Mythos Baukunst? Zwischen kultureller Verpflichtung und Markt
Mythos Baukunst? Zwischen kultureller Verpflichtung und Markt
Dokumentation zum Internationalen Architektenkongress der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen (22.–26. Juni 2011, Westerland/Sylt)
Impressum
Herausgeber Architektenkammer Nordrhein-Westfalen Redaktion Christof Rose, Dr. Frank Maier-Solgk, Melanie Brans Grafik, Layout und Satz Fortmann.Rohleder Grafik.Design, Dortmund Druck Schroeren Druck GmbH, Hilden Redaktioneller Hinweis Die Architektenkammer Nordrhein-Westfalen setzt sich für die Gleichstellung von Mann und Frau ein. Sie erachtet es als wichtig, diese Haltung auch in der bewussten Verwendung von Sprache zum Ausdruck zu bringen. Die Architektenkammer achtet deshalb in allen Veröffentlichungen darauf, dass z.B. bei der Nennung von Berufsbezeichnungen nicht allein die maskuline Form verwendet wird. Nach Möglichkeit wird immer wieder im Laufe des Textes auch die feminine Form genannt. Im Interesse der Leserinnen und Leser dieser Publikation werden dem Textfluss und einer guten Lesbarkeit höchste Priorität eingeräumt. Die Dokumentation zum Internationalen Architektenkongress 2011 der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen ist eine Veröffentlichung im Rahmen der Landesinitiative StadtBauKultur NRW.
© 2011
Inhaltsverzeichnis
Vorwort Hartmut Miksch Präsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen Einführung Hartmut Miksch Mythos Baukunst? Zwischen kultureller Verpflichtung und Markt Harry K. Voigtsberger Impulsreferat: Baukultur im politischen Fokus Interview mit Harry K. Voigtsberger „Eine neue Form von Stadtgestaltung“ Analysen und Thesen Prof. Dr. Falk Jaeger Wie bauen wir heute die Kulturdenkmäler von morgen? Interview mit Prof. Dr. Falk Jaeger „Baukultur ist gewünscht!“ Ira Mazzoni Notanker Denkmalpflege? Über die Zumutungen von Baukultur Interview mit Ira Mazzoni „Der stärkste Partner der Architektur“ Architektur und Soziologie Jenny Osuldsen The Joy of Designing – Baukunst für heute Stephan Grünewald Wünsch dir was! – Warum ein Traumhaus ein Traumhaus ist
Architektur und Kunst Prof. Karl-Heinz Petzinka Utopia oder Zweckerfüllung: Der Architekt zwischen Kunst und Dienstleistung Cordula Rau Architektur, Städtebau und Kunst. Nur eine Frage der Kommunikation? 7 Architektur und Rendite Prof. Guido Spars Investitionen in Architektur: Rendite durch Bauqualität? Helmut Jäger Gewerbebau als Motor der Baukultur: Architektur als Teil der unternehmerischen Wertschöpfung
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Architektur und Wertewandel Anselm Bilgri Gebaute Umgebung als Geschäftsidee: Ein philosophisch-theologischer Seitenblick auf die Baukultur Prof. Peter Schmitz Übermorgen: Die Strahlkraft egozentrischer Architektur
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Architektur und Literatur Thomas Willemeit Neu denken, neu lenken – Towards a culture of risk Interview mit Thomas Willemeit „Im Erzählerischen liegt die Kraft“ Dr. Roger Willemsen Städte als Inspiration: Beeinflusst Architektur die Einstellung zu unserer Umgebung?
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Vitae Bildnachweis
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Vorwort
Lebenserwartung neuer Bauwerke auf nur noch wenige Jahrzehnte ohne große Diskussion akzeptiert? Können Architekten, Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner hinnehmen, dass die notwendige energetische Optimierung des Bestandes mit flächendeckender Außendämmung verwechselt wird? Muss Globalisierung in uniforme Einfallslosigkeit münden? Architekten stecken als kreative Dienstleister in einem phänotypischen Zielkonflikt: Sie unterliegen den Zwängen des Marktes, wollen zugleich aber über dessen reine Anforderungen hinausgehen. Die beschriebenen Entwicklungen führen zu der Kernfrage: Sind baukulturelle Zeugnisse heute überhaupt noch baubar? Oder ist Baukunst in der globalen Marktwirtschaft mit ihrem kurzfristigen Gewinnstreben nur noch ein unerreichbarer Mythos? Wir glauben, dass diese Fragen nicht aus dem Blickwinkel der Architekten und Stadtplaner allein beantwortet werden können. Der Internationale Architektenkongress, den wir vom 22. bis 26. Juni 2011 auf Sylt veranstaltet haben, zielte darauf ab, den Horizont zu weiten und Erkenntnisse aus thematisch verwandten Disziplinen zu gewinnen – von der Ökonomie über Soziologie, Kunst, Psychologie bis hin zu Ethik und Literatur. Ich lade Sie herzlich dazu ein, diesen äußerst anregenden und intensiven Gedankenaustausch nachzuvollziehen. Die Vorträge, Zusammenfassungen, Interviews und Bilder, die Sie in dieser Dokumentation finden, geben sowohl Anlass zur Nachdenklichkeit als auch zu der Zuversicht, dass Architektur, Innenarchitektur, Landschaftsarchitektur und Stadtplanung einen konkreten Beitrag dazu leisten können, die aktuellen gesellschaftlichen Anforderungen an unsere gebaute Umwelt zu meistern. Eine informative und anregende Lektüre wünscht Ihnen mit herzlichen Grüßen Ihr
Die gesellschaftlichen Erwartungen an Architektur und die damit verbundenen Anforderungen an Architekten und Stadtplaner sind in den vergangenen Jahren rasant gestiegen. Unsere Bauwerke dienen längst nicht mehr lediglich dem Nutzer und dem öffentlichen Raum, in dem sie entstehen. Sie sollen auch „demografiefest“ sein, dem ökologisch notwendigen Gebot der Energieeinsparung dienen und sozialen Fragen Rechnung tragen. Alles Ziele, die ihre Berechtigung haben und die von Architekten, Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplanern aktiv unterstützt werden. Parallel zu dieser Entwicklung wird der Ruf nach der „schönen Stadt“ immer lauter. Großprojekte hingegen, vom Fehmarnbelt bis Stuttgart 21, treffen auf teilweise heftige Ablehnung in breiten Teilen der Bevölkerung. Warum gewinnt die Kopie historischer Architektur immer mehr an Zustimmung? Und warum entfacht eine solche Zitatarchitektur regelmäßig einen intensiven Disput über die ethische Verantwortung der Architekten und Stadtplaner? Auch die ökologische Herausforderung, vor der die Immobilienbranche, die Wohnungswirtschaft und Architektinnen und Architekten stehen, wirft eine Vielzahl neuer Fragen auf, welche die Verantwortung der Gestalter unserer gebauten Umwelt berühren: Warum wird die ständig sinkende
Hartmut Miksch Präsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen
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200 nordrhein-westfälische Architektinnen und Architekten, Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner trafen sich im Juni 2011 zum Architektenkongress auf Sylt. 8
Einführung
Mythos Baukunst? Zwischen kultureller Verpflichtung und Markt
Begrüßungsansprache Hartmut Miksch, Präsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen
Das Thema unseres diesjährigen Architektenkongresses „Mythos Baukunst? – Zwischen kultureller Verpflichtung und Markt“ trifft ohne Zweifel den Kern unseres Berufes. Im Begriff Baukunst nämlich drücken sich Anspruch und Möglichkeiten unserer Arbeit als Architekten aus. Bewusst haben wir hinter den ersten Teil des Titels ein Fragezeichen gesetzt. Wir halten es nämlich für notwendig, diesen Anspruch angesichts der globalen Entwicklungen, der ökologischen Herausforderungen und einer verstärkt durch das Finanzkapital bestimmten Stadtentwicklung zu überprüfen. Die angesprochenen Entwicklungen führen uns nämlich zur Kernfrage: Sind baukulturelle Zeugnisse heute überhaupt noch baubar? Ist Baukunst in der globalen Marktwirtschaft mit ihrem kurzfristigen Gewinnstreben noch realisierbar oder nicht vielmehr ein schöner Mythos? Damit verbunden sind andere Fragen wie die, ob Architektur immer auch Baukunst ist oder ob diese Qualität nur für wenige, gestalterisch ambitionierte Objekte zutrifft. Gibt es Hierarchien im Anspruch an unsere gestaltete Umwelt? Ist Baukunst heute ein notwendiges Kriterium für den wirtschaftlichen Erfolg einer GebäudeInvestition – oder möglicherweise auch ein autonomes gesellschaftliches Anliegen? Diese Fragen ließen sich weiterführen. Im Kern geht es darum, ob „Baukunst“ heute in unserer alltäglichen Praxis noch Relevanz und Wirkung entfaltet. Besitzt Baukunst noch eine maßgebliche Realität oder ist sie nur eine bloße Behauptung, ein alter Mythos? Wenn der Begriff „Baukunst“ fällt, blicken viele Menschen automatisch zurück. Sie denken an historische Bauwerke, vielleicht noch an die Hochpunkte der Industriebau-Kultur oder an einige moderne Kulturbauten. Warum aber wird der Ruf nach der „schönen Stadt“ immer lauter? Ein entsprechend betitelter Kongress der Kollegen Prof. Christoph Mäckler und Prof. Werner Sonne in Düsseldorf hat in der Fachwelt eine erstaunliche Resonanz ausgelöst.
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Gleichzeitig wird es immer schwieriger, große Bauprojekte überhaupt noch durchzusetzen. Vom Fehmarnbelt bis Stuttgart 21, von der CO2-Pipeline in NRW bis zum Berliner Schloss, vom Windpark in Aachen bis zum Kraftwerk Datteln. Nach einer Umfrage des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, die vor kurzem veröffentlicht wurde, können gegenwärtig 53 Infrastrukturprojekte mit einem Investitionsvolumen von 46 Milliarden Euro nicht durchgesetzt werden – mangels Akzeptanz in der Bevölkerung, wegen politisch motivierter Blockaden oder weil die Finanzierung nicht steht. Auch die ökologische Herausforderung, vor der die Immobilienbranche, die Wohnungswirtschaft und wir Architektinnen und Architekten stehen, wirft eine Vielzahl neuer Fragen auf. Fragen, die die Verantwortung der Gestalter unserer gebauten Umwelt berühren: Warum wird die ständig sinkende Lebenserwartung neuer Bauwerke auf nur noch wenige Jahrzehnte ohne große Diskussion akzeptiert? Können Architekten und Stadtplaner hinnehmen, dass die notwendige energetische Optimierung des Bestandes mit flächendeckender Außendämmung verwechselt wird? Muss Globalisierung in uniforme Einfallslosigkeit münden? Wir Architektinnen und Architekten, Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner stecken als kreative Dienstleister in einem phänotypischen Zielkonflikt: Wir unterliegen den Zwängen des Marktes, wollen zugleich aber über dessen reine Anforderungen hinausgehen. Wer kann das leisten, wer soll das bezahlen, wer verlangt das überhaupt noch von uns?
1. Politik
„Baukunst“ ist nicht allein ein Anliegen von Architekten und ambitionierten Bauherren. „Baukunst“ ist ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag, der nach meinem Verständnis darin besteht, eine lebenswerte, langfristig attraktive und funktional gestaltete gebaute Umwelt zu schaffen. Aus diesem Grund hat Baukunst schon immer eines festen politischen Willens bedurft, um Werke entstehen zu lassen, auf denen nachfolgende Generationen dann wiederum aufbauen konnten.
Herr Minister Voigtsberger und ich sind in diesen Wochen mehrfach zusammengekommen, um politische Fragen, die die Entwicklung der Architektur, des Wohnens und des Städtebaus in Nordrhein-Westfalen betreffen, zu besprechen. Wir haben in Minister Voigtsberger jemanden an unserer Seite, der sich inhaltlich und persönlich mit unseren Fragestellungen stark identifizieren kann und sich sehr dafür engagiert, die Baukultur in NRW voranzubringen. Deutlichster Ausdruck dessen ist die Arbeit an der Neuauflage unserer erfolgreichen Landesinitiative „StadtBauKultur NRW“, „Baukunst ist ein gesamtgesellschaftdie wir in diesem Sommer gemeinsam für eine zweite Dekade licher Auftrag, der darin besteht, eine auf die Schiene setzen wollen.
lebenswerte, langfristig attraktive und funktional gestaltete gebaute Umwelt zu schaffen.“
Die Beschäftigung mit diesen hier skizzenhaft aufgeworfenen Fragen ist kein kulturkritisches L’art pour l’art. Diese Fragen berühren unseren Arbeitsalltag, sie beschäftigen uns Tag für Tag, und sie prägen auch unsere gebaute Umwelt. Weil das Thema so umfassend und vielschichtig ist, glaube ich, dass diese Fragen nicht aus dem Blickwinkel der Architekten und Stadtplaner allein beantwortet werden können – und auch nicht sollten! Es ist die Tradition unserer Architekturkongresse, den Horizont zu weiten und Erkenntnisse und Anregungen aus verwandten Disziplinen zu gewinnen. Auch in diesem Jahr haben wir wieder renommierte Vordenker und Fachleute aus verschiedenen Bereichen gewinnen können, die ihre Gedanken zum Thema vortragen und mit uns diskutieren werden – von der Ökonomie über Soziologie, Kunst, Psychologie bis hin zu Ethik und Literatur. Um das Thema „Baukunst“ in seiner ganzen Vielfalt behandeln zu können, haben wir es in insgesamt acht Perspektiven bzw. Kapitel aufgesplittet. Ich möchte Ihnen unsere Themen und Referenten gerne kurz vorstellen, damit Sie wissen, worauf Sie sich in den folgenden zwei Tagen freuen können.
Auch in berufspraktischen Fragen wie etwa der Reform der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure hat uns Minister Voigtsberger seine Unterstützung zugesagt. Die HOAI soll übrigens bis zum Jahr 2013 erneut novelliert werden; wir stehen derzeit über die Bundesarchitektenkammer zu dieser Frage in intensiven Gesprächen mit dem Bundesbauministerium. Die gute Zusammenarbeit mit unserem NRW-Bauministerium und den Baupolitikern im Landtag hindert uns natürlich nicht daran, deutlich zu sagen, wo wir im politischen Handeln Fehlentwicklungen entdecken: Die Kürzung der Städtebauförderung auf Bundesebene gehört ebenso dazu wie die Absenkung der Wohnungsbauförderung auf Ebene des Landes Nordrhein-Westfalen. Herr Minister Voigtsberger, die Architektenkammer NRW hat schon lange vor Ihrem Amtsantritt davor gewarnt, dass es bei uns in NRW in vielen Großstädten zu Wohnungsengpässen kommen wird – vor allem im mittleren Preissegment und für die Zielgruppe Familien mit Kindern. Gerade in den letzten Wochen konnte man entsprechende Berichte in den Zeitungen in Köln und Düsseldorf nachlesen. Wenn wir also heute und morgen von „Baukunst“ sprechen, dann meinen wir auch die Kunst, funktionierende, zeitgemäße Wohnformen insbesondere in den Städten zu ermöglichen, entsprechende private Investitionen anzuregen und den öffentlich geförderten Wohnungsbau verantwor-
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tungsvoll in die Zukunft zu tragen. Die Wohnraumversorgung breiter Schichten der Bevölkerung bleibt eine zentrale gesellschaftliche und damit politische Aufgabe, auf die wir immer wieder hinweisen werden! Zu den zentralen Themen, über die wir mit der Landesregierung und mit den jeweils betroffenen Ministerien sprechen, gehören auch der demografische Wandel unserer Gesellschaft und die Ziele des Klimaschutzes. Beide Themen haben unmittelbare Konsequenzen für die Architektur und die Stadtplanung, vor allem in einem dicht bebauten Flächenland wie Nordrhein-Westfalen. Beide Themenfelder werden gegenwärtig in der öffentlichen Diskussion vornehmlich unter technischpraktischen Gesichtspunkten diskutiert. Etwa ein Fünftel der gesamten Fläche unseres Landes Nordrhein-Westfalen ist heute bereits durch Verkehrswege und Gebäude versiegelt. Jeden Tag gehen mehr als weitere 11 Hektar Natur verloren. Wir fordern schon seit langem, die Erschließung und Umnutzung von Altflächen in der Stadt anzuregen und zu fördern. Ich habe mit Freude gelesen, dass unser NRW-Umweltminister Johannes Remmel vor wenigen Tagen (14.06.) eine Initiative angekündigt hat mit dem Ziel, den Flächenverbrauch bis zum Jahr 2020 von heute 11,4 Hektar auf maximal fünf Hektar zurückzufahren. Herr Minister Voigtsberger, Sie und Ihr Kollege Remmel wissen bei diesem Ziel die Architektenkammer NRW an Ihrer Seite. Die nordrhein-westfälischen Architektinnen und Architekten, Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner unterstützen Sie sehr gerne mit ihrem Know-how bei der Realisierung des Ziels, attraktiven Wohnraum in urbanen Kontexten zu schaffen!
Wenn man nur die Zahlen sprechen ließe, müsste man Herrn Palmer zustimmen: Bei uns in Nordrhein-Westfalen stehen über 79.000 Baudenkmäler – wenn man dem allein die Zahl der Wohngebäude gegenüber stellt (nämlich ca. 8 Millionen), dann wird klar, dass nur ein Bruchteil (weniger als 1 Prozent) der Wohnungsbauten in unseren Städten und Gemeinden staatlicherseits als schützenswertes Kulturgut anerkannt sind. Was also tun? Mit dem Umgang mit Denkmälern beschäftigen sich als erste Referenten die renommierten Architekturkritiker und Publizisten Ira Mazzoni aus München und Prof. Falk Jaeger aus Berlin.
3. Architektur und Soziologie
Von der Architekturanalyse zur Gesellschaftsanalyse ist es nur ein kleiner Schritt. Deshalb werden wir uns im Anschluss der Verbindung von „Architektur und Soziologie“ zuwenden. Baukunst ist Dienst am Menschen. Anders als in anderen Künsten gibt es in der Baukunst so gut wie kein Objekt, das frei von Nutzungsabsichten entsteht. Entsprechend ist Baukunst immer auch eine soziale Kunst, die unterschiedliche Interessen vereinen muss. Mehr als 80 Prozent der Deutschen träumen davon, im eigenen Haus zu wohnen. Das ergeben Umfragen in schöner Regelmäßigkeit. Gleichzeitig liegt die Eigentumsquote in Deutschland mit 43 Prozent der Haushalte immer noch unter dem europäischen Durchschnitt. In Großstädten wie Düsseldorf, Köln, Essen oder auch Hamburg und München erreicht die Eigentumsquote gerade einmal die 20-Prozent-Marke. Großstädte bleiben in Deutschland weiterhin in Mieterhand (bzw. Vermieterhand). Warum aber träumen so viele Menschen vom eigenen Haus? Warum ist ein Traumhaus ein Traumhaus – mit dieser Frage befasst sich der Psychologe Stephan Grünewald vom „Institut für qualitative Markt- und Medienanalyse“ in Köln. Beispiele für überzeugende, innovative und gestalterisch ganz herausragende Lösungen wird uns dann Jenny Osuldsen vom norwegischen Architekturbüro Snøhetta präsentieren. Ihren Beitrag hat Frau Osuldsen mit „The Joy of Designing“ überschrieben, und ich meine, dass sich die Freude am Gestalten auch in den Arbeiten von Snøhetta deutlich widerspiegelt. Ihre neue Oper in Oslo ist zweifellos Baukunst auf hohem Niveau.
2. Baukunst historisch – Analysen und Thesen
Baukunst blickt in gleicher Weise zurück und nach vorn. Baukunst entsteht, wenn gute Fundamente und kulturelle Leistungen erhalten bleiben und für die Zukunft weiterentwickelt werden. Denkmalpflege und innovativer Neubau sind zwei Seiten einer Medaille. Es gibt Politiker wie den grünen Oberbürgermeister der Stadt Tübingen, Boris Palmer, der das an und für sich lobenswerte Ziel der Reduzierung des Energieverbrauchs im Baubestand durch eine zu einseitige Betrachtungsweise ad absurdum zu führen droht. Palmer möchte am liebsten seine gesamte Stadt mit Wärmedämmverbundsystemen zukleben, frei nach dem Motto „An unseren Nachkriegsbauten ist eh’ nichts, was verschandelt werden könnte.“
4. Architektur und Kunst
Architektur ist Teil der Künste, ist selbst Kunst. Der Begriff „Baukunst“ bringt diese Feststellung auf beglückende Weise mit dem Anspruch zusammen, der damit zugleich formuliert wird: nämlich dem, bei der Planung und Gestaltung unserer gebauten Umwelt „immer ein wenig mehr zu tun, als dem bloßen Bedürfnis zu genügen“. Das hat der große Architekt und Werkbund-Mitbegründer Hermann Muthesius im Jahre 1908 geschrieben. Ich bin der Meinung, dies ist bis heute richtig.
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Bauten für Kunst und Kultur, Museen und Theater haben in den letzten Jahren einen regelrechten Boom erlebt, der eine ungeheure künstlerische Kreativität bei den beteiligten Architekturbüros ausgelöst hat – denken wir nur an David Chipperfields „Neues Museum in Berlin“, das mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet wurde. Der Anspruch, Baukunst zu schaffen, ist dem Museums- und Theaterbau immanent. Wie aber steht es um andere Aufgaben der Architektur? Was ist mit Bildungsbauten, was mit Wohngebäuden? Wie steht es um die Baukunst im Bereich des Büro- und Verwaltungsbaus, wie um Einzelhandelsflächen und Shopping-Center oder gar um Baukunst im Gewerbepark? Diese Fragen rühren an das Selbstverständnis von uns Architektinnen und Architekten. Professor Karl-Heinz Petzinka, Architekt, Architekturprofessor und Geschäftsführer der THS (eines der größten Wohnungsunternehmen in Deutschland), ein Grenzgänger zwischen Kunst, Gewerbe und Architektur mithin, wird über das Thema „Der Architekt zwischen Kunst und Dienstleistung“ sprechen. Im Anschluss wird sich Cordula Rau, die mit ihrem Büro „walVerwandtschaften“ unter anderem den Deutschen Beitrag für die 12. Architektur-Biennale in Venedig kuratiert hat, anhand ihrer kuratorischen Arbeit mit der kommunikativen und damit zugleich emotionalen Seite der Architektur auseinandersetzen.
„Baukunst“ im klassischen Sinne ist früher oft Resultat eines gewissen Besitzerstolzes oder Ausdruck eines Selbstdarstellungswillens gewesen – von der Kirche über den Staat bis zu großen Unternehmen. Aber ein Projekt wie das neue Thyssen Krupp Quartier in Essen, bei dem ein Weltkonzern für sich selbst baut, ist inzwischen die Ausnahme. Der neue Vodafone-Campus, der gegenwärtig in Düsseldorf entsteht, ist ein Investorenprojekt, bei dem der Nutzer als Mieter auftritt. Das kann gut gehen, muss es aber nicht. Der Verkauf von Mietwohnungen der öffentlichen Hand durch Städte und Gemeinden an Investorengruppen erweist sich zunehmend als Fehler – wir hatten genau diese Entwicklung vorausgesagt. In Dresden klagt jetzt die Stadt gegen den Käufer ihrer früheren Wohnungen. Dabei galt der Verkauf der Wohnungen an die Gagfah vor fünf Jahren als innovatives Finanzierungskonzept der Kommune und wurde bundesweit zum Vorbild. Wie also können Renditedenken und Architekturanspruch gewinnbringend und langfristig erfolgreich zusammengeführt werden? Dazu werden wir morgen zwei Fachleute aus dem Bereich der Immobilien-Ökonomie hören. Prof. Dr. Guido Spars fragt, ob „Rendite durch Bauqualität“ erzielt werden kann. Und Helmut Jäger von der Firma Solvis aus Braunschweig sieht sogar den „Gewerbebau als Motor der Baukultur“.
6. Architektur und Wertewandel 5. Architektur und Rendite
„Firmitas, utilitas, venustas“ (Stabilität, Nützlichkeit, Anmut) – das sind die drei Grundaufgaben, denen Architektur nach Vitruv gerecht werden muss. Was Vitruv nicht erwähnte: Architektur muss immer öfter auch eine Rendite erbringen! Baukunst entsteht im Zusammenspiel von Architekten und Auftraggebern unter Ausschöpfung der rechtlichen Möglichkeiten. Wenn Auftraggeber zunehmend aus anonymen Investorengruppen bestehen, muss ihnen vermittelt werden, dass eine befriedigende Rendite künftig nur noch mit Bauwerken zu erzielen ist, die hohe funktionale und gestalterische Qualitäten aufweisen. Die „Nützlichkeit“, über die Vitruv vor 2.000 Jahren geschrieben hat, zielte darauf ab, dass ein Bauwerk seinem Nutzer dienlich sein müsse; damit meinen wir heute die Funktionalität des Gebäudes, das passende Raumprogramm, eine gute Infrastruktur und vieles mehr. Dass der Nutzen eines Bauwerks auch darin bestehen kann, dem Investor einen Gewinn zu bringen, und zwar ganz unabhängig von der Zufriedenheit des Gebäude-Nutzers – das ist eine relativ junge Entwicklung, die uns gegenwärtig vor große Probleme stellt. Die Pyramiden faszinieren uns schon seit 3.000 Jahren. Heute dagegen werden Grabmale nach 25 Jahren abgetragen. Der Anspruch auf Ewigkeit, auf Unvergänglichkeit hat sich in unserer Gesellschaft nicht nur gewandelt, sondern teilweise in sein Gegenteil verkehrt. Wer heute noch einen Röhren-Fernseher im Wohnzimmer hat, gilt als gestrig. Wer ein Handy länger als zwei oder drei Jahre benutzt, hat den Anschluss verpasst. Investoren projektieren Gebäude auf 20 bis 30 Jahre, bis dahin muss sich das Investment gerechnet haben. Was danach mit dem Bauwerk passiert, ist den heute Verantwortlichen gleichgültig. Auch wenn diese Darstellung überspitzt ist und das Bemühen vieler Architekten und Bauherren um eine nachhaltige Gebäudestruktur und -technik außen vor lässt, so betrifft das Phänomen der Schnelllebigkeit doch heute die gesamte Gesellschaft. Wir meiden langfristige Bindungen, im Privaten wie in der Politik, im Konsum wie im Glauben, im Sozialen wie im gesamten Alltag. Was ich heute mit einem „Gefällt mir“-Klick auf Facebook lobe, kann morgen schon wieder vergessen sein. Der Mythos Baukunst suggeriert Dauerhaftigkeit, Nachhaltigkeit, Zeitlosigkeit. Unsere schnelllebige und in kurzen Intervallen planende Zeit hat einen Wertewandel auch in der Architekturbetrachtung herbeigeführt. Ich meine, Architekten und Stadtplaner sollten wieder verstärkt darauf achten, wirklich dauerhaft und nachhaltig angelegte Architekturen zu entwickeln.
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Architektur und Stadtentwicklung sind auf Langfristigkeit angelegt. Welche Werte hierbei auch heute maßgeblich sind oder zumindest sein können, dies wird der Theologe und Unternehmensberater Anselm Bilgri uns mitteilen. Er wird aus philosophischtheologischer Perspektive einen Blick (und sicher auch manchen Seitenhieb) auf die Baukunst werfen. „Baukunst blickt in
Ein Charakteristikum von Baukunst ist die Berücksichtigung gute Fundamente und kulturelle Leistungen des Genius Loci, ist das Aufgreifen des Ortes, an dem ein erhalten bleiben und für die Zukunft weiter neues Bauwerk entsteht, und das Eingehen auf regionale TraEin genauer Beobachter unserer Zeit ist der Publizist und entwickelt werden.“ ditionen und historische Kontexte. Skurrilerweise sind aber die Autor Dr. Roger Willemsen. In seinem aktuellen Buch „Die Bauwerke, die von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen Enden der Welt“ geht es um geografische End-Punkte, die und erinnert werden, meistens Einzelbauten, die auf ihre Roger Willemsem auf allen fünf Kontinenten aufgesucht hat. Umgebung herzlich wenig Rücksicht nehmen und das in immer phantastischerer Form und GestalEs geht aber auch um Haltepunkte und um Bruchstellen im Leben. Und häufig drückt sich genau tung. Das gilt weltweit, von den Gehry-Bauten im Düsseldorfer Medienhafen bis zum Burj al Arab das in der gebauten Umgebung aus. „Beeinflusst Literatur die Einstellung zu unserer Umgebung“, in Dubai oder dem neuen „Metropol Parasol“ von Jürgen Mayer H. in Sevilla. fragt Roger Willemsen morgen Nachmittag – und ich vermute, dass er das bejahen wird. Die Faszination und „Strahlkraft egozentrischer Architektur“ ist sicherlich ein wichtiges Element, das konstitutiv ist für den „Mythos Baukunst“. Es ist aber auch ein Problem der Baukultur, wenn exzentrische Spitzen das Alltagsgeschäft nicht nur überstrahlen, sondern möglicherweise auch erdrücken. Der Kölner Kollege Prof. Peter Schmitz hat sich intensiv mit diesem Thema befasst und wird uns morgen dazu seine Gedanken präsentieren. „Neu denken – neu lenken“ – dazu ruft uns dann abschließend der Architekt Thomas Willemeit von GRAFT Architects auf. Die Berliner Architekten, die weltweit über 100 Mitarbeiter beschäftigen, setzen sehr erfolgreich auf ein System des Querdenkens: Die Offenheit für neue Ideen und schräge Gedanken, das Aufnehmen von Impulsen aus den verschiedensten Disziplinen und Künsten, der Mut, Dinge anders zu sehen und anzugehen – und das Geschick, ein solches Konzept erfolgreich am Markt zu platzieren, das alles fasst Thomas Willemeit in seinem Vortrag „Neu denken, neu lernen – Towards a culture of risk“ zusammen. Wir sind gespannt auf diesen Ansatz, der sicherlich als moderner, zeitgemäßer Beitrag zum „Mythos Baukunst“ gelten darf.
und nach vorn.
Künstler sind scharfe Beobachter ihrer Zeit und des Verhaltens ihrer Mitmenschen. Auch in der Literatur spielt die Architektur immer wieder eine wichtige Rolle – einfach deshalb, weil sie gebauter Ausdruck eines kulturellen Selbstverständnisses ist, weil sich Denken und Zeitgeist in ihr widerspiegeln. Baukunst ist immer das Ergebnis eines interdisziplinären Prozesses, bei gleicher Weise zurück dem auch die Literatur eine wichtige Rolle spielt, weil sie Baukunst entsteht, wenn unser Denken und Handeln nachhaltig beeinflusst.
7. Architektur und Literatur
Sie kennen vielleicht den Satz des Malers Heinrich Zille: „Man kann einen Menschen mit einer Axt erschlagen, man kann ihn aber auch mit einer Wohnung erschlagen.“ Zille hat damit die menschenunwürdigen Wohn- und Lebensbedingungen in Berliner Mietskasernen der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert auf den Punkt gebracht, und zwar in einer Weise, die uns bis heute nachdenklich macht.
