AUSGABE 03 / SEPTEMBER 2014
18. JAHRGANG
Kommunalwirtschaft aktuell Mit den Bürgern und der Thüga: Gemeinschaftswindpark auf dem Kandrich Interview mit dem Oberbürgermeister von Ingelheim, Ralf Claus
S. 6
Forum Neue Länder Kooperation unter den Kommunen: Positive Bilanz nach vier Jahren eins energie in sachsen Interview mit dem Vorsitzenden der Geschäftsführung, Reiner Gebhardt
S. 16
Interkommunale Zusammenarbeit in Nordthüringen: VfkELandesveranstaltung Thüringen Bericht von der Veranstaltung am 9. Juli 2014 in Nordhausen
S. 18
Eine Region wirkt zusammen: VfkELandesveranstaltung Brandenburg Bericht von der Veranstaltung am 3. September 2014 in Brandenburg an der Havel
S. 24
Aus Forschung und Lehre Lehrforschungsprojekt Daseinsvorsorge: Junge Studenten aus Westbrandenburg und Nordthüringen entwickeln regionale Konzepte
S. 51
Inspirationen/Informationen Direkt aus der Bürgerschaft: Die Freien Wähler auf dem Weg zur kommunalen Volkspartei
S. 58
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„Unser Netz bringt neue Energien ans Ziel.“
OSTDEUTSCHLAND GEHT
Die enviaM-Gruppe testet schon heute intelligente Netze für die Stromversorgung von morgen.
Inhaltsverzeichnis
Prolog
4
KOMMUNALWIRTSCHAFT AKTUELL
Wichtige Effekte kommunalen Engagements in Windkraftprojekte: Herausforderungen der Energiewende für die Energienetze
Gewinne, Pachten, Gewerbesteuern und Arbeitsaufträge für ortsnahe Unternehmen
6
Stadtwerken gelingt eine zukunftsfähige Energieversorgung nur mit einem starken Partner
9
FORUM NEUE LÄNDER
Klares Votum der ostdeutschen kommunalen Anteilseigner:
„Es geht um die zukunftsfähige strategische Ausrichtung der VNG“
VNG innovativ
VfkE-Landesveranstaltung Brandenburg am 3. September in Brandenburg an der Havel
12
Kooperationen, Strukturen und Energie
Kommunen und Regionalversorger in Ostdeutschland
24
Es brennt!
70 Millionen Euro im Jahr 2013 allein als Gewinnausschüttung, Konzessionsabgabe und Gewerbesteuer für die Region
15
Das neue Energiezeitalter gemeinsam gestalten
Dokumentation:
31
„Die Fusion zu eins war der einzig richtige Weg“
VfkE-Landesveranstaltung Thüringen am 9. Juli in Nordhausen
16
Weitere ostdeutsche Regionalversorger in alphabetischer Reihenfolge 38
Das OSV-Tourismusbarometer
Klares Bekenntnis zur Kooperation
18
Stabile Entwicklung im ostdeutschen Tourismusmarkt
44
AUS FORSCHUNG UND LEHRE
„Zukunft der Daseinsvorsorge“ in der BUGA-Region Westbrandenburg/Ost-Sachsen-Anhalt
Auflage 2 eines deutschlandweit einmaligen Lehrforschungsprojekts
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INSPIRATIONEN / INFORMATIONEN
Aus unserer Serie Blick über den Gartenzaun – Estland
Personalien / Veranstaltungen / Nachrichten / Bücher 53 Epilog / Impressum
64 70
Orientierung am skandinavischen Modell
Eine nicht ganz neue politische Kraft
Die Freien Wähler
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UNTERNEHMERIN KOMMUNE • AUSGABE 03 / SEPTEMBER 2014
Zum Titelbild: Der Leuchtturm von Saxby auf der estnischen Ostseeinsel Vormsi. Die Gemeinde Vormsi gehört zum Landkreis Lääne. Dieser Landkreis (maakond) liegt mit 24.000 Einwohnern 3 auf 2.400 Quadratkilometern sowohl bei Einwohnerzahl als auch bei Bevölkerungsdichte an zweitletzter Stelle unter den 15 estnischen Landkreisen.
Prolog
Liebe Leserinnen, liebe Leser, sehr gern bin ich als Rechtsanwältin und Steuerberaterin der Kanzlei Becker Büttner Held der Bitte von UNTERNEHMERIN KOMMUNE nachgekommen, Sie über einen bundespolitischen Vorgang zu informieren, der die ohnehin schwierige Finanzlage vieler Kommunen weiter verschärfen würde, wenn die „Idee” umgesetzt wird. Unsere Partnerschaft, zu der ich als Partnerin gehöre, setzt sich bekanntlich seit vielen Jahren für die Wahrung kommunaler Interessen ein. Worum geht es konkret? Das Bundesfinanzministerium (BMF) ist dabei, neue Kriterien für die Zusammenfassung kommunaler Schwimmbäder und Versorgungsbetriebe im steuerlichen Querverbund zu formulieren. Das Abstimmungsverfahren auf Bund- / Länderbene läuft seit mittlerweile zwei Jahren. Zwischenzeitlich hat das BMF den Entwurf eines Schreibens vorgelegt. Die kommunalen Verbände können bis zum 03.09.2014 zu dem Entwurf Stellung nehmen. Geht es nach der Finanzverwaltung, wird die Anerkennungspraxis künftig verschärft. Diese Entwicklung allein wäre schon Grund zur Sorge. Die steuerliche Verrechnung von Gewinnen aus den Versorgungsbetrieben mit Verlusten aus den Schwimmbädern ist die tragende Säule für die Bäderfinanzierung. Als Besonderheit kommt hinzu, dass in dieser Konstellation das Steuerrecht auf die Energiewirtschaft trifft. Für die neuen Kriterien braucht es daher unbedingt Ansätze, die (auch) energiewirtschaftlich technisch sinnvolle Lösungen auf Ebene der Stadtwerke zulassen. Dieser Aspekt fand im bisherigen Abstimmungsprozess leider nicht ausreichend Berücksichtigung. Damit ein solcher Querverbund anerkannt werden kann, verlangt der Wortlaut des § 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 KStG, dass eine „wechselseitige technisch-wirtschaftliche Verflechtung von einigem Gewicht” zwischen dem Schwimmbad und dem Versorgungsbetrieb vorliegt. Klassischerweise lässt sich eine solche Verflechtung durch Einsatz eines Blockheizkraftwerkes (BHKW) herstellen. Der Schwerpunkt der Diskussion betrifft die Merkmale der Gewichtigkeit und Wechselseitigkeit. Nach allem, was man hört, werden von der Finanzverwaltung hierzu verschiedene Ansätze diskutiert. Ein Lösungsansatz beinhaltet die so genannte doppelte 80 Prozent-Grenze. Danach muss einerseits die vom BHKW erzeugte Wärme in bedeutendem Umfang an das Bad geliefert und andererseits der Wärmebedarf des Bades in bedeutendem Umfang über das BHKW gedeckt werden. Als bedeutend wird dabei jeweils ein Schwellenwert von 80 Prozent angenommen. Die Anwendung dieser Kriterien würde in der Praxis zu einem nicht lösbaren Konflikt führen. Eine technische Anlagenauslegung, die wärmeseitig die doppelte 80 Prozent-Grenze berücksichtigt, lässt aus Sicht des Versorgungsbetriebs keine wirtschaftlich vertretbare Konfiguration zu, durch die sich positive Effekte gleichzeitig auf Seiten des Bads und des Versorgungsbetriebs erzielen lassen. Ein weiterer Lösungsansatz der Finanzverwaltung sieht die Kombination zweier unterschiedlicher Kriterien vor. Danach wird einerseits gefordert, dass die elektrische Leistung des BHKW 120 Prozent des Eigenbedarfs des Schwimmbades entspricht. Andererseits muss 80 Prozent der vom BHKW erzeugten Wärme an das Schwimmbad geliefert werden. Auch dies kann im Ergebnis nicht funktionieren. Diese Messgrößen drohen zu einer wärmeseitigen Überdimensionie-
rung und damit zu einer Unwirtschaftlichkeit des BHKW zu führen. Das BHKW erzeugt mehr Wärme, als das Bad abnehmen kann, und wird gleichzeitig darin beschränkt, auch andere Einrichtungen mit Wärme zu beliefern. Diesem Effekt ließe sich allenfalls durch die Drosselung des BHKW begegnen. Da der Betrieb eines BHKW jedoch erst ab rund 6.000 Vollbenutzungsstunden im Jahr wirtschaftlich ist, bietet ein Teillastbetrieb insoweit keine tragfähige Lösung. Dabei lassen sich Querverbund-Konzepte unter Einbeziehung eines BHKW so planen und umsetzen, dass sie energiewirtschaftlich sinnvoll bleiben und gleichzeitig die steuerlichen Anforderungen an eine wechselseitige technischwirtschaftliche Verflechtung erfüllen. Der Aspekt, dass ein BHKW beispielsweise auch einen Beitrag zur Netzstabilität leisten kann, blieb in der laufenden Diskussion bisher vollkommen unberücksichtigt. Kommunale Schwimmbäder bieten aufgrund ihrer flexiblen Wärmeabnahme in Verbindung mit Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen bzw. durch die Einbeziehung in dezentrale Energieversorgungssysteme die Möglichkeit, vor Ort einen Beitrag zum Gelingen der Energiewende zu leisten. Noch besteht Hoffnung, dass die Finanzverwaltung Kriterien festlegt, die sich mit dem energiewirtschaftlichen Rahmen und den bei den Stadtwerken üblichen Geschäftsmodellen decken. Sollte dies nicht gelingen, drohen die Querverbundregelungen in Sachen Schwimmbad künftig schleichend leer zu laufen. Eine Übergangsregelung, die die Fortführung der nach den bisherigen Zusammenfassungsgrundsätzen aufgesetzten Querverbund-Konzepten zunächst sichert, wäre dabei auch nur eine Lösung auf Zeit. Der Bestandsschutz endet spätestens dann, wenn das BHKW erneuert werden muss. Der Ausgang des Abstimmungsverfahrens ist zukunftsweisend für die Zusammenfassung von Schwimmbädern und Versorgungsbetrieben im Rahmen des steuerlichen Querverbunds. Es geht dabei um alles oder nichts für den Fortbestand der kommunalen Schwimmbäder – sollte künftig die Möglichkeit entfallen, die kommunalen Schwimmbäder über den steuerlichen Querverbund zu finanzieren, bliebe den Kommunen in Zeiten klammer Kassen (häufig) wohl nichts anderes übrig, als das Schwimmbad zu schließen. Ihre Meike Weichel
UNTERNEHMERIN KOMMUNE • AUSGABE 03 / SEPTEMBER 2014
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Energiespeicher
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KOMMUNALWIRTSCHAFT AKTUELL
nachgeschlagen
Der steuerliche Querverbund erlaubt es auch kommunalen Unternehmen im Rahmen von Konzernstrukturen und Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträgen zwischen Mutterund Tochtergesellschaften steuerliche Vorteile zu nutzen. Dabei werden steuerlich zulässige Gestaltungsspielräume in ähnlicher Weise wie in nicht kommunalen Unternehmen genutzt. Nach Diskussionen über die rechtliche Zulässigkeit dieser Konstruktionen, ist der steuerliche Querverbund nunmehr gesetzlich verankert. Schwerpunktmäßig geht es um Verrechnungsmöglichkeiten für die Finanzierung dauerverlustbehafteter kommunaler Daseinsvorsorgeleistungen, durch die die Steuerlast im Querverbund insgesamt gesenkt wird. Der Verbund zahlt insgesamt weniger, als wenn jedes Unternehmen jeweils für sich betrachtet veranlagt würde.
Gewinne, Pachten, Gewerbesteuern und Arbeitsaufträge für ortsnahe Unternehmen
Interview mit Ralf Claus, Oberbürgermeister der Stadt Ingelheim am Rhein
m 31. Juli wurde auf dem Kandrich – das ist eine rund 600 Meter hohe Erhebung in den Gemarkungen der Gemeinden Daxweiler, Oberdiebach und Weiler (Landkreise Bad Kreuznach und Mainz Bingen) – der Gemeinschaftswindpark Kandrich GmbH & Co. KG im Beisein der rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministerin Eveline Lemke (Bündnis 90/DIE GRÜNEN) offiziell eingeweiht. Mit einer installierten Erzeugungsleistung von 18 Megawatt wird der Windpark jährlich ca. 54 Millionen Kilowattstunden Strom in das öffentliche Netz einspeisen. Diese Energiemenge reicht aus, um rund 15.000 Haushalte mit elektrischer Energie zu versorgen. Anders als die meisten Windparkprojekte in Deutschland ist die Anlage auf dem Kandrich keine „Veranstaltung“ privater Investoren, sondern ein durch und durch kommunales Projekt: Genutzt wird erstens eine kommunale Fläche. Zweitens sind zwei wichtige Investoren in Gestalt der Rheinhessische Energie- und Wasserversorgungs-GmbH aus Ingelheim am Rhein und der Thüga Erneuerbare Energien GmbH & Co. KG – beide Unternehmen halten zusammen 50 Prozent der Anteile – komplett kommunaler Herkunft. Und drittens haben über 300 Bürger aus der Region ihr Kapital in eine Bürgerbeteiligungsgesellschaft eingebracht und sind darüber mit den weiteren 50 Prozent am Naturkraftwerk im Bingener Wald beteiligt. Mehr kommunal geht nicht. Damit hat das Projekt über seine regionale Bedeutung hinaus auch deutschlandweit Strahlkraft. Wird doch oft und zu Recht beklagt, dass die Kommunen als Investoren und Träger von Windparks eher unterrepräsentiert sind. Insofern wollten wir für unsere Leser wissen, wie dieses kommunale Miteinander in Rheinhessen so erfolgreich organisiert werden konnte, und welche Erfahrungen interessierte Kommunen anderswo in Deutschland für eigene Engagements nutzen können. Unsere Fragen stellten wir Ralf Claus, Oberbürgermeister der Stadt Ingelheim am Rhein. Die Kommune ist mit 55,59 Prozent Hauptgesellschafter eines der kommunalen Windparkinvestoren, der Rheinhessischen Energie- und Wasserversorgungs-GmbH. Die weiteren Anteile halten die gesellschaftlich kommunal verwurzelte Thüga Aktiengesellschaft (37,05 Prozent) und die Verbandsgemeinde Heidesheim (7,36 Prozent). OB Ralf Claus ist Aufsichtsratsvorsitzender dieses Unternehmens und gehört dem Beirat des Mitgesellschafters Thüga Aktiengesellschaft an.
Wichtige Effekte kommunalen Engagements in Windkraftprojekte:
A
UNTERNEHMERIN KOMMUNE: Herr Oberbürgermeister, warum hat sich ihr kommunaler Versorger aus Ingelheim, die Rheinhessische Energie- und WasserversorgungsGmbH, an diesem Projekt auf dem Kandrich beteiligt. Der Standort liegt zwar in der Region, aber nicht unbedingt vor der Haustür? Ralf Claus: Wir als Stadt Ingelheim haben zunächst ein Interesse, dass unser eigenes Versorgungsunternehmen wirtschaftlich stark bleibt. Auf dem Weg zur NullEmissionsstadt bot sich an, die „Rheinhessische“, so die Kurzform des langen Firmennamens, wirksam 6
in die städtischen Klimaschutzziele zu integrieren. Auf dem Kandrich bot sich die Gelegenheit, ein Erzeugungsprojekt bei Erneuerbaren Energien von Anfang an mit aufzubauen. Es ist ja nichts Neues, das kommunale Energieversorger weit über ihre Grenzen hinaus agieren können und dürfen. Das haben wir uns zu Nutze gemacht. UNTERNEHMERIN KOMMUNE: Der Windpark, das hatten wir schon im Vorspann erwähnt, wurde auf dem kommunalen Land der Gemeinden Daxweiler, Oberdiebach und Weiler errichtet. Wir reden also im weitesten Sinne über ein interkommunales Kooperationsvorhaben und
fragen, wie es zustande kam, und worin die Effekte für die beteiligten Kommunen bestehen? Claus: Die Stadt Ingelheim besitzt auf dem Kandrich umfangreiche Liegenschaften an Waldflächen. Diese Waldflächen werden in dem vom Land Rheinland-Pfalz erlassen Regionalplan als Vorrangflächen für den Ausbau der Windkraft ausgewiesen. Auf dieser Grundlage haben wir mit den Anliegergemeinden beraten, wie wir diese Option am besten nutzen können. Natürlich ging es dabei vor allem auch darum, die berechtigten Interessen aller Beteiligten fair zu berücksichtigen. Wir sind der Meinung, dass uns das gelungen ist.
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Energie
KOMMUNALWIRTSCHAFT AKTUELL
Thüga-Einbindung, verbesserte Investitions- und Finanzierungssicherheit
UNTERNEHMERIN KOMMUNE: Hat ein gemeinsames und vor allem auch erfolgreiches Engagement wie das auf dem Kandrich auch das Potenzial, das kommunale Miteinander in der Region in anderen Bereichen, vor allem auch im Bereich der Daseinsvorsorge, zu befördern, wenn ja warum und gibt es bereits konkrete Ideen? Claus: Zunächst, es ist gewiss nicht schädlich, wenn ein Ingelheimer Wirtschaftsunternehmen in der Bürgerschaft unserer Nachbar- und Umlandgemeinden positiv wahrgenommen wird. Ein gelungenes Kooperationsprojekt ist tausendmal besser als jede theoretische Abwägung geeignet, weitere gemeinsame Aktivitäten in Gang zu setzen. Im konkreten Fall könnte ich mir zukünftig Ralf Claus, Oberbürgermeister der Stadt Ingelheim am Rhein die Zusammenarbeit bei der Etablierung von Verkehrsverbünden, der Abwasserent- und der Wasserversorgung und auch im im Verwaltungsbereich vorstellen. UNTERNEHMERIN KOMMUNE: Ihr Ingelheimer Energie- und Wasserversorgungsunternehmen ist auch Teil des Thüga-Verbundes. Das ist vermutlich auch ein Grund dafür, dass die Thüga Erneuerbare Energien GmbH & Co. KG auf dem Kandrich dabei ist. Das wäre der quasi grundsätzliche Grund für die Mitwirkung. Könnten Sie uns weitere fachliche und finanzielle Vorteile nennen, die sich aus der Einbindung der Thüga-Tochter ergeben? Claus: Die „Rheinhessische“ ist ein seit 60 Jahren unserer Stadt verpflichtetes Unternehmen zur Daseinsvorsorge. Sie beherrscht von jeher sehr gut ihre Kerngeschäfte, die Strom-, Gas- und Wasserversorgung. Der Einstieg in ein Windkraftprojekt nutzt die Rahmensetzungen des EEG. Hier gelten im Gegensatz zur konventionellen Erzeugung andere Investitions- und Finanzierungsmechanismen. Die Anlagen unterliegen dem technischen Fortschritt und werden in der Tendenz teurer. Zudem war zu Beginn der über zwei Jahre andauernden Umsetzungsphase nicht abzusehen, wie sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen entwickeln. Ja sogar aktuell gibt es trotz gerade erfolgter Novellierung noch viele Fragezeichen. Unter solchen komplizierten Bedingungen war es ausgesprochen hilfreich, dass wir auf eine Fachgesellschaft wie die Thüga zurückgreifen konnten. An diesem Unternehmen ist die „Rheinhessische” auch selbst beteiligt. Die Thüga verfügt über ein hohes Maß an Erfahrung in der Umsetzung deutschlandweiter Investitionen und im Aufbau von Finanzierungen. Durch die Einbindung einer Tochter, der Thüga Erneuerbare Energien-Gesellschaft erlangte das Projekt eine zusätzliche Investitions- und Finanzierungssicherheit. Davon profitieren alle Beteiligten, nicht zuletzt die mit ihren Einlagen beteiligten Bürger. UNTERNEHMERIN KOMMUNE: Für erneuerbare Energieanlagen, in erster Linie reden wir hier von Wind und von Solar, werden mehrheitlich private Flächen genutzt. Wie kann
UNTERNEHMERIN KOMMUNE • AUSGABE 03 / SEPTEMBER 2014
erreicht werden, dass kommunale Areale stärker für die Erzeugung genutzt werden, in Ihrer Region, aber auch darüber hinaus? Claus: Am Anfang stehen immer solide Expertisen, ob sich die Erzeugung überhaupt lohnt. Konkret, ob genügend Wind oder Sonne vorhanden ist, um die Projekte möglichst risikoarm zu finanzieren. Ist das gewährleistet, bedarf es gründlicher Vorbereitungen und Beratungen in den eigenen kommunalen Gremien, aber vor allem mit den kommunalen Nachbarn. Nötig ist eine Qualität der kommunalen Zusammenarbeit, die den Interessenausgleich der Partner garantiert. Wir haben uns von Seiten der Stadt Ingelheim sehr stark dafür eingesetzt, dass die Anliegerkommunen nicht nur mit den Nachteilen aus den Eingriffen in ihre unmittelbare Umgebung konfrontiert werden, sondern auch einen Nutzen aus der Wertschöpfung ziehen. Für uns war es auch nicht unerheblich, dass wir über den Einsatz kommunaler Flächen einen Beitrag zum Klimaschutz leisten konnten. Die Stadt Ingelheim hat sich mit ihrem Klimaschutzkonzept verpflichtet, den Klimaschutz aktiv, also mit konkreten Maßnahmen, voranzutreiben. Daran konnten auf dem Kandrich auch die beteiligten Kommunen teilhaben. Wir haben uns daher darüber gefreut, dass jeder der Träger für das Baurecht das Projekt z.B. über die Erstellung von Flächennutzungs- und Bebauungsplänen zielstrebig unterstützt hat.
„Wenn jeder Genosse mitentscheidet muss das Projekt auch überschaubar sein“
UNTERNEHMERIN KOMMUNE: Wo sehen Sie in erster Linie die Vorteile, wenn sich kommunale Versorger auf kommunalen Flächen bei der Erzeugung erneuerbarer Energien betätigen?
Von hier – für hier.*
* EMS – der Energieversorger in der Region.
Unser Versorgungsgebiet umfasst den Salzlandkreis, Teile der Landkreise Anhalt-Bitterfeld, Börde und Jerichower Land sowie Ortsteile der Stadt Magdeburg. Ein fester Bestandteil unserer Philosophie ist unser vielfältiges Engagement, die innerbetriebliche Ausbildung, die Sicherung von Arbeitsplätzen, sowie die Vergabe von Aufträgen in der Region. Wir setzen uns ein für mehr Energieeffizienz und bieten zahlreiche Fördermöglichkeiten für den Einsatz von Energie, denn wir verstehen uns nicht nur einfach als Lieferant, sondern als ehrlicher regionaler Partner.
Erdgas Mittelsachsen GmbH Tel 03928 789-333 www.e-ms.de
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Energie
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Ich denke, das unter den Prämissen Nachhaltigkeit und Glaubwürdigkeit gerade Kommunen, die ja auf ihrem eigenen Grund, in ihrer eigenen Region, agieren, als Projektträger eine herausgehobene Akzeptanz finden.
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Ralf Claus
Claus: Unter der Überschrift regionale Wertschöpfung sind eine Fülle von Effekten zu nennen: Gewinne, Pachten, Gewerbesteuern und Arbeitsaufträge für ortsnahe Unternehmen. UNTERNEHMERIN KOMMUNE: Dass sich Bürger mit ihrem Kapital an der Errichtung und dem Betrieb von ErneuerbareEnergien-Anlagen beteiligen, gehört in Deutschland inzwischen fast zum Alltag. Bemerkenswerte Zahlen gibt es aus dem Genossenschaftswesen. Ein deutlicher Zuwachs an Neugründungen ist seit 2006 zu verzeichnen. Dieser absolute Aufwuchs geht einher mit einem größeren Anteil an Energiegenossenschaften. Von 2006 bis 2013 wurden 1.468 Genossenschaften neu gegründet, davon fast 50 Prozent im Segment der „Erneuerbaren“. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung auch aus gesellschaftspolitischer Perspektive? Claus: Ich denke, das unter den Prämissen Nachhaltigkeit und Glaubwürdigkeit gerade Kommunen, die ja auf ihrem eigenen Grund, in ihrer eigenen Region, agieren, als Projektträger eine herausgehobene Akzeptanz finden. Grundsätzlich ist die Möglichkeit, dass sich Bürger an solchen Projekten auch mit eigenem Geld beteiligen
“
können, uneingeschränkt zu begrüßen. Was Sie in Ihrer Frage übergreifend feststellten, trifft auch für das Projekt am Kandrich zu: es gab seitens der Bürger ein hohes, ja sogar überzeichnetes Interesse an einer Beteiligung. Ich halte das für eine gesellschaftliche Komponente, die es zukünftig zu beachten gilt. Sie bleibt, wie das bei anderen Geldanlagen übrigens auch der Fall ist, solange stabil, wie das Vertrauen in sie erfüllt wird. Das müssen alle Investoren garantieren. Gleichwohl sollte der Bürger nicht allzu gutgläubig alle Risiken ausblenden. UNTERNEHMERIN KOMMUNE: Bürgerbeteiligungen als Genossenschaften werden auch von kommunalen Versorgern initiiert. Ein Beispiel ist die Norddeutsche Energiegemeinschaft eG, die von der Wemag AG aus Schwerin, auch ein Mitglied des Thüga-Verbundes, 2011 gestartet wurde und sich sehr erfolgreich entwickelt hat. Dieses Modell wäre doch auch für die Bürgerbeteiligung am Gemeinschaftswindpark Kandrich eine Option gewesen. Warum wurde die Konstruktion einer GmbH & Co. KG gewählt? Claus: Wenn jeder Genosse mitentscheiden soll, müssen die Projekte auch für jeden überschaubar sein. Dass hielten wir bei einer Investitionssumme von rund 50 Million Euro nicht für gewährleistet und haben uns deshalb für eine GmbH & Co. KG entschieden. In dieser Struktur sind die gesellschaftsrechtlichen Einflüsse fair definiert. Das entspricht auch den Vorstellungen der finanzierenden Banken. Was die von Ihnen angesprochene Wemag betrifft, verfügt dieses Unternehmen über eine ganz andere Unternehmensgröße als die „Rheinhessische“. Die Investition auf dem Kandrich entspricht fast der Bilanzsumme des Unternehmens. Hier waren wir gefordert, andere Wege
UNSER
Gesprächspartner
Ralf Claus wurde am 28. Oktober 1960 in Ingelheim geboren. Nach seinem Studium der Politikwissenschaft, Publizistik und Öffentliches Recht an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz begann er seine berufliche Tätigkeit als Redakteur bei einem Wirtschaftsinformationsdienst. Seit 1985 ist er kommunalpolitisch aktiv. Von 1989 - 1999 war er Mitglied des Stadtrates der Stadt Ingelheim am Rhein, von 1999 - 2012 Bürgermeister dieser Stadt. Im Jahr 2012 wurde er zu deren Oberbürgermeister gewählt und seitdem auch Vorsitzender des Aufsichtsrates der Rheinhessischen Energie- und Wasserversorgungs-GmbH Ingelheim am Rhein.
zu gehen. Die Zusammenarbeit mit einem ebenso ortsansässigen Unternehmen, der GEDEA Ingelheim, war dabei sehr sinnvoll. Sie hat auf dem Kandrich bereits eine bestehende Bürgerbeteiligung und hält in ihrem Haus den Stab an Experten vor. So lag es nahe, über ein gemeinsames Projekt nachzudenken. Dass die Rheinhessische ein langfristiges Interesse an dem Aufbau einer Produzentenlinie für erneuerbaren Energien überzeugend darstellen konnte, hat das Vertrauen der Bürger erheblich bestärkt. UNTERNEHMERIN KOMMUNE: Wenn sich private Investoren entschließen, Bürger an ihren Erneuerbare-Energie-Projekten zu beteiligen, dominiert häufig das Motiv, auf diese Weise Widerstände vor Ort auszuräumen, getreu dem Motto, wer mitverdient, der protestiert nicht. Ist das auch für kommunale Projekte wie jenes auf dem Kandrich ein Ziel, und was sind insgesamt die Ziele, Effekte und Vorteile, wenn sich Bürger an Vorhaben beteiligen, in denen Kommunen und deren Unternehmen das Sagen haben? Claus: Ich darf noch einmal zusammenfassen. Wir haben mit dem Projekt die Klimaschutzziele der Stadt Ingelheim verfolgt. Das entspricht dem politischen Willen unserer Bürger und insofern brauchten wir das Instrument Bürgerbeteiligung nicht, um Widerstände aufzulösen. Vielmehr war es ein Angebot, den Menschen die Teilhabe an der Wertschöpfung zu ermöglichen. Dennoch verstehe ich Ihre Frage sehr gut. Was die Stadt Ingelheim betrifft, halten sich die Widerstände in der Bevölkerung in Grenzen. Das liegt daran, dass wir seit Jahren systematisch, beginnend mit einem politisch motivierten und von der Bevölkerung gestützten Klimaschutzkonzept, und endend mit der bereits angesprochenen sehr guten interkommunalen Zusammenarbeit vorgehen. Es würde mich freuen, wenn wir das auf andere Vorhaben übertragen könnten. n Das Gespräch führte Michael Schäfer
Bei der offiziellen Einweihung des Gemeinschaftswindpark Kandrich GmbH & Co. KG. Von links nach rechts: Andreas Krämer, Ortsbürgermeister Ortsgemeinde Oberdiebach a.D., Peter Hausen Geschäftsführer Rheinhessische Energie- und Wasserversorgungs-GmbH, Wilfried Haas Geschäftsführer GEDEA-Ingelheim GmbH, Bernhard Laudert, Ortsbürgermeister Ortsgemeinde Oberdiebach, Franz-Josef Riediger, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Rhein-Nahe, Eveline Lemke, Wirtschaftsministerin des Landes Rheinland-Pfalz, Ralf Claus, Oberbürgermeister Ingelheim am Rhein, Thomas Feser, Oberbürgermeister der Stadt Bingen, Joachim Mertes, Präsident des Landtages von Rheinland-Pfalz, Maik Thum, Geschäftsführer Rheinhessische Energieund Wasserversorgungs-GmbH, Dr. Kay Dahlke, Geschäftsführer Thüga Erneuerbare Energien GmbH & Co. KG Foto: Stefan Gröpper, Gröpper & Bonum, Wiesbaden
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infos
www.ingelheim.de
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UNTERNEHMERIN KOMMUNE • AUSGABE 03 / SEPTEMBER 2014
Energie
KOMMUNALWIRTSCHAFT AKTUELL
HERAUSFORDERUNGEN DER ENERGIEWENDE FÜR DIE ENERGIENETZE
Stadtwerken gelingt eine zukunftsfähige Energieversorgung nur mit einem starken Partner
Ein Gastbeitrag von Dr. Frederik Giessing, Geschäftsführer der Alliander Netz Heinsberg GmbH
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en erneuerbaren Energien gehört die Zukunft, doch mit den derzeit gegebenen Strukturen in Deutschland ist die Energiewende nicht zu machen. Besonders die Ankündigung neuer Kohle- und Gaskraftwerke wird von Bürgern und Politikern zunehmend skeptisch beurteilt. Dass die Stromnetze weiter entwickelt und „intelligenter“ ausgerichtet werden müssen, ist hingegen unumstritten. Damit dies gelingt, sollten Städte und Gemeinden verstärkt die Möglichkeit erhalten, Einfluss auf die Energieversorgung zu nehmen. Denn Kommunen im Allgemeinen und Stadtwerke im Speziellen können ihre Klimaschutz- und energiewirtschaftlichen Ziele erfahrungsgemäß besser realisieren, wenn sie eigene Netze betreiben oder mit einem Partner an ihnen beteiligt sind. Sowohl der Gesetzgeber als auch technische Herausforderungen machen es den Stadtwerken jedoch zunehmend schwerer, diesen Weg erfolgreich zu beschreiten. Das betrifft neben der Energiewende vor allem das Thema IT-Sicherheit. Umso wichtiger ist es für kommunale Entscheidungsträger geworden, einen Partner zu finden, der sie unterstützt und die gleiche Sprache spricht. Konkret heißt das: Die Kommunen nehmen immer weniger Konzessionsabgaben ein – und dieser Abwärtstrend wird sich fortsetzen. Pro verbrauchte Kilowattstunde bezahlt der Netznutzer eine Konzessionsabgabe an die kommunale Hand. Die Spanne der Abgabe bewegt sich aktuell zwischen 0,03 Cent und 2,39 Cent für jede Kilowattstunde Strom und Gas. Die Kommunen wiederum stellen im Gegenzug öffentlichen Grund für die Durchleitung des Stroms bereit. Es wird geschätzt, dass das Einkommen der Kommunen aus Konzessionsabgaben bundesweit etwa 3,5 Milliarden Euro beträgt – ein Betrag, der im gleichen Maße schwindet, je mehr Strom von den Privathaushalten selbst erzeugt und verbraucht wird. Noch handelt es sich um einen schleichenden, kaum spürbaren Prozess. Aber er wird sich unausweichlich irgendwann bemerkbar machen. Ein Ziel muss es daher sein, das Konzessionsabgaberecht zu reformieren und wieder mit den Klimaschutzzielen vereinbar zu machen.
