 6% 42 % 41 % 23% 10%
In % aller Haushalte 2 Zimmer weniger als Personen 1 Zimmer weniger als Personen Zimmer gleich Personen 1 Zimmer mehr als Personen … darunter 1 Person in 2 Zimmern 2 Zimmer und mehr als Personen
Wohnflächenverbrauch: Pro Person verfügen die BewohnerInnen im Mittel über 30,1 m² Wohnfläche. Das ist deutlich weniger als in Berlin insgesamt (41,4 m² alle WE; 39,3 m² in Mietwohnungen24). Je größer der Haushalt, desto geringer der Wohnflächenverbrauch pro Kopf.
24
Quelle: Mikrozensus Berlin 2010, Wohnsituation (Zusatzerhebung)
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Tabelle 13.
m² pro Person
Wohnfläche pro Person nach Haushaltsgröße
1-P-HH 51,8 2-P-HH 35,9 3-P-HH 27,5 4-P-HH 21,3 5+P-HH 16,7 Ø 30,1
3.3.
Ausstattung der bewohnten Wohnungen
Die Wohnungen im Untersuchungsgebiet weisen eine zeitgemäße Wohnungsausstattung auf. Nahezu alle bewohnten Wohnungen sind mit einer modernen Heizung und mit Bad ausgestattet und verfügen weit überwiegend über Balkon bzw. Loggia oder eine Terrasse. Auch der Aufzug ist ein gebietstypisches Merkmal der Wohnungen und steht in Zusammenhang mit den Wohnungen in der Großsiedlung und insbesondere mit den dort vorhandenen Hochhäusern. Die Warmwasserversorgung ist in der Mehrzahl der Wohnungen - rund 60% - dezentral. Fast die Hälfte der Wohnungen ist an eine Müllabwurfanlage angeschlossen. Tabelle 14. Ausstattungsmerkmale-Vergleich Untersuchungsgebiet, Quartiersmanagementgbiet, Sanierungsgebiet
Untersuchungsgebiet 1 68 30 1 99 13 60 39 4 5 6 76 36 61 34 5 vermietereigen mietereigen keine Angabe 85 25 QM-Gebiet 3 70 27 2 98 10 48 51 4 4 6 75 44 64 30 6 81 27 Sanierungsgebiet 2 65 33 2 98 15 57 43 3 4 6 75 38 60 34 6 85 25
Ausstattungsstandard in % bewohnter WE
Heizungsart
OH Gasetagenheizung / Zentralheizung Fernwärme
Sanitärausstattung
IT, kein Bad modernes Bad zweites WC in der WE
WW-Versorgung
dezentrale WW -Versorgung zentrale WW-Versorgung
Energetische Modernisierung
ISO-Fenster Heizungsanlage Wärmedämmung Fassade/ Dach / Keller
Sonstige Ausstattung
Aufzug Müllabwurfanlage Einbauküche (ohne Beurteilung der Ausstattungsqualität) Balkon / Loggia / Terrasse Hochwertiger Bodenbelag (Parkett, Steinzeug)
Wohnwerterhöhende Merkmale wie ein zweites WC oder ein hochwertiger Bodenbelag sind nicht gebietstypisch und nur in jeder siebten Wohnung vorhanden. Dagegen gehört eine vermietereigene Einbauküche bei knapp zwei Drittel aller Wohnungen zu einem mehrheitlich vorhandenen Ausstat-
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tungsstandard. Die Wohnungen der GEWOBAG wurden Mitte der 1990er Jahre saniert. Dazu gehörte auch eine Sanierung der Fenster.25 Energetische Sanierungsmaßnahmen: Nach Aussage der MieterInnen sind energetische Sanierungsmaßnahmen nur in einem kleinen Teil des Wohnungsbestandes durchgeführt worden. Betroffen von Wärmedämmmaßnahmen der Fassade waren 6% bzw. der Keller- und Dachgeschossdecken 2% der Haushalte, beim Einbau neuer ISO-Fenster sowie einer neuen Heizungsanlage waren es jeweils 4%. Verbesserungswünsche: Zur Verbesserung ihrer Wohnverhältnisse wünschen sich die MieterInnen deutlich stärker Instandsetzungsmaßnahmen und einen besseren Pflegezustand des Hauses und der Wohnanlage als Modernisierungsmaßnahmen. Am häufigsten wird eine verbesserte Hausreinigung (Treppenhaus) sowie eine verlässliche Funktionsfähigkeit des Aufzuges gewünscht. Auch eine Instandsetzung der Fassade (Anstrich/Putz) und eine Verbesserung des Hauseingangsbereichs werden gewünscht. Daneben werden Schimmelbeseitigung, Asbestsanierung und Ungezieferbekämpfung (Ratten) als Handlungsbedarf benannt. Abbildung 12: Instandsetzungswünsche (Mehrfachnennung möglich)
Instandsetzungswünsche
"Instandsetzung" allg. Außenanlagen Hauswart Badlüftung Heizung Ungeziefer/ Ratten Asbestsanierung Renovierung-Wohnung Müllplatz/ Müllentsorgung Schimmel(-beseitigung) Fassade/ Balkon Hausflur/Hauseingangstüt/Briefkästen Aufzug Hausreinigung 0 10 20 30 40 50 60 70 80
Die am häufigsten gewünschten Modernisierungsmaßnahmen sind eine Verbesserung der Fenster sowie die Wärmedämmung der Fassade. Allerdings möchte nur ein geringer Prozentsatz eine umfassende energetische Sanierung und Modernisierungsmaßnahmen im Allgemeinen. Es ist zu vermuten, dass mit den gewünschten Sanierungsmaßnahmen eine Reduzierung der Warmmietenbelastung verknüpft wird und dass das Votum anders ausfällt, wenn die Maßnahme nicht warmmietenneutral ist. 3.4. Mietpreisniveau und Mietbelastung
Im Mittel werden im Gebiet 6,19 €/m² nettokalt gezahlt, wobei die Mietpreise in Abhängigkeit von der Wohnungsgröße differieren. Die durchschnittliche Gebietsmiete liegt damit über dem Berliner
25
Interview mit Frau Jelen-Schwark und Herrn Tarras von der GEWOBAG
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Durchschnitt von 5,45 €/m². Am teuersten sind die kleinsten Wohnungen. Zu etwa einem Drittel liegen die Nettokaltmieten zwischen 5 und 6 €/m² und zu einem weiteren Drittel zwischen 6 und 7 Euro. Damit liegen die Nettomieten in zwei Drittel aller Wohnungen zwischen 5 und 7 €/m². Jede fünfte Wohnung im Bestand hat bereits Mieten über 7 €/m² nettokalt. Die mittleren Mieten der Sozialwohnungen unterscheiden sich nicht von der durchschnittlichen Gebietsmiete. Abbildung 13: Struktur der Nettokaltmieten (€/m²)
Die niedrigsten Mieten werden noch im Altbau, gefolgt von den Beständen der GEWOBAG gezahlt. Während im kommunalen Wohnungsbestand die Miethöhen am geringsten differieren, weist die Mietenstruktur in dem privaten Wohnungsbestand, sofern es sich nicht um Sozialwohnungen handelt, die größte Spreizung auf.26 Hier machen sich die hohen Mietsteigerungen bei Neuvermietung bemerkbar, die zu großen Unterschieden zwischen Bestands- und Neuvertragsmieten führen. Auch bei den BBU-Unternehmen liegen sie im Schnitt 13% über den Bestandsmieten. Friedrichshain-Kreuzberg gehört zurzeit zu den Bezirken mit den höchsten Angebotsmieten.
Quelle: Haushaltsbefragung; Die einzelnen Wohnungsbestände sind nicht exakt abgrenzbar, da die Fragebögen nicht mit Bezug auf einzelne Häuser ausgewertet werden können. Die Wohnungsbestände wurden zusammengefasst über die Indikatoren Straße und Block mit überwiegender Wohnbebauung des jeweiligen Wohnungssegments. Daher können die absoluten Daten in der Realität leicht abweichen.
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Abbildung 14: Nettokaltmieten von Wohnungsmarktsegmenten (ø) im Vergleich
Kalte und warme Betriebskosten: Aufgrund der relativ kostenintensiven Ausstattungsmerkmale in den Wohnungen der Nachkriegsmoderne (z.B. Aufzug, dezentrale Warmwasserversorgung über EDurchlauferhitzer) ist der Anteil der Betriebskosten an den Wohnkosten im Mittel hoch. Die unterschiedlichen Energieträger haben dabei auf die Heizkosten anders als vor 10 Jahren kaum noch Einfluss. Dabei ist zu berücksichtigen, dass für die überbelegten Wohnungen die verbrauchsabhängigen Betriebskosten zwangsläufig höher als im Mittel sind. Möglicherweise könnten, abgesehen davon, wohneinheitsbezogene Wasseruhren, einen sparsameren Wasserverbrauch fördern. Im Schnitt aller Wohnungen müssen 2,93 €/m² für „kalte“ Betriebskosten und 1,43 €/m² für Heizund Warmwasserkosten bezahlt werden. Damit liegen die Betriebskosten von 4,36 €/m² deutlich höher als die durchschnittlichen Betriebskosten, die im Mietspiegel 2013 für das Abrechnungsjahr 2011 ermittelt wurden. Danach wurden im Berliner Durchschnitt 1,43 €/m² an „kalten“ Betriebskosten und 1,09 €/m² für Heizung und Warmwasser monatlich gezahlt. Der Anteil der Betriebskosten an den Wohnkosten von durchschnittlich 10,55 €/m² bruttowarm beträgt somit rund 40%. In den GEWOBAG-Wohnungen betragen die von der Wohnungsbaugesellschaft abzurechnenden „warmen“ und „kalten“ Betriebskosten durchschnittlich 3,79 €/ m².27 Die Kosten für die Warmwasserbereitung sind darin nicht enthalten sind. Eine Umstellung auf zentrale Versorgung ist derzeit nicht Gegenstand von Investitionsüberlegungen.
27
Quelle: Angaben zur Mietenstruktur im GEWOBAG-Bestand aus ExpertInneninterview mit MitarbeiterInnen der GEWOBAG
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Tabelle 15.
Mietenstruktur differenziert nach Wohnungsbeständen
N 243 (47%) Mittlere Miete 6,10 €/m² 2,55 €/m² 1,25 €/m² 3,80 €/m² 5,98 €/m² 2,61 €/m² 1,21 €/m² 3,82 €/m² 6,37 €/m² 2,69 €/m² 1,32 €/m² 4,01 €/m² 6,67 €/m² 2,46 €/m² 1,32 €/m² 3,78 €/m²
28
Sozialer Wohnungsbau
29
118 (22%) Gewobag 61 (12%) EB-Group 172 (32%) Neubau nach 1980
Nettomiete Betriebskosten kalt Wärmekosten Betriebskosten ∑ Nettomiete Betriebskosten kalt Wärmekosten Betriebskosten ∑ Nettomiete Betriebskosten kalt Wärmekosten Betriebskosten ∑ Nettomiete Betriebskosten kalt Wärmekosten Betriebskosten ∑
Mietbelastung: Die Mietbelastungsquoten differieren nach Wohnungsmarktsegmenten und sozialer Lage der Haushalte. Die mittlere Bruttowarmmietbelastung beträgt 41%. Die höchste mittlere Bruttokaltmietbelastung tragen Haushalte in den nach 1980 erstellten Wohnungen (42%). In der Großsiedlung liegt die mittlere Mietbelastung bei 38% bruttokalt. Da im Wohnungsbestand der GEWOBAG die Warmwasserkosten nicht Bestandteil der vom Vermieter abzurechnenden Betriebskosten sind und im Rahmen der Befragung nicht gesondert erhoben wurden, wäre die Warmmietbelastung bei Berücksichtigung der Warmwasserkosten höher auszuweisen. Die Hälfte aller befragten Haushalte gab an, dass die Miete zu hoch bis viel zu hoch ist. Die subjektive Beurteilung der Mietbelastung, das heißt, des Verhältnisses von Wohnkosten zum Einkommen, korrespondiert dabei mit dem tatsächlichen Anteil der Wohnkosten am Einkommen. Für Haushalte, die ihre Miete als viel zu hoch beurteilen, liegt die durchschnittliche Warmmietbelastung real bei 59%. Bei denen, die ihre Mietbelastung als eher zu hoch bewerten, liegt sie immer noch bei 47%. Eine weit überproportional hohe Mietbelastung tragen Single-Haushalte, Erwerbslosenhaushalte, studentische Haushalte und Alleinerziehende.
28
Gemäß Systematik der Ermittlung der Mittelwerte des Berliner Mietspiegels
29
Methode der Abgrenzung: Zusammenfassung von Fragebögen hinsichtlich der Variablen Block und Straßenzug, in denen mehrheitlich die aufgeführten Wohnungsbestände liegen. Die Gruppen können demnach vereinzelt auch Wohnungen/Befragungen aus anderen Wohnungsbeständen enthalten Es können sich auch vereinzelt Wohnungen in mehreren der drei Gruppen wiederfinden, d.h. sie sind nicht völlig disjunkt. Auf eine möglichst fehlerarme Zusammenfassung wurde bei der Auswahl von Block und Straße geachtet. So ist der geringere Anteil der Mieten für Wohnungen der GEWOBAG im Vergleich zu ihren tatsächlichen Anteilen am Wohnungsbestand in der Tabelle mit der Begrenzung auf zuordenbare Fälle zu erklären.
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Abbildung 15: Mietbelastung im Vergleich zu Urteil Mietbelastung
Tabelle 16.
Haushaltstyp
Vergleich der Mietbelastung* unterschiedlicher Haushaltstypen
Bruttokaltmietbelastung 2013 (Mittelwert) 45% 38% 41% 38% 46% 39% 44% 35%
30
Bruttowarmmietbelastung 2013 (Mittelwert) 50% 43% 45% 41% 51% 44% 49% 39% 50% 46% 44% 41% 41%
Ein-Personen-Haushalte Haushalte ohne Kinder Paare mit 1 Kind Haushalte mit mehreren Kindern Alleinerziehende RentnerInnenhaushalte Studentische- und Ausbildungshaushalte Erwerbshaushalte HH im ALG II Bezug HH mit Migrationshintergrund Haushalte vor 2010 wohnhaft Haushalte nach 2010 ins Gebiet gezogen Alle Haushalte
44% 42% 39% 34% 36%
* Mietbelastung unter Berücksichtigung realer Wohngeldzahlungen
30
Bedarfsgemeinschaften nach SGB II
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4. Gebietsbindung und Verdrängungsgefährdung
Das Untersuchungsgebiet weist eine hohe Stabilität von Mietverhältnissen auf, auch innerhalb des Gebietes wurden Wohnungen nur relativ selten gewechselt. Die vergleichsweise lange Wohndauer verweist auf eine starke Gebietsbindung. Bei einem Drittel aller Haushalte, die erst kürzere Zeit im Gebiet wohnen, zeigen sich strukturelle Unterschiede im Vergleich zu langjährig im Gebiet Wohnenden. Der umgebende und etwa doppelt so große Planungsraum Mehringplatz weist im Unterschied zum Land Berlin eine höhere Zahl von Wanderungsbewegungen auf, die – ebenfalls im Unterschied zu Berlin insgesamt - per Saldo mit Wanderungsverlusten einhergingen. Das trifft insbesondere auch auf Wanderungsverluste bei Kindern im Vorschulalter zu. Es gibt allerdings einige Indizien dafür, dass die für das Untersuchungsgebiet nachweisbaren Einwohnergewinne aus Wanderungsgewinnen der letzten beiden Jahre resultieren könnten. Die Zuwanderung ins Gebiet war in den letzten Jahren sozial selektiv. Zugezogene Bewohnergruppen waren vor allem Haushalte mit Personen aus EU-Ländern mit einem höheren sozialen Status. Der Bleibewille der BewohnerInnen ist hoch. Selbst Haushalte, die einen Umzug erwägen, wollen in hohem Maße im Gebiet, zumindest aber in der näheren Umgebung und in Kreuzberg bleiben. Angesichts der prekären finanziellen Verhältnisse und des Bezugs von Transferleistungen sowie der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt sind jedoch für viele Haushalte die Spielräume gering, um veränderte Wohnbedürfnisse zu realisieren und / oder bei Überbelegung ihre Wohnraumversorgung zu verbessern. Der Anteil verdrängungsgefährdeter Haushalte ist auf Grund ihrer ökonomischen Situation in diesem Gebiet überdurchschnittlich hoch.
4.1.
Gebietsbindung
Wohndauer: Die Untersuchung der Wohndauer im Gebiet erfolgt vor allem mit der Intention, Fluktuationsprozesse zu beurteilen, insbesondere die sozial selektive Mobilität der GebietsbewohnerInnen. Von Interesse ist dabei, ob Gruppen, die in das Gebiet zuziehen, ein ähnliches oder anders geartetes soziales Profil haben als BewohnerInnen, die bereits seit längerem im Gebiet leben. Die Wohndauer gibt zudem auch Aufschluss über die Sesshaftigkeit der BewohnerInnen und die Stetigkeit von Mietverhältnissen im Gebiet. Sie ist außerdem ein Indikator für die Zufriedenheit mit den persönlichen Wohnbedingungen und ob die Rahmenbedingungen, die Infrastruktur und das Umfeld für die BewohnerInnen stimmen. Bemerkenswert ist, dass die Hälfte aller Haushalte seit mindestens 10 Jahren, ein Viertel sogar seit 20 und mehr Jahren im Gebiet lebt. Die mittlere Wohndauer im Gebiet beträgt rund zwölf Jahre, die mittlere Wohndauer in den jetzigen Wohnungen zehn Jahre. Annähernd 85% aller Haushalte wohnen noch seit dem Zuzug ins Gebiet auch in der jetzigen Wohnung. Etwa jeder sechste Haushalt hat innerhalb des Gebiets mindestens einmal die Wohnung gewechselt.
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Tabelle 17.