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Impulsreferat
Baukultur im politischen Fokus
Harry K. Voigtsberger, Minister für Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnen und Verkehr Nordrhein-Westfalen
Fast auf den Tag vor einem Jahr, am 28. Juli 2010, sorgte ein Beitrag des wortgewaltigen Schriftstellers Martin Mosebach in der F.A.Z. für Aufregung in der Architektenwelt und darüber hinaus. Der Beitrag unter der Überschrift „Und wir nennen diesen Schrott auch noch schön“ war eine Hymne auf die historische Baukunst – und ein Angriff auf die zeitgenössische Architektur. Ich möchte mich dieser Auffassung nicht anschließen; dies ist nicht meine Position. Aber ich glaube, dass Mosebachs Feststellungen, die bei sicherlich vielen Menschen auf Zustimmung gestoßen sind, doch einen Anstoß zum Nachdenken gegeben haben. Die großen technischen und materiellen Möglichkeiten der Architektur, schreibt er, stellen uns auf eine Probe, auf die wir nicht vorbereitet sind und für die wir wahrscheinlich auch in absehbarer Zeit noch keine Lösungswege finden werden. Mosebach ist der Meinung, dass viele Entwicklungen in der zeitgenössischen Architektur kritisch gesehen werden sollten. Alle von uns kennen sicherlich Bauten, bei denen wir dieser Kritik zustimmen würden. Daher ist Baukultur zunächst einmal eine Forderung an uns selbst, an die Profession der Architektinnen und Architekten. Es sollte uns nicht um architektonische Selbstdarstellungen gehen, sondern um einen „Produktionsversuch menschlicher Heimat“ (Ernst Bloch) oder, wie es Karl Ganser einmal formuliert hat: „Wir müssen uns selbst mehr zumuten, wenn es mit der Baukultur weitergehen soll.“ Die Ablehnung vieler Menschen gegenüber zeitgenössischer Architektur und Stadtplanung, wie sie auch in Mosebachs Verdikt zum Ausdruck kommt, beruht aus meiner Sicht nicht auf Desinteresse. Im Gegenteil. Themen der Architektur erfahren heute große Aufmerksamkeit. Manche Vorbehalte mögen mit Kostenexplosionen und Skandalen zu tun haben. Die wirkliche Ursache für die restaurative Grundstimmung liegt aber vermutlich darin, dass viele Menschen die aktuelle Stadt- und Land-
Bild links: Die Römerthermen in Zülpich – ein Neubau im historischen Umfeld (Ernst Architekten, Zülpich)
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schaftsgestaltung häufig als negativen Eingriff in die Natur und Kulturlandschaft und als Verlust an Qualität empfinden. Diese gegenwärtige Empfindung schlägt sich auch in den aktuellen Rekonstruktionsdebatten nieder. Das Motto ist heute: Lieber das Alte bewahren und wiederherstellen, als Neues zu wagen. Wir sollten diese Auffassung nicht auf die leichte Schulter nehmen, sondern als Aufforderung an uns verstehen, das Vertrauen in die schöpferische Kraft und die Gestaltungslust wieder zu wecken und in die Gesellschaft zu tragen. Es muss uns gelingen, mit aktuellen Bauten wieder Identität zu schaffen. Der Blick zurück wird uns nicht reichen.
verbrauchen 40 Prozent. Sie sind zudem mit rund 80 Prozent am Gesamtausstoß der Treibhausgase beteiligt. Wir alle sind uns darin einig, dass sich dies ändern muss. Die Städte werden sich ändern müssen! Sie müssen unter anderem zu multifunktionalen Orten der kurzen Wege werden, um Verkehre zu vermeiden. Andere Stichworte, die für die Stadt der Zukunft wichtig werden, sind Verdichtung, kompakte Bauweise, Grünschneisen, Vernetzung, regenerative Energiequellen, Gebäudetechnologien und nicht zuletzt neue Baumaterialien. All dies sind entscheidende Bausteine der Stadt von morgen.
Im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklung muss es uns gelingen, ökonomisch Sinnvolles mit Baukultur drückt sich in sowohl in Gestaltqualität wie in guten Verfahren aus. Die Kriterien von Bauökologisch Verantwortbarem und sozial Akzeptablem zu verbinden. Nachhaltigkeit bedeutet manchkultur sind Qualität, Authentizität und der Umgang mit Maßstäblichkeit, mit den richtigen Materiamal nämlich auch, Projekte zu verfolgen, die möglicherweise lien und mit städtebaulicher Integration. Angesichts dessen frage durch Bürgerinitiativen blockiert sind. Das heißt: Wir brauchen die ich mich manchmal: Wenn Archäologen in einem Ausgrabungsfeld Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger. Wir haben uns im NRWeinen Stein betrachten und sagen: „Dieser Stein steht für eine „Im Sinne einer nachhaltigen StadtBauministerium vorgenommen, nachhaltig zu wirtschaften und zu ganze Epoche“ – was werden die Archäologen wohl in 2.000 entwicklung muss es uns gelingen, bauen – im Dialog mit den Menschen. Der offensive Dialog ist Jahren sagen, wenn sie sich in irgendeiner unserer Städte ein ökonomisch Sinnvolles mit ökolonotwendig, um die Dinge, die wir tun wollen, zu erklären. Wenn Stück Beton anschauen? die soziale Akzeptanz fehlt, können unsere Pläne ökonomisch gisch Verantwortbarem und sozial noch so gut durchdacht und ökologisch noch so sinnvoll aufgeDass sich die Einwohner unserer Städte in ihnen wohlfühlen und Akzeptablem zu verbinden.“ stellt sein – wir kommen dann nicht weiter. Diesem Thema wird ihr architektonisches Umfeld bewusster wahrnehmen, ist natürlich sich auch die neue Landesinitiative NRW Stadtbaukultur 2020 auch eine Frage von Bildung. Wir müssen Verständnis für gute annehmen müssen, die wir gerade gemeinsam mit der ArchitektenGestaltung wecken. Man muss Schönheit verstehen lernen und kammer und weiteren Partnern auf den Weg bringen. akzeptieren, dass sie einen besonderen Wert besitzt, der auch ein gewisses Maß an Zweckfreiheit enthält. Diese Bildung fängt meiner Meinung nach in der Grundschule an und darf an der UniversiMehr denn je müssen die Städte heute den Spagat schaffen zwischen ihrer Profilierung als wirttät nicht enden. Wir erreichen das nur, wenn wir nicht nur die bildende Kunst, sondern auch Archischaftlich konkurrenzfähige und attraktive Standorte mit urbanen Angeboten und entsprechendem tektur zu einem veritablen Unterrichtsfach in den Schulen machen. Die Landesinitiative StadtbauVerkehrsaufkommen auf der einen Seite und den Anforderungen der Menschen an eine gesunde kultur NRW hat gemeinsam mit der Architektenkammer und der Ingenieurkammer Bau in den verund attraktive Umwelt auf der anderen Seite. Der Handlungsdruck auf die Städte, die Verwertungsgangenen Jahren große Anstrengungen unternommen, um die vielfältigen Themen der gebauten interessen mit Umweltgesichtspunkten und Lebensqualität in Einklang zu bringen, wird ständig Umwelt im Schüleralltag zu verankern. Man ist dabei bewusst auch in die Schulen gegangen. Ich größer. An diesen Anforderungen wird sich eine gute Stadtentwicklungspolitik am Ende messen halte dieses Engagement für sehr wertvoll und hoffe auf seine Fortsetzung. Die Vermittlung von lassen müssen. So macht es der klimagerechte Umbau unserer Städte notwendig, urbanes Grün in Architektur sollte Teil der kulturellen Bildung und Erziehung sein. die Städte zurückzuholen. Dabei geht es nicht um die Infragestellung der Leitbilder von Innenstadtentwicklung und kompakter europäischer Stadt. Vielmehr geht es um eine allmähliche Re-ÖkologiDie beherrschenden Themen sind derzeit natürlich der Klimawandel und die Energiewende. Beide sierung in der ganzen Breite ihrer Möglichkeiten. Dazu gehören Konzepte wie qualitativ hochwertige zwingen uns zu einem grundlegenden Umdenken und erfordern, neue Handlungsstrategien zu entund großzügige Grünzüge im Außenbereich. Aber auch die Rückgewinnung und Vernetzung von wickeln. Dies betrifft auch die Baukultur. Die Städte gehören heute zu den größten Energieverbraukleinteiligen, wohnortnahen Grünräumen, Parks und Plätzen. Ich denke, dass hier vielerorts neue chern. Mit ihrem Verkehr, dem Gewerbebetrieb, dem Wohnen, dem Heizen auf Basis fossiler Möglichkeiten entstehen, wenn aufgrund der demografischen und wirtschaftlichen Entwicklung Brennstoffe konsumieren sie 75 Prozent des gesamten Energiebedarfs. Allein die Wohngebäude
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Flächen frei werden, wie etwa Industrie-, Gewerbe- oder Militärflächen. Von Bedeutung ist, dass Grünräume auch dort geplant, finanziert und gesichert werden, wo die Stadt wächst und überwiegend private Investitionen den städtischen Raum prägen. Das „Grüne C“ im Rahmen der Regionale 2010 rund um Bonn ist dafür ein sehr gelungenes Beispiel, das in die Zukunft weist. Das Ende der Atomkraft wird in naher Zukunft unser Leben mehr verändern, als wir denken. Auch die deutsche Stadt- und Kulturlandschaft wird davon betroffen sein. Der suburbane und ländliche Raum wird optisch und strukturell einen radikalen Wandel erleben. Schon bald werden Tausende von Windrädern die höchsten Kirchtürme des Landes überragen. Sie werden ein Land strukturieren, auf dem auch andere Pflanzen das Landschaftsbild prägen, als wir gewohnt sind. Denn die Landwirte werden zunehmend Energiewirte sein. Naturschützer und Erholungsuchende werden sich mit diesen neuen Energiewirten auseinandersetzen müssen, die um knappe Flächen ringen, um Biomasse anzubauen. Das kennen wir bisher so nicht in unserer Landschaft. Ich fürchte, dies wird nicht immer sehr idyllisch sein. Kostenlos jedoch ist eine verantwortliche, risikoarme und Klima schonende Energieversorgung in einem dicht besiedelten Industrieland wie Deutschland sicherlich nicht zu haben. Am Ende wird eine neue Wertschöpfungsstruktur des suburbanen und ländlichen Raumes stehen. Auseinandersetzungen um den Erhalt von Natur- und Stadtstrukturen in einer stärker durchnutzten Landschaft werden wohl nicht zu vermeiden sein. Wir sollten uns daher auf diese Auseinandersetzungen vorbereiten. Die Akteure in den Initiativen für Baukultur werden vor dieser Entwicklung nicht die Augen verschließen können. Im Gegenteil. Wir alle müssen sie mitgestalten! Immer wichtiger in diesem Zusammenhang werden in Zukunft regionale Landschaftsparks sein, die von überbordenden Nutzungsanforderungen frei gehalten sind. Denn genauso, wie wir die Landschaft gestalten und permanent nutzen wollen, so müssen wir sicherstellen, dass das an einigen Orten nicht geschieht. Diese Verteilung muss neu bedacht werden. In einigen Verdichtungsräumen, zum Beispiel im Ruhrgebiet mit dem Emscher Landschaftspark und im Rheinland mit dem „Masterplan Grün“ der Regionale 2010, geschieht das schon. Dafür brauchen wir lokal und regional abgestimmte Gesamtstrategien für die Freiräume in und zwischen unseren Städten. Auch dort wird sich die Baukultur von morgen beweisen müssen. Frei werdende Industrieflächen ermöglichen die Rückgewinnung wohnortnaher Grünräume und Parks. Hier der Nordsternpark in Gelsenkirchen (Prof. Pridik + Freese, Marl; PASD Feldmeier-Wrede, Hagen)
Es deutet alles darauf hin, dass unsere Städte an einem Wendepunkt ihrer Entwicklung angekommen sind. Es wurde bereits angesprochen, dass die Dämmung der Gebäude, auch die von Baudenkmälern, nicht selten wenig sensibel angepackt wird. Auch diese Frage wird uns herausfordern und Diskussionen provozieren. Wir stehen fraglos am Beginn einer neuen, bedeutenden Etappe der Baukultur und der Stadtentwicklung. Die Energiewende wird unsere Gesellschaft ökonomisch, ökologisch und sozial radikal verändern. Da hilft die Erkenntnis, dass fast jedes Problem den Keim einer Lösung in sich trägt. Wir kennen ja keine Probleme, wir kennen nur Herausforderungen. Ich bin davon überzeugt, dass wir alle gemeinsam neue Antworten suchen müssen und sie auch finden werden. Nordrhein-Westfalen verfügt über viel Erfahrung, über viele Potenziale und Talente, besonders im Architektenbereich. Machen wir uns gemeinsam auf den Weg. Gestalten wir diese Zukunft nachhaltig. Die Baukultur, die Baukunst, gehört als wesentliches Element dazu.
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Mythos Baukunst? – Zwischen kultureller Verpflichtung und Markt I m p u l s r e f e r a t
„Eine neue Form von Stadtgestaltung“
Interview mit Harry K. Voigtsberger
Gisela Steinhauer: Herr Minister Voigtsberger. Sie wohnen in Raeren, in Ostbelgien, sind aber geboren in Hindelang im Allgäu. Was ist der größte Unterschied hinsichtlich der Baukultur zwischen Allgäu und der Wallonie? Harry Voigtsberger: Wer das Allgäu kennt, weiß, wie der alpenländische Stil aussieht – wie man dort vermittels der Architektur eine Landschaft mitgestaltet hat, in der man immer sofort weiß, wo man sich befindet. Auch dadurch entsteht ein Heimatgefühl. Hier müssen rote Dächer auf den Häusern sein, die Häuser haben eine überschaubare Dimension, Balkone, Holz und bestimmte Strukturelemente müssen eingehalten werden. So entsteht ein bestimmter alpenländischer Stil, der die Menschen dort geprägt hat. Gisela Steinhauer: Wie ist das in Raeren? Wie sieht die Wallonie baukulturell aus? Harry Voigtsberger: Raeren liegt im Bereich der deutschsprachigen Minderheit in Belgien. Man spürt hier bereits die deutsche Kultur, auch die deutsche Baukultur. Das ändert sich sofort, wenn man in die Wallonie kommt: Dort herrscht eindeutig der französische Baustil vor. Lembourg zum Beispiel kann ich nur empfehlen. Es besitzt einen historischen Stadtkern, und wenn Sie die alten Palais, die alte französische Baukultur dort sehen, dann fühlen Sie sich sofort angesprochen. Es muss ja nicht immer nur die deutsche Kultur sein. Gisela Steinhauer: Sie haben gesagt, wir stehen vor radikalen Veränderungen. Welches ist die radikalste Veränderung, die Sie im Augenblick sehen? Harry Voigtsberger: Das Thema energetische Gebäudesanierung wird uns in vieler Hinsicht in der Zukunft beschäftigen. Ein wichtiger Punkt dabei wird sein: Wenn das Ergebnis großflächiger energetischer Sanierungen nur perfekt isolierte, aber uniforme und architektonisch abstoßende Gebäude sein würden, die unsere Städte dominieren – dann würden wir auf Dauer die Menschen wieder verlieren. Das heißt, wir müssen das Problem lösen, auf der einen Seite die Energiewende aktiv zu gestalten und andererseits die Menschen mitzunehmen. Das wird eine gewaltige Herausforderung. Gisela Steinhauer: Wie möchten Sie die Menschen mitnehmen? Soll wirklich bei jedem Bauprojekt basisdemokratisch abgestimmt werden? Harry Voigtsberger: Das geht mit Sicherheit nicht. Aber wir müssen doch eins sehen:
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Die Menschen müssen sich auch nach der Energiewende in den Städten wohlfühlen. Sie müssen sich durch die Architektur angesprochen fühlen. Dies wird ein wichtiger Erfolgsfaktor dafür sein, das Ganze überhaupt umsetzen zu können. Die Landesregierung nimmt die Themen nachhaltiges Wirtschaften und nachhaltiges Bauen sehr ernst. Wir suchen den Dialog mit den Menschen in diesen Fragen; beispielsweise haben wir einen Diskussionskreis aufgelegt mit Vertretern der Zivilgesellschaft, der Kirchen, von Unternehmen, Verbänden und so weiter. Solche Dialogangebote über die Entwicklung unserer Städte und des Gebäudebestandes müssen heruntergebrochen werden, teilweise bis auf einzelne Stadtentwicklungsprojekte. Wenn uns das gelingt, dann werden wir nicht nur viele Blockaden für größere Investitionsprojekte lösen können, sondern wir werden vielleicht auch eine neue Form von Stadtgestaltung erleben. Gisela Steinhauer: Sie plädieren auch für ein Unterrichtsfach Architektur. Was versprechen Sie sich davon? Harry Voigtsberger: Wir haben derzeit ein halbes Unterrichtsfach Architektur, das vor allem in Architektur- oder Kunstgeschichte besteht. Wenn wir hier den Horizont in Rich-
tung einer Kulturgeschichte der Menschen erweitern, dann gehört die Architektur sicherlich als wesentliches Thema dazu. Man sollte verstehen lernen, wie Menschen wann gelebt haben – das kann man an ihrer Architektur gut ablesen. Oft ist es die Architektur, an der man das Gesicht einer Zeit erkennen kann. Ich wünsche mir wieder eine Architektur, die auch unserer Zeit ein Gesicht gibt. Ich wünsche mir, dass Menschen einmal sagen: „Ich habe damals, als ich 20 war, den Bau dieses Gebäudes erlebt. Das war damals gut, und es ist heute noch gut.“
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Analysen und Thesen
Wie bauen wir heute die Kulturdenkmäler von morgen?
Prof. Dr. Falk Jaeger, Autor und Architekturkritiker, Berlin
Die Frage, ob es Rezepte für eine Architektur gibt, der später einmal Denkmalwert zugeschrieben werden könnte, wird man mit dem Hinweis auf die Zukunft wohl allgemein mit „nein“ beantworten wollen. Dennoch: So offensichtlich es ist, dass erst die Zukunft über den Wert des Heutigen ganz entscheidet, so reizvoll ist es, vielleicht doch überzeitliche Standards zu suchen. Der Architekturkritiker Falk Jaeger versuchte in seinem Vortrag, die Frage nach den möglichen Kriterien baukulturell wertvoller Architektur durch einen Blick auf die Historie zu beantworten; genauer gesagt damit, wie wir mit historischer Architektur umgehen. Jaeger orientierte sich bei dieser Suche an dem Philosophen Friedrich Nietzsche, der in seiner Schrift „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“ verschiedene Möglichkeiten des Umgangs mit Geschichte miteinander verglichen hatte. Für Nietzsche war dabei die Frage leitend, welcher Umgang mit Geschichte für die Bewältigung der Gegenwart am dienlichsten sein könne. Denn einerseits gilt nach Nietzsche: „Bei einem Übermaß derselben (an Geschichte) zerbröckelt und entartet das Leben.“ Übertragen auf heutige Fragen hieße das: Eine Rekonstruktionsarchitektur à la Berliner Schloss oder Frankfurter Römerberg wäre aus Nietzsches Sicht gewissermaßen Geschichtsklitterung. Andererseits gilt: „Jeder Mensch und jedes Volk“, so Nietzsche, „braucht je nach seinen Zielen, Kräften und Nöten eine gewisse Kenntnis der Vergangenheit“. Wenn nicht, so könnte man schließen, entsteht eine funktionalistische Architektur in der Tradition des Bauhauses, die dem Verdikt der Geschichtslosigkeit anheimfiele. Es geht, um eines von vielen Beispielen Jaegers zu nennen, um den Gegensatz von Nikolaiviertel und Märkischem Viertel in Berlin. Angesichts dieser nach Jaeger sehr weit verbreiteten, aber nichtsdestotrotz fruchtlosen Alter-
Bild links: Modernes Baudenkmal: die Neue Nationalgalerie Berlin (Mies van der Rohe)
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Mythos Baukunst? – Zwischen kultureller Verpflichtung und Markt A n a l y s e n u n d T h e s e n
native mag wiederum Nietzsche ein Orientierungspunkt sein, wenn er sagt, dass das Verhältnis zur Vergangenheit „monumentalisch, antiquarisch oder kritisch“ ausgerichtet sein könne. Für Jaeger kann eine Übertragung solcher Kategorien auf den Umgang mit unserer baukulturellen Vergangenheit Aufschluss auch über Kriterien für heutiges Bauen geben.
Spielt man den Ansatz durch, so wäre eine monumentalische Architektur eine Art Erinnerungsoder Mahnmalarchitektur, zu der wir mit Ehrfurcht aufschauen, da sie uns an die Größe menschlicher Leistungen erinnert. Sie birgt gerade deshalb aber, so Jaeger, die Gefahr der mythischen Fiktion. Eine antiquarische Architektur hingegen werde von Menschen mit der Neigung zum Bewahren bevorzugt: „Das Kleine, das Beschränkte, das Morsche und Veraltete“, so Nietzsche, „erhält seine eigene Würde „Wer will bestreiten, dass die und Unantastbarkeit dadurch, dass die bewahrende und verehrende allgemeine Akzeptanz von Seele des antiquarischen Menschen in diese Dinge übersiedelt und sich Architektur primär von Gemüt darin ihr heimisches Nest bereitet.“
Geschmackswerte von Architektur vollkommen ausgeblendet. Dabei seien gerade die Anforderungen der Öffentlichkeit an die Denkmale fast ausschließlich von Geschmacksfragen geleitet. Sie sind Legitimation für die Rettung und für Sanierungsmaßnahmen. „Wer wollte bestreiten“, so Jaeger, „dass die allgemeine Akzeptanz von Architektur primär von Gemüt und Gefühl abhängig ist?“ Daraus folgt, dass es nicht darum gehen kann, Denkmale zu bauen, keine Architektur mit eingebautem Denkmalschutz. Ein abschreckendes Beispiel hierfür sei etwa in München die Neue Pinakothek von Alexander Freiherr von Branca. Das Ideal, so Jaeger, wäre ein Bau wie die Berliner Galerie am Kupfergraben von David Chipperfield, „der in der Historie wurzelt und in die Zukunft wächst“.
Eine Architektur, die zumindest die Chance auf spätere Denkmalwürdigkeit habe, ermöglicht dagegen, so Jaeger, eine bestimmte Form der Wiedererkennung; sie schaffe einen „einprägsamen Ort“ (Charles Moore), wie dies etwa die Bauten von Erich Mendelsohn erreichen. Dieser „begnadete expressive Funktionalist“ habe eine durch und und Gefühl abhängig ist?“ durch moderne, durchaus funktionalistische, aber mit Eleganz und Der Vorliebe für eine Architektur, die in erster Linie Geborgenheit bietet, Materialbewusstsein ausgestattete Architektur geschaffen, die Signififehlt nach Jaeger die Werteskala. Der Antiquar kann nicht über Qualität kanz und Bedeutungsbewusstsein besitze. Es gehe um Baudenkmale des Neuen urteilen. Eine kritische Architektur wäre das Ziel jener, die nach Erneuerung streben als Agglomerationskerne mit Schönheit und künstlerischem Wert, die im Spannungsverhältnis zu und die Befreiung suchen: „Jede Vergangenheit ist wert, verurteilt zu werden“. So entstand, um den übrigen Quartieren der Stadt stehen, die prozesshaft wachsen und ständigem Wandel unterein klassisches Beispiel zu nennen, der Centre Pompidou als Bruch mit der vorhandenen historizogen sind (Aldo Rossi). schen Architektur im Pariser Maraisviertel. Die Gefahr dieser Position hat wiederum Nietzsche formuliert, als er sagte: „Menschen oder Zeiten, die auf diese Weise dem Leben dienen, dass sie Wir sollen, so Jaeger, zeitgemäß bauen, so dass wir unsere Zeit zum Ausdruck bringen. Wir sollen eine Vergangenheit richten und vernichten, sind immer gefährliche und gefährdete Menschen und signifikant bauen, nicht aber um jeden Preis innovativ und spektakulär. Es gehe um AnmutungsZeiten.“ Fazit: Der richtige Umgang mit der (Bau)-Historie muss kritische Geschichtsbetrachtung qualitäten, Gemütswerte, wie sie zum Beispiel die Bibliothek von Max Dudler in Berlin besitze – ein mit Bewahren verbinden. Beispiel für einen „atmosphärischen Raum, der die Menschen begeistert, einen Wohlfühlfaktor besitzt und zur Identifikation mit dem Gebäude dient“. Was diese Betrachtung leisten kann, wird durch einen Vergleich mit jener Richtung deutlich, die mit dem Namen Friedrich Mielke verbunden ist: Der hatte 1975 theoretische Definitionsversuche Signifikanz und Atmosphäre sind zeitlose Qualitäten, die wir heute realisieren können. Alle anderen unternommen, aus denen sich am vorhandenen Denkmalbestand dessen Qualitäten quasi matheKriterien für Kulturdenkmale, künstlerische Bedeutung, historische Bedeutung, herausragende Zeumatisch objektiv ableiten lassen sollten. Vielmehr soll man nach Jaeger an dem festhalten, was genschaft für eine bestimmte Epoche und Ähnliches, unterliegen zeitbedingten Wertungen und eine im Prinzip gefühlsorientierte Identifikation der Menschen mit Gebäuden begründet. Meistens sind als Kriterien nicht verfügbar, sollte jemand der skurrilen Idee verfallen, heute ein Kulturdenkaber werde heute – etwa in offiziellen Jury-Beurteilungen – dieser Aspekt der Gemüts- und mal von morgen bauen zu wollen.
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Tradition und Moderne: Impressionen von der Insel Sylt.
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Mythos Baukunst? – Zwischen kultureller Verpflichtung und Markt A n a l y s e n u n d T h e s e n
„Baukultur ist gewünscht!“
Interview mit Prof. Dr. Falk Jaeger
Gisela Steinhauer: Professor Jaeger, muss man heute überhaupt noch Architekturkritik unterrichten, beim deutschen Hang zum Nörgeln und Mitreden? Ist heute nicht jeder schon sein eigener Architekturkritiker? Prof. Falk Jaeger: Man muss es unterrichten, weil Architektur in den Medien kein einfaches Metier ist. Nicht jeder beherrscht die Architekturkritik; dazu bedarf es gewisser Voraussetzungen. Man muss erstens Architektur beurteilen können und merkwürdigerweise können das auch Architekturstudenten nur zu einem sehr geringen Teil. Außerdem muss man schreiben können. Wenn bei einem Studenten diese beiden Fähigkeiten zusammenkommen, dann könnte ein Architekturkritiker aus ihm werden. Gisela Steinhauer: Was sind die Säulen der Architekturkritik? Was lernen die Studenten bei Ihnen? Prof. Falk Jaeger: Sie lernen, ein Gebäude in allen seinen wichtigen Aspekten zu erfassen. Dies ist bei jedem Gebäude unterschiedlich. Jedes Gebäude muss man nach anderen Kriterien beurteilen. Außerdem lernen sie, nicht nur ein Urteil, sondern auch diese Kriterien zu vermitteln. Gisela Steinhauer: Sie haben über das umstrittenste Kulturdenkmal des letzten Jahres, den Stuttgarter Hauptbahnhof, einen Artikel geschrieben und zum dortigen neuen urbanen Konzept angemerkt: „Was bislang entstand und in naher Zukunft droht, ist das Übliche. Ein Büroquartier, in das sich kein Passant verirrt, Aufenthaltsqualität null, abends ist tote Hose.“ Was ist Ihre eigene Idee für dieses Citystandortprojekt? Prof. Falk Jaeger: Meine Idee wäre ein mutiger Städtebau, der auf dem frei werdenden Areal versucht, neue Wege zu gehen. „Stuttgart 21“ aber sieht einfache Straßenzüge vor, Quartiere, die in so große Portionen filetiert werden, dass die Investoren freudig zugreifen, weil sie optimale Vermarktung wittern – ein völlig falscher Ansatz. Die richtige Strategie wäre ein differenzierter Städtebau mit angenehmen Stadträumen in menschlichem Maßstab und – zumindest im Zentrum des Areals – kleinen Parzellen, die man nicht alle von einem einzigen Architekten oder einem Investor bebauen lässt. Nur mit einer kleinteiligen Struktur wird so ein Quartier lebendig und entsteht Urbanität.
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Gisela Steinhauer: Und das halten Sie schon für mutig? Prof. Falk Jaeger: Ja, dies ist insofern mutig, als die Regierenden dann ihre eingefahrene, gut geschmierte Planungskultur völlig umkrempeln müssten. Das durchzusetzen, bedarf des Mutes, des Durchblicks und des Engagements, und das ist im politischen Bereich oft nicht zu haben. Gisela Steinhauer: Wie können wir die Erkenntnisse von Nietzsche in die Praxis übersetzen? Prof. Falk Jaeger: Wir sollten versuchen, die Kategorien, die Nietzsche für den Umgang mit Geschichte formuliert hat, mit den Denkmalkategorien aus den Denkmalschutzgesetzen zu verbinden. Was ich gerne ergänzen würde, ist der Aspekt, dass wir nicht Zeitgeschichte bauen können. Zeitgeschichtlich Bedeutendes wird immer erst von einem späteren Zeitpunkt aus beurteilt werden können. Aber die anderen Kriterien, die können wir durchaus ins Auge fassen. Das Problem ist, dass wir so viele Architekten haben, die sich mit solchen Überlegungen nicht beschweren, sondern für die Bauen nur Geldverdienen bedeutet. Ich weiß nicht, warum diese Leute Architekten geworden sind. Ich bin
auch traurig darüber, dass an den Hochschulen nicht mehr gesiebt wird. Dass die Hochschullehrer nicht viel häufiger sagen: „Du und du und du, ihr habt kein Gespür für Architektur. Macht gefälligst etwas anderes.“ Dass wir Architekten ohne Ende ausbilden – ich glaube, 20.000 Architekturstudenten haben wir in Deutschland – ist absoluter Unsinn. Gisela Steinhauer: Wie sollte gesiebt werden? Nach welchen Kriterien? Prof. Falk Jaeger: Man erkennt das ja bei den Entwürfen: Wenn jemand nicht in der Lage ist, einen Entwurf vernünftig auf die Reihe zu bringen, aus welchen Gründen auch immer, dann ist er kein geeigneter Architekt. Wenn jemand kein Gespür hat für das, was er da tut, sollte das der Hochschullehrer natürlich erkennen. Gisela Steinhauer: Wir sitzen hier in einem alten Kurhaus. Ist dies ein Kulturdenkmal, das bewahrt werden sollte? Prof. Falk Jaeger: Dieser Bau, der vor 100 Jahren erbaut wurde, ist ein Kulturdenkmal, weil er ein herausragendes Gebäude ist und das Stadtbild bestimmt. Wenn man ihn wegnehmen würde, würde an dieser Stelle etwas Wichtiges fehlen. Er besitzt darüber hinaus gewisse Gemütswerte, für die die Architekten früher offenbar ein größeres Gespür hatten
als heute. Diese Halle besitzt Atmosphäre. Dies ist es, wofür ich immer plädiere. Die meisten heutigen Architekten, auch renommierte, schaffen es nicht, Räume mit Atmosphäre zu bauen, Räume, in denen das Licht wirkt, in denen man sich wohlfühlt, in denen die Materialien angenehm sind und auch die Akustik stimmt. Viele moderne Architekten bauen Räume, die akustisch völlig irrelevant sind, weil keine dämmenden Materialien im Raum vorhanden sind. Sie mögen keine Textilien im Raum, weswegen man sich in solchen Räumen nicht unterhalten kann. Sie kennen sicher diese angesagten weißen Cafés aus den letzten 20 Jahren, in denen man sein eigenes Wort nicht versteht. Dies ist ein Aspekt, den Architekten heute gerne vergessen. Gisela Steinhauer: Das Berliner Schloss. Wird hier ein Denkmal von gestern gebaut, das zum Denkmal für übermorgen werden kann? Prof. Falk Jaeger: Es kann sicherlich eines werden, aber nicht, weil es für Preußen steht, sondern weil es für eine ganz bestimmte Zeitstimmung und Zeitströmung unserer Zeit steht. Man wird in 100 Jahren erkennen, wie merkwürdig wir heute gedacht haben.