Energiewende ist nur gemeinsam zu erreichen
Immer mehr Haushalte erzeugen ihren Strom selbst – in der Regel durch Photovoltaikanlagen auf den Dächern. Dies ist im Sinne des Umweltschutzes grundsätzlich positiv zu bewerten. Doch die steigende Eigenversorgung führt auch dazu, dass weniger Energie durch das Netz transportiert wird. Diese Entwicklung wird durch intelligente Stromnetze und innovative Technik befeuert. Ein Beispiel ist das sogenannte Smart Metering, die Verwendung intelligenter Zähler – sei es für Strom oder Gas. Was zu einer erheblichen Energieeffizienzsteigerung führt, ist gleichsam nicht nur gut für das Klima, sondern auch für die Geldbeutel der Privathaushalte. Anders sieht es für den Netzbetreiber aus: Der Betrieb des Netzes verursacht Fixkosten, die nun auf immer weniger Energie umgelegt werden müssen. Sinkt die Strommenge im Netz, lohnt sich der Betrieb der Netze immer weniger. Das Resultat: Die Netznutzungsentgelte steigen.
Dr. Frederik Giessing
Hochspannungsmast in den Niederlanden
Die schwindenden Konzessionsabgaben sind aber nur ein Aspekt, der den Kommunen teuer zu stehen kommen kann. Die Stadtwerke im Speziellen müssen weitere Herausforderungen stemmen: Die zahlreichen Verordnungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) – nicht nur die jüngste Anpassung – führen zu einer wachsenden Komplexität in der Energieverbrauchsabrechnung. Sobald Stadtwerke ihre Anlagen erweitern, kommt es beispielsweise zur Durchmischung unterschiedlichster Fördermodelle aus dem EEG und dem Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz. In der Summe gibt es über 4.000 verschiedene Preiskomponenten, die bei Abrechnungen berücksichtigt werden müssen. Bei Anlagen, die Strom gleich aus mehreren Quellen erneuerbarer Energien einspeisen, kann es daher zu Fehlkalkulationen bei der Abrechnung kommen. Empfindliche Regressansprüche sind die Folge, die leicht in die Millionen gehen können. 9
UNTERNEHMERIN KOMMUNE • AUSGABE 03 / SEPTEMBER 2014
Energie
IT-Sicherheit fordert vor allem kleine Betreiber
Als wäre all das noch nicht genug, birgt auch das neue Gesetz zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme (ITSicherheitsgesetz) Herausforderungen für die Stadtwerke. Mit dem geplanten Gesetz sollen besonders gefährdete Infrastrukturen, und dazu gehört die Energieversorgung im Besonderen, besser vor Cyberangriffen geschützt werden.
Strommengen zu regulieren. Ein Ausfall dieser Systeme hätte gravierende Konsequenzen für die Versorgung von privaten Haushalten und der Wirtschaft. Netzsteuerungssysteme, um nur auf diesen Bereich einzugehen, wurden daher in der Diskussion über drohende Gefährdungen zu Recht als „kritische Infrastrukturen” identifiziert. Neben einer allgemeinen Verpflichtung zur Meldung von IT-Sicherheitsvorfällen werden mit dem kommenden Gesetz auch Mindest-
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AUTOR
Dr. Frederik Giessing ist seit März 2014 Geschäftsführer und Technischer Leiter der Alliander Netz Heinsberg GmbH. In seiner Rolle befasst er sich intensiv mit dem Thema der Konzessionen sowie mit kommunalen Angelegenheiten und hilft Stadtwerken, die „intelligenten“ Stromnetze der Zukunft zu gestalten.
diese Verantwortung mit erheblichen Kosten verbunden sein. Mit anderen Worten: Der Bedarf an technisch sehr speziellem Sachverstand wird enorm anwachsen.
Kleine Stadtwerke im Nachteil
Die wenigsten Stadtwerke werden all diese Aufgabenstellungen allein bewältigen können. Besonders betroffen werden Kommunen mit weniger als 50.000 Einwohnern sein. Aber auch Kommunen mit bis zu 100.000 Einwohnern dürften die Auswirkungen der beschriebenen Entwicklungen zu spüren bekommen. Für sie führt derzeit kein Weg an Partnerschaften vorbei – sofern dabei wichtige Voraussetzungen erfüllt sind. Dazu gehört beispielsweise, dass die jeweiligen Partner „kommunal denken“ und bürgernah sind. Gleichzeitig müssen sie Skaleneffekte nutzen können – sprich: groß genug sein, um echten Mehrwert für die Kommunen liefern zu können.
Umspannwerk in Heinsberg
Gemeinsam ins neue Energiezeitalter ALLIANDER AG
Bei all den negativen Aspekten – denen sich meiner Beobachtung nach übrigens viele Kommunen noch nicht bewusst sind – werden auch positive Tendenzen erkennbar. So spricht nichts gegen neue, fruchtbare Partnerschaften. Ganz im Gegenteil: Kooperationen sind erkennbarer politischer Wille. Dafür konzentrieren wir unser Denken und Handeln darauf, gemeinsam mit Stadtwerken und kommunalen Entscheidungsträgern die Entwicklung intelligenter und sicherer Netze voranzutreiben. Allein hierfür werden wir in den kommenden Jahren einen dreistelligen Millionenbetrag in den Ausbau energieeffizienter Energiesysteme und moderner IT-Infrastrukturen investieren. Mit diesem Beitrag begleiten wir Stadtwerke auf ihrem Weg, um ihre Daseinsvorsorge in Zukunft einerseits profitabel, andererseits aber auch verantwortungsbewusst in die eigene Hand zu nehmen. n
Alliander AG ist eine Tochter der niederländischen Alliander NV und befindet sich vollständig in der Hand niederländischer Kommunen. Dort ist Alliander der größte niederländische Betreiber von Gas- und Stromnetzen und erreicht rund acht Millionen Kunden. Nach niederländischem Recht ist das Unternehmen als Netzbetreiber vollständig von der Energieerzeugung und vom -handel entflochten. Das unterscheidet das Unternehmen von großen überregionalen Energiekonzernen und macht es zum „anderen Netzbetreiber“. Als 100%-ig kommunales Unternehmen spricht Alliander auf Augenhöhe mit Kommunen und kann deren energiepolitische Ziele mitverfolgen. Wie dies in der Praxis aussehen kann, zeigt das Beispiel „Amsterdam Smart City“: Die niederländische Hauptstadt wird von Alliander mit regenerativen und dezentralisierten Infrastrukturen versorgt. Zudem wird eine flächendeckende Ladeinfrastruktur für Elektromobilität aufgebaut. Ziel des Vorzeigeprojekts ist es, Amsterdam bis 2040 zur grünsten Metropole der Welt zu machen. Bereits heute profitieren 35.000 Hauptstädter von einem „intelligenten“ Amsterdam. Das Projekt wurde 2011 mit dem „European City Star Award“ ausgezeichnet. Es unterstreicht die Ambition von Alliander, eine zentrale Rolle bei der Energiewende zu spielen.
Stromnetze gehören zu den Versorgungsbereichen, die verstärkt von der Informationstechnik abhängen. Hierzu zählt vor allem der Bereich Netzsteuerung. Dieser wird in hohem Maße mithilfe von Datenverarbeitungs- und Telekommunikationssystemen betrieben, etwa um Zustandsdaten abzurufen oder um die 10
standards für die IT-Sicherheit bei den Netzbetreibern festgelegt. Laut IT-Sicherheitskatalog der Bundesnetzagentur werden Betreiber absehbar zur Einführung eines Informationssicherheitsmanagements (ISMS) und zur Einhaltung hoher einheitlicher Sicherheitsstandards verpflichtet. Vor allem für kleinere Betreiber wird
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UNTERNEHMERIN KOMMUNE • AUSGABE 03 / SEPTEMBER 2014
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übrigens
hat sich der Tourismus in den neuen Bundesländern 25 Jahre nach dem Mauerfall zu einer wahren Erfolgsgeschichte entwickelt. Die ist unter anderem massiven öffentlichen Förderprogrammen aber auch privaten Investitionen zu verdanken. Die Übernachtungsnachfrage in Ostdeutschland hat sich seit Beginn der 90er Jahre mehr als verdoppelt. Mit einem Plus von 170 Prozent erreicht Mecklenburg-Vorpommern einen Spitzenwert. Im Freistaat Thüringen war das Wachstum mit 50 Prozent am geringsten ausgeprägt. Der Marktanteil der neuen Bundesländer am gesamtdeutschen Tourismus ist von 10,4 auf 18,1 Prozent signifikant gestiegen. Damit entfällt ein in Relation zur Einwohnerzahl überproportional hoher Anteil der Übernachtungen auf die neuen Bundesländer.
Klares Votum der ostdeutschen kommunalen Anteilseigner:
„Es geht um die zukunftsfähige strategische Ausrichtung der VNG“
Interview mit Hans-Joachim Herrmann, Vorsitzender der Gesellschafterversammlung der VNG Verwaltungs- und Beteiligungsgesellschaft (VuB), Geschäftsführer der Stadtwerke Lutherstadt Wittenberg GmbH und Vorsitzender der Landesgruppe Sachsen-Anhalt des Verbandes Kommunaler Unternehmen (VKU)
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n der Märzausgabe hatten wir unsere Interviewserie begonnen, in der Oberbürgermeister und Geschäftsführer aus Kommunen zu Wort kommen, die zum ostdeutschen Aktionärskreis der VNG – Verbundnetz Gas AG, Leipzig, gehören. Bekanntlich sind diese Anteile in der VNG Verwaltungs- und Beteiligungsgesellschaft mbH (VuB) gebündelt. In der VuB sind derzeit zehn ostdeutsche kommunale Unternehmen vereinigt, die zusammen einen Anteil von 25,79 Prozent an der VNG halten. Bei der Konzipierung unserer Gesprächsreihe fiel ins Auge, dass sich die an der VNG beteiligten Kommunen und Unternehmen auch im „Verbundnetz für kommunale Energie“ (VfkE) sehr prominent engagieren. Dieses einzige Diskussionsforum zu kommunalwirtschaftlichen Themen in den neuen Ländern besteht seit dem Jahr 2003 und ist in seiner mehr als zehnjährigen Geschichte zu einem unverzichtbaren Faktor der kommunalen Meinungs- und Willensbildung zur Daseinsvorsorge, zur Kommunalwirtschaft und der lokalen Energieversorgung geworden. Die VNG – Verbundnetz Gas AG gehört zu den Initiatoren des VfkE und unterstützt das Forum seit seiner Konstituierung umfassend. Die Dualität des Engagements bei VuB und VfkE manifestiert sich folgerichtig auch in unseren Fragen, die wir für die Ausgaben März und Juni an die Oberbürgermeister und Stadtwerkegeschäftsführer der VuB-Kommunen Nordhausen und Hoyerswerda richteten. Für die Septemberausgabe war Hans-Joachim Herrmann unser Gesprächspartner. Da er als Vorsitzender der Gesellschafterversammlung der VNG Verwaltungs- und Beteiligungsgesellschaft (VuB) die ostdeutschen kommunalen Anteilseigner an dem Leipziger Unternehmen auch übergreifend vertritt, haben wir uns entschieden, das Interview mit ihm allein zu führen. Maßgeblich für diese Entscheidung war auch, dass der Oberbürgermeister der Lutherstadt Wittenberg, Eckhard Naumann, im kommenden Jahr als schon jetzt dienstältester OB in Ostdeutschland in den Ruhestand wechselt. Dies wird Anlass sein, diesem verdienstvollen Kommunalpolitiker in einem separaten Interview Gelegenheit zu geben, Bilanz seines so erfolgreichen kommunalen Wirkens zu ziehen. Vorsitzenden des VNG-Aufsichtsrates gewählt. Wie bewerten Sie als Vorsitzender der VuBGesellschafterversammlung diese Entwicklung grundsätzlich? Hans-Joachim Herrmann: Die Wintershall hat bekanntlich ihre Gasaktivitäten neu geordnet und konzentriert sich nunmehr auf die Exploration und Produktion. Ihre Handelsaktivitäten hat sie weitestgehend aufgegeben. Folgerichtig hat das Unternehmen auch seinen 50 Prozent-Anteil an der Wingas an die Gazprom verkauft. Es war abzusehen, dass auch die Anteile an der VNG eines Tages verkauft werden. Über den Zeitpunkt und über die Tatsache, dass die Aktien an EWE verkauft wurden, waren wir aber doch sehr überrascht. Folgerichtig hat auch der damalige Aufsichtsratsvorsitzende, Dr. Seele, sein Amt nach der Zustimmung der Hauptversammlung zu diesem
UNTERNEHMERIN KOMMUNE: Die Hauptversammlung der VNG hat im April einstimmig der Übertragung der Aktienanteile der Wintershall Holding GmbH in Höhe von 15,79 Prozent auf die EWE AG zugestimmt, die damit als Mehrheitsaktionär insgesamt 63,69 Prozent der Aktienanteile auf sich vereint. Folgerichtig wurde am 11. Juni Dr. Heiko Sanders, Finanzvorstand des Mehrheitsaktionärs, zum 12
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Verbundnetz für kommunale Energie
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VNG-Standort Ostdeutschland wird noch wichtiger
UNTERNEHMERIN KOMMUNE: Es ist absehbar, dass sich die ostdeutsche Aktionärsstruktur ändern wird. Können Sie dazu zum gegenwärtigen Zeitpunkt Aussagen treffen? Herrmann: Das Leben ist Veränderung! Auch innerhalb der VuB kann man und soll man nicht alles fest zementieren. Wenn ein Gesellschafter der VuB sein Engagement verringern oder gar ganz aus der VuB aussteigen möchte, so kann man ihm das nicht verwehren. Allerdings haben wir hierfür ganz klare Regelungen in unseren Verträgen geschaffen. Wie alle wissen, haben die Stadtwerke Erfurt im letzten Jahr den Treuhandvertrag gekündigt. Nun laufen die miteinander vereinbarten Verfahren. Diese sind noch nicht abgeschlossen. UNTERNEHMERIN KOMMUNE: Sie haben in einem großen Interview für unsere Zeitschrift im Mai 2010 ausführlich dargestellt, welche Vorteile die ostdeutschen kommunalen VNG-Aktionäre aus diesem Engagement ziehen, und Sie haben darüber hinaus auch überzeugend argumentiert, welche Effekte für Ostdeutschland aus der Tatsache entstehen, dass eines der größten Unternehmen des Ostens seinen Konzernsitz in Leipzig, hat. Würden Sie die damals getroffenen Aussagen heute genauso treffen, und bei welchen Punkten würden Sie neue Akzente setzen?
Hans-Joachim Herrmann
Geschäft niedergelegt. Der neue Hauptaktionär, der in Kürze über 63 Prozent des Aktienkapitals halten wird, hat darum gebeten, den Aufsichtsratsvorsitzenden zu stellen. Wir haben dem zugestimmt. Dr. Sanders arbeitet schon einige Jahre im Aufsichtsrat der VNG und kennt das Unternehmen sehr gut. UNTERNEHMERIN KOMMUNE: Anlässlich der Wahl von Dr. Sanders zum VNGAufsichtsratsvorsitzenden haben Sie folgendes festgestellt: „Es gibt nach der Übernahme der Wintershall-Aktien durch EWE eine erste Vereinbarung der beiden größten Aktionäre – EWE und VuB –, die unter anderem eine Erklärung zur Sicherung des VNG-Standortes Leipzig zum Inhalt hat. Damit haben wir einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung unternommen. EWE und VuB wollen bis Oktober 2014 weitere wesentliche Aspekte bearbeiten, wie etwa die zukunftsfähige Ausrichtung der VNG-Strategie, Dividendenpolitik und eine Abrundung des Standortschutzes.“ Welche grundlegenden Positionen vertritt die ostdeutsche kommunale Aktionärsgemeinschaft zur weiteren Ausrichtung des Leipziger Energieunternehmens? Herrmann: Bei allem, was wir bereits schon schriftlich mit den anderen Aktionären vereinbart haben oder noch vereinbaren wollen, ist allen klar: Die beste Standortsicherung und die beste Sicherung der Arbeitsplätze ist eine stabile und ertragsstarke VNG. Wir haben mit den anderen Aktionären vereinbart, dass wir uns in den nächsten Monaten intensiv über die zukunftsfähige strategische Ausrichtung der VNG unterhalten wollen.
Herrmann: 2010 habe ich sinngemäß formuliert, dass sich die Interessen der kommunalen Aktionäre grundsätzlich an der nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung ihrer Vermögenswerte orientieren. Die VuB hat damit ein wesentliches Motiv, die seit den neunziger Jahren andauernde positive Entwicklung der VNG auch in Zukunft fortzuschreiben. Damit können die eigenen Vermögenswerte gesteigert und zukunftsfähig ausgebaut werden. An dieser Grundposition hat sich nichts geändert. Nicht verändert hat sich gegenüber dem Jahr 2010 auch die Tatsache, dass die strukturellen Unterschiede vor allem in ökonomischer Hinsicht zwischen den alten und neuen Ländern fortbestehen. Deshalb und vor allem auch mit Blick auf dramatische Szenarien, die wir in den nächsten Jahren bei der demografischen Entwicklung und in der Finanzausstattung der neuen Länder erwarten müssen, wird es noch wichtiger, dass industrielle Leuchttürme – hier ist die VNG vermutlich der wichtigste – dem Standort Ostdeutschland erhalten bleiben, ja noch stärker werden. UNTERNEHMERIN KOMMUNE: Trotz der Vorteile für die kommunalen Aktionäre aus den neuen Ländern, und trotz der Vorteile für Ostdeutschland gibt es Erwägungen Einzelner, Anteile zu veräußern. Liegt das auch daran, dass ein gewichtiger Effekt, nämlich die Gewerbesteuer, vorwiegend in Leipzig fließt und wenn ja, könnte man daran auch die anderen ostdeutschen Anteilseigner teilhaben lassen?
Der Sitz der Stadtwerke Lutherstadt Wittenberg. Das Unternehmen hat das historische Gebäude für die Stadt durch eine aufwändige Restaurierung erhalten.
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Verbundnetz für kommunale Energie
Herrmann: Soweit ich informiert bin, fällt die Gewerbesteuer nicht nur in Leipzig an, sondern auch an Orten, an denen die VNG Anlagen oder Teilbetriebe unterhält. Allerdings ist es richtig, dass der größte Anteil der Gewerbesteuer der Stadt Leipzig zufließt. Das allein allerdings kann kein Grund sein, Anteile an der VNG bzw. VuB veräußern zu wollen. Zu der Frage, welche weiteren Vorteile die neben Leipzig weiter beteiligten Kommunen außer der Dividendenzahlung in Zukunft erhalten könnten, sind wir mit der Stadt Leipzig im Gespräch. UNTERNEHMERIN KOMMUNE: Die Lutherstadt Wittenberg ist über die Stadtwerke an der VNG beteiligt. Welche Bedeutung hat das für die Stadt? Herrmann: Zum einen, und das ist der allerwichtigste Aspekt, wollen wir mit unserer Beteiligung an der Verbundnetz Gas AG Gewinne erwirtschaften, die wiederrum der Stadt Wittenberg
Herrmann: Das kommunale Netzwerk „Verbundnetz für kommunale Energie“ kenne ich schon sehr lange. Ich habe es schätzen gelernt als eine sehr wichtige Dialogplattform zwischen den ostdeutschen Kommunalvertretern einerseits – also den Bürgermeistern, Oberbürgermeistern, den gewählten Mandatsträgern in den Räten und den Vertretern der Kommunalwirtschaft – und andererseits mit den Landtagsabgeordneten und Ministerien. Es gibt sonst wenige Gelegenheiten des Dialoges und des Austausches von Erfahrungen und Argumenten zwischen den genannten Amts, Mandats- und Funktionsträgern. Wenn Sie sich die Gästelisten der Landes- und natürlich erst recht der Jahresveranstaltungen anschauen, sehen Sie, dass es immer um Foren mit hoher Beteiligung und hohem Reputationswert handelt. Fast immer sind bei den Jahresveranstaltungen, die ja in verschiedenen Bundesländern stattfinden, auch die Ministerpräsidenten anwesend und diskutieren mit uns über das System der kommunalen Wirtschaft. UNTERNEHMERIN KOMMUNE: Zur Jahresveranstaltung werden erstmals die Ergebnisse einer Befragung vorgestellt, die das VfkE gemeinsam mit den VKU-Landesgruppen Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen bei den Stadtwerken dieser Bundesländer zur Energiewende geführt hat. Warum haben Sie sich zusammen mit Ihren Kollegen für diese Studie engagiert? Herrmann: Initiiert wurde diese Studie nicht durch uns, sondern durch das „Verbundnetz für kommunale Energie“. Wir haben aber gern mitgemacht. Es geht ja bei solchen Veranstaltungen nicht in erster Linie darum, dass man mal nett miteinander spricht. Was wir vielmehr brauchen ist eine fundierte Bestandsaufnahme zu den Themen, die vor den kommunalen Versorgern bei der Umsetzung der Energiewende stehen. Dass diese Sachverhalte mit der Studie wissenschaftlich aufbereitet wurden, ist eine ganz wesentliche Basis der notwendigen sachorientierten Diskussion. Diese Zusammenarbeit zwischen den ostdeutschen Landesgruppen des VKU und dem „Verbundnetz für kommunale Energie“ hat sich seit Jahren bewährt. UNTERNEHMERIN KOMMUNE: An der Befragung haben sich 43 Prozent aller Stadtwerke in den genannten Ländern beteiligt. Dieser Rücklauf ist wesentlich höher als bei vergleichbaren Stadtwerkebefragungen der Universität Leipzig in den Jahren 2009 und 2013. Worauf führen Sie diese bemerkenswerte Mitwirkung zurück?
UNSER
Gesprächspartner
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Die beste Standortsicherung und die beste Sicherung der Arbeitsplätze ist eine stabile und ertragsstarke VNG.
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Hans-Joachim Herrmann
Hans-Joachim Herrmann wurde am 6. Dezember 1954 in Lutherstadt Wittenberg geboren. Der Geschäftsführer der Stadtwerke Lutherstadt Wittenberg GmbH studierte Elektrotechnik und Automatisierungstechnik in Berlin und Zwickau. Nach Tätigkeiten in der Industrie und Kommunalverwaltung übernahm er 1991 die Leitung der Wittenberger Stadtwerke. Seit 1995 leitet er zusätzlich den Entwässerungsbetrieb der Lutherstadt. In den Jahren 1998 und 1999 war er zudem Geschäftsführer der Kommunalservice GmbH Wittenberg. Herrmann ist Mitglied in verschiedenen Gremien der Branchenverbände „Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft“ (BDEW) und „Verband kommunaler Unternehmen“ (VKU). Bei letzterem ist er Vorsitzender der Landesgruppe Sachsen-Anhalt. Herrmann sitzt im Verwaltungsrat des „Kommunalen Schadensausgleich“ (KSA) und im Beirat der Verbundnetz Gas AG Leipzig. Im Oktober 2009 wurde er zum Vorsitzenden der Gesellschafterversammlung der VNG Verwaltungsund Beteiligungsgesellschaft (VuB) gewählt.
Herrmann: Nun die Studie war gut vorbereitet, gut angelegt und hatte natürlich auch ein sehr aktuelles und brennendes Thema – nämlich die „Energiewende“ zum Gegenstand. Die momentane politische Situation ist alles andere als zufriedenstellend. Wir hoffen sehr, dass die Ergebnisse der Studie dazu beitragen, unsere kommunalwirtschaftlichen Positionen verstärkt in die politische Diskussion einzubringen. UNTERNEHMERIN KOMMUNE: Die drei genannten VKU-Landesgruppen wollen zusammen mit dem VfkE bei der Jahresveranstaltung am 29. Oktober auch ein Positionspapier vorstellen, das sich direkt auf die Ergebnisse der Befragung beziehen wird. Warum halten Sie eine solche Pointierung und politische Interpretation für notwendig? Herrmann: Wie gesagt, wollen wir unsere Argumente in die politische Diskussion einbringen. Dazu ist ein Positionspapier auf einer belastbaren wissenschaftlichen Grundlage gut geeignet. Hoffen wir, dass es auch gelesen und beachtet wird. n Das Interview führte Michael Schäfer
zu Gute kommen. Die Höhe der Dividende ist dabei natürlich ein Aspekt, ein anderer auch ganz wesentlicher Punkt ist, dass diese Dividende einigermaßen gleichmäßig und mit hoher Zuverlässigkeit auch in der Zukunft anfällt. Und als ostdeutsche Stadt ist es uns nicht zuletzt auch ein Anliegen, eines der größten Unternehmen Ostdeutschlands mit weitwirkenden regionalen Wertschöpfungsketten auch an diesem Standort zu halten.
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„Verbundnetz für kommunale Energie“ ist sehr wichtige Dialogplattform
UNTERNEHMERIN KOMMUNE: Sie sind als Geschäftsführer der Stadtwerke Lutherstadt Wittenberg auch Vorsitzender der Landesgruppe Sachsen-Anhalt des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU). In beiden Eigenschaften sind Sie Gastgeber der Jahresveranstaltung 2014 des „Verbundnetz für kommunale Energie“ (VfkE) am 29. Oktober. Warum engagieren Sie sich für dieses Ereignis? 14
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Energie
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Es brennt!
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Chemisch statt mechanisch
VNG innovativ
Neue Heiztechnologie für Privathaushalte, Gewerbe und Handwerk
leichzeitig Strom und Wärme erzeugen – und das auf eine effiziente Art und Weise? Das geht nicht nur mit herkömmlichen KWK-Anlagen, sondern jetzt auch mit der neuen Brennstoffzellentechnologie.