In Prozent der Haushalte
Wohndauer
<2 Jahre 15% 19% 2 bis 3 Jahre 13% 15% 4 bis 5 Jahre 12% 13% 6 bis 9 Jahre 17% 15% 10 bis 19 Jahre 23% 23% 20 Jahre und mehr 20% 15% Ø Wohndauer in Jahren 11,7 9,8
Gesamt 100% 100%
Im Gebiet (N=508) In der Wohnung(N=486)
Tabelle 18.
Verhältnis von Wohndauer im Gebiet und in der Wohnung
Wohndauer im Gebiet in Jahren Unter 2 15% 2-3 1% 12% 4-5 1% 1% 10% 2% 13% 6-9 2% 1% 1% 1% 20% 15% 13% 12% 17% 23% 1% 3% 15% 20% 1% 10 - 19 20 u. m. Gesamt 19% 15% 13% 15% 23% 15% 100%
In Prozent aller Haushalte Wohndauer i. d. Wohnung unter 2 Jahre 2 - 3 Jahre 4 - 5 Jahre 6 - 9 Jahre 10 - 19 Jahre 20 Jahre u. mehr Gesamt
Fluktuation: Zur Fluktuation als Bevölkerungsveränderung durch Zu- bzw. Abwanderungen von BewohnerInnen stehen für dieses Gebiet keine gebietsscharfen Daten zur Verfügung. Rückschlüsse auf Fluktuationsprozesse im Gebiet können mit Hilfe von Sekundärdaten gezogen werden, die für räumlich größere, aber naheliegende Räume existieren. Hierfür lassen sich beispielsweise Wanderungsdaten des Sozialen Monitoring für den Planungsraum 02010102 – Mehringplatz nutzen. Im Planungsraum Mehringplatz, der etwa die doppelte Zahl von EinwohnerInnen im Vergleich zum Untersuchungsgebiet hat, ist das Wanderungsvolumen (Summe der Zu- und Wegzüge) seit 2009 zunächst deutlich gestiegen, deutlicher als in Berlin insgesamt. Nach 2009 gab es einen leichten Rückgang. Aktuell sind 28 von 100 Personen des Planungsraums weg- oder zugezogen. Im Unterschied zu Berlin insgesamt ist der Wanderungssaldo im Planungsraum im zurückliegenden Zeitraum von Einwohnerverlusten bestimmt. Dabei sind per Saldo insbesondere bei deutschen BewohnerInnen und bei Kindern im Vorschulalter unter 6 Jahren Verluste zu verzeichnen. In den letzten 2 Jahren gab es erstmals einen geringfügigen Wanderungsgewinn der EinwohnerInnen insgesamt, im Unterschied dazu allerdings einen dramatisch gestiegenen Wanderungsverlust bei Kindern im Vorschulalter. Es gibt allerdings einige Indizien dafür, dass die für das Untersuchungsgebiet nachweisbaren Einwohnergewinne aus Wanderungsgewinnen der letzten beiden Jahre resultieren könnten.
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Abbildung 16: Wanderungsdynamik – Planungsraum Mehringplatz im Vergleich zu Berlin
Abbildung 17: Wanderungssalden – Planungsraum Mehringplatz im Vergleich zu Berlin
Aus der Bewohnerbefragung kann zwar die Fluktuation in den gebietsscharfen Grenzen des Untersuchungsgebiets nicht insgesamt beurteilt werden, vor allem nicht die Wegzugsdynamik. Jedoch sind zumindest für Zuzugsprozesse und deren soziale Strukturiertheit einige Aussagen möglich. Die Zuzugsraten in das Gebiet zeigen in den letzten fünf Jahren einen leichten Aufwärtstrend. Insgesamt haben sich in diesem Zeitraum auch die Einwohnerzahlen erhöht.
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Abbildung 18: Zuzugsraten der letzten 5 Jahre (% der Einwohner/relativ zur Gesamtzahl der Einwohner des jeweiligen Jahres)
10,0% 9,0% 8,0% 7,0% 6,0% 5,0% 4,0% 3,0% 2,0% 1,0% 0,0% 2008 2009 2010 2011 2012 5,3% 5,4% 7,2% 5,9% Zuzug 9,2%
Andererseits hat sich die Zahl der Kinder unter 6 Jahren verringert. Dieses wird auch nicht durch die nächstfolgenden Jahrgänge aufgefangen, so dass nichts auf einen Geburtenüberschuss hindeutet. Aufgrund gestiegener Einwohnerzahlen wird die Annahme erhärtet, dass es auch im engeren Untersuchungsgebiet positive Wanderungssalden gegeben hat. Dies lässt sich jedoch nicht klar verifizieren, da tatsächliche Wegzugsraten nicht bekannt sind. Die in Expertengesprächen thematisierten Rückgänge bei Wohnungsleerständen erhärten jedoch die Annahmen. Das würde bedeuten, dass das Wanderungsgeschehen im Untersuchungsgebiet dem grundlegenden Trend des umliegenden Planungsraums folgt. Selektive Zuwanderung und Gentrifizierungsprozesse: Durch sozial selektive Zuwanderung bestimmter BewohnerInnengruppen kann sich die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung verändern. Im Untersuchungsgebiet ist eine solche Veränderung nur ansatzweise feststellbar. Zugezogene Bewohnergruppen unterscheiden sich aber von länger im Gebiet Wohnenden insbesondere hinsichtlich des Migrationshintergrundes, des Qualifikations- und Einkommensniveaus. Vor allem Haushalte mit Personen aus EU-Ländern, mit höherer Qualifikation, einem überdurchschnittlichen Anteil von Erwerbstätigen und höherem Einkommen sind erst seit wenigen Jahren im Gebiet ansässig. Sie bewohnen in überdurchschnittlichem Maße Wohnungen bei privaten Vermietern in Altbaubeständen des Untersuchungsgebiets.
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Tabelle 19.
Strukturmerkmale von Haushalten nach unterschiedlicher Wohndauer im Gebiet
maximal vor 3 Jahren ins Gebiet zugezogen sind 32 Jahre 2,17 22% 2% 1.900 € 1.200 € 77% 2% 44% 5% 5% 36% 40% 24% 39,8% 33,7% 6,33 €/m² 15% 81% länger als 5 Jahre im Gebiet wohnen 48 Jahre 2,44 27% 10% 1.700 € 960 € 44% 26% 24% 2% * 49% 13% 38% 45,4% 40,9% 6,08 €/m² 8% 73%
Merkmale der Haushalte die … Altersdurchschnitt Personen im Haushalt Haushalte mit Kind(ern) < 18 J Haushalte mit Kind(ern) >18 und < 30 J Haushaltsnettoeinkommen (Median) Äquivalenzeinkommen Erwerbshaushalte Rentnerhaushalte Haushalte m. hochqualifizierten Personen Studentische Haushalte Wohngemeinschaften Migrantische Haushalte aus nicht EU-Ländern Migrantische Haushalte aus der EU Haushalte deutscher Herkunft Warmmietbelastung Bruttokaltmietbelastung Mittlere Nettomieten Wohnhaft im Altbau In privaten Wohnungsbeständen
Absichten zum Wohnungswechsel: Zwei Drittel aller Haushalte wollen mittelfristig in ihrer Wohnung verbleiben. Lediglich knapp jeder achte Haushalt geht von einem absehbaren Umzug aus der Wohnung aus, knapp ein Viertel der Haushalte ist noch unentschieden. Von denjenigen mit Auszugsabsichten will wiederum ein Viertel eine andere Wohnung innerhalb des Gebiets beziehen, drei Viertel wollen mindestens in Kreuzberg bleiben. Auffällig ist ein Zusammenhang zwischen bereits bestehenden Umzugsabsichten und günstigeren finanziellen Verhältnissen Umzugswilliger. Infolge stärkerer finanzieller Flexibilität am Wohnungsmarkt sind bei diesen auch real größere Möglichkeiten vorhanden, um veränderte Wohnbedürfnisse zu realisieren. Dieser Zusammenhang ist aber auch Ausdruck dessen, dass Wohnalternativen nicht mehr so einfach gegeben sind und ein Teil der GebietsbewohnerInnen nicht mehr Wohnraum mit einem ihren Möglichkeiten angepassten Preis-Leistungsverhältnis findet, weil entsprechend bezahlbare Angebote fehlen. Damit wird ein Umzugswunsch erst gar nicht mehr in Erwägung gezogen, obgleich Haushalte mit Bleibewillen einerseits geringere Einkommen und andererseits schon höhere Mieten haben. Immerhin jeder sechste Haushalt des Untersuchungsgebiets hat innerhalb des letzten Jahres erfolglos versucht, die Wohnung zu wechseln. Der Wohnungswechsel ist bei der Hälfte dieser Haushalte am Niveau der Angebotspreise gescheitert. Bei einem Viertel der Wohnungssuchenden gab es keine passenden Angebote für die aktuellen Wohnbedürfnisse.
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Auszugsgründe: Auszugsgründe der potenziell umzugswilligen Haushalte sind vielfältig. Es dominieren jedoch stark wohnungs- und wohnumfeldbezogene Aspekte. Vorrangig ist es der zu hohe Mietpreis, gefolgt von Defiziten in der Wohnumgebung wie Lärm und Schmutz sowie sozialen Problemen und Konflikten. Eine zu kleine Wohnung, die Anlass für Umzugsentscheidungen wäre, ist trotz vorhandener Überbelegung im Gebiet ein eher nachrangiger Grund. Haushalte in überbelegten Wohnungen zeigen auch einen deutlich geringeren Willen umzuziehen. Abbildung 19: Umzugsgründe
120 100 80 60 40 20 0
Soz. Atmo/Konflikte/Nachbar schaft Beeinträchtigung Lärm Beeinträchtigung Schmutz/Müll Arbeit Schulangebot Familiale Veränderungen Kinderunfreundlich Kinderbetreuung Wohnungsgröße Alter/Krankheit Wohnumfeld, Straßenraum WE-Mägel Ausstattung der WE
113
107
107 97
Nennungen
54 30 29
25
21
17
15 3 3
4.2.
Verdrängungsgefährdung
Für die Beurteilung der Verdrängungsgefahr stellen die Einkommenssituation sowie die Wohnkostenbelastung Schlüsselindikatoren dar, die wesentliche Indizien für eine Verdrängungsgefährdung ergeben. Wanderungstendenzen, insbesondere sozial selektive Wanderungen und Wegzugsquoten sind ebenfalls Indikatoren für Verdrängungsprozesse. Zur Beurteilung der Verdrängungsgefährdung ist ein mehrdimensionaler Ansatz nötig. Der soziale Status der BewohnerInnen des Gebiets wird im Zusammenhang mit dem Einkommen wesentlich durch deren Erwerbslage in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen bzw. deren Angewiesenheit auf Transferleistungen bestimmt. Neben den ökonomischen Voraussetzungen haben das Bildungs- und Qualifikationsniveau sowie die kommunikativen Beziehungen und sozialen Netze im Gebiet Einfluss auf die Verdrängungsgefährdung von BewohnerInnen. Der Austausch mit anderen BewohnerInnen und die Nutzung von Informationen und Beratungsleistungen verschiedener Institutionen haben einen multiplikatorischen Effekt beim Ausgleich ökonomischer Defizite, erweitern die Handlungsfähigkeit ökonomisch benachteiligter Personengruppen auf dem Wohnungsmarkt und können Verdrängungsprozesse verhindern bzw. zumindest hinauszögern. Verdrängungsgefährdung: Bereits bei eindimensionaler Berücksichtigung der ökonomischen Lage der GebietsbewohnerInnen ist von einer höheren Verdrängungsgefahr für bereits rund 40% aller Haushalte im Untersuchungsgebiet auszugehen. Darunter sind 29% aller Haushalte, die als Bedarfs-
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gemeinschaften ALG II beziehen, sowie weitere 11% aller Haushalte, die mit weniger als 75% des vergleichbaren personenbezogenen Äquivalenzeinkommens als armutsgefährdet einzustufen sind. Insgesamt 10% aller Haushalte gehören zu denen, die durch ihre ökonomische Lage als verdrängungsgefährdet anzusehen sind, jedoch aufgrund des Bildungs- und Qualifikationsniveaus, ihrer Erwerbslage und den sozialen Beziehungen innerhalb des Gebiets soziale Kompetenzen aufweisen, die eine erweiterte soziale Handlungsfähigkeit zur Verhinderung von Verdrängung beinhalten. Finanzielle Belastbarkeit: 56% aller Haushalte haben die Miete im Verhältnis zum Einkommen als zu hoch beurteilt, wobei deren Einkommensverhältnisse und Mietbelastung im Vergleich zu den übrigen Haushalten im Untersuchungsgebiet tatsächlich auch wesentlich ungünstiger ausfallen und an Grenzbereiche der finanziellen Belastbarkeit durch Wohnkosten stoßen. Damit muss von schätzungsweise jedem zweiten Haushalt angenommen werden, dass weitere bauliche Aufwertungsmaßnahmen mit zunehmender Mietbelastung tatsächliche Verdrängung und strukturelle Veränderungen auslösen können. Tabelle 20.
Urteil Miete ist sehr günstig Miete ist günstig Miete ist angemessen Miete ist eher zu hoch Miete ist viel zu hoch
Subjektives Urteil zur Miethöhe (Verhältnis Einkommen - tatsächliche Belastungen)
Nettoeinkommen (Median) 2.360 € 2.900 € 2.200 € 1.600 € 1.600 € Äquivalenzeinkommen (Median) 2.360 € 1.900 € 1.400 € 965 € 885 € Mittlere Nettomieten 6,20 €/m² 5,58 €/m² 6,23 €/m² 6,18 €/m² 6,53 €/m² Warmmietbelastung 22,0% 26,0% 37,0% 47,0% 59,0% Anteile an Haushalten 1% 5% 38% 39% 17%
Strukturelle Unterschiede: Im Gebiet bestehen sichtbare Unterschiede zwischen verschiedenen Mietniveaus und strukturellen Merkmalen der jeweiligen Gebietsbewohnerschaft. Insbesondere Haushalte, deren Mietniveau bereits überdurchschnittlich hoch ist, unterscheiden sich von GebietsbewohnerInnen im Allgemeinen. Die Unterschiede zeigen sich insbesondere in den finanziellen Möglichkeiten und in der Wohndauer, aber auch in der Haushaltsgröße. Haushalte mit Mieten ab 8 €/m² sind in deutlich geringerem Maße Haushalte mit Kindern. Die Hälfte von ihnen sind 2-Personen-Haushalte, ein weiteres Drittel 1-Personen-Haushalte. Sie wohnen vergleichsweise kürzer im Gebiet. Sie sind finanziell besser gestellt, wodurch trotz der hohen Mieten die Mietbelastung ähnlich hoch ist.
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Tabelle 21.
Strukturmerkmale von Haushalten mit Nettomieten ab 8 €/m²
Haushalte mit Mieten ab 8 €/m² 6,5 Jahre 7,5 Jahre 40 Jahre 2,0 38,9 m² 2.210 € 1.551 € 47,8% 11% Haushalte mit Mieten unter 8 €/m² 11,0 Jahre 12,4 Jahre 42 Jahre 2,42 35,7 m² 2.090 € 1.313 € 41,4% 26%
Merkmale der Haushalte in … Wohndauer in der Wohnung Wohndauer im Gebiet Altersdurchschnitt Personen im Haushalt Wohnflächenverbrauch pro Person Haushaltsnettoeinkommen Äquivalenzeinkommen Warmmietbelastung mit Kindern unter 18 Jahren
5. Qualitäten und Defizite des Gebietes aus Sicht der Bewohnerschaft
Die Gebietsbeurteilung durch die Bewohnerschaft fällt vergleichsweise kritisch aus und differiert nach Wohndauer und Haushaltstyp. Nur rund ein Fünftel der Befragten bewertet das Gebiet mit „gut“. Mit zunehmender Wohndauer beurteilen die BewohnerInnen die Qualität des Wohngebietes schlechter. Die Einstellungen zum Wohngebiet unterscheiden sich zwischen den Bewohnergruppen. Haushalte, die Transferleistungen beziehen, einen Migrationshintergrund haben und Familien mit Kindern beurteilen das Wohngebiet im Mittel positiver als Haushalte, die unabhängig sind von Transferleistungen und BewohnerInnen mit deutschem Hintergrund sowie Haushalte ohne Kinder. Haushalte, die 20 Jahre und länger im Gebiet wohnen, beurteilen die Qualität des Wohngebietes am schlechtesten. Die gebietliche Infrastruktur wird dagegen positiver bewertet als das vergleichsweise verhaltene Gesamturteil zum Gebiet vermuten lässt. Dieser untypische Befund steht möglicherweise in Zusammenhang mit der großen Unzufriedenheit über die Höhe der Wohnkosten. Eine hohe Zufriedenheit besteht mit der Verkehrsanbindung an den ÖPNV und den Einkaufsmöglichkeiten. Auch die Versorgung mit Grünflächen wird von fast der Hälfte der Bewohnerschaft mit „gut“ beurteilt. Haushalte mit Kindern bewerten die für Kinder und Jugendlichen spezifischen Einrichtungen und Spielflächen vergleichsweise negativ. Rund ein Drittel der Haushalte bewertet das Schulangebot und die Freizeiteinrichtungen für Jugendlichen mit „schlecht“ und ungefähr ein Viertel das Freizeitangebot für Kinder und die qualitative und quantitative Versorgung mit Spielplätzen. Dagegen wird die Qualität der Kitas deutlich positiver beurteilt. Bemerkenswert ist, dass mehr als die Hälfte der Familien die nachbarschaftliche Situation als „gut“ betrachtet. Dies lässt auf eine hohe Gebietsbindung und unterstützende Netzwerke schließen. Die Amerika-Gedenkbibliothek erfüllt eine wichtige Funktion als Bildungs- und Kultureinrichtung für die Gebietsbewohnerschaft. Rund 58% der Bewohnerinnen nutzen sie zumindest gelegentlich. Familien, Haushalte mit Migrationshintergrund und einkommensärmere Bewohnergruppen beurteilen das Angebot der AGB besonders positiv.