Gisela Steinhauer: Sie sind kein Fan von diesem Wiederaufbau des Berliner Schlosses. Prof. Falk Jaeger: Nein, natürlich nicht. Ich glaube, hier unter den anwesenden Architekten sitzt wahrscheinlich kein einziger Befürworter. Ich brauche die Problematik hier nicht im Einzelnen ausbreiten. Sie reicht von denkmalpflegerischen Aspekten über die Nutzung bis zur Finanzierung und Bautechnik. Ich kenne kein Projekt in den letzten Jahrzehnten in Deutschland, das so viele Ungereimtheiten aufweist und trotzdem politisch durchgeboxt wird. Gisela Steinhauer: Sind baukulturelle Zeugnisse heute noch erwünscht? Prof. Falk Jaeger: Natürlich ist Baukultur gewünscht. Der Begriff Baukultur ist positiv besetzt und natürlich streben wir das Positive an. Das Ideal wäre, nur zu bauen, was baukulturell so hochstehend ist, dass es vielleicht in 30 Jahren zum Kulturdenkmal taugt. Aber dann würde natürlich die Differenzierung zwischen städtebaulichen und architektonischen Höhepunkten und der Masse, will sagen: dem Humus, aus dem diese dann wachsen, nicht mehr vorhanden sein. Man hätte Städte, die in ihrer Gänze unter Denkmalschutz stehen wie Venedig, eine reine Touristenstadt. Aber eine solche Entwicklung steht ja nicht zu befürchten.
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Analysen und Thesen
Notanker Denkmalpflege? Über die Zumutungen von Baukultur
Ira Mazzoni, Journalistin und Architekturkritikerin, München
Ich freue mich, dass die Architektenkammer des Landes Nordrhein-Westfalen im Rahmen einer Tagung, die nach dem „Mythos Baukunst“ fragt, einen Vortrag zur Denkmalpflege ganz oben auf die Tagesordnung setzt. Eine solch hohe Wertschätzung ist leider alles andere als selbstverständlich. Immer häufiger muss die Denkmalpflege als Notanker dienen, wenn alle anderen baukulturellen Argumente ungehört verhallt sind. In solchen verfahrenen Kommunikationsprozessen steht die Denkmalpflege dann häufig als alleiniger Neinsager und Verhinderer da; gerät so in die Kritik und wird politisch isoliert. Das Schild mit der Aufschrift: „Denkmalgeschützte Zaunanlage – Fahrräder abstellen verboten! Angeschlossene Fahrräder werden kostenpflichtig entfernt“ veranschaulicht die Situation: Das Schild ist ein beredtes Zeugnis für Missbrauch, Missverständnis und Unmut. Offenbar hielten es die Eigentümer dieses Zauns für nötig, nicht das übliche Schild „Fahrräder anketten verboten“ aufzuhängen, sondern den Hinweis auf das kostenpflichtige Entfernen mit der Denkmalpflege zu begründen. Und zwar an einem Objekt, dessen Denkmalcharakter für Passanten nicht einsichtig ist. So wird ein prominenter Platz in Berlin dazu benutzt, die Denkmalpflege öffentlich an den Pranger zu stellen. Dieses Schild zeigt das Scheitern von Kommunikationsprozessen und ist ein abschreckendes Beispiel von jemandem, der mit seinem Hausrecht nicht zum Ziel kam und sich deswegen hinter dem gesetzlichen Schutzschild der Denkmalpflege verschanzt. Aus diesem Grund einige klärende Worte über den Zusammenhang von Denkmalpflege und dem Begriff der „Baukunst“. Die Denkmalpflege kümmert sich nicht nur um „Baukunst“, sondern generell um die Zeugnisse unserer Kulturgeschichte. Dazu gehören handwerklich errichtete WaldlerHäuser, die ärmlichsten Lebensbedingungen geschuldet sind, genauso wie Bergarbeitersiedlungen oder seit Neuestem auch die Terrassenbauten der 1970er Jahre. Wenn die Stadt Westerland auf Sylt in den 1970er und 1980er Jahren den entsprechenden Mut gehabt hätte, dann gäbe es hier
Bild links: Scheitern von Kommunikationsprozessen: Hier wird der Verweis auf die Denkmalpflege genutzt, um ein Verbot zu begründen.
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Mythos Baukunst? – Zwischen kultureller Verpflichtung und Markt A n a l y s e n u n d T h e s e n
ein deutsches La Grande Motte, das seit dem letzten Jahr ein nationales Denkmal des 20. Jahrhunderts in Frankreich ist. Das Beispiel zeigt auch: Die Schönheit einer Architektur ist kein primäres Denkmalkriterium. Schönheit ist eine Sache der Anschauung und des historischen Diskurses. Was gestern hässlich war, kann morgen unter anderen Bedingungen, von anderen Augen gesehen, ästhetische Reize entwickeln – so geschehen mit den Villen und Stadtwohnungen der Gründerzeit, die früher als hässlich galten, so geschehen mit der Architektur des Betonbrutalismus der 1960er und 1970er Jahre.
einer Stimme Mehrheit regierende Kieler CDU-FDP Koalition das Denkmalschutzgesetz kurzfristig „modernisieren“. Modern im Sinne der FDP heißt: Die Eigentümerrechte sollen gestärkt werden. Wirtschaftliche, gewinnorientierte Interessen der Denkmaleigentümer sollen Umfang und Art aller Denkmal erhaltenden Maßnahmen diktieren. Maßnahmen zum Zwecke der Energieeinsparung und Klimaeffizienz sollen nicht mehr genehmigungspflichtig sein. Der Ensembleschutz wird eingeschränkt. Gartendenkmalpflege soll ganz abgeschafft werden.
Dort, wo die Denkmalpflege noch etwas zu sagen hat, ist sie mit ihrem „Nein“ häufig die letzte Hoffnung von Bürgerinitiativen, Vereinen und Nachbarn, die angesichts größerer Veränderungen Was ein Denkmal ist, welches die Denkmalwerte sind, die für die Öffentlichkeit und künftige GeneBedenken haben. Die Maßstäblichkeit spielt hierbei eine zentrale Rolle; die Angst um die eigene, rationen erhalten werden sollen, muss geduldig verhandelt, diskutiert und vermittelt werden. Denklieb gewonnene Existenz im Rahmen erträglicher Mieten, relativer malpflege ist Überzeugungsarbeit, meistens leider in letzter Minute. Ruhe und vertrauter Nachbarn ist aber nicht zu unterschätzen. Eine Dabei geht es nicht nur um eine Öffentlichkeit, sondern um viele: Das Urteil älterer Architektenkollegen ist ein anderes als das jüngerer Kolleallgemeine „Neophobie“, die Angst vor Neuem, kann, muss aber „Viele Städte und Gemeinden nicht der Grund für eine Ablehnung sein. Die Landesdenkmalämter gen und die Studenten von heute beurteilen Architektur wiederum in zeigen keinen Gestaltungswillen und die unteren Denkmalschutzbehörden haben durch Rechts- und anderer Weise. mehr, sondern überlassen die Verwaltungsreformen an Einfluss verloren. Personal- und MittelkürGestalt der Stadt der Initiative zungen stehen in keinem Verhältnis zu der Menge der zu betreuenden Im Hinblick auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen für den Denkprivater Investoren.“ Denkmale und der wachsenden Zumutungen, nicht zuletzt auch malschutz muss man feststellen, dass es heute, nach der Dereguliedurch die neuen Klimaschutzverordnungen und die Energiewende. Es rung des gesamten Bausektors, weniger konkrete Steuerungsmöglichist absehbar, dass die vom Planungsrecht vorgesehenen Einspruchskeiten und wirksame Grenzsetzungen gegen die willkürlichen Entfaltunmöglichkeiten weiter reduziert werden, um das hohe Staatsziel der Energieeinsparung schnell und gen privater Interessen gibt – sowohl im städtischen wie im ländlichen Bereich. Viele Gestaltungsin großem Maßstab durchzusetzen. Soweit ich weiß, gibt es einen Bundesentwurf zur Regelung des satzungen von Städten und Gemeinden zeigen zwar den guten Willen, sind aber im Zweifelsfall neuen Baurechts, in dem der Anhörungstermin, der so genannte Turnhallentermin, gestrichen wernicht justitiabel. Und viele Städte und Gemeinden zeigen keinen Gestaltungswillen mehr, sondern den kann oder zumindest fakultativ wird. Wir bekommen also nach Stuttgart 21 nicht ein Mehr an überlassen die Gestalt der Stadt der Initiative privater Investoren. Die Denkmalpflege wird auf diese Mitbestimmung, sondern wir bekommen vermutlich weniger. Deswegen wird es auch auf lange Weise zur einzigen baukulturellen Instanz mit verbrieftem Recht. Allein die Denkmalpflege und der Sicht keine Regelung zum Erhalt von Kulturlandschaften im deutschen Recht geben und BürgerNaturschutz als Vertreter öffentlicher Belange müssen von Fall zu Fall gehört werden und können beteiligungen werden eher die Ausnahme bleiben. einem Bauvorhaben ihre Zustimmung verweigern. In letzter Zeit werden aber immer mehr Denkmalschutzgesetze novelliert, so dass sie ihrer gesetzlichen Aufgabe kaum noch nachkommen können. In Niedersachsen wurde das Denkmalschutzgesetz dahingehend novelliert, dass das Landesamt nicht mehr in jedem Fall befragt werden muss. Es liegt im Ermessen der unteren Denkmalschutzbehörden, ob sie die Fachinstitution informiert oder nicht. Bei Bauvorhaben des Landes ist die Fachbehörde ganz außen vor. Ein Beispiel ist die Diskussion um den Abriss des niedersächsischen Landtages. In Schleswig Holstein will die mit Als letzte und einzige Baukulturinstanz aber ist die Denkmalpflege überfordert, weil sie sich heute zusätzlich über den Städtebau äußern muss. Wer aber ist auf diesem Sektor kompetent und vermag auch die Konsequenzen für das städtische und kommunale Zusammenleben jenseits aller Wahlperioden und Abschreibungszeiträume zu bedenken? Welcher Architekt und Städtebauer nimmt die Vorhaben und die vorhandene denkmalgeschichtliche Umgebung als Maßstab und Inspiration?
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zentrums. Ein anderer Fall ist Würzburg, wo eine Schule aus den 1950er-Jahren, obwohl denkmalWenn es um das Bauen im Ensemble oder um Nähefälle geht, werden von der Denkmalpflege geschützt, zugunsten eines weiteren Einkaufszentrums abgerissen werden soll. Schließlich der Fall primär ästhetische und architekturkritische Stellungnahmen erwartet, wo eigentlich die StadtgestalAltenburg in Thüringen. Eine barocke Stadt mit einem wunderbaren Markt. Am oberen Ende des tungskommission, die zuständigen Baubehörden und eine kritische Architektenschaft aufgerufen Markts nahe der Brüderkirche stehen historische Häuser, die wären zu handeln. In der Konsequenz macht sich die Denkmalzum Ensemble gehören und keine Denkmale sind, und es steht pflege auf fremdem Terrain Feinde, die dann schnell für eine „Als letzte und einzige Baukulturinstanz dort ein als Einzeldenkmal geschütztes Wohnhaus mit einem weitere Deregulierung des Bauwesens plädieren. ist die Denkmalpflege überfordert, barocken Treppenhaus – im Grunde genommen ein völlig intaktes Gebäude. Das leer stehende Quartier soll aufgegeben werLassen Sie mich das Konfliktpotential des Ensemble-Schutzes weil sie sich heute zusätzlich über den den, um der stadteigenen Wohnungsgesellschaft ein kombinieranhand von ein paar aktuellen Beispielen erläutern. Da wäre der Städtebau äußern muss.“ tes Wohn- und Einkaufszentrum zu ermöglichen. Es gab Bürgerkuriose Streit um die historischen Ortskerne der Weltstadt Müninitiativen, es gab überregionale Berichterstattungen, Expertenchen. 20 dieser alten Ortskerne waren als Denkmalensembles in gruppen des städtebaulichen Denkmalschutzes reisten an. Allen Einwänden zum Trotz hat die der Denkmalliste eingetragen. Bei der laufenden Revision der Denkmalliste kam die InventarisatiStadtverwaltung eine Abrissgenehmigung sowohl für das barocke Kulturdenkmal wie für das zur ons-Abteilung des Landesamtes für Denkmalschutz zu dem Urteil, dass 14 dieser Ortskerne kaum Kernstadt Altenburg gehörende Ensemble erteilt. Einige Mitglieder sind aus dem Denkmalbeirat der noch über Substanz verfügten. Zu stark die Überformungen diverser Modernisierungsschübe. Die Stadt ausgetreten. Es ist die letzte Form des Protestes. Dies sind charakteristische Prozesse: Es Stadt intervenierte, „mit einer Streichung nehme man der Stadt die Möglichkeit, beim Bauvorwird diskutiert, Denkmalwerte und Baukultur mit guten Gründen beschworen, Alternativen aufgehaben regulierend einzugreifen“. Der Denkmalrat schaltete sich ein. Jetzt ist alles fast beim Alten. zeigt und zum Schluss entscheidet derjenige, der bauen will, meist die Stadt, die sich ein InvestNur die Stadt wurde ermahnt, dann auch dem Ensemble-Schutz mehr Rechnung zu tragen. Denn ment verspricht. gerade wenn es um Ensembles geht, wird von den Bauwilligen argumentiert: „Ach, so viel ist ja nicht mehr vorhanden. Wir können darauf auch noch verzichten.“ Mein Fazit ist ein Appell an die Politik, an Sie als Bauherren und als Architekten. Wenn Sie mit einem Denkmal zu tun haben, wenn Sie daneben, davor oder drumherum bauen dürfen, machen Oft steht die Denkmalpflege auf verlorenem Posten, da fast überall die Einvernehmlichkeitsklauseln Sie das Denkmal nicht klein. Diskutieren Sie es nicht weg, sondern bringen Sie es groß raus. Zeigen gefallen sind und es nur noch Benehmensklauseln gibt: Die obere Denkmalschutzbehörde wird Sie Achtung, wenn nötig auch Demut, und Sie werden sehen, Sie werden damit die Baukultur stärken zwar noch gehört, aber die untere Denkmalschutzbehörde, sprich der Bürgermeister oder das und Wege zu einer neuen, besseren Architektur, vielleicht sogar zur „Baukunst“ finden – gerade Landratsamt, entscheiden nach eigenen Interessen. So verschwinden veritable, repräsentative durch die Differenz zu einem heute allgemein akzeptierten Städtebau, der sich vielerorts in billigem Gebäude aus dem Stadtbild. Sie kennen die großen Fälle der Überstimmung wie im Fall von StuttDesign erschöpft. Setzen Sie sich auch in der Architektur für eine Integrationspolitik ein, die nicht gart 21. Vom Denkmal des Bahnhofs wird gar nicht mehr geredet. Sie kennen den Fall der Bonner alles normgerecht gleichmacht. Und an die Denkmalpfleger gerichtet: Kämpfen Sie weiter für Ihre Beethovenhalle, deren Ersetzung bereits beschlossen war, bis es einer studentischen Öffentlichkeit ansonsten hilflosen Mandanten, aber vergeuden Sie Ihre Energie nicht für Nebensachen wie Fassadengelungen ist, Kräfte zu mobilisieren und die Politik bedingt umzustimmen. Sie kennen den Fall des farben. Und vor allen Dingen: Erklären Sie Ihre Sache so, dass man Ihr Anliegen versteht. Schauspielhauses in Köln, wo ein ähnlicher Prozess seitens der Künstlerschaft initiiert wurde. Ein anderer Fall, wo dies nicht öffentlich wurde, ist das Weltkulturerbe der Stadt Bamberg. In diesem mittelalterlichen Stadtkern hat die Stadtsparkasse ihre Grundstücke an einen Investor verkauft, der ein Einkaufszentrum plant. Dabei werden Teile der Stadtmauer, mittelalterliche Keller und Teile der jüdischen Besiedlung verschwinden, einschließlich eines mittelalterlichen jüdischen Gemeinde-
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Mythos Baukunst? – Zwischen kultureller Verpflichtung und Markt A n a l y s e n u n d T h e s e n
„Der stärkste Partner der Architektur“
Interview mit Ira Mazzoni
Gisela Steinhauer: Frau Mazzoni, Sie haben Kunstgeschichte, Germanistik und Theaterwissenschaften studiert. Wie ist Ihr Interesse für Architektur und Denkmalpflege entstanden? Ira Mazzoni: Architektur und Denkmalpflege gehören für mich zusammen. Die Architekturkritiker, die für mich ein großes Vorbild waren, waren Manfred Sack, der wie ich auch Literatur und Kunstgeschichte studiert hat. Auch Gottfried Knapp hat nicht Architektur studiert. Als Literaturhistoriker lernt man, Texte kritisch zu lesen und zu hinterfragen. Und als Kunsthistoriker lernt man, wenn man gute Lehrer hat, zu beschreiben. Ich erinnere mich an Exkursionen nach Paris, wo wir fünf Tage mehr vor als im Louvre verbrachten und kein einziges Bild, sondern nur Architektur betrachtet haben. Gisela Steinhauer: Ist die Denkmalpflege der natürliche Feind des Architekten? Der Architekt will bauen, er braucht Platz. Wäre es für ihn nicht grundsätzlich gut, wenn etwas abgerissen würde, damit er Neues bauen kann. Ira Mazzoni: Die Denkmalpflege, so wie ich sie verstehe, ist der stärkste Partner der Architektur. Bauen im Bestand, nicht Neubau, ist die aktuelle gesellschaftliche Herausforderung für Denkmalpflege und Architektur, die sich gegenseitig qualitativ befruchten können. Politisch sieht das manchmal jedoch anders aus. Nicht die Architekten sind der Feind der Denkmalpflege und die Denkmalpflege Verhinderer guter Architektur sondern profilierungssüchtige Stadtplaner und Immobilienhaie, die nur in großen Maßstäben denken. Gisela Steinhauer: Sie haben vor kurzem geschrieben: „Als letzte und einzige Baukulturinstanz ist die ‚Denkmalpflege’ heute überfordert, da ihr häufig die Kompetenz in Sachen Städtebau und Architektur fehlt.“ Sitzen so viele Nieten bei der Denkmalpflege? Ira Mazzoni: Wie kommen Sie darauf? Ich wollte, wie Sie auch meinem Vortrag entnehmen können, auf einen „System-Fehler“ aufmerksam machen. Denn die Denkmalpflege ist in allen Nähe-Fällen tatsächlich die einzige baukulturelle Instanz die als Vertreter öffentlicher Belange bei einem Bauvorhaben gehört werden muss. Der Denkmalpfleger argumentiert selbstverständlich für die Denkmale. Er hat natürlich ein großes historisches Wissen über Stadtbauentwicklung und über die Stadtbildentwicklung, das er berechtigterweise einbringt. Aber sein Blick geht eher zurück. Manchmal denke ich, wenn ich in einer Jury sitze, dass der Blick nach vorne nicht immer die gleiche Weite hat wie der Blick zurück,
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dass mithin manche Dinge zunächst ausgeschlossen werden, die vielleicht nicht so schlecht wären, um der ganzen Sache einen neuen Impuls zu geben. Gisela Steinhauer: Noch mal: Womit ist der Denkmalpfleger überfordert? Ira Mazzoni: Er ist überfordert mit der Rolle, die ihm in dem Prozess heute zugemutet wird. Er muss, indem er sich für die Integrität des Alten einsetzt, jeweils auch über zeitgenössische Architektur und Städtebau urteilen und wird dabei oft von Planern wie von Politkern an die Wand geredet. Die Gewichte in diesem Kommunikationsprozess sind ungleich verteilt. Gisela Steinhauer: Es heißt, dass nur zwei Prozent aller Gebäude in Deutschland unter Denkmalschutz stehen. Wo gibt es heute die meisten Probleme in diesem Konflikt zwischen Alt und Neu. Ira Mazzoni: Ein Problemgebiet ist zum Beispiel das der Kulturlandschaft. Deutschland ist der Kulturlandschaftskonvention der EU immer noch nicht beigetreten und wird es wohl auch nicht. Ich höre aus politischen Kreisen, es sei ohnehin alles Kulturlandschaft, insofern gäbe es keine hinreichenden Definitions- und damit Schutzgrenzen. Die Niederländer graben
da im wahrsten Sinne des Wortes tiefer. Es ist eines der am dichtesten besiedelten und wirtschaftlich stärksten Länder der Welt. Dennoch werden dort zum Beispiel Kartierungen vom Altrheintal angefertigt. Man sieht davon zwar über der Erde nichts mehr, aber in den Bebauungsplänen wird berücksichtigt, dass es dort Bereiche gibt, die man nicht antasten sollte. Es gibt den Begriff der Kulturlandschaften inzwischen auch in der Welterbekonvention. Dennoch hatten die beratenden Organisationen wie zum Beispiel ICOMOS außer ein paar Gartendenkmalpflegern bis vor kurzem niemanden, der dafür wirklich zuständig war. Der Schutz von Kulturlandschaften ist natürlich schon aufgrund der Größe der Areale und der damit verbundenen Eigentumsverhältnisse ein Problem. Dies ist der Hauptgrund, warum die Denkmalpflege immer in Konflikte gerät, weil sie im Grunde eine Eingriffsmöglichkeit ins Eigentumsrecht hat. Diese Eigentumsfragen haben letztlich dazu geführt, dass eine Regierung in Schleswig-Holstein mit Beteiligung der FDP das Denkmalschutzgesetz verändern will. Gisela Steinhauer: „Denkmalpflege muss geduldig vermittelt werden“, sagen Sie. Wie und vor allem wem muss sie vermittelt werden? Ira Mazzoni: Sie muss bei jeder Gelegen-
heit und immer wieder vermittelt werden und zwar vielen verschiedenen Öffentlichkeiten mit jeweils einer spezifischen Sprache. Das ist viel verlangt von einem Denkmalpfleger, der Kunstgeschichte, Architektur oder Volkskunde studiert hat. Der Denkmalschützer hetzt von einem Ortstermin zum anderen und muss sich auf der Baustelle mit dem Expertenwissen des Fachplaners und des Ingenieurs usw. auseinandersetzen. Dabei ist der Eigentümer, ggf. auch der Bürgermeister oder Landrat Bauer, Kiesgrubenbesitzer, Banker, Lehrer oder Gastwirt. Und alle sollen verstehen, warum bestimmte Eingriffe nicht möglich sind, warum eine Wand nicht weggerissen werden sollte, warum ein Dachausbau problematisch ist und worin der Mehrwert besteht, wenn all dies nicht getan wird. Der Denkmalwert muss jedes Mal, individuell erläutert werden. Und da reichen die meist kunst- und bauhistorischen Termini meines Erachtens nicht. Da muss historisch umfassender, mitunter auch emotionaler, argumentiert werden. Gisela Steinhauer: Noch zum Abschluss eine Kernfrage? Sind baukulturelle Zeugnisse heute noch erwünscht? Ira Mazzoni: Ich glaube, da müssen wir differenzieren. Was sind baukulturelle Zeugnis-
se? Meinen Sie damit die Baudenkmale, die wir zweifelsohne zur Orientierung im umfassenden Sinne brauchen, oder meinen Sie jetzt aktuelle baukulturelle Zeugnisse? Es wird ja sehr viel Signature Architecture gefordert, gerade von Bürgermeistern, die ihre Stadt zu diesem Bilbao-Effekt drängen wollen und sich davon vor allen Dingen mehr Touristen versprechen. Das ist natürlich nicht gemeint. Aber natürlich ist Architektur jederzeit in der Lage, einem Ort eine Identität zu geben, die auch einen bleibenden Wert behält. Das ist auch gewünscht. Nur, wir dürfen uns nicht mit vordergründigen Fassadengeschichten abgeben. Wir müssen wieder dazu kommen, Architektur als Ganzes und vor allen Dingen in Bezug auf die Gesellschaft zu sehen. Architektur ist für die Menschen da. Und wenn das nicht funktioniert, wenn es nur eine Abschreibung für 30 Jahre ist und alles darauf abzielt, dass nur die Rendite zählt, dann zeigt sich hier ein grauenhaftes Bild unserer Gesellschaft.
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A r ch i t e k t u r u n d S o z i o l o g i e
The Joy of Designing – Baukunst für heute
Jenny B. Osuldsen, Landschaftsarchitektin, Oslo
„Alles begann mit dem Wettbewerb für den Bau der Bibliothek von Alexandria“, erzählt die Landschaftsarchitektin Jenny B. Osuldsen vom norwegischen Architekturbüro Snøhetta. 1989 war das damals noch unbekannte junge Büro unter 526 Wettbewerbern als Sieger für das UNESCO-Projekt in Ägypten hervorgegangen. Heute mit Niederlassungen in Oslo und New York und mit mehreren Architekturpreisen ausgezeichnet, hat Snohetta seitdem eine stolze Reihe renommierter, teilweise spektakulärer Projekte realisiert, die sich durch formale Originalität und nicht zuletzt landschaftliche Sensibilität auszeichnen. Für die Bibliothek in Alexandria hatten die Norweger mit der Urform des Kreises als Symbol für den ägyptischen Gott Osiris gearbeitet und in unmittelbarer Hafennähe einen Bau entworfen, in dessen Zentrum ein geneigtes scheibenförmiges Glasdach mit 160 m Durchmesser wie eine Sonne aus einem Bassin aufsteigt. Die rückwärtige Seite dieses großen Halbrunds besteht aus einer mehr als 30 Meter hohen fensterlosen Fassade aus mehr als 3.000 grauen Granitplatten, die mit über 4.000 Buchstaben und Sinnzeichen aus allen Schriften der Welt verziert wurde. Hier haben, so Osuldsen, norwegische mit ägyptischen Steinmetzen zusammengearbeitet. Von der Lage unmittelbar am Meer bzw. am Hafen geprägt ist auch die neue Oper von Oslo, deren sich neigende Fassade aus weißem italienischem Carrara-Marmor besteht. Ähnlich der SydneyOper ist sie eine Art Signature Building, die mit ihren klaren Formen überzeugt. Auch hier wird die Eingebundenheit in die örtliche Szenerie betont: Überwiegend ist der Bau von Wasser umgeben, der Zugang nämlich erfolgt über einen schmalen Steg, der von einem Hügel über den Fjord zum Gelände des Opernbaus führt und hier die attraktive Möglichkeit bietet, auf das Dach des Gebäudes zu steigen und das Gelände zu überblicken. „Eine Scholle aus Glas und Marmor scheint am Hafen
Bild links: Norwegische Oper & Ballett (Architekten: Snøhetta, Oslo)
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Mythos Baukunst? – Zwischen kultureller Verpflichtung und Markt A r ch i t e k t u r u n d S o z i o l o g i e
aus dem felsigen Boden herauszubrechen und dem Fjord entgegenzutreiben“, schrieb die NZZ seinerzeit. „Das Dach ist wahrscheinlich das wichtigste Merkmal dieses Projekts“, so Osuldsen über einen spektakulären Bau, der 2008 mit dem Mies van der Rohe Award for European Architecture ausgezeichnet wurde. Die norwegische Botschaft in Berlin, der einzige Bau von Snøhetta in Deutschland, ist Teil des Ensembles der fünf nordischen Botschaften. Er besitzt, so Osuldsen, eine Rarität: „Da wir viel mit Stein arbeiten und Norwegen außerdem reich an Granit ist, haben wir ein Stück von der Spitze eines norwegischen Gletschers aufwändig nach Berlin überführt und in die Fassade eingefügt“. Das Stück, das immerhin 15 m lang, 5 m breit und 70 cm dick ist, war vor mindestens 10.000 Jahren von einem Gletscher überzogen. „Wenn er Besucher hat, dann erzählt der Botschafter immer die Geschichte von dem Stein, der aus Norwegen antransportiert wurde“. Als lang gestreckter, auf einem Felskamm über dem Meer aufsetzender Betonkubus präsentiert sich das Fischereimuseum von Karmoy an der Westküste Norwegens. Ein großes Fenster an der Vorderseite zeigt hinaus aufs Meer. „Hier“, so Osuldsen, „könnten die Frauen gestanden haben und auf ihre Männer, die Fischer, gewartet haben“. Es ist ein grober und roher Bau wie die Landschaft, wobei sich die Betonfassade durch ein traditionelles norwegisches Verfahren des Verwebens mit vegetativem Material mit den Jahren farblich der Umgebung anpasst. Es ist eine Architektur mit der Tendenz, in der Landschaft zu verschwinden. Eine ähnliche Philosopie zeigt sich beim Peter Dass Museum, das zum 300. Geburtstag des norwegischen Dichters inmitten fast unberührter Natur wiederum an der Küste eines Fjords errichtet wurde. Zwischen einem Bauernhof und einer alten Kirche aus dem 12. Jahrhundert gelegen, gräbt sich der kleine Bau wie ein „Landscraper“ in die Natur. „Wir haben einen klaren Schnitt in die Landschaft getan, den Stein entnommen und ein neues Gebäude eingefügt, so dass der Bau einen neuen Teil der Landschaft darstellt.“
Norwegian Wild Reindeer Center (Architekten: Snøhetta, Oslo)
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Bild links und unten: Neue Bibliothek von Alexandria (Architekten: Snøhetta, Oslo)
Das Norwegian Wild Reindeer Centre schließlich ist ebenfalls ein in die Landschaft am Berg Snøhetta eingebetteter kleiner Aussichtspavillon, der es erlaubt, die Rentiere zu beobachten: Innen naturhaft mit geschwungenen Holzmöbeln ausgestattet, erweckt er außen den Eindruck einer hohen Sensibilität für die Natur. Snøhetta, das derzeit auch am Ground Zero Memorial sowie in arabischen Ländern Projekte durchführt, setzt mit vielen seiner präsentierten Bauten, fast könnte man sagen, neue landschaftliche Akzente. Statt als Konflikt von Architektur und Natur erscheinen sie als deren Bereicherung. „Es geht darum, dass wir Menschen darauf aufmerksam machen, dass ein bestimmter Ort ein besonderer Ort ist – wobei wir versuchen, mit unserer Architektur eine gewisse Magie einfließen zu lassen.“
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A r ch i t e k t u r u n d S o z i o l o g i e
Wünsch dir was! Warum ein Traumhaus ein Traumhaus ist
Stephan Grünewald, rheingold – Institut für qualitative Markt- und Medienanalyse, Köln
Unsere Wohnvorstellungen und Wohnwünsche sind nicht zuletzt auch ein Seismograph gesellschaftlicher Strömungen. Stephan Grünewald, Kölner Psychologe und Leiter des dortigen rheingoldInstituts, eines der größten Markt- und Meinungsforschungsinstitute, untersuchte den grundsätzlichen Wandel, der in den letzten 40 Jahren auf diesem Feld zu konstatieren ist. Plastisch wird der Wandlungsprozess, wenn man die heutigen Vorstellungen vor dem Hintergrund der entsprechenden Ideale aus den 1970er Jahre betrachtet. Die durch Interviews und Befragungen belegbare These von Grünewald: Im Gegensatz zur ehemaligen Ikea-Väter-Generation (Ikea, das in den 1970er Jahren seinen Siegeszug antrat, ist für Grünewald das Symbol für das Provisorische, Bewegliche und Mobile) träumen junge Leute heute wieder von der Schrankwand, dem Vorgarten und der Kleinfamilie. War jene Phase vor 40 Jahren noch von einer Kritik an vermeintlich engen und einschränkenden Lebensverhältnissen und dem Wunsch nach Aufbruch und Befreiung geprägt, so ist jene Kritik symbolhaft besonders am unmittelbaren Wohnumfeld abzulesen. Zugespitzt formuliert: „Die Eichenschrankwand war damals das Sinnbild einer ‚Frühversargung‘.“„Insgesamt“, so Grünewald, „waren die 1970er Jahre durch drei B’s geprägt: Billy, Bulli und die Bananenkiste“. Heute dagegen ist erneut genau die konträre Sehnsucht nach räumlich stabilen Ordnungen festzustellen. Sie ist Ausdruck einer Zeit der Unsicherheit und der Brüchigkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse. „Der heute konstatierbare Wunsch nach edlen Materialien zum Beispiel ist die Kehrseite der Angst vor dem sozialen Abstieg.“ Stattdessen lassen sich sogar heute bei den Senioren noch
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Spuren jener ehemaligen Aufbruchstimmung entdecken. „Die heutigen Alten stehen“, so Grünewald, „unter einer Art Vitalitätsdiktat“, deren Ausdruck nicht zuletzt die bei ihnen immer noch vorhandene Sympathie für Ikea ist. Ganz anders die heutigen Jungen: Nach den Studien von Grünewald ist bei dieser Generation fast eine Art Mutterkult festzustellen. Sie suchen mütterliche Schutzräume auf, haben das Gefühl, dass die Väter nicht so verlässlich sind, und tragen das „Ideal einer Einliegerwohnung im elterlichen Haus mit sich.“ „Ich könnte mir vorstellen, dass in 20 bis 30 Jahren eine Revitalisierung dieses Generationenhauses stattfindet“, so Grünewald. Man sucht die biedermeierliche Nähe und Verbundenheit.“ Gleichzeitig, so Grünewald, gebe es etwa seit den 1980er Jahren ein neues „digitales Lebensgefühl“, das das Unangenehme wegzuzappen suche und Lebensschwierigkeiten als persönliche Fehler auffasse. In jüngster Zeit mache sich gleichzeitig eine Suche nach neuen Unmittelbarkeiten bemerkbar, die sich in der Vorliebe für Kochen und Gärtnern äußere. Die Zunahme entsprechender Magazine, die ein Leben in naturhaftem Landhausstil propagieren, sei dafür ein unübersehbares Zeichen. Pychologisch gesehen, sei der Mensch des 21. Jahrhunderts auf der Suche nach der „multioptionalen Geborgenheit“. Paradigmatisch dafür steht heute die Küche, die als sozialer Begegnungsort, als Ort sinnlicher Arbeit und zusätzlich ausgestattet mit den neuesten HightechGeräten die zeitgemäße Visitenkarte für diesen neuen, multioptionalen Menschentypus darstellt. Für Architekten bedeutet dieser Befund, so Grünewald, einem Menschen mit Ansprüchen nach emotionaler Rundumversorung gerecht zu werden.
