Galizien.
73
Dort war der Tagesverdienst 20—30 Kronen, die
jedoch für die Bedürfnisse des Mädchens nicht ausreichten.
Die Wohnung kostete täglich 15 Kronen; der Rest ging
für Essen und Kleidung auf. Alle Einkäufe wanderten
durch die Hand der Wirtin, so daß die Mädchen, die
überdies in schrecklicher Weise behandelt wurden, immer
in Schulden blieben.
Als die Händlerin arretiert wurde, ergab es sich,
daß sie ihr Geschäft seit zehn Jahren betreibt.
Mehr noch als in der Hauptstadt blüht der Mädchen¬
handel auf dem Lande, wo besonders südamerikanische
Kasten ihre Ware einhandeln. Sie gehen auf die ver¬
schiedensten Arten zu Werke.
Wenn in diesen Ortschaften, die zum großen Teil
noch nicht an das Schienennetz angeschlossen sind, ein Frem¬
der auftaucht, der es versteht, durch scheinbare Wohlhaben¬
heit und Scheinheiligkeit sich das Vertrauen der Bevölke¬
rung zu erwerben, ist es für ihn leicht, Ware zu finden.
Er ist nicht sehr wählerisch in seinen Mitteln. Hier ver¬
spricht er einem Mädchen, das kaum lesen und schreiben
kann, eine gut bezahlte Stellung als Buchhalterin, dort
hat er den Auftrag, seiner Schwester, die in Amerika
sehr reich verheiratet ist, eine Bonne oder Gesellschafterin
mitzubringen. Es kommt ihm auch nicht darauf an, ein
Mädchen zu heiraten, und dessen Schwester für seinen
Freund, „dem es an Damenbekanntschaft fehlt", mit
herüberzubringen, oder er stellt Ensembles von Künstle¬
rinnen zusammen; kurzum, er wendet die alten Lügen so
geschickt an, daß immer wieder neue Mädchen zum Opfer
fallen.
Der Hamburger Verein wurde benachrichtigt, das;
ein Mädchen aus seinem galizischen Heimatsorte ver¬
schwunden war. Es hatte sich herausgestellt, daß ein polni¬
scher Bauer aus dem Wohnorte des Mädchens sie mit
10
■