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Das Hauptdefizit des öffentlichen Raumes sehen die Befragten in mangelnder Pflege, Verschmutzung und Vermüllung. Haushalte mit Kindern bemängeln insbesondere den Pflege- und Instandhaltungszustand der Spielplätze und einen Rattenbefall auf diesen Flächen. Nur gut ein Drittel aller Haushalte verfügt über einen oder mehrere PKWs. Der Motorisierungsgrad liegt damit erheblich unter dem von Berlin. Die Verkehrsbelastung beurteilen rund ein Drittel der Haushalte mit hoch.
Die allgemeine Beurteilung des Gebietes durch die Bewohnerschaft fällt vergleichsweise kritisch aus. Nur ein Fünftel der befragten BewohnerInnen bewerten das Gebiet mit „gut“, 49% mit „mittel“ und 18% geben die Note „schlecht“. 13% wollten hierzu keine Angaben machen. Abbildung 20: Beurteilung des Wohngebietes
Die Bewertung des Gebietes unterscheidet sich nach Bewohnergruppen. Haushalte, die 20 Jahre und länger im Gebiet wohnen bewerten das Gebiet am schlechtesten, Familien mit Kindern geben ein etwas besseres Gesamturteil ab als der Durchschnitt.
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Abbildung 21: Allgemeine Gebietsbeurteilung nach Bewohnergruppen31
5.1.
Beurteilung des Wohnumfeldes nach ausgewählten Merkmalen der Infrastruktur
Bemerkenswert ist, dass die allgemeine Gebietsbewertung deutlich hinter die Bewertung einzelner Bestandteile der Infrastruktur des Gebietes zurückfällt. Dies ist ein äußerst untypischer Befund. In ähnlichen Untersuchungen in der Innenstadt ergab sich in der Regel ein umgekehrtes Verhältnis, nämlich eine positivere Gesamtbeurteilung gegenüber einer kritischen Sicht auf einzelne Angebote. Möglicherweise hängt das relativ negative Gesamturteil zum Gebiet nicht vorrangig mit infrastrukturellen Gebietsmerkmalen zusammen, sondern mit der von der Hälfte der Haushalte als hoch beurteilten Mietbelastung.
31
Wert 1,00= gute Einschätzung, Wert 3,00=schlechte Einschätzung; dargestellt sind die Mittelwerte der Meinungen aller Befragten
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Tabelle 22.
ÖPNV
Beurteilung der Infrastruktur und Angebote des Gebietes
sehr gut/gut 80 % 52 % 46 % 36 % 36 % 35 % 32 % 20 % Mittel 9% 25 % 28 % 32 % 38 % 39 % 33 % 49 % Schlecht 1% 16 % 12 % 16 % 15 % 17 % 12 % 18 % keine Angabe Gesamt % 10 % 7% 14 % 16 % 11 % 9% 23 % 13 % 100 % 100 % 100 % 100 % 100 % 100 % 100 % 100 %
Infrastruktur/Angebote Einkaufmöglichkeiten Grünflächen Cafés, Kneipen Nachbar-/soziale Beziehungen Straßenraum Kultureinrichtungen Gebiet insgesamt
Erwartungsgemäß fällt die Beurteilung des öffentlichen Personennahverkehrs angesichts der objektiv sehr guten Anbindung an den ÖPNV am positivsten aus. 80% der Befragten bewerten diesen als sehr gut bzw. gut und nur 1% als „schlecht“. Daneben gibt es eine relativ hohe Zufriedenheit von rund der Hälfte der Bewohnerschaft mit der Nahversorgung und der Ausstattung des Gebietes mit Grünflächen, wenngleich ein Teil der befragten Haushalte Gestaltung und Pflegezustand der Grünflächen explizit bemängelt (siehe Pkt. 5.3. ff). Alle anderen infrastrukturellen Merkmale des Wohngebietes werden von rund einem Drittel der Befragten als sehr gut / gut bewertet. Auch die nachbarschaftliche Situation bewertet mit 36% gut ein Drittel aller Haushalte mit gut bis sehr gut. Rund jeder sechste Haushalt ist allerdings explizit unzufrieden damit. 5.2. Nutzung von sozialen, kulturellen und Bildungseinrichtungen
Die sozialen Einrichtungen – tam, Intihaus, KMAntenne, JAM, KiJuKuz und die Seniorenbegegnungsstätte werden aufgrund ihrer zielgruppenspezifischen Ausrichtung nur durch jeweils einen kleineren Teil der Bewohnerschaft genutzt. Am häufigsten werden von diesen Institutionen im Untersuchungsgebiet das interkulturelle Familienzentrum tam und die Kinder- und Jugendeinrichtung KMAntenne genutzt. Rund jeder sechste Haushalt gab an sie zumindest gelegentlich zu besuchen. Die im Gebiet vorhandenen Kultureinrichtungen werden dagegen aufgrund ihres altersübergreifenden Angebots deutlich häufiger nachgefragt. Kultureinrichtungen wie das HAU, das Jüdische Museum oder die Berlinische Galerie werden von 49% der Befragten zumindest gelegentlich besucht. Die Amerika-Gedenkbibliothek sticht in der Bewertung und Nutzungsintensität der BewohnerInnen besonders positiv heraus. Nur 30% der Haushalte gaben an, die Amerika-Gedenkbibliothek nie zu nutzen, während diese von 58% besucht wird. Dieser Befund ist mit Blick auf den seit dem Volksentscheid im Mai 2014 nicht mehr umzusetzenden Umzug der AGB auf das Tempelhofer Feld von besonderer Bedeutung für weitere Planungsüberlegungen zum Standort. Die Bibliotheksnutzung hat eine herausragende Rolle für die Gebietsbewohnerschaft. Vor allem einkommensärmere BewohnerInnen, Familien mit Kindern und Jugendlichen sowie migrantische BewohnerInnen beurteilen das Bildungsangebot der AGB positiv. Die BVV hat sich im Juni 2014 für eine Erweiterung der AGB als Zentral- und Landesbibliothek am jetzigen Standort ausgesprochen.
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Tabelle 23.
Häufigkeit der Nutzung der Infrastruktur und Angebote des Gebietes (N=534)
oft 3% 2% 3% <1% 1% 1% 17 % 6% gelegentlich selten 5% 2% 7% 2% 2% 2% 27 % 20 % 9% 6% 7% 5% 9% 5% 14 % 23 % nie 60 % 63 % 58 % 66 % 60 % 65 % 30 % 38 % keine Angabe 23 % 27 % 25 % 26 % 28 % 27 % 12 % 13 % Gesamt 100 % 100 % 100 % 100 % 100 % 100 % 100 % 100 %
Soziale und kulturelle Einrichtungen tam Intihaus KMAntenne JAM KiJuKuz Seniorenbegegnungsstätte Amerika-Gedenkbibliothek Kultureinrichtungen (Jüdisches Museum, HAU, Berlinische Galerie)
5.3.
Defizite im öffentlichen Raum aus Sicht der BewohnerInnen
Die BewohnerInnen wurden danach befragt, welche Defizite aus ihrer Sicht für „Spielplätze“, „Grünflächen“ und „Straßenraum“ bestehen. In allen drei Bereichen ist die Verschmutzung und Vermüllung sowie mangelnde Pflege und Instandhaltung nach Auffassung der Befragten das größte Problem. Auch aus anderen Bewohnerbefragungen in der „Bezirksregion Südliche Friedrichstadt“ ist bekannt: „dass der Pflegezustand des öffentlichen Grün- und Straßenlandes in der Bezirksregion negativ bewertet wird. Die Qualität der Grünanlagen und Parks ist, neben zu wenig Angeboten für Jugendliche- wiederholt einer der zentralen Kritikpunkte in dieser Bezirksregion.“32 Ein Teil der BewohnerInnen bemängelt ferner eine mangelnde Sicherheit im öffentlichen Raum und eine unzureichende Beleuchtung am Seniorenwohnhaus, in der Lindenstraße und am GSW-Hochhaus. Abbildung 22: Defizite Spielplätze nach Anzahl der Nennungen
Defizite Spielplätze
Drogen zu wenig: altersspezifisch sonstiges Sicherheit Ratten zu wenig: quantitativ Austattung Pflegezustand 0 5 10 15 20 25 30 35 40
32
Vgl. im Anhang: Stellungnahme des Leiters der bezirklichen Planungs- und Koordinierungsstelle Gesundheit Herr Dr. Elvers
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Als Hauptproblem der öffentlichen Spielplätze sehen die BewohnerInnen den derzeitigen Pflegezustand an, der durch Vermüllung, Scherben, Spritzen, alten Sand einen ungepflegten und verwahrlosten Eindruck erzeugt. Als weitere Defizite werden die fehlende Instandhaltung und eine schlechte Ausstattung der Spielplätze mit Spielgeräten benannt. Bemängelt wird an dritter Stelle die quantitative Versorgung mit Spielplätzen in der näheren Umgebung. Der Rattenbefall als vierthäufigste Nennung ist aus gesundheitlicher Sicht von besonderer Bedeutung. Abbildung 23: Defizite der Grünflächen nach Anzahl der Nennungen
Die Aufenthaltsqualität und das Erscheinungsbild der im Gebiet vorhandenen Grünanlagen sind im Urteil der BewohnerInnen ebenso wie die Spielplätze vor allem durch mangelnde Pflege und Verschmutzung erheblich beeinträchtigt. Benannt werden auch Nutzungskonflikte durch Drogenhandel. Bezüglich des Straßenraumes bemängeln die Befragten eine Unfallgefährdung durch Instandhaltungsdefizite bei Geh- und Radwegen, nicht genügende Beleuchtung und nicht ausreichende Barrierefreiheit durch fehlende Bordsteinabsenkung. 5.4. Verkehrssituation
Das Untersuchungsgebiet Südliche Friedrichstadt ist vor allem an seinen Rändern im Westen und Osten sowie im Süden entlang der Uferstraßen und auf der Blücherstraße durch den Durchgangsverkehr auf den Hauptverkehrsstraßen belastet. Die Zossenerstraße / Lindenstraße, der Mehringdamm / Wilhelmstraße, die Uferstraßen, die Alte-Jakobstraße sind prioritär autogerecht und aufgrund ihrer Verkehrsdichte und Straßenbreite eine Barriere für die, die sich zu Fuß oder auf dem Rad bewegen. Die Straßen haben nur wenig Aufenthaltsqualität. Die Anforderungen des Radverkehrs an sichere, gut nutzbare und attraktive Verkehrswege sind vor allem entlang der Uferstraßen nicht ausreichend berücksichtigt. Die Querungsmöglichkeiten für FußgängerInnen sind nach dem Urteil der Befragten auf den Hauptverkehrsstraßen erschwert. Motorisierungsgrad: Mit rund 36% verfügen ein gutes Drittel aller Haushalte über einen oder mehrere PKWs. Die PKW-Dichte pro 1.000 Einwohner beträgt 172 PKW und liegt damit deutlich unter dem
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durchschnittlichen Motorisierungsgrad in Berlin von 324 PKW/1.000 EinwohnerInnen33. Demgegenüber beträgt die Fahrradanzahl pro 1000 EinwohnerInnen 549, d.h. gut jede zweite Person verfügt über ein Fahrrad. Das ist ebenfalls erheblich weniger als in Berlin, wo die Fahrradanzahl 724 auf 1.000 EinwohnerInnen34 beträgt. Die Zahlen zeigen aber, dass sichere und attraktive Fuß- und Radwege für die große Mehrheit der BewohnerInnen von herausragender Bedeutung sind. Tabelle 24.
Ohne PKW 1 PKW 2 PKW 3 PKW insgesamt
PKW-und Fahrrad -Besitz (N= 534)
UG Südliche Friedrichstadt 64 % 32 % 4% * 100 % In % der Haushalte Ohne Fahrrad 1 Fahrrad 2 Fahrräder 3 und mehr Fahrräder Insgesamt UG Südl. Friedrichstadt 39 % 21 % 26 % 14 % 100 %
In % der Haushalte
* niedrige Fallzahl 5.5. Verkehrsbelastung
Ein Drittel der Gebietsbevölkerung beurteilt die Verkehrsbelastung als hoch. Gut ein Fünftel aller Haushalte sind andererseits der Auffassung, dass die Verkehrsbelastung gering ist. Tabelle 25. Urteil zur Verkehrsbelastung (N= 484)
UG Südliche Friedrichstadt 33 % 45 % 22 % 100 % In % der Befragten hoch mittel gering insgesamt
Zur Verbesserung der Verkehrssicherheit wird von den BewohnerInnen vor allem im Bereich von Schulen und Kindergärten eine stärkere Verkehrsberuhigung und Zebrastreifen gewünscht, in der Alten Jakobstraße und der Hedemannstraße explizit eine Temporeduzierung. Für den Fahrradverkehr werden entlang der Uferstraßen und besonders an den Kreuzungen Mehringbrücke und Zossener Brücke Unfallschwerpunkte gesehen ferner an den Kreuzungen Stresemannstraße/Wilhelmstraße, Lindenstraße/Alte Jakobstraße und Blücherstraße/Mehringdamm.
33
34
Quelle: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Stand 2010
Ebenda
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6. Soziale Lage verschiedener Bevölkerungsgruppen und ihre Gebietsbewertung
Die Einstellungen zum Untersuchungsgebiet südliche Friedrichstadt unterscheiden sich zwischen unterschiedlichen Bewohnergruppen. Nachfolgend werden die Lebenslagen und Gebietsbeurteilungen von Bevölkerungsgruppen dargestellt, die in besonderer Weise auf das Wohnumfeld, soziale Netze und die Infrastruktur in Wohnnähe angewiesen sind. Dazu zählen Haushalte mit Kindern, mit älteren Personen und einkommensarme bzw. armutsgefährdete Haushalte. Familien und einkommensärmere Bewohnergruppen sind überproportional nicht-deutscher Herkunft.
6.1.
Haushalte mit Kindern
Fast jeder vierte Haushalt im Gebiet ist ein Haushalt mit Kindern. Diese Gruppe ist nicht nur überdurchschnittlich stark im Gebiet vertreten, sie stellt auch besondere Anforderungen an die gebietliche Ausstattung mit Schulen, Kitas, Grün- und Spielflächen und an die bezirkliche Haushaltsplanung. In 80% aller Familien sind die Kinder im Vorschul- oder Schulalter unter 15 Jahren. Soziale Lage: Haushalte mit Kindern sind stärker als andere Haushalte an den Wohnort durch Kita, Grundschule, soziale Netzwerke gebunden. Die im Untersuchungsgebiet lebenden Familien sind überproportional einkommensärmer, überdurchschnittlich häufig von Arbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit betroffen und beziehen mit 44% häufig Arbeitslosengeld II. Da viele Haushalte im Gebiet mehr als ein Kind haben, ist der Anteil der Kinder, der in prekären finanziellen Verhältnissen lebt, besonders hoch. Familien verfügen im Mittel über geringere ökonomische Ressourcen und ein geringeres Qualifikationsniveau als Haushalte ohne Kinder. Das verfügbare Einkommen nach Abzug der Wohnkosten liegt bei Zwei Drittel aller Haushalte mit Kindern auf SGB II-Niveau. Das muss als dramatischer Befund gewertet werden, umso mehr als ein Teil dieser Haushalte mit Wohnraum unterversorgt ist. Tabelle 26. Haushalte mit Kind(ern) und ALG II Bezug
Bedarfsgemeinschaft ALG II Haushalte mit Kind(ern) Haushalte ohne Kinder 44 % 26 % Kein ALG II Haushalt 49 % 66 % Keine Angabe 7% 8% Gesamt 100 % 100 %
Jeder fünfte Haushalt muss mit weniger als 60% des bedarfsgewichteten Berliner Äquivalenzeinkommens auskommen und ist damit von relativer Einkommensarmut betroffen. Tabelle 27. Äquivalenzeinkommensgruppen von Haushalten mit und ohne Kinder
armutsgefährdet: <60% Äqui-EK 19 % 17 % >=60% Äqui-EK bis 100% Äqui-EK 65 % 40 % mehr als 100 % Äqui-EK 16 % 43 % Äquivalenzeinkommensgruppen Haushalte mit Kind(ern) Haushalte ohne Kinder
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Die Bildungsabschlüsse der erwachsenen Personen im Haushalt sind u.a. ein Indikator für die in der Familie vorhandenen kulturellen Ressourcen. Auch hierbei zeigen sich bei der ersten Person im Haushalt deutliche Unterschiede zwischen Haushalten mit und ohne Kind(er). Tabelle 28. Bildungsabschlüsse der ersten Person im Haushalt mit und ohne Kind(er)
Haushalte mit Kind(ern) 34 % 5% 22 % 23 % Haushalte ohne Kinder 20 % 11 % 14 % 40 % Bildungsabschluss Keinen Abschluss In Studium/Ausbildung Facharbeiter Fachhochschul- Hochschulabschluss
So hat in über einem Drittel der Haushalte mit Kind(ern), die erste Person keinen Schulabschluss, während dies nur bei jedem fünften Haushalt ohne Kinder der Fall ist. Daneben sind auch Fachhochschul- und Hochschulabschlüsse bei Haushalten mit Kind(ern) unterrepräsentiert. Wohnraumversorgung: Die häufig prekäre Einkommenssituation spiegelt sich in einer problematischen Wohnraumversorgung von einem großen Anteil der Haushalte mit Kindern wieder. Mehr als zwei Drittel der Haushalte mit Kind(ern) sind mit einem oder mehr Zimmern unterversorgt. Nur jede vierte Familie mit Kindern wohnt in einer Wohnung, in der die Zahl der Zimmer gleich der Personenzahl ist. Besonders beengt leben größere Familienhaushalte mit 4 oder mehr Personen. Tabelle 29. Versorgungsgrad Zimmer in Haushalten mit und ohne Kind(ern)
Haushalte mit Kind(ern) 25 % 43 % 25 % 7% 0% 100 % Haushalte ohne Kinder 1% 1% 40 % 47 % 11 % 100 % Versorgungsgrad Zimmer Unterversorgt: 2 Zimmer und mehr Unterversorgt: 1 Zimmer Zimmerzahl gleich Personenzahl 1 Zimmer mehr als Personen 2 Zimmer und mehr als Personen Gesamt
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Abbildung 24: Belegungsdichte bei 4- und Mehr-Personenhaushalten
Mietbelastung: Haushalte mit Kind(ern) haben eine durchschnittliche Bruttokaltmietbelastung von 39% und eine Warmmietbelastung je nach Haushaltsgröße und Familienstand zwischen 41% und 51%. Zwei Drittel aller Familien beurteilen die Miete im Verhältnis zu ihrem Einkommen als zu hoch. Dieses Urteil geht auch mit den verbleibenden materiellen Ressourcen für die allgemeine Lebensführung konform. Zwei Dritteln aller Haushalte mit Kindern steht nach dem Abzug der Warmmiete höchstens ein Resteinkommen zur Verfügung, dass die Höhe des Lebensbedarfs einer Bedarfsgemeinschaft nach SGB II nicht überschreitet. Abbildung 25: Beurteilung der Miethöhe am eigenen Haushaltsnettoeinkommen
Bewertung des Gebiets: Familien mit Kindern beurteilen das Gebiet ambivalenter als kinderlose Haushalte. Sowohl positive als auch negative Urteile sind stärker ausgeprägt. Familien mit Kindern
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enthalten sich aber auch weniger einer Einschätzung. Ihre stärkere Angewiesenheit auf die Qualität des Wohnumfeldes und die gebietlichen Angebote stärkt offenbar die Aufmerksamkeit und kritische Kommentierung von Qualitäten und Defiziten im Gebiet. Abbildung 26: Allgemeines Urteil zum Gebiet
Bei der Gebietsbeurteilung durch Familien mit Kindern zeigen sich Bewertungen zu einzelnen Einrichtungen und Angeboten, die sich deutlich von der übrigen Gebietsbewohnerschaft unterscheiden. Abbildung 27: Beurteilung der Infrastruktur durch Familien mit Kind(ern)
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Tabelle 30.