In der Brennstoff zelle kommt es zu einer direkten Umwandlung der chemisch gebunden Energie des Brennstoffs in Strom und Wärme. Dabei findet keine Verbrennung mehr statt wie im BHKW. Grundvoraussetzung für die Brennstoff zelle ist Wasserstoff, der aus wasserstoff reichem Erdgas gewonnen wird. DIE FAKTEN Elektrische Wirkungsgrade je nach Typ von 30 bis 60 Prozent Kaum Schadstoff- und Geräuschemissionen Kein mechanischer Verschleiß ca. 30 Prozent Energieersparnis gegenüber der getrennten Erzeugung von Strom und Wärme Vorrangiger Einsatz in Ein- und Zweifamilienhäusern und Gebäuden mit niedrigem Wärmebedarf. Es gibt aber auch Brennstoff zellen für das Gewerbe.
elektr. Strom Warmwasser
Mit Gesamtwirkungsgraden von mehr als 95 Prozent gelten Brennstoffzellen als die Heiztechnik und Energiequelle der Zukunft. In ihnen findet wie im Muskel keine Verbrennung mehr statt, sondern eine elektrochemische Reaktion bei der die chemisch gebundene Energie von Erdgas direkt in Strom und Wärme umgewandelt wird. Grundvoraussetzung für die Brennstoffzelle ist Wasserstoff, der aus wasserstoffreichem Erdgas gewonnen wird.
Umweltfreundlich und effizient
Neben ihrer Effizienz haben Brennstoffzellen noch weitere Vorteile. Sie arbeiten völlig ohne Mechanik und ohne Lärm. Hinzu kommt, dass ihre elektrische „Ausbeute“ gegenüber herkömmlichen Kraft-WärmeKopplungssystemen deutlich höher ist. Während KWK-Systeme zwischen 15 und 25 Prozent der im Erdgas enthaltenden Energie in Strom umwandeln, schaffen Brennstoffzellen je nach Typ elektrische Wirkungsgrade von 30 bis 60 Prozent. „Das ist ökonomisch und ökologisch besser, weil Strom im Vergleich zu Wärme aufgrund seiner aufwendigen Erzeugung die wertvollere Energieform ist“, erklärt Dr. Marc-Simon Löffer vom Zentrum für Sonnenenergieund Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg.
BRENNSTOFFZELLE BRENNSTOFFZELLE
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Raumheizung
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Technologie unterstützen. Auf europäischer Ebene gibt es zum Beispiel das ene.field-Projekt, in Hessen, Baden- Württemberg und Sachsen haben die Landesregierungen Fördertöpfe geöffnet. Auch die VNG AG macht sich für die neue innovative Technik stark. Zusammen mit den Spezialisten Vaillant und der Riesaer Brennstoffzellentechnik GmbH bietet sie ein umfassendes Dienstleistungsangebot rund um die Brennstoffzellen-Heizgeräte
an. Das Programm namens „Heizungskeller 2.0 – Innovation Brennstoffzelle“ ist ein Gesamtpaket zur Einführung der neuen Technologie. n Ute Scholz Telefon +49 341 443-2623 Fax +49 341 443-2296 ute.scholz@vng.de www.vng.de | www.verbundnetzplus.de
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infos
So effizient und clever ist die Wärmeversorgung mit Erdgas
Erdgas-Brennwert: Brennwertgeräte nutzen nicht nur die Wärme beim Verbrennen der Energierohstoffe, sondern auch die Kondensationswärme (latente Wärme) der Verbrennungsabgase. Damit setzt die Brennwerttechnik die Energie zu fast 100 Prozent um. Erdgas-Solar-Systeme: Über 1.500 Stunden scheint die Sonne im Jahresdurchschnitt – ideale Voraussetzungen also für die Erdgas-Solar-Heizung. Die Solarkollektoren auf dem Dach und der Erdgas-Brennwertkessel sorgen gemeinsam für die Wärme im Haus. Der Kessel springt erst an, wenn die Sonnenstrahlen nicht mehr ausreichen, um das Wasser zu erwärmen. Die zentrale Einheit im System ist der Wärmespeicher. BHKW: Im BHKW wird Erdgas in einem Motor verbrannt und damit ein Generator angetrieben. Der Generator liefert den Strom, die Verbrennungswärme wird in den Heizkreislauf überführt. KWK-Anlagen können aber nicht nur Wärme erzeugen, sondern auch Kälte. Dabei treibt die Wärme aus der KWKAnlage während der Sommermonate eine Kältemaschine an. Die kühlt nicht nur die Räume, sondern erhöht auch die Auslastung der KWK-Anlage in Zeiten schwacher Wärmenachfrage. Brennstoffzelle: In der Brennstoffzelle kommt es zu einer direkten Umwandlung der chemisch gebunden Energie des Brennstoffs in Strom und Wärme. Dabei findet keine Verbrennung mehr statt wie im BHKW. Grundvoraussetzung für die Brennstoffzelle ist Wasserstoff, der aus wasserstoffreichem Erdgas gewonnen wird. Zeolith: Der Begriff zeolith (griech. „zeo“ ich siede, „lithos“ stein) wurde vom schwedischen Mineralogen Freiherr Axel Frederick Cronstedt geprägt. Zeolith gilt nicht nur als Basis für die Wärmespeicher der Zukunft. Weil es Flüssigkeiten und Gas adsorbieren, also in sich binden kann, wird es auch zum Entgiften und zum Schutz vor radioaktiven Strahlen genutzt. So wurden beispielsweise die Menschen in Hiroshima und Nagasaki mit Zeolith gegen die Folgen der radioaktiven Verstrahlung behandelt. Um den Reaktor in Tschernobyl baute man Betonbarrieren mit Zeolith, um die Strahlung abzuschirmen. In der Landwirtschaft und Tierhaltung werden Zeolithe auch als Dünge- und Futtermittel verwendet. Und selbst die HightechIndustrie hat das Mineral für sich entdeckt. So nutzt die Firma Vaillant Zeolithe für ihre Zeolith-Gaswärmepumpe, Bosch und Siemens entwickeln damit unter anderem einen schnell trocknenden Geschirrspüler.
Wachsende Vielfalt an Brennstoffzellen
Seit Jahren testen ausgewählte Gerätehersteller und Energieversorger die Brennstoffzellen für Eigenheim und Gewerbekunden, beispielsweise im bundesweit größten Praxistest „Callux“. Und auch im Aktionsbündnis Initiative Brennstoffzelle (IBZ) haben sich eine Vielzahl an Unternehmen und Initiativen zusammengeschlossen, um die Brennstoffzellentechnologie voranzubringen. Lange ließ der Erfolg auf sich warten. Doch mittlerweile haben mehrere Hersteller serienreife Geräte auf den Markt gebracht.
Und wer bezahlt´s?
Fakt ist: Die Brennstoffzelle hat noch erhebliche Preisunterschiede zu heute alltäglichen Erdgas-Brennwertgeräten. Deshalb haben Energiewirtschaft, Geräteindustrie und Politik eigene Programme aufgelegt, die den Einsatz der neuen
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Energie
„Die Fusion zu eins war der einzig richtige Weg“
Interview mit Reiner Gebhardt, Vorsitzender der Geschäftsführung der eins energie in sachsen GmbH & Co. KG
70 Millionen Euro im Jahr 2013 allein als Gewinnausschüttung, Konzessionsabgabe und Gewerbesteuer für die Region
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nser letztes Interview, das wir mit Reiner Gebhardt, dem Vorsitzenden der eins-Geschäftsführung, führten, liegt gut zwei Jahre zurück. Das damalige Thema – die Kooperation des Energiedienstleisters mit der Deutschen Telekom mit dem Ziel, in Chemnitz ein Hochleistungs-Glasfasernetz zur Breitbandversorgung anzubieten – ist heute genauso aktuell wie vor 24 Monaten. Denn auch weiterhin gibt es in der Breitbandversorgung in Deutschland beträchtliche Lücken. Deshalb fragten wir bei unserem Gespräch für die Ausgabe September 2014 auch nach, welche Ergebnisse dieses damals deutschlandweit einzigartige Kooperationsprojekt bis heute erbracht hat. Die Antwort von Reiner Gebhardt zu dieser Nachfrage und zu weiteren Aspekten in der Arbeit des Chemnitzer Regionalversorgers lesen Sie in dem folgenden Beitrag. Stadtwerken Chemnitz zu eins ist jetzt vier Jahre her. Zum damaligen Zeitpunkt war weder absehbar, wie enorm sich der Wettbewerb zuspitzen wird, noch welche Probleme den Versorgern mit der Energiewende erwachsen. Können Sie die Entwicklungen zu diesen beiden Stichworte bitte erläutern. an Strom. So ist es derzeit nicht möglich, mit Gaskraftwerken wirtschaftlich Strom zu erzeugen. Unser Heizkraftwerk in Chemnitz wird hauptsächlich mit Braunkohle betrieben und schreibt schwarze Zahlen. Das liegt vor allem daran, dass das Heizkraftwerk unser Fernwärmenetz speist und rund die Hälfte aller Chemnitzer Haushalte daran angeschlossen ist. Zudem erleben wir, dass der Wettbewerb zugenommen hat und zum Alltagsgeschäft gewachsen ist. Jeden Tag wechseln Kunden ihren Energieversorger. Wir können festhalten, dass wir unterm Strich jedes Jahr mehr Kunden mit Strom beliefern. Auch wenn die Rahmenbedingungen in den letzten Jahren nicht einfach waren, sind wir als Unternehmen auf einem guten Weg, das zeigt uns auch das sehr gute Jahresergebnis 2013.
UNTERNEHMERIN KOMMUNE: Der Kooperationsvertrag von eins und der Deutschen Telekom datiert vom 12. März 2012. Im Kern ging es darum, dass eins eine technische Breitbandinfrastruktur in Chemnitz errichtet und die Telekom das Netz betreibt. Als Ziel wurde seinerzeit formuliert, dass Ende 2014 bis zu 60.000 Haushalte in Chemnitz an das hochmoderne Glasfasernetz angeschlossen werden. Was davon wurde bis heute erreicht? Reiner Gebhardt: Die rund 36.000 Haushalte, die wir bis jetzt an unser Glasfasernetz angeschlossen haben, können bereits von superschnellen Internetverbindungen profitieren. Bis Ende 2014 werden es insgesamt 45.000 Haushalte sein. Konstant und jederzeit verfügbare Downloadraten von bis zu 200 Mbit/s zeichnen die Datenübertragung über Glasfaserkabel aus. Die verbleibenden 15.000 Haushalte schließen wir im Jahr 2015 an unser Netz an. Dann haben wir insgesamt 1.000 Kilometer Glasfaserkabel in Chemnitz verlegt. Von Vorteil ist es, dass wir als heimischer Infrastrukturdienstleister den größten Teil der Glasfaserkabel in unsere bereits vorhandenen Leerrohre verlegen können. Damit halten sich der kostenintensive Tiefbau und Verkehrseinschränkungen in gut beherrschbaren Grenzen. Wir haben bemerkt, dass sich in den letzten Jahren immer mehr Gebäudeeigentümer für unsere Glasfaserkabel interessieren. Daher bieten wir jetzt auch für Gewerbeimmobilien einen Anschluss an unser Glasfasernetz an. Eine schnelle Internetverbindung über Glasfaser ist für viele Gewerbe ein Wettbewerbsvorteil. UNTERNEHMERIN KOMMUNE: Eine weitere Bilanzfrage: Der Zusammenschluss von Erdgas Südsachsen und den 16
Investitionen in erneuerbare Energien
UNTERNEHMERIN KOMMUNE: Sie haben auf eine rasante Marktentwicklung in einigen Bereichen verwiesen. Wie müsste man sich diese Szenarien ohne die Fusion vorstellen, und konnte der Zusammenschluss diese Entwicklung wenigstens partiell kompensieren? Gebhardt: Ihre Frage können wir ganz klar mit ja beantworten: Nur durch die Fusion zu eins ist es uns überhaupt möglich, die Entwicklungen der letzten Jahre aufzufangen und teilweise auszugleichen. Ohne den Zusammenschluss hätten die Veränderungen im Energiemarkt beide Vorgängerunternehmen viel härter getroffen. Heute kann man durchaus sagen, dass die Fusion zu eins der richtige Weg war und ist, geringere Margen durch Synergieeffekte wettzumachen. Wir haben die vor der Fusion angenommenen Synergieeffekte komplett erreicht und übertroffen.
Reiner Gebhardt, Vorsitzender der eins-Geschäftsführung
Gebhardt: Wettbewerb, Energiewende und Regulierungsbehörde umrahmen unser Handeln als Energieversorger. Im Jahr 2010 war noch nicht absehbar, wie sehr sich der Wettbewerb steigern und welche Auswirkungen die Energiewende haben würde. Der deutsche Atomausstieg aufgrund der Reaktorkatastrophe von Fukushima und das daraus folgende Überangebot an Strom aus erneuerbaren Energien stellen die wirtschaftliche Energieerzeugung mit herkömmlichen Energieträgern auf eine harte Probe. Der Strompreis an der Energiebörse sinkt durch das Überangebot
UNTERNEHMERIN KOMMUNE • AUSGABE 03 / SEPTEMBER 2014
Energie
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Wir benötigen neue Geschäftsfelder, um als Energieversorger langfristig erfolgreich zu sein.
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Reiner Gebhardt
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vorantreiben. Zudem investieren wir in erneuerbare Energien. Aktuell errichten wir ein neues Windrad nahe Hartenstein. Wenn es fertig ist, dann gehören bereits fünf Windkraftanlagen zu unserem Portfolio. Dazu kommen mehr als zehn Photovoltaik- und eine Biogasanlage. Diese Engagements belegen, dass wir die Energiewende vor Ort gestalten.
UNTERNEHMERIN KOMMUNE: Dass die Erträge von eins der Stadt Chemnitz und der Region Südsachsen zugutekommen, ist in erster Linie der regionalen Verwurzelung des Unternehmens und der kommunalen Eigentümerstruktur zu verdanken. Welche Wirkungen hat dieser Zufluss für die Region und von welchen weiteren Effekten über den monetären Aspekt hinaus kann sie profitieren? Gebhardt: Dazu möchte ich gern ein paar Zahlen nennen: Fast 70 Millionen Euro verbleiben im Jahr 2013 allein in Form von Gewinnausschüttung, Konzessionsabgabe und Gewerbesteuer in den umliegenden Städten und Gemeinden und kommen damit der Region zu Gute. Dort sind die Gelder von eins eine der wesentlichen Einnahmen, um die Infrastruktur aufrecht zu halten. Zudem investieren wir pro Jahr etwa 70 bis 90 Millionen Euro in die Versorgungssicherheit und vergeben rund 10.000 Aufträge an Firmen größtenteils aus unserer Region. So tragen wir dazu bei, heimische Arbeitsplätze zu erhalten. Weiterhin sind wir Ansprechpartner für die Kommunen bei verschiedenen Infrastrukturprojekten und unterstützen den Spitzen- und Breitensport, Kultur sowie soziale Projekte in Chemnitz und Südsachsen. Ohne Sponsoren wären der Spitzensport oder kulturelle Veranstaltungen in der Region nicht möglich. Auch das ist uns wichtig, dabei zu sein, zu helfen und so eine Region noch lebenswerter zu machen. UNTERNEHMERIN KOMMUNE: Sind diese positiven Wirkungen, die sich unmittelbar aus der wirtschaftlichen Tätigkeit von eins ergeben, durch die von Ihnen angesprochen Ertragsminderungen gefährdet und wenn ja, welche Wege, etwa durch die Übernahme neuer Geschäftsfelder, beschreiten Sie, um die negativen Entwicklungen zu kompensieren? Gebhardt: Wir benötigen neue Geschäftsfelder, um als Energieversorger langfristig erfolgreich zu sein. Die Region und unsere Eigentümer verlassen sich darauf, dass wir wirtschaftlich arbeiten. Über ein neues Geschäftsfeld, Glasfaser, haben wir ja bereits in der ersten Frage gesprochen. Das ist eine Möglichkeit, wie Energieversorger Geld verdienen können, indem sie als kompetenter Experte Infrastrukturprojekte
Höchstes Gesamtkunstwerk der Welt
UNTERNEHMERIN KOMMUNE: Wir dürfen Ihre bisherigen Ausführungen so zusammenfassen, dass die Fusion von Erdgas Südsachsen und den Stadtwerken Chemnitz richtig und notwendig war und die avisierten Effekte auch eingetreten sind. Ist das der Grund dafür, dass nun auch die Netzgesellschaften Ende August 2014 rückwirkend zum Januar 2014 fusioniert haben und ab 2015 der gesamte Netzservice von der neuen inetz übernommen wird?
Gebhardt: Das ist einer der Gründe für den Zusammenschluss von Südsachsen Netz und Netzgesellschaft Chemnitz zu inetz. In erster Linie erfüllen wir aber mit der Fusion die Vorgaben der Regulierungsbehörde. Nachdem wir mit dem Weg zu eins gute Erfahrungen gemacht haben, bringen wir diese bei dem Zusammenschluss unserer Netzgesellschaften mit ein. Mit inetz entsteht ein großer Netzbetreiber, der alle technischen Expertisen in sich vereint. Auch hier werden wir die Synergien in ein paar Jahren ernten können. UNTERNEHMERIN KOMMUNE: Der künstlerisch gestaltete Schornstein von eins hat weit über die Grenzen von Chemnitz hinaus Beachtung gefunden. Was symbolisiert dieses Bauwerk für den bisherigen, vor allem aber auch für den künftigen Weg des Unternehmens?
Der 302 Meter hohe Schornstein des Chemnitzer Heizkraftwerk ist dank des französischen Künstlers Daniel Buren zu einem farbigen, weit sichtbaren Zeichen für das Unternehmen eins gewachsen.
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Energie / Verbundnetz für kommunale Energie
UNSER
Gesprächspartner
Reiner Gebhardt, geboren am 21. Oktober 1955 im saarländischen Niederwürzbach, schloss 1982 sein Studium in Saarbrücken als Diplom-Ingenieur für Maschinenbau ab. Danach war er bis 1992 in der Thüga im Bereich Technik tätig. Von dort wechselte er als Geschäftsführer zur Mittelfränkischen Erdgas. Parallel wirkte er seit 1990 am Aufbau der Erdgas Südsachsen im technischen Bereich mit. 1998 wechselte er in dieses Unternehmen nach Chemnitz als Geschäftsführer, 2007 avancierte er zum Sprecher der Geschäftsführung. Nach der Fusion der Erdgas Südsachsen mit den Stadtwerken Chemnitz zu eins energie in sachsen GmbH & Co. KG wurde er dort am 21. Juni 2011 zum Vorsitzenden der Geschäftsführung berufen.
In Chemnitz und Südsachsen arbeiten rund 1.100 Mitarbeiter für die Zufriedenheit der Kunden und den Erfolg des Versorgers eins.
Gebhardt: Unsere Gebäude gehören traditionell zur Industriekultur in der Region. Daher ist es uns wichtig, unsere Gebäude und Bauwerke so zu gestalten, dass sie zum Stadtbild passen oder dieses sogar prägen. Als wir den Schornstein sanieren mussten, haben wir die Symbolkraft
des 302 Meter hohen Bauwerks bemerkt. Die Chemnitzer mögen ihren Schornstein – er gehört einfach zur Stadt. Mit dem Entwurf des französischen Künstlers Daniel Buren entwickelt sich der Schornstein jetzt vom höchsten Bauwerk in Sachsen zum höchsten Gesamtkunstwerk der Welt. Der Schornstein
wird von den Bürgern wahrgenommen und bringt Farbe in unsere Region. n Das Interview führte Michael Schäfer
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www.eins.de
VfkE-Landesveranstaltung Thüringen am 9. Juli in Nordhausen
Klares Bekenntnis zur Kooperation
Vorstellung der Thüringer Teilergebnisse zur VfkE-Jahresstudie 2014
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andesveranstaltungen haben im Repertoire des Verbundnetz für kommunale Energie (VfkE) eine besondere Relevanz. Schließlich sind Kommunen schon qua Gesetz an ihr Bundesland gebunden. In unterschiedlichen Regionen stellen sich zum Teil unterschiedliche Herausforderungen und es werden vielfältige Ideen entwickelt, wie damit umzugehen ist. Im tendenziell strukturschwachen Norden Thüringens zeigt sich ein erstaunliches Bewusstsein für die Notwendigkeit einer stärkeren Verschränkung der Akteure innerhalb einer Kommune aber auch mit den Nachbarn. Hier ist es quer durch alle politischen Färbungen gelungen, von der Analyse zur Tat zu schreiten und interkommunale Kooperationen in einem erstaunlichen Ausmaß zu realisieren und weiter zu forcieren. Insofern war das nordthüringische Nordhausen der ideale Ort, um über interkommunale Kooperation als das zentrale Paradigma zur Bewältigung der anstehenden Herausforderungen zu diskutieren. Zum Thema passte eine Studie des VfkE zur kommunalen Umsetzung der Energiewende in Ostdeutschland. Die Expertise wird in Gänze zur Jahresveranstaltung des VfkE am 19. Oktober in Lutherstadt Wittenberg vorgestellt. In Nordhausen wurden aber schon einige erste Bestandsaufnahmen speziell für Thüringen zur Diskussion gestellt. Es ging um die Implikationen der Energiewende für die Kommunen, aber auch und unter anderem in diesem Zusammenhang um die Verwirklichung interkommunaler Kooperationen. Darauf aufbauend, lieferten sich Vertreter der Landes- und Kommunalpolitik sowie der kommunalen Unternehmen einen gewohnt kontroversen Austausch zu den Prämissen einer nachhaltigen Versorgungswirtschaft. Lesen Sie im Folgenden eine Zusammenfassung der VfkE-Landesveranstaltung Thüringen vom 9. Juli in Nordhausen.
Daseinsvorsorge, sondern liefere auch wichtige Impulse zur Bewältigung der anstehenden Herausforderungen. „In diesem Sinne freue ich mich darauf, von den heutigen Debatten zu profitieren“, so das Stadtoberhaupt. Die Bürger würden die Energiewende zwar noch immer pauschal unterstützen, dies könne sich jedoch schnell legen, wenn sich damit Zumutungen verbinden. In Nordhausen sei heftig über die Errichtung einer Biomethan-Anlage diskutiert worden. „Doch gerade mit der traditionsreichen Spirituosenindustrie und den hier
„Stadtwerke sind immer eine gute Adresse, um Lösungen für die aktuellen Herausforderungen in der Region zu diskutieren“, sagt Dr. Klaus Zeh, Oberbürgermeister der Stadt Nordhausen, in seiner Begrüßung. Die Kommunalwirtschaft leiste nicht nur einen großen Beitrag zur 18
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Die VfkE-Landesveranstaltung Thüringen stieß wieder auf das rege Interesse der kommunal(wirtschaftlichen) Familie.
anfallenden Abfällen kann eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft in Gang gesetzt werden.“ Das einzige Heilmittel gegen unbegründete Ängste und Vorbehalte seien Transparenz und Kommunikation, ist sich der Oberbürgermeister sicher. Die kommunale Wirtschaft in Nordhausen und in der Region nehme eine erhebliche Verantwortung für das alltägliche Leben der Menschen wahr. „Kommunal ist die erste Wahl. Das war, ist und bleibt ein Motto der Stadt Nordhausen und eine Lehre aus den ausgesprochen positiven Erfahrungen der vergangenen Jahre.“
Wider das Kirchturmdenken
Im Anschluss an verschiedene Fachvorträge von kommunalen Amtsträgern, Vertretern der kommunalen Unternehmen, der Landesebene und der VNG – Verbundnetz Gas AG als kommunal und ostdeutsch verankertem Großunternehmen der Energiewirtschaft wurde die Veranstaltung für eine Diskussion auf dem Podium und mit dem Plenum geöffnet. In den Referaten des heutigen Tages war oft davon die Rede, dass sich sowohl
Kommunalpolitik als auch kommunale Wirtschaft aktiv für Kooperationsmodelle engagieren müssten, so Prof. Dr. Michael Schäfer, Chefredakteur dieser Zeitschrift und Moderator der Podiumsdiskussion. Seine erste Frage an das Podium lautet schlicht, „wer muss vorangehen, Kommunalpolitik oder Kommunalwirtschaft?“ Mathias Hartung, Geschäftsführer der Stadtwerke Nordhausen GmbH entgegnet, dass die optimale Variante in einem konzertierten Vorgehen auf der Grundlage gemeinsam erarbeiteter Konzepte
Rita Hartmann
Birgit Keller
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bestehe. Gerade zur Strategieentwicklung sei die Etablierung des Thüringer Zentrums für interkommunale Kooperation, angesiedelt beim Innenministerium, eine willkommene Unterstützung. Kooperationen könnten es ermöglichen, gewachsene Strukturen zu erhalten und Impulse darüber hinaus zu setzen. „Letztlich determinieren die strukturellen Rahmenbedingungen das eigene Handeln. Wenn der Austausch zwischen den Akteuren funktioniert und das Bewusstsein für die strategischen Notwendigkeiten vorhanden ist, dann werden sich Ideen auch gegenseitig befruchten.“ Jutta Krauth vertritt als Erste Beigeordnete den Landkreis Nordhausen in der Diskussion. „Wir haben in Nordthüringen erkannt, dass interkommunale Kooperationen ein zentraler Weg zur Bewältigung der anstehenden Herausforderungen ist. Wir haben breite gesetzliche Möglichkeiten, um mit anderen Städten, Gemeinden und auch Landkreisen zusammenzuarbeiten.“ Dies sei die Voraussetzung, um ein attraktives Leistungsangebot für die Bürger in der Region aufrechterhalten zu können. Krauth äußert jedoch die Sorge, dass die Landesregierung solche dann gewachsenen Strukturen bei einer möglichen Gebietsreform unberücksichtigt lassen könnte. Vorangehen müssten natürlich die Kommunen selbst, denn sie seien in der Verantwortung, die
Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion – Dr. Klaus Zeh, Rita Hartmann, Joachim Kreyer, Prof. Dr. Michael Schäfer, Jutta Krauth und Mathias Hartung (v.l.n.r.)
Bürgerschaft zu vertreten und die eigenen Unternehmen zu steuern, so Krauth. Joachim Kreyer, Bürgermeister von Sondershausen, bezieht sich in seiner Antwort auf die Ergebnisse der jüngsten VfkE-Studie für Thüringen (siehe Kasten 3). „Wir haben erst seit 24 Jahren wieder leistungsfähige Kommunen in
den neuen Ländern.“ Die Kommunen hätten sich ihre Gestaltungskraft hart erkämpft und so sei es zunächst einmal menschlich, dass sie bei der Abgabe von Verantwortung zögern. Deshalb müssten Argumente gesammelt werden, um Stadträte und Bürger davon zu überzeugen, dass der Weg der Autarkie angesichts der allseits
Nordthüringer Lehrforschungswerk „Zukunft der Daseinsvorsorge“ –
aus dem Vortrag von Birgit Keller, Landrätin des Landkreises Nordhausen
Nordthüringen ist im besonderen Maße vom Bevölkerungsrückgang betroffen. Weitere Herausforderungen verbinden sich mit der Umschichtung von EU-Mitteln und dem Auslaufen des Solidarpaktes. Hinzu kommen die sinkenden Gemeindesteuereinnahmen, die durch den demografischen Wandel insbesondere in den strukturschwachen Regionen weiter verschärft werden. In Ostdeutschlandweit werden die kommunalen Steuereinnahmen bis zum Jahre 2025 um etwa 30 Prozent zurückgehen. Weder der Bund noch das Land werden dies kompensieren können. Um auch weiterhin Grundbedürfnisse befriedigen und soziale Härten vermeiden zu können, ist ein neues Verständnis der Daseinsvorsorge in einer regionalen Dimension gefragt. Voraussetzung ist ein Umdenken weg vom eigenen Kirchturm und hin zu regionalen Konstrukten. Wir müssen es schaffen, auch Kommunen mit unterschiedlichen Ausgangsbedingungen so regional zu vernetzen, dass ein gemeinsamer Mehrwert entsteht. Selbstverständlich müssen hier auch die kommunalen Unternehmen einbezogen werden. Eine erfolgreiche Kooperation setzt den Willen aller Seiten voraus. In diesem Geist pflegen wir auch die Zusammenarbeit zwischen dem Landkreis sowie den Städten Nordhausen und Sondershausen. Wir sind nicht immer einer Meinung, aber uns verbindet das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Vernetzung und Solidarität. Denn auf die eigenen kommunalen Grenzen beschränkte Lösungen sind auf Dauer nicht tragfähig. Diese Überlegungen standen hinter dem Nordthüringer Lehrforschungswerk „Zukunft der Daseinsvorsorge“. Mit dieser gemeinsamen Initiative des Landkreises sowie der Städte Nordhausen und Sondershausen wird ein kreativer und Kosten sparender Weg beschritten. Drei bis vier Studenten – Mitarbeiter der kommunalen Verwaltungen und Unternehmen – werden im deutschlandweit einzigen Master-Studiengang Kommunalwirtschaft an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde ihr Studium absolvieren und eine eigene Forschungsgruppe bilden. Die Masterarbeiten sollen sich möglichen interkommunalen Kooperationen in der Region Nordthüringen widmen. Potentiale sollen ermittelt und Konzepte zu deren Erschließung entwickelt werden. Die Vorteile liegen auf der Hand. Die Expertise entsteht in den Kommunen selbst, gleichzeitig können Erfahrungen aus der eigenen Berufspraxis genutzt werden. Die Masterstudenten kennen die individuellen Schwierigkeiten und Herausforderungen, sie stammen von hier und identifizieren sich mit der Region. Wir wollen auch politisch ein Zeichen gegen die Abwanderung von Fachkräften aus dem Osten Deutschlands setzen. Unsere Kommunalwirtschaft soll Perspektiven bieten für junge und motivierte Mitarbeiter aus der Region. Und nicht zuletzt wird Geld gespart, welches ansonsten in externe Expertise investiert werden müsste. Die Ergebnisse des Lehrforschungsprojektes sollen im Sommer 2016 öffentlich vorgestellt werden. So wird gewährleistet, dass die weiteren Diskussionen in den kommunalen Gremien vor Ort und mit den Bürgern auf einer wissenschaftlichen Grundlage fußen. In der Region Nordhausen/Sondershausen ist der politische Wille zur interkommunalen Zusammenarbeit weit überdurchschnittlich ausgeprägt. Dies lässt sich an einer Reihe von Beispielen ablesen – sei es an der Theater Nordhausen Loh Orchester Sondershausen GmbH, an der bic-Nordthüringen GmbH, bei den Harzer Schmalspurbahnen, beim ÖPNV oder bei der gemeinsamen Leitstelle für den Rettungsdienst. Dennoch ist der schon erreichte Status Quo noch deutlich ausbaufähig. Ich hoffe, dass wir von den Masterstudenten ein maßgeschneidertes Konzept für weitere Kooperationen erhalten. Unsere Aufgabe als Kommunalpolitiker wird es sein, diese Vorschläge nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch umzusetzen.
