48 Großstadt-Dokumente Bd. 37. Der internationale Mädchenhandel.
Kontrolle. Die Behörden werden immer wieder durch
gefälschte Papiere und ähnliche Manöver getäuscht, oder
gar durch Bestechung zum Schweigen gebracht. Via Kon¬
stantinopel werden hauptsächlich russische, galizische, ser¬
bische und rumänische Mädchen exportiert. Die Händler
sind nur selten Türken, sondern meist Europäer. Einen
krassen Fall schildert folgende Notiz der „Tribüne",
Berlin:
Wieder einmal ist durch die Leidensgeschichte einer
jungen Oesterreicherin die allgemeine Aufmerksamkeit auf
die Masseneinfuhr junger Mädchen aus den Donaustaaten
nach Konstantinopel gelenkt worden. Vor wenigen Wochen
erschien in einem Wiener Blatte eine Annonce, in der eine
junge Erzieherin für das Ausland gesucht wurde. Die
Tochter eines Kaufmanns in Graz meldete sich unter Zu¬
stimmung ihrer Familie und reiste nach Wien, um sich
persönlich vorzustellen. Der Aufgeber der Annoncen war
ein sehr respektabel aussehender Herr, der in einem der
ersten Hotels wohnte, und das junge Mädchen — sie
war eben 20 Jahre alt geworden — mit der größten
Höflichkeit empfing; er teilte ihr mit, es handle sich um
eine Stelle bei einer sehr reichen und angesehenen Familie
in Konstantinopel, die zwei Kinder habe, denen sie eine
gute deutsche Erziehung geben lassen möchte. Der Platz
werde gut, sogar sehr gut bezahlt — 200 Kronen im
Monat und freie Station. Der kleinen Grazerin schwin¬
delte der Kopf, und sie zögerte nicht, auf das Angebot ein¬
zugehen, nur wollte sie erst noch Abschied von ihrer Fa¬
milie nehmen und ihre Habseligkeiten einpacken; das aber
erklärte der Herr nicht zugeben zu können, denn man müsse
noch am selben Abend abreisen, sie möchte doch einfach
telegraphieren und habe noch obendrein genügend Zeit,
ausführlich zu schreiben; die wenigen Sachen, die sie für
die Reise brauchte, könne sie auf seine Rechnung einkaufen.