Grundschule Jugendfreizeit Kinderfreizeit Spielplätze Grünflächen Cafés, Kneipen
Bewertung von Angeboten und Infrastruktur durch Haushalte mit Kindern
sehr gut/gut 45 % 31 % 34 % 40 % 47 % 51 % 59 % 47 % 42 % 64 % 54 % 84 % Mittel 25 % 40 % 41 % 37 % 31 % 30 % 28 % 41 % 48 % 28 % 39 % 13 % schlecht 30 % 29 % 25 % 23 % 22 % 19 % 13 % 12 % 10 % 8% 7% 3%
Infrastruktur/ Angebote
Kinderbetreuung Straßenraum Kultur Einkaufsmöglichkeiten Nachbarschaft/soziale Beziehungen ÖPNV
Infrastruktureinrichtungen, die ihre Angebote direkt an Kindern und Jugendlichen orientieren, werden deutlich negativer beurteilt als solche, die zwar Bestandteil der Infrastruktur oder des Umfeldes des Quartiers sind, aber nicht spezifisch kinder- und jugendrelevant. So werden Grundschulen von mehr als einem Viertel bis zu einem Drittel mit Negativbewertungen versehen, dem folgen Jugendfreizeit- und Kinderfreizeiteinrichtungen. Erst dann folgen die den öffentlichen Raum betreffenden Elemente des Gebiets, Grünflächen und Spielplätze mit besseren, aber im Vergleich zu Haushalten ohne Kinder kritischeren Bewertungen. Die Betreuung in Kitas erhält dagegen deutlich positivere Beurteilungen. Dies erklärt sich möglicherweise dadurch, dass Kitas eher als Betreuungseinrichtungen wahrgenommen werden, bei denen es um Fragen der Verfügbarkeit von Plätzen geht und Grundschulen als Bildungseinrichtungen, die damit strenger bewertet werden. Schulwahl: Durch die Existenz von Grundschuleinzugsbereichen besteht eine Bindung zwischen dem Wohnstandort und einer bestimmten öffentlichen Grundschule. Anders als bei der Wahl der Oberschule können Eltern die Grundschule nicht generell nach ihren Qualitätsvorstellungen aussuchen. Die Eltern im Gebiet entscheiden nach unterschiedlichen Kriterien welche Schule ihren Kindern gute Entwicklungsmöglichkeiten bietet und wo sie sie gern anmelden würden. Die Qualität des Unterrichts und der Ruf der Schule haben dabei oberste Priorität. Das soziale Umfeld der Schule und spezifische Angebote sind ebenfalls wichtige Kriterien bei der Schulwahl. In diesen Präferenzen spiegeln sich Erwartungen der Eltern an die soziale Funktion und Kompensationsmöglichkeiten der Schulen wieder, um soziale Benachteiligungen auszugleichen. Sie haben offensichtliche Auswirkungen auf den Schulerfolg und die Zukunft der Kinder. Die Nähe der Schule zum Wohnort, ein Ganztagsangebot oder Nachbarn/Verwandte, die ihre Kinder auf die Schule schicken, werden als weniger wichtig bewertet. Allerdings messen Eltern, die ALG II beziehen, der Nähe der Schule zum Wohnstandort ein deutlich größeres Gewicht bei als solche, die keine Transferleistungen nach SGB II erhalten. Rund Drei Viertel dieser Haushalte finden es „sehr wichtig“, dass die Schule in der Nähe ist. Vor diesem Hintergrund hat die Qualität der sich im Quartier befindlichen Schule einen besonders hohen Stellenwert für diese Familien.
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Tabelle 31.
Bedeutung verschiedener Kriterien bei der Schulwahl
sehr wichtig 82 % 82 % 73 % 71 % 55 % 41 % 17 % weniger wichtig 4% 2% 7% 11 % 25 % 25 % 22 % Unwichtig 1% 1% 5% 2% 5% 17 % 35 % keine Angabe 13 % 15 % 15 % 16 % 15 % 17 % 26 %
Kriterien der Schulwahl Qualität des Unterrichts Ruf der Schule Soziales Umfeld der Schule Spezifische Angebote der Schule Nähe der Schule zum Wohnort Ganztagsangebot der Schule Kinder von Nachbarn/Verwandten auf der Schule
Nachbarschaft: Relativ positiv werden von Haushalten mit Kindern die Nachbarschaft und die sozialen Beziehungen bewertet. Über die Hälfte der Familien beurteilen diese mit sehr gut oder gut. Dies begründet in der Regel eine hohe Bindung von Haushalten mit Kindern an das Quartier durch verwandtschaftliche und nachbarschaftliche Unterstützung im Alltag. Gerade für ressourcenarme Haushalte bieten solidarische Netzwerke (Verwandte und Freunde), die auf räumlicher und sozialer Nähe beruhen, die Möglichkeit, Minderausstattungen zumindest teilweise zu kompensieren35. Wohndauer und Wegzugsabsichten: Die Wohndauer von Familien mit Kindern ist sowohl in Bezug auf das Gebiet als auch die derzeit bewohnte Wohnung etwas kürzer als die von Haushalten ohne Kinder. Im Mittel wohnen Familien 13 Jahre in diesem Gebiet und 9 Jahre in der Wohnung. Etwas über ein Drittel der befragten Familien äußern die Absicht, ihre Wohneinheit zu verlassen, 34% haben dies bereits versucht, was nur auf 13% der Haushalte ohne Kinder zutrifft. Fast jeder fünfte Haushalt mit Kindern (18%) kann sich vorstellen, wegen des Schulangebots das Gebiet zu verlassen. Angesichts der Tatsache, dass Familien mit Kindern nahezu ausnahmslos noch in der Wohnung wohnen, in die sie seinerzeit in das Gebiet neu zugezogen sind, was auf Stabilität oder aber auch mangelnde Chancen auf dem Wohnungsmarkt hindeutet, bedürfen die aktuell hohen Fluktuationsabsichten weiterer Aufmerksamkeit. 6.2. Einkommensärmere Haushalte
Fast jeder zweite Haushalt im Gebiet ist als einkommensarm bzw. armutsnah anzusehen. Diese Haushalte stellen besondere Anforderungen an wohnungsnahe Nutzungsmöglichkeiten der öffentlichen Infrastruktur. Sie sind in besonderem Maße auf wohnungsnahe Grün- und Erholungsflächen angewiesen. Bei einkommensärmeren Haushalten spielt der niedrigschwellige Zugang und die kostenfreie oder kostengünstige Nutzbarkeit von Einrichtungen eine deutlich größere Rolle als für Haushalte mit mehr finanziellen Ressourcen. Gesellschaftliche Teilhabe und Gesundheitsförderung kann über eine qualitätsvolle Infrastruktur unterstützt werden und soziale Ungleichheit zumindest teilweise kompensieren. Soziale Lage: Einkommensarme Haushalte sind überwiegend Haushalte, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, die Leistungen nach SGB II erhalten (ALG II). Dazu gehören in überdurchschnittlichem Maß Haushalte mit Kindern, Single-Haushalte und Haushalte mit Migrationshintergrund.
35
Vgl. u.a. Häußermann, Hartmut/Siebel, Walter (2004): Stadtsoziologie. Frankfurt am Main: Campus
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Unter den Ein-Personen-Haushalten ist etwa ein Drittel einkommensarm und nahezu vollständig auf Transferleistungen angewiesen. Während von einkommensarmen 1-Personen-Haushalten ein Drittel ohne Berufsabschlüsse sind und etwa 17% eine höhere Qualifikation als Fachschul- oder Hochschulabsolvent haben, sind bei finanziell besser gestellten 1-Personen-Haushalten nur ein Fünftel ohne Abschluss und fast die Hälfte mit höheren Qualifikationen. Abbildung 28: Anteile einkommensarmer Haushalte unter verschiedenen Haushaltstypen
Gebietsbeurteilung: Einkommensärmere Haushalte, die Transferleistungen beziehen, beurteilen das Wohngebiet besser als Haushalte, die keine Leistungen erhalten. Haushalte deren BewohnerInnen einen Migrationshintergrund haben beurteilen das Gebiet ebenfalls besser als solche, die keinen haben. Am stärksten enthalten sich Single-Haushalte einer Bewertung, am wenigsten Haushalte mit Kindern. Tabelle 32.
Bewertung des Wohngebietes gut mittel schlecht keine Einschätzung Gesamt %
Bewertung des Wohngebietes durch verschiedene Bewohnergruppen
In % aller BewohnerInnen 23 % 50 % 15 % 12 % 100 % In % aller Haushalte mit Kindern 31% 42% 19% 8% 100% In % aller Bedarfsgemeinschaften 31% 47% 12% 10% 100 % In % aller armutsgefährdeten Haushalte 23% 51% 16% 10% 100 % In % aller 1-Personen-Haushalte 19% 50% 14% 17% 100% % aller HH mit Migrationshintergrund 28% 44% 14% 14% 100 % Keine der vorgenannten Gruppen 20% 57% 18% 5% 100%
Die Infrastruktur und die Angebote innerhalb des Gebiets haben besonders für die einkommensärmeren Bevölkerungsschichten eine besondere kompensatorische Bedeutung hinsichtlich der Befriedigung von Bildungs- und Kulturbedürfnissen wie auch der Pflege sozialer Kontakte und Kommunika-
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tionsbeziehungen in Wohnnähe. Die Amerika-Gedenkbibliothek hat hierbei eine wichtige ressourcenstärkende Funktion. Abbildung 29: Beurteilung der Amerika-Gedenkbibliothek nach Haushaltstypen
Nahezu die Hälfte dieser Haushalte nutzt Angebote dieser Einrichtung häufiger. Auch die Hälfte der Haushalte beurteilt die Angebote sehr positiv. Insbesondere Haushalte mit Migrationshintergrund und armutsgefährdete Haushalte sehen diese Einrichtung positiver als die übrigen Haushalte des Gebiets. Sie nutzen sie auch gleich häufig wie alle übrigen Haushalte. Eine Ausnahme bilden hier lediglich die Single-Haushalte, die weit unterdurchschnittlich eine Angabe machen. 6.3. Haushalte mit älteren Personen
Die soziale Lage dieser Bevölkerungsgruppen unterscheidet sich hinsichtlich der Stellung im Lebenszyklus (erwachsene Kinder), des verfügbaren Haushaltnettoeinkommen und des Lebensstils von den anderen Bevölkerungsgruppen. Die materielle Lage von Haushalten mit älteren Personen jenseits der Altersgrenze von 55 Jahren, aber noch unterhalb des Rentenalters, unterscheidet sich von der Lage von Personen, die das Rentenalter ab 65 Jahre bereits erreicht haben. Bei Haushalten mit Personen im Vorrentenalter ist die soziale Lage vergleichsweise stärker polarisiert. Es gibt sowohl einen überdurchschnittlichen Anteil an einkommensstärkeren wie auch an einkommensarmen Haushalten. Dies ist zum Teil auf einen höheren Anteil an BezieherInnen von ALG II zurückführbar. Auch das Qualifikationsniveau der Personen in dieser Altersgruppe differiert stärker als bei Haushalten im Rentenalter. Bei BewohnerInnen im Rentenalter handelt es sich überdurchschnittlich häufig um Personen ohne Migrationshintergrund, die als ArbeiterInnen bzw. FacharbeiterInnen tätig waren. Deutsche Haushalte sind in der Regel wirtschaftlich besser gestellt als Haushalte mit älteren Personen, die einen Migrationshintergrund haben. Perspektivisch ist jedoch mit einer Verschlechterung
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der ökonomischen Lage älterer Haushalte zu rechnen, wenn die jetzigen Personen im Vorrentenalter ins Rentenalter übergehen. Die Haushaltsstruktur von Haushalten mit älteren Personen ist zu knapp zwei Dritteln und damit mehrheitlich durch Zwei-Personenhaushalte geprägt, das übrige Drittel lebt allein. Die Wohndauer von deutschen und migrantischen Haushalten mit Personen ab 55 Jahren unterscheidet sich, liegt aber in beiden Fällen über der durchschnittlichen Wohndauer im Gebiet von 11,7 Jahren. Während deutsche Haushalte mit älteren Personen ab 55 Jahren im Schnitt 24 Jahre im Gebiet leben, sind ältere MigrantInnen durchschnittlich 13 Jahre im Gebiet ansässig. Gebietsbeurteilung: Aus Alter und sozialer Lage dieser BewohnerInnen ergeben sich andere Erwartungen an das Wohngebiet und damit auch an die Bewertung des Gebietes im Allgemeinen und der infrastrukturellen Versorgung im Besonderen. Die Qualität der Schulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen sind weniger im Focus und wurden auch in der Regel von den Befragten dieser Altersgruppe nicht beurteilt, die der Grünflächenversorgung, Senioreneinrichtungen und nachbarschaftlichen Kontakte sind dafür umso mehr relevant. Das Gesamturteil von Haushalten mit älteren Personen zum Gebiet im Allgemeinen fällt ähnlich kritisch aus wie das der BewohnerInnen insgesamt. Allerdings beurteilen Haushalte mit einer Wohndauer von 20 Jahre und mehr das Gebiet besonders schlecht. Bei der Bewertung einzelner Angebote und Einrichtungen im Gebiet zeigt sich eine insgesamt schlechtere Bewertung einzelner Infrastrukturmerkmale als im Mittel. Bemerkenswert ist eine deutlich schlechtere Beurteilung der nachbarschaftlichen Beziehungen. Das Seniorenfreizeitangebot wird von fast der Hälfte als schlecht beurteilt. Nur etwa jeder sechste Befragte gab hierzu ein positives Urteil ab, und nutzt diese Einrichtungen mehr oder weniger oft. Der Anteil von Personen, die kulturelle Angebote und insbesondere die Amerika-Gedenkbibliothek „häufiger“ nutzen, ist jedoch bei älteren Personen nahezu gleich groß wie bei jüngeren BewohnerInnen. Festzustellen ist, dass eine stärkere Einbindung älterer Personen in soziale und nachbarschaftliche Netze mit einer positiveren Beurteilung des Gebiets und seiner Angebote wie auch einer stärkeren Nutzung von Einrichtungen und Angeboten im Quartier korreliert. Beteiligungsbereitschaft: Sehr verhalten fällt die Bereitschaft aus, sich für die Entwicklung des Quartiers zu engagieren. Die Hälfte der Älteren ist hierzu nicht bereit. Jeder sechste Befragte in diesen Haushalten erklärt aber, sich engagieren zu wollen. 14% der Befragten mit einer Wohndauer von 20 und mehr Jahren gaben kein Urteil. Signifikante Zusammenhänge bestehen auch hier zwischen einer höheren Beteiligungsbereitschaft und der Einbindung in Netzwerkstrukturen, beispielsweise einer häufigeren Nutzung von kulturellen Einrichtungen, Seniorenbegegnungsstätten oder der AmerikaGedenkbibliothek. Auch ein höheres berufliches Qualifikationsniveau geht mit einer größeren Beteiligungsbereitschaft konform. 6.4. Teilräumliche soziale Differenzierungen (Tabellarische Übersicht)
Das Untersuchungsgebiet umfasst sowohl das Sanierungsgebiet „Südliche Friedrichstadt“ als auch das Quartiersmanagementgebiet „Mehringplatz“, das sich bis auf den Block 019 gänzlich im Sanierungsgebiet befindet. Der Block 019 wurde in das Untersuchungsgebiet aufgenommen, um auch zum Quartiersmanagementgebiet (QM-Gebiet) einige Auswertungen gebietsscharf vornehmen zu können. Hinsichtlich wesentlicher sozialer Indikatoren gibt es zwischen den drei Teilbereichen allerdings kaum Unterschiede.
