KLEINER FÜHRER DURCHS
BERLINER HERZ
von Walter Kiaufehn.
Zwei Zeitungsfahrer prallen am
Spittelmarkt aufeinander, fliegen
von ihren Rädern und müßten sich
jetzt, nach dem Ehrenkodex der
„Zementluden‘‘, in eine solide
Schlägerei verwickeln. Da blickt
der Ältere auf die Normaluhr,
sieht, daß er aber auch nicht eine
halbe Minute versäumen darf,
schwingt sich auf seinen „Hemo‘,
sein Rennrad, reißt die Karre herum
und sagt zu dem anderen ; „Mensch,
hau dir selber'n paar uff die Fresse,
ick hab keene Zeit.‘
Der Berliner Humor ist ja nicht von heute. Da war
mal in der vormärzlichen Zeit, in den vierziger Jahren,
eine Empfangsrede auf den König zu reden. Der Bürger-
meister macht das also und schließt seinen Speech mit
den Worten: „Lang lebe der König!‘ — „Hoffentlich
recht bald‘ ruft einer aus dem versammelten Volk,
Das hat Glaßbrenner aufgeschrieben und seitdem ist
es ein klassisches Beispiel für den besonderen Charakter
dieses Humors geworden. Der, analysierte man ihn, aus
zwei Hauptbestandteilen gernacht ist; aus dem grimmigen
Gemüt eines Schäferhundes und der Trockenheit eines
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