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Thüringer Kommunalwirtschaft im Spannungsfeld von demografischem Wandel und Energiewende –
aus dem Vortrag von Rita Hartmann, Abteilungsleiterin Kommunales im Thüringer Innenministerium
Das diesjährige Jahresthema des Verbundnetz für kommunale Energie befasst sich mit den Implikationen der Energiewende für die Kommunen und ihre Unternehmen. Der Untertitel „Fata Morgana oder gelobtes Land?“ beschreibt den Konflikt zwischen Chancen und Problemen, denen die Kommunen im Zuge der Energiewende gegenüberstehen. In der Artussage beschreibt Fata Morgana die mythische Insel Avalon. Ob dieser Ort im Rahmen der Energiewende erreicht werden kann, wird auch davon abhängen, ob die Energieversorger Rahmenbedingungen erhalten, die ihnen eine verlässliche Planung ermöglichen. Dies gilt für die großen Versorger, aber auch für die kommunalen Unternehmen, ist Voraussetzung für die notwendigen Investitionen und für eine erfolgreiche Steuerung der Prozesse im Rahmen der Energiewende. Der Freistaat Thüringen ist gut aufgestellt. Dafür gibt es eine Reihe handfester Beispiele. Die Regelungen zur kommunalwirtschaftlichen Betätigung geben den Kommunen den Spielraum, den sie benötigen, um sich auch in Abgrenzung zu den Privaten bei der Daseinsvorsorge zu engagieren. Projekte einer kommunalen Energiewende sollten aber nur dann angegangen werden, wenn sich die Kommunen dazu in der Lage sehen. Jeder Landrat, jeder Bürgermeister aber auch jeder Kreis-, Stadt- oder Gemeinderat sollte kritisch prüfen, ob ein Projekt personell und fachlich geleistet werden kann. Denn wenn die Leistungsfähigkeit der Kommune überschritten wird, kann dies die Daseinsvorsorge dauerhaft beeinträchtigen und nicht zuletzt das positive Image der kommunalen Wirtschaft schmälern. Generell ist zu konstatieren, dass sich die Kommunen im Freistaat Thüringen sehr verantwortungsvoll den Herausforderungen der Energiewende stellen. Daneben gewinnen der demografische Wandel sowie die stetig knapper werdenden öffentlichen Mittel wachsende Relevanz. Besonders in strukturschwachen Regionen, wie hier in Nordthüringen, wird eine einzelne Kommune nicht mehr alle Aufgaben allein erfüllen können. Es gibt keine Alternative zu einer strategischen kommunalen Zusammenarbeit. Die Initiierung des Nordthüringer Lehrforschungsprojekts „Zukunft der Daseinsvorsorge“ sehe ich deshalb als wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Die hier entwickelten Analysen und Schlussfolgerungen werden auch über Nordthüringen hinaus von hohem Wert sein. Ich bin schon heute gespannt, welche Kooperationspotentiale aufgezeigt und wie diese in der Zukunft umgesetzt werden. Jede Kommune ist gefragt, zu reflektieren, wie sie ihre Kräfte bündeln und ihre Risiken minimieren kann. Das Thüringer Gesetz zur kommunalen Gemeinschaftsarbeit wurde geschaffen, um diese Impulse zu unterstützen. Denn fast jede Aufgabe lässt sich auch in interkommunalen Netzwerken erfüllen. Mögliche Akteure sind die Kommunen selbst, aber auch Stiftungen des öffentlichen Rechts, Einzelpersonen und die kommunalen Unternehmen. Die verschiedenen Formen der Zusammenarbeit haben eine lange Rechtstradition, sind in der Praxis bewährt und im Wesentlichen von den Gerichten ausgeurteilt. In diesen Zusammenhang gehört auch die Rekommunalisierung der Thüringer Energie AG. Dem eigens zu diesem Zweck gegründeten interkommunalen Energiezweckverband Thüringen gehören mittlerweile über 400 Kommunen an. Die Bilanz nach einem Jahr ist durchweg positiv. Das Geschäftsjahr 2013 wurde mit einem Überschuss abgeschlossen und neue Arbeitsplätze konnten geschaffen werden. Beratung und Unterstützung In Thüringen haben wir ein Unternehmensrecht, das weitreichende Handlungsräume für die Kommunen aufweist. Der demografische Wandel und die Finanzlage erfordern flexible Formen der Aufgabenerfüllung. Angesichts der steigenden Anforderungen ist eine weitere Verbesserung der Formen kommunaler Betätigung angezeigt, ohne bestehende Identifikationsräume durch verpflichtende Gebietsänderungen beseitigen zu müssen. Das ist der Ansatz, den wir in Thüringen verfolgen. Deshalb hat der Landtag die Gemeinsame kommunale Anstalt als Form der kommunalen Gemeinschaftsarbeit eingeführt. Um die Kommunen bei ihrem Streben nach mehr Effektivität und Professionalität zu unterstützen, wurde zudem das Thüringer Zentrum für interkommunale Kooperation (ThüZiK) gegründet. Dessen Auftrag ist es, die Möglichkeiten und Chancen der interkommunalen Zusammenarbeit aufzuzeigen und die Kommunen bei der Vorbereitung und Umsetzung von Kooperationen zu unterstützen. Finanzielle Zuwendungen bieten darüber hinaus Anreize für die kommunale Zusammenarbeit der Gemeinden und Landkreise. Ziel ist es, die Leistungsfähigkeit dauerhaft zu stärken und die Kosten für die Aufgabenwahrnehmung zu senken. Individuelle Befindlichkeiten standen und stehen sinnvollen Kooperationen teilweise noch immer im Wege. Neben Identifikationsfragen – dem so genannten Kirchturmdenken – geht es auch um Verlustängste in Bezug auf Einflussnahme und Kontrolle. Das ThüZiK will daher versuchen, potentielle Partner über eine Beratung und mögliche finanzielle Anreize zusammenzubringen. Der Freistaat kann solche Prozesse aber nur anstoßen, umgesetzt werden müssen sie im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung letztlich von den Gemeinden, Städten und Landkreisen. Die Formen wirtschaftlicher Betätigung im Rahmen der Thüringer Kommunalordnung und die Möglichkeiten der interkommunalen Zusammenarbeit bilden geeignete Instrumentarien, um gemeinsam mit den Thüringer Kommunen die Aufgabe der Daseinsvorsorge und die vielfältigen Herausforderungen der Energiewende erfolgreich zu meistern. Als Landesministerium sehen wir uns in einer Beratungsfunktion. Generell rate ich jeder Kommune, die kommunalrechtlich neue Wege beschreiten möchte, dies rechtzeitig mit der Kommunalaufsicht zu besprechen. Ich bitte Sie, kritische Fragen nicht als Attitüde der Verhinderung wahrzunehmen, sondern als Versuch, mögliche Probleme rechtzeitig aufzeigen.
bekannten Rahmenbedingungen nur in eine Sackgasse führen kann. Insofern sei es sinnvoll, dass mit dem von Landrätin Keller vorgestellten Forschungsprojekt (siehe Kasten auf S. 20) auch wissenschaftliche Expertise zu den Notwendigkeiten interkommunaler Kooperationen gesammelt werde. Seiner Vorrednerin stimmt Kreyer dahingehend zu, dass natürlich die Kommunen diesen Kommunikations- und Überzeugungsprozess leisten müssten.
Mathias Hartung ergänzt, dass die kommunalen Unternehmen in ihrem operativen Geschäft ständig mit den betriebswirtschaftlichen Implikationen von demografischem Wandel und Energiewende befasst seien. Daher könnten Impulse für eine Optimierung wirtschaftlichen Handelns auch aus den kommunalen Unternehmen kommen. Wenn in der freien Wirtschaft zwei Unternehmen Synergiepotentiale zum gegenseitigen
Vorteil erkennen, dann werde dies nahezu zwangsläufig in eine Kooperation oder gar eine Fusion münden. Auf die öffentliche Wirtschaft könne dieses Paradigma allerdings nicht Eins zu Eins angewandt werden. Hier entstünden schnell Verlustängste, insbesondere dann, wenn die potentiellen Partner unterschiedlich groß seien. „Die Kommunen in Ostdeutschland zeichnen sich durch eine besondere Flexibilität aus, dennoch kann es 21
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Thüringer Energieversorger zu einer geringeren Gewinnabführung an die kommunalen Haus führen. 70 Prozent der befragten Versorger sind in einen steuerlichen Querverbund mit Bäd Verbundnetz für kommunale Energie ÖPNV und teilweise weiteren Sparten eingebunden. Fast alle dieser Unternehmen erwarten Zukunft, dass der steuerliche Querverbund nicht mehr vollständig gewährleistet werden kan
Im Zusammenhang von Energiewende, demografischer Herausforderungen und unveränder knapper kommunaler Kassen gewinnen Kooperationen zwischen Kommunen und kommuna „Stadtwerke-Befragung“ des Verbundnetz für kommunale Energie (VfkE) Unternehmen eine stetig wachsende Relevanz. In der aktuellen Befragung zu Energiewende und interkommunaler Kooperation – die Thüringer Ergebnisse räumen die komm Energieversorger des Freistaates Thüringen interkommunalen Kooperationen erhebliche In seiner aktuellen Studie für die Jahresveranstaltung am 29. meisten Antworten entfallen hier auf die Kategorien „InvestitionsOptimierungspotentiale ein. Nur drei von zehn Befragten sind der Ansicht, dass die Instrume Oktober in Lutherstadt Wittenberg „Energiewende kommunal. risiken“, „Risiken durch steigende Kosten“ und „Risiken durch die interkommunaler Kooperationen gut ausgeschöpft werden. 70 Prozent dagegen meinen, da Ergebnisse und aktuelle Herausforderungen bei der Umsetzung Nichtanerkennung von Kosten bei den Genehmigungen der Netznutnur in den neuen Ländern. zungsentgelte“. Auch die ungebremste Einspeisung von Strom aus Erder Energiewende auf kommunaler Ebene befriedigend bzw. mangelhaft gelingt. Die Mehrzahl der kommunalen Versorger in Thüri sieht das Verbundnetz für neuerbaren Energien wird mehrheitlich mit Risiken assoziiert. Ferner Bestandsaufnahme für Ostdeutschland“ hatdie Gründe für die empfundenen Defizite in der Sphäre der Kommunalpolitik. Hier müs insbesondere das verbreitete Kirchturmdenken steigende Preisrisiken erkannt. Denn Hälfte der Be kommunale Energie (VfkE) ostdeutsche Stadtwerke und kommu- werden auch kundenseitigüberwunden werden, sagte die dort
nale Energieversorger nach den Implikationen der Energiewende sei die ökonomische Leistungsfähigkeit zur Bezahlung der Energiekosund den diesbezüglichen Potentialen (Grafik 1) interkommunaler Koopera- ten begrenzt. Diese Risiken werden laut der Mehrheit der kommunalen Thüringer Energieversorger zu einer tionen befragt. Auch die kommuna- Stadtwerke-Befragung des Verbundnetz für kommunale Energie 2014. Teilwerk Thüringen. len Energieversorger in Thüringen Stadtwerke-Befragung des Verbundnetz für kommunale geringeren Gewinnabführung an die Energie 2014. Teilwerk Thüringen. kommunalen Haushalte führen. 70 waren Teil dieser vollständigen Die Potentiale interkommunaler Kooperationen sind in unserer Region nach meiner Einschätzung a Die Potentiale interkommunaler Kooperationen sind in unserer Erhebung. Auf der Landesveranfolgt erschlossen?Einschätzung aktuell wie folgt erschlossen? Prozent der befragten Versorger sind Region nach meiner – Angaben in Prozent in einen steuerlichen Querverbund mit staltung Thüringen wurden einige – Angaben in Prozent Bädern, dem ÖPNV und teilweise weiAspekte aus den für den Freistaat 40 getroffenen Aussagen erstmals zur teren Sparten eingebunden. Fast alle Diskussion gestellt. dieser Unternehmen erwarten für die 40 30 30 35 Zukunft, dass der steuerliche Querver30 Die politische Umsetzung der Enerbund nicht mehr vollständig gewähr25 giewende wird bei den kommunalen leistet werden kann. 20 Energieversorgern in Thüringen überIm Zusammenhang von Energie15 10 wiegend kritisch beurteilt. In mehr als wende, demografischer Herausfor5 der Hälfte der zur Auswahl stehenden derungen und unverändert knapper 0 Kategorien wird mit „mangelhaft“ die kommunaler Kassen gewinnen Koschlechtmöglichste Note vergeben. operationen zwischen Kommunen und Einzig hinsichtlich Plausibilität und kommunalen Unternehmen eine stetig Konsistenz bzw. Nachhaltigkeit und wachsende Relevanz. In der aktuellen Zukunftsfähigkeit erreicht die deutsche Befragung räumen die kommunaEnergiepolitik immerhin ein befriedilen Energieversorger des Freistaates gend. Besserung scheint kaum in Sicht. Denn die Zufriedenheit mit den Thüringen interkommunalen Kooperationen erhebliche Optimierungs(Kasten 4) aktuell diskutierten Novellierungen im Rahmen der Energiewende ist äu- potentiale ein. Nur drei von zehn Befragten sind der Ansicht, dass die Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion – in namensalphabetischer Reihenfolge ßerst begrenzt. Kein einziges Stadtwerk ist der Ansicht, dass sie den von Instrumente interkommunaler Kooperationen gut ausgeschöpft werder Bundesregierung definierten Zielen „sehr gut“ oder „gut“ gerecht wer- den. 70 Prozent dagegen meinen, dass dies nur befriedigend bzw. Rita Hartmann – Abteilungsleiterin gelingt. Die Mehrzahl der kommunalen Versorger in Thüden. 60 Prozent vergeben ein „befriedigend“ und 40 Prozent gar nur ein mangelhaft Kommunales im Thüringer Innenministerium Mathias Hartung – Geschäftsführer die Gründe für die empfundenen Defizite in der Sphäre der mangelhaft. ringen sieht Stadtwerke Nordhausen GmbH Für die kommunalen Versorger werden im Zuge der Energiewende Kommunalpolitik. Hier müsse insbesondere das verbreitete KirchturmJutta Krauth – Erste Beigeordnete im Landkreis Nordhausen und der dazu getroffenen Regelungen multiple Risiken gesehen. Die denken von Sondershausen Joachim Kreyer – Bürgermeister überwunden werden, sagte die Hälfte der Befragten.
auch hier mühselig sein, eine gute Idee in die entwickelt. Sie stimmt zu, dass aufgabenkritisch Joachim Kreyer befürwortet deutlich eine Aufgabenkritik. „Natürlich muss unter den Praxis umzusetzen“, so der Geschäftsführer der vorgegangenen werden müsse, doch dieses ließe Moderation gegebenen Umständen analysiert werden, was Stadtwerke Nordhausen. sich nicht in einem Schnellschuss erledigen, Prof. Dr. Michael Schäfer durchdacht und damit prioritär erledigt werden muss und was wir am sondern müsste genau Aufgabenkritik vor rechtssicher sein. Letztlich seien alle diese FrageEnde vielleicht ganz weglassen können.“ Der Bild 1 – Dateiname:der allerdings noch laufenden Freistaat hätte viel zu viele Aufgaben an die Gebietsreform? stellungen Teil IMG_9461 Die VfkE-Landesveranstaltung Thüringenund Kommunen übertragen ohne sie entsprechend Debatte um eine mögliche Verwaltungs- stieß wieder auf das rege Interesse der In Thüringen müssten seitens der Kommunen Strukturreform in Thüringen. finanziell auszustatten. kommunal(wirtschaftlichen) Familie. und des Landes 21.720 Aufgaben bewältigt werden, zitiert Prof. Dr. Schäfer eine Zahl Die Teilnehmer der PODIUMSDISKUSSION aus dem Innenministerium des Freistaats. (in namensalphabetischer Reihenfolge) Bild 2 – Dateiname: IMG_9477 Diese Fülle impliziere erstens die Frage Rita Hartmann – Abteilungsleiterin Kommunales im Thüringer Innenministerium nach einer möglichen Reduzierung und Mathias Hartung – Geschäftsführer Stadtwerke Nordhausen GmbH zweitens nach einer Priorisierung dieser Verantwortlichkeiten. Jutta Krauth – Erste Beigeordnete im Landkreis Nordhausen Rita Hartmann, Abteilungsleiterin Joachim Kreyer – Bürgermeister von Sondershausen Kommunales im Thüringer Innenministerium Dr. Klaus Zeh – Oberbürgermeister von Nordhausen verweist in ihrer Replik auf eine gewachsene Moderation: Regelungsdichte. Viele Vorgaben würden weder Prof. Dr. Michael Schäfer – Herausgeber und Chefredakteur UNTERNEHMERIN KOMMUNE in Erfurt noch in Berlin, sondern in Brüssel 22
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Dr. Klaus Zeh – Oberbürgermeister von Nordhausen
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„Wir beklagen etwas, was wir auch selbst befördern“, so Dr. Klaus Zeh, Oberbürgermeister der Stadt Nordhausen. „Wir dürfen nicht aus jedem ungeklärten Detail, aus jeder neuen Aufgabenstellung oder Konstellation eine neue Regelung ableiten. Das Regelungsdickicht auszumisten, eine neue Flexibilität und Kreativität zu entwickeln, sind richtige, aber auch wohlfeile Forderungen. Denn die Widerstände sind enorm.“ Sicher wäre es sinnvoll, Daseinsvorsorge völlig neu zu definieren und die Aufgaben nach ihrer
Relevanz zu ordnen. „Ich bin jedoch skeptisch, ob dies in der notwendigen Klarheit gelingen kann.“ Jutta Krauth ergänzt, dass im strukturschwachen Nordthüringen ganz andere Voraussetzungen bestünden, als in der Boomregion in und um Erfurt. „Wir müssen dafür sorgen, dass Energie und Abfallentsorgung bezahlbar bleiben oder dass ältere Menschen auch ohne eigenes Auto weiter mobil sein können. Wir werden keine Zeit haben, uns in Visionen zu den perfekten Rahmenbedingungen zu verlieren. Dafür nehmen uns die
Kommunen müssen Impulse setzen zu einer möglichst verträglichen Anpassung des Lebensumfeldes an sich verändernde gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Doch ihr Wirkungskreis wird durch Normsetzungen übergeordneter Ebenen noch immer zu stark eingeschränkt. Schließlich sind es die Kommunen, in denen politische Konzepte direkt in die Praxis umgesetzt und auch an ihr gemessen werden. Das Abstraktionsniveau ist wohltuend geringer, als das Bewusstsein für einen gesunden Pragmatismus. Die Beispiele in Nordthüringen zeigen, dass die Kommunen mehr Vertrauen verdient haben. Denn hier ist auch der Ort, wo die Bürgerschaft am ehesten und am wirkungsvollsten an der Lösung der anstehenden gesellschaftlichen Herausforderungen beteiligt werden kann. Falk Schäfer
wachsenden Herausforderungen der Praxis zu sehr ein.“ Krauth verweist darauf, dass die Kommunen bereits in den vergangenen Jahren Aufgaben gebündelt und Personal abgebaut hätten. Letztlich müssten sich die Kommunen an einem recht starren Korsett rechtlicher Vorgaben orientieren, das eine weit reichende strategische Flexibilität gar nicht zulasse. In diesen engen Grenzen seien sich zumindest die Akteure in Nordthüringen weitgehend bewusst, dass möglichst alle Synergiepotentiale genutzt werden müssten. Mathias Hartung wirft ein, dass es kommunaler Auftrag sein müsse, den Bürgern ein attraktives Lebensumfeld zu erhalten. Daher sollten jene Leistungen Priorität genießen, die nennenswert dazu beitragen, die Menschen in ihrer Kommune zu halten. Dies sollte die alleinige Prämisse sein. Ein derart neu interpretiertes, ergebnisorientiertes Kirchturmdenken ließe dann wenig Platz für lokale Egoismen und Ängste. Wenn am Ende zähle, was die Region insgesamt voranbringt, dann könne man auch lernen, Dinge loszulassen. n Die Landesveranstaltung Thüringen wurde dokumentiert von Falk Schäfer
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Verbundnetz für kommunale Energie
VfkE-Landesveranstaltung Brandenburg am 3. September in Brandenburg an der Havel
Kooperationen, Strukturen und Energie
Breit gefächertes Themenspektrum bei den Debatten innerhalb und mit der kommunalen Familie
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as Verbundnetz für kommunale Energie (VfkE) ist erklärtermaßen eine Interessenplattform der und für die Kommunen. Doch neben dem energischen Streiten für kommunale Belange wurden immer auch Impulse in die kommunale Familie hinein gesetzt. Vielfältige Veranstaltungen, Studien und Thesenpapiere widmeten sich dem Schwerpunkt interkommunaler Kooperationen. Und auch in der VfkE-Koordinierungsgruppe aus erfahrenen und prominenten Kommunalpolitikern herrschte die einhellige Meinung, dass sich die ökonomischen und sozialen Herausforderungen des demografischen Wandels und der Energiewende nur mit einer stärkeren Verschränkung aller kommunalen Akteure innerhalb aber auch außerhalb der eigenen Gebietsgrenzen bewältigen lassen. Wenn diese Potentiale angemessen genutzt werden, gewinnt auch die Interessenvertretung gegenüber anderen politischen Ebenen erstens eine stärkere Stimme und zweitens eine höhere Legitimität. Die Stadt Brandenburg an der Havel hat sich im Sinne dieses stetig wiederkehrenden VfkE-Themas geradezu vorbildhaft engagiert. Zusammen mit dem Amt Rhinow sowie den Städten Premnitz, Rathenow und Havelberg konnte ein weithin sichtbares Signal für mehr Kooperation gesetzt werden. In einem gemeinsamen Zweckverband ist es erstmals gelungen, die Bundesgartenschau länderübergreifend in eine ganze Region zu holen. Im kommenden Jahr wird die wichtigste deutsche Gartenausstellung am Unterlauf der Havel stattfinden. Für die diesjährige Landesveranstaltung Brandenburg des VfkE konnte es also kaum einen besseren Ort geben als die alte märkische Hauptstadt. Im Zentrum der Debatten standen die Themen Energiewirtschaft, Strukturreformen und interkommunale Kooperation. Mit mehr als 70 Gästen aus Kommunalwirtschaft und Politik war das Treffen am 3. September eine der am besten besuchten Landesveranstaltungen in der elfjährigen Geschichte des VfkE. Lesen Sie im Folgenden eine Zusammenfassung der Referate und Debatten. zu den BUGA-Partnerstädten im Havelland hätte Brandenburg an der Havel deutlich unabhängiger agieren können. Brandenburg an der Havel übernehme, wie alle kreisfreien Städte, auch heute schon wichtige Funktionen für das Umland mit und strahle dorthin aus. Dass z.B. Patienten des städtischen Klinikums und des Gesundheitszentrums mittlerweile zu 60 Prozent aus dem Umland kommen, dass sich der neue Ausbildungsbereich Medizininformatik an der Fachhochschule Brandenburg an der Havel enormer Beliebtheit erfreut oder dass im Stadtgebiet eine Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie errichtet wurde, seien Erfolge, die unter anderem der eigenständigen Entscheidungskraft einer kreisfreien Stadt zu verdanken seien. All diese Errungenschaften, das Theater, der Standort der Symphoniker, das Freibad oder der erstklassige ÖPNV in der Stadt würden dann zur Disposition stehen. „Ich finde es erstaunlich, wenn sich Landesinnenminister Holzschuher dahingehend äußert, dass finanzielle Einsparungen nicht im Zentrum einer Gebietsreform stehen sollen“, so Dr. Tiemann. Wenn es denn aber gerade um Bürgernähe und professionelle Verwaltungsstrukturen gehen solle, dann seien die kreisfreien Städte bestens aufgestellt. Die Wege für die Bürger seien wesentlich kürzer und es gäbe immer Ansprechpartner vor Ort. Stefan Skora hat den Gang zwischen Kreisfreiheit und Kreiszugehörigkeit schon in beide Richtungen bewältigt. Er war zwischen 1990 und 1995 Mitarbeiter der Kreisverwaltung Hoyerswerda und ist mit dem 1996 neu errungenen Status der Kreisfreiheit in die Stadtverwaltung gewechselt.
Zentrale Orte und die Kreisfreiheit
Auszüge aus der Podiumsdiskussion
Nur elf Tage nach der VfkE-Landesveranstaltung wurde in Brandenburg gewählt. Das Ergebnis war zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses noch nicht bekannt. Vor dem Hintergrund von Energiewende und demografischem Wandel war die Frage, wie auch in Zukunft eine bürgernahe, effiziente und qualitativ hochwertige kommunale Aufgabenwahrnehmung organisiert werden kann, Schwerpunkt der Diskussion. Es debattierten die Oberbürgermeister von Brandenburg an der Havel und von Hoyerswerda (Sachsen), der Vorsitzende der VKU-Landesgruppe Berlin-Brandenburg sowie der Geschäftsführer des Brandenburgischen Städte- und Gemeindebundes. Moderator der Runde war der Chefredakteur dieses Blattes, Prof. Dr. Michael Schäfer.
Vor dem Hintergrund knapper kommunaler Finanzen und der Anforderungen des demografischen Wandels würden die regionalen Zentren als mögliche Ankerpunkte der Daseinsvorsorge immer stärker in den Vordergrund treten, so Prof. Dr. Schäfer. Direkt an Dr. Dietlind Tiemann gewandt, fragt er, welche Strukturen die Oberbürgermeisterin für langfristig tragfähig hält, weshalb Brandenburg an der Havel nicht Teil eines Landkreises werden möchte und welche Vorteile aus dem Status der Kreisfreiheit für die Umsetzung der Bundesgartenschau in Westbrandenburg erwachsen sind. „Die Kreisfreiheit ist für uns ein elementares Thema. Wir hätten die notwendigen Investitionen bei der Vorbereitung der Bundesgartenschau nicht zeitgenau tätigen können, wenn wir uns jedes Mal an einen Landkreis hätten wenden müssen“, so Dr. Tiemann. Auch im Vergleich 24
Die VfkE-Landesveranstaltung Brandenburg besuchten mehr als 70 kommunale Amts- und Mandatsträger aus allen Teilen der Mark.