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Die drei betrachteten Teilräume ähneln sich auch hinsichtlich wohnungsstruktureller Merkmale. Einen geringfügigen Unterschied gibt es in Bezug auf die Ausstattung mit einer zentralen Warmwasserversorgung. Der Anteil ist im QM-Gebiet höher. Auch die Nettokaltmieten je m² unterscheiden sich etwas und sind im QM-Gebiet rund 5% niedriger als im Sanierungsgebiet. Von der Beurteilung nachbarschaftlicher Beziehungen abgesehen, fallen Bewertungen zum Wohnquartier bei Familien im QM-Gebiet fast bei allen familienorientierten Angeboten und Einrichtungen etwas schlechter aus als bei Familien im Sanierungsgebiet. Dem Trend nach sind die Zuziehenden in allen drei Teilbereichen überproportional Haushalte mit besserverdienenden, höher qualifizierten Personen. Es sind auch in stärkerem Maß kleine Haushalte mit ein bis zwei Personen ohne Kinder. Dies lässt den Schluss auf strukturelle Veränderungen im Untersuchungsgebiet zu, die dem Charakter von Gentrifizierungsprozessen entsprechen, allerdings im QM-Gebiet insgesamt weniger stark ausgeprägt erscheinen. Hier gab es bei Zuzügen der letzten drei Jahre in den Indikatoren Einkommen und Qualifikation der Zuziehenden eher eine gewisse Stagnation. Tabelle 33. Soziale Indikatoren im Gebietsvergleich: Untersuchungsgebiet (UG), Sanierungsgebiet(SG) und Quartiersmanagementgebiet(QM)
UG „Südliche Friedrichstadt“ 7.588 2,38 P/HH 68% (20%) 31,7% 32,9 23,7% 27% 25% (+6%) 2% 5,7% /8,8% 13,9% / 12,5% 30% 1.740 € 1.030 € 18% SG „Südliche Friedrichstadt“ 6.380 2,40 P/HH 69% (20%) 31,3% 32,4 23,5% 26% 26% (+6%) 3% 6,1% /9,3% 12,8% /13,9% 30% 1.740 € 1.028 € 17% QM-Gebiet „Mehringplatz“ 5.594 2,28 P/HH 68% (23%) 32,8%
37
Sozio- und wohnungsstrukturelle Merkmale 2013 EW -Zahl
36
Haushalts-Größe Personen mit Migrationshintergrund (dav. mit EUHerkunft) Ausländeranteil durchschnittliches Alter Anteil Kinder < 18 Jahren Anteil Ein-Personen-Haushalte Anteil Haushalte mit Kindern unter 18 Jahren (+erwachsene Kinder) Anteil Alleinerziehender an allen HH mit Kindern Anteil StudentInnen (an allen/an Erwerbspersonen Anteil der RentnerInnen (an allen Personen / >=65 Jahre alt) ALG-II Bedarfsgemeinschaften durchschnittliches HH-Nettoeinkommen (Median) durchschnittliches Äquivalenzeinkommen Anteil armutsgefährdeter Haushalte
34,6 23,2% 28% 21% (+ 4%) 2% 5,1% /7,8% 17,6% /13,2% 30% 1.738 € 1.000 € 17%
36 37
Quelle: Amt für Statistik Berlin Brandenburg, 31.12.2012 Ebenda
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Tabelle 34.
Wohnungsbezogene Indikatoren im Gebietsvergleich
UG „Südliche Friedrichstadt“ 3.300 43,5% 41,7% 14,7% 60% 6,19 €/m² 10,20 €/m² 41% 30,0 m²/Pers SG „Südliche Friedrichstadt“ 2.800 43,3% 41,4% 15,2% 59% 6,23 €/m² 10,20 €/m² 44% 29,8 m²/Pers QM-Gebiet „Mehringplatz“ 2.500 41,5% 48,5% 9,9% 48% 5,97 €/m² 9,98 €/m² 43% 31,2 m²/Pers
Wohnungsstrukturelle Merkmale 2013 WE gesamt Anteil WE mit 1 und 2 Zimmern Anteil WE mit 2,5 -3 Zimmern Anteil WE mit 3,5 und mehr Zimmern Anteil WE mit dezentraler WW-Versorgung durchschnittliche Nettokaltmiete durchschnittliche Bruttowarmmieten* durchschnittliche Warmmietbelastung* durchschnittliche Wohnfläche / Pers.
*ohne Kosten für dezentrale Warmwasserversorgung Tabelle 35. Vergleich zu zeitlichen Gebietsbindungen
UG „Südliche Friedrichstadt“ 11,7 Jahre 10,2 Jahre 19,0 Jahre 12% (+22%) SG „Südliche Friedrichstadt“ 11,2 Jahre 9,9 Jahre 17,9 Jahre 11% (+22%) QM-Gebiet „Mehringplatz“ 12,7 Jahre 11,4 Jahre 20,0 Jahre 12% (+21%)
Zeitliche Bindungen durchschnittliche Wohndauer (Gebiet) Ø Wohndauer Familien mit Migrationshintergrund Ø Wohndauer Personen älter als 55 Jahre Wegzugswunsch ja (eventuell)
Tabelle 36.
Vergleich des Urteils aller Befragten zu Einrichtungen und Angeboten
UG „Südliche Friedrichstadt“ 1,80 2,45 2,48 2,74 2,68 2,70 2,52 SG „Südliche Friedrichstadt“ 1,83 2,47 2,49 2,78 2,67 2,69 2,51 QM-Gebiet „Mehringplatz“ 1,60 2,42 2,46 2,66 2,72 2,86 2,61
Gebietsbeurteilung (Mittelwerte zwischen 1=sehr gut und 4=schlecht) ÖPNV Einkaufsmöglichkeiten Grünflächen Cafés, Kneipen Nachbarschaft / soz. Beziehungen Straßenraum Kultureinrichtungen
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Tabelle 37.
Vergleich des Urteils von Familien mit Kindern zu Einrichtungen und Angeboten
UG „Südliche Friedrichstadt“ 2,94 2,81 2,68 2,59 2,50 2,27 2,66 2,41 SG „Südliche Friedrichstadt“ 2,92 2,80 2,66 2,59 2,49 2,27 2,66 2,40 QM-Gebiet „Mehringplatz“ 3,05 2,89 2,77 2,64 2,81 2,33 2,78 2,38
Gebietsbeurteilung Familien (Mittelwerte zwischen 1=sehr gut und 4=schlecht) Jugendfreizeit Kinderfreizeit Spielplätze Grünflächen Straßenraum Kita Grundschule Nachbarschaft
Tabelle 38.
Vergleich soziostruktureller Merkmale zwischen allen BewohnerInnen und Zugezogenen in den letzten 6 bzw. 3 Jahren
Alle 1.030 € 33% 23% 68% 32% Alle 1.030 € 33% 24% 68% 32% Alle 1.000 € 35% 20% 71% 29% Zuzüge <= 6 Jahre 1.194 € 40% 18% 64% 36% Zuzüge <= 6 Jahre 1.174 € 33% 24% 63% 37% Zuzüge <= 6 Jahre 1.167 € 39% 18% 69% 31% Zuzüge <=3 Jahre 1.255 € 41% 16% 73% 27% Zuzüge <=3 Jahre 1.216 € 41% 16% 72% 28% Zuzüge <=3 Jahre 1.091 € 35% 16% 76% 24%
Untersuchungsgebiet insgesamt Äquivalenz-Einkommen Hohe/höhere Qualifikation (Pers.) Ohne/geringe Qualifikation (Pers.) 1 u. 2-Personen-Haushalte 3 u. mehr-Personenhaushalte Sanierungsgebiet Äquivalenz-Einkommen Hohe/höhere Qualifikation (Pers.) Ohne/geringe Qualifikation (Pers.) 1 u. 2-Personen-Haushalte 3 u. mehr-Personenhaushalte QM-Gebiet Äquivalenz-Einkommen Hohe/höhere Qualifikation (Pers.) Ohne/geringe Qualifikation (Pers.) 1 u. 2-Personen-Haushalte 3 u. mehr-Personenhaushalte
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7. Öffentlichkeitsbeteiligung am Sanierungsprozess
Gut ein Fünftel der Haushalte würde sich gerne für die Belange des Quartiers engagieren. Mehrheitlich stehen die BewohnerInnen einem Engagement für die Quartiersentwicklung eher kritisch bis ablehnend gegenüber. Die im Mittel langjährig im Gebiet wohnende deutschstämmige Gebietsbevölkerung erklärt sich weniger häufig dazu bereit als die aus dem europäischen Ausland und in der Regel erst in den letzten Jahren zugezogene Bewohnerschaft. Eine längere Wohndauer und eine größere Unzufriedenheit mit dem Wohngebiet führen nicht zu einem größeren Interesse, auf Entscheidungen zur Quartiersentwicklung Einfluss nehmen zu wollen. Ausschlaggebendere Faktoren, um sich für eine Verbesserung des Quartiers zu engagieren, sind persönliche und finanzielle Ressourcen und das Angewiesensein auf das Wohnumfeld sowie Gegenstand und Art der Bürgerbeteiligung. Für Öffentlichkeitsarbeit und Beteiligungsverfahren müssen „Hingehstrukturen“ und milieuspezifische Beteiligungsformate genutzt werden, um auch sozialbenachteiligte Bevölkerungsgruppen und Bewohnerschichten mit Migrationserfahrung zu erreichen.
Gut ein Fünftel der Haushalte des Gebiets möchte sich für die Quartiersentwicklung einsetzen, während ein größerer Teil der Bewohnerschaft (33%) dies ablehnt. Von gut einem Drittel (37%) wird eine potenzielle Bereitschaft zum Engagement erklärt. Die Mehrzahl der BewohnerInnen ist damit derzeit nur unter bestimmten Bedingungen bzw. gar nicht bereit, sich für Belange des Quartiers zu engagieren. Die Gründe, sich für das eigene Wohngebiet engagieren zu wollen oder nicht, sind vielschichtig. Die Befragungsergebnisse verweisen darauf, dass eine größere Unzufriedenheit mit dem Wohngebiet nicht zwangsläufig dazu führt, sich für eine Verbesserung des Quartiers engagieren zu wollen, denn Haushalte, die das Quartier positiv beurteilen, zeigen eine höhere Beteiligungsbereitschaft als die, die es weniger gut beurteilen. Eine längere Wohndauer führt ebenfalls nicht zwangsläufig zu einer größeren Beteiligungsbereitschaft. Haushalte mit langer Wohndauer sind am wenigsten bereit, sich zu engagieren. Die größte Beteiligungsbereitschaft zeigen diejenigen, die nicht mehr ganz neu im Gebiet sind, aber noch nicht länger als 5 Jahre hier leben. Die im Mittel langjährig im Gebiet wohnende deutschstämmige Gebietsbevölkerung erklärt sich weniger häufig als Bewohnergruppen mit Migrationshintergrund, bereit zum persönlichen Engagement. Vor allem die erst in den letzten Jahren aus dem europäischen Ausland Zugezogenen, äußern, sich für das Quartier engagieren zu wollen.
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Tabelle 39.
Befragte ja eventuell nein ohne Angaben gesamt
Bereitschaft zum persönlichen Engagement bei unterschiedlichen Gruppen
Untersuchungsgebiet 22% 37% 33% 8% 100% Haushalte mit Kindern 28% 35% 36% 1% 100% HH mit Migrationshintergrund (ohne EU) 22% 35% 37% 6% 100% HH mit Migrationshintergrund (alle) 29% 41% 24% 6% 100% HH mit deutschem Hintergrund 18% 40% 34% 8% 100%
Stärker als die Wohndauer, die Wohnzufriedenheit und der Migrationshintergrund hängen offenbar persönliche und finanzielle Ressourcen sowie das Alter mit der Beteiligungsbereitschaft zusammen. Insbesondere kulturelle und Bildungsressourcen, ein unmittelbareres Angewiesensein auf das Wohnumfeld und eine die Einbindung in nachbarschaftliche Netze im Quartier sind in diesem Kontext von Bedeutung. Abbildung 30: Einflussfaktoren auf Beteiligungsbereitschaft (% der Befragten)
Bewohnerschichten mit höherer und hoher Qualifikation, diejenigen, die ihre Nachbarschaft positiv beurteilen oder ihre Mietbelastung als angemessen zum Einkommen beurteilen, äußern ein stärkeres Beteiligungsinteresse. Hinsichtlich des Alters besteht das größte Beteiligungsinteresse bei Personen mittleren Alters zwischen 30 und 45 Jahren, während es bei Haushalten mit jungen Personen, aber auch mit älteren Personen deutlich weniger ausgeprägt ist. In der „Südlichen Friedrichstadt“ gibt es einen hohen Anteil von Bewohnergruppen in prekären Lebensverhältnissen, die weniger artikulationsstark sind und aufgrund ihres nicht-akademischen Qualifikationsniveaus mit den gängigen eher mittelschichtsorientierten Beteiligungsformaten nur sehr
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schwer erreicht werden. Um diese Bewohnergruppen für die Beteiligung an Sanierungsvorhaben zu gewinnen, sollte der praktische Nutzen der Teilnahme stets erkennbar sein und deutlich werden, dass ihre Anliegen ernst genommen werden, unabhängig davon, wie ausgereift ihre Vorschläge sind. Öffentlichkeitsarbeit und Beteiligungsverfahren müssen sich dabei lebensweltlich orientieren, sich auf „Hingehstrukturen“ stützen. Für Information und Vermittlung sind die Vernetzung mit MultiplikatorInnen sowie zielgruppen- und milieuspezifische Beteiligungsformate auszubauen.38
8. Soziale Sanierungsziele und Steuerungsinstrumente
Ziel der Untersuchung ist es, die in der Satzung zur Festsetzung des Sanierungsgebietes genannten sozialen Ziele für das Sanierungsgebiet „Südliche Friedrichstadt“ zu konkretisieren und die zu ihrer Umsetzung zur Verfügung stehenden Steuerungsinstrumente zu benennen. In der Satzung sind Zielrichtungen in drei Handlungsfeldern vorgegeben: städtebauliche und funktionale Aufwertung des Gebietes (Handlungsfeld A), Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und Qualifizierung des Wohn-, Wirtschafts- und Kulturortes (Handlungsfeld B) sowie Verbesserung der Vernetzungen und Verbindungen (Handlungsfeld C). zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts beitragen, eine umfassende Beteiligung der BewohnerInnen ermöglichen, die Wohnfunktion des Gebietes erhalten, die Belange der hier Lebenden berücksichtigen und bei notwendigen Modernisierungen des Wohnraumes die finanziellen Möglichkeiten und Bedürfnisse der im Gebiet Lebenden berücksichtigen. eine energetische Erneuerung der 60-er und 70-er-Jahre-Gebäude rund um den Mehringplatz, Aufwertungsmaßnahmen im öffentlichen Raum einschließlich der Verbesserung der Grün- und Wegeverbindungen für den Fußgänger- und Radverkehr sowie eine Qualifizierung der sozialen Infrastruktur insbesondere von Kitas, Schulen und Freizeiteinrichtungen angestrebt.39
Danach sollen die Maßnahmen zur Entwicklung des Gebietes folgende soziale Ziele erfüllen:
Zur Verbesserung der Wohn- und Wohnumfeldbedingungen werden
Ausgehend von diesen, in der Sanierungssatzung genannten grundsätzlichen Zielsetzungen werden aus den Untersuchungsergebnissen zunächst Leitziele für die Bereiche Wohnen, Soziale Infrastruktur, Grünflächen und Spielplätze, Verkehr und Öffentlichkeitsbeteiligung formuliert und - für diese Ziele Handlungsfelder konkretisiert. Im darauf folgenden Kapitel werden Steuerungsinstrumente zur Umsetzung der Zielsetzungen benannt.
38
Vgl. u.a. vhw-Kommunikationshandbuch „Praxisbezogene Kommunikation mit den Milieus der Stadtgesellschaft“, vhw-Schriftenreihe 4, Juni 2013
39
Vgl.: Abgeordnetenhaus von Berlin, Zwölfte Verordnung über die förmliche Festlegung von Sanierungsgebieten, Begründung
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8.1.