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A r ch i t e k t u r u n d Ku n s t
Utopia oder Zweckerfüllung: Der Architekt zwischen Kunst und Dienstleistung
Prof. Karl-Heinz Petzinka, Architekt, Düsseldorf
Professor Karl-Heinz Petzinka, mit „Petzinka Pink Technologische Architektur“ ehemals einer der Protagonisten einer avancierten Hightech-Architektur, heute Professor an der Kunstakademie Düsseldorf, forderte ein grundsätzliches Überdenken des Rollenverständnisses des Architekten in der Gesellschaft. „Leisten wir heute wirklich Beiträge, über die es sich zu streiten und zu diskutieren lohnt?“, fragte Petzinka. Im Hintergrund stand und steht die nicht zuletzt persönlich geprägte Frage nach dem Verhältnis von Architektur und Kunst. Nach Jahren der Technikgläubigkeit sei es heute an der Zeit, so Petzinka, wieder mutiger zu werden, der uniformen technischen Glätte von einst zu entsagen und Emotionalität in die Architektur hineinzutragen. In diesem Zusammenhang sei es nach Petzinka auch angebracht, die übliche Rolle des Architekten als Dienstleister einmal kritisch zu hinterfragen: „Denken wir darüber nach, etwas nicht zu tun. Denn möglicherweise ist das, was der Bauherr will, genau das, was man nicht kann oder überhaupt nicht möchte.“ Petzinkas in den letzten Jahren konzipierte Gebäude, allen voran der aufgestockte Nordsternturm mit der Herkules-Statue von Künstler Markus Lüpertz in Gelsenkirchen, das „gelbe Haus“ mit seiner Geweihfassade in Düsseldorf oder das Projekt eines Baumhauses ebenfalls in Düsseldorf, verkünden sämtlich eine neue Form des (bau)-künstlerischen und darüber hinaus gewollt provokativen Experiments, das vor allem eines will: eine neue, auch strittige Diskussion über Architektur in Gang setzen. Das Baumhaus in Düsseldof-Derendorf, ein zwölfgeschossiges, mit Bäumen und monumentaler Statue – unter anderem der Figur eines Vogelmenschen von Abakanowicz – verziertes Phantasiehaus, wollte offenbar nicht nur zeitgenössische Wohnformen erproben (offene Lofts mit großen,
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teilweise 40 qm großen Balkonen), sondern vor allem der Phantasie wieder den Einzug in die Baukunst ermöglichen. Die Reaktion auf solche Experimente ließ nicht lange auf sich warten: Von Stilbruch war die Rede. Die Arbeiten an dem Projekt laufen noch. Realisiert hingegen wurde das „gelbe Haus“ mit einer von zahllosen Elchgeweihen geschmückten gelben Fassade. Im Nachlass eines schwedischen Großwildjägers hatte man einen Alaska-Elch gefunden, den eine Tierpräparatorin in Plastik modellierte. Petzinka ließ von dieser Ikone des Kitsches 52 Abgüsse machen und an der Fassade anbringen. Noch bekannter, aber zunächst nicht weniger heftig diskutiert war die Aufstockung und Erweiterung des Nordsternturms auf der gleichnamigen Zeche in Gelsenkirchen, die von der monumentalen Herkules-Statue aus der Hand des ehemaligen Akademie-Professors und -Rektors Markus Lüpertz stammte. „Wir haben den streitbarsten Künstler gesucht, den es in der Republik gibt. Natürlich kommt man da auf Markus Lüpertz. Immer, wenn Lüpertz eine Skulptur realisiert, ist damit zu
rechnen, dass es eine sehr kritische Auseinandersetzung mit dem Ergebnis geben wird. Wir haben uns auf die öffentliche Diskussion eingestellt und entschieden, seinen Entwurf für die Zeche Nordstern umzusetzen. Es ist müßig, darüber zu streiten, ob einem diese Herkules-Figur gefällt oder nicht. Wenn Kunst im öffentlichen Raum geschaffen wird, ist sie grundsätzlich strittig.“ Realisiert wurde schließlich dazu eine denkmalgerechte Erneuerung des alten Förderturms, neue Ausstellungsräume für die zeitgenössische Kunst und eben jene Kunst-am-Bau-Attraktion, die künstlerisch zwar umstrittene, aber unstrittig aufmerksamkeitsstarke Landmarkqualitäten besitzt. Hier, so Petzinka, habe sich gezeigt, dass solche künstlerischen Formen einer „utopischen“ Architektur, wenn sie denn intensiv kommuniziert werden, sogar auf Zustimmung in der Bevölkerung rechnen können.
Bild oben: „Das Gelbe Haus“, Düsseldorf (Karl-Heinz Petzinka) Bild unten: Zeche Nordstern mit Herkules-Statue von Markus Lüpertz (Architekt Fritz Schupp; Architektenteam THS; PASD Feldmeier-Wrede) 39
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A r ch i t e k t u r u n d Ku n s t
Architektur, Städtebau und Kunst. Nur eine Frage der Kommunikation?
Cordula Rau
Auch die Pavillons der Architekturbiennale von Venedig sind Orte, an denen eine Architektur mit starker Affinität zur Kunst vor allem Anstöße zum Weiterdenken geben will. In diesem Sinn wollte die Kuratorin des deutschen Pavillons der Biennale von 2010, Cordula Rau, das Ziel ihrer Arbeit verstanden wissen – als Gesprächsanregung. Nachhaltigkeit der Architektur ist in ihrem Verständnis die Nachhaltigkeit des Gesprächs. Konkret lautete das Motto ihrer Pavillon-Konzeption „Sehnsucht“. Mit Sehnsucht, so Rau, sei „eine grundlegende emotionale Triebfeder architektonischen Handelns thematisiert worden“; man wolle damit ein „dreidimensionales Portrait der Sensibilität zeitgenössischer deutscher Architektur“ präsentieren, wobei in Venedig statt stellvertretender Modelle, Pläne oder Fotografien der Pavillon selbst als erstes Ausstellungsstück interpretiert wurde. Insgesamt setzte das Team um Rau sein Thema in Form einer Vielzahl von Veranstaltungen (Lesungen, Performances), baulichen Veränderungen (der vorhandene Notausgang des Pavillons wurde zum Beispiel geöffnet, so dass man von hier einen romantischen Blick über die Lagune bekam), Inszenierungen (ein Spiegelsaal mit den Originallampen aus dem Berliner Palast der Republik) und Workshops (Salonabende, die nicht nur in Venedig, sondern in München, Zürich und Berlin stattfanden). Kern des Konzepts war dann aber doch – ganz klassisch – eine Ausstellung im Hauptraum des Pavillons. Eine Auswahl von annähend 200 bekannten und unbekannten Architekten und Kulturschaffenden gab ihren architektonischen Seh(n)süchten durch kleine, zum Teil sehr phantasievolle Skizzen direkten Ausdruck. Insgesamt entstand im Sinne eines zeitgenössischen Salons ein Ort der „Begegnung und interdisziplinären Reflexion über individuelle und kollektive Sensibilitäten der aktuellen Architekturlandschaft“, der überwiegend kritisch diskutiert wurde, die gewünschten Emotionen auslöste und somit der Intention entsprach.
Bild links: Im Roten Salon in Berlin (Walverwandtschaften, München) fanden 2010 parallel zur Architekturbiennale in Venedig Veranstaltungen statt, die den Deutschen Beitrag mit der Heimat vernetzten.
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Kunst und Kulturlandschaft auf der Insel Sylt
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A r ch i t e k t u r u n d R e n d i t e
Investitionen in Architektur, Rendite durch Bauqualität?
Prof. Dr. Guido Spars
Das Thema „Investitionen in Architektur, Rendite durch Bauqualität?“ ist auch für einen Ökonomen anspruchsvoll. Ich werde mit einer Vorbemerkung zu den zentralen Begriffen Bauqualität, Wirtschaftlichkeit und Rendite beginnen. Danach möchte ich die These prüfen, ob höhere Bauqualität prinzipiell zu höheren Baukosten führt. Im zweiten Schritt werde ich der Frage nachgehen, ob es einen empirisch messbaren Mehrwert durch Bauqualität gibt. Ich habe hierzu mehrere Studien mitgebracht. Zum Schluss werde ich mich kurz noch Effizienzfragen beim Planen und Bauen zuwenden. 1) Bauqualität: Der Begriff Bauqualität ist erheblich interpretationsfähig. Für die einen geht es dabei um Gestaltqualität, andere stellen den Nutzer in den Mittelpunkt und definieren Bauqualität als Nutzerqualität. Wenn ich hier heute von Bauqualität spreche, Bauqualität im Sinne guter Architektur, so sollte es um mehr gehen als die Abwesenheit von baulichen Problemen, wie es häufig in den DIN-Norm-Definitionen vorkommt. Es geht uns um ein gute Architektur, um Baukultur. Es gibt, die Studien belegen es, hierfür durchaus Kriterien, wenn sie auch sehr unterschiedlich sind. 2) Wirtschaftlichkeit: Es gibt, und das stelle ich auch unter meinen Architekturstudenten häufig fest, eine sehr irrige Vorstellung davon, was „wirtschaftlich“ bedeutet. Wirtschaftlichkeit bedeutet, einfach gesprochen, mit knappen Ressourcen effizient umzugehen. Dies ist ein Nachhaltigkeitspostulat aus der Perspektive der Ökonomie. Wirtschaftlichkeit bedeutet nicht „Geiz ist geil“ oder „Sparen um des Sparens willen“. Es geht darum, ein gewünschtes Ziel mit einem effizienten oder geringen Mitteleinsatz zu erreichen. Ein wesentliches Fundament der Wirtschaftswissenschaften ist die so genannte Wohlfahrtsökonomie. Dies ist eine Theorie, die versucht, genau dieses Effizienzoptimum für die Gesellschaft theoretisch zu bestimmen. Effizienzüberlegungen spielen in der Ökonomie immer wieder eine Rolle. Bei Rendite und Wirtschaftlichkeit geht es darum, dass man mit
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Mythos Baukunst? – Zwischen kultureller Verpflichtung und Markt A r ch i t e k t u r u n d R e n d i t e
einem bestimmten Input, den man beispielsweise in ein Bauwerk gibt, zum Beispiel in Form von Arbeitskraft, Geld oder Ressourcen, einen Output erzielt, der höher ist als der Input in seinem ökonomisch bewerteten Wert. Diese Relation zwischen Input und Output stellt die Rendite dar. Wir sind sozusagen auf der Suche nach dieser Rendite im Zusammenhang mit Bauqualität. Die landläufige Meinung hierzu lautet: Gebäude, die Bauqualität besitzen oder Bauqualität darstellen, sind immer mit höheren Kosten verbunden. Wenn man daher in Bauqualität investiert, so wird das teurer: Qualität kostet, etc. Prüft man dies aber tatsächlich nach, so finden sich viele prämierte Architekturbeispiele, bei denen die Baukosten (entsprechend den Referenzwerten in den BKI-Tabellen (d.h. gemäß den Kostenvergleichswerten des Baukosteninformationszentrums der deutschen Architektenkammern) relativ gesehen niedrig sind. Natürlich ist es dennoch häufig der Fall, dass ausgezeichnete Architektur teurer ist. Deswegen kann sie natürlich trotzdem ihre Rendite haben. Hierzu muss man zunächst danach fragen, welchen Nutzen diese mit höheren Kosten verbundene Bauqualität besitzt. Erst nach der Bestimmung der Relation aus Kosten und Nutzen kann ich etwas zur Rendite durch Bauqualität sagen. Was macht den Wert einer Immobilie im ökonomischen Sinne eigentlich aus? Auch hierzu gibt es unterschiedliche Definitionen. Wir halten uns natürlich gerne an Werte, die am Markt auch tatsächlich nachweisbar sind. Aber welchen messbaren Wert hat Baukultur oder Bauqualität? Ist dies ein „sinnvolles“ ökonomisches Ziel? Dies ist eigentlich eine Fragestellung, die politisch zu beantworten ist. Was ist es uns wert, wenn es ein sinnvolles Ziel ist? Gibt es einen Markt für Bauqualität bzw. gute Architektur? Ist dies nur sozusagen das Luxussegment von vier bis fünf Prozent, während der große Rest Durchschnittsarchitektur darstellt? Die entscheidende Frage lautet: Gibt es einen Mehrwert durch Bauqualität und wie hoch ist dieser? Wenn wir diesen Mehrwert messen wollen, so gibt es hierfür verschiedene Methoden. Ich habe fünf Studien gefunden. Zwei von ihnen sind so genannte hedonische Preisanalysen, bei zweien handelt es sich um klassische Befragungen und eine ist eine sogenannte Simulations- und Modellrechnung. Nach letzterer besteht der Mehrwert in dem Verkaufspreis von Wohnimmobilien, die durch eine Simulations- und Modellrechnung (in Wien) bestimmt wurde. Dabei wurde Bauqualität durch die vier Faktoren Wohnwert, Flächeneffizienz, Flexibilität und Materialität des Gebäudes definiert. Anschließend wurde versucht, eine Entsprechung in den Baukosten zu finden, um diesen Wert schließlich mit den möglichen Verkaufserlösen eines bauqualitativ optimierten Gebäudes im Verhältnis zu dem, was sozusagen ursprünglich geplant war, zu vergleichen. Schließlich wurde in einer logarithmischen Funktion der Mehrwert durch gute Architektur bzw. Bauqualität, so wie sie hier definiert war, errechnet. Das Ergebnis ergab einen sogenannten Grenzwert. Das heißt, die Optimierung stößt an einem bestimmten Punkt an ihre Grenze. In diesem Beispiel aus Österreich lag der
Grenzwert bei Baukosten in Höhe von 5.700 Euro pro Quadratmeter; eine weitere Erhöhung der Baukosten erbrachte keinen Zuwachs mehr bezüglich des Verkaufspreises. Diese Relation zwischen dem Optimum an Bauqualität zum jeweiligen Preis ist interessant. Die Studie „Focal Points and Design Quality“ besteht in einem Büromarkt-Modell in der israelischen Stadt Tel Aviv, bei dem alle vorhandenen Daten zu den Büromarkt-Mieten einem Vergleich mit der Qualität der Gebäude (beurteilt von einem befragten Gremium von Architekten) unterzogen wurden. Anschließend wurde versucht, einen möglichen Zusammenhang herzustellen. Dabei wurde nicht nur die jeweilige Designqualität untersucht, sondern auch der Einfluss von so genannten Focal Points, d.h. von Agglomerationspunkten innerhalb von Tel Aviv, der Zugang oder die Nähe zu bestimmten Orten. Die Ergebnisse erbrachten relativ klare Abhängigkeiten der Miethöhen vom Zugang zu drei Focal Points, d.h. lokalen Zentren innerhalb von Tel Aviv. Die Qualität der Architektur aber ist mit immerhin 5,4 Prozent auch ein Faktor für die Höhe der Büromiete. Das Ergebnis lautet also: 5,4 Prozent höhere Mieten sind mit qualitätvoller Architektur begründbar. Dies ist zumindestens ein empirischer Hinweis darauf, dass man Bauqualität vielleicht doch messen kann.
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Eine zweite Studie „Designer Buildings. An Evaluation of Price Impacts of Signature Architects“ hat rund 11.000 Datensätze zu Büromärkten in ganz Amerika untersucht und ist dabei der Frage nachgegangen, wie sich so genannte Signature Architecture auf die Miethöhe auswirkt. Diese Signature Architecture Buildings waren entweder von Pritzker-Preisträgern entworfene Gebäude oder stammten von Architekten, die die Goldmedaille des American Institute of Architects erhalten hatten. Im Vergleich mit anderen Bürogebäuden stellte man um 14 Prozent höhere Mietpreise bei Signature Architecture Buildings fest. Dieses Ergebnis ist signifikant, auch wenn man in diesem Fall einbeziehen muss, dass die höhren Mieten zum Teil auch von den besseren Lagen innerhalb der untersuchten Submarkets rühren können. Wenn man beide Studien, das 5-Prozent-Ergebnis aus Tel Aviv und das „14 Minus x Prozent“-Ergebnis aus den USA zusammennimmt, dann ist das schon ein interessanter Hinweis, der in eine ähnliche Richtung weist. Eine relativ aktuelle Befragung der SRB Asset Management hat 3.000 Mietentscheider im Büromarkt befragt, Leute, die entscheiden, an welchen Standort ein Unternehmen geht und in welche Büros es einzieht. Erfragt wurde auch die Wichtigkeit und die Zufriedenheit mit so genannten Büroflächenfaktoren. Die Antwort: An erster Stelle steht der Kostenfaktor. Danach kommen Bürofaktor, Standortfaktor und an vierter Stelle die Bauqualität. Interessant für unseren Zusammenhang sind die Aspekte, die die Bauqualität näher spezifizieren. Genannt werden Entree, Architektur bzw. Erscheinungsbild und Wiedererkennungswert, wobei an erster Stelle das Entrée des Gebäudes genannt wird.
Fazit: Man sieht in allen fünf Studien, die ja methodisch sehr unterschiedlich vorgehen, dass Architektur und Bauqualität ein ertragsteigerndes Potenzial besitzen, und dass im Verhältnis zu den Baukosten durchaus ein hohes Renditepotenzial besteht. Aber ich möchte über diese enge, stärker betriebswirtschaftlich orientierte Sichtweise noch hinausgehen. Es gibt für mich als Volkswirt neben dieser betriebswirtschaftlichen Renditefrage von guter Architektur auch die Frage der Wirkung guter Architektur auf das Quartier, in das Umfeld, in die Stadt hinein. Wir nennen das in der Ökonomie „externe Effekte“, in diesem Fall positive externe Effekte. Umweltverschmutzung wäre ein negativer externer Effekt. Externer Effekt bedeutet, dass es Auswirkungen der Produktion oder des Konsums auf Dritte gibt, die nicht im Marktpreismechanismus berücksichtigt werden. Einfach gesagt bedeutet es, ich tue jemandem etwas Gutes, der Produktpreis bleibt jedoch trotzdem gleich. Theoretisch ist dies eine so genannte Marktfehlallokation, d.h. der Markt funktioniert an dieser Stelle nicht richtig.
Da der Markt insbesondere bei Gütern, die starke externe Wirkungen entfalten, – und das ist bei Immobilien de facto der Fall – seine Probleme hat, muss man sich mit diesen externen Effekten beschäftigen. Denn eine fatale Begleiterscheinung dieser externen Effekte ist der Mengeneffekt: Ein Investor, der in Baukultur bzw. Bauqualität investiert, aber den daraus folgenden Ertrag nicht vollkommen selbst vereinnahmt, der wird weniger Bauqualität bauen. Darin besteht an dieser Stelle die Fehlsteuerung. Und deswegen muss man sich überlegen, wie man diesen externen Effekt wieder internalisieren kann, d.h. wieder in den Preis „hineinbekommt“. Wir müssen uns hier im Grunde auf ökonomische Weise einem Phänomen nähern, das selbst eigentlich nicht marktfähig ist. Das heißt, es gibt innerhalb der Eine jüngere Befragung in Österreich ging dem Zusammenhang von „Wenn ich qua größerer Effizienz Bauqualität einen bestimmten Aspekt, der aufgrund des Versagens Architektur und Wirtschaftlichkeit im Tourismus nach. Einige Regionen besser mit den Ressourcen umdes Marktes als Kollektivgut definiert werden muss. Neben dem Teil haben inzwischen nämlich die Architektur als touristisches Zugpferd der Bauqualität, der über die Miethöhe refinanziert wird, gibt es erkannt, was zugleich auch der Anlass der Studie war. Befragt wurden gehe, habe ich mehr Spielräume eben auch einen Teil, der darüber hinausgeht. Die Fragen über die300 Unternehmen, die so genannte Architektur-Vorreiter sind, d.h. für die Bauqualität.“ sen Teil sind spannend und kompliziert. Denn bei Kollektivgütern gilt die sich für gute Architektur entschieden haben, um ihren Tourismusdas so genannte Trittbrettfahrer- oder „Free Rider“-Problem. Alle betrieb nach vorne zu bringen. Das Ergebnis: Für 88 Prozent der Inveswollen das Kollektivgut haben, keiner will aber dafür zahlen. Man könnte also so weit gehen und toren hat sich die Investition in anspruchsvolle Architektur insgesamt rentiert. Dies ist ein sehr sagen, es gibt so etwas wie einen „schlummernden Markt“ für Bauqualität, der nicht realisiert hoher Zustimmungswert. Man kann signifikante Verbesserungen der wirtschaftlichen Kennzahlen wird, weil die Investoren keine Refinanzierung ihrer Investitionen erwarten. Man kann analog auch in den Tourismusbetrieben feststellen. Am häufigsten wird eine Steigerung von Umsatz und Besuüber die Nachfrageseite argumentieren. Gibt es so etwas wie ein schlummerndes Potenzial bei der cherzahlen der jeweiligen Gebäude genannt. 51 Prozent der Befragten geben an, dass ihre wirtNachfrage, weil die Nachfrager die falschen Präferenzen haben? schaftlichen Kennzahlen über dem Branchendurchschnitt liegen. 7 Prozent sagen, sie liegen darunter. Für 80 Prozent der Befragten ist zeitgenössische Architektur ein wichtiger Marketingfaktor. Normalerweise schreckt ein Ökonom vor solchen Konsequenzen zurück. Die Konsumentensouverä97 Prozent konnten sich dadurch von Wettbewerbern differenzieren. Für 95 Prozent sind neue nität, d.h., dass jeder weiß, was für ihn selber das Richtige ist, ist ein hohes Gut. Dies in Frage zu Nachfrageschichten attraktiv geworden. Dies sind deutliche Zahlen, auch wenn man zugeben stellen, birgt die Gefahr, als elitärer Besserwisser zu gelten, der in diesem Fall autoritär darüber muss, dass hier Leute befragt wurden, die sich bereits für gute Architektur entschieden hatten.
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entscheidet, was Bauqualität ist. Aber im Prinzip lässt sich in dieser Weise durchaus argumentieren: Vielleicht haben die Nachfrager geringere Kenntnisse, weil sie nicht richtig geschult sind. Vielleicht haben sie die falschen Präferenzen und entscheiden daher einfach falsch? Dies wäre ein weiteres schlummerndes Potenzial für Baukultur. Man spricht in solchen Fällen von der Meritorisierung von Gütern, bei denen der Staat das Gefühl hat, er weiß es besser als die Konsumenten. Drogenkonsum wäre ein demetorisierendes Gut, das man daher verbietet. Öffentlicher Rundfunk ist ein meritorisierendes Gut, das der Staat unterstützt, weil er besser weiß, was gut für die Leute ist. Schematisch gesprochen: Wenn wir sagen, es gibt von allen Gebäuden in Deutschland einen bestimmten Anteil an Gebäuden mit hoher Bauqualität, dann kann man auch sagen, es gibt ein schlummerndes Potenzial bei den Investoren aufgrund mangelnder Refinanzierbarkeit externer Effekte. Ebenso gibt es ein schlummerndes Potenzial bei den Nachfragern aufgrund von falschen Präferenzen. Überraschende Konsequenz: Wir haben viel mehr Spielraum für Bauqualität, wenn wir sie nur mobilisieren.
Welche Instrumente kommen hier in Frage? Eines der normalerweise angeführten Instrumente sind die Subventionen, ähnlich wie bei Denkmälern, die zum Beispiel steuerlich gefördert werden. Ferner kann man auf die Schulung und Sensibilisierung der Nachfrager setzen, was durch verschiedenste Initiativen der Baukultur in Deutschland versucht wird. Man könnte aber auch so weit gehen und sagen: Der Staat erhebt eine Strafsteuer für schlechte Gebäude. Dies wäre eine Internalisierung der negativen externen Effekte solcher Gebäude, bei der man sich klar werden muss, wer darüber entscheidet. Es wäre also eine Art Schmerzabgabe. Oder aber man internalisiert das Gut über Zertifikate, Markierungen, Anerkennungen, um dadurch den Wert von guter Architektur für den Markt praktikabler zu machen und Investoren Orientierung zu geben. Schließlich wären auch Verhandlungslösungen möglich. Wenn man nämlich sagt, dass dieses Gebäude aufgrund seiner Qualität in das ganze Quartier ausstrahlt, dann muss ich diese Wirkung auch innerhalb des Quartiers verhandeln und dabei Investoren und Nutzer zusammenbringen. Ich muss die räumliche Wirkungsskala in meiner marktlichen Antwortstruktur aufgreifen, d.h. ich muss diese Verhandlungen im Quartier oder städtisch organisieren. Letzter Punkt: Wir tun jetzt so, als würden wir immer gleich planen und bauen. Es ist aber auch darüber zu sprechen, wie man im betriebswirtschaftlichen Sinn effizient plant und baut. Denn hier liegen ökonomische Vorteile, die ebenfalls wiederum in Bauqualität investierbar sind. Wenn ich qua größerer Effizienz besser mit den Ressourcen umgehe, habe ich mehr Spielräume für die Bauqualität. Nicht Qualität, sondern Mängel in Planung und Ausführung kosten Geld. Hierbei hat der Planungsprozess einen besonders großen Einfluss, wobei man in diesem Zusammenhang vor allem die Trennung von Planung und Ausführung diskutieren müsste. Eine verbesserte Planungsqualität ist ein wesentlicher Bestandteil der Steigerung auch von Bauqualität in Deutschland. Zusammenfassung: Es gibt eine Rendite durch Bauqualität. Man kann darüber diskutieren, wie hoch sie ist, aber es gibt sie. Es gibt Gebäude, die zu günstigeren oder zu gleichen Kosten eine höhere Qualität aufweisen. Es gibt aber Gebäude, die mehr kosten, die aber auch ein Mehr an Qualität und an Nutzung und damit an Zahlungsfähigkeit im Markt realisieren. Zudem spendet gute Architektur eine Form von Stadtrendite, d.h. eine Rendite, die über das betriebswirtschaftliche Maß hinausgeht und die wir versuchen müssen zu mobilisieren. Das Refinanzierungsrisiko auf der Investitionsseite führt dazu, das weniger Bauqualität gebaut wird als möglich wäre. Und auf der Nachfrageseite geht es um die Frage, ob wir die Nachfrager schulen und sensibilisieren möchten, damit sie die richtigen Entscheidungen im Sinne der Bauqualität treffen können. In jedem Fall: Es gibt ein schlummerndes Potenzial, dass es zu heben gilt. Die Architekten können hier einen wichtigen Beitrag leisten.