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Verbundnetz für kommunale Energie
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Zwei Jahre nachdem Skora zum Oberbürgermeister gewählt wurde, ist Hoyerswerda mit der Sächsischen Verwaltungsreform 2008 wieder in einen Landkreis integriert worden. Gefragt wird Skora, wie er diese Prozesse erlebt hat und welchen Stellenwert aus seiner eigenen Erfahrung heraus der Status der
Kreisfreiheit einnimmt. „Die Stadt Hoyerswerda hatte schon vor der Sächsischen Verwaltungsreform die freiwillige Wiedereingliederung in einen Landkreis beschlossen“, stellt Skora klar. Grund dafür seien Haushaltszwänge gewesen. Nunmehr hätte der Haushalt nach schwierigen Jahren konsolidiert werden
können. Dennoch könne er kein eindeutiges Votum Pro oder Contra Kreisfreiheit abgeben. Denn es sei in der Tat nicht einfach, als größere kreisangehörige Stadt seine Interessen im Landkreis zu vertreten. Die Schlüsselzuweisungen würden deutlich geringer ausfallen, als zu Zeiten der Kreisfreiheit. Dies zwinge
Energieland Brandenburg
Aus dem Vortrag von Ralf Christoffers, Minister für Wirtschaft und Europaangelegenheiten des Landes BrandenBURG
Das Verbundnetz für kommunale Energie ist für mich eines der wichtigsten Diskussionsforen im Austausch mit den Kommunen. Hier werden nicht nur kommunale Interessen vertreten, sondern auch Impulse für eine stärkere Zusammenarbeit innerhalb der kommunalen Ebene gesetzt. Die Netzausbaukosten in Ostdeutschland liegen aktuell bei zwei bis drei Cent pro Kilowattstunde. Das Problem ist uns bekannt und wir versuchen bei den anderen Bundesländern Verständnis für diese Situation zu schaffen. Es kann nicht sein, dass sich das enorme Engagement Ostdeutschlands bei der Erzeugung Erneuerbarer Energien in vergleichsweise hohen Stromkosten niederschlägt, die in den Ländern und vor Ort durch soziale Transfers ausgeglichen werden müssen. Hintergrund ist, dass sich vor allem die süddeutschen Länder aus der Solidargemeinschaft zum bundesweiten Netzausbau verabschieden. Ich hoffe, dass wir in Bälde zu einer für alle Bundesländer verträglichen Lösung kommen können. Bei allen Konflikten ist es uns in Brandenburg gelungen, die Kommunen und die regionalen Planungsgemeinschaften an der Erarbeitung eines Landesenergiekonzepts zu beteiligen. Das Konfliktpotential ist groß und so werden wir nur zu ausgewogenen Entscheidungen kommen, wenn alle Akteure adäquat einbezogen werden. Für die Entwicklung von insgesamt 30 kommunalen Energiekonzepten im Land Brandenburg hat das Land erhebliche finanzielle Mittel bereitgestellt. Auch an deren Umsetzung wollen wir uns gemäß unserer Möglichkeiten beteiligen. Die Kommunen müssen als wichtige Treiber der Energiewende davon auch profitieren können. Wir stellen uns stets die Frage, wie wir dieses Wertschöpfungspotential möglichst vollumfänglich realisieren und im Land behalten können. In einer aktuellen Studie des Bundesverbandes Windenergie ist mit Brandenburg erstmals ein Bundesland in Bezug auf das Potential zur Erzeugung Erneuerbarer Energien untersucht worden. Die Bruttowertschöpfung liegt laut dieser Studie bei 995,3 Millionen Euro. Hier ist die gesamte Wertschöpfungskette von den Anlagen der Erzeuger bis hin zu den Steuereinnahmen abgebildet. Das Aufkommen von Steuer- und Sozialversicherungsbeiträgen lag im Jahre 2012 bei 134 Millionen Euro. Davon flossen 31,9 Millionen direkt dem Land Brandenburg zu. Gegenwärtig arbeiten circa 5.400 Beschäftigte in diesem Bereich. Die Energiewirtschaft hat sich bis heute zu einem der zentralen Segmente der Brandenburger Wirtschaftsstruktur entwickelt. nen die notwendige Sicherheit gegeben werden, um eine angemessene Rolle bei der Energiewende spielen zu können. Auch aufgrund der Initiative des Landes Brandenburg konnte im Bund eine Verbesserung der Investitionsbedingungen für 110 kv-Netze erreicht werden. Jetzt muss auch für deren Unterhalt ein angemessener Rahmen gefunden werden. Auch hier werden wir die Kommunen in den Diskurs einbinden. Insgesamt muss geklärt werden, wie die Rolle der Stadtwerke und der Kommunen bei der Energieerzeugung perspektivisch sicher ausgestaltet werden kann. Die Einbeziehung der Kommunen und der Stadtwerke ist für mich eine Schlüsselfrage der Energiewende. Wenn wir die Kosten der Regulierung nicht in den Griff bekommen, dann werden wir die Energiewende nicht umsetzen können. Deswegen haben wir den Vorschlag unterbreitet, für mindestens ein Jahr die Mehrwertsteuer entweder auf den reduzierten Satz zu senken oder aber die Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß zurückzudrehen. Damit könnten die Haushalte um durchschnittlich 60 Euro jährlich entlastet werden. Dieser Zeitraum soll genutzt werden, um einen Konsens zum Regulationswerk der Energiewende herzustellen. Denn allein mit den Netzeingriffen verbinden sich enorme Kosten, die eine bundesweit einheitliche Lösung erforderlich machen. Brandenburg ist ein Land der Erneuerbaren Energien. Wir haben nicht nur versucht, die politischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, sondern wollen auch die notwendige Finanzierung sicherstellen. In Abstimmung mit der EU und dem EFRE-Fonds soll das RENplus-Programm zu einem der zentralen Steuerungsinstrumente der Energiewende im Land Brandenburg ausgebaut werden. Hier geht es um die Frage der Energieeffizienz aber auch um die Speicherung von Energie. Bislang wurden 92 Millionen Euro investiert. Die Technologie ist bereits weiter, als es in der politischen Diskussion erscheinen mag. Allerdings muss nun auch ein geeigneter regulatorischer Rahmen für deren Anwendung gefunden werden. Mit Power-to-heat und Power-to-gas verbinden sich enorme Potentiale. Auch Untergrund- und Kavernenspeicher können eine wichtige Rolle spielen.
Nachhaltig und ganzheitlich
Wir haben im Land inhaltlich und auch hinsichtlich der Finanzierung gute Voraussetzungen entwickelt. Nun brauchen wir endlich einen tragfähigen Gesamtkonsens. Aus 16 Energiekonzepten der Länder, eines des Bundes und eines der EU muss nun endlich eine ganzheitliche Strategie erwachsen. Bundesweit hat man sich geeinigt, den Netzausbau in Bezug auf 380 kv-Netze voranzutreiben. Bayern hat dem zugestimmt. Nun hat die jüngste Kommunalwahl die CSU offensichtlich dazu verleitet, die Trasse nicht mehr durch den Freistaat führen lassen zu wollen. Jeder der sich in der Energiewirtschaft auskennt, weiß, was dies für die äußerst komplexe Netzstruktur bedeutet. Wir können es uns nicht leisten, aufgrund regionaler Egoismen das gesellschaftliche Großprojekt der Energiewende zu gefährden. Irgendwo ist in Deutschland immer Wahlkampf, weshalb es eines Grundkonsens und einer politischen Verlässlichkeit bedarf. Ich weiß, dass wir noch nicht dort sind, wo wir sein könnten. Dennoch will ich auch an dieser Stelle dafür werben, dass sich die Kommunen weiterhin intensiv und partnerschaftlich in den Diskurs einbringen.
Die Rolle der Kommunen
Die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes stellt maximal einen ersten Schritt dar. Die Hauptarbeit liegt noch vor uns. Das Energiewirtschaftsgesetz, die Kraft-Wärme-Kopplung, die Finanzierung der Energiewende oder die Deckelung von Kosten – all dies ist bis heute noch nicht hinreichend geklärt. Der Bundeswirtschaftsminister hat in einem ZehnPunkte-Plan deutlich gemacht, dass bis Ende 2015 das gesamte Regulationswerk zur Energiewende vorliegen soll. Ein zentrales Problem, das insbesondere im Hinblick auf die Stadtwerke gelöst werden muss, ist die Kapazitätsfrage. Ohne funktionierende Kapazitätsmechanismen wird es keine Investitionssicherheit geben. Deswegen wird sich das Land Brandenburg für geeignete Instrumente einsetzen. Nur so kann den KommuUNTERNEHMERIN KOMMUNE • AUSGABE 03 / SEPTEMBER 2014
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Verbundnetz für kommunale Energie
Eine ganze Region wirkt zusammen
Aus dem Vortrag von Dr. Dietlind Tiemann, Oberbürgermeisterin der Stadt Brandenburg an der Havel
Das Verbundnetz für kommunale Energie steht schon dem Namen nach für Kooperation und für Engagement. Diese Plattform setzt sich seit mehr als einem Jahrzehnt für die Belange der Kommunen ein und gibt Impulse für Zusammenarbeit und Austausch. Wir freuen uns, dass das VfkE erstmals in Brandenburg an der Havel gastiert. Spätestens wenn die Kräfte des Einzelnen nicht mehr ausreichen, muss sich der Mensch mit anderen verbinden. Kommunen und kommunale Unternehmen sind gehalten, die Aufgaben der Daseinsvorsorge zu erfüllen. Ein zentraler Aspekt dieses Auftrags ist die Versorgung mit bezahlbarer Energie. Hier wird es in Zukunft noch stärker auf interkommunale Kooperationen ankommen. Denn im Interesse der Bürger und vor dem Hintergrund der enormen Herausforderungen müssen sich kommunale Unternehmen möglichst partnerschaftlich aufstellen. Die Zusammenarbeit darf dabei nicht an den Grenzen einzelner Kommunen oder auch Bundesländer stehenbleiben. In der Energieversorgung haben die Städte Premnitz, Rathenow und Brandenburg an der Havel bereits erste gemeinsame Ideen entwickelt. Die Stadtwerke Brandenburg an der Havel, die Stadtwerke Premnitz und die Energie- und Wärmeversorgung Rathenow arbeiten im Hinblick auf Netzsicherheit, Energieerzeugung und regenerative Energien zusammen. So ist unter anderem ein gemeinsames Biomasse-Projekt für die Region Westbrandenburg initiiert worden. zu erwartenden Schwierigkeiten, noch von der Konkurrenz der Mitbewerber abschrecken lassen. Beherzt wurden die ersten konzeptionellen Schritte unternommen und die Bürger jederzeit einbezogen. Entscheidend war, dass es keine der fünf Kommunen alleine geschafft hätte. Und so kann die gemeinsame Bundesgartenschau auch als Beispiel dienen, wie aus der Analyse von Herausforderungen und Potentialen die richtigen Schlüsse gezogen werden können. Kooperationen können indes nur gelingen, wenn sich alle Seiten auf mehr als nur ein akzeptables Miteinander einlassen. Ein gemeinsamer Zweckverband war für uns ein geeigneter Rahmen, die Partner institutionell zusammenzuführen. Dieses Instrument entsprach auch der vergaberechtlichen Vorgabe eines konkreten Ansprechpartners. Einen ausführlichen Beitrag zum Lehrforschungsprojekt „BUGARegion“ an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde finden Sie im Heftteil „Aus Forschung und Lehre“.
Wirtschaftsregion Westbrandenburg
Das gemeinsame Projekt der Bundesgartenschau ist sicherlich geeignet, Impulse für weitergehende Kooperationen zu setzen. Was nach 177 Tagen Bundesgartenschau bleiben wird, ist z.B. die gemeinsam mit den betreffenden Kommunen und dem Landeswirtschaftsministerium entwickelte Wirtschaftsregion Westbrandenburg. Premnitz, Rathenow und Brandenburg an der Havel erarbeiten gemeinsame Strategien für wirtschaftliche Entwicklung, für Berufsausbildung und für das Ansiedlungsmarketing. Voraussetzung einer solchen Zusammenarbeit ist jedoch, dass alle beteiligten Akteure die Kunst des Teilens beherrschen. Dabei darf nicht per se gelten, dass sich der größte Partner auch immer durchsetzen muss. Deshalb haben wir uns im Zusammenhang mit der Bundesgartenschau auch immer dazu bekannt, dass alle Kommunen genau eine Stimme erhalten. Wir befinden uns mitten in einem Prozess, den Henry Ford einst so charakterisierte: „Zusammenkommen ist ein Beginn, Zusammenbleiben ist ein Fortschritt, Zusammenarbeit ist ein Erfolg.“ In dieser Hinsicht haben wir große Fortschritte erzielt.
Bundesgartenschau in der Havelregion 2015
Zwischen den genannten Städten Premnitz, Rathenow und Brandenburg an der Havel, dem Amt Rhinow und der sachsen-anhaltischen Hansestadt Havelberg sorgt aktuell eine weitere Kooperation für Aufsehen. Erstmals konnte eine gesamte Region den Zuschlag für die Veranstaltung der Bundesgartenschau erringen. Fünf vollkommen unterschiedliche Kommunen in zwei Bundesländern verfolgten die kühne Idee, über 80 Kilometer hinweg am Unterlauf der Havel eine gemeinsame Gartenschau auszurichten. Zu Beginn des Projektes schlug uns noch überwiegend Skepsis entgegen, doch zusammen ist uns bereits ein Gutteil des Weges gelungen. Wir haben uns weder von den
Infrastruktur ausgerichtet worden. Anfang der 80er Jahre lebten in Hoyerswerda 74.000 Menschen, heute sind es 34.000. „Wir mussten mit diesem Einwohnerschwund umgehen lernen“, sagt Skora. Dank der Haushaltskonsolidierung falle es nun leichter, das Schwerpunktkrankenhaus, eine Veranstaltungshalle und ein großes Freizeitbad in der Stadt zu halten.
Kreisfreie Städte als Oberzentren stärken
Karl-Ludwig Böttcher hat sich als Mitglied einer Enquete-Kommission des Brandenburger Landtags intensiv mit der Frage nach den optimalen Aufgaben- und Verwaltungsstrukturen
Dr. Dietlind Tiemann
jedoch, alle Ausgaben kritisch zu hinterfragen. Und auch der Stadtrat müsse nun ökonomische Aspekte stärker in den Blick nehmen. Hoyerswerda wurde zu Zeiten des Braunkohle-Booms in der DDR für perspektivisch 100.000 Einwohner errichtet. Auf diese Dimensionen ist auch die leitungsgebundene 26
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Abseits der Debatte um administrative Strukturen können die Aufgaben in der Region nur über ausgeprägte interkommunale Netzwerke erfüllt werden.
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Stefan Skora
Ralf Christoffers
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beschäftigt. Dabei war es unter anderem seiner Initiative zu verdanken, dass die kreisfreien Städte des Landes in diesem Gremium überhaupt erst ihre Sichtweise darlegen konnten. „Wir fanden es als Städte- und Gemeindebund Brandenburg recht und billig, dass sich die Oberbürgermeister
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Verbundnetz für kommunale Energie
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der kreisfreien Städte zu potentiell mit weitreichenden Konsequenzen behafteten Reformkonzepten äußern können“, so Böttcher. Auch die von den aktuellen Debatten nur mittelbar betroffene Landeshauptstadt Potsdam hätte sich hier intensiv engagiert. „Es wäre ja auch kurios, wenn das Land Brandenburg Rechtsnormen gesetzt hätte, die am Ende nur noch auf eine einzige kreisfreie Stadt angewandt werden können.“ Böttcher stellt in diesem Zusammenhang die Frage, wie sich die von allen Parteien geforderte Stärkung der Oberzentren mit dem Entzug der Kreisfreiheit vereinbaren ließe. „Natürlich muss man sich dem demografischen Wandel stellen“, so Eine Strukturreform muss in erster Böttcher. Dennoch würden die jetzigen Linie aufgabenkritisch vorgehen, kreisfreien Städte um vor diesem Hintergrund die auf absehbare Zeit Frage nach der Sinnhaftigkeit von noch immer die größten Orte ihrer Strukturen offen und objektiv jeweiligen Region beantworten zu können. ______________________ bleiben. Im gerade laufenden WahlKarl-Ludwig Böttcher kampf würden sich nur noch die Bündnisgrünen offen zum Modell „Landkreise plus nur noch eine kreisfreie Stadt“ bekennen. Doch erst nach den Wahlen werde sich zeigen, wie nachhaltig der Meinungswandel bei den anderen Parteien ausgeprägt war. „In einem Flächenland wie Brandenburg mit immerhin knapp 30.000 Quadratkilometern gibt es mit Mittel- und Oberzentren nur zwei Kategorien Zentraler Orte“, so Böttcher. Dies sei innerhalb der Bundesrepublik ein „Alleinstellungsmerkmal“ Ohne eine deutlich verstärkte über dessen Sinninterkommunale Kooperation haftigkeit vor dem Hintergrund des werden wir den Herausdemografischen forderungen in der Region nicht Wandels ebenmehr gerecht werden können. falls nachgedacht Es geht gar nicht anders, dass die werden müsse. Städte in diesem Zusammenhang Böttcher zeigt VerAnkerfunktionen übernehmen. ständnis, dass die ______________________ Diskussionen um die optimalen AufHelmut Preuße gaben- und Verwaltungsstrukturen in Brandenburg noch nicht abgeschlossen seien. Dennoch müsse man in der kommenden Legislaturperiode zu einer tragfähigen Lösung kommen, die mittelfristig umgesetzt werden kann. Abschließend plädiert er für einen weitreichenden Aufgabentransfer vom Land auf die Landkreise und kreisfreien Städte sowie von den Landkreisen auf die Städte und Gemeinden. „Wir leben in einer neuen Welt, bedienen uns aber noch immer der alten Begrifflichkeiten“, Die kreisfreien Städte sind entgegnet Prof. Dr. wichtige und funktionierende Schäfer. Im Norden Ankerpunkte für eine erfolgreiche Brandenburgs gäbe Entwicklung unseres gesamten es schon heute Landes. Diesen Weg sollten wir keine einzige kreisfreie Stadt. „Die für die Bürgerinnen und Bürger Funktionalitäten konsequent weiter gehen. ______________________ in den Städten dort unterscheiden sich Dr. Dietlind Tiemann nicht grundlegend
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Netze für neue Energie
Bereits heute liegt der Anteil grünen Stroms im E.DIS-Netz bei rund 80 Prozent – 2015 werden es nahezu 100 Prozent sein. Mit modernen und leistungsstarken Netzen sorgen wir für eine sichere Energieversorgung in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. So investieren wir seit 15 Jahren in die Zukunft unserer Region. www.e-dis.de
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Jahre
Energie für die Region
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Verbundnetz für kommunale Energie
von denen einer kreisfreien Stadt. Wenn Daseinseingehend begutachtet worden seien. Selbstdiesem Hintergrund die Frage nach der Sinnvorsorge in Zukunft deutlich regionaler gedacht verständlich müsse vor einer Kreisreform haftigkeit von Strukturen offen und objektiv werden soll, muss dann nicht auch der Großteil auch geprüft werden, welche Funktionen die beantworten zu können. Neben den Städten der Mittel und das Gros der Aufgaben an diese Zwischenebene der Landkreise überhaupt noch und Gemeinden, die dies gezwungenermaßen Kommunen transferiert werden?“ Karl-Ludwig erfüllen soll und kann. Schon heute seien kaum ohnehin schon ständig tun, und den Landkommunalen Energieversorger des Landes Brandenburg räumen interkommunalen Kooperationen Böttcher verweist in diesem Zusammenhang erheblicheSelbstverwaltungsaufgaben bei den Landkreisen sindkreisen, müssten sich auch die Landesbehörden Optimierungspotentiale ein. Nur 20 Prozent der Befragten der Ansicht, dass diese Möglichkeiten derzeit gut ausgeschöpft werden. 80 Prozent dagegen meinen, Hinblick auf eine möglichst hohe Effizienz auf die Strukturen in Schweden und Däneangesiedelt. Eine Strukturreform müsse in im dass dies nur befriedigend bzw. mangelhaft gelingt. In der VfkE-Befragung aus dem Jahre 2012 hatten noch mehr radikal hinterfragen. mark, die auch von der Enquete-Kommission Prozent denLinie aufgabenkritisch vorgehen, mit gut eingeschätzt – dies allerdings mit erster Status interkommunaler Kooperationen um vor als 70
dem Fokus auf Bundesländer übergreifende Kooperationen. Diese stark negative Tendenz aus den Befragungen 2012 und 2014 kann als Beleg dafür gewertet werden, dass die Sensibilität für die „Stadtwerke-Befragung“ des Verbundnetz für kommunale Daseinsvorsorge wachsende Notwendigkeit interkommunaler Kooperationen auf dem Gebiet der Energie (VfkE) zu Energiewende und gestiegen ist. Die Mehrzahl der kommunalen Versorger in Brandenburg sieht die Gründe für die Ergebnisse interkommunaler Kooperation – die BRANDENBURGER empfundenen Defizite in der Sphäre der Kommunalpolitik. Hier müsse insbesondere das verbreitete Kirchturmdenken überwunden werden, sagten 40 Prozent der Befragten. Dies entspricht nahezu In seiner aktuellen Studie für die Jahresveranstaltung am aus dem Jahre 2012. In der bundesweiten Studie des Deutschen 29. Interkommunale Kooperationen deckungsgleich den Ergebnissen Oktober in Lutherstadt Wittenberg hat das Verbundnetz für kom- 2005 waren es noch ungünstige politische Im Zusammenhang von Energiewende, demografischen HerausforderunInstituts für Urbanistik aus dem Jahre Rahmenbedingungen, die nach Ansicht gen und unverändert knappen besseren munale Energie (VfkE) ostdeutsche Stadtwerke und kommunale der meisten Befragten einer stärken und kommunalen Kassen gewinnen KooperaZusammenarbeit entgegenstehen. Energieversorger nach den Implikationen der Energiewende und ist der starke Aufwuchs kleinteiliger regionaler Lösungen in der tionen zwischen Kommunen und kommunalen Unternehmen eine stetig Ein aktueller Trend der Energiewende Erzeugung aus Erneuerbaren Energien. wachsende Relevanz. dem kommunalen den diesbezüglichen Potentialen interkommunaler Kooperationen Inwiefern diese Entwicklung In der aktuellen Befragung wurde daher auch diesem Solidargedanken zuwiderläuft oder nicht, befragt. Auch die kommunalen Energieversorger in Brandenburg darüber sind sich die kommunalen Unternehmen in Themenschwerpunkt starke Beachtung geschenkt. Die Fragen knüpfen hier Brandenburg uneins. Zwei Drittel der Befragten sehen die Gefahr, dass der dezentrale Ansatz der waren an dieser Erhebung beteiligt. Lesen Sie im und die oft populistische an vorangegangene Erhebungen an. Bereits im Jahr 2012 hatte sich das „Energiewende" Folgenden eine Propagierung von Energieautarkie auf kommunaler Ebene das Solidarprinzip sowohl kurze Zusammenfassung der Brandenburger Ergebnisse. auf regionaler wie auf überregionaler Ebene gefährden kann. Das in einer Befragung den PotenVerbundnetz für kommunale Energie (VfkE) verbleibende Drittel kann kein derartiges Problem erkennen.
Die politische Umsetzung der Enertialen interkommunaler Kooperationen Stadtwerke-Befragung des Verbundnetz für kommunale gewidmet. Und auch das Deutsche Ingiewende wird bei den kommunalen (Grafik 1) Energie 2014. Teilwerk Brandenburg. Energieversorgern in Brandenburg Stadtwerke-Befragung des Verbundnetz für kommunale Energie 2014. Teilwerk Brandenburg. Urbanistik (difu) untersuchte stitut für Die Potentiale interkommunaler Kooperationen sind in unserer überwiegend kritisch beurteilt. Für die Die Potentiale interkommunaler Kooperationen sind in wie folgt erschlossen?Einschätzung aktuell wie diesen Themenkomplex. Zusammen mit Region nach meiner Einschätzung aktuell unserer Region nach meiner Erreichung einzelner Zielkriterien wie folgt erschlossen? – Angaben in Prozent der aktuellen VfkE-Studie lassen sich nun – Angaben in Prozent Planungssicherheit, Chancengleichheit, mittelfristige Trends zur interkommuna60 Plausibilität und Konsistenz bzw. Nachlen Kooperation formulieren. Die kom60 haltigkeit und Zukunftsfähigkeit wird mit munalen Energieversorger des Landes 50 „befriedigend“ überwiegend die zweitBrandenburg räumen interkommunaschlechteste Antwortmöglichkeit gewählt. len Kooperationen erhebliche Optimie40 Die Note „sehr gut“ wird überhaupt nicht rungspotentiale ein. Nur 20 Prozent der 30 und ein „gut“ nur sehr selten erteilt. Befragten sind der Ansicht, dass diese 20 20 Möglichkeiten derzeit gut ausgeschöpft Besserung scheint kaum in Sicht. Denn 20 werden. 80 Prozent dagegen meinen, auch die aktuellen gesetzlichen Novel10 dass dies nur befriedigend bzw. mangellierungen ernten überwiegend Kritik und 0 Skepsis. Kein einziges Stadtwerk ist der haft gelingt. In der VfkE-Befragung aus sehr gut gut befriedigend mangelhaft Ansicht, dass diese neuen Regelungen dem Jahre 2012 hatten noch mehr als den von der Bundesregierung definier70 Prozent den Status interkommunaler Die Landesveranstaltung Brandenburg wurde dokumentiert von Falk Schäfer Kooperationen mit gut eingeschätzt – dies allerdings mit dem Fokus auf ten grundsätzlichen Zielen „sehr gut“ oder „gut“ gerecht werden. Bild 1 – Dateiname: IMG_9733 Ähnlich verhält es sich mit der Frage, ob für 2014 ein schlüssiges Konzept Bundesländer übergreifende Kooperationen. Diese stark negative Tendenz Ralf der befragten Unternehmen aus den Befragungen 2012 und 2014 kann als Beleg dafür gewertet werfür die Energiewende erwartet wird. Nur eines Christoffers hegt diesbezüglich Hoffnungen. 70 ProzentBild 2 – Dateiname: IMG_9740 und den, dass die Sensibilität für die wachsende Notwendigkeit interkommunarechnen damit „eher nicht“ Dr. Dietlind Tiemann 20 Prozent sehen komplett schwarz. ler Kooperationen auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge gestiegen ist. Die Besorgniserregend ist die Tatsache, dass gerade für die kommunalen Versorger Mehrzahl der kommunalen Versorger in Brandenburg sieht die Gründe für im Zuge der Energiewende und der dazu getroffenen Regelungen vielfältige die empfundenen Defizite in der Sphäre der Kommunalpolitik. Hier müsse Risiken gesehen werden. Die meisten Antworten entfallen auf die Kategorien insbesondere das verbreitete Kirchturmdenken überwunden werden, sagten „Preisrisiken auf Seiten der Kunden wegen weiter steigender Preise und weiter 40 Prozent der Befragten. Dies entspricht nahezu deckungsgleich den Erabnehmender ökonomischer Leistungskraft“, „Risiken durch steigende Kosten, gebnissen aus dem Jahre 2012. In der bundesweiten Studie des Deutschen die nicht durch Effizienzgewinne ausgeglichen werden können“, und „Risiken Instituts für Urbanistik aus dem Jahre 2005 waren es noch ungünstige polidurch ungebremste Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Quellen“. tische Rahmenbedingungen, die nach Ansicht der meisten Befragten einer Auch die „Nichtanerkennung von Kosten bei den Genehmigungen der Netz- stärken und besseren Zusammenarbeit entgegenstehen. nutzungsentgelte“ wird mehrheitlich mit Risiken assoziiert. Insgesamt wer- Ein aktueller Trend der Energiewende ist der starke Aufwuchs kleinteiliger reden seitens der Brandenburger Stadtwerke Ertragsminderungen mittleren gionaler Lösungen in der Erzeugung aus Erneuerbaren Energien. Inwiefern Ausmaßes im Kontext der Energiewende prognostiziert. diese Entwicklung dem kommunalen Solidargedanken zuwiderläuft oder Die identifizierten Risiken werden laut der Mehrheit der kommunalen Branden- nicht, darüber sind sich die kommunalen Unternehmen in Brandenburg unburger Energieversorger zu einer geringeren Gewinnabführung an die kommu- eins. Zwei Drittel der Befragten sehen die Gefahr, dass der dezentrale Ansatz nalen Haushalte führen. Etwa ein Drittel der befragten Versorger ist in einen der „Energiewende” und die oft populistische Propagierung von Energieausteuerlichen Querverbund mit Bädern und dem ÖPNV eingebunden. Fast alle tarkie auf kommunaler Ebene das Solidarprinzip sowohl auf regionaler wie dieser Unternehmen erwarten, dass die damit zusammenhängenden finanziel- auf überregionaler Ebene gefährden kann. Das verbleibende Drittel kann kein derartiges Problem erkennen. len Transfers in Zukunft nicht mehr vollständig gewährleistet werden können.
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Verbundnetz für kommunale Energie
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Ankerpunkte der Daseinsvorsorge
Helmut Preuße ist nicht nur Vorsitzender der Landesgruppe Berlin-Brandenburg im Verband kommunaler Unternehmen, sondern auch Geschäftsführer der Stadtwerke Schwedt. Im Landkreis Uckermark würde die Stadt Schwedt schon heute die Funktion eines Mittelzentrums erfüllen, so Preuße. Die gesamte Region im Nordosten Brandenburgs versuche schon seit Jahrzehnten, sich mit dem rasanten demografischen Wandel zu arrangieren. Vor diesem Hintergrund müssten auch die drei uckermärkischen Stadtwerke in Angermünde, Prenzlau und Schwedt verstärkt versuchen, Strukturen übereinanderzulegen und Effizienzgewinne zu realisieren. „Ohne eine deutlich intensivierte interkommunale Kooperation werden wir den Herausforderungen in der Region nicht mehr gerecht werden können. Es geht gar nicht anders, dass die Städte in diesem Zusammenhang Ankerfunktionen übernehmen.“ Prof. Dr. Schäfer schließt die Frage an, ob es ein für alle Seiten befriedigender Weg sein könne, unabhängig von der Kreisfreiheit weitere Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises an Zentrale Orte in den jeweiligen Regionen zu transferieren. Dr. Tiemann antwortet: „Einer Änderung administrativer Strukturen müsse immer die Frage
Die Teilnehmer der PODIUMSDISKUSSION
(in namensalphabetischer Reihenfolge)
Karl-Ludwig Böttcher – Geschäftsführer Städte- und Gemeindebund Brandenburg Helmut Preuße – Vorsitzender der Landesgruppe Berlin-Brandenburg im Verband kommunaler Unternehmen (VKU) Stefan Skora – Oberbürgermeister der Stadt Hoyerswerda Dr. Dietlind Tiemann – Oberbürgermeisterin der Stadt Brandenburg an der Havel Moderation Prof. Dr. Michael Schäfer – Chefredakteur von UNTERNEHMERIN KOMMUNE
Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion – Prof. Dr. Michael Schäfer, Helmut Preuße, Dr. Dietlind Tiemann, Stefan Skora und Karl-Ludwig Böttcher (v.l.n.r.)