Soziale Sanierungsziele
Wohnen 1. Angesichts der Kumulation sozialer Problematiken im Untersuchungsgebiet und eines angespannten Wohnungsmarktes in der Innenstadt ist das vordringlichste Ziel, die vorhandene Wohnbevölkerung vor Verdrängung und untragbaren Mietbelastungen im Zuge von wohnungs- und hausbezogenen Modernisierungsmaßnahmen zu schützen. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ist von überproportional hohen Miet- und Kaufpreissteigerungen auf dem Wohnungsmarkt betroffen. Er weist gemeinsam mit Charlottenburg-Wilmersdorf die höchsten mittleren Neuvertragsmieten auf.40 Der Leerstand liegt unterhalb der Fluktuationsreserve, insbesondere im Ortsteil Kreuzberg. Diesen Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt steht im Sanierungsgebiet eine Bevölkerung gegenüber, bei der sich soziale Problemlagen in überdurchschnittlichem Maße häufen. Dies betrifft besonders BewohnerInnen mit Migrationshintergrund, da sie überproportional einkommensarm und von Transferleistungen abhängig sind. Das Gebiet gehört nach dem Monitoring Soziale Stadtentwicklung zu den Stadträumen mit dem niedrigsten sozialen Entwicklungsindex. Der Anteil von Haushalten, die sich aus eigener Kraft nicht am Wohnungsmarkt versorgen können, ist hier besonders hoch. Daher gewinnt das Ziel, Verdrängung zu verhindern, in diesem Gebiet besonders starkes Gewicht. Der Schwerpunkt der Sanierungsbemühungen liegt auf den Wohnbedürfnissen der Bestandsbevölkerung. Der Zuzug einkommensstärkerer Bewohnergruppen erfolgt unter den Bedingungen eines angespannten und marktregulierten Wohnungsmarktes bei Neuvermietung, in neu gebaute Wohnungen und bei Umwandlung in Eigentumswohnungen quasi zwangsläufig. Er muss nicht gesondert befördert werden. 2. Die Wohnfunktion des Gebietes ist vor dem Hintergrund der Angebotsverknappung von Wohnraum, insbesondere von preiswerten Wohnungen in den innerstädtischen Quartieren Berlins zu stärken und zentrales soziales Sanierungsziel. Um gesamtstädtischen Segregationsprozessen entgegenzuwirken, sind besonders die Wohnbedürfnisse einkommensschwächerer Bewohnerschichten an diesem Wohnstandort zu berücksichtigen. Unter Einbeziehung der kommunalen Wohnungsgesellschaft sind hierfür ressortübergreifend Konzepte zu entwickeln. Die Freistellung von Belegungsbindungen in der Großsiedlung sollte entfallen. Die durch das Land Berlin geschaffenen rechtlichen Rahmenbedingungen sind auszuschöpfen, um eine Zweckentfremdung von Wohnraum und spekulativen Leerstand zu verhindern. Bei Wohnungsneubau sollten Anteile preiswerten Wohnraums am Gesamtbestand angestrebt werden. Bebauungspläne mit einer Kerngebietsausweisung sollten mit dem Ziel geprüft werden, die Wohnnutzung zu stärken. Der hohe Bestand an Sozialwohnungen und städtischem Wohnungsbesitz in diesem Gebiet sind eine Ressource für den Erhalt der Wohnfunktion im Untersuchungsgebiet und für den Verbleib und die Wohnraumversorgung einkommensärmerer Bevölkerungsgruppen in Kreuzberg. Dieser Wohnungs40
Der Median der Angebotsmieten liegt bei 8,94 €/m²; Quelle: WohnungsmarktReport 2013 der GSW Immobilien AG
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bestand ist unverzichtbar für eine soziale Wohnraumversorgung und zu erhalten. Die Gebietsbevölkerung ist auf den jetzigen Wohnstandort mit seinen noch preiswerten Wohnungen, den sozialen Netzen und Hilfesystemen, auf kurze Wege zu den Orten des täglichen Bedarfs und die zentrale Lage angewiesen. Die gewachsenen Nachbarschaften haben positive Effekte auf das Wohnquartier. Von der Sicherung einer sozialen Wohnraumversorgung profitieren auch Mittelschichten und insbesondere junge Familie. Aufgrund des Mangels an bezahlbaren Wohnungen für größere Familien, die häufig von Transferleistungen leben, der Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt mit Besserverdienenden sowie hohen Neuvertragsmieten, die in der Regel die subventionierten Wohnkosten überschreiten, ist eine adäquate Wohnraumversorgung von einkommensschwächeren Familien andernorts nicht möglich. Die infrastrukturelle Ausstattung des Gebietes, insbesondere die Bildungs-, Kinder- und Jugendeinrichtungen und Freizeiteinrichtungen sind auf die spezifische Bewohnerschaft mit überproportional vielen Familien migrantischer Herkunft ausgerichtet. Sozialräumliche Segregationsprozesse würden diese „Passgenauigkeit“ gefährden und die vorhandenen unterstützenden Netzwerkstrukturen schwächen. Die GEWOBAG ist als städtisches Wohnungsunternehmen der wichtigste Partner für eine soziale Wohnraumversorgung im Gebiet. Überbelegungen sollten mit ihrer Hilfe abgebaut werden. Perspektivisch wird sich der Bestand an Sozialwohnungen mit dem Wegfall der Anschlussförderung und dem Auslaufen von Bindungen drastisch reduzieren. Die GEWOBAG steht damit in einer wachsenden Verantwortung, einkommensärmeren Bewohnergruppen das Wohnen im Gebiet zu ermöglichen. Rund 60% der Berliner Haushalte können in den Berliner Einkommensgrenzen derzeit einen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein erheben.41 Eine Freistellung des in der Großsiedlung vorhandenen Sozialwohnungsbestandes von Belegungsbindungen widerspricht seiner Zweckbindung für breite Schichten der Bevölkerung und der Sicherung einer sozialen Wohnraumversorgung. Einer weiteren Verknappung von bezahlbarem Wohnraum durch Nutzungsänderungen von Wohnraum in Ferienwohnungen, Beherbergungs- oder anderes Gewerbe widerspricht dem Ziel, die Wohnfunktion des Gebietes zu sichern und ist deshalb entgegenzuwirken. Im Geltungsbereich bestehender Bebauungspläne mit Kerngebietsausweisung bzw. des Baunutzungsplanes ist die Wohnnutzung aufgrund der hohen Attraktivität des Gebietes für Beherbergungsgewerbe, Handel und Dienstleistungen nicht ausreichend geschützt. Um die Wohnnutzung zu stärken und ein verträgliches Nebeneinander von Wohnen und Gewerbe zu sichern, ist deshalb die planungsrechtlichen Situation zu prüfen, um die sozialen Zielsetzungen für das Gebiet zu unterstützen.
Reiner Wild Geschäftsführer des Berliner Mieterverein in Berliner Kurier, Wohn-Report-2013; lt. Drucksache 17 / 12671 Abgeordnetenhaus Berlin hatten 55% aller Berliner Haushalte Anspruch auf einen WBS: Quelle: Mikrozensus 2012
41
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3. Soziale Aspekte baulicher Erneuerungsmaßnahmen haben oberste Priorität im Sanierungsgebiet „Südliche Friedrichstadt“. Eine Modernisierung des Wohnungsbestandes einschließlich seiner energetischen Ertüchtigung ist deshalb in Art und Umfang an den wirtschaftlichen Möglichkeiten der vorhandenen Bewohnerschaft auszurichten und auf gesetzlich vorgeschriebene bauliche Mindest- und ortsübliche Wohnstandards zu beschränken. Modernisierungsmaßnahmen, die über diesen Standard hinausgehen, sind grundsätzlich zu versagen. Diese Beschränkungen gelten auch für Leerwohnungen. Bei Modernisierung sind sozialverträgliche Mietbelastungen einzuhalten. Um negative Auswirkungen durch Sanierungsmaßnahmen auf die MieterInnen zu vermeiden, ist die Durchführung der Baumaßnahmen auf die Bedürfnisse und persönlichen Lebensumstände der Betroffenen abzustimmen. Die Wohnungen weisen weit überwiegend den ortsüblichen Ausstattungsstandard auf. Sie verfügen über Bad und moderne Heizung, Balkone und Aufzüge sind gebietstypische Ausstattungsmerkmale der Wohnungen. Das Aufwertungspotenzial liegt mehrheitlich bei wohnwerterhöhenden Merkmalen nach den Kategorien des Berliner Mietspiegels sowie der Herstellung repräsentativer Grundrisse. Gleichzeitig sind Aufwertungsmaßnahmen zur Schaffung von Wohnraum im höherpreisigen Marktsegment lukrativ, da der Wohnstandort „Südliche Friedrichstadt“ aufgrund seiner zentralen Lage, seiner sehr guten Verkehrsanbindung und seiner infrastrukturellen Ausstattung sowie der Nähe zu kulturellen Einrichtungen attraktiv ist und auch auf eine zahlungskräftige Nachfrage stößt. Dem dadurch indizierten Aufwertungsdruck stehen die begrenzten finanziellen Möglichkeiten und die Bedürfnisse der im Gebiet Lebenden gegenüber. Das Aufwertungspotential und der Aufwertungsdruck sind im Altbaubestand überdurchschnittlich groß. Energetische Sanierungsmaßnahmen sind ohne öffentliche Förderung in der Regel nicht warmmietenneutral und führen trotz Einsparungen bei den warmen Betriebskosten zu teilweise erheblichen Mietsteigerungen. Um eine sozialverträgliche energetische Ertüchtigung zu erreichen, muss neben den gesetzlich zwingend vorgeschrieben Maßnahmen der Schwerpunkt bei Maßnahmen mit einem günstigen Kosten-Nutzen-Verhältnis liegen. Für jeden zweiten Haushalt im Untersuchungsgebiet ist die Mietbelastung bereits aktuell so hoch, dass weitere Mieterhöhungen die Grenze der finanziellen Belastbarkeit überschreiten würden. Die überproportional hohe Abhängigkeit der BewohnerInnen von Transferleistungen, insbesondere ALG II, ist ein wesentlicher Aspekt der Kumulation sozialer Problemlagen im Gebiet. Für Haushalte im ALG II-Bezug bedeuten Mieterhöhungen eine unmittelbare Verdrängungsgefahr. Bei Aufwertungsmaßnahmen muss Bedarfsgemeinschaften (ALG II) das Wohnen im Gebiet durch Mietbelastungsgrenzen ermöglicht werden, die die Bestimmungen der Verordnung für angemessene Wohnkosten (WAV) einhalten. Bei einkommensärmeren Bewohnergruppen soll das mittlere Mietund Mietbelastungsniveau Berlins nicht überschritten werden. Um negative Auswirkungen durch Sanierungsmaßnahmen auf die betroffenen MieterInnen zu verhindern oder zumindest weitgehend zu vermeiden, ist ein sozialverträglicher Bauablauf von Bedeutung. Nicht zuletzt der relativ hohe Anteil älterer BewohnerInnen im Untersuchungsgebiet erfordert, dass im sanierungsrechtlichen Genehmigungsverfahren eine auf die persönlichen Belange der MieterInnen rücksichtnehmende Baudurchführung abgestimmt wird. Die auf Grundlage der Sozialpläne durch den Eigentümer anzubietenden Modernisierungsvereinbarungen ermöglichen im Grundsatz
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die Art, den Umfang und den Ablauf der Sanierung einvernehmlich und zivilrechtlich bindend zu regeln. Soziale Infrastruktur, Bildungs- und Kultureinrichtungen 4. Die im Gebiet vorhandene soziale Infrastruktur, die Bildungs- und Kultureinrichtungen sind zu sichern. Ihre Potentiale zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts und nachbarschaftlicher Beziehungen sind zu nutzen und auszubauen. Ressortübergreifend müssen alle Anstrengungen darauf gerichtet sein, dass diese Einrichtungen für die ihnen obliegenden Aufgaben eine bestmögliche bauliche Qualität und personelle Ausstattung erhalten und als Orte der sozialen Inklusion wirken. Ein Schwerpunkt der Sanierung sind bauliche Erneuerungsmaßnahmen an den Gemeinbedarfseinrichtungen. Gerade Kinder und Jugendliche, die in einem Gebiet leben, das als „sozialer Brennpunkt“ gilt, sind auf gute Schulen und Kitas angewiesen. Diese Einrichtungen sollten darin unterstützt werden, zentrale öffentliche Räume für das Quartier zu sein, die interkulturelle Begegnungen ermöglichen und von denen quartiersbezogene Aktivitäten ausgehen. Die gebietsversorgenden Bildungsund Kultureinrichtungen sind wichtige Potenziale zur Minderung sozial bedingter ungleicher Bildungschancen. Insbesondere die Amerika-Gedenkbibliothek (AGB) hat als Kultur- und Bildungseinrichtung eine herausragende Bedeutung für Inklusion, Ressourcenstärkung und als integrativer Treffpunkt für die Gebietsbevölkerung. Mit dem Bürgerentscheid vom 25.5.2014 wird die AGB anders als bis dahin vorgesehen nicht auf das Tempelhofer Feld umziehen. Die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg hat vor diesem Hintergrund den Beschluss gefasst: „Das Bezirksamt wird beauftragt sich bei der zuständigen Senatsverwaltung ausdrücklich für eine Weiternutzung der Amerika-Gedenkbibliothek als den um einen Neubau erweiterten Standort der Zentral- und Landesbibliothek einsetzen. In diesem Zusammenhang ist der zuständigen Senatsverwaltung zu signalisieren, dass die BVV keine grundsätzlichen Bedenken in Hinblick auf eine (teilweise) Nutzung der bestehenden Grünfläche an der Blücherstraße für einen Erweiterungsbau der Amerika-Gedenkbibliothek einwenden wird.“ Um eine Ersatzgrünfläche zu schaffen, soll dem Beschluss folgend ein Teil der Blücherstraße umgewidmet werden.42
42
Drucksache der BVV Friedrichshain-Kreuzberg: DS/1088/IV, 5.6.2014
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Öffentliche Grünflächen und Spielplätze 5. Öffentliche Grünflächen und Spielplätze sind mit hoher Gestaltungsqualität und vielfältiger Nutzbarkeit für die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zu qualifizieren. Die Pflege dieser Freiflächen ist zu sichern. Die Ausstattung des Gebiets mit diesen Freiräumen ist qualitativ und quantitativ auszubauen, um beengte Wohnverhältnisse und geringe finanzielle Ressourcen für Freizeit, Erholung und Spiel zu kompensieren. Defizite durch Verkehrsemissionen sollten beseitigt werden. Schulfreiflächen sollten für eine Nutzung nach Schulschluss geöffnet werden. Eine bauliche Nachverdichtung ist im Einzelfall kritisch zu prüfen. Grün- und Freiflächen erzielen in sozial benachteiligten Wohnquartieren einen nachhaltigen Beitrag zur Gesundheitsförderung. Sie sind für gesunde Lebensverhältnisse unverzichtbar. Ältere Menschen, Kinder und Jugendliche sind auf diese Flächen besonders angewiesen. Beengte Wohnverhältnisse beschränken die Entfaltungsmöglichkeiten insbesondere von Kindern und Jugendlichen. Grünflächen, Spielplätze und Plätze mit hoher Gestaltungs- und Aufenthaltsqualität sind von herausragender Bedeutung für die vorhandene Bewohnerschaft mit überproportional vielen Familien und begrenzten finanziellen Ressourcen für räumliche Mobilität sowie die Freizeitgestaltung. Die Qualität des öffentlichen Freiraums beeinflusst Identifikation und Wertschätzung des Gebietes durch die Bewohnerschaft und Außenwahrnehmung. Sie ist Voraussetzung für ein lebendiges Wohnumfeld. Verkehrssituation 6. Die Aufenthaltsqualität des Straßenraums, der Ausbau von sicheren und attraktiven Fuß- und Radwegen mit gut nutzbaren Verbindungen haben Vorrang vor den Anforderungen des motorisierten Individualverkehrs. Angesichts des hohen Anteils von Kindern und älteren Menschen an der Gebietsbewohnerschaft sind sichere Wege und der Abbau von Barrieren besonders wichtig. Die Verkehrssituation im Untersuchungsgebiet Südliche Friedrichstadt ist vor allem an seinen Rändern und entlang des Landwehrkanals durch den Durchgangsverkehr auf den übergeordneten Straßenverbindungen belastet. Die Hauptverkehrsstraßen sind prioritär autogerecht und haben aufgrund ihrer Verkehrsdichte bzw. Straßenbreite eine Trennwirkung und zu wenig Aufenthaltsqualität. Dem steht eine Gebietsbevölkerung gegenüber, deren überwiegende Mehrheit sich zu Fuß oder mit dem Rad bewegt.