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Naturlandschaften auf der Insel Sylt
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Gewerbebau als Motor der Baukultur: Architektur als Teil der unternehmerischen Wertschöpfung
Helmut Jäger, Geschäftsführer der Solvis GmbH
Als Kind der ersten Ölkrise ist mir in den letzten Jahren zunehmend bewusst geworden, dass dieses Erlebnis ein Antrieb auch meiner beruflichen Karriere war. Ich habe nach meinem Studium zweieinhalb Jahre lang bei VW in der Forschung und Entwicklung gearbeitet, bis 1982. Damals habe ich zu meinem Chef gesagt: „Autos bauen können viele. Ich mache jetzt Solar.“ Ich habe mich 1982 von VW verabschiedet und mit einem Kollegen eine Solarfirma aufgebaut. Ein spannender Aspekt beim Thema Baukultur ist der, wie es passieren konnte, dass Kultur und der Markt auseinanderlaufen oder im Widerspruch zueinander stehen. Hier kommen einem die Bausünden der siebziger Jahre in den Sinn. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass sich beide in Zukunft wieder annähern werden. Ich möchte mich dem Thema über unser Unternehmen nähern. Angefangen haben wir mit einfachen Formen der Sonnenenergienutzung, zum Beispiel damit, Wasser in Schläuchen von der Sonne wärmen zu lassen, um Freibäder zu beheizen. Später haben wir solare Wasser- und solare Heizsysteme entwickelt. Dies ist heute unser Hauptgeschäft, d.h. zum Beispiel integrierte Solarheizgeräte für Ein- und Zweifamilienhäuser zu entwickeln. 2002 haben wir dann unsere neue NullEmissions-Fabrik bezogen. Wir arbeiten jetzt daran, unsere Systeme zur Sonnenenergienutzung weiterzuentwickeln, wobei es unser Ziel ist, Heizsysteme mit Sonnenenergie auch für alle existierenden Zusatzenergieträger nutzbar zu machen, so dass wir auf Dauer größtmögliche Unabhängigkeit erreichen. Der Kunde, der sich heute für ein Heizsystem interessiert, möchte heute neben Kostensicherheit vor allem Unab-
Bild links: Die Null-Emissions-Fabrik der Solvis GmbH in Braunschweig (Banz und Riecks Architekten BDA, Bochum)
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hängigkeit. Wir bieten auch Systeme für Großanlagen an und wir haben auch Solarstromsysteme im Programm, die wir allerdings nicht selbst produzieren. Wichtig für die Zukunft ist vor allem eine Steuerung, die das Gesamtsystem optimiert. Heute arbeiten nicht selten Regelsysteme, etwa für die Heizung und die Klimaanlage, noch gegeneinander. Wir brauchen in Zukunft nicht nur eine integrale Baubetrachtung, wir brauchen vor allen Dingen auf der technischen Ebene auch integrierte Regelungen.
Kopplung auf Basis von Biomasse sein. Es wird vielleicht noch ein paar Verschiebungen geben, aber das werden aus unserer Sicht in etwa die Größenordnungen sein. Wichtig ist dabei, dass wir gleichzeitig den Wärmeverbrauch im Gebäude um möglichst 50 bis 60 Prozent reduzieren, was bautechnisch überhaupt kein Problem ist. Auch im Gebäudebestand lässt sich dies machen. Im Folgenden möchte ich Ihnen kurz unsere Null-Emissions-Fabrik vorstellen:
1999 standen wir vor der Situation, dass unsere Fabrik auf einem alten Industriegelände nicht mehr Die energiepolitischen Hintergründe für die heutige Situation sind im Prinzip bekannt. Die Energie genügend Platz bot. Für die Erweiterung mussten wir uns ein neues Gelände suchen. Damals hatgeht uns bald aus. Selbst der Präsident der Internationalen Energieagentur hat inzwischen erkannt, ten wir das Ziel einer Null-Emissions-Fabrik entwickelt, wobei wir Wirtdass wir das Öl verlassen müssen, bevor uns das Öl verlässt. Die Preise schaftlichkeit verbunden mit einer hohen Attraktivität erreichen wollten. werden weiter kontinuierlich steigen. Nach meiner Ansicht befinden wir „Wir stehen heute an einer Wir wollten zudem zeigen, was mit erneuerbaren Energien im Jahre uns heute an einer Schnittstelle zu einer komplett neuen BetrachtungsZeitenwende, die wegführt weise. Nur ein Beispiel: Ich bin davon überzeugt, dass spätestens in 2002 möglich ist. von endlichen Ressourcen 20 Jahren die Mülldeponien, die wir in Deutschland haben, für die EnerAuch Wandlungsfähigkeit ist bei einem Industriegebäude ein wichtiger gienutzung verwendet werden. Wir werden die Mülldeponien als Rohstoffund hinführt zu unendlichen quelle neu entdecken. Wir stehen heute an einer Zeitenwende, die wegPunkt, denn die Produktionsmethoden und die Logistik ändern sich Ressourcen.“ heute dramatisch. Wir haben damals angefangen, unser Konzept führt von endlichen Ressourcen und hinführt zu unendlichen Ressourcen, zunächst mit einem Logistiker vorzuentwickeln, da unsere Produktion denn ansonsten ist der Materialbedarf auf Dauer nicht zu decken. hohe logistische Ansprüche stellt, die unter anderem in einer extremen Saisonkurve von 150 bis 160 Prozent Auslastung im Sommer und einer schwachen Auslastung in den Wintermonaten Was den Baubereich betrifft, so sind die Rahmenbedingungen gesetzt: Wir müssen den Energiebebegründet ist. In den Wintermonaten werden bekanntlich keine Solaranlagen auf die Dächer darf von Gebäuden bis 2050 sehr stark senken. Der Gebäudebestand muss modernisiert werden. gebaut. Auf diese Schwankungen muss das Gebäude vorbereitet sein. Hier liegt das größte Energieeinsparpotenzial. Ich kann alle, vor allem aber die Politiker, in diesem Zusammenhang nur dringend bitten, das aktuelle Gesetz, das die Bundesregierung zur Förderung Wir haben ferner kalkuliert, dass unsere Produktionsmenge sich alle fünf Jahre verdoppeln wird der Gebäudemodernisierung beschlossen hat, in der jetzigen Form nicht durchgehen zu lassen. (eine Kalkulation, die noch übertroffen wurde, weswegen wir 2008 einen weiteren Anbau anfügen Stattdessen muss auch eine Teilmodernisierung möglich sein. Es gibt wenige Leute in Deutschmussten). Wichtig war außerdem eine integrale Planung, bei der Logistiker, Architekten, TGA-Planer land, die 60.000 bis 80.000 Euro ausgeben können. Wir brauchen aber einen Masseneffekt. und auch die Feuerwehr beteiligt war. Wir haben auch die Mitarbeiter mitbeteiligt und haben sie gefragt: Was habt ihr für Ansprüche? Der Planungsprozess ist anschließend im Unternehmen vorDie Modernisierungsrate ist in den letzten Jahren leider rückläufig. Die EU fordert Nullenergiegestellt worden. Häuser ab 2021 für den Neubau. Das gilt jetzt erst mal nur für den gesamten Wohnbereich, aber es wird natürlich auf Dauer auch für Gewerbe gelten. Und wir haben keine andere Chance, als die Bei allen Gebäudeteilen – Eingangsbereich, Fertigung, Verwaltung usw. – ging es darum, die Energieverkäufe in den nächsten Jahren dramatisch runterzubringen. Gebäudehülle und das Gebäudevolumen so klein wie möglich zu halten. Unsere Architekten – wir haben sogar einen kleinen Wettbewerb ausgeschrieben – sind dann auf die Idee gekommen, die Wir sehen für die Zukunft, dass die Energieversorgung bis 2050 zu mindestens 75 bis 80 Prozent Statik für das Dach nicht ins Gebäude zu integrieren, sondern außerhalb des Gebäudes im so der Wärmeversorgung in Gebäuden aus erneuerbaren Energien und davon wiederum zu ca. 30 Prozent aus Solarwärme und zu 40 Prozent aus Geothermie besteht; der Rest wird Kraft-Wärmegenannten unbeheizten Bereich zu konzipieren. Das gesamte Holzdach mit einer Spannweite von
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27 Metern ist oben an zwei Punkten abgehängt worden. Dadurch konnte die Höhe der Deckenbalken reduziert werden. Gleichzeitig haben wir diese Konzeption genutzt, um unsere Solarkollektoren zu montieren. Ein wesentlicher Punkt beim Industriegebäude ist es, dafür zu sorgen, dass in den Anfahr- und Abfahrbereichen für die Lkw keine Energieverluste entstehen. Wenn Außen- und Innentemperatur um 20 oder mehr Grad differieren, bedeutet dies erhebliche Energieverluste. Deswegen haben unsere Architekten das Konzept vorgeschlagen, die Be- und Entladung im Gebäude durchzuführen: Das Tor geht auf, der Lkw fährt hinein, anschließend geht das Tor wieder zu und es wird in der Halle be- und entladen. Um Energieverluste zu vermeiden, haben wir ferner den gesamten Betonboden des Gebäudes mit 12 cm Wärmedämmung unterlegt – ein absolutes Novum für ein Industriegebäude. Die Wände haben eine Dämmung von 24 cm und das Dach von 36 cm. Sämtliche Bürofenster besitzen eine Dreifachverglasung und die Lichtkuppeln sind mit transparenter Wärmedämmung ausgelegt worden. Ferner haben wir eine Vakuumentwässerung eingebaut, damit keine unnötigen Durchbrüche für die Entwässerung in den Boden notwendig wurden. Entscheidend insbesondere beim Holzbau ist ferner die Luftdichtigkeit. Insgesamt haben wir einen niedrigen Energieverbrauch von 23 kWh pro Quadratmeter erreicht, das sind 2,3 l Öl pro Quadratmeter. Wenn man das für ein privates Haus mit 200 Quadratmeter Nutzfläche umrechnet, so ist dort spätestens bei 450 l Ölverbrauch pro Jahr Schluss. Unsere Fabrik liegt damit 80 Prozent unter den konventionellen Industriebauten. Auch hinsichtlich der Materialien wollten wir möglichst nachhaltig bauen. Deswegen haben wir nur dort Beton eingesetzt, wo es aus statischen und Brandschutzgründen notwendig war. Ansonsten ist das gesamte Gebäude ein Holzbau. Ich finde, dies ist nicht nur ein Beitrag zum Ressourcenschutz, sondern auch zu einer hohen Arbeitsplatzqualität. Die Mitarbeiter schätzen die Holzbauweise außerordentlich. Außerdem haben wir uns bewusst dafür entschieden, in den Büros wie in der Produktion überall die gleichen Standards einzuhalten und nicht einerseits schicke Büros, andererseits in der Produktion eine Wellblechhüttenatmosphäre herzustellen. Das gesamte Gebäudekonzept ist aus einem Guss. Das Gebäude ist natürlich mit einem Lüftungssystem ausgestattet, ohne das der niedrige Energieverbrauch nicht zu erreichen wäre. Wir haben im gesamten Gebäude eine Wärmerückgewinnung von 80 bis 90 Prozent. Das Lüftungssystem nutzen wir auch dazu, eine Nachtkühlung zu betreiben. Das heißt, in den Sommermonaten wird nachts mit verstärktem Luftwechsel die kalte Nachtluft wieder ins Gebäude geführt, um das Gebäude zu kühlen. Außerdem haben wir dreifach höhere
Bild links: Der Be- und Entladebereich der Null-EmissionsFabrik liegt im Gebäudeinneren. Bild unten: Auch bei der Materialauswahl wurde bei Solvis auf Nachhaltigkeit im Bau geachtet. Wo es ging, wurde Holz verwendet.
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Mythos Baukunst? – Zwischen kultureller Verpflichtung und Markt A r ch i t e k t u r u n d R e n d i t e
Lichtkuppeln als notwendig. Und wir haben ganz bewusst auch sehr viele Lichtbänder eingebaut, um den Tageslichtanteil möglichst hoch zu halten und für die Mitarbeiter damit ein hohes Maß an Aufenthaltsqualität zu erreichen. Auch die offene Verbindung zur Außenwelt trägt hierzu bei und natürlich senkt die Tageslichtnutzung auch den Energieverbrauch. In den Büros haben wir ferner die Arbeitsplätze alle am Fenster angeordnet; die Mitarbeiter sitzen alle dicht am Fenster und haben dadurch eine hohe Tageslichtautonomie.
Leichtbau ist, aus Holz, haben wir eine Kühlung installiert, weil das von den Kühllasten her notwendig war. Wir gehen davon aus, dass in Zukunft nach diesen Standards alle Gebäude gebaut werden müssen. Dies wird der Trend sein. Was kann der Unternehmer heute tun, um das Thema Bauen als Visitenkarte für sein Unternehmen zu nutzen? Wir haben inzwischen 400.000 Beschäftigte im Bereich erneuerbare Energien in Deutschland. Fast alle Solarfirmen, die in den letzten zehn Jahren Gebäude errichtet haben, haben inzwischen Null-Emissions-Gebäude und haben sich auf die Fahnen geschrieben, ihre Gebäude als Visitenkarte für ihr Unternehmensleitbild darzustellen. Das heißt, im Bereich der Solarindustrie gibt es bezogen auf die Baukultur sehr viele innovative Ansätze.
Schließlich haben wir bewusst die gesamte Technik so sichtbar wie möglich gemacht, um zu zeigen, wie die Fabrik funktioniert. Deswegen sind die Oberflächen in rohem Beton gehalten und sämtliche Rohrleitungen offen installiert. Im neuen Teil des Gebäudes haben wir über die Wärmerückgewinnung hinaus ebenfalls im Sinne der Mitarbeiter eine „Feuchtigkeitsrückgewinnung“ eingesetzt, weil wir gesehen haben, „Die Gebäude der Zukunft sind dass bei kalten Außentemperaturen im Winter die Luftfeuchtigkeit nicht Energieverbraucher sondern im Gebäude sehr niedrig wird.
gleichzeitig auch
Zusammengefasst: 80 Prozent Energieverbrauch unter dem konventionellen Industriebau; Komplettversorgung aus erneuerbaren Energien; Baukosten der technischen Anlagen: ca. 15 Prozent. Heizwärmebedarf 23 kWh. Zusätzlich: Fotovoltaikflächen. Kosten: 637 Euro pro Quadratmeter, 15 Prozent höher als anderswo, die sich aber innerhalb von zehn Jahren amortisiert haben. Schließlich: Wir haben für diese Fabrik Preise erhalten, wodurch wir zusätzlich zur energetischen Amortisation auch noch das gesamte Gebäude als Marketingobjekt nutzen konnten. Die Gebäude der Zukunft sind nicht Energieverbraucher, sondern gleichzeitig auch Energieerzeuger. Wir werden es noch erleben, dass auch große Firmen wie VW und andere ihre gesamten Gebäude als Energieerzeugungsanlage betreiben. Das werden die nächsten Schritte sein, um auf eine möglichst hohe Autonomie und Selbstversorgung zu kommen. Die Zukunft: 2008 haben wir noch einmal 6.000 Quadratmeter an das bestehende Gebäude angebaut, so dass wir jetzt insgesamt 14.000 Quadratmeter haben. Wir haben hier ein neues Schulungszentrum aufgebaut. In diesem oberen Bereich, der aus statischen Gründen komplett aus
Die Firma SMA in Kassel ist mit über 4.000 Mitarbeitern die größte Firma im Bereich erneuerbare Energien. Sie hat im letzten Jahr ein Schulungszentrum eingeweiht, das sich komplett autark versorgt, zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien. Es besitzt keinen NetzEnergieerzeuger.“ anschluss. Mit Solarfotovoltaik können Sie hier transparente, semitransparente Fassaden gestalten, d.h. in der Fassade Strom erzeugen und zugleich natürlich Tageslicht hereinbekommen. Man erreicht hierbei zusätzlich sehr schöne Lichteffekte, kann diese Funktionen somit hervorragend architektonisch nutzen. Bei der Null-EmissionsFabrik, die die Firma SMA in Kassel vor zwei Jahren errichtet hat, wird Strom, Wärme und Kälte für das gesamte Gebäude erzeugt. Das Gebäude ist ferner auch komplett als Null-Emissions-Gebäude errichtet worden. Das Dach ist nicht einfach nur zum Regenschutz des Gebäudes vorhanden, sondern es dient der Energieerzeugung für die Fabrik. 1,2 MW hat die Fotovoltaikanlage, die hier oben auf dem Dach installiert ist. Wie Sie sehen, müssen die Module nicht alle hundertprozentig zur Sonne ausgerichtet sein. Das heißt, wir werden in Zukunft sämtliche Dachflächen, Fassadenflächen daraufhin untersuchen müssen, ob sie sinnvollerweise auch zur Energieerzeugung des Gebäudes genutzt werden können. Damit bin ich am Ende. Ich danke herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
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Gespräche und Austausch am Rande des Architektenkongresses 2011
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A r ch i t e k t u r u n d We r t ewa n d e l
Gebaute Umgebung als Geschäftsidee: Ein philosophisch-theologischer Seitenblick auf die Baukultur
Anselm Bilgri
„Theologie und Bauen haben mehr miteinander zu tun, als man glaubt.“ Diese These zu untermauern, unternahm der ehemalige Leiter des Benediktinerklosters Andechs am bayerischen Ammersee in seinem Vortrag. „Bauen ist Teil der Menschwerdung und ein Grundbestand unserer kulturellen Evolution“. Schon die Bibel kennt eine überraschend große Zahl an Beispielen und Analogien aus der Welt der Architektur (und übrigens auch aus der Welt der Wirtschaft), die uns über Grundformen des Menschseins in Bildern Auskunft geben wollen. Schon ganz zu Beginn, so Bilgri, betätigt sich Gott als Architekt. Er schafft den Lebensraum für den Menschen, indem er in das Chaos Ordnung bringt, Festland und Wasser trennt, für Tageslicht und Nachtbeleuchtung sorgt, indem er an das Firmament (die Decke) Sonne, Mond und Sterne (die Lampen) hängt. Dieser Gott legt schließlich einen wunderschönen Garten an, das Paradies, in dem sich Mann und Frau wohlfühlen können und übrigens auch er selbst, ein eigenartig anthropomorphes Bild, im lauen Abendwind spazieren gehen möchte. Es gibt den Turm zu Babel, ein Bild für die menschliche Hybris wie auch für die Diversität der Kulturen. Auch die Arche Noah, das schwimmende Haus, das für alle Tiere und ein paar Menschen immer wieder Platz bietet, hat bemerkenswerte architektonische Qualitäten. Und die Beschreibung des Tempels in Jerusalem, so Bilgri, enthalte detaillierte Vorschriften über Längen und Höhen.
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Im Neuen Testament dagegen verwendet Jesus in seinen Gleichnissen immer wieder Bilder vom Bauen und der Wirtschaft, wenn es um die Schilderung des Eifers der Menschen geht. Er meint, so wie wir uns für unseren ökonomischen Erfolg einsetzen, müssten wir uns auch um das Reich Gottes bemühen. Und schießlich gibt es als Endziel die himmlische Stadt Jerusalem, das Ziel der Stadtentwicklung. Die Bibel jedenfalls, so Bilgri, komme „Bauen ohne Architekten nicht aus.
Im Hauptteil seines Vortrags widmete sich der frühere Pater Anselm, der 20 Jahre lang in Kloster Andechs gebetet und gearbeitet hat und heute Unternehmensberater ist, dem Zusammenhang von Unternehmenskultur und den Regeln, die im Mönchtum ihre Wurzeln haben. Aus der Ordenstradition der Benediktiner, so Bilgri, könne man einiges lernen, was für ein Unternehmen und damit auch für die Leitung eines Architekturbüros hilfreich sei. Immerhin seien die Benediktiner über viele Jahrhunderte hin eine wirtschaftlich prägende Bewegung des Abendlandes gewesen; außerdem seien „Klöster und Unternehmen beides keine demokratischen Veranstaltungen“.
Grundprinzip des Ordens ist zwar „Ora et labora“, bete und arbeite, die eigentlichen Ordensregeln aber hat Benedikt in seiner „regula“ zusammengefasst. In diesen Regeln, so Bilgri, lassen sich wichtige Führungsqualitäten wie „Das aufeinander Hören“, gerade auch auf die jüngeren Mitarbeiter, „das gemeinsam einer Sache Dienen“ oder der Versuch, „jedem Mitarbeiter gerecht zu werden“ zurückführen. Vor allem das Hören sei wichtig, so Bilgri, ist Teil der das im Übrigen auch in dem Wort Gehorsam als Wortteil enthalten sei. GehorMenschwerdung und sam bedeute in der wörtlichen Bedeutung: „Eifrig sein im aufeinander Hören und das zu einer gemeinsamen Haltung werden lassen“. Diese Führungsein Grundbestand qualitäten sind die Basis einer Unternehmenskultur, die insgesamt dann unserer kulturellen fruchtbar ist, wenn die Menschen so miteinander umgehen, dass alle BeteiligEvolution.“ ten Freude am gemeinsamen Erfolg und an der gemeinsamen Leistung haben. Immerhin, so Bilgri, steht nach Umfragen für 80 Prozent der Mitarbeiter nicht die Höhe des Gehalts, sondern die Wertschätzung an erster Stelle. Gute Ideen kommen auch in Architekturbüros von zufriedenen Mitarbeitern.
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A r ch i t e k t u r u n d We r t ewa n d e l
Übermorgen: Die Strahlkraft egozentrischer Architektur
Prof. Peter Schmitz, Architekt, Köln
Die Entwicklungen in der Architektur sind heute verhältnismäßig schnelllebig. Von entscheidender Bedeutung für die Praxis des Architekten ist dabei die Rolle des Bauherrn. Bevor ich also zur Frage der Strahlkraft zukünftiger Architektur komme, zunächst ein paar eigene Erfahrungen mit Bauherren. Exemplarisch für viele große Unternehmen steht das Beispiel T-Mobile und sein wechselndes Selbstverständnis als Bauherr. Für den Wettbewerb hatten wir die Idee einer kleinen Stadt für zunächst 1.500 bis 5.000 Mitarbeiter entwickelt, in der sich trotz einer homogenen Gebäudestruktur eine Vielzahl von unterschiedlichen Nutzungen organisieren lassen. Von zeichenhaftem Charakter waren dabei die beiden Türme zur Bahnstrecke und zum Rhein. Wir haben uns damals vor allem Gedanken über die Bildung einer individuellen Arbeitswelt für die Mitarbeiter gemacht. Jeder sollte von seinem Arbeitsplatz einen anderen Blick nach außen erhalten und sich in seinem Büro wie zu Hause fühlen. So erhielt ein Raum ein Fenster mit Oberlicht, der andere eines ohne, einer eine Fenstertür links, der andere rechts usw. Als der Vorstandsvorsitzende Ron Sommer seinerzeit zur Einweihung kam, bemerkte er, dass ihn das eher an Wohnungsbau als einen Firmensitz erinnern würde. Die meisten empfanden das als Kritik, ich eher als Lob. Um das Jahr 2000 ging es dem Unternehmen, das zu diesem Zeitpunkt der umsatzstarke Motor der Telekom war, dann vor allem um seine Corporate Identity, die sich auch im Gebäude widerspiegeln sollte. Fast alle Themen, die wir damals vorschlugen, wurden auch umgesetzt: offene Bürowelten bzw. Lounges mit einer kreativen Arbeitsatmosphäre, Räume für flexible Teams, eine Kantine, die so konzipiert war, dass man dort auch arbeiten und sich zu Meetings treffen konnte, Ideen für ein energieeffizientes Gebäude und die Beteiligung externer Partner, zum Beispiel eines Starbucks-Cafés und weitere Serviceleistungen wie Wäscherei, Kiosk etc. Schließlich das Thema Kunst,
Bild links: Die Synagoge in Bochum (Schmitz Architekten, Köln)
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Mythos Baukunst? – Zwischen kultureller Verpflichtung und Markt A r ch i t e k t u r u n d We r t ewa n d e l
für das wir Wettbewerbe mit Künstlern vorbereitet haben. Für uns zeichnete sich die Zusammenarbeit durch eine offene und partnerschaftliche Kommunikation aus. Der Bauherr ging bei vielen unserer Ideen mit und entwickelte zum Teil selbst Ideen, wie zum Beispiel die Einrichtung eines Kindergartens. Fazit: Es war der Idealfall eines Bauherrn als aktiver Mitspieler.
Ein paar Jahre später hatte sich die Situation beim demselben Bauherrn grundlegend geändert. Es wurde uns nur mitgeteilt, dass wir für das Budget X bitte eine Verbindung zwischen zwei Gebäuden bauen sollten. Wir haben verschiedene statische Systeme durchgeDer Durchbruch kam erst beim Richtfest, den Gemeindemitgliedern spielt und überlegt, wie man dies zum Beispiel mit möglichst wenig „Aus meiner Sicht gibt es Gebäude, und vor allem den Kinder gefiel das Motiv mit den Sternen sponMaterialeinsatz erreichen könnte. Im Endeffekt wollte keiner mit uns die durchaus auch egozentrisch sein tan. Zusammengefasst: Das ganze Projekt war ein Beispiel für kommunizieren und statt eines Architektenvertrages erhielten wir einen gegenseitigen Verständigungsprozess. „Wer ein Haus baut, eine Auftragsbestätigung: 1 Stk. Brücke, in Klammern Bauwerk. dürfen und sich nicht nur auf den der will bleiben“, hat Paul Spiegel einmal gesagt. Heute sind die Diese wurde zwar abgenommen, wir wurden bezahlt, aber ob die Kontext, sondern auf sich selbst Bauherren stolz auf ihre Synagoge, so wie wir sie gemeinsam entBrücke gut oder schlecht war, haben wir nie erfahren. Es war ein beziehen können.“ wickelt haben. Bauen ohne Bauherren. Aus meiner Sicht war das Unternehmen zu einem „Global Player“ geworden, ohne spezifische lokale InteresErfreulicherweise ist bei Glaubensgemeinschaften ein Wertbewusstsein und eine kulturelle Verantsen. Die Mitarbeiter hatten bereits mehrfach das Gebäude gewechselt. Die Idee eines identitätsstifwortung vorhanden – sei es bei der Synagoge in Bochum, der Moschee in Köln von Gottfried und tenden Gebäudes gehörte zu diesem Zeitpunkt bereits der Vergangenheit an. Paul Böhm, dem Wettbewerb zur Propsteikirche in Leipzig oder bei einer Kita, die wir für eine evangelische Kirchengemeinde entworfen haben. Die Kirchen als Bauherren sind aber derzeit aufgrund Anders verhält es sich in der Regel bei den Projekten, bei denen der Bauherr eine eigene kulturelle der gesellschaftlichen Veränderungen stark in der Defensive. Vor diesem Hintergrund fehlt häufig oder religiöse Identität hat. Die neue Synagoge in Bochum, die auf einem von der Stadt gestifteten der Mut, im Stadtraum experimentell und zeichenhaft zu bauen. Gelände in der Nachbarschaft des schönen Rundbaus des Bochumer Planetariums entstehen sollte, bescherte uns wieder ganz andere Bauherren-Erfahrungen. Der Bauherr, die jüdische GemeinEgozentrik und Strahlkraft de, kam ursprünglich überwiegend aus der Sowjetunion und der Ukraine. Unter Architektur mit Strahlkraft im besten Sinne verstehen wir Gebäude, die in der Erinnerung Beim ersten Treffen stellten wir fest, dass das Einzige, was an unserem Entwurf gefiel, die funktiobleiben, deren Zeichenhaftigkeit eine dauerhafte Wirkung entfaltet. Aus meiner Sicht gibt es Gebäunale Aufteilung zwischen Synagoge, Foyer und Versammlungsraum war. Alles andere, z.B. die Öffde, die durchaus auch egozentrisch sein dürfen und sich nicht nur auf den Kontext, sondern auf nung des Gebäudes mit einer Terrasse, wurde abgelehnt. Vor allem blieben lange die Fragen stritsich selbst beziehen können. tig: Wie tritt man in der Öffentlichkeit auf? Welches Zeichen vermittelt man nach außen? Obwohl das Interesse an dieser Frage zunächst gering war, ist es gelungen in einen fruchtbaren Dialog einWie uns viele Beispiele aus der Geschichte zeigen, käme neben Religionsgemeinschaften und Unterzusteigen. Ich wollte einen schwebenden Kubus, der nach außen strahlt. Unsere Bauherren aber nehmen vor allem die Öffentliche Hand als Bauherr einer Architektur mit Strahlkraft in Frage. Allerbevorzugten eine Kuppel; ein nüchterner quadratischer Baukörper gefiel ihnen einfach nicht. dings befinden sich vor allem die Kommunen heute in einer Krise. Man würde sich wünschen, sie aus dieser Defensive herausholen zu können. Ein aktuelles Beispiel: Das Historische Archiv der Schließlich haben sie sich aber von dem Argument überzeugen lassen, dass die Kuppel des Stadt Köln, deren Neubau vor kurzem entschieden wurde. Wie wurde diese Entscheidung kommunibenachbarten Planetariums bereits so gut ist, dass man auf eine runde Form zugunsten einer eckiziert? Der zuständige Kulturdezernent zitierte vor allem ISO-Normen zur Sicherheit im Archivbau und gen Form verzichten müsse. Auch die Höhe des Gebäudes mit 17 Metern blieb ein Problem. Unser die Vorstellung beschränkte sich im Wesentlichen auf funktionale Aspekte und die optimale Nutzung.
Argument in dieser Hinsicht: Wenn man wieder zurück in eine Stadt kommt, in der man als Religionsgemeinschaft lange nicht präsent war und die ganze Stadtbevölkerung dies möchte, dann muss man auch zeigen, dass man wieder da ist. Man kann sich nicht verstecken. Was typisch religiöse Zeichen an Gebäuden betrifft, so gibt es zwar Symbole wie Kreuz oder Halbmond für Synagogen nicht, doch konnten wir den Bauherren von dem Motiv des Davidsterns als Fassadenmuster überzeugen, weil es in dieser Form gewissermaßen zweideutig blieb: einerseits Symbol, andererseits bloßes Muster.
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Ich denke, ein Gebäude mit dieser Bedeutung sollte seine Rolle als Stadtgedächtnis auch zeigen. Man sollte es offensiv kommunizieren, es sollte ein Gebäude sein, auf das man stolz sein kann, das in einem gewissen Sinn auch egozentrisch sein darf. Warum war man in diesem Fall seitens der Bauherren so defensiv? Ein gegenteiliges Beispiel ist die neue Bibliothek an der FU Berlin von Norman Foster. Der Bibliotheksdirektor empfindet den Neubau als Bereicherung und Chance. Aufgrund der Nachfrage ist die Bibliothek mittlerweile Tag und Nacht geöffnet, damit die Studierenden dort rund um die Uhr arbeiten können. Man darf sich, wenn man Baukultur schaffen will, nicht verstecken. In Tokio gibt es eine Einkaufsstraße mit Gebäuden von einer ganzen Reihe namhafter Architekten: Herzog & de Meuron, Sanaa, Tadao Ando, Toyo Ito und andere. Mehr Architektur, zum Teil phantastische Architektur, kann man kaum an einem einzigen Ort finden. Es sind zeichenhafte Gebäude, die ein gewisses Lebensgefühl ausdrücken. Angesichts dessen wäre die Frage: Nivelliert sich dies nicht, wenn etliche solcher signalhafter Gebäude in ein und derselben Straße stehen? Ich denke, in einer heterogenen Stadt wie Tokio ist die Antwort „nein“. Die wohl deutlichsten Beispiele für egozentrische Architektur befinden sich heute in Saudi-Arabien. Dort haben wir es aber mit vollkommen autokratischen Bauherren mit einem absolutistischen Selbstverständnis zu tun. Abgesehen von drängenden politischen Fragestellungen entsteht hier eine überaus zeichenhafte Architektur ohne Budgetgrenzen, wie zum Beispiel die Entwürfe für den internationalen Flughafen in Jeddah von Rem Koolhaas. Hier würde ich mich im Gegensatz zu Tokio jedoch nicht mehr wohlfühlen, da es sich um ein Bauen ohne jeden räumlichen und sozialen Kontext handelt. Mein Fazit: Egozentrische Architektur hat es immer gegeben und Bauten wie das Guggenheim Museum von Frank Lloyd Wright wird es immer geben. Insoweit brauchen wir ihre Strahlkraft auch übermorgen. Mein Appell wäre, dass gerade die öffentlichen Bauherren wieder mutiger werden, in dieser Rolle kann sie niemand ersetzen. Grundsätzlich sollten alle Bauherren ihre Projekte mit Leidenschaft verfolgen – das ist die Voraussetzung für Baukultur und gute Architektur.