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Sparkassen. Gut für Deutschland. 29
Verbundnetz für kommunale Energie
Das Altstädtische Rathaus von Brandenburg an der Havel gilt als ein herausragendes Beispiel gotischer Backsteinbaukunst – rechts daneben der Brandenburger Roland.
nach Aufgaben und Verantwortlichkeiten vorangehen. Wir sind gehalten, die Interessen der Bürger möglichst zeitnah zu vertreten und deren Mitwirkung zu gewährleisten.“ Die Stadt Brandenburg an der Havel hätte in den vergangenen drei Jahren die geburtenstärksten Jahrgänge seit der Wende verzeichnen können. Insofern sollte die Frage nach den optimalen Strukturen mit etwas mehr Optimismus gestellt werden. „Wie kann es uns gelingen, unser Land so attraktiv aufzustellen, dass die Menschen hier bleiben und Familien gründen?“ Parallel dazu müsse versucht werden, Synergien bestenfalls vollumfänglich auszuschöpfen. „Die Dinge, die den Bürger nicht
unmittelbar betreffen, können durchaus zentral an irgendeiner Stelle im Land vorgehalten werden.“ Die Stadt Brandenburg an der Havel hätte zu etlichen Gelegenheiten bewiesen, dass sie offen ist für interkommunale Kooperationen. „Wenn man uns die Kreisfreiheit nehmen möchte, dann solle man zunächst einmal nachweisen, dass die übertragenen Aufgaben nicht mehr angemessen erledigt werden können“, so Dr. Tiemann. Bislang sei dieser Nachweis nicht erbracht worden. „Wir werden in diesem Land nicht besser werden, indem wir die Starken schwächen.“ Umgekehrt müssten die großen Städte gestärkt werden, damit
Nicht nur in Bezug auf die Energiewende, sondern auch im Hinblick auf den gesamten Kanon der Daseinsvorsorgeleistungen leiden Kommunen und ihre Unternehmen darunter, dass Landes- und Bundespolitik ihren Kernauftrag nicht erfüllen – nämlich verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Entwicklung mittelfristiger Strategien ermöglichen könnten. Generell gilt jedoch, dass gerade in Ostdeutschland kein Weg an einer stärkeren regionalen Orientierung von Daseinsvorsorge vorbeiführt. Das Schlagwort heißt hier „interkommunale Kooperation“. Die Stadt Brandenburg an der Havel und die umliegende Region Westhavelland haben nicht zuletzt durch die erfolgreiche BUGA-Bewerbung ein erstaunliches Maß an Offenheit gegenüber Partnerschaft und Austausch unter Beweis gestellt. Falk Schäfer
sie sich zu zentralen Ankerpunkten der Daseinsvorsorge entwickeln könnten. Brandenburg an der Havel böte schon heute die dazu notwendigen infrastrukturellen Voraussetzungen. Und so sei es genau der falsche Weg, den traditionsreichen und gewachsenen Zentren der Mark ihre städtische Identität zu nehmen, ist die Oberbürgermeisterin überzeugt. Hoyerswerda sei auch nach dem Entzug der Kreisfreiheit nicht in die Bedeutungslosigkeit gefallen, antwortet Oberbürgermeister Skora. „Wir sind noch immer Große Kreisstadt und können unsere unmittelbaren Belange weitgehend allein gestalten.“ Im klassischen Sinne eines Mittelzentrums fungiere Hoyerswerda heute als Ankerpunkt von Daseinsvorsorgeleistungen für die Kommunen im Norden des Landkreises Bautzen. Abseits der Debatte um administrative Strukturen könnten die Aufgaben in der Region nur über ausgeprägte interkommunale Netzwerke erfüllt werden. Skora stört allerdings, dass kommunale Funktionalitäten zumindest im Freistaat Sachsen zu sehr mit Bezug auf die Landkreise diskutiert würden. Vielmehr gelte es, die Städte und Gemeinden als das tatsächliche Lebensumfeld der Bürger zu stärken. n Die Landesveranstaltung Brandenburg wurde dokumentiert von Falk Schäfer
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Roundtable
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Kommunen und Regionalversorger in Ostdeutschland
Das neue Energiezeitalter gemeinsam gestalten
Roundtable-Gespräch am 14. August in Potsdam
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ie Nachwende-Geschichte der kommunalen Energieversorgung in Ostdeutschland begann mit dem Stromstreit vor dem Bundesverfassungsgericht aus dem Jahre 1992. Die Klage von 192 ostdeutschen Kommunen endete mit einem Vergleich, der die Rückgabe des Stromvermögens an die Kommunen und die Option größerer Kommunen zur Bildung eigener Stadtwerke enthielt. Insbesondere kleinere Kommunen nutzten in der Folge auch die Möglichkeit, sich an den teilweise schon bestehenden Regionalversorgern auf dem Gebiet der neuen Bundesländer zu beteiligen. Die daraus resultierenden Strukturen lassen sich bis heute nachvollziehen, stehen aber vor dem Hintergrund der Energiewende und des Trends der Rekommunalisierung wieder verstärkt zur Debatte. Eine weitere, gerade für die ostdeutschen Kommunen evidente Entwicklung verlangt jedoch nach stärkerer Kooperation. Die Auswirkungen des demografischen Wandels lassen sich nur bewältigen, wenn der Solidargedanke vor singulären Interessen gewürdigt wird. Die ostdeutschen Regionalversorger mit ihren nennenswerten kommunalen Beteiligungen stehen allerdings verstärkt vor der Situation, dass insbesondere in dicht besiedelten, also ertragsbringenden, Gebieten Netzkonzessionen verloren gehen. Daraus entstand die Idee, die Implikationen der oben angerissenen gesellschaftlichen und energiemarktspezifischen Entwicklungen gemeinsam mit den Kommunen und den Regionalversorgern zu diskutieren. Am Tisch vertreten waren Regionalversorger aus allen fünf neuen Bundesländern. Für die kommunale Seite diskutierten die beiden dienstältesten Geschäftsführer deutscher Städte- und Gemeindebünde, ein Landrat a.D., der als Vorsitzender der Kommunalen Energie Beteiligungs-Gesellschaft Thüringen AG (KEBT AG) die spektakulärste Rekommunalisierung der jüngsten Zeit maßgeblich begleitet und ein sächsischer Bürgermeister, der die interkommunale Energiekooperation in seiner Region schon seit Wendezeiten prägt. Lesen Sie im Folgenden eine Zusammenfassung des Roundtable-Gespräches zur Zukunft der ostdeutschen Regionalversorger vom 14. August in Potsdam.
„Speziell in den überwiegend strukturschwachen Regionen der neuen Bundesländer wird es in allen Bereichen der Daseinsvorsorge zu einer stärkeren Regionalisierung kommen müssen“, leitet Prof. Dr. Michael Schäfer die Debatte ein. Er fragt, ob diese These geteilt wird, und wie das schwieriger werdende Marktumfeld generell in die Bildung von Strategien zu einer nachhaltigen Gewährleistung von Daseinsvorsorgeleistungen einfließt. Sicherlich seien die Strukturen hier und da noch zu kleinteilig, entgegnet Caspar Baumgart. Insbesondere kleinere Stadtwerke könnten mit den wachsenden Herausforderungen der kommenden Jahre möglicherweise Schwierigkeiten bekommen. Aktuell würden die betrieblichen Ergebnisse allerdings noch stimmen, weshalb es einer gewissen Weitsicht bedürfe, weit reichende Kooperationen schon heute zu initiieren, so der Vorstand der WEMAG AG. Ob dies gelänge, hänge auch von den politischen Konstellationen zwischen Oberzentren und Umlandkommunen ab. Bei der Erzeugung von Erneuerbaren Energien werde schon in diesem Jahr ein Versorgungsgrad von 100 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern erreicht. Insofern sähen viele Stadtwerke keine Notwendigkeit, sich in diesem Feld mit dem Umland zu verzahnen, so Baumgart. „Energie ist noch immer die Sparte der kommunalen Versorgungswirtschaft, mit der sich am ehesten Gewinne erzielen lassen. Deshalb wird dieser Bereich in Zukunft verstärkt zum Ausgleich anderswo entstehender Verluste herangezogen werden“, so Prof. Dr. Schäfer. In diesem Zusammenhang wird gefragt, wie die aktuellen Entwicklungen mit Blick auf die gesamte Daseinsvorsorgewirtschaft eingeschätzt werden. Detlef Nonnen, Geschäftsführer der eins energie in Sachsen GmbH & Co. KG, verweist auf die sich weiter ausdifferenzierenden regionalen Disparitäten. „Wir können nicht mehr in Gänze vom strukturschwachen Osten sprechen“, so Nonnen. Mittlerweile gehe es einigen Regionen wirtschaftlich gut. Vorherrschend seien allerdings noch immer Landstriche, in denen sich gewaltige Herausforderungen stellen. In Südsachsen
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Roundtable
Die Runde traf sich in der Geschäftsstelle des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg in Potsdam.
entwickle sich der industrielle Verflechtungsraum um Chemnitz und Zwickau recht positiv. Dies ließe sich unter anderem an den deutlich gesunkenen Arbeitslosenzahlen ablesen. In einigen erzgebirgischen Kommunen zeige sich ein gegenläufiger Trend. Nonnen ist in Personalunion auch Geschäftsführer der städtischen Verkehrs- und Versorgungsholding in Chemnitz. Der steuerliche Querverbund zwischen Energie und ÖPNV spiele in den Kommunen eine zentrale Rolle. „Noch können die in Chemnitz entsprechend der städtischen Anteile an der eins energie in sachsen generierten Ausschüttungen die Verluste des ÖPNV ausgleichen. Unter den aktuellen Rahmenbedingungen wird es aber immer schwieriger, diese Substitutionsfunktion auch in Zukunft in Gänze zu erfüllen.“ Steffen Ludwig ergänzt, dass es umso wichtiger sei, die Kooperationen zwischen der Stadt Chemnitz und dem südsächsischen Umland weiter zu vertiefen. „Vielleicht werden wir unser kommunales Eigentum in absehbarer Zeit weiter regionalisieren müssen“, so der Bürgermeister der Gemeinde Reinsdorf und gleichzeitig Vorsitzende des Aufsichtsrates der eins energie in Sachsen. Manfred Paasch schildert zwei Phänomene, die er aktuell im Energiemarkt erkennt. Zum Ersten würden viele kleinere Städte sich selbst engagieren wollen, um mögliche Gewinne über einen steuerlichen Querverbund auf defizitäre Sparten umlegen zu können. Zum Zweiten 32
könnten aber gerade kleinere Stadtwerke nur vergleichsweise geringe Effizienzwerte erzielen, womit sich die Gefahr einer wirtschaftlichen Schieflage für Unternehmen und Kommune erhöhe. Auf der politischen Ebene sollten Optimal- bzw. Mindestgrößen kommunaler Energieversorger noch stärker diskutiert werden. Möglicherweise ließen sich in der Beziehung zwischen Regionalversorgern und Kommunen kooperative Elemente noch weiter ausbauen. Denn vor dem Hintergrund des massiven Investitionsbedarfs beim Ausbau der Netze sei niemandem geholfen, wenn kleinere
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Vor dem Hintergrund des massiven Investitionsbedarfs beim Ausbau der Netze ist niemandem geholfen, wenn kleinere Kommunen erhebliche Risiken eingehen und damit funktionierende Regionalversorger in ihrer Region schwächen.
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Manfred Paasch
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Vielleicht werden wir unser kommunales Eigentum in absehbarer Zeit weiter regionalisieren müssen.
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Steffen Ludwig
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Kommunen erhebliche Risiken eingehen und damit funktionierende Regionalversorger in ihrer Region schwächen, so der Vorstand der E.DIS AG.
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Rekommunalisierung = Entsolidarisierung?
Prof. Dr. Schäfer fasst die Schilderungen der Regionalversorger dahingehend zusammen, dass eine Entsolidarisierung einzelner Kommunen
die ohnehin schon gewaltigen Aufwendungen im Hinblick auf die Energiewende zusätzlich belasten könnte. An die beiden am Tisch vertretenden Geschäftsführer ostdeutscher Städteund Gemeindebünde geht die Frage, wie dieser Umstand in den Kommunen selbst bewertet werde. „Die Regionalisierung der Daseinsvorsorge in Ostdeutschland war keine lineare und kontinuierliche Entwicklung. Am Anfang war der Prozess eher politisch geprägt, weshalb einige wirtschaftlich sinnvolle Strukturen zerschlagen wurden“, so Michael Thomalla. Fast vergessen sei heute, dass in den 90er Jahren eine massive Privatisierung vorangetrieben wurde und dass den kommunal handelnden Personen im Regelfall zu Unrecht wirtschaftliche Gestaltungskraft abgesprochen wurde. Insgesamt hätten sich die Strukturen
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aus Regionalversorgern, Stadtwerken und zunehmend selbstbewusster werdenden Kommunen zwar bewährt, dennoch müssten sie ständig vor den aktuellen Herausforderungen gespiegelt und fortlaufend angepasst werden. Dabei sei es von Vorteil, dass zwischen privaten Versorgungsunternehmen und den beteiligten Kommunen ein recht ausgeprägtes Vertrauensverhältnis herrsche. Die Kommunen sollten in diesem Verhältnis darauf drängen, dass ein möglichst großer Teil der Wertschöpfung in der Region gehalten werde. Sehr deutlich wendet sich Thomalla gegen eine „Rosinenpickerei“, bei der einige kleine Kommunen sich mit zweifelhaften Erfolgsaussichten der Solidargemeinschaft entziehen. Generell gelte es jedoch, die Kommunen gerade im ländlichen Raum zu unterstützen, wenn sie an der Energiewende partizipieren wollen. Aus den Anforderungen der Energiewende, vor allem aber aus den Implikationen des demografischen Wandels werde für alle Beteiligten das Erfordernis nach mehr Kooperation erwachsen, glaubt Zwischen der jüngst das Geschäftskommunalisierten Thüringer führende VorEnergie AG und den Stadtwerken s t a n d s m i t g l i e d des Städte- und im Land gibt es schon heute Gemeindetages vielfältige Kooperationen, die in MecklenburgZukunft noch weiter ausgebaut Vo r p o m m e r n . werden müssen. Thomallas Kollege ______________________ aus Brandenburg, Karl-Ludwig Peter Hengstermann Böttcher, sieht in der Integration und Steuerung kommunaler Beteiligungen auf der Ebene der kommunalen Spitzenverbände der Städte und Gemeinden einen deutlichen Vorteil der ostdeutschen Strukturen. „Wir haben die kommunalen Beteiligungen seinerzeit erkämpft, wir haben sie verteidigt und wir haben sie sukzessive weiterentwickelt. Deshalb werden wir sie auch angesichts der aktuellen Rekommunalisierungswelle nicht fraglos zur Disposition stellen. Wenn einige Kommunen nach mehr wirtschaftlicher Verantwortung streben, werden wir immer für kooperative Modelle eintreten.“ Letztlich müsse aber auch die Landes- und Bundespolitik mit verlässlichen Rahmenbedingungen dafür sorgen, dass sowohl die Privaten als auch die Kommunen in der Lage sind, ihre Potentiale bei der Gestaltung der Energiewende wahrzunehmen. So könne es nicht sein, dass dort, wo die höchste Erzeugung aus
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Karl-Ludwig Böttcher (l.) und Prof. Dr. Michael Schäfer
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Erneuerbaren Energien erreicht werde, die Wertschöpfung am geringsten ist. Auch die Frage der Planungssicherheit sei nicht geklärt. Die kommunalen Spitzenverbände wollen sich deshalb weiterhin intensiv in die Debatte zur Weiterführung der Energiewende einbringen, so der Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg.
Die Gestaltungskraft bei kommunalen Beteiligungen
Im Freistaat Thüringen hat es im vergangenen Jahr die größte Rekommunalisierung der vergangenen Jahre gegeben. „Dass eine derart große Zahl von Kommunen Eigentümer eines Regionalversorgers werde, sei in Deutschland
müssen“, so der Vorstandsvorsitzende der envia Mitteldeutsche Energie AG. „Nicht zuletzt weil wir als Unternehmen im Hinblick auf Konzessionen oder auch Kundenbeziehungen auf die Kommunen angewiesen sind, werden regionale Verankerung und Verschränkung mit den Kommunen auch in Zukunft grundlegende Elemente unserer Unternehmensstrategie bleiben.“ Allerdings seien die Ausgangsbedingungen in den Kommunen vor Ort recht unterschiedlich. Die meisten Investitionen für den Umbau
Der steuerliche Querverbund
Prof. Dr. Schäfer betont, dass die Energiewirtschaft der einzige Bereich sei, wo die Kommunen noch Erträge generieren könnten. Der steuerliche Querverbund werde auch des-
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Die Kommunen sind täglich gefragt, das gewachsene Vertrauen in ihre wirtschaftliche Gestaltungskraft aufs Neue zu rechtfertigen. Schließlich kann das Pendel der Rekommunalisierung auch wieder umschwenken, wenn die Erfolge des wirtschaftlichen Engagements ausbleiben.
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Michael Thomalla
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Wir haben die kommunalen Beteiligungen seinerzeit erkämpft, wir haben sie verteidigt und wir haben sie sukzessive weiterentwickelt. Deshalb werden wir sie auch angesichts der aktuellen Rekommunalisierungswelle nicht fraglos zur Disposition stellen.
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Karl-Ludwig Böttcher
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Nicht zuletzt weil wir als Unternehmen im Hinblick auf Konzessionen oder auch Kundenbeziehungen auf die Kommunen angewiesen sind, werden regionale Verankerung und Verschränkung mit den Kommunen auch in Zukunft grundlegende Elemente unserer Unternehmensstrategie bleiben.
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Tim Hartmann
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einmalig“, so Prof. Dr. Schäfer. Er fragt, ob die Thüringer Energie AG nun die Keimzelle für anderweitige Kooperationen bei der Daseinsvorsorge sein kann. „Zum aktuellen Zeitpunkt lässt sich dies noch nicht beantworten“, so Peter Hengstermann. Der ehemalige Landrat des Kyffhäuserkreises ist heute Vorsitzender der Kommunalen Energie Beteiligungs-Gesellschaft Thüringen AG (KEBT AG). Die kommunale Übernahme des eigenen Regionalversorgers hätte einigen Mut erfordert. Denn um die getätigten Kredite bedienen zu können, seien die beteiligten Kommunen noch auf Jahre hinaus auf verlässliche Ausschüttungen angewiesen. In diesem Zusammenhang gebe es einige, potentiell herausfordernde Markttendenzen, die aufmerksam beobachtet werden müssten, so Hengstermann. Prof. Dr. Schäfer wirft ein, dass eine gestaltende kommunale Beteiligung nur aus einer strategischen Planung erwachsen könne. Vor dieser Prämisse geht an Tim Hartmann die Frage, wie er den kommunalen Gestaltungsanspruch bei möglichen Beteiligungen einschätzt. „Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Kommunen an der Wertschöpfung in der Versorgungswirtschaft beteiligt werden 34
des Verteilnetzes im Zuge der Energiewende werden von den Regionalversorgern und nicht von den Stadtwerken getätigt. Auch hinsichtlich Teuerungsraten, Größenordnungen oder Effizienz gäbe es recht unterschiedliche Ausgangslagen. Bei der politischen Führung vermisst Hartmann klar strukturierte Vorgaben. Er merkt an, dass kleinere Versorger in der Regulierungspraxis der vergangenen Jahre bevorteilt worden seien. So ist es erklärbar, dass es weiterhin bundesweit 800 Versorger gibt, obwohl gerade kleinere Stadtwerke Effizienzsteigerungen nicht in vergleichbarer Form haben heben können. Das Marktvolumen werde in den kommenden Jahren deutlich schrumpfen. Parallel Steffen Ludwig (l.) und Detlef Nonnen würden vor allem bei den regenerativen Energien neue Eigentümer kennt. Die Stadtwerke eines Oberzentrums, der auf den Markt treten. Hartmann erwartet, immerhin viertgrößten Stadt des Ostens, haben dass sich im Zuge all dieser Entwicklungen sich mit einem kommunalen Zweckverband der Versorgungsmarkt weiter verändern wird. aus dem Umland auf Augenhöhe zusammenAktuell sei es aber schwierig, klare Tendenzen geschlossen, um gemeinsam die Versorgungszu prognostizieren. wirtschaft in der Region zu gestalten.“
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halb noch aufrechterhalten, weil der ÖPNV an vielen Standorten anders kaum finanziert werden könne. Aufbauend auf der Zustandsbeschreibung Tim Hartmanns fragt er, wie Kommunen und Unternehmen auf die geschilderten Szenarien reagieren können und welche Rolle die Kommunen bei der Formulierung von Strategien spielen müssten. Detlef Nonnen beleuchtet als Geschäftsführer der eins energie in sachsen die aktuelle Entwicklung anhand des eigenen Unternehmens. „Wir haben vor vier Jahren eine Fusion vollzogen, die deutschlandweit kaum Beispiele
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Michael Thomalla (l.) und Caspar Baumgart
Energie fürs Leben. ENSO macht e-mobil.
Manfred Paasch
Par tner im P
Prof. Dr. Schäfer entgegnet, dass kommunale Unternehmen zwar Impulse geben könnten, dass letztlich aber der kommunale Eigentümer strategische Vorgaben zum unternehmerischen Engagement entwickeln müsse. Er fragt, welche Prämissen dabei berücksichtigt werden müssen. „Vertrauen und Verlässlichkeit sind die grundlegenden Säulen einer kommunalen Beteiligung“, findet Michael Thomalla. Die Kommunen seien täglich gefragt, das gewachsene Vertrauen in ihre wirtschaftliche Gestaltungskraft aufs Neue zu rechtfertigen. Schließlich könne das Pendel der Rekommunalisierung auch wieder umschwenken, wenn die Erfolge des wirtschaftlichen Engagements ausbleiben. Eine enge Beziehung zwischen den beteiligten Kommunen
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Die erreichten Erfolge ließen darauf schließen, dass dies die richtige Strategie war und dass sie auch künftig noch tragfähig sei. Dieses Modell könne durchaus auch auf andere Regionen oder Sparten angewendet werden. Generell gelte, dass eine enge Zusammenarbeit zwischen den Vertretern der Gesellschafter und der Geschäftsführung bestehen müsse, um Herausforderungen erkennen, Strategien entwickeln und diese Konzepte dann auch umsetzen zu können. „Die kommunalen Eigentümer erwarten zu Recht, dass die Vorschläge hierfür aus den Unternehmen heraus erwachsen. Die Rolle der kommunalen Energiewirtschaft für gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturen vor Ort kann kaum überschätzt werden“, so Nonnen. Dies beträfe nicht nur den steuerlichen Querverbund, sondern auch die Auftragsvergabe, Arbeitsplätze und nicht zuletzt auch das Sponsoring für gesellschaftliche Aktivitäten in der Region.
und der Geschäftsführung sei Voraussetzung, um im schwierigen Geflecht politischer Vorgaben und wirtschaftlicher Notwendigkeiten reüssieren zu können. Größere Projekte ließen sich generell nur dann umsetzen, wenn auch die Akzeptanz der Bürger gewonnen werde. Und diese wiederum sei eng verbunden mit dem Grad der lokalen bis regionalen Wertschöpfung. Wenn Windparkanlagen in Mecklenburg-Vorpommern lediglich das Vermögen bayerischer Zahnärzte mehren, dann würden sich die Bürger mit Recht dagegen stemmen. „Einerseits kämpfen wir um eine gesetzliche Verpflichtung, dass jede Kommune, auf deren Territorium Anlagen zur Erneuerbaren Energieerzeugung entstehen, ein Beteiligungsrecht von bis zu 20 Prozent erhält. Andererseits muss jedoch klar die Wirtschaftlichkeit einer Unternehmung nachgewiesen werden, bevor sich eine Kommune an ihr beteiligt. Als Verband hatten wir immer auch den Anspruch, die Kommunen bei diesen Abwägungen zu begleiten.“ Die Re-Finanzierung der WEMAGRekommunalisierung gelänge deutlich schneller, als dies ursprünglich erwartet wurde. Und mittlerweile sei auch das Land froh, mit der WEMAG ein Unternehmen zu haben, mit dem es sich energiepolitisch eng beraten kann. Der Landesenergieminister, Volker Schlotmann, hätte einen Energierat ins Leben gerufen, der erörtern soll, wohin sich Mecklenburg-Vorpommern im Zeitalter der Erneuerbaren Energien entwickeln soll und welche Impulse diesbezüglich die Politik setzen müsse. Auf dieser Plattform könnten auch die Stadtwerke angemessen einbezogen werden, so Thomalla.
Kooperationen als das Gebot der Stunde
Prof. Dr. Schäfer äußert die Ansicht ein, dass die dringend erforderliche Regionalisierung auch über ein verstärktes kommunales Engagement
Roundtable
bei den Regionalversorgern hergestellt werden könne. „Wir haben es immer begrüßt, dass die E.DIS über einen starken kommunalen Anteil verfügt“, antwortet Paasch. Dass die Kooperation zwischen E.DIS, den brandenburgischen Kommunen und nicht zuletzt mit dem Städte- und Gemeindebund Brandenburg so gut funktioniert, hätte auch mit gemeinsamen Ansichten zu tun, die sich alle Seiten zu wichtigen energiewirtschaftlichen Entwicklungen gebildet hätten. „Im E.DIS-Aufsichtsrat sitzen Vertreter der 500 Kommunen, die sich intensiv einbringen. Daneben kooperieren wir mit 800 Aktionären und Konzessionsgebern. Viele Kommunen wollen sich in der Energiewende engagieren, weil sie denken, dass sich hier risikolos Gewinne erwirtschaften lassen. Allerdings sind damit auch erhebliche Risiken verbunden. Eine Beteiligung an der E.DIS könnte ein guter Mittelweg sein, von unserem Know-how zu profitieren und das eigene Geld sinnvoll anzulegen. Wir sind dafür offen.“ Kommunale Beteiligungen seien immer auch ein Instrument, mit dem sich lokale und regionale Wertschöpfung erhöhen ließe und Arbeitsplätze geschaffen werden könnten, so Paasch. „Brandenburg ist das Bundesland mit der absolut zweithöchsten und pro Kopf höchsten Erneuerbare-Energien-Erzeugung“, wendet Karl-Ludwig Böttcher ein. Diese Entwicklung sei bei den großen Stromkonzernen verschlafen worden. Aktuell sei es das Gebot der Stunde, Stadtwerke und Regionalversorger noch stärker zu vernetzen und Investitionen gemeinsam in Angriff zu nehmen. Dazu müssten aber auch die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen werden. Denn wenn auf Landes- oder Bundesebene keine klaren Konzepte verfolgt und abgestimmt werden, könnten auch verstärkte Kooperationen nicht die erwarteten Erfolge erzielen. „Generell werden wir nicht in der Kleinteiligkeit der gegebenen Strukturen verharren können. Wenn wir das
Kirchturmdenken nicht überwinden, werden uns andere überrollen“, ist sich Böttcher sicher. Caspar Baumgart teilt diesen Gedanken zwar, zeigt sich jedoch skeptisch, ob eine verstärkte kommunale Solidarität tatsächlich gelingen kann. Die Entwicklung der vergangenen Jahre deute in die entgegengesetzte Richtung.
Renaissance der Energiekombinate?
Interkommunale Solidarität werde offenbar von allen Beteiligten als ein zentrales Erfordernis im ostdeutschen Energiemarkt angesehen, fasst Prof. Dr. Schäfer zusammen. Daraus ergebe sich jedoch die Frage, wie sich solche
Man kann nicht zuerst eine Energiewende gesetzlich vorgeben, um dann ständig an den entscheidenden Stellschrauben zu drehen und die Unternehmen zu verunsichern.
Fusion am Ende und nicht am Anfang eines Prozesses stehen kann. „Ich komme aus einer Region, in der energiewirtschaftliche Kooperationen konsequent vorangetrieben wurden. Im Saarland sind alle Stadtwerke an einem Regionalversorger beteiligt, der wiederum Anteile an allen Stadtwerken hält. Die Back-office-Prozesse wurden weitgehend vereinheitlicht, doch nach außen treten die Unternehmen als eigene Marken auf. Wenn solche Strategien der Kostenoptimierung konsequent umgesetzt werden, ist eine Fusion am Ende ein möglicher, natürlicher Schritt.“ Investitionen würden allerdings erschwert durch die Vielzahl der maßgeblichen Rahmenbedingungen, die von der Politik seit Verkündung der Energiewende in kurzen Abständen modifiziert werden. Die Impulse für eine verstärkte Kooperation müssten daher aus den Unternehmen selbst kommen, so Hartmann.
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Detlef Nonnen
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Peter Hengstermann (l.) und Tim Hartmann
gewünschten Strukturen initiieren lassen. Denn tatsächlich zeige sich in der Praxis eine ganz andere Entwicklung, nämlich eine fort schreitende Entsolidarisierung. Steffen Ludwig bezieht sich auf die Ausgangsbedingungen des deutschen Energiemarktes im Jahre 1990. Hier seien in den ehemaligen Bezirken und heutigen sächsischen Regierungsbezirken unterschiedliche Partner und unterschiedliche Herangehensweisen gewählt worden. „Mir gefällt es nicht, dass kommunales Eigentum gegeneinander konkurriert. Die kommunale Ebene schadet sich damit selbst“, so Ludwig. Dennoch gebe es auch lokale Egoismen. Sicherlich wolle niemand zu den Energiekombinaten der DDR-Zeit zurückkehren. Doch eine stärkere Verschränkung der Kommunen und eine Vergrößerung der energiewirtschaftlichen Strukturen hält Ludwig für unabdingbar. Hier müssten auch die privaten Unternehmen mitmachen. Tim Hartmann ergänzt, dass eine
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Dort, wo es Sinn macht, bin ich eindeutig dafür, das unternehmerische Engagement auf andere Bereiche der Daseinsvorsorge auszudehnen. Dies wird vermutlich aber keine exklusive Versorgungsfunktion, sondern eher ergänzende Dienstleistungen betreffen.