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Bürgerbeteiligung 7. Entscheidungen zu öffentlichen Planungsvorhaben sind zwischen den beteiligten Akteuren und mit möglichst breiter Zustimmung auszuhandeln. Unter Berücksichtigung vorgegebener Rahmenbedingung müssen diese Planungsprozesse dialogorientiert, ergebnisoffen, transparent gestaltet sein und eine Mitwirkung auch sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen ermöglichen. Insbesondere die Umgestaltungsmaßnahmen von Grün- und Freiflächen sowie Spielplätzen erfolgen unter Beteiligung der auf das Wohngebiet besonders angewiesenen Bevölkerungsgruppen. Frühzeitige und umfassende Information der BewohnerInnen, ihre breite Beteiligung an den Entscheidungen zu geplanten Maßnahmen sind unverzichtbar, um eine sozial inklusive Quartiersentwicklung zu erreichen und den sozialen Zusammenhalt zu stärken. In der „Südlichen Friedrichstadt“ mit einem hohen Anteil an „beteiligungsfernen“ Bewohnergruppen sind Beteiligungsformate zu wählen, die auch weniger artikulationsstarke Bewohnergruppen erreichen. MigrantInnen, Arme, Alte und Kinder kommen in den meisten Beteiligungsprozessen zu kurz. Sich beteiligen erfordert Ressourcen. Bürgerbeteiligung muss sich daran messen lassen, dass sie auch Bevölkerungsgruppen in prekären Lebensverhältnissen erreicht und ihnen ermöglicht, die eigenen Anliegen aktiv einzubringen. Für Information und Vermittlung sind „Hingehstrukturen“ und die Vernetzung mit MultiplikatorInnen sowie milieuspezifische Beteiligungsformate auszubauen. 8.2. Steuerungsinstrumente
Das Sanierungsgebiet wurde per 12. Verordnung über die förmliche Festlegung von Sanierungsgebieten vom 31.3.2011 (GVBl. Nr.9 S.90) zum Sanierungsgebiet gemäß §142 BauGB Absatz 4 erklärt. Damit gilt das vereinfachte Verfahren für das Sanierungsgebiet. 8.2.1. Steuerungsinstrumente im sanierungsrechtlichen Genehmigungsverfahren Die Begrenzung von Mieterhöhungen im Zuge von Modernisierungsmaßnahmen muss im sanierungsrechtlichen Genehmigungsverfahrens Vorrang haben. Hierzu können bei umfassenden Sanierungsmaßnahmen nach §§ 144 und 145 BauGB Modernisierungsmaßnahmen und Grundrissänderungen versagt werden, sofern sie den Zielen und Zwecken der Sanierung zuwiderlaufen. Über städtebauliche Verträge können Regelungen zur Miethöhe nach Modernisierung und Mietbelastung haushaltsbezogen vereinbart werden. Im Sozialplanverfahren werden Anforderungen und Lebensumstände der betroffenen MieterInnen im Hinblick auf eine sozialverträgliche Sanierung ermittelt und auf dieser Grundlage Sozialpläne festgesetzt. Auf die benannten Instrumente wird im Folgenden eingegangen. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.5.2006 gibt den rechtlichen Rahmen für Steuerungsmöglichkeiten im Sanierungsgebiet vor. Die städtebauliche Zielsetzung der „Herstellung des zeitgemäßen Ausstattungszustands einer durchschnittlichen Wohnung unter Berücksichtigung der bauordnungsrechtlichen Mindestanforderung ...“ darf nicht unterschritten werden. Andererseits sind die Versagung von „Luxusmodernisierungen“ und Genehmigungsvorbehalte für Baumaßnahmen, die über den zeitgemäßen Standard hinausgehen, in einem Gebiet mit überwiegend einkommens-
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schwacher Bevölkerung im Genehmigungsverfahren im Grundsatz zulässig. Auch die Anwendung von Versagenstatbeständen auf Leerwohnungen ist im Grundsatz für zulässig erklärt worden. 43 Versagung von Maßnahmen: Das Bezirksamt kann Art und Umfang der zulässigen Modernisierungsmaßnahmen regeln, um Mieterhöhungen und die Mietentwicklung nach Sanierung zu begrenzen und damit die Gebietsbevölkerung vor Verdrängung zu schützen.44 Die Versagung von Maßnahmen stellt hierzu ein wesentliches Steuerungsinstrument dar. Dabei können im Rahmen sanierungsrechtlicher Genehmigungen nach §§ 144 und 145 BauGB allerdings nur Modernisierungsmaßnahmen versagt werden, die über den zeitgemäßen Standard hinausgehen. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu und in Bezugnahme auf die Genehmigungskriterien in Sozialen Erhaltungsgebieten festgestellt: „Die Herstellung des zeitgemäßen Ausstattungsstandard einer durchschnittlichen Wohnung unter Berücksichtigung der bauordnungsrechtlichen Mindestanforderungen, die selbst in einem Erhaltungsgebiet genehmigt werden muss (vgl. 172 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 BauGB), darf deshalb auch in einem Sanierungsgebiet nicht untersagt werden.“45 Der Eigentümer hat einen Anspruch auf eine auflagenfreie Genehmigung und daraus resultierende Mieterhöhungen, wenn durch die Maßnahmen eine zeitgemäße Ausstattung geschaffen wird. Im Sinne der Leitsätze zur Stadterneuerung vom Senat von Berlin können „Art und Umfang der Erneuerungsmaßnahmen nach Maßgabe des Sanierungskonzeptes näher bestimmt werden.“46 Luxusund Sonderausstattungsmerkmale gehören danach nicht zum zeitgemäßen Ausstattungsstandard einer durchschnittlichen Wohnung. Vergleichsmaßstab ist das Land Berlin. Zu den Sondermerkmalen bzw. wohnwerterhöhenden Merkmalen, die eine überdurchschnittliche Miete erlauben, gehören u.a. das 2.WC, der 2.Balkon, Herstellung repräsentativer Grundrisse. Wie der zeitgemäße und ortsübliche Standard zu definieren ist, ist gesetzlich nicht abschließend geregelt. Die Formulierung zeitgemäß verweist darauf, dass der allgemein übliche Standard keine feststehende Größe ist, sondern sich im Verlauf der Zeit verändern kann und jeweils empirisch festgestellt und fortgeschrieben werden muss. Vor dem Hintergrund des Urteils des BVerwG von 2006 als auch aktueller Rechtsprechung zu Aufzugsanlagen und Balkonen sollte im sanierungsrechtlichen Genehmigungsverfahren der zeitgemäße Ausstattungsstandard analog den geltenden bezirklichen Genehmigungskriterien für Soziale Erhaltungsgebiete gefasst werden (Pkt. 1).47 Das, was als zeitgemäßer Ausstattungsstandard in diesen Gebieten genehmigt werden muss, darf nach geltender Rechtsprechung im Sanierungsgebiet nicht versagt werden. Außerdem haben sich die bezirklichen Prüfkriterien für Soziale Erhaltungsgebiete in der Verwaltungspraxis bewährt. Relevanz dürfte die Begrenzung von Maßnahmen im sanierungsrechtlichen Genehmigungsverfahren zurzeit in erster Linie für den Altbaubestand im Gebiet haben. Die Kriterien für die Genehmigung und Versagung von Modernisierungsmaßnahmen im Sanierungsgebiet sollten durch einen Bezirksamtsbeschluss legitimiert werden. Die Steuerung energetischer Sanierungsmaßnahmen ist sowohl für die Wohngebäude der Großsiedlung als auch für den Altbaubestand von großer Bedeutung. Da energetische Sanierungsmaßnahmen in der Regel nicht warmmietenneutral aber erklärtes Sanierungsziel sind und die EnEV enge Spiel-
43
Zur Auslegung des Urteils vgl.: Dieser, Gülink, Oehlert, Wagner „Sozialorientierte Stadterneuerung in den Sanierungsgebieten des Ortsteils Mitte im Bezirk Mitte von Berlin …“, Berlin 2006
44 45 46
Vgl. Urteil BVerwG vom 24.5.2006, Ziffer27 Vgl. Urteil BVerwG vom 24.5.2006, Ziffer29
Vgl. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung –IV C- Leitsätze zur Stadterneuerung für die Sanierungsgebiete in Berlin. Vom Senat von Berlin, am 01.02.2005 zustimmen zur Kenntnis genommen. Vgl. Neufassung der Prüfkriterien für die Umsetzung der sozialen Erhaltungsverordnung in den Erhaltungsgebieten nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg
47
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räume für Genehmigungspflicht und die zivilrechtliche Duldungspflicht setzt, liegt hier eine entscheidende Herausforderung, um eine sozialverträgliche energetische Sanierung im sanierungsrechtlichen Genehmigungsprozess zu erreichen. Zielsetzung sollte dennoch im Genehmigungsverfahren eine annähernd warmmietenneutrale energetische Sanierung sein, die neben den gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen wie energetische Nachrüstungspflichten (derzeit EnEV 2009, § 10) den Focus auf energetische Maßnahmen mit einem günstigen Kosten-Nutzen-Verhältnis legt und für die Inanspruchnahme öffentlicher Förderungsmöglichkeiten wirbt. Ohne einen Ausbau der öffentlichen Förderung sowie geänderte rechtliche Rahmenbedingungen wird die Sozialverträglichkeit energetischer Sanierungsmaßnahmen in der Mehrzahl der Fälle nicht zu gewährleisten sein. Städtebauliche Verträge: Der Abschluss städtebaulicher Verträge erlaubt einen Ausgleich der Interessen von EigentümerInnen und MieterInnen. Hierzu sind dem Eigentümer Leistungen durch den Bezirk anzubieten, auf die er keinen Rechtsanspruch hat und für die er als Äquivalent auf die Durchführung bestimmter Baumaßnahmen und / oder die ihm rechtlich zustehende höhere Miete verzichtet. Zielsetzung ist eine zügige Durchführung der Sanierung unter gleichzeitiger Wahrung der sozialen Belange. Bezirkliche Leistungen, die über die Pflichtaufgaben hinausgehen, sind beispielsweise die Bereitstellung von mietpreis- und belegungsgebundenen Wohnungen, Umzugsmanagement und die Genehmigung von Baumaßnahmen die gemäß den Sanierungszielen nur unter Auflagen zu genehmigen sind. Im Gegenzug können Modernisierungsvereinbarungen mit Maßnahmen- und Mietenregelungen, Belegungsrechte und die Offenlegung von Kürzungsbeträgen aus KfW-Förderung vereinbart werden. Mietbelastungsgrenzen: Gebietliche Mietbelastungsgrenzen als Begründung für Verdrängungswirkungen und als Prüfkriterien für Genehmigungen oder Versagungen von besonders mietenwirksamen Maßnahmen heranzuziehen, ist auch zukünftig zulässig.48 Orientierungsmiete für sozialverträgliche Miethöhen bei einkommensschwachen MieterInnen kann im Grundsatz die Durchschnittsmiete in Berlin von 5,50 €/m² nettokalt sein. Im Einzelfall ist jedoch u.a. zu prüfen, welche Grenzen für ALG II-Haushalte aufgrund der Bemessungsgrenzen bei den Wohnkosten bestehen. Haushaltsbezogen sind u.U. unterhalb der genannten Durchschnittsmiete Mietbelastungsquoten zu bestimmen. Berechnungen zu sozialverträglichen Mietbelastungsgrenzen (siehe Kapitel 5) zeigen, dass schätzungsweise jeder zweite Haushalt an der Grenze seiner Mietbelastungsfähigkeit angelangt ist. Für TransferleistungsbezieherInnen bergen Mieterhöhungen in der Regel die Gefahr von Auszugsaufforderungen des Job-Centers und stehen damit in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Verdrängung. Sozialplanverfahren: Mit der Durchführung eines Sozialplanverfahrens gemäß §§ 180, 181 BauGB im Rahmen des sanierungsrechtlichen Genehmigungsverfahrens gemäß §§ 144, 145 BauGB werden die Belange der MieterInnen ermittelt und zur Grundlage für die festzusetzenden Sozialpläne gemacht. Ziel ist, nachteilige Auswirkungen auf die im Sanierungsgebiet Wohnenden und Arbeitenden durch Erneuerungsmaßnahmen zu vermeiden bzw. abzumildern. Die bezirklichen Sozialplanrichtlinien (9. Fortschreibung vom 01.10.2013) stellen die Handlungsgrundlage dafür dar. Die festgesetzten Sozialpläne sind durch den Eigentümer in Modernisierungsvereinbarungen umzusetzen und den MieterInnen anzubieten. Die Möglichkeiten, im Sozialplanverfahren soziale Härten durch Erneuerungsmaßnahmen zu vermeiden, sind allerdings durch Gesetzgebung, Rechtsprechung und den bezirklichen Haushalt begrenzt. So können Mieterhöhungen aufgrund von Modernisierungsmaßnahmen, die den
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Vgl. Urteil BVerwG vom 24.05.2006, Ziffer 27
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zeitgemäßen Standard herstellen, nicht abgewendet werden und nur in Einzelfällen durch die bezirkliche Anpassungshilfe abgefedert werden. 8.2.2. Sozialer Wohnungsbau Die Aussetzung der planmäßigen Mieterhöhungen im Sozialen Wohnungsbau mit dem vom Senat beschlossenen „Mietenkonzept 2013 für den Sozialen Wohnungsbau“ ist für die Bewohnerschaft auch künftig erforderlich, da die Miethöhen die Grenzen der finanziellen Belastbarkeit erreicht haben. Vor dem Hintergrund, dass sich der Bestand an mieten- und belegungsgebundenen Sozialwohnungen in den kommenden Jahren deutlich reduzieren wird, ist diese Maßnahme der Mietbegrenzung von besonderer Bedeutung für eine soziale Wohnraumversorgung. Im sozialen Wohnungsbau muss die IBB Modernisierungsmaßnahmen einschließlich einer energetischen Sanierung, die nicht zu den Nachrüstungspflichten zählt und miterhöhend wirksam wäre, zustimmen. Fehlt diese Zustimmung, entfällt die Duldungspflicht für die MieterInnen. Besteht die Zustimmung, führen die Kosten für Modernisierungsmaßnahmen zu einer neuen Wirtschaftlichkeitsberechnung mit neuer Durchschnitts- und Kostenmiete.49 Die IBB ist über die Sanierungsziele in Kenntnis zu setzen. 8.2.3. Kooperation mit der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GEWOBAG Der Aufbau und die Pflege einer Kooperationsbeziehung mit der GEWOBAG ist, vor dem Hintergrund des zwischen Senat und den städtischen Wohnungsbaugesellschaften 2012 geschlossenen „Bündnisses für soziale Wohnungspolitik und bezahlbare Mieten“ ein wichtiger Baustein, um eine sozialorientierte Wohnungsversorgung für die im Gebiet Wohnenden zu erreichen. Hier sollten Gespräche geführt werden, wie mit Unterstützung der GEWOBAG Wohnungssuchende aus dem Gebiet vorrangig bei Neuvermietungen berücksichtigt werden können, um eine adäquate Wohnraumversorgung insbesondere zur Reduzierung von Überbelegung zu erreichen. 8.2.4. Nutzung von Wohnraum als Ferienwohnungen und längerfristigen Wohnungsleerstand verhindern Um den Wohnungsbestand zu sichern, ist eine Umnutzung von Wohnungen als Ferienwohnungen entsprechend den textlichen Festlegungen zur städtebaulichen Rahmenplanung zu verhindern:„Alle Bestandswohnungen sind möglichst in ihrer Funktion zu erhalten, um einer Beeinträchtigung der Wohnfunktion durch Verknappung des Wohnraumangebots entgegen zu wirken. Die Aufgabe von Wohnungen zugunsten anderer Nutzungszwecke oder die gewerbliche Überlassung von Wohnraum zu Wohnzwecken für kurze Zeiträume an häufig wechselnde Nutzer (z.B. durch Vermietung von Ferienwohnungen) widerspricht diesem Ziel und ist daher sanierungsrechtlich grundsätzlich zu versagen“ (Bezirksamtsbeschluss zur Städtebaulichen Rahmenplanung vom 2.7.2013, Anlage 2). Um spekulativen Leerstand von Wohnungen und damit der Verknappung von Mietwohnraum zu begegnen, sollte die Zweckentfremdungsverbotsverordnung angewendet werden. 8.2.5. Information und Beratung Eine umfangreiche Information und Beratung der WohnungsmieterInnen zu ihren rechtlichen Möglichkeiten bei Sanierung und zu sozialen Unterstützungsleistungen ist ein wichtiger Baustein, damit MieterInnen in die Lage versetzt werden, ihre Rechte wahrzunehmen. Die durch das Bezirksamt bereits finanzierte Rechtsberatung ist eine strukturelle Unterstützung der MieterInnen im Sinne von Empowerment und sollte für den Zeitraum der Sanierung gewährleistet sein.
Vgl.: „Mietrechtliche Situation bei energetischer Sanierung im Wohnungsbestand“ – Dr. Reiner Huhs in Dokumentation „Fachgespräche zu den Steuerungsmöglichkeiten auf Bezirks- und Landesebene zur Sicherung bezahlbaren Wohnraums und zum Schutz einkommensschwächerer Haushalte vor Verdrängung“ ; ASUM – Kerima Bouali- und TOPOS – Sigmar Gude, 2012
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8.2.6. Partizipation / Öffentlichkeitsbeteiligung Um eine breite und systematische Beteiligung am Sanierungsprozess zu erreichen, ist als wichtigstes Bürgerbeteiligungsgremium der Sanierungsbeirat zu nutzen. Hier können anstehende Planungen frühzeitig zwischen der Gebietsvertretung und anderen ExpertInnen vor Ort, Verwaltung, Politik und Beauftragten der Verwaltung diskutiert, beraten und Wege zur Entscheidung über Planungsvorhaben beschlossen werden. Die Sanierungszeitung unterstützt die Öffentlichkeitsarbeit zum Sanierungsprozess, zur Quartiersentwicklung und zum Baugeschehen. Sie informiert über das Sanierungsgeschehen, über Projekte und Aktivitäten im Gebiet und fördert eine aktivierende Beteiligung. Ziel ist, durch die Wahl der journalistischen Formate eine möglichst breite Gebietsöffentlichkeit zu erreichen. Ergänzend hierzu sind Flyer ein wichtiges Medium zur Information. Das Quartiersmanagement ist einer der wichtigsten Kooperationspartner, um zivilgesellschaftliche Ressourcen zu stärken und Informationen zu Sanierungs- und aktuellen Beteiligungsprozessen in bestehende Quartiersstrukturen zu kommunizieren. Um eine breite Beteiligung an Planungsprozessen im Sanierungsgebiet zu gewährleisten und insbesondere bei der Planung von Grünflächen und Spielplätzen „beteiligungsferne Bewohnergruppen“ wie MigrantInnen, Kinder und Jugendliche und alte Menschen zu aktivieren, ist Methodenvielfalt bei Beteiligungsformaten systematisch zu verankern. Daneben sind die unterschiedlichen AkteurInnen im Gebiet wie die Gebietsvertretung im Sanierungsbeirat, der Mieterbeirat der GEWOBAG, die KMAntenne und Schulen, Kitas und das Familienzentrum als Multiplikatoren für den Informationsfluss bei Beteiligungsverfahren zu nutzen. Themenbezogene Kiezspaziergänge können die Öffentlichkeitsarbeit zum Sanierungsgeschehen unterstützen und bürgerschaftliches Engagement fördern. Sie können einen Beitrag dazu leisten, die Identifikation mit dem Wohngebiet und den sozialen Zusammenhalt zu stärken und eine quartiersbezogene Erinnerungskultur zu pflegen.
9. Methodisches Vorgehen
Zur Bearbeitung der Thematik kamen drei allgemein anerkannte Methoden zur Anwendung, deren Ergebnisse in Kombination in die vorliegende Studie eingegangen sind: 9.1. Sekundäranalyse Haushaltsbefragung ExpertInneninterviews Sekundärstatistische Analyse
Sekundäranalytisch wurden amtliche Statistiken herangezogen, um themenrelevante und gebietsspezifische Daten auszuwerten (Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, Berliner Mikrozensus 2011, Monitoring Soziale Stadtentwicklung der Berliner Senatsverwaltung, IBB-Wohnungsmarktberichte, Berichte der Arbeitsagentur, Berichtswesen des Bezirksamts, u.a.). Datenrecherchen erfolgten ferner in den Voruntersuchungen zum Sanierungsgebiet, in Unterlagen des Quartiersmanagements sowie bei den vor Ort ansässigen Wohnungsgesellschaften. Schließlich wurde eine umfangreiche Gebietsbegehung und Klingelschildanalyse der Häuser durchgeführt, um fehlende Datengrundlagen für die Haushaltsbefragung zu ermitteln.