Blick in den Gebetsraum der Synagoge in Bochum
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Neu denken, neu lenken – Towards a culture of risk
Thomas Willemeit Architekt, Berlin GRAFT Gesellschaft von Architekten mbH
„Den Blick zu weiten und unterschiedliche Kulturen in den Blick zu nehmen, ist für uns alle wichtig, besonders aber für uns Architekten“, so Thomas Willemeit, Partner des international tätigen Büros Graft. Graft, die 1998 in Los Angeles ihr erstes Büro eröffneten und mittlerweile Niederlassungen in Berlin und Peking unterhalten, haben ihre Firmenphilosophie sehr deutlich an der Begegnung mit fremden Kulturen orientiert. „Gerade in Zeiten der Globalisierung sollten wir uns bemühen, ein tieferes Verständnis für die Kulturen, in denen wir bauen und die uns im Umkehrschluss beeinflussen, zu entwickeln – metaphorisch die Welt wieder zusammenzusetzen. Denn, so Willemeit: „Man kann am besten in derjenigen Region bauen, der gegenüber man ein wirkliches kulturelles Verständnis entwickelt hat.“ Auch der Name des Büros hat in solchem Verständnis seine Wurzeln: „Unser hoch geschätztes Kulturgut Wein, so Willemeit, „wäre nicht überlebensfähig gewesen ohne eine Verbindung, also das gesunde Hybridisieren oder die Bastardbildung mit einer Wurzel aus einer anderen Kultur. Diesen Vorgang nennt man ‚Grafting‘, d.h. Pfropfen. Das Pfropfen aus dem Weinanbau führt also dazu, dass eine gesündere, eine neue Kulturpflanze entsteht.“ Neugierde, Verwirrung und Mut sind die drei Phasen, die für das Büro Graft die Schritte zu neuen innovativen Projekten markieren. Sie entsprechen nach Willemeit einer Herangehensweise, die für die heutige spätmoderne Epoche, die nicht mehr einer einzigen universalen Linie der klassischen Moderne folgt, auch die adäquate ist.
Bild links: Tisch oder Tuch? – Phantom-Tisch von Graft, Berlin (Lars Krückeberg, Wolfram Putz, Thomas Willemeit)
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Mythos Baukunst? – Zwischen kultureller Verpflichtung und Markt A r ch i t e k t u r u n d L i t e r a t u r
Vom filmischen Denken in Raum-Atmosphären in Hollywood beeinflusst, artikulierten die von Willemeit präsentierten Projekte des Büros eine entsprechend kulturell differenzierte Wahrnehmung: Von einem Entwurf für die zukünftige Bebauung des Berliner Tempelhofgeländes über nachhaltige Inselbebauungen in der Karibik bis zu interaktiven Installationen am Potsdamer Platz und spektakulären Restauranteinrichtungen in Las Vegas sowie futuristischen Zahnarztpraxen in Berlin, die „sich anfühlen sollen wie ein Club oder wie ein Hotel“, reichte das Spektrum. Ebenso dazu gehören etwa eine Villa am Wannsee und ein Hotel in Tiflis: „Wir verfolgen nicht die Philosophie eines durchgängig einheitlichen Stils, sondern versuchen in unseren Entwürfen persönliche Geschichten umzusetzen.“ Von daher versteht sich auch die Zurückhaltung des Büros gegenüber einem generellen Geschmacksbegriff: „Taste is the lack of appetite“, so Willemeit. Wenn man seinen Geschmack gefunden habe, dann sei man meist an einem Punkt angelangt, von dem aus man keine Lust mehr habe, sich weiterzuentwickeln. „Geschmack ist eigentlich nur die Überhöhung einer möglichen Realität über alle anderen.“ Die Kreativitätsprozesse, die aus dieser Haltung resultieren, lassen sich nicht zuletzt auch an den Möbelentwürfen von Graft festmachen, zum Beispiel an dem Waschbecken für die Firma Canera, bei dem nicht nur die Funktion, sondern das sinnliche Bild, wie Wasser fließt und wie man Wasser schöpft, der Ausgangspunkt des Entwurfs war. Am Ende stand etwas, so Willemeit, das so aussah, als ob das Wasser die Form ausgespült hätte. Eine andere Variante ist jener Tischentwurf, „bei dem wir uns gefragt haben, wie sieht ein Tisch mit einer Tischdecke aus“. Wir haben aus Studien darüber, wie eine Tischdecke fällt, und mit dem Material Carbonfiber etwas entwickelt, das wie die Simulation von etwas Textilem und Weichem wirkt. „Der Tisch ist eigentlich eine erzählte Geschichte; außerdem kann man wunderbar daran sitzen.“ Die Philosophie des Büros erhellen auch zwei Projekte, die man eigentlich als spezielle Form der Entwicklungshilfe betrachten könnte: Graft hat als Kurator des Gesamtprojektes und zusammen mit anderen Büros auf Initiative des Schauspielers Brad Pitt Wohnhäuser für die Opfer der Überschwemmung von New Orleans gebaut. Vorausgegangen waren lange Gespräche mit den Menschen vor Ort, waren organisatorische und nicht zuletzt finanzielle Unterstützung, bei denen man stark auf Spenden gesetzt hatte. „Es war“, so Willemeit, „kein Disaster-Relief-Programm, sondern ein individuelles Eingehen auf die Wünsche dieser Menschen.“ Zur Demonstration und Werbung für das Projekt entstand eine sehr schlichte Installation großen Ausmaßes, das „Pink Project“, konstruiert aus Gerüsten und Planen, die ganz laut kommunizieren sollten: „Hier passiert etwas.“ Nach erfolgreichem Fundraising, dem Eingehen von zahlreichen Spenden, entstand in den folgenden vier Jahren eine Siedlung, die inzwischen mehr als 100 Häuser umfasst.
KU 64 in Berlin: Zahnarztpraxis mit Lounge (Graft, Berlin)
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Ein anderes Projekt wurde für Regionen in Afrika entwickelt. Es handelt sich um einen „solaren Kiosk“ für Regionen ohne Strom, der in erster Linie also praktischen Zwecken dient. Ausgangspunkt war unter anderem die Tatsache, dass in vielen Regionen Afrikas das Handy zwar mittlerweile ein weit verbreitetes Statussymbol ist, es aber kaum Stationen gibt, es aufzuladen. Graft hat daher einen Kubus entworfen, der auf dem Dach mit Fotovoltaik ausgestattet ist, genügend Energie liefert, um Handyladungen zu ermöglichen und gleichzeitig einen Kühlschrank laufen zu lassen, in dem Medizin gekühlt werden und auch Getränke angeboten werden können, so dass ein solches Objekt eine nachhaltige wirtschaftliche Basis entfalten kann.“ Gerade dieses Projekt verrät die kulturelle Sensibilität des Büros.
Bild links: Solar-Kiosk für Regionen ohne Strom Bild rechts: Einfamilienhaus für Hochwasseropfer in New Orleans (Graft, Berlin)
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Mythos Baukunst? – Zwischen kultureller Verpflichtung und Markt A r ch i t e k t u r u n d L i t e r a t u r
„Im Erzählerischen liegt die Kraft“
Interview mit Thomas Willemeit
Gisela Steinhauer: Zunächst eine ganz pragmatische Frage. Wie teuer ist der weiße Tischtuch-Tisch? Thomas Willemeit: Der Tisch kostet – ich muss ja ehrlich sein – zwischen 45.000 und 50.000 Euro. Gisela Steinhauer: Peter Schmitz hat uns von vielen Low-Budget-Projekten, an denen er arbeitet, erzählt. Wie viel Risiko ist möglich, wenn man kein Geld hat? Thomas Willemeit: Als Bauherr meinen Sie? Für den Architekten bedeutet es maximales Risiko bei den Projekten, bei denen das Budget sehr begrenzt ist. Hier ist die Herausforderung natürlich am größten. Leider macht uns die Honorarordnung diesbezüglich immer einen großen Strich durch die Rechnung. Es sollte deutliche Anreize zum Geldsparen geben. Ebenso sollte man sich auch einmal Gedanken darüber machen, wie wir die zunehmend notwendige Kenntnis über alles, was unter dem Thema Nachhaltigkeit zusammenzufassen ist, in der HOAI abbilden können. Für die Architekten ist dies immer eine große Herausforderung. Das Innovative an den Projekten ist das Entscheidende. Man kann immer irgendetwas herausholen. Wir kontrollieren das Budget meist dadurch, dass wir die innovativen Teile in besonders wichtigen Zonen konzentrieren. Gisela Steinhauer: Neugierde. Konfusion. Mut waren die drei Schritte, von denen Sie im Hinblick auf das Finden guter, origineller Entwurfslösungen sprachen. Wie mache ich denn den Leuten Geschmack darauf, den Raum der Konfusionen zu betreten? Thomas Willemeit: Letztendlich dadurch, dass man sich auf das Wesen der Architektur, auf das „Geschichtenerzählen“ einlässt. Das Relevante, die Bedeutung von Architektur ist immer kulturell, nicht beweisbar, sondern kommunikativ vermittelbar. “Storys are the social currency of the world”. Am Ende liegt im Erzählerischen, d.h. in dem, was über das Beweisbare hinausgeht, die eigentliche Kraft unserer Arbeit. Dies muss man betonen, weil wir heute unter der großen Überschrift der Nachhaltigkeit in die gefährliche Situation rutschen, im Diskurs unter anderem auch mit der Gesellschaft zu behaupten, dass man Architektur beweisen könnte. Das ist für mich eine gefährliche Situation.
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Gisela Steinhauer: Wie sähe ein Beispiel für dieses Erzählerische aus? Thomas Willemeit: Im Fall unserer Berliner Zahnarztpraxis haben wir uns überlegt, was das Gegenteil der im Allgemeinen eher unangenehmen Zahnarztsituation wäre: Wir dachten an eine Strandsituation. Man sucht dort einerseits die Weite, hier Transparenz, die Offenheit, aber man möchte, wenn man sich niederlässt, auch nicht die ganze Zeit über beobachtet werden. Man sucht sich zum Beispiel eine Mulde in der Düne. So hat sich aus dieser Überlegung die offene, transparente Landschaft dieser Zahnarztpraxis entwickelt. Sie ist so gestaltet, dass man noch nicht einmal irgendwelche Glasprofile sieht. Wir wollten eine großzügige Transparenz, die nicht den Anschein erweckt, als gäbe es irgendwo eine Tür, hinter der martialische Dinge stattfinden, sondern größtmögliche Offenheit. Dann aber, sobald ich mich niederlasse, sobald ich in den Zahnarztstuhl zur Behandlung sinke, da wollten wir, dass man wie in einer Mulde geschützt ist. Wir haben für diese Geschichte auch mehrere die Sinne ansprechenden architektonischen Details eingesetzt. Für die Geräuschkulisse sorgte zum Beispiel ein großer Wasserbrunnen. Wir haben uns außerdem lange mit den Gerüchen, z.B.
der Auswahl von Desinfektionsmitteln beschäftigt wie auch damit, einmal ganz andere olfaktorische Reize in der Praxis entstehen zu lassen. Dazu haben wir u.a. ein offenes Kaminfeuer eingebaut. Außerdem wird in der Praxis alle 15 Minuten der Kaffee frisch gemahlen, damit eher Starbucks-Feeling als ZahnarztGefühle erzeugt werden. Die Praxis funktioniert. Auch in Moskau, wo wir einen Wettbewerb für ein Museum gewonnen haben, hatten wir mit unserem Konzept die Absicht, eine ganz bestimmte Geschichte zu erzählen. Es ging dabei um den Umbau einer der bekanntesten Architekturen in Moskau, der Busgarage von Konstantin Melnikow mit gigantischen Ausmaßen, 160 m lang, 64 m breit. Dort sollte ein russisch-jüdisches Museum hineingebaut werden. Die Frage war: Wie geht man mit so einer Ikone der konstruktivistischen Architektur um? Wir haben dies über eine sehr erzählerische Architektur versucht. Erstens haben wir gesagt, wir werden nur eine Chance haben, wenn wir den Raum und die Qualität dieser Halle erhalten und nicht gegen den Bestand arbeiten. Der zweite Aspekt war: Wie gehe ich damit um, in so einer Halle sowohl Geschichte zu zeigen als auch aktuelle Wechselausstellungsräume und
das aktuelle Geschehen der jüdischen Gemeinde zu ermöglichen. Die Lösung war, die Geschichte in den Untergrund zu verlegen. Das gesamte Basement wurde zum Untergrund der Geschichte, quasi zur historischen Basis, auf der dann die aktuellen Veranstaltungen stattfinden. Somit wird eigentlich der Fußboden zu einer Membran zwischen Geschichte und Gegenwart, die wiederum von oben ihre Spuren hinterlässt. Genau so haben wir damit eine Metapher gefunden für das Verhältnis der Gegenwart zur Vergangenheit. Und der dritte Aspekt betraf die Frage: Wie ist überhaupt die nicht leichte und auch sehr dramatische Geschichte des Verhältnisses von jüdischer Kultur und russischer Geschichte abbildbar? Dazu haben wir gesagt: Wir wollen eine größtmögliche neue Zugänglichkeit der Geschichte, die diese Ausstellung zeigt. Wir wollen kein Museum, das in der riesigen Halle wie ein Gegenstand, den man sich anguckt, eingesperrt ist. Wie wollen stattdessen eine Landschaft, die mit seinem kulturellen Kontext in Verbindung steht. Wir wollen also keine der existierenden Türen benutzen, sondern unter den Fundamenten des Gehäuses abtauchen, und so den Boden Moskaus mit dieser Geschichte verbinden.
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Referenten und Zuhörer beim Architektenkongress 2011
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Städte als Inspiration: Beeinflusst Literatur die Einstellung zu unserer Umgebung?*
Dr. Roger Willemsen, Publizist und Autor, Hamburg
Ich habe Glück, denn ich darf eigentlich etwas sehr Sachfremdes tun und Ihnen Reisebilder entwickeln, in denen die Architektur auch, aber nicht die alleinige Rolle spielt. Manchmal werde ich Ihnen einfach Szenen erzählen und werde es Ihrem inneren Auge überlassen, sich dann über die Architektur zu beugen, die unter Umständen rund um diese Szene eine Rolle gespielt haben könnte. Es hat einmal ein junger Mann sich mit Arnold Schönberg unvorsichtigerweise über Kunst gestritten. Im Verlaufe dieses Gespräches hat der junge Mann unvorsichtigerweise gesagt: „Das kann ich beweisen.“ Daraufhin blickte ihn Schönberg missvergnügt an und sagte: „In der Kunst kann man gar nichts beweisen.“ Dann machte er eine Pause. Dann sagte er: „Und wenn, dann nicht Sie.“ Dann machte er noch eine Pause und sagte: „Und wenn Sie, dann nicht mir.“ Ich fürchte, dass in diesem Beispiel ich der junge Mann bin und Sie sind Schönberg. Denn natürlich wissen Sie sehr viel besser Bescheid über das, was man Architektur nennt. Aber ich könnte trotzdem versuchen, Ihnen zu beweisen, dass die Erfahrung von Architektur in bestimmten Formen auch des literarischen Sprechens außerordentlich wichtig ist. Und dass sie deshalb etwas erlaubt, was sich wie Evidenz in der Erfahrung herstellt, die man am Ende auf etwas zurückbezieht, was räumlich gewesen ist. Paul Valéry sagt von der Architektur, sie sei ähnlich wie die Musik, und eigentlich nur noch vergleichbar der Musik, die einzige Kunst, die Räume entwickele und die den Menschen in Räume entlasse. Insofern ist es nicht untypisch, dass wir auch in der Musik immer wieder zu architektonischen Begriffen greifen. Wenn man reist und man hat einen imaginären Raum vor sich, in den man eintreten wird, dann kann man sagen, ist man am Anfang aller Reisen, und es soll ja in dieser Rede zu einem guten Teil über entlegene Orte gehen, dann kann man sagen, an all diesen Orten ist man empfangen von zwei Kräften. Die eine Kraft, das ist die, die man die Schubkraft nennen
*Bei dem Text handelt es sich um eine Transkription des Vortrages, den Roger Willemsen am 24. Juni 2011 beim Architektenkongress der AKNW auf Sylt gehalten hat.
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könnte. Diese Schubkraft setzt da ein, wo wir zu Hause sind. Das heißt, sie setzt auch ein in der Architektur unseres Zuhauses. Diese Kraft hat etwas sehr Befriedendes dadurch, dass wir die Konvention dieser Architektur kennen. Wir haben uns an ihr abgearbeitet. Wenn es Düsseldorf ist, können wir sagen, wir haben zwar Glück gehabt, dass es Düsseldorf ist, aber wir können uns an den Fassaden, durch die wir jeden Tag durchschreiten, nicht mehr wirklich erneuern. Wir können uns an ihnen so wenig erneuern wie am Bild der eigenen Ehefrau, für die wir auch ein und dasselbe stereotype Verhalten entwickelt haben und das wir nicht mehr wirklich erneuern können. Ich habe bei diesem Beispiel extra die Ehefrauen gewählt, weil mehr Männer im Raum sind. Das ist aus opportunistischen Gründen so. Denn das Beispiel hätte auch mit den Ehemännern funktioniert. Das heißt, dieselbe Kraft, die auf der einen Seite sagt: Es ist gut, irgendwo beheimatet zu sein, wo auch das Zuhause der Routine ist. Dort wird man gleichzeitig erfasst von der Unmöglichkeit, sich zu erneuern. Um sich erneuern zu können, müsste man in Räume eintreten, die unvorhersehbar sind, die nicht auf irgendetwas rekurrieren können, das in uns bereits vorgebildet ist, die uns mit dramatischen Zuständen unseres Innenlebens konfrontieren, die wir ohne die Beheimatung unseres vertrauten Raumes nicht betreten können. Also Zustände des Elends, des Ekels, der Ablehnung, des Hasses, der Aggression. Lauter Zustände, in denen wir nicht einmal simuliert haben zu existieren. In dem Augenblick, wo wir feststellen, wie viel Befriedung auf der einen Seite im heimatlichen Raume enthalten sein kann, werden wir von der zweiten Kraft eingeholt. Das ist die Kraft, die sich beispielsweise einstellt, wenn wir die Augen schließen oder sie auch offen lassen und sagen: „Timbuktu“, „Odessa“, „New York“, „Sankt Petersburg“, „Dakar“, „Abijon“, „Saigon“, „Surabaya“. Wir stellen fest, dass jeder einzelne dieser Namen umschwärmt ist von einer Aura. So wie eine Person ein Charisma haben kann, so können Räume Charisma haben, und wir fangen an zu begreifen, dass wir eigentlich, wenn wir Städte bereisen, etwas bereisen, das wie ein Massiv von Erfahrung ist. Wir könnten also sagen, alles was wir Stadt nennen ist zu einem guten Teil auch Infrastruktur, Architektur, eine Versammlung von Kunstdenkmälern, etwas, dass man apportieren, das man fotografieren, das man in Waren übersetzen kann. Aber noch eigentlicher bestehen Städte aus Erinnerung, aus allen Erfahrungen, die jemals an einem bestimmten geographischen Ort gemacht worden sind. Die sind es, die eigentlich den Fassaden Patina geben. Die sind es, die die Orte anziehend machen, die die Plausibilität von Fassaden, von Architekturen, von Selbstverläufen innerhalb der Stadt, von der alten „Centro Storico“-Idee etwa, stiften. Und wenn man so weit geht, das zu sagen, dann ist es für Sie vielleicht enttäuschend, aber dennoch unabweislich, und auch Sie haben dazu erheblich beigetragen zu sagen, wir bereisen im Kern Erfahrungen. Wenn das so ist, dass
man an Orten in ein Massiv von Erfahrung eintritt, dann ist auch das Ziel der Reise unter Umständen weniger die Golden Gate Bridge oder die Mona Lisa oder ein Museum von Frank O. Gehry, sondern es ist vielleicht mehr, so sentimental das klingt, eine Umarmung, ein Duft, ein Konflikt, eine Situation. Irgendetwas, an dem man wurzeln kann. Irgendetwas, das uns das Gefühl gibt, wirklich zu werden. Diese Anstrengung des Wirklichwerdens ist es, die das Reisen sehr viel mehr auszeichnet, auch in der Konfrontation mit dem Kunstgegenstand, der häufig sich als nicht mehr individuell erfahrbar erweisen könnte, dass wir eigentlich sagen könnten, da verschiebt sich der Fokus dessen, was wirklich bereist wird. Wir könnten sagen, in dieser Ferne suchen wir die weiche Stelle, die sich öffnet, um uns plötzlich weniger das Fremde an sich als vielmehr das Vertraute im Fremden zu zeigen. Dann könnte es sein, zum Beispiel, dass ich, wenn ich am Hindukusch auf einer Straße einem schwarzbärtigen Mann in Hemdhose entgegenkomme, nicht in ihm notwendigerweise erst den mutmaßlichen Taliban sehe, sondern vielleicht den Fußballfan, den Freund, den guten Nachbarn, den Steuerflüchtling, den Bekenntnisschlesier, irgendetwas, das uns zugewandt ist, das ein Verhalten in uns hat, das bereits in uns vorausgeprägt ist. In diesem Verhalten sehen wir plötzlich, dass wir etwas gefunden haben, das uns seine vertraute Seite zuwendet. Es gibt ein schönes Wort von John Steinbeck, der sagt: „Ich erkläre mir meine Rastlosigkeit so, ich habe noch nicht jedes Zuhause gesehen.“ Das könnte eine Anstrengung des Reisens sein zu sagen, ich versuche, mir Räume so anzuverwandeln, dass sie Zuhause werden. Natürlich unter Abziehung all der Geschichte eines Zuhauses, die dieses Zuhause haben muss. Wir alle sind in irgendeiner Weise in einer Architektur beheimatet, die grundsätzlich verloren gegangen ist. Das ist die Architektur unserer Heimat. Wir könnten sagen, diese Heimat ist der Inbegriff dessen, was den Schub, die zuerst genannte Kraft, auslöst, diese Heimat ist eine Versammlung von Gegenständen, die nicht mehr sind, von Gebäuden, die nicht mehr sind. Die Mädchen in den Kattun-Kleidern existieren nicht mehr. Die Lehrerinnen haben nicht mehr jene Röcke und sie haben nicht mehr das Aroma. Wo ich meine erste libidinöse Erlösung gesucht habe, dort steht heute ein Baumarkt. Selbst ich kann nicht vor diesem Baumarkt stehen und in Wallung geraten und mich noch einmal daran erinnern, was er einmal in mir auslöste. Das heißt, man muss sich bei allem architektonischen Schaffen, bei allem stadtplanerischen Konzipieren immer der Tatsache bewusst sein, dass man ebenso Heimaten herstellt, Dinge, die leidenschaftlich assimiliert, die ans Herz genommen werden, die sentimentale Räume werden, weil sie von Leuten benutzt werden, in sentimentalen Situationen, die wir nicht antizipieren können. Und im gleichen Vorgang zerstören sie Heimaten. Das heißt, sie nehmen etwas weg, das einmal ein auf ganz eigentümliche Weise erfahrener und behauster Raum gewesen ist.