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Caspar Baumgart
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In Thüringen sei die Situation der im Saarland nicht unähnlich, sagt Peter Hengstermann. Zwischen der jüngst kommunalisierten Thüringer Energie AG und den Stadtwerken im Land gebe es schon heute vielfältige Kooperationen, die in Zukunft noch weiter ausgebaut werden müssten. Caspar Baumgart wirft ein, dass die Strukturen in Mecklenburg-Vorpommern einander teilweise überlagern. Kooperationen würden dadurch deutlich erschwert. Neben Strom und Gas seien viele Stadtwerke auch im Trink- und Abwasser und in der Wärme tätig. Hier sei der wirtschaftliche Druck geringer. Auch deshalb werde die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit mit regionalen Partnern nicht unbedingt gesehen. Die WEMAG versuche, eine stärkere regionale Integration auch über Instrumente der Bürgerbeteiligung herzustellen. Dazu sei unter anderem eine Genossenschaft zur Förderung der Erneuerbaren Energien gegründet worden. „Alle der hier am Tisch vertretenen Unternehmen verfügen über die notwendige kritische Masse“, bilanziert Detlef Nonnen. Allerdings würde die
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Notwendigkeit von Kooperationen von Vertretern kleinerer Stadtwerke vermutlich ganz anders beurteilt werden. Für alle Marktakteure gelte hingegen die Notwendigkeit verlässlicher Rahmenbedingungen. „Man kann nicht zuerst eine Energiewende gesetzlich vorgeben, um dann ständig an den entscheidenden Stellschrauben zu drehen und die Unternehmen zu verunsichern.“ Mittlerweile seien die regulativen Rahmenbedingungen für Windenergie in Sachsen derart eng gefasst, dass kaum ein neues Windrad mehr errichtet werde, kritisiert Nonnen.
Die Teilnehmer der diskussionsrunde
(in namensalphabetischer Reihenfolge)
Baumgart, Caspar – Vorstand WEMAG AG, Schwerin Böttcher, Karl-Ludwig – Geschäftsführer Städte- und Gemeindebund Brandenburg Hengstermann, Peter – Landrat a.D. Kyffhäuserkreis; Vorsitzender Kommunaler Energie Beteiligungs-Gesellschaft Thüringen AG (KEBT AG) Hartmann, Tim – Vorstandsvorsitzender envia Mitteldeutsche Energie AG Ludwig, Steffen – Bürgermeister der Gemeinde Reinsdorf, Vorsitzender des Aufsichtsrates der eins energie in Sachsen GmbH & Co. KG und Vorsitzender des kommunalen AnteilseignerZweckverbandes „Gasversorgung in Südsachsen“ Nonnen, Detlef – Geschäftsführer eins energie in Sachsen GmbH & Co. KG Paasch, Manfred – Vorstand E.DIS AG, Fürstenwalde Thomalla, Michael – Geschäftsführendes Vorstandsmitglied Städte- und Gemeindetag Mecklenburg-Vorpommern Moderation Prof. Dr. Michael Schäfer – Chefredakteur von UNTERNEHMERIN KOMMUNE
Neue Geschäftsfelder
Zur Jahrtausendwende zeigte sich bei den großen Energieversorgern die Tendenz, sich mit Annex-Geschäften auch außerhalb der Energiesparten zu engagieren. Prof. Dr. Schäfer fragt, ob die bestehenden Regionalversorger in Ostdeutschland angesichts der geschilderten Marktendenzen diese Tradition wieder aufnehmen sollten. „Es kommt darauf an, wie weit der Begriff der Daseinsvorsorge gefasst wird“, antwortet Hartmann. Generell sei es jedoch sinnvoll, die durch z.B. Regulierung und den demografischen Wandel bedingte Verkleinerung des Marktvolumens über andere Geschäftsfelder zu kompensieren. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, könne er sich Aktivitäten der Regionalversorger insbesondere beim Ausbau der Glasfasernetze vorstellen. Hier ließen sich einige Synergien im Zusammenhang mit dem Netzausbau realisieren. Dies setze jedoch voraus, dass die Landesebene bereit ist, den Glasfaserausbau konsequent voranzutreiben. „Dort, wo es Sinn macht, bin ich eindeutig dafür“, sagt Caspar Baumgart. Insbesondere bei Wasser und Abwasser könne er sich Einiges vorstellen. Dies beträfe aber vermutlich keine exklusive Versorgungsfunktion, sondern eher
ergänzende Dienstleistungen. In puncto Mobilität müssten innovative Modelle entwickelt werden, wie ein angemessenes Angebot nachhaltig organisiert werden kann. Als Beispiele werden Elektromobilität oder der Ausbau von Car-sharing-Modellen genannt. Die WEMAG könne hier einen Beitrag leisten. Allerdings würden solche neuen Geschäftsfelder auf absehbare Zeit nicht ansatzweise den Stellenwert der Energieversorgung erreichen. Peter Hengstermann fügt hinzu, dass sich die Thüringer Energie AG erklärtermaßen bereits auf den Weg zur Erbringung umfassender Daseinsvorsorgeleistungen begeben hat. „Auch in einem enger werdenden Markt wird es weiterhin ein Ziel der E.DIS bleiben, Wachstum zu generieren“, sagt Manfred Paasch. In seinem Unternehmen seien neue Geschäftsfelder bereits in Tochterunternehmen gebündelt worden. Im Hinblick auf die Kommunen
Für die ostdeutsche Energieversorgung sind die Grenzen des Wachstums erreicht. In der derzeitigen Marktphase kann es nur darum gehen, die Versorgung nachhaltig zu sichern und qualitativ fortzuentwickeln. Dies wird vor den beschriebenen Rahmenbedingungen nur gelingen, wenn der Solidargedanke möglichst intensiv gelebt wird. Daraus resultiert das Erfordernis, Kooperationen zu beleben und Impulse in diese Richtung zu setzen. Nicht sinnvoll ist es, einen Pseudo-Wettbewerb auszurufen, der – wenn überhaupt – nur über extrem komplexe Regulierungsmodelle funktionieren könnte. Die seinerzeit eher zufällig entstandene Struktur der Regionalversorger mit starken kommunalen Beteiligungen bietet eine gute Basis, um gemeinsam mit Kommunen und Privatwirtschaft eine Energieversorgung zu schaffen, die den aktuellen Herausforderungen möglichst gerecht wird. Falk Schäfer
UNTERNEHMERIN KOMMUNE • AUSGABE 03 / SEPTEMBER 2014
sieht Paasch es an der Zeit, der wachsenden Komplexität in vielen Versorgungsmärkten durch stärkere Kooperationen zu begegnen. Die E.DIS hätte zusammen mit den Stadtwerken in der Region bereits eine Plattform geschaffen, die den Austausch von Know-how und die gegenseitige Abstimmung ermöglichen soll. Der Wirkungsgrad solcher Modelle könne mittelfristig allerdings noch deutlich ausgebaut werden. Die normative Kraft des Faktischen werde in den kommenden Jahren allerdings schon dafür sorgen, dass die beteiligten Akteure näher zusammenrücken. Die eins energie in sachsen engagiert sich bereits bei Wasser und Abwasser, sagt Detlef Nonnen. Zusätzlich sei das Unternehmen an der Thüga Erneuerbare Energien GmbH beteiligt. Auch die energienahen Dienstleistungen würden weiter ausgebaut werden. Letztlich lägen einige Potentiale auch im Ausbau der Breitbandversorgung. Hier sei mit der Telekom AG eine deutschlandweit einzigartige Zusammenarbeit initiiert worden. „Wir haben seit 2012 50.000 Haushalte in Chemnitz anschließen können. Die Glasfaserleitungen werden von uns gelegt und langfristig an die Telekom vermietet.“ Michael Thomalla betont abschließend, dass bei aller Harmonisierung und Kooperation auch der Wettbewerb nicht außer Acht gelassen werden dürfe. n Die Veranstaltung dokumentierte Falk Schäfer www.e-dis.de www.eins.de www.enviam.de www.kebt.de www.stgb-brandenburg.de infos www.stgt-mv.de www.wemag.com
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Dokumentation
Dokumentation:
Weitere ostdeutsche Regionalversorger in alphabetischer Reihenfolge:
• EMB Energie Mark Brandenburg GmbH • ENSO Energie Sachsen Ost AG • Erdgas Mittelsachsen GmbH • EWE VERTRIEB GmbH, Geschäftsregion Brandenburg/Rügen
Die Gesprächsrunde von UNTERNEHMERIN KOMMUNE mit den großen ostdeutschen Regionalversorgern am 14. August in Potsdam hatten wir im vorangegangen Text ausführlich dokumentiert. Charakteristisch für diese Unternehmen, deren Vorstände und/oder kommunalen Partner ausführlich zu Wort kamen, ist die Tatsache, dass sie wie die Thüringer Energie AG und die Wemag komplett in kommunalem Besitz sind bzw. dass an ihnen – zutreffend für EnviaM und E.dis – Kommunen über Beteiligungsgesellschaften Miteigentümer sind. Darüber hinaus wird die ostdeutsche Energielandschaft von weiteren regional und kommunal ausgerichteten Versorgern geprägt, die sich zum einen vorwiegend nur auf einen Energieträger konzentrieren oder mit ihren Versorgungsgebieten oft nur Teile eines Bundeslandes abdecken. Einige dieser Unternehmen wollen wir in der nachfolgenden Dokumentation vorstellen. Die Auswahl wurde durch die Redaktion vorgenommen. Diese Selektion war nicht einfach und begann schon bei der Frage, wo lokal aufhört und das Regionale beginnt. Wenn wir bei dieser Selektion Unternehmen, die nach ihrem Verständnis zwingend dazugehören, nicht berücksichtigt haben, werden wir einen entsprechenden Nachtrag im Dezemberheft liefern. Die nachfolgenden Daten und Informationen haben wir von den Unternehmen erhalten, die damit auch für deren Richtigkeit verantwortlich zeichnen.
EMB Energie Mark Brandenburg GmbH
1. Unternehmensdaten
Gründungsjahr: 1991 Gesellschafter/Aktionäre und deren Anteile in Prozent (gerundet): - GASAG Berliner Gaswerke AG 73,310 %; - VNG-Erdgascommerz GmbH 25,100 %; - Kommunen (Stadt Beelitz, Gemeinde Kloster Lehnin, Gemeinde Borkheide, Gemeinde Linthe) 1,582 % - BvS (Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben) 0,008 %; Versorgungsgebiet: Westliches Brandenburg Geschäftsfelder: Vertrieb von Erdgas, Strom und Bio-Erdgas; Energiedienstleistungen Zahl der Mitarbeiter: 75
3. Eigene Beteiligungen an kommunalen Unternehmen
Tabellarische Übersicht dieser Beteiligungen mit namentlicher Nennung der Beteiligungsunternehmen und der Höhe der Beteiligung
Name des Unternehmens
Stadtwerke Brandenburg GmbH Gasversorgung Zehdenick GmbH Stadtwerke Premnitz GmbH local energy GmbH Rathenower Netz GmbH NGK Netzgesellschaft Kyritz GmbH Netzgesellschaft Hohen Neuendorf Gas GmbH & Co. KG
Höhe der Anteile in Prozent
12,25 % 49,00 % 10,00 % 19,7731 % 35,00 % 49,00 % 49,00 %
2. Eingliederung in einen Unternehmensverbund
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4. Übersicht über bestehende Netzkonzessionen
Es bestehen rund 100 Konzessionsverträge Erdgas mit Kommunen im westlichen Brandenburg.
UNTERNEHMERIN KOMMUNE • AUSGABE 03 / SEPTEMBER 2014
Dokumentation
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5. Formen der kommunalen Vernetzung (z.B. Mitarbeit in kommunalen Beiräten, Netzwerken usw.)
- Mitarbeit bei kommunalen Energietischen (Energiekonzepte, Agenda 21) - Mitglied Verein Wachstumskern Autobahndreieck Wittstock/Dosse - Mitglied im Verband kommunaler Unternehmen (VKU) - Zusammenarbeit mit dem Städte- und Gemeindebund Brandenburg
9. Kommunales Fazit und kommunale Philosophie:
9.1 Wir fühlen uns unabhängig von den konkreten Eigentumsverhältnissen als kommunales bzw. kommunalnahes Unternehmen, weil:
Kommunen zu 1,6 Prozent an unserem Unternehmen beteiligt sind Wir als Inhaber von rund 100 Konzessionen kommunale Netze betreiben Wir wissen, dass die kommunalen Entscheidungsträger unser kommunales Engagement schätzen Wir als regionale Anbieter Vertrauen und persönliche Nähe zu unseren kommunalen Partnern als die zentrale Geschäftsgrundlage betrachten Für uns die Stadtwerke und alle weiteren kommunalen Unternehmen als Kunden besondere Bedeutung haben Wir seit der Gründung der EMB ein fast 5.000 Kilometer langes Erdgasnetz in Westbrandenburg aufgebaut haben, das einen wichtigen Baustein der lokalen und regionalen Infrastruktur darstellt Wir über unsere Kundenbüros in zehn Kommunen, verteilt über die Fläche unseres Versorgungsgebietes, kundennah Service und Beratung anbieten Wir über unsere Beteiligungen an kommunalen Unternehmen Verantwortung für Kommunen tragen
6. Beispiele für feste (institutionalisierte) Kooperationen mit Kommunen und kommunalen Unternehmen
- Beteiligung am Stadtwerkeverbund local energy GmbH - Netzgesellschaften mit drei Kommunen/kommunalen Unternehmen zum Betrieb des örtlichen Erdgasleitungsnetzes - Betrieb der Bio-Erdgasanlage Neudorf (Landkreis Prignitz) mit einem Stadtwerke-Partner
7. Beispiele für die Unterstützung von Kommunen im Versorgungsgebiet (z.B. Sponsoring, Beratung)
- Zehn Kundenbüros im westlichen Brandenburg - Beratung bei der Erstellung kommunaler Energiekonzepte - Schulwettbewerb „Mission Energiesparen“ - Sponsoring von (Stadt-)Festen, öffentlichen Einrichtungen
8. Regelmäßige eigene Formen des Austauschs mit Kommunen und kommunalen Unternehmen
- „EMB Energiedialog“ (Tagungsveranstaltung für Bürgermeister/Amtsdirektoren der Konzessionsgemeinden) - „Informationsveranstaltung für Energiebeauftragte“ (der Konzessionsgemeinden)
9.2 Unsere kommunale Philosophie lässt wie folgt zusammenfassen:
Wir sind der Energiemanager für Brandenburg – und übernehmen für die Kommunen in der Fläche wesentliche Aufgaben eines Stadtwerks.
ENSO ENERGIE SACHSEN OST AG
1. Unternehmensdaten
Gründungsjahr: 1990 Gesellschafter/Aktionäre und deren Anteile in Prozent: - EnergieVerbund Dresden GmbH (71,9 %); - KBO Kommunale Beteiligungsgesellschaft mbH an der Energie Sachsen Ost (25,5 %); - Sonstige kommunale Anteilseigner (2,6 %) Versorgungsgebiet: Schwerpunkt in Ostsachsen
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Geschäftsfelder: Versorgung mit Strom, Gas, Wärme und Energiedienstleistungen sowie Betriebsführung für Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung Zahl der Mitarbeiter: 1.542 (ENSO AG und 100 % Beteiligungen, inkl. 80 Auszubildende, Stand: 31.12.2013)
2. Eingliederung in einen Unternehmensverbund
Ja Name des Verbundes oder Konzerns: EnergieVerbund Dresden GmbH Dessen Gesellschafter/Aktionäre und deren Anteile in Prozent: Technische Werke Dresden GmbH (100 %) 39
Dokumentation
3. Eigene Beteiligungen an kommunalen Unternehmen
Tabellarische Übersicht dieser Beteiligungen mit namentlicher Nennung der Beteiligungsunternehmen und der Höhe der Beteiligung
7. Beispiele für die Unterstützung von Kommunen im Versorgungsgebiet (z.B. Sponsoring, Beratung)
Beratung zur Energieeffizienz in den Kommunen Begleitung im Rahmen der EEA-Zertifizierung der Kommunen Unterstützung bei der Erstellung und Fortschreibung von Energieund Klimaschutzkonzepten Umfangreiche Sponsoringaktivitäten in Sport und Kultur
Name des Unternehmens
dessen zentraler Geschäftsgegenstand
Verteilnetzbetreiber Strom und Gas
Höhe der Anteile in Prozent
100%
ENSO NETZ GmbH
Unterstützung von kommunalen Festen Soforthilfe bei Hochwasser und anderen Schäden durch Naturgewalten
Betrieb, Errichtung und Erwerb von Telekommunikationsanlagen desaNet Telekommunikation sowie Erbringung von Sachsen Ost GmbH Leistungen/Diensten auf dem Gebiet der Telekommunikation DRECOUNT GmbH Biomethan Zittau GmbH Wärmeversorgung Weigsdorf-Köblitz GmbH Technische Dienste Altenberg Abrechnung und Kundenservice Betrieb einer Biomethananlage Kommunale Wärmeversorgung Kommunale Wärmeversorgung
100%
8. Regelmäßige eigene Formen des Austauschs mit Kommunen und kommunalen Unternehmen (z.B. Veranstaltungsreihen wie „Brandenburg Kommunal“ von EWE, oder Bürgermeistertreffen von EMB)
Gebietsbeiratsveranstaltungen: Jahrestreffen der ostsächsischen Kommunen mit energiepolitischen und regionalen Inhalten SEHG-Treffen: Zusammenarbeit von ENSO und den Stadtwerken im EnergieVerbund Dresden auf dem Gebiet der Strombeschaffung
50% 50%
40%
9. Kommunales Fazit und kommunale Philosophie:
9.1 Wir fühlen uns unabhängig von den konkreten Eigentumsverhältnissen als kommunales bzw. kommunalnahes Unternehmen, weil:
Kommunen zu 100 % Prozent an unserem Unternehmen beteiligt sind Wir als Inhaber von Konzessionen kommunale Netze betreiben Wir wissen, dass die kommunalen Entscheidungsträger unser kommunales Engagement schätzen Wir als regionaler Anbieter Vertrauen und persönliche Nähe zu unseren kommunalen Partnern als die zentrale Geschäftsgrundlage betrachten Für uns die Stadtwerke und alle weiteren kommunalen Unternehmen als Partner und Kunden besondere Bedeutung haben
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4. Übersicht über bestehende Netzkonzessionen
a. Strom: Konzessionsverträge mit ca. 170 Kommunen in Ostsachsen b. Gas: Konzessionsverträge mit ca. 130 Kommunen in Ostsachsen
5. Formen der kommunalen Vernetzung (z.B. Mitarbeit in kommunalen Beiräten, Netzwerken usw.)
Beteiligung an den Arbeitsgremien der Integrierten ländlichen Entwicklung (ILE) in den Regionen Beteiligung an Fachgruppen zur Umsetzung der regionalen Energieund Klimaschutzkonzepte
6. Beispiele für feste (institutionalisierte) Kooperationen mit Kommunen und kommunalen Unternehmen
Gebietsbeirat aus Vertretern der kommunalen Gremiendes Versorgungsgebietes zur Beratung und Unterstützung der ENSO AG (und deren Tochterunternehmen) bei Energieversorgungskonzepten, Wegenutzung und Öffentlichkeitsarbeit 40
9.2 Unsere kommunale Philosophie lässt sich wie folgt zusammenfassen:
„Aus der Region – für die Region“: Als Unternehmen des ostsächsischen EnergieVerbundes setzen wir konsequent auf das regionale Partnerschaftsmodell. Wir kooperieren eng mit Stadtwerken und Kommunen, sind wichtiger Arbeitgeber, Auftraggeber, Investor und Steuerzahler. Und wir begleiten unsere kommunalen Partner auf dem Weg in die Energiezukunft mit innovativen Versorgungskonzepten.
UNTERNEHMERIN KOMMUNE • AUSGABE 03 / SEPTEMBER 2014
Dokumentation
FORUM NEUE LÄNDER
erdgas Mittelsachsen GmbH
1. Unternehmensdaten
Gründungsjahr: 1992 Gesellschafter und deren Anteile in Prozent:
5. Formen der kommunalen Vernetzung (z. B. Mitarbeit in kommunalen Beiräten, Netzwerken usw.)
- DVBG, BDEW, BVMW, DBI Freiberg
Gesellschafter
Stadt Barby Stadt Calbe/Saale Gemeinde Bördeland Verbandsgemeinde Egelner Mulde, Gemeinde Borne Verbandsgemeinde Egelner Mulde, Stadt Egeln Verbandsgemeinde Egelner Mulde, Gemeinde Wolmirsleben Stadt Güsten Stadt Hecklingen Gemeinde Börde-Hakel, OT Westeregeln Gemeinde Bördeaue, OT Tarthun Stadt Zerbst/Anhalt, OT Jütrichau Stadt Gommern, OT Leitzkau Thüga AG Städtische Werke Magdeburg Stadtwerke Staßfurt GmbH
Stimmrechtsanteile
2,57 6,16 3,26 0,60 2,13 0,67 2,11 2,50 1,07 1,04 0,24 0,57 41,50 19,27 16,31
- Arbeitsgemeinschaft für sparsamen und umweltfreundlichen Energieverbrauch (ASUE) - Landesinstallateurausschuss (LIA) - Marketingbeirat der Landesgruppen Ost (Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen) - Arbeitskreis SchuleWirtschaft
6. Beispiele für feste (institutionalisierte) Kooperationen mit Kommunen und kommunalen Unternehmen
keine
7. Beispiele für die Unterstützung von Kommunen im Versorgungsgebiet (z.B. Sponsoring, Beratung)
Sponsoring: Kultur: - Mitteldeutsche Kammerphilharmonie gGmbH Schönebeck *Konzertreihen in den Orten Staßfurt, Zerbst, Barby, Egeln, Calbe und Nienburg - Verein „Industriemuseum Schönebeck e.V.” Erlebniswelt Technik und Innovation (iMUSEt) - Verein Radfreizeit, Radsportgeschichte & Friedensfahrt e.V. „Course de la Paix” in Kleinmühlingen - Förderverein Soziokultur Schönebeck - „Haus der Vereine” - Heimatverein Calbe (Saale) e.V. Sport: - SG Lok Schönebeck e.V. (Handball) - Förderverein HV Rot-Weiß Staßfurt e.V. (Handball) - Sportkeglerverein Rot Weiß Zerbst 1999 e.V. - SSV Blau-Weiß 04 Barby e.V. (Kanusport) - SV Pädagogik e.V. Schönebeck (Volleyball) - SV 09 Staßfurt e.V. (Fußball) - SG Eintracht Glinde e.V. (Handball) - Förderverein des Schönebecker SV 1861 e.V. (Fußball) - Volleyball-Verband Sachsen-Anhalt e.V. (VVSA) (Nachwuchsförderung) Bildung und Soziales: - Helfervereinigung des Technischen Hilfswerk Calbe e.V. - Förderung ehrenamtlichen Engagements im Rahmen THW Calbe - Förderverein der Freiwilligen Feuerwehr Deetz e.V. - Girl’s & Boy’s Day (Zukunftstag) - berufsorientierte Förderung an Schulen –Teilnahme an Berufsfindungsmessen - „EMS–Junior-Köche“ in Schulen aus Schönebeck, Staßfurt und Zerbst - Sozialpädagogische Familienhilfe in den Altkreisen Schönebeck, Staßfurt und Zerbst - Unterstützung beim Aufbau einer Jugendrotkreuzgruppe beim DRKKreisverband Schönebeck Tourismus: - Tourismusverband Elbe-Börde-Heide e.V. 41
Versorgungsgebiet: Teile des Salzlandkreises, Teile des Kreises Anhalt-Bitterfeld, Teile des Jerichower Landes sowie Teile der Börde Geschäftsfelder: Erdgasnetzbetrieb und Vertrieb von Gas, Strom, Wärme Zahl der Mitarbeiter: 96 Mitarbeiter (dazu noch acht Auszubildende in drei Lehrjahren)
2. Eingliederung in einen Unternehmensverbund
Nein Bei ja:
3. Eigene Beteiligungen an kommunalen Unternehmen
Tabellarische Übersicht dieser Beteiligungen mit namentlicher Nennung der Beteiligungsunternehmen und der Höhe der Beteiligung Die Erdgas Mittelsachsen GmbH ist an der KOM9, eine der kommunalen Thüga-Beteiligungsgesellschaften mit 0,39 Prozent beteiligt.
4. Übersicht über bestehende Netzkonzessionen
Gemeinde Bördeland, Stadt Gommern, Stadt Staßfurt, Stadt Hecklingen, Stadt Barby, Stadt Calbe, Stadt Egeln, Verbandsgemeinde Egelner Mulde, Stadt Güsten, Gemeinde Börde-Hakel, Gemeinde Bördeaue, Stadt Güsten, Stadt Aken, Stadt Möckern, Stadt Zerbst/Anhalt, Stadt Nieburg, Verbandsgemeinde „Westliche Börde“
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8. Regelmäßige eigene Formen des Austauschs mit Kommunen und kommunalen Unternehmen
Beirat der Erdgas Mittelsachsen GmbH (besteht aus Bürgermeistern der VWG bzw. Gemeinden und Städte) – zwei bis drei Treffen pro Jahr
Wir wissen, dass die kommunalen Entscheidungsträger unser kommunales Engagement schätzen Wir als regionale Anbieter Vertrauen und persönliche Nähe zu unseren kommunalen Partnern als die zentrale Geschäftsgrundlage betrachten
9. Kommunales Fazit und kommunale Philosophie:
9.1 Wir fühlen uns unabhängig von den konkreten Eigentumsverhältnissen als kommunales bzw. kommunalnahes Unternehmen, weil:
Kommunen zu über 50 Prozent an unserem Unternehmen beteiligt sind Wir als Inhaber von 17 Konzessionen kommunale Netze betreiben
9.2 Unsere kommunale Philosophie lässt wie folgt zusammenfassen:
Wir arbeiten mit den kommunalen Körperschaften in unserem Versorgungsbereich eng zusammen. Zielstellung ist dabei, die Attraktivität der Region zu erhalten bzw. im beiderseitigen Interesse zu erhöhen.
EWE Vertrieb GmbH, Geschäftsregion Brandenburg/Rügen
1. Unternehmensdaten
Gründungsjahr: Die EWE VERTRIEB GmbH ging 2012 aus der Umfirmierung der EWE ENERGIE AG hervor. Gesellschafter/Aktionäre und deren Anteile in Prozent: Die EWE VERTRIEB GmbH mit Hauptsitz in Oldenburg ist eine 100-prozentige Tochter der EWE AG.
Weitere Daten zur EWE VERTRIEB GmbH Versorgungsgebiet: Ems-Weser-Elbe-Region sowie Teile von Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern Geschäftsfelder: Die EWE VERTRIEB GmbH ist zuverlässiger Anbieter für Strom, Erdgas sowie Energie- und Telekommunikationsdienstleistungen. Ein breites Produkt- und Serviceangebot von Grünstrom bis Biogas sowie die Planung, Errichtung und der wirtschaftliche Betrieb von Heizungsanlagen komplettieren das Angebot. Damit bietet EWE klassische und innovative Dienstleistungen für Privathaushalte, Industrie, Stadtwerke und Kommunen aus einer Hand. Zahl der Mitarbeiter: 564 (Stand 31.12.2013)
Exkurs EWE Aktiengesellschaft
Die 1930 gegründete EWE AG ist eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft. Die Mehrheit ihrer Anteilseigner sind Städte und Landkreise aus dem Gebiet Ems-Weser-Elbe. Sie sind in zwei Verbänden organisiert: die Weser-Ems-Energiebeteiligungen GmbH (WEE) hält 59 Prozent der Kapitalanteile, die Energieverband Elbe-Weser Beteiligungsholding GmbH 15 Prozent. Gemeinsam bilden sie den Ems-Weser-Elbe Versorgungs- und Entsorgungsverband. Die EnBW Energie Baden-Württemberg AG hält 26 Prozent am Unternehmen. Versorgungsgebiet: Deutschland: nordwestliches Niedersachsen, Bremen, Teile Nordrhein-Westfalens, Brandenburgs und Mecklenburg-Vorpommerns. Polen, Türkei Geschäftsfelder: Energie, Telekommunikation, Informationstechnologie Zahl der Mitarbeiter: 9.162 (Stand 31.12.2013) Das VNG-Engagement von EWE: Die EWE AG hält 47,9 Prozent der Anteile am ostdeutschen Ferngasunternehmen Verbundnetz Gas AG. Mit dem Kauf der VNG-Anteile des Erdölund Erdgasproduzenten Wintershall möchte EWE seine Beteiligung auf 63,69 Prozent erhöhen. Bereits im März haben sich beide Unternehmen über den Kauf verständigt. Die Zustimmung des Bundeskartellamts steht noch aus. Mit einer Entscheidung ist im Oktober 2014 zu rechnen. Die Übernahme der Mehrheit an VNG-Aktien eröffnet EWE neue Handlungsspielräume, die im Dialog mit den Beteiligten genutzt werden können. Ziel ist die Weiterentwicklung der VNG AG zu einem leistungsstarken und zukunftssicheren Akteur im Gasmarkt. 42
2. Eingliederung in einen Unternehmensverbund
Ja Name des Verbundes oder Konzerns: Die EWE Vertrieb GmbH ist Teil des Segmentes Vertrieb und Handel der EWE AG.