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Zu Vergleichszwecken und zur Plausibilitätsprüfung der Befragungs-Stichprobe sind veröffentlichte Daten genutzt worden. Einwohnerdaten nach Altersgruppen sowie Jahren und Zuordnung zu statistischen Blöcken im Gebiet, bereitgestellt durch das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg; Sozialdaten des Sozialen Monitoring der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin (Transferbezug, Wanderungsbewegungen, Erwerbslagen, Migrationshintergrund u.a.), jedoch auf Ebene des Planungsraums Mehringplatz, der etwa doppelt so viele Einwohner hat wie der Untersuchungsbereich; Kleinräumige Sozialdaten des Quartiersmanagementgebiets (QM) Mehringplatz, das jedoch einen etwas anderen räumlichen Zuschnitt als das Untersuchungsgebiet hat. Dem QM werden Daten zu Transferleistungsempfängern, Kaufkraft u. ä. regelmäßig durch die Senatsverwaltung zur Verfügung gestellt und sind ebenfalls mit dem Amt für Statistik und anderen Institutionen abgestimmt.
Klingelschildanalyse Zum abgegrenzten Untersuchungsgebiet gab es seitens des Auftraggebers (Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg) keine Datenbasis für die Vorbereitung der Haushaltsbefragung. Weder die Zahl der Wohnungen noch die der zu befragenden Haushalte waren bekannt. Lediglich die Einwohnerzahlen lagen vor. Daher erfolgte im Vorfeld der Untersuchung eine Klingelschildanalyse, um zu Basisdaten für das Stichprobenkonzept zu gelangen. Bei der Klingelschildanalyse wurden in einer Liste alle Häuser (Adressen: Straße, Hausnummer) im Untersuchungsgebiet, die Anzahl der Klingelschilder (als Schätzwert für Wohnungen), die Anzahl von Namen mit türkischem Sprachduktus (als Schätzwert für Haushalte mit türkischer Herkunft), die Anzahl von Namen mit arabischem Sprachduktus (als Schätzwert für Haushalte mit arabischer Herkunft sowie Anzeichen für größeren Leerstand in einzelnen Häusern (Schilder ohne Namen u. ä.) erfasst. Für die Analyse des Sprachhintergrunds wurden Mitarbeiter der ASUM eingesetzt, die die jeweilige Sprache als Muttersprachler beherrschen und in unseren Büros des Quartiersmanagements Kreuzberg bzw. Neukölln arbeiten. Damit war vorab eine Schätzung von Wohnungszahlen, Haushaltszahlen und Anteilen türkischer bzw. arabischer Haushalte pro Statistischem Block und im Gebiet insgesamt möglich. Durch dieses Herangehen konnten der Umfang der benötigten Befragungsunterlagen für die schriftliche Befragung aller Haushalte des Gebiets sowie die Anteile der Hauptgruppen migrantischer Haushalte annähernd bestimmt werden. Es ist davon auszugehen, dass die ethnische Herkunft türkisch/arabisch den überwiegenden Teil der Migrantenhaushalte im Gebiet repräsentiert, was aus anderen Datenquellen ebenfalls bekannt war. Die ermittelten Daten dienten auch der späteren Prüfung der Stichprobe auf Plausibilität und Repräsentativität. 9.2. Haushaltsbefragung
Mit der Bewohnerbefragung sollten sekundäranalytisch nicht recherchierbare, gebietsspezifische Sozial- und Wohnungsdaten erhoben und strukturelle Zusammenhänge analysiert werden. Im Gebiet ist der Anteil von Haushalten mit Migrationshintergrund besonders hoch. Die besondere soziale Problematik liegt zudem in der hohen Armutsquote und Abhängigkeit eines größeren Teils der Bewohnerschaft von staatlichen Transferleistungen. Nach dem Monitoring Soziale StadtentwickSeite 73 von 80
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lung gehört der Planungsraum rund um den Mehringplatz zu den Gebieten, die seit 2007 unverändert den niedrigsten Entwicklungsindex in Berlin haben. Bei der Herangehensweise an die Bewohnerbefragung wurde die Gebietsspezifik der ausgeprägt migrantischen Bevölkerung besonders beachtet. Eine schriftliche Befragung erreicht erfahrungsgemäß die migrantische Bevölkerung nicht in hinreichendem Maß. Der auswertbare Rücklauf einer schriftlichen Befragung würde, bei insgesamt rund 3.300 Haushalten im Gebiet, erheblich unter der verwertbaren Grenze liegen. Für repräsentative Aussagen zu den sozialen Verhältnissen im Gebiet sind Aussagen gerade der Haushalte mit Migrationshintergrund jedoch unerlässlich. Besonderheiten von Migrantenbefragungen bestehen hinsichtlich Teilnahmeverhalten, Erreichbarkeit, Erfordernisse der Sprachmittlung und Geschlechterspezifik. Zur Sicherung der Repräsentativität der Befragung und der Einhaltung üblicher Stichprobenfehler sozialstatistischer Untersuchungen sowie um ein effizientes Kosten-Nutzen-Verhältnis zu erreichen, wurde eine Mischung von schriftlicher und Face-to-FaceBefragung als angemessene Methode gewählt. Neben der schriftlichen Befragung, bei der alle Haushalte einen Fragebogen erhielten, wurden migrantische Haushalte per Zufallsauswahl auch direkt persönlich mit Hilfe von Interviewern befragt. Vorbereitung und Durchführung Mit Hilfe der muttersprachlichen MitarbeiterInnen der ASUM wurde für die mündliche Befragung jeder vierte der etwa 1.600 Haushalte erfasst, deren Namen auf türkische bzw. arabische Herkunft hindeutete. Die erstellten Auswahllisten dienten zur Organisation der mündlichen Befragung und wurden unmittelbar nach den Befragungen vernichtet. Die Fragebögen wurden im Mai 2013 mit einem Informationsschreiben des Auftraggebers über Hausbriefkästen an alle Haushalte verteilt. Für Rückfragen der BewohnerInnen wurde eine telefonische Beratung ermöglicht. Dies umfasste auch das Angebot von Hilfen beim Ausfüllen der Bögen, sofern Haushalte dies wünschten. Insgesamt wurden 3.268 Fragebögen in 574 Wohnobjekten (Adressen) an jeden Haushalt des Gebiets verteilt. Hierbei wurden alle Wohnblöcke in die Verteilung einbezogen. Es erfolgte eine Nachverteilung, da einzelne Häuser in der ersten Runde nicht zugänglich waren. Die Untersuchung wurde den Bestimmungen des Berliner Datenschutzgesetzes unterworfen. Auf die Freiwilligkeit der Teilnahme an der Befragung und die Berücksichtigung der Belange des Datenschutzes wurde in den Anschreiben ausdrücklich hingewiesen. Das Befragungskonzept und der Fragebogen wurden mit dem Berliner Datenschutzbeauftragten abgestimmt. Bei der Face-to-Face-Befragung kamen zweisprachige InterviewerInnen zum Einsatz mit mehrsprachigen Fragebögen gleichen Inhalts (deutsch, türkisch, arabisch). Die InterviewerInnen wurden auf die Befragung vorbereitet und vorab auf das Datengeheimnis nach § 5 Bundesdatenschutzgesetz verpflichtet. Neben der Erläuterung der Befragungsunterlagen und von Zweck und Ziel der Befragung wurde auch das Vorgehen abgestimmt. Dabei wurden auch konkrete Verhaltensnormen zur Sicherung der Freiwilligkeit der Befragung vorgegeben. Probleme bei der Befragung Durch die dargestellte Vorbereitung und Durchführung der Befragung war die Beteiligungsbereitschaft von Haushalten mit Migrationshintergrund gemessen an vergleichbaren Untersuchungen relativ hoch. Dennoch lag der Rücklauf von Fragebögen dieser Haushalte unter ihrem Anteil an der Gebietsbevölkerung. Dies wurde methodisch durch eine Gewichtung orientiert am realen Anteil von Haushalten mit Migrationshintergrund an der Bewohnerschaft ausgeglichen.
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Beteiligung an der Befragung An der Befragung mit Rückantwort oder Interview haben sich insgesamt 534 Haushalte auswertbar beteiligt. Damit wurde rund jeder sechste Haushalt (16%) einbezogen. Diese auswertbaren Fälle sind in die Datei eingegangen, die der Analyse zugrunde liegt. Darunter befinden sich 110 interviewte Haushalte mit Migrationshintergrund50 sowie weitere 104 Haushalte mit Migrationshintergrund, die sich in schriftlicher Form beteiligt haben. Die Vorauswahl von Haushalten mit Migrationshintergrund umfasste 350 Adressen, davon 240 Adressen mit Namen türkischen und 110 Adressen mit Namen arabischen Sprachhintergrundes. Von den für ein Interview insgesamt ausgewählten 350 Adressen von Haushalten mit Migrationshintergrund wurden trotz mehrerer Versuche 124 (35%) nicht erreicht am Interview teilgenommen haben 110 (31%) ein Interview abgelehnt haben 58 (17%) den Fragebogen nach eigenen Angaben selbst per Post weitergeleitet haben 42 (12%), einige auch ausgefüllt beim Interviewer abgegeben die Zusage später zurückgezogen haben 16 (5%) bzw. waren nicht mehr erreichbar.
Nachbereitung und Auswertung der Befragung Die Auswertung der Haushaltsbefragung erfolgte mit Hilfe des Programms SPSS (Statistical Package for Social Sciences). Die gemischte Erhebungsmethode erforderte eine nachgelagerte Gewichtung der Fälle in der Stichprobe hinsichtlich ethnischer Herkunft nach ihrem tatsächlichen Anteil an der Gebietsbewohnerschaft sowie eine umfangreiche Plausibilitätskontrolle. Dabei wurden als Vergleichsindikatoren im Hinblick auf die Struktur sowie die ethnische Zusammensetzung der Grundgesamtheit Einwohnerdaten aus Analysen des Quartiermanagements sowie des Monitoring Soziale Stadtentwicklung für den Planungsraum 02010102 - Mehringplatz herangezogen. In der Rohstichprobe waren real 214 Haushalte mit Migrationshintergrund (40%) enthalten. Eine Hochrechnung mit den o.g. Vergleichsindikatoren von Personendaten (66%) ergab einen geschätzten Anteil von real ca. 50% von Haushalten mit Migrationshintergrund. Für die endgültige Auswertung wurde die Rohstichprobe dementsprechend gewichtet. 9.3. ExpertInneninterviews
Zusammenhänge zwischen städtebaulicher/baulicher und sozialer Entwicklung sowie soziale Potenziale und soziostrukturelle Problemlagen für eine nachhaltige Gebietsentwicklung wurden durch ergänzende Interviews mit Akteuren des Stadterneuerungsprozesses eingeschätzt. Die Kenntnisse der Akteure Vor-Ort aus der Wohnungswirtschaft, von engagierten BewohnerInnen, des Quartiersmanagements sowie von sozialen und Bildungseinrichtungen sind in die Analyse der Sozialstruktur und Ableitung sozialer Sanierungsziele eingeflossen.
50
Als Haushalte mit Migrationshintergrund werden Haushalte eingeordnet, in denen AusländerInnen leben, oder in denen mindestens ein Mitglied keine deutsche Staatsbürgerschaft hat oder mindestens ein Mitglied die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen hat (Einbürgerung).
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ExpertInnengespräche wurden durchgeführt mit: Frau Koch - Leiterin des interkulturellen Familienzentrums tam Herrn Schultz - Geschäftsführer der KMAntenne Herrn Tarras- Prokurist der GEWOBAG51 Frau André - Schulleiterin der Galilei-Grundschule Frau Herzberg – Mitglied der Gebietsvertretung Frau Hartmann – Mitarbeiterin des Quartiersmanagement Mehringplatz
Für die ExpertInnengespräche wurden thematische Gesprächsleitfäden erarbeitet. Seitens der Planungs- und Koordinierungsstelle Gesundheit des Bezirksamtes, insbesondere durch deren Leiter Dr. Horst-Dietrich Elvers wurde eine ausführliche Stellungnahme zu den im Zwischenbericht erarbeiteten Sanierungszielen erarbeitet. Die in den Zielen und Handlungsempfehlungen getroffenen Wertungen zur Beschränkung der Sanierungsmaßnahmen auf ein für die Gebietsbevölkerung finanzierbares Maß sowie die Förderung eines inklusiven Gemeinwesens durch eine gute wohnortnahe Infrastruktur wurden vollumfänglich geteilt (sh. Anlage). Allen ExpertInnen und UnterstützerInnen, die uns bei der Erarbeitung der vorliegenden Studie hilfreich zur Seite standen, sowie allen BewohnerInnen, die sich die Zeit genommen haben, um den Fragebogen auszufüllen, möchten wir unseren herzlichen Dank aussprechen! 9.4. Repräsentativität der Befragung
Verglichen mit Erfahrungen schriftlicher Befragungen in anderen Stadterneuerungsgebieten, in denen allgemein ein Rücklauf von ca. 20% der ausgewählten Haushalte gegeben war, sind in diesem Gebiet etwas weniger Haushalte erreicht worden. Die Rücklaufquote sagt zunächst nichts über die Repräsentativität der Befragung. Zu beachten ist jedoch, dass die Größe der Stichprobe den Schluss auf die Grundgesamtheit mit den üblichen Fehlertoleranzen sozialstatistischer Untersuchungen gewährleisten sollte52 , um verlässliche Aussagen für die Grundgesamtheit treffen zu können. Eine Mindestzahl von ca. 400 auswertbaren Interviews ist erreicht worden, um übliche statistische Fehlertoleranzen einzuhalten. Die Auswertungstiefe kann jedoch einem höheren statistischen Fehler unterliegen, in Abhängigkeit von den jeweiligen Ausprägungen einzelner Variablen und der Größe ihrer Besetzung. Darauf wurde ggf. im Text hingewiesen.53 Die Repräsentativität der Stichprobe wurde anhand verfügbarer Sekundärdaten, insbesondere der amtlichen Statistik überprüft. Die gewichtete Stichprobe ist für die Gebietsbevölkerung hinsichtlich der vom Amt für Statistik Berlin Brandenburg herausgegebenen Alters- und Geschlechterstruktur des Untersuchungsgebiets von 2011 im Wesentlichen repräsentativ.
51 52 53
zwischenzeitlich ist Herr Peter Burgfried zuständig für die Bestandsentwicklung bei der GEWOBAG Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 Prozent, Konfidenzbereich von +/- 5 Prozent In diesen Fällen sind Ergebnisse mit einem größeren Fehler (Irrtumswahrscheinlichkeit, Schwankungsbreite) mit einem * gekennzeichnet.
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Einwohnerzahl und –struktur (in Prozent der EinwohnerInnen) per 31.12.2011
Altersgruppen Untersuchung/Stichprobe 2013 Amt für Statistik 2011 Gesamt 100% 100% Gesamt 100% 100% <6 8% 8% 6-14 8% 12% 15-17 2% 4% Männer 50% 51% 18-26 15% 14% 27-44 31% 27% 45-54 14% 14% 55-64 9% 9% 65 u. ä. 13% 12%
Genus Untersuchung/Stichprobe 2013 Amt für Statistik 2011
Frauen 50% 49%
Die gewichtete Stichprobe ist ferner hinsichtlich der Haushaltsgrößenstruktur der Gebietsbevölkerung im Verhältnis zur amtlichen Bewohnerzahl schlüssig. Die Abweichungen zur amtlichen Einwohnerzahl sind geringfügig. Abgleich der Haushaltszahlen absolut mit den Einwohnerzahlen (Hochrechnung)
Schätzung der Haushaltszahlen Haushalte 2013 abs. Stichprobe 2013 % Personenzahlen (Hochrechnung) 1-P-HH 880 27% 880 2-P-HH 1.330 41% 2.660 3-P-HH 450 14% 1.350 4-P-HH 360 11% 1.440 5-u.mP-HH 230 7% 1.260
54
Gesamt 3.250 100% 7.590
Einwohnerzahl: 7.588 Personen (31.12.2012, Amt für Statistik Berlin Brandenburg) Haushaltszahl: rund 3.250 (November 2011, ermittelt im Rahmen des Verteilungsplans) Ca. 810 Haushalte (25%) sind Haushalte mit Kindern unter 18 Jahren. Bei rund 1.800 minderjährigen Kindern im Untersuchungsgebiet entspricht das einer mittleren Kinderzahl von rund 2,2 Kindern pro Haushalt mit Kindern. Insgesamt sind 32% aller Haushalte 3- und Mehr-Personen-Haushalte. 7% aller Haushalte sind 3- und Mehr-Personen-Haushalte ohne Kinder unter 18 Jahren, darunter 6% aller Haushalte mit mehreren Generationen, auch mit erwachsenen Kindern. Insgesamt gibt es demnach 25% aller Haushalte mit minderjährigen Kindern und weitere 6% mit erwachsenen Kindern. Die räumliche Verteilung der Haushalte im Gebiet wird auch über den Indikator Baualter55 im Wesentlichen abgebildet. Anteil von Wohnungen nach Baualtersklassen im Gebiet und Verteilung im Rücklauf der Stichprobe
Baualtersklasse Altbau (bis 1945) Neubau bis 1980 Neubau nach 1980 WE real
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Stichprobe 12% 49% 38% 10% 53% 37%
54 55
Für die Hochrechnung wurden bei 5- und Mehr-Personen-Haushalten im Schnitt 5,5 Personen je Haushalt angesetzt.
Grundsätzlich wurden 3 Baualtersklassen generiert mit Hilfe der kombinierten Indikatoren und : Altbau bis 1945, Neubau bis 1980, Neubau nach 1980. Da keine Zuordnung der Fragebögen zu einzelnen Häusern möglich ist, widerspiegelt der Indikator eine Zusammenfassung von Straßenzügen mit überwiegendem Baualterstyp der Wohnungen entlang der Baualtersklassen, die mit Hilfe von FIS Broker der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung kategorisierbar sind. Quelle: Klingelschildanalyse ASUM 2013, Erfassung der Wohnungszahlen hausbezogen; hausweise Zuordnung des Baualters mit Hilfe von FIS Broker der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung,Datenabfrage
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10.
Anlagen
10.1. Stellungnahme des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin, Abteilung für Familie, Gesundheit und Personal; Planungs- und Koordinierungsstelle Gesundheit zum Zwischenbericht, Kapitel „Soziale Sanierungsziele“ 10.2. Fragebogen
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