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dung treten wird und gleich notieren wird, was er empfindet. Und das, dieser erste Blick, ist eine In meinem eigenen Fall könnte ich nun sagen, um ein Beispiel zu geben, für das, was dieser Sog Kostbarkeit. Grillparzer tritt vor das Meer, zückt den Bleistift und notiert: „So hatte ich es mir nicht sein kann. Ich bin geboren in der so genannten Voreifel. Das ist 10 km entfernt von jener Gegend, gedacht.“ Das ist alles. Kein einziger Satz folgt. Wir fühlen uns düpiert und denken, in dieser Lücke in der heute die Exministerialdirektorensiedlungen in Sanitärarchitekturästhetik ein weitestgehend der Literatur könnte ein Reiseschriftsteller geboren werden und sagen: „Grillparzer, es geht besser. zerstücktes Hügelland zurückgelassen haben, in dem unbehauste Menschen, ohne Knochen durch Man kann das genauer sagen.“ die Nase, aber weitestgehend verwahrlost, das runterwohnen müssen, was Ministerialbeamten dort zurückgelassen haben. Die Menschen, die dort wohnen, nennen das die Rheinische Toskana. Machen wir einen Sprung. Ich bin 15 Jahre später in einem Zug in Birma oder Burma oder Myanmar, Glauben Sie das auf keinen Fall. Sie werden nie jemanden gefunden haben, der gesagt hat: „Was wie Sie wollen. Es ist die Zeit, in der ein fremder Reisender nur vier Zonen in Birma besuchen habe ich mich gut erholt bei Bonn.“ Oder: „Ich verbringe meine Ferien immer in Alfter“ oder so darf. Wird er außerhalb dieser Zonen gefunden, wird er verhaftet. Das ist in Birma eine gefährliche etwas. Diese Menschen existieren nicht. Das heißt, mein Schicksal ist, dass das mein Zuhause ist. Sache. Ich sitze in der Holzklasse dieses Zuges, weil ich gerne die Menschen sehen möchte, die Die Wahrhaftigkeit meines Zuhauses besteht darin, dass der Ort, in dem ich groß geworden bin, auch in diesem Land leben und die ich nicht treffen darf. Ich habe Glück, denn mir gegenüber sitzt buchstäblich Ödekoven heißt und auch alles dafür getan hat, dass das Versprechen, was im ein sehr, sehr schönes Ehepaar. Beide etwa 40 Jahre alt, in rotem und schwarzem Samt gekleidet. Namen liegt, auch inhaltlich voll erfüllt wurde. Ich habe in diesem Ort Ödekoven irgendwann einAuf der einen Seite neben sich haben Sie einen Sack voll Salz und auf der anderen einen grämlich mal einen Waldspaziergang gemacht. Ich war damals ganz versessen auf den Wald. Und ich war in die Landschaft blickenden Truthahn, der speziell in der Misanthropie, mit der er die Landschaft vielleicht sechs Jahre alt und ging mit meiner Mutter an einem schütteren Waldsaum entlang. Und mustert, deutliche Ähnlichkeit mit Franz Grillparzer hat und gleichzeitig als ein wunderschönes an jenem frühen Morgen, es war fünf Uhr, da hatte der Nebel sehr gnädig die Ebene von Bonn so Kontrastmittel fungiert, weil er mir um so deutlicher macht, wie schön diese beiden sind. Die beiden weitgehend eingehüllt, dass das, was ich sah, ich sofort sinnlich missverstand und meine Mutter sind so schön, weil sie so durchlässige Gesichter haben. In diesen Gesichtern spiegelt sich alles, angreinte, missverstehend, was es sei, angreinte und sagte: „Warum hat mir niemand gesagt, dass was draußen in der Landschaft gerade vorbeifliegt und was immer man wir am Meer wohnen?“ Ich war der Ansicht, man habe mir das Meer draußen erkennen könnte, man sieht es zuerst in ihren Gesichtern, die jetzt schon sechs Jahre meines Lebens unterschlagen. Und ich ent„Wir alle sind in irgendeiner wie osmotisch aufnehmen, was in der Landschaft existiert. deckte in mir so etwas wie einen maritimen Charakter, der alleine Weise in einer Architektur dadurch ausgeprägt war, dass man es mir unterschlagen hatte und beheimatet, die grundsätzlich Ich frage die beiden: „Wo sind Sie zu Hause?“ Sie sagen: „Im Krieg.“ ich nicht in der Brandung hatte planschen dürfen. Sie nennen keinen Ort, sie nennen keine Architektur, sie beschreiben verloren gegangen ist.“ ihr Zuhause nicht. Sie sagen einen Zustand. Sie sagen: „Im Krieg.“ Sie Bewegen wir uns von dieser Szene etwa 15 Jahre weiter. Ich sitze in beschreiben mir einen Krieg, den ich nicht kenne, weil es dort keine einer Bibliothek und ich lese die Tagebücher eines grämlichen österreiKameras gibt und keine Journalisten. Es ist ein Krieg, der zwischen den Drogenbaronen und der chischen Autors aus dem 19. Jahrhundert, der wegen der Misanthropie in seinem Gesicht und ländlichen Bevölkerung um Territorialstreitigkeiten zwischen den chinesischen Grenzbehörden und dem entsprechenden Faltenwurf, zu Recht den Namen Franz Grillparzer trägt. Der außer ein paar den birmesischen Grenzbehörden tobt und der auf dem Rücken der Landbevölkerung ausgetragen holzigen historischen Dramen wenig zurückgelassen hat, das die Nachwelt kennt. Grillparzer löst wird. Die beiden sind Buchbinder. Ich hätte nicht gedacht, dass man vom Buchbinden im Krieg im trotzdem in diesem einen Augenblick ein atemloses Staunen in mir aus, eine Anspannung, denn er Norden Birmas leben kann. Das können sie. Ich sage: „Was ist das Ziel Ihrer Reise gewesen?“ Sie wird gleich etwas apportieren, das zum Kostbarsten gehört, was Literatur überhaupt stiften kann, sagen: „Zum ersten Mal in unserem Leben wollten wir ans Meer.“ Ich sage: „Und was hat das ausnämlich so etwas wie einen ersten Blick. Denn Grillparzer reist ans Meer. Das Besondere ist, dass gelöst in Ihnen?“ Sie sagen: „Wir haben das Meer nicht sehen dürfen, denn wir sind in der HauptGrillparzer anders als wir alle, die wir das Meer fotografiert oder gefilmt kennen, das Meer in keistadt Rangun aufgegriffen worden, von den birmesischen Behörden, die uns gesagt haben: ‚Ihr ner Weise in seinem Leben hatte vorfinden können. Wir wissen schon gar nicht mehr, wie das seht das Meer nicht.‘ Daraufhin haben wir einen Sack Salz gekauft und einen Truthahn. Und jetzt Meer in unser Leben gekommen ist. Es wird niemanden geben, der heute zum ersten Mal das sind wir auf dem Weg wieder zurück.“ Meer gesehen hat und bebend wie ich vor dem Baumarkt davorgestanden hat. Sondern bei Grillparzer haben wir einen sprachmächtigen Mann vor uns, der im nächsten Augenblick an die Bran-
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Jetzt passiert etwas Magisches, denn ich darf nicht sehen, wo sie wohnen. Wir fahren bis Manderley zusammen und da endet unsere gemeinsame Reise. Sie dürfen das Meer nicht besuchen, das ich so gut kenne. Es ist plötzlich der einzige, aber imaginäre Raum, in dem wir uns beheimaten können, der der dritten Klasse eines Zugabteils, indem wir die Literatur als das einzige Medium bearbeiten können, das uns eine Form von Heimat stiftet, dadurch, dass wir so präzise, so erfahrungsreich, so satt von Erlebnissen von dem reden, was wir selbst kennen und was der andere nicht kennenlernen wird. Wir verständigen uns über einen Mangel. Wir reisen zwischen zwei Grenzen, die für uns, jeweils für die gegenüberliegende Partei, undurchlässig sein werden. In diesem imaginären Raum hatte ich das Gefühl, zum ersten Mal etwas zu finden, was wie eine nur aus Worten bestehende Architektur ist, die gleichzeitig den großen Vorzug hat, dass sie aus Erfahrung besteht. Diese Form von Erfahrbarkeit ist etwas, das ich immer als Kostbarkeit auch im baulichen Raum erkennen würde, zu sagen, man kann sich ein Gebäude assimilieren. Man kann es, man kann durchlässig werden für das, was Architektur will, in welcher Weise sie auch das prägt und formt, was Erfahrung ist. Ich könnte in einem sentimentalen Beispiel sagen, diese Form von Erfahrung ist emphatisch in dem Sinne, in dem ein französischer Politologe, und ich bitte gleich um Vergebung für die Sentimentalität des Beispieles, aus einer Großstadt das Folgende berichtet. Er sagt: „Es sitzt auf einer Brücke ein Bettler. Er hat eine schwarze Brille auf. Er hat eine Binde mit drei schwarzen Punkten auf orangenem Grund vor sich, einen Hut, und vor dem Hut steht das Wort „blind“. Die Menschen gehen vorbei und niemand wirft irgendetwas in diesen Hut. Irgendwann ergreift er das Hosenbein eines Menschen, der gerade vorbeieilt und sagt: „Warum gibst du mir nichts?“ Der Vorbeieilende sagt: „Ich bin ein Dichter, ich habe selber nichts.“ Er zögert, und er sagt: „Aber Moment, ich kann dir vielleicht etwas geben, das mehr wert ist als all das, was ich in der Tasche haben könnte.“ Und er nimmt das Schild, er dreht es um, er schreibt etwas auf die Rückseite. Er setzt das Schild wieder ab und er bleibt stehen, um zu sehen, was passiert. Es dauert eine Weile und die Menschen fangen an, etwas in diesen Hut zu werfen. Spätestens an dieser Stelle weiß ich, habe ich Ihre gesamte Aufmerksamkeit, weil Sie sich fragen, ob man das zu einer Geschäftsidee ausbauen kann, was jetzt kommt. Der Blinde sagt irgendwann zu dem dort stehen-
den Dichter: „Sag mir, was hast du auf dieses Schild geschrieben?“ Der Dichter nimmt das Schild hoch und sagt: „Auf der anderen Seite dieses Schildes steht: ‚Der Frühling wird kommen, aber ich werde ihn nicht sehen.‘“ Die Botschaft ist einfach. Während man auf der einen Seite etwas hat, das eine Informationsvermittlung ist, das Wort „blind“, das jeden in einer ausreichlichen Form mit einer Information konfrontiert, haben wir auf der anderen Seite etwas, das unmittelbare Erfahrung abbildet. Und diese Erfahrung ist unausweichlich. Sie macht jeden blind, der diesen Satz hört. Es ist nicht der einzige mögliche Satz dazu, aber es ist jener, der ansteckt. In dieser Form von Unausweichlichkeit wünscht man sich das, was Werke sein können, wünscht man sich Bauwerke, wünscht man sich Musik, Bilder, Kultur in jeder Form. Ich kann jetzt sagen, diese Form des Erfahrens, des Räume Aufnehmens in einem ähnlich emphatischen Sinne, wie es hier der Fall ist, diese Form, kann ich, wenn ich reise, immer noch in zwei Formen versuchen zu eruieren. Die erste Form wäre die, die ich in der frequentesten Form bediene, indem ich als Tourist oder als Touristin reise. Ich sage nichts dagegen, denn ich bin selber oft genug Tourist gewesen. Aber man reist unter Umständen mit Verlusten. Meine allererste Reise als Tourist führte mich an der Seite von vier Freunden auf die oberste Plattform des Eiffelturms in Paris. Und es passierte etwas Furchtbares. Diese fünf Jungs stehen da oben vor der Opulenz der großen Aussage von Paris und sind nicht beeindruckt. So wie es nichts Peinlicheres gibt als Pornographie, die nicht erregt, ist nichts schlimmer, als wenn Sie wissen, Sie stehen über Paris, aber es beeindruckt Sie nicht. Es beeindruckt Sie deshalb nicht, weil die Stadt zu groß ist für die gebieterische Vulgarität des Alltagsbewusstseins oder weil Sie sie nicht verstehen oder weil Sie das wie eine große Bildtapete sehen. Jedenfalls ist eine riesige Verlegenheit vor der Aussicht. Aus dieser Verlegenheit hilft uns einzig ein Freund, der plötzlich sagt: „Wer findet zuerst unser Auto?“ Die Gnade dieses Augenblicks will es, dass wir nach 20 Minuten unser Auto exakt in dem Augenblick finden, als es anfängt sich zu bewegen. Und es ist auch das letzte Mal gewesen, dass wir dieses Auto gesehen haben. Insofern hat mir das touristische Reisen beigebracht, dass man mit Verlusten reist. Ich habe gedacht, die andere Form zu reisen – Sie werden sehen, auf welche Weise sie zurückgreift auf das zuerst genannte Beispiel –, die andere Weise zu reisen wäre die, die man bedient, indem man reist, so wie es mir ein Förster gesagt hat, mit dem ich dann nach meiner Mutter immer gerne in den Wald ging. Der nämlich sagte: „Wenn du wirklich wissen willst, wie der Wald ist, dann musst du dich eine halbe Stunde lang tot stellen. Dann vergisst er dich. Dann ist alles wieder so wie vorher.“ Diese Form der Betrachtung ist eine grundsätzlich andere. Sie ist eine, die versucht, unter die Wahrnehmungsschwelle aller derer zu kommen, die an einem Ort leben und
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die sich durch den verändern lassen, der beobachtet. In dem Augenblick, wo sie aber über längere Zeit an derselben Stelle das immer Gleiche tun, das immer Gleiche essen, am immer gleichen Tisch sitzen, wird irgendwann etwas eintreten, das zumindest die Illusion vermittelt, es sei alles in seinem „An sich“ sichtbar. Das ist eine ganz andere Form zu beobachten. Das ist eine Form, die in der Beobachtung der Stadt etwa durch den Typus vorgearbeitet worden ist, den wir eigentlich erst mit dem beginnenden 20. Jahrhundert, das heißt, auch mit den großen Städten kennen. Das ist der Flaneur. Der Flaneur, also derjenige, der sich nicht mehr anziehen lässt von den Sehenswürdigkeiten (merkwürdiger Ausdruck), sondern der streift, weil er alles in einer bestimmten Form der Gleichordnung seiner Wahrnehmung sieht, dieser Flaneur, der ist bezeichnenderweise auf Fernreisen, sowohl von Flaubert wie auch von Baudelaire zum ersten Mal entwickelt worden. Das war die Kultivierung eines Blicks, der die Architektur auf eine ganz andere Weise wahrnahm, der Städteensemble in ihrem Zusammenspiel auf eine ganz andere Weise wahrnahm, als es bisher der Fall gewesen war. Es war nicht mehr der Blick, der guckte, dass jedes Werk in seiner Einzelheit und Vereinzelung, in seiner Individuation betrachtet werden musste, sondern der eine Gesamtschau versuchte. Diese Gesamtschau, die bezog plötzlich ganz andere Elemente des Wahrnehmungsraumes ein als das allein Sehenswürdige. Nämlich zusätzlich den Dreck, die Verkehrstechnik, die unterschiedlichen Moden, die Verelendung bestimmter Räume, die Slums ebenso wie die noblen Gegenden und so fort. Also in diesem Bereich, könnte man sagen, hat der Flaneur einen Blick geschult, der seine Voraussetzung darin hatte, dass die Städte groß waren. Und diese Städte, diese Form der Stadt, die groß ist und die ein Nebeneinander, ein Durcheinander gewissermaßen provoziert, auch in der Wahrnehmung, die wird plötzlich an ganz unterschiedlichen Stellen in der Literatur Großstadtbilder hervorbringen, die andere Menschen erzeugen, die andere Wahrnehmungsformen erzeugen. In den zwanziger Jahren schreibt der französische Dichter Paul Valéry zum Beispiel den herrlichen aphoristischen Satz: „Auch ein Wolkenkratzer ist schön, aber mit der Geschwindigkeit eines Reisezuges betrachtet.“ Assoziiert war: Wer vor Notre-Dame steht und mit der größten Geschwindigkeit an der Fassade vorbeistreift, der wird von dieser Fassade nichts begriffen haben. Wer aber vor einem Wolkenkratzer steht, der wie ein Piktogramm verstanden werden will, und darüber grübelt, und sich versenkt in die Fassade, ist ein anderweitig zu Berücksichtigender. Das heißt, es gibt einen Zusammenhang zwischen der Bewegungsgeschwindigkeit, die möglich ist, und zwischen der Qualität einer Betrachtung. Und die wiederum spiegelt sich auch dann in der Erfahrung wider.
Bezeichnenderweise ist einer der ersten Tagebuchschreiber der Weltliteratur ein Privatmann, ein Brite namens Samuel Pepys, der zehn Jahre lang Tagebücher geschrieben hat und der sich im London des 17. Jahrhunderts herumgetrieben hat. Über zehn Jahre lang! Dann hatte er Angst um sein Augenlicht und hat das Tagebuchschreiben eingestellt. Pepys beobachtete seine Stadt. Und das Erste was er tut – die Stadt hatte damals ungefähr 150.000 bis 160.000 Einwohner –, das Erste, was er tut, ist, dass er ihre Angebote sondiert. Dass er die Prostitution ebenso wie das Flottenministerium, einen Boxkampf ebenso wie ein Aquarium sich anguckt. Das heißt, er sieht die Stadt wie eine Menükarte. Aber er erkennt ihr Zusammenleben als ein Zusammenleben von Individuen in Wohnmaschinen nicht. Etwas dergleichen wäre ihm fremd gewesen. Er erkennt nicht, dass das Ganze in dem Falle mehr ist als die Summe der Teile. Er bleibt bei der Summe der Teile. Und er wird die Stadt auf diese Weise gewissermaßen lesen können. Ich erwähne Samuel Pepys nur deshalb, weil er der Erste war, der das privat aufschrieb, der also nicht dachte, dass er damit auf die Nachwelt käme, sondern der in Geheimschrift das aufschrieb für sich und sein etwas fragwürdiges Liebesleben vor allen Dingen damit dekuvrierte, auf eine Weise, die nicht nur seiner Ehefrau peinlich gewesen wäre. Wenn wir ins 19. Jahrhundert gehen, dann kann man sagen, da entstehen eigentlich bereits die Mega-Citys. Da entsteht zugleich der realistische Roman. Victor Hugo mit dem Glöckner von NotreDame. Zola, mit seinem riesigen Werk über Rougon-Macquart. Oder Balzac, der überhaupt nicht denkbar ist ohne die großen Städte. Das sind alles Autoren, die anfangen sich für Architektur zu interessieren, für Straßenverläufe, für die Organisation von Städten, für das Zerschlagen etwa der revolutionären Wege der französischen Revolution, indem die ganze Architektur von Paris letztlich darauf gedacht war, den Widerstand der Revolution in den Arbeitervierteln zu zerschlagen, indem man Avenuen hindurchschlug und damit die Zufahrtswege für die Polizei und für das Militär gewährleistete. Während in London sich immer noch die vielen zirkularen Strukturen finden, die sich um die einzelnen Viertel der Stadtteile Londons verlaufen. Sie finden bis auf „The Mall“ keine einzige richtige Repräsentationsstraße in London. Es ist ein vollkommen anderes soziales Gefüge in Paris als in London. Und wenn man das sieht, also wie eine bestimmte Form von Realismus im Zusammenhang damit entsteht, dass große Städte gebaut werden, dann kann man sagen: Das betrifft noch sehr viel mehr. Das betrifft zum Beispiel auch die Tatsache, dass sich die Wahrnehmung des Schönen und Hässlichen komplett verändert. Das Hässliche dringt in die Großstädte auf breiten Wegen ein. Aber ebenso überrepräsentiert, und zwar willentlich überrepräsentiert, ist in den heutigen Zeiten das Schöne. Man kann sagen, dass ein Mensch angeblich ungefähr 22.000 Mal am Tag von einem Impuls des Schönen getroffen wird. Das hängt im Wesentlichen mit der Werbewelt zusammen. Ein
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Wenn Sie heute über die Ringstraße gehen, können Sie das immer noch sehen. Das heißt, es wurde Mensch im Mittelalter hat in seinem Leben manchmal drei schöne Frauengesichter gesehen. Wir nicht mehr die Plausibilität eines Gebäudes, in dem, was diese Funktion des Gebäudes sein sollte, können uns gar nicht vorstellen, welche Aura der Vereinzelung um das Schöne, die Erscheinung nach außen übertragen oder sichtbar gemacht, weshalb Adolf Los von der Verschweinung des des Eleganten, des Wohlgeformten in vergangenen Jahrhunderten sich diesem Wohlgeformten mitLebens durch das Ornament sprach, sondern es wird plötzlich aus einem Katalog möglicher Formen geteilt hat, im Kontrast zu dem, was wir heute an Überproduktion von Schönheit eigentlich permaeine Fassade so gestaltet, dass sie eigentlich eklektisch ist. Etwas, was 100 Jahre später im historisnent wahrnehmen und dadurch auch nivellierend wahrnehmen. Und Geschwindigkeiten. Der Jazz, tischen Zeitalter wiederkehren wird. Wenn wir den Großstadtroman, wenn wir die Betrachtung von das Zerfetzte, die Mitleidlosigkeit. Alles, was Moderne schließlich ausmacht, nämlich zu sagen, die Gesellschaftsbildern in großen Städten in der Konfrontation des Einzelnen mit Infrastruktur oder mit Großstadt erzeugt Massenschicksale. Man erkennt plötzlich, dass es etwas wie Massenschicksale Architektur sehen, könnten wir feststellen, wie sehr sie bewusstgab. Es gibt eine schöne Stelle, noch im 19. Jahrhundert geseinsbildend ist und wie sehr Literatur als eine Form, die Archäschrieben von Conan Doyle, dem Verfasser von Sherlock Holmes. ologie dieses Bewusstseins zu betreiben, es auf den Begriff zu Da sitzt Sherlock Holmes im Zug und neben ihm Dr. Watson, „Im Großstadtroman (...) sehen wir, wie bringen, auch das erfahrbar zu machen, immer wieder die eigeeinfältig wie immer. Und Dr. Watson sagt, als er eine Hügellinie sehr die Konfrontation des Einzelnen nen Erfahrungen auf Raumerfahrungen, auf architektonische sieht und ein Dorf: „Schaut doch nur, Sherlock Holmes, wie herrmit Infrastruktur und Architektur Erfahrung beziehen muss. lich dieses Dorf, welche Idylle, wenn ich an die Bauern denke.“ bewusstseinsbildend ist und wie sehr Dann sagt Sherlock Holmes: „Ihr irrt euch wie immer, Watson, Literatur (...) sich auf architektonische Ich kann gleichzeitig sagen, dass eine meiner prägendsten dort ist die größte Verderbtheit. Dort in den Dörfern ist die größte Erfahrung beziehen muss.“ Stadterfahrungen an einem Punkt begonnen hat, an dem ich Heimlichkeit. Niemand verrät etwas nach außen. Diese Dörfer ebenfalls gleichermaßen von der Schubkraft und dem Sog sind alle Monaden des sittlichen Verfalls. Alle nehmen dort am erreicht worden bin. Ich war, als ich 16 Jahre alt war, mit einer Leben des anderen teil. Alle schützen einander, untereinander, jungen Frau zusammen, deren Bruder nach einem einjährigen Aufenthalt in Afghanistan von dort während in der Großstadt die Wände hellhörig sind und alle hören können, was das Laster des zurückkam. Er hatte verfilzte Haare und er hatte kleine Spiegel, die in seine rot-samtene Weste einNachbarn ist und sich alle Geschichten durcheinander verflüchtigen und durchsichtig werden, wird gelegt waren. Er ging durch die sehr glanzlose Architektur des Wohnblocks, in dem seine Eltern das im Dorf niemals der Fall sein.“ lebten, und sagte immer nur: „So lebt ihr also. So lebt ihr also. So lebt ihr also.“ Ich wollte angesichts der Tristesse, die aus diesen Worten sprach, eingelassen werden in den Fahrtwind, der aus Das heißt auch, Moral, auch das, was die Integrität des Individuums, was die Heimlichkeit angeht, diesen Worten sprach, und ich wollte irgendwohin, wo man eine derartige Tristesse empfinden was die Scheidung zwischen dem privaten Raum und dem öffentlichen Raum angeht, sind diese lernt gegenüber der Architektur des Zuhauses. Dieses Zuhause war für ihn Afghanistan gewesen. Städte, die plötzlich im 19. Jahrhundert entstehen, die ins 20. Jahrhundert hineinwachsen, viel, viel Und ich habe mir in der nächsten Zeit dann Afghanistan zunächst mal durch die Einnahme von mehr als bloß Städte, sondern sie sind Kontinente des Bewusstseins, des sich neu Orientierens, grünem und auch schwarzem Afghan halluzinatorisch beigebracht. Auch da ist mir die Stadt der Mischung des Dramatischen mit dem Komischen, des Drastischen mit dem Sanften und Sentierschienen oder das Land erschienen, weil turkmenische Reiter mit gefärbten Mähnen, die über mentalen. Es entsteht eine komplett andere Gemengelage. Und parallel dazu, das werden Sie vieldie Steppe kamen … – und so weiter. Und es hat lange gedauert, bis zum Jahre 2005, bis ich leicht kennen, gibt es einen Text von Hermann Broch, in dem er die Ringstraßen-Architektur Afghanistan wirklich bereisen konnte. beschreibt, Anfang des 20. Jahrhunderts. Wo er im Grunde genommen unsere historistische Zeit beschreibt, in der er sagt: „Die Ringstraßen-Architektur ist nach Musterbüchern gebaut worden.“ Ich bin nach Kabul gekommen und habe schon im Überfliegen dieser Stadt gesehen, dass es dort Das ist die erste große Architektur des Landes, in der die Architekten von den Auftraggebern Bücher etwas zu sehen gibt, von dem ich nicht mal wusste, dass es existiert. Ich wusste nicht, dass Landvorgelegt bekamen und die Auftraggeber sagten: „Ich hätte gerne im ersten Geschoss ein Gewölbe, schaften existieren, in denen Schneeflächen unmittelbar an Wüsten angrenzen. Und zwar fast so, das soll so aussehen, und eine Fensterordnung, die muss so aussehen, und die soll so aussehen als seien sie mit dem Lineal geschnitten. Schon aus dem Flugzeug kann man ablesen, dass Afghaund die oben soll so aussehen.“ Und dann wurde nach Musterbüchern entsprechend gearbeitet. nistan zu etwa 85 Prozent aus nicht kultivierbarem Land besteht. Das heißt, einem Land, das
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monochrom ist und dass sich entweder zwischen dem Anthrazit und dem Mausgrau und den Flanellgrau und dem Schwarz der Felsen entwickelt oder auf der anderen Seite zwischen dem Gelb, dem Sandfarben und dem Rosa der Steppe. Nur dort, wo Sie das Schwemmland der Ströme sehen, die irgendwo so weiträumig über die Ufer getreten sind, dass Plantagen entstehen können, nur dort hat man das Gefühl, dass ganze Farbräusche entstehen, weil dort plötzlich Vegetation zu finden ist. Sie kommen in diese Stadt Kabul und Sie stellen fest, dies ist eine Stadt, die für 50.000 Menschen gebaut ist und in ihr leben heute 5 Millionen Menschen. Sie sieht aus dem Flugzeug aus wie eine in den Dreck gekratzte Wunde. Wie etwas, das verschorft ist, von dem Sie nicht feststellen können, aus der Vogelperspektive, dass dort irgendwo Leben existierte. Und je näher Sie ihr kommen, umso mehr müssen Sie feststellen, wie wenig das auch der Fall ist. Sie passieren die Kriegsopferklinik, in der die Menschen gar nicht mehr aufgenommen werden können, weil so viele mit blutenden Stümpfen auf dem Trottoir liegen und warten, dass sie irgendwann operiert werden. Oder Sie sehen, wie die Handyanbieter zum ersten Mal ihre Schneisen geschlagen haben in diese Stadt; und überall, wo überhaupt fotografische Opulenz entstanden ist, da ist Sie rund um den Konsum entstanden, einen Konsum, den die Afghanen sich nicht leisten können. Sie kommen in ein Viertel,
von dem Sie sich wundern, dass es plötzlich die sehr filigrane und klare Architektur Afghanistans gar nicht mehr hat, sondern plötzlich eine Form von orientalischem Barock exponiert. Und man sagt Ihnen: „Das ist wohl War Lord City.“ Das ist jener Stadtteil, den die Drogenbarone und die Kriegsbarone und Söldnerheerführer sich gebaut haben. Und die haben alle sich nicht an der afghanischen Architektur orientiert, sondern an der pakistanischen. Also gibt es eine Form von ästhetischem Imperialismus, der plötzlich in dieses Land schwappt und Sie mit vollkommen fremden Formen überschüttet. Sie kommen in diese Stadt und Sie stellen fest, dass Sie keine nennenswerte Infrastruktur hat und keine Kanalisation. Und Strom nur aus Generatoren, die 30 Prozent der Stadt versorgen und die unablässig ausfallen. Die Tristesse in dieser Stadt ist so groß, weil sie auch Erfahrung ist, und zwar die Erfahrung einer Zeit, die kaum mehr erkennbar ist. Die Zeit eines liberalen Islam, in dem dort die Sikhs mit langen Haaren in den Fenstern saßen und sich die Haare kämmten und die Mädchen im Bikini Basketball spielen durften und auf der anderen Seite die Koranschüler mantraartig ihre Suren rekapitulierten. Das alles lebte nebeneinander und durcheinander. Und ein paar bekiffte deutsche Hippies, einige von ihnen werden im Saal sein, sind da auch hingekommen und haben dann festgestellt, wie unglaublich philosophisch liberal und offen dieses Land gewesen ist. Und man kann nur weinen über das, was daraus geworden ist. Und man kann nur weinen darüber, dass man feststellt, dass eigentlich die größte Zukunft, die man Afghanistan wünschen könnte, die Vergangenheit wäre. Ich bin dann irgendwann in der Beobachtung dieser Stadt auf eine Art Rasenplatz gekommen. Da war ein kleiner Junge und die Leute spielten Fußball und der Junge sagte zu mir: „Ich bringe dich an den schönsten Ort dieser Stadt.“ Und er nahm meine Hand und ich muss sagen, ich bin einigermaßen empfindlich gegenüber dem Kinderkitsch von Elendsbildern, mit denen unsere Wohltätigkeit stimuliert werden soll, aber die Kinder Afghanistans mit igelartig hochstehenden Frisuren und staubgefirnisten Wangen und mit Tränensäcken, wie man sie nur von Greisen kennt, die haben etwas unglaublich Vitales, weil sie einen permanent mit dem eigenen Lebenswillen konfrontieren und einen anschreien: „Hello Mister, what’s your matter?“ Und man sagt sich: „No matter?“ Und dann: „So what are you doing here?“ – „Just visiting.“ Dann dreht er sich um und sagt zu seinem Freund: „Look, first tourist.“ Und er träumt davon, es könne einen solchen geben. Er kann mir erzählen von der Zeit – ich komme sofort auf den schönsten Ort zurück –, in der die Liebespaare auf den flachen Dächern der Stadt gelegen haben und Musik gespielt haben, neben dem Obst, das dort getrocknet wurde. Und dass dort noch die Drachen in die Luft gestiegen sind und dass die Drachen am Himmel gekämpft haben, die Schnüre mit Leim eingekleistert wurden und der Leim durch Scherben gezogen wurde. Und dann hat man versucht, diese Schnüre am Himmel
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abzuschneiden und wechselseitig so zu kämpfen, dass nur noch ein Drache übrig blieb. Wenn Sie heute noch einen einzelnen Drachen im Himmel zappeln sehen – und zur Talibanzeit war auch das verboten –, dann können Ihnen die Tränen kommen angesichts der Tatsache, dass dies ein ornamentaler Akt ist. Ein Akt, der keine Bedeutung hat, kein Ziel, keinen Zweck, der keinem ökonomischen Gesetz unterliegt. Der einfach ein ästhetischer Akt ist und der in seiner Vereinzelung deshalb in Afghanistan einen ganz anderen Raum, eine ganz andere Bedeutung hat als anderswo. Also dieser Junge sagt: „Ich bringe dich an den schönsten Ort dieser Stadt.“ Er führt mich durch einen Torbogen in ein Fußballstadion. Und ich kriege einen Schrecken vor diesem Ort, denn ich hatte ein merkwürdiges Déjà-vu, indem ich mich daran erinnerte, was dieses Fußballstadion mal beherbergt hatte. Und ich erinnerte mich daran, dass in einem Dokumentarfilm dort gezeigt wurde, wie die Taliban in ihrer Zeit in den Fußballhalbzeitpausen ihre Gegner an den Torlatten aufgeknüpft hatten. Es ist auch ein Fußballtrainer da, der die Frauen-Fußballnationalmannschaft trainiert. Er führt mich an einen Fleck mitten auf diesem Rasen, der dunkel ist, und er sagt: „Wissen Sie, hier genau haben die Taliban ihre Gegner enthauptet. Seit einem Jahr versuchen wir, hier Gras anzubauen. Aber es wächst nicht an. Es wächst nicht an.“ Und die Frau des Mannes sagt mir: „Er ist nach Hause gekommen, angesichts solcher Bilder, und hat sich vor die Wand gesetzt. Da hat er zwei Jahre gesessen.“ Wir würden so was Trauma nennen. Die Afghanen haben nicht mal einen Begriff für das, was Trauma ist. Für den Jungen ist das der schönste Ort. Was wollen Sie sagen? Wollen Sie sagen, es ist zutiefst erschütternd, dass der einzige Ort, den der Junge einen glücklichen Ort nennen kann, ein Fußballstadion ist? Nein. Darüber können Sie sich freuen. Aber mit dieser Geschichte, mit allem, was dieser Ort ausatmet, mit den riesigen Transparenten der Heerführer und der Politiker, die oben auf den Tribünen heute zu sehen sind, mit einem kleinen Konferenzzimmer, in dem ich mit drei Mädchen aus der afghanischen Fußball-Frauennationalmannschaft spreche – und es sitzt tatsächlich ein gerahmtes Bild von Sepp Blatter in der Vitrine. Das haben die nicht verdient. Und so geht in dieser Stadt die Bewegung permanent vom Dur ins Moll. Vom Schrecklichen ins Komische, ins Heitere, ins Überbordende. Und das Bedeutende an dieser Situation ist, dass man einzigartig dort lernen kann, was es heißt, dass Städter, in diesem Falle, so etwas finden müssen wie eine Kompetenz für das, was Frieden ist. Das heißt auch eine Beantwortung der Frage, was macht man eigentlich mit Frieden? Was macht man mit dieser ganzen ursprünglichen Kulturleistung, die darin besteht, dass man immaterielle Kultur entwickeln muss? Die heißt Kultur, die unser Trösten, Ahnen, Glauben, Meinen, Wähnen, Albernsein, Begehren differenziert. Die letztlich Einsamkeit überbrückt. Wie macht man das? Was sagt man denen, die sagen: „Wir fangen jetzt lang-
