70 Großstadt-Dokumente Bd. 37. Der internationale Mädchenhandel.
zur Bekämpfung des Mädchenhandels, einer Zweig¬
organisation unseres deutschen Nationalkomitees.
Wenn auch eine lare Auffassung sittlicher Fragen,
wie sie in Galizien häufig ist, nicht abgeleugnet werden
kann (3. V. kam es noch vor kürzern in manchen angesehenen
Häusern in der Hauptstadt des Landes vor, daß männ¬
lichen und weiblichen Dienstboten ein Raum als Schlaf¬
raum zugewiesen wird), so ist doch in erster Linie der
galizische Mädchenhandel keine sittliche, sondern eine
Magenfrage. Die Erwerbsverhältnisse für Frauen sind
überaus beschränkt, und die wenigen Berufe, die Frauen
zugänglich sind, überfüllt. Die Arbeitslöhne sind infolge
des großen Andranges jammervoll niedrig.
In den Zündholzfabriken von Kolomea, Bolechow
und Skole arbeiten die Mädchen für einen Tagelohn von
25—30 Kreuzer, in den Kerzenfabriken für 15 Kreuzer.
Löhne von 50 Kreuzern, wie sie manche Arbeiterin in den
Wachsbergwerken von Boryslaw erhält, sind schon fürst¬
lich. Allein die Fabriken sind nur in größeren Ort¬
schaften vorhanden, und diese reichen nicht aus, um die
Reservearmee von arbeitslosen Frauen zu beschäftigen.
Wie sieht es da erst auf dem Lande oder kleineren Städt¬
chen aus, wo die Proleiariermassen zusammengepfercht
sind! Die Mädchen gehen müßig herum und sind sicher
den Eltern eine Last. *)
Da kommen die Mädchenhändler mit ihren Vor¬
schlägen, die überaus verlockend klingen. In der großen
Stadt sind es Hauptsächlich Stellenvermittlungsbureaus,
Theateragenturen und ähnliche Unternehmungen, die dem
Schacher mit Menschenfleisch dienen. Auch Privatper¬
sonen beschäftigen sich damit, wie es auch in andern Län¬
dern der Fall ist.
*) Gustav Tuch-Hamburg in einem Referat über den Mädchenhandel.