sam an, aus der Faust eine flache Hand zu machen, aber wir wissen noch nicht, was wir mit dieser Hand anfangen sollen.“ Und das schlägt sich überall nieder. Das schlägt sich in den Baustilen ebenso nieder wie in den Festen, in den Umgangsformen untereinander, in den Formen, in denen Radio gemacht wird. Ich erinnere mich an einen Tag, an dem ging ich in ein Restaurant. Und ein Restaurant in Kabul hieß in diesem Augenblick, nur ein paar Ytong-Blöcke aufgeschichtet und darüber etwas Wellblech. Es gab die vier notorischen Resopal-Tische. Es gab zwei Säulen, auf denen ich fotokopierte Fotos eines Mannes im Staubmantel sah. Neben ihm, diesem Mann im Staubmantel, galoppierte durch ein Flusstal Massud. Massud ist der Führer der Nordallianz gewesen, der zwei Tage vor dem 11. September 2001 einem Attentat zum Opfer gefallen ist. Ich interessierte mich sehr für den Massud. Ich setze mich an den Tisch, als der Mann, der im Staubmantel auf dem Foto zu sehen ist, sichtbar wird, weil er aus dem Hintergrund des Lokals kommt. Er hat immer noch denselben Staubmantel und er ist offenbar der Besitzer dieses Lokals. Er balanciert auf einem Dreizack ein Stück Zellmasse, von dem ich nicht sagen würde, dass wir es als Fleisch gleich identifizieren würden, weil wir bei der Oberfläche gar nicht wissen, ist es Velours oder Schimmel? Und es tropft auch auf den Boden, in breiten Lachen. Er donnert es auf einen Blechteller unmittelbar vor mir, und ich weiß, die afghanische Gastfreundschaft ist eine Offensive. Es wird mir nichts anderes übrig bleiben als, das irgendwie herunterzuwürgen, was er mir jetzt vorsetzt und was ich mit ihm zu teilen habe. Ich schaue dieses Fleisch an und ich bitte Gott Vater, dass er Teile meines Gaumens anästhesiert, damit ich nicht auch noch schmecken muss, was ich gleich essen werde. Und ich frage mich auch, welche Inkubationszeit der Verzehr eines solchen Fleisches hat und ob ich es noch bis nach Sylt schaffe, wenn die Deutsche Bahn es schafft. Er säbelt etwas davon runter und wir fangen an, über afghanische Politik zu reden. Er sagt mitten im Gespräch, nachdem er mir einiges von Massud erzählt hat, der tatsächlich sein Freund gewesen ist: „Wussten Sie eigentlich, dass die Deutschen in den dreißiger Jahren in Afghanistan einen Staudamm gebaut haben?“ Ich sage: „Nein.“ Er sagt: „Ja, wussten Sie denn nicht, dass dieser Staudamm 20.000 Menschen Strom geben kann und 3.000 Menschen Arbeit?“ Ich sage: „Auf dem Wege der analytischen Deduktion ergibt sich aus meiner ersten Antwort gewissermaßen mit immanenter Plausibilität, dass ich auch auf diese zweite Frage nur antworten kann: nein.“ Er sagt: „Ja, wussten Sie denn nicht, dass er kaputt ist?“ Ich sage: „Ich verweise in diesem Zusammenhang auf meine Antworten eins und zwei, aus denen sich ergibt, dass ich zum dritten Mal sagen muss, was zwar schon beim ersten Mal blamabel war, aber was nur noch wiederholt werden kann: nein.“ Daraufhin sagt er: „Ja, dann machen Sie ihn doch heil.“
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chen von Leuten, die studieren das Verkehrsschild. In der Regel ist die Botschaft des VerkehrsNun bin ich normalerweise mit dem Reparieren von Staudämmen, speziell in kriegserschütterten schilds „Achtung. Fußgänger überqueren die Fahrbahn.“ Und dann sieht man darauf ein kleines Ländern, überfordert. Aber ich sage „normalerweise“, denn an dem selben Nachmittag hatte ich Mädchen mit fliegenden Zöpfen. Ich habe in ganz Afghanistan kein einziges Mädchen mit fliegeneinen – und ich will nicht pompös sein, indem ich das sage –, aber am selben Nachmittag hatte den Zöpfen gesehen. Was soll der Afghane denken? Gretchen überqueren die Fahrbahn? Dafür soll ich einen Termin beim deutschen Botschafter in Kabul. Ich sage extra, ich will nicht pompös sein, ich bremsen? Nein. Lassen Sie mich von einem allerletzten schlimmen Bild aus dieser Stadt erzähindem ich das sage, denn Sie alle hätten einen Termin beim deutschen Botschafter in Kabul, wenn len, nur um klarzumachen, wie ihre Geschichte wirklich ist und welche Erfahrungen sich in diesen Sie es bis Kabul schaffen. Er freut sich, wenn Sie kommen. Er hat nicht wahnsinnig viel zu tun. Mauern kondensiert haben. Ich habe nachts ein Interview mit einem der Talibanführer gemacht, Er interessiert sich für die Architektenkammer NRW und freut sich, mal wieder Deutsch zu reden, der in Ägypten im Exil gewesen war. Und er erzählt mir, wie er zurückkommt, in seine Stadt Kabul. und speziell der, mit dem ich zu tun hatte, war ein mit stürmischem Kraftaufwand arbeitender, Er ist zufällig Zeuge, als auf einem Platz eine Rakete einschlägt. Er ist auch Zeuge, wie die Kinder sehr sympathischer und begeisterungsfähiger, auch sehr kenntnisreicher Herr, der eine, ich glaube die Ersten sind, die sehen, wie diese 30 Toten, die dort zerfetzt liegen, Margaret Thatcher nachempfundene, Föhnfrisur, zur Schau trug, in der in Leichensäcke verbracht werden. Und zwar so, dass die Körper in die Frisur von Gerhard Schröder eine etwas malvenfarbige Tönung hin„Die Stadt, die mit Kabul eine den Säcken jeweils intakt sind, die richtigen Gliedmaßen zu den richtiterlassen hatte. Jedenfalls war es so, dass immer, wenn man das furchtbare Form von Solidargen Rumpfteilen. Er steht da und weint, und er tut es auch, während Gespräch gerade nicht interessant fand, man sich die Frisur anguckte. er mir die Geschichte erzählt. Es kommt ein kleiner Junge zu ihm und gemeinschaft hat, ist die Stadt sagt: „Onkel, warum weinst du? Ach so, das ist dein erstes Mal. Ja, Er saß noch dazu in diesem vollkommen überhitzten Zimmer, wo man New York.“ das ist immer schlimm, das erste Mal.“ Der Taliban schluchzt über innerlich schon Kontur verliert, wenn man noch reingeht, und bot mir diese Formulierung des ersten Mals und sagt: „Ist das denn nicht die einen dieser weichen Sessel an, von denen man denkt, die wollen dich allerschlimmste Formulierung für das, was man das erste Mal nennt?“ Und so wenig es irgendetwas von unten anfassen. Jedenfalls setze ich mich, ich setze mich dort hin und rede mit ihm über zu beschönigen gibt an dem, was ich bei den Taliban erlebt habe und was ich als die Folgen ihres afghanische Politik. Und nach einiger Zeit sage ich zu ihm: „Exzellenz, man sagt, Exzellenz, ich Regimes gesehen habe, so wenig gibt es daran zu beschönigen, dass er weinte darüber. würde mein Gesicht verlieren, wenn ich Sie jetzt nicht fragen würde: Wussten Sie eigentlich, das die Deutschen in den dreißiger Jahren in Afghanistan einen Staudamm gebaut haben?“ Und er Die Stadt, die mit Kabul eine furchtbare Form von Solidargemeinschaft hat, ist die Stadt New York, sagt: „Nein.“ Und ich sage: „Ja, wussten Sie denn nicht, dass der 20.000 Menschen Strom geben über die ich nicht viel sagen will, weil Sie sie alle gut genug kennen und weil Sie ein sentimentaler kann und 3.000 Menschen Arbeit?“ Er sagt: „Auf dem Wege der analytischen Deduktion …“ Ich Raum ohnegleichen ist. Aber man könnte sagen, dass sie im Vergleich zu Kabul eine geräuschlose sage: „Ja, das kenne ich. Dann machen Sie ihn doch heil.“ Und daraufhin ruft er einen dieser Stadt ist. Sie ist es deshalb, weil sich so viel von dem, was ihre innere Organisation angeht, auf Attachés rein, von denen man nie weiß, ist es der, der gerade rausgegangen ist, oder war der nicht Befehl und Gehorsam bezieht. Auf Kaufbefehle zum Beispiel, weil der kommerzielle Raum sich so schon mal drin? Jedenfalls sehen die immer gleich aus, haben immer ein Clipboard in der Hand weitgehend ausdehnt, dass das Verschwenderische der Stadt, also das Opulente, das Erzähleriund sind immer diensteifrig. Und der Botschafter sagt: „Schreiben Sie auf: Staudamm. Heil sche, das Überflüssige auch, was in Kabul inzwischen so raumgreifend zu sehen ist, dass all diemachen.“ Und ich gehe rüber zu dem Mann im Staubmantel und sage „Staudamm ist in Arbeit“ ses, was immateriell ist, was das Geschichtenerzählen, das Trösten und Trauern angeht, in dieser und lese buchstäblich zwei Jahre später in einer deutschen Zeitung, die Deutschen hätten in Stadt New York so weitestgehend verschwunden ist oder sich in Grenzbereiche und Zirkel zurückAfghanistan einen Staudamm repariert. So viel zu meinem Beitrag zur Architektur Afghanistans. gezogen hat. Sonst erkennt man die Arbeit der Deutschen daran, dass sie an den Straßen eine der kostbarsten Gleichzeitig ist es in Teilen, wenn man sie so sehen will, auch eine kindliche Stadt. Ich erinnere Hinterlassenschaften ihrer Kultur zurücklassen, nämlich das Verkehrsschild. Wo immer Sie ein mich, dass ich auf den Abfalleimern zuletzt den Hinweis fand, nicht wie bei uns, „Nicht rumsauen“ deutsches Projekt erwarten können, können Sie sicher sein, davor ist ein deutsches Verkehrsschild. oder „Keinen Abfall wegwerfen“, sondern da stand “Littering is selfish and filthy. So don’t do it.“ Der Afghane hat in der Regel noch nie ein Verkehrsschild gesehen. Hat auch jetzt Zeit, sich das zu Und ich glaube, das ist die Sprache, in der man mit Kindern redet. „Du machst das nicht.“ Und betrachten, glaubt, das sei ein Kunstgegenstand. Und dann sammeln sich manchmal kleine Grüpp-
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Mythos Baukunst? – Zwischen kultureller Verpflichtung und Markt A r ch i t e k t u r u n d L i t e r a t u r
insofern hat die Stadt, was die öffentliche Kommunikation angeht, eine ganz merkwürdige Form von Simplizität bekommen, die der afghanischen Kommunikation merkwürdig entgegengesetzt ist. Und ich muss sagen, dass ich immer wieder in Städten am stärksten angezogen worden bin, nicht alleine von den Momenten, die wie glanzlose Standbilder irgendwo zurückblieben, sondern die mehr über das Immaterielle einer Stadt verraten haben als über das Materielle. Wenn Sie eine andere mythische Stadt nehmen, die Stadt Timbuktu, die so was ist wie das Buxtehude Afrikas, und die irgendwo da liegt im Norden Malis und die der Kreuzungspunkt der Straßen der Tuaregs ist, wo die Tuaregs ihre Karawanen losschicken, um in die Oasen zukommen. Dann ist das ein mythischer Ort. Viele von denen, die seit dem 17. Jahrhundert nach Timbuktu reisen wollten, sind in den Dünen oder durch Infektionskrankheiten oder in den Bandenkriegen oder in Überfällen ums Leben gekommen. Es ist eine Stadt, die unser aller Aufmerksamkeit schon deshalb verdient, weil es die erste Universitätsstadt dieses Kontinents gewesen ist. Und es ist faszinierend, sich zu überlegen, dass ausgerechnet da, wo man sich in einer Todeszone befindet, Weltwissen generiert wird, weil arabische, europäische, afrikanische Gelehrte dort hingehen, um so etwas wie Wissenschaft zu begründen und in die Welt zu bringen, damit es dann von Silvana Koch-Mehrin studiert werden kann. Diese Stadt Timbuktu, die wie eine Chimäre irgendwo am Horizont ist, sieht wunderwunderschön aus und besteht ausschließlich aus Sand, der in der Wüste ganz offensichtlich so stark tätig ist, dass man in jedem Augenblick denkt, die Wüste holt sich diese Stadt zurück, denn es ist jederzeit ein Wind in dieser Stadt und der Wind schmirgelt die Kanten ab. Und was kantig war, ist plötzlich bauchig, und was gesteppt war, hat Kaneluren. Sie sehen diese alten Moscheen und Sie haben plötzlich das Gefühl, dass auch sie vom Wind davongetragen werden. Es ist das Einzige, was diese Stadt ganz sicher überleben wird. Auch da ist das Farbspektrum so schmal, dass Sie das Gefühl haben, einer Farbexplosion beizuwohnen, wenn Sie die indigofarbenen Gewänder der Tuareg sehen, die durch diese Gassen kommen. Das Einzige, was diese Stadt ganz sicher für alle Zeit überleben wird, während der Wind an ihr arbeitet, während gehungert und gestorben wird in Timbuktu, weil die Wüste auch in ihren Zonen sich immer weiter ausdehnt, das ist eine bronzene Tafel, auf der Sie die Worte finden „Dieses Haus besuchte im Jahre 1956 Heinrich Lübke“. Und dann sagen Sie: „Auch das hat Timbuktu nicht verdient.“ Dennoch ist es nicht dieses Bild, das ich meinte, wenn ich sagte, in einem Standbild anzukommen. Ich gehe an den Rand der Wüste, an den Stadtrand von Timbuktu, und da sitzt ein Targi, und der kocht Tee im Sand. Und ich frage ihn: „Was machen Sie?“ Er sagt: „Ich breche auf.“ Ich sage: „Wohin brechen Sie auf?“ Er sagt: „In meine Oase.“ Ich sage: „Wie lange werden
Sie unterwegs sein?“ Er sagt: „Drei Wochen.“ Ich sage: „Wen finden Sie vor, in Ihrer Oase?“ Er sagt: „Meine vier Frauen.“ Ich sage: „Und was machen Sie abends?“ Und er sagt: „Wir erzählen uns Geschichten.“ Und es erscheint vor meinem inneren Auge das Horrorvakuum im Gesicht eines deutschen Ehemannes, der seiner Ehefrau jeden Tag Geschichten erzählen soll und der am zweiten Abend keine Geschichte mehr hat und am vierten keine Ehefrau mehr. Ich staune diesen Mann an, weil er etwas kann, was ich bemerkenswert finde, eben in jenem Sinne, den ich jetzt zweimal angespielt habe, nämlich in diesem Versuch, Einsamkeit zu überbrücken. Etwas aus Kultur zu machen, was nicht primär damit zusammenhängt, was ein Buch, eine Operninszenierung, eine CD, eine DVD leisten können, sondern dass ihre reale Leistung in dem besteht, was die Rezeption dieser Dinge mit uns anfängt. Das heißt, in welcher Weise sie die Verhältnisse zwischen uns differenziert. Selbst diese Tagung hier wird ihren wirklichen, tiefsten Kern darin haben, eine Solidargemeinschaft derer zu bilden, die zugegen gewesen sind und die irgendetwas atmosphärisch aufgefasst haben. Die irgendwo an irgendeiner Stelle dort Millimetereinheiten mit nach Hause genommen haben, wo vorher Zentimetereinheiten waren. Und die sich auf eine verschwiegene, subkutane Weise anders verständigen können, als sie sich vorher verständigt haben und die an bestimmten Stellen auf eine andere Weise beantwortet sind, als sie vorher beantwortet wurden. Das ist das, was dieser Tuareg kann. Das ist etwas, was ich an ihm grandios finde. Und wenn ich daran denke, wie der Blick auf uns aus diesen Kulturräumen fällt, dann denke ich nicht nur daran, welche Matrize kommerzieller Kulturen, Unterhaltungskulturen, pornographischer Kulturen wir in diesen Ländern zurückgelassen haben. In dem einzigen Internetcafé in Timbuktu konnte man im elektronischen Briefkasten ausschließlich Pornographie finden. Und es ist ein Drama, sich vorzustellen, welche Form von Gleichzeitigkeit zwischen Animismus, Elend und dem letzten Wohlstandsschrott, den wir in die Welt treiben, sich dort einstellt. Und welches Bewusstsein man haben muss, den zu synchronisieren. Nein, dieses Einzelbild von da ist noch ein anderes. Es ist dieser kleine Junge am Rande einer Gruppe. Wo immer Sie in diesen Ländern auf die Straße treten, werden Sie umschwärmt werden von einem Rudel von Kindern. Unsere Art, diese Kinder zu verstehen, ist, dass wir sagen, sie wollen Geld und Süßigkeiten. Das wollen sie auch. Aber es ist wahrscheinlicher, dass sie noch etwas Profunderes wollen: Sie wollen irgendwie in die Fahrtgeschwindigkeit eingelassen werden, mit der wir anreisen. Sie möchten erfasst werden von der Fluchtgeschwindigkeit, mit der wir wieder aufbrechen. Sie möchten sich mit irgendetwas synchronisieren. Sie fragen sich: Warum diese Jacke? Warum diese Schnalle? Warum diese Geste? Warum dieser Haarschnitt? Warum trägt er die Brille
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von Nana Mouskouri auf? So etwas. So was fragen die sich. Und in diesem Versuch, in diesem Versuch, ihre Lebensenergie auf einen neuesten Stand zu bringen, in diesem Versuch umschwärmen sie einen. Ich hatte in Timbuktu Glück, weil die Gruppe, die mich umschwärmte, immer flankiert war von einem sehr, sehr schönen, vielleicht achtjährigen Tuareg-Jungen, der sehr hübsch war und dessen Schönheit dadurch noch gesteigert wurde, dass er auf einem Auge so stark schielte, dass man immer dachte, er kann den Blick von sich selbst nicht wenden. Und der Junge war immer flankiert von zwei kleinen Assistenzfiguren, wie in einem Flügelaltar. Die waren immer ein bisschen zurückgesetzt, aber sie waren immer da, wo er war. Und das Besondere an diesem Jungen war, dass er weder rhetorisch noch physisch jemals den Kontakt zu mir suchte, sondern mir mimisch klar machte, wir beide hätten etwas gemeinsam. Wir beide litten solidarisch unter Kindern. Kinder seien für uns beide sehr anstrengend und behelligend. Er trug das mit einer etwas dünkelhaften Attitüde vor, die aber sehr schön war, weil Sie kindlich so unausgereift war und weil sie halt seine Anstrengung war, Kommunikation herzustellen. Nach einer Woche war ich ein Knochen, der für die anderen Kinder weiträumig abgenagt war. Aber der kleine Junge war immer noch da, als ich auf die kleine Propellermaschine zugehe, mit der ich wieder abreisen werde, weil meine große Maschine inzwischen havariert war. Und was jetzt kommt, kann man eigentlich nur in der Zeitdehnung beschreiben – und Sie können kritisieren, was jetzt kommt. Es gibt etwas Kritikwürdiges daran, denn ich gehe mit diesem Jungen auf diese Propellermaschine zu und er hat seine beiden Assistenzfiguren immer noch auf seiner Seite, und sie sind ein wenig zurückgesetzt. Und er ist mir aber räumlich so nahe, wie er vorher nie gewesen war. Und er macht etwas, was in seiner Distanzlosigkeit geradezu obszön wirken kann, in einem solchen Kulturraum, was aber gleichzeitig durch die Grazie der Geste so unschuldig und zauberhaft war, dass ich mich ihr auch nicht entziehen konnte. Er schiebt mir nämlich seine linke Kinderhand in meine Rechte und geht Hand in Hand mit mir auf diese Maschine zu. Ich lasse es eine Weile geschehen, weil es mir so schön vorkommt. Ich muss Ihnen gestehen, das ist das Kritikwürdige, ich hatte mich entschlossen, das Leben dieses Jungen mit einer möglichst groß gewählten Summe Geldes schlagartig zu verändern. Das heißt, ich wollte nicht, dass der vier warme Mahlzeiten einnehmen kann, sondern ich wollte gerne, dass er zur Schule gehen oder irgendetwas Sinnvolles machen kann. Dazu dachte ich, muss die Summe so groß sein, dass sie das leisten kann. Also nahm ich dieses bereits vorbereitete Geld aus meiner linken Hosentasche und promovierte es in meine Rechte. Ich lege es in die Hand dieses Jungen, und der Junge wahrt eine Schamfrist. Dann schnellen seine Augen runter in diesen Handteller. Er
hat keine Zeit, sich zu bedanken oder irgendein Wort zu sagen. Er hat auch keine Zeit, mich anzugucken, sondern sein Blick erreicht noch meine Brust. Und als er auf meiner Brusthöhe ist, wird dieser Blick erreicht von dem einzigen Impuls, der von dieser Hand ausgeht, und dieser Impuls lautete: Lauf. Und er läuft. Er läuft diese staubige letzte Strecke zum Flugzeug herunter, gefolgt von seinen beiden Assistenzfiguren, denen immer kleine Staubwolken unter den Fußsohlen emporsteigen. Er taucht unter dieser Verkehrsmaschine durch und läuft in die Böschung hinein, läuft auf der gegenüberliegenden Seite aus der Böschung wieder raus. Und er läuft in diese Sahara rein. Ich gehe die Gangway hoch, setze mich ans Fenster, und die Maschine hebt ab. Und ich sehe, und das Bild, das ich bereist habe, das Perpetuum mobile eines kleinen Jungen, der in diese Sahara hineinläuft, wo nichts ist, kein Haus, kein Dorf, keine Behausung, kein soziales Gebilde, nichts. Nur noch angetrieben von der Angst, es könne ihm jemand etwas wegnehmen, was er immer noch in seiner linken Hand hat, oder angezogen von den Versprechen, die damit zusammenhängen, was man damit machen kann. Und um irgendwo und willkürlich aufzuhören, ist es dieses Bild, in dem ich plötzlich sehe, was wäre wenn? Was wäre, wenn er den Blick umdrehen würde und er unsere Konjunktive bereisen würde. Und wenn er die Plausibilität unseres Lebens erkennen würde. Wenn er die Formen der Genießbarkeit dieses Lebens hier und unsere Art, uns zueinander zu verhalten, erkennen könnte. Was würde er als Kulturträger für sich bewahren können? Was würde er bewundernswert und staunenswert finden? In diesem Blick, der aus der allergrößten Fremde und auch aus der Vereinzelung und auch aus der Obdachlosigkeit auf uns fällt, in diesem Blick versuche ich immer noch, uns irgendwie zu erkennen. Und weil ich irgendwo und ohnehin willkürlich Schluss machen muss, denn sonst geht das ewig so weiter, danke ich Ihnen vielmals für Ihre Aufmerksamkeit. Danke sehr.
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Vitae
redakteur der „Bauzeitung“; ab 2002 freier Publizist, Lehraufträge an verschiedenen Hochschulen
das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz.
Helmut Jäger
studierte Elektrotechnik an der Fachhochschule Bielefeld; 1979–1982 Entwicklungsingenieur bei der Volkswagen AG, Wolfsburg; 1982–1988 Gründung des Ingenieurbüros „Oekoplan“ und eines Solarfachbetriebs; seit 1988 Geschäftsführer von Solvis mit Schwerpunkt Vertrieb und Entwicklung; seit 1998 Mitglied Wissenschaftlicher Beirat des Instituts für Solarenergieforschung GmbH, Hameln/Emmerthal; seit 1999 Vizepräsident des Bundesverbandes Erneuerbare Energie e.V.; 2002–2005 stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes Solarindustrie; seit 2006 Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Solarwirtschaft e.V.; seit August 2008 Mitglied im Kuratorium der Deutschen Bundesstiftung Umwelt.
Hartmut Miksch
geboren 1950 in Herges-Hallenberg, Thüringen; Studium der Architektur, Düsseldorf; Abschluss Dipl.-Ing.; seit 1980 Architekturbüro in Düsseldorf; seit 1998 in Partnerschaft mit Dipl.-Ing. Wolfgang Rücker; seit 1980 Bundesvorstandsmitglied des BDB, Bund Deutscher Baumeister, Architekten u. Ingenieure e.V.; seit 1999 Präsidiumsmitglied des BDB; Vorstandsmitglied der Architektenkammer NRW seit 1987; seit Mai 2001 Präsident der Architektenkammer NRW; Mitglied im Kuratorium Stadtbaukultur NRW seit Gründung 2002.
Anselm Bilgri
geboren 1953 in Unterhaching; 1975 Eintritt in die Benediktinerabtei St. Bonifaz in München; Studium der Philosophie und Theologie in München, Rom, Passau; 1980 von Kardinal Joseph Ratzinger zum Priester geweiht; bis 1985 Arbeit in der Pfarrseelsorge des Klosters; 1986–2004 Cellerar (Wirtschaftsleiter) der Abtei St. Bonifaz in München und Andechs; 1994 Prior und Wallfahrtsdirektor Kloster Andechs; 2004–Juli 2008 Gesellschafter des „Anselm Bilgri – Zentrum für Unternehmenskultur“; seit Juli 2008 Vortragender, Buchautor, Ratgeber; seit 2011 Dozent an der Hochschule München.
Lebensalltag, Jugend und Kultur in Printmedien; zu den Schwerpunkten seiner Arbeit zählt die Trendforschung; 1987 setzte er zusammen mit Jens Lönneker die Idee um, ein Institut für qualitative Markt- und Wirkungsanalysen zu etablieren, welches 1997 zu „rheingold – Institut für qualitative Markt- und Medienanalysen“ umbenannt wurde.
Jenny B. Osuldsen
geboren in Kongsvinger/Ost-Norwegen; studierte Landschaftsarchitektur an der „Agricultural University of Norway“; nach dem Abschluss 1991 Mitarbeit an mehreren Projekten, die für die Olympischen Winterspiele von Lillehammer (1994) realisiert wurden; 1993–1994 Stipendium und Masterstudium in Landschaftsarchitektur und Kunst in Los Angeles/USA; seit 1995 beim Architekturbüro Snøhetta/Oslo; seit 1999 Teamleiterin, seit 2006 Partnerin; seither intensive Einbindung vor allem in Architekturwettbewerbe.
Prof. Dr. Falk Jaeger
studierte Architektur und Kunstgeschichte in Braunschweig, Stuttgart und Tübingen; 1976 freier Architekturkritiker; 1983–1988 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Architektur- und Stadtgeschichte der TU Berlin; 1989– 1992 Lehrauftrag Architekturkritik an der TU Braunschweig; 1993 Promotion zum Dr.-Ing. an der TU Hannover; 1993–2000 Dozent für Architekturtheorie an der TU Dresden; 2000 apl. Professor für Architekturtheorie und Architekturkritik an der TU Dresden; 2001–2002 Chef-
Ira Mazzoni
Studium der Kunstgeschichte, Germanistik und Theaterwissenschaften an den Universitäten Mainz und München; freie Journalistin und Autorin; schreibt unter anderem Beiträge für das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung, der Zeit und der taz sowie verschiedene Kunstgeschichts-, Architektur- und Bau-Fachzeitschriften (z.B. Deutsche Bauzeitung); Themenschwerpunkte: Baukultur und Denkmalschutz; 2004 Auszeichnung mit dem Journalistenpreis des Deutschen Denkmalschutz-Preises durch
Stephan Grünewald
geboren 1960; studierte Psychologie an der Universität Köln; Ausbildung als Therapeut in analytischer Intensivbehandlung; seit 1990 zahlreiche Fachbeiträge und Studien zu den Themen Markenführung, Werbewirkung,
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Prof. Karl-Heinz Petzinka
Architekt; 1956 in Bocholt geboren; 1976–1982 Architekturstudium an der RWTH Aachen; 1982–1983 Mitarbeit im Büro O.M. Ungers (Köln), Verleihung des Kunstpreises des Landes NRW; 1988–1994 Lehrauftrag für Entwurf an der GH Wuppertal; 1994 Gründung des Büros „Petzinka Pink Architekten“ mit Thomas Pink in Düsseldorf und Berlin; 1994 Professur am Lehrstuhl für Entwerfen und Gebäudetechnologie, TU Darmstadt; 2004 Gastprofessur an der RWTH Aachen; 2004 THS Consulting GmbH; 2008 Professur an der Kunstakademie Düsseldorf, Klasse Baukunst.
nung des eigenen Architekturbüros Schmitz Architekten in Köln; 1996 wurde er zum Professor im Fachbereich Architektur für Entwerfen und Baukonstruktion an die Hochschule Bochum berufen.
Prof. Dr. Guido Spars
1993 Dipl.-Volkswirt Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät Uni Köln; 1993–1995 Rittmannsperger + Partner, Darmstadt; Projektleitung Stadtsanierungsprojekt Leipzig; 1995–2000 Wissenschaftlicher Mitarbeiter des ISR; 6/2000 Promotion zum Doktor der Ingenieurwissenschaften an der TU Berlin; 10/2000–3/2006 Wissenschaftlicher Assistent am Fachgebiet Stadt- und Regionalökonomie des Institutes für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin; seit 4/2006 Universitätsprofessor für das Fachgebiet Ökonomie des Planens und Bauens an der BU Wuppertal; 6/2007 Habilitation an der TU Berlin, Lehrbefugnis für Stadt- und Regionalökonomie, insbesondere Immobilienwirtschaft.
Aachen; 1978 Erstes Staatsexamen, Studienreferendar in Köln, Zweites Staatsexamen; 1979–1999 Mitglied im Rat der Stadt Aachen; 1993–2003 Schulleiter des Medienberufskollegs der Stadt Köln; seit 2003 Landschaftsverband Rheinland als Kämmerer, Baudezernent sowie Erster Landesrat; 2008–2010 Direktor des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR); seit 2010 Minister für Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen.
nen, Interviewformate, Themenabende und Gala-Veranstaltungen; neben seiner Tätigkeit als Fernsehmoderator ist Willemsen als Herausgeber, Buchautor und Essayist tätig; seit 2002 verfolgt Willemsen neben einigen filmischen Projekten vor allem literarische Arbeiten; seit Herbst 2005 Tourneen mit humoristischen Erzählerprogrammen; seit Sommersemester 2010 Honorarprofessur an der Humboldt-Universität Berlin.
Thomas Willemeit
1968 in Braunschweig geboren; 1988–1997 Architekturstudium an der Technischen Universität Braunschweig; 1991–1992 besuchte Willemeit eine Meisterklasse am Bauhaus in Dessau; 1995 Besuch der Meisterklasse an der SommerAkademie in Wien; 1998 bis 2001 arbeitete Willemeit im Büro von Daniel Libeskind.
Cordula Rau
Architektin, Kuratorin und Journalistin in München; 1986–1990 Mitarbeit in verschiedenen Architekturbüros; 1991–2003 Projektleitungen u.a. für Schmidt-Schicketanz und Partner, Stephan Braunfels Architekten; 2004 Gründung „Die walVerwandtschaften“; 2004–2005 Konzeption von Texten und Publikationen, redaktionelle Mitarbeit DETAIL; 2006 Forschungsarbeit an der TU München; 2008–2010 Redaktion für die Max-Planck-Gesellschaft sowie zeno, Callwey-Verlag; 2009–2011 Generalkommissariat Deutscher Beitrag Architekturbiennale Venedig.
Dr. Roger Willemsen
geboren in Bonn; studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie in Bonn, Florenz, München und Wien; 1984 Promotion über die Dichtungstheorie Robert Musils; später Essayist, Herausgeber und Übersetzer u.a. von Thomas Moore und Umberto Eco; 1988–1990 Korrespondent in London; seit 1993 Moderator und Fernsehjournalist (u.a. „Willemsen – Das Fernsehgespräch“, „Willemsens Woche“, „Willemsens Zeitgenossen“ und „Nachtkultur mit Willemsen“) sowie Regisseur; Inhaber der TV-Produktionsfirma NOA-NOA; Dokumentatio-
Harry K. Voigtsberger
geboren 1950 in Hindelang/Allgäu, 1967 Realschulabschluss; 1967–1969 Fachpraktische Ausbildung zum Metallflugzeugbauer bei Dornier und Messerschmidt in Augsburg; seit 1970 Mitglied der SPD; 1970–1973 Studium des Flugzeugbaus an der Fachhochschule Aachen; 1973 Abschluss als Flugzeugbauingenieur; 1975 Studium der Politik-, Wirtschafts- und Erziehungswissenschaften an der RWTH
Prof. Peter Schmitz
1958 in Bonn geboren; studierte bei Gottfried Böhm an der RWTH Aachen; arbeitete bei Richard Meier und Otto Steidle; 1991 Eröff-
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Bildnachweis
Titel: Graft; Snøhetta; Christof Rose; Volker Frenzel; Tomas Riele S. 5 privat, Anita Affentranger, Volker Frenzel; S. 6 Volker Frenzel; S. 7 AKNW; S. 8 Christof Rose; S. 9 Volker Frenzel; S. 14 Axel Thünker/Auszeichnung vorbildlicher Bauten NRW; S. 15 Ministerium für Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnen und Verkehr des Landes NRW; S. 17 Arne van der Meer; S. 18 Volker Frenzel; S. 20 Maximilian Meisse; S. 21 privat; S. 23 Christof Rose; S. 24 Volker Frenzel; S. 26/27 Ira Mazzoni; S. 30 Volker Frenzel; S. 32–35 Snøhetta; S. 36/38 privat; S. 39 Tomas Riehle, Christoph Kraneburg; S. 40 PK.Odessa; S. 41 privat; S. 42 Christof Rose; S. 43 privat; S. 44/46 Abb. Guido Spars; S. 47 Christof Rose; S. 48 Solvis; S. 49 Volker Frenzel; S. 51 Solvis; S. 53 Volker Frenzel, Christof Rose; S. 54 Anselm Bilgri; S. 56/59 Tomas Riehle; S. 57 privat; S. 60–63 Graft; S. 64/66 Volker Frenzel; S. 67 Anita Affentranger; S. 70/73/77 Volker Frenzel
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