3. Eigene Beteiligungen an kommunalen Unternehmen
Die EWE Vertrieb GmbH hat in Brandenburg in unterschiedlichen Anteilen Beteiligungen an: - Gasversorgung Angermünde GmbH - Stadtwerke Frankfurt (Oder) GmbH - Städtische Betriebswerke Luckenwalde GmbH - Stadtwerke Ludwigsfelde GmbH - Stadtwerke Schwedt GmbH - Stadtwerke Strausberg GmbH
4. Übersicht über bestehende Netzkonzessionen
Die Netzkonzessionen liegen bei der der EWE NETZ GmbH
5. Formen der kommunalen Vernetzung (z.B. Mitarbeit in kommunalen Beiräten, Netzwerken usw.)
Über EWE AG
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6. Beispiele für feste (institutionalisierte) Kooperationen mit Kommunen und kommunalen Unternehmen
en.regio: Die Kooperationsgesellschaft der kommunalen Energiedienstleister Städtische Werke Angermünde GmbH, Stadtwerke Bernau GmbH, Stadtwerke Ludwigsfelde GmbH, Stadtwerke Strausberg GmbH und EWE Vertrieb GmbH stellt sich den Herausforderungen einer modernen, zukunftsfähigen Energieversorgung, ohne dabei die regionale Bindung aus den Augen zu verlieren. en.regio entwickelt übergreifende Konzepte zur Erschließung neuer Geschäftsfelder. Unter dem en.regio-Dach gibt es Projektgesellschaften, wie die en.regio wind GmbH. Sie ist Miteigentümerin des Windparks Märkisch Linden in Brandenburg. Ziel der en.regio ist Wachstum der Stadtwerke zu generieren, um so ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und ihre Eigenständigkeit zu sichern. Gleichzeitig wird ein Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele geleistet. Kooperation mit Energiegenossenschaft Breydin: Im Barnim wollen Landwirte, Bürger, Kommunen und EWE die Energiewende gemeinsam vorantreiben. Dazu haben die Energiegenossenschaft Breydin und EWE einen Kooperationsvertrag zur Entwicklung eines Gemeinschaftswindparks vereinbart. Die Energiegenossenschaft Breydin ist ein Zusammenschluss von Landwirten aus der Umgebung von Breydin und der Gemeinde.
im Kalender etabliert ist der jährliche EWE-Kommunaltag mit Beteiligung des EWE-Vorstands. Darüber hinaus findet regelmäßig die Veranstaltungsreihe „Brandenburg kommunal“ statt. Das Forum bietet den Kommunen aus der Region die Möglichkeit, den direkten Dialog mit der Landespolitik zu führen. Referenten waren bisher beispielsweise Ralf Christoffers, Minister für Wirtschaft und Europaangelegenheiten des Landes Brandenburg, und Günter Baaske, Minister für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie im Land Brandenburg. Mit ihnen erörterten die Gäste infrastrukturelle Themen zur Daseinsvorsorge in den Kommunen und die kommunale Einflussnahme auf politische Prozesse. Um die Zusammenarbeit von Kommunalpolitik und EWE noch weiter vertiefen zu können, hat EWE vor mehr als zehn Jahren den EWE-Kommunalausschuss etabliert. Sieben Hauptverwaltungsbeamte aus den Landkreisen Uckermark, Barnim, Märkisch-Oderland, Oder-Spree und Dahme-Spreewald engagieren sich stellvertretend für ihre Kollegen. Die Mitglieder des EWE-Kommunalausschuss bekommen Einblicke in Ideen anderer Kommunen mit EWE gemeinsame Projekte umzusetzen. Zudem sind sie Mittler zwischen EWE und den Kommunen der Region zu zahlreichen Fragen rund um Energie.
9. Kommunales Fazit und kommunale Philosophie:
Die Geschichte von EWE ist eng verbunden mit den Regionen, in denen das Unternehmen aktiv ist. Mehrheitlich in kommunaler Hand ist der Konzern in Gebieten gewachsen, die sich optimal ergänzen. Das macht es EWE leicht, auf den jeweiligen lokalen Bedarf einzugehen und alle vorhandenen Gegebenheiten, Kompetenzen und Ressourcen bestmöglich zu nutzen – ein wichtiger Wettbewerbsvorteil bei einer zunehmend dezentralen Energieversorgung. Durch die enge Zusammenarbeit mit Kommunen und Betrieben der Regionen sowie dem lokalen Handwerk kann EWE sensibel abgestimmte Lösungen aus der Region für die Region bieten.
7. Beispiele für die Unterstützung von Kommunen im Versorgungsgebiet (z.B. Sponsoring, Beratung)
Als Serviceunternehmen unterstützt EWE die Kommunen neben der Energielieferung auch mit Dienstleistungen – als Basis für eine intensive Zusammenarbeit. Das Angebot ist so aufgestellt, dass es für die Kommunen einfach ist, sich nach den kommunalen Bedürfnissen passgenaue Leistungen auszusuchen. Den optimalen Einstieg bieten standardisierte Beratungsdienstleistungen. Sie liefern wichtige Hinweise auf zentralen Handlungsfeldern und können individuell ausgebaut werden. Ein gutes Beispiel hierfür ist der kommunale Energiebericht, der mit vergleichsweise wenig Aufwand erstellt und jährlich fortgeführt werden kann. Über das unternehmerische Handeln hinaus übernimmt EWE Verantwortung und engagiert sich gesellschaftlich. Der Energieversorger und Dienstleister baut auf das große Potenzial der Regionen, in denen das Unternehmen zu Hause ist. Die regionale Attraktivität als wichtigen Standortfaktor zu stärken, ist daher ein Kern des Engagements. Dazu zählen die Förderung von Sport, Bildung, Sozialem sowie Kunst und Kultur. Für eigene Veranstaltungen, wie z. B. die Austragung des Fußballturniers EWE Cup oder den Ostbrandenburger Regionalwettbewerb „Jugend forscht und Schüler experimentieren“, nutzt EWE kommunale Veranstaltungsorte – zwischen Uckermark und Dahmeland oder auch auf der Insel Rügen.
9.1 Wir fühlen uns unabhängig von den konkreten Eigentumsverhältnissen als kommunales bzw. kommunalnahes Unternehmen, weil:
Wir wissen, dass die kommunalen Entscheidungsträger unser kommunales Engagement schätzen Wir als regionale Anbieter Vertrauen und persönliche Nähe zu unseren kommunalen Partnern als die zentrale Geschäftsgrundlage betrachten Für uns die Stadtwerke und weitere kommunale Unternehmen als Kunden besondere Bedeutung haben Weitere Argumente: EWE versteht sich als Teil der Regionen, in denen das Unternehmen zu Hause und verwurzelt ist.
9.2 Unsere kommunale Philosophie lässt wie folgt zusammenfassen:
Als mehrheitlich kommunales Unternehmen, aufgrund jahrzehntelanger Tätigkeit in der Region, unserer Mitarbeiter vor Ort und als Partner der regionalen Wirtschaft sind wir fester Bestandteil des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Lebens in Niedersachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Dies schafft eine natürliche Nähe zu unseren Kunden. Durch unsere feste Verankerung und den unmittelbaren Austausch mit unserem Umfeld verstehen wir die Bedürfnisse, Besonderheiten und die Dynamik dieser Regionen. n 43
8. Regelmäßige eigene Formen des Austauschs mit Kommunen und kommunalen Unternehmen
Die EWE-Geschäftsregion Brandenburg/Rügen pflegt mit den Kommunen einen offenen und dialogorientierten Austausch. Fest
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Sparkassen
Das OSV-Tourismusbarometer
Stabile Entwicklung im ostdeutschen Tourismusmarkt
Der Ostdeutsche Sparkassenverband (OSV) veröffentlicht jährlich umfangreiche Analysen zum ostdeutschen Tourismusmarkt.
D
ie neuen Bundesländer sind reich an touristischen Highlights. Hier liegen sieben der 13 deutschen Nationalparks und zwölf der 39 UNESCO-Welterbestätten in Deutschland. Von den Stränden der Ostsee bis zu den mitteldeutschen Mittelgebirgen bietet die Region eine enorme kulturelle wie landschaftliche Vielfalt. In den 25 Jahren seit Öffnung der Mauer wurden verfallene mittelalterliche Stadtkerne restauriert, einzigartige Naturräume geschützt und die Infrastruktur erneuert. Die Deindustrialisierung der Neuen Bundesländer ist insgesamt ein umstrittenes Erbe der Deutschen Einheit, doch für den Tourismus war dieser Umstand eher förderlich. Mittlerweile haben sich zwischen Kap Arkona und Fichtelberg touristische Highlights etabliert, die über die Grenzen der Region und ganz Deutschlands hinausstrahlen. Dass sich der Tourismus in den Neuen Bundesländern mittlerweile zu einem zentralen Wirtschaftszweig entwickelt hat, ist auch der unterdurchschnittlichen Ausprägung der produzierenden Industrie zuzuschreiben, ändert jedoch nichts daran, dass sich mit touristischen Dienstleistungen wichtige Potentiale für die weitere Entwicklung der Region verbinden. Analysetools sollen auf Erfolge und Misserfolge sowie auf wichtige strukturelle Veränderungen im Tourismus-Bereich aufmerksam gemacht werden. Als Frühwarnsystem dient es dazu, Probleme und Herausforderungen rechtzeitig benennen zu können, das kontinuierliche Monitoring ermöglicht zeitliche und sektorale Vergleiche. Aus unterschiedlichen Quellen werden umfassende Informationen generiert und zu einem Gesamtbild vereint. Der Vergleich zwischen Ländern und Regionen erfolgt wissenschaftlich objektiv und absolut neutral. Über Leitfäden zu praxisrelevanten Themen werden die Ergebnisse aus der Diagnostik auch in Therapievorschläge überführt. Für die Erstellung des Tourismusbarometers wurde ein Beirat aus 30 Repräsentanten der Länder im Verbandsgebiet des OSV gebildet. Die Mitglieder kommen aus den Sparkassenvorständen, verschiedenen Tourismusorganisationen, der DEHOGA, der kommunalen Familie sowie den Landesregierungen. Sie sollen Impulse für die strategische Ausrichtung des Tourismusbarometers setzen und eine angemessene Berücksichtigung der verschiedenen Interessen garantieren.
Die Sparkassen in Ostdeutschland haben sich mit ihren Rostocker Leitsätzen aus dem Jahre 1999 explizit zu einer engen kommunalen Bindung und einer regionalen Verankerung bekannt. Dies bezieht sich nicht nur auf das Kerngeschäft nachhaltiger Finanzdienstleistungen mit regionalem Bezug, sondern auch auf vielfältige Aktivitäten, die gesellschaftlichen Prozesse vor Ort zu begleiten und zu gestalten. Die ökonomische und regionale Kompetenz der Sparkassen wird genutzt, um Unternehmen wie auch Kommunen im Vertriebsgebiet Impulse für ein nachhaltiges qualitatives Wachstum zu liefern. Der Tourismus hat heute einen zentralen Stellenwert für das ostdeutsche regionale Wirtschaftsgefüge und wird diese Rolle auch in mittelfristiger Zukunft noch ausfüllen. Zudem lässt sich mit touristischen Dienstleistungen auch in ländlichen und wenig industrialisierten Landstrichen noch wirtschaftliche Entwicklung generieren. Aus den geschilderten Zusammenhängen heraus und als Folge des Selbstverständnisses der Sparkassen als regional und kommunal verankerte Institutionen widmete sich der Ostdeutsche Sparkassenverband (OSV) bereits Ende der 90er Jahre den Potentialen des Tourismus für die Fortentwicklung regionaler Wirtschaftsgefüge. Ziel war es, ein wissenschaftlich fundiertes Analyseinstrument zu erarbeiten, mit dem die touristischen Potentiale einer Region oder eines Ortes ermittelt werden können. Das SparkassenTourismusbarometer des OSV wurde 1998 konzipiert und im März gleichen Jahres erstmals der Fachöffentlichkeit präsentiert. Seither werden die Ergebnisse jährlich im OSV-Tourismusforum vor rund 800 Gästen aus Sparkassen, Tourismusorganisationen, Fachverbänden, Kommunen und der Politik vorgestellt. Das OSV-TourismusBarometer soll die Tourismus-Entwicklung in den neuen Bundesländern kontinuierlich und problemorientiert beobachten. Die Nutzer dieses 44
Zu den Ergebnissen
Nach einigen verhaltenen Jahren verzeichnete der Tourismus weltweit 2013 wieder einen deutlichen Aufschwung. Mit einem Wachstum von fünf Prozent wurden die Prognosen der UN-Welttourismusorganisation deutlich übertroffen. Der als weitgehend gesättigt geltende europäische Markt lag überraschenderweise sogar etwas über dem Schnitt. Dafür sorgten insbesondere die ost- und
Dr. Michael Ermrich, Geschäftsführender Präsident des Ostdeutschen Sparkassenverbandes (OSV), auf dem 17. OSVTourismusforum am 6. März 2014 im Berliner ICC. Die Veranstaltung findet jährlich während der Internationalen Foto: Thomas Koehler, photothek.net/OSV Tourismusbörse in Berlin statt.
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Sparkassen
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südeuropäischen Staaten mit Wachstumsraten zwischen sechs und sieben Prozent. Nord- und Westeuropa blieben mit durchschnittlich vier Prozent etwas dahinter zurück, konnten aber dennoch ein Wachstumsplus erzielen. Am deutschen Markt lässt sich diese Entwicklung nur bedingt nachvollziehen. Das Wachstum der Incoming-Zahlen lag mit 3,7 Prozent klar unter dem weltweiten und europäischen Durchschnitt. Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren kann Deutschland aktuell nicht mehr zu den treibenden Kräften im Europatourismus gezählt werden. Ähnlich ernüchternd fällt die Bilanz mit Blick auf den Inlandsmarkt aus. Hier wird lediglich ein Plus von 1,6 Prozent bei den Ankünften sowie von 1,1 Prozent bei den Übernachtungen erreicht. Für das laufende Jahr 2014 wird jedoch ein deutlicher Aufwärtstrend erwartet. Die florierende deutsche Wirtschaft spiegelt sich auch in den Reisebudgets wider. Laut Umfragen wollen die Deutschen für 2014 mehr Geld für Reisen ausgeben, als noch in den vergangenen Jahren. International rechnet die UN-Welttourismusorganisation mit einem Aufwuchs von vier Prozent. Wie sich diese Entwicklung in Deutschland abbilden wird, bleibt abzuwarten. Die Prognosen ausgewählter Marktforschungsorganisationen geben jedenfalls Anlass zu recht ausgeprägtem Optimismus.
und Weiterentwickeln der Qualität bestehender InfraNach dem Vorbild des ifo-Geschäftsklimastruktur – vor allem aus Sicht der lokalen Touristiker. index spiegelt sich auch der zunehmende InvestitiHierin befragt die dwif-Consulting (dwif ), die das onsbedarf in der ostdeutschen Tourismuswirtschaft Tourismusbarometer im Auftrag des OSV wissenwider. Auf bearbeitet,der wichtigsten Arbeitsfelder schaftlich Rang drei dreimal pro Jahr Vertreter 2014 folgt das Innenmarketing, welches ebenfalls an von Orten und Regionen nach ihrer ZufriedenBedeutung zunimmt und zu den Managementaufgaheit mit der touristischen Entwicklung und ihren ben der Tourismusorganisationen zählt.
Erwartungen für die kommenden Monate. Der mögliche Indexwert reicht dabei von 0 (durchweg negative Bewertung) bis 200 (durchweg positive Bewertung). Im Hinblick auf Ostdeutschland
Die Rahmenbedingungen für ein erfolgreiches Arbeiliegt der Index seit seiner erstmaligen Erhebung ten sind jedoch nicht durchweg positiv. Obwohl die im Jahr auf stabile Budgets und Mitarbeiterzahlen Mehrheit2011 durchweg über dem Mittelwert von setzen kann, erwartet auch im Jahr 2014 fast jede 100 Punkten. Allerdings zeigte sich ab Juni 2012 vierteleicht negative Tendenz, die erst im Sommer/ eine Organisation sinkende Personalkapazitäten. Die Akteure müssen handeln, um den HerausfordeHerbst des vergangenen Jahres leicht und zu rungen einer professionellen Gästebetreuung und Beginn 2014 deutlich umgekehrt wurde. So Vermarktung dennoch gerecht zu werden. Ein noch wird für Zusammenrücken mit den benachbarten stärkeres dieses Jahr eine deutlich bessere Tendenz erwartet als noch im vergangenen Jahr. Mit einen Orten und Regionen stellt aus Expertensichteinem zentralen Lösungsansatz dar. Wert von 135 liegt der Tourismusindex aktuell
auf einem guten Niveau. Aus Sicht der Befragten
Abb. 3: Tourismusklimaindex Ostdeutschland
Abb. 1: Tourismusklimaindex Ostdeutschland
Tourismusklimaindex Ostdeutschland Durchschnittswert Übernachtungen und Tagesreisen Tourismusklimaindex nach Ländern (Februar 2014)
200 180 160 140 120 100 80 60 40 20 0 Feb Juni 2011 Okt Feb Juni 2012 Okt Feb Juni 2013 Okt Feb 2014 134,8
Trend 127,8
147,3
134,8 ↑
151,4 130,3
Quelle: dwif 2014
Wir stecken überall unsere Nase rein.
Die Innovationskraft ist zentral für die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens. Deshalb arbeiten wir als nachhaltig ausgerichtetes Energieunternehmen an Lösungen zukunftsfähiger Energieversorgung, insbesondere im Bereich erneuerbare Energien. Mehr unter www.mvv-energie.de/nachhaltigkeit
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Neue Energie? Aber sicher! UNTERNEHMERIN KOMMUNE • AUSGABE 03 / SEPTEMBER 2014
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Welttourismusorganisation UNWTO (3 bis 4 Prozent) deutlich übertroffen.
Sparkassen
westeuropäischen Staaten blieben mit Zuwächsen um 4 Prozent leicht dahinter zurück. >> Abb. 2
ii Welttourismus dreht auf – Deutschland holt Luft nach den hohen Zuwächsen in den Vorjahren.
Abb. 2: Rückblick auf das Tourismusjahr 2013 und Prognosen für 2014
Entwicklung der internationalen Ankünfte 2013 ggü. 2012
Abb. 2: Rückblick auf das Tourismusjahr 2013 und Prognosen für 2014
Prognosen ausgewählter Marktforschungsorganisationen für das (Tourismus-)Jahr 2014
5,0% Welt
+6 2
+4
%
%
Zuwachs bei den internationalen Ankünften weltweit (UNWTO)
der Deutschen haben bereits feste Urlaubspläne (FUR/RA).
55
%
Steigerung der Einnahmen aus dem Incoming-Tourismus in Deutschland (FUR) 5,4% Europa Erwartetes Umsatzplus in der Hotellerie (Hoteldirektorenvereinigung Deutschland) %
11
%
mehr Reiseausgaben geplant (dt. Bevölkerung; lastminute.de).
3,7% Deutschland
1,8
%
BIP-Wachstum in Deutschland (DIW Berlin)
der Deutschen blicken mit Zuversicht auf das Jahr 2014 (Stiftung für Zukunftsfragen).
72
%
Quelle: dwif 2014, Daten Statistisches Bundesamt, UNWTO 2014, FUR 2014a, FUR 2014b, HDV 2014, lastminute.de 2014, DIW 2014, Stiftung für Zukunftsfragen 2013
hat sich der Tourismus in Ostdeutschland in den Wintermonaten überwiegend gut entwickelt. Besonders optimistisch zeigen sich die SachsenAnhalter und die Brandenburger.
Tourismusmagnet Ostdeutschland
25 Jahre nach dem Mauerfall hat sich der Tourismus in den neuen Bundesländern zu einer wahren Erfolgsgeschichte entwickelt. Die ist unter anderem massiven öffentlichen Förderprogrammen aber auch privaten Investitionen zu verdanken. Die Übernachtungsnachfrage in Ostdeutschland hat sich seit Beginn der 90er Jahre mehr als verdoppelt. Mit einem Plus von 170 Prozent erreicht Mecklenburg-Vorpommern einen Spitzenwert. Im Freistaat Thüringen war das Wachstum mit 50 Prozent am geringsten ausgeprägt. Der Marktanteil der neuen Bundesländer am gesamtdeutschen Tourismus ist von 10,4
auf 18,1 Prozent signifikant gestiegen. Damit entfällt heute ein in Relation zur Einwohnerzahl überproportional hoher Anteil der Übernachtungen auf die neuen Bundesländer. Die touristisch seit einigen Jahren besonders stark boomende Hauptstadt Berlin ist in dieser Statistik noch gar nicht berücksichtigt. Die neuen Bundesländer haben ihre touristische Anziehungskraft auch über die Grenzen der Bundesrepublik hinweg steigern können. So übernachten heute etwa dreimal so viele Gäste aus dem Ausland in den neuen Bundesländern als noch 1990. Mit dem Jahre 2010 hat sich das touristische Wachstum in Ostdeutschland allerdings etwas abgeschwächt. Für 2013 war sogar ein leichter Rückgang der Übernachtungszahlen um 0,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen. Hier hat sich insbesondere Elbeflut der Sommermonate negativ ausgewirkt. So lässt sich erklären, dass die davon nur in Randgebieten betroffenen Bundesländer
Tourismuspreis des Ostdeutschen Sparkassenverbandes 2015
Der Tourismuspreis des Ostdeutschen Sparkassenverbandes (OSV) „MarketingAward – Leuchttürme der Tourismuswirtschaft“ ist wieder zu haben. Beteiligen können sich touristische Unternehmen, die mit pfiffigen Angeboten und nachahmenswerten Konzepten glänzen. Der Preis wendet sich an touristische Einrichtungen aus Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. In Thüringen wird der Wettbewerb vom Sparkassen- und Giroverband Hessen-Thüringen ausgelobt. Einsendeschluss ist der 15. November. Zu folgenden Themenfeldern können Wettbewerbsbeiträge eingereicht werden: Angebote & Produkte (Pauschalangebote, Veranstaltungskonzepte, Entwicklung neuer Dienstleistungen, Bündelung von Angebotskomponenten) Vertrieb & Preisgestaltung (Online-Vertrieb, Kooperationen, neue Formen der Preisdifferenzierung) Gästewerbung & Gästeinformation (innovative Presse und Öffentlichkeitsarbeit, Werbekampagnen, Maßnahmen mit definierter Zielgruppenorientierung, Marketingstrategien, Nutzung von Social Media, Kommunikationskonzepte) Qualitätssicherung mit Servicequalität, Gästebindung, Personalmanagement Teilnehmen können Unternehmen, Freizeit- und Tourismusorganisationen, öffentliche Einrichtungen, Verbände und Vereine sowie Landkreise und Gemeinden. Die eingereichten Angebote und Konzepte sollen kreativ, originell und nachhaltig sein. Erwartet wird, dass der Wettbewerbsbeitrag den Markttest bestanden hat und bereits umgesetzt worden ist. Die Ansätze müssen zudem langfristig ausgerichtet sein und Impulse für die Region setzen. Die besten Tourismusideen werden im Rahmen des OSV-Tourismusforums auf der Internationalen Tourismus-Börse in Berlin präsentiert. Die Beteiligung am Wettbewerb ist kostenfrei. Teilnahmeunterlagen stehen im Internet unter der Adresse www.tourismusbarometer.de zur Verfügung.
Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern Zuwächse von immerhin einem Prozent der Übernachtungszahlen erzielen konnten. Trotz der Prognosen eines wiederauflebenden Wachstums für das Jahr 2014 muss insgesamt konstatiert werden, dass der Tourismus-Markt Ostdeutschland nach den enormen Steigerungen der letzten beiden Jahrzehnte als weitgehend gesättigt angesehen werden muss und nur noch in qualitativer Hinsicht ein signifikantes Wachstum möglich scheint. Auf regionaler Ebene zeigen sich im ostdeutschen Vergleich für das vergangene Jahr recht unterschiedliche Werte. Bei den urban geprägten Destinationen konnten insbesondere die sächsischen Städte – allen voran Chemnitz, aber auch Leipzig und Dresden – deutlich zulegen. Im Zuge der überdurchschnittlich positiven Übernachtungszahlen an der Ostseeküste konnte auch die Hansestadt 13Rostock signifikante Zuwächse erzielen. Newcomer bei den Seenregionen ist das Lausitzer Seenland. Die Flutung und Renaturierung ehemaliger Tagebaulöcher kann zumindest mit dem heutigen Stand als voller touristischer Erfolg bezeichnet werden. Doch auch das nahegelegene Dahme-Seenland oder die Uckermark konnten bei den Übernachtungszahlen deutlich zulegen. Seit dem Jahr 2013 verfügt Ostdeutschland nicht nur über vielfältige Weltkulturerbestätten, sondern auch über ein Weltnaturerbe. Die alten Buchenwälder Deutschlands wurden 2013 in die Liste aufgenommen. Vier von fünf dieser Wälder liegen in Ostdeutschland und zwar in den Nationalparks Jasmund auf Rügen, Hainich in Thüringen, Mecklenburger Seenplatte und im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin. Insbesondere der Hainich und das Eichsfeld in Nordwestthüringen erwarten sich von diesem Schritt zusätzliche touristische Impulse. Diese Erwartungen konnten durch die Zahlen des vergangenen Jahres weitgehend bestätigt werden. Im Hinblick auf die Entwicklung im Tourismusmarkt war die Sächsische Schweiz besonders stark vom Hochwasser des vergangenen Jahres betroffen. Aber auch andere Regionen an der Elbe und ihren Zuflüssen mussten teilweise erhebliche Einbußen in Kauf nehmen – so etwa Anhalt-Wittenberg, das Thüringer Vogtland, das Sächsische Elbland in und um Dresden, die Elbe-Börde-Region bei Magdeburg, Saale-Unstrut und die Prignitz. In diesem Zusammenhang starteten die betroffenen Länder und Kommunen Image- und Aufklärungskampagnen, die den Tourismus als besten Aufbauhelfer vor Ort würdigen und Ängste vor infrastrukturellen Defiziten begegnen wollten.
Geringe Dynamik im Incoming-Segment
Wie in den Vorjahren ist der Übernachtungszuwachs bundesweit auch im Jahr 2013 vor allem der gestiegenen Nachfrage aus dem
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geschichte entwickelt – auch mithilfe umfassender öffentlicher Förderprogramme und privater InvestiSparkassen tionen. Die Übernachtungsnachfrage in Ostdeutschland hat sich seit Anfang der 1990er Jahre mehr als verdoppelt (Spitzenwert: Mecklenburg-Vorpommern
nachfrage“ – also die Übernachtungen von Gästen aus dem Ausland – erhöhte sich sogar um das Dreifache und entwickelte sich damit parallel zu den deutschen Exporten insgesamt. >> Abb. 4
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Deutschlandweit kamen im Jahr 2013 die meisten ausländischen Übernachtungsgäste aus den benachbarten Niederlanden. Dies gilt auch für die neuen Bundesländer. Auf dem zweiten Ausfuhrwert deutscher Exporte Ostdeutschland MV Übernachtungen ausländischer Gäste in Ostdeutschland Platz rangiert die Schweiz. Insbesondere die Ost1993: 10,4% Übernachtungen ausländischer Gäste in Deutschland 3,3% seestrände in Mecklenburg und Vorpommern, 2013: 18,1% 6,8% zunehmend aber auch andere Tourismus300 regionen der neuen Bundesländer erfreuen sich BB ST dort großer Beliebtheit. Polen lag 2009 lediglich 1,6% 1,2% auf dem sechsten Rang, schafft es aber aktuell 200 2,8% 1,7% unter die Top 3 der wichtigsten Quellmärkte SN TH s Tourismusbarometer – Jahresbericht 2014 Ostdeutschlands. Mit der wachsenden Kauf2,5% 2,0% kraft und der andauernd positiven wirtschaft100 4,4% 2,3% 1993 2003 2013 lichen Entwicklung in Osteuropa verbinden sich insbesondere für die neuen Bundesländer Quelle: dwif 2014; Daten Statistisches Bundesamt einige Chancen im Tourismusmarketing. Auf den Abb. 5: Übernachtungsentwicklung in Betrieben ab zehn Schlafgelegenheiten 2013 gegenüber 2012 Abb. 4: Übernachtungsentwicklung in Betrieben ab zehn Schlafgelegenheiten 2013 gegenüber 2012 Rängen vier bis sechs finden sich mit Dänemark, Österreich und Schweden ebenfalls europäische Bundesländer (in %) Reisegebiete (in %) O s t d e u t s c h e r S p aLänder. Die USA als siebtwichtigster b a n d r k a s s e n v e r Quellmarkt -0,4 ≥ 2,5 Saarland 12,6 für den Tourismus in Ostdeutschland sind das < 2,5 bis ≥ 0,0 Hamburg 9,1 erste nicht-europäische Land in der Rangfolge. 0,5 < 0,0 bis ≥-2,5
Marktanteil der ostdeutschen Bundesländer an allen Übernachtungen in gewerblichen Betrieben in Deutschland Entwicklung der Übernachtungsnachfrage im Vergleich zum deutschen Außenhandel insgesamt (Index 1993 = 100)
Abb. 4: 25 Jahre nach dem Mauerfall – Erfolgsgeschichte Ostdeutschland-Tourismus
Abb. 3: 25 Jahre nach dem Mauerfall – Erfolgsgeschichte Ostdeutschland-Tourismus
Berlin
8,2
Bremen Nordrhein-Westfalen Schleswig-Holstein Hessen Mecklenburg-Vorpommern Brandenburg Bayern Baden-Württemberg Niedersachsen Sachsen Rheinland-Pfalz Thüringen Sachsen-Anhalt -3,0 -0,3 -0,4 -0,5 -1,6 1,6 1,3 1,2 0,8 0,3 0,2 0,2
7,6
2,7 1,2
-0,5
<-2,5 bis ≥-5,0 <-5,0
Quelle: dwif 2014, Daten Statistisches Bundesamt und Statistische Landesämter
Top-Regionen 2013: Städte, Seen und WeltDynamik naturerbe im Incoming-Tourismus etwas nach. Stieg die Zahl ausländischer Übernachtungen Auf regionaler Ebene fiel die Bilanz des Tourismusjahres ebenfalls und 2012 durchschnittlich um zwischen 2010 sehr unterschiedlich aus. Zu den Gewinnern zählten in erster Linie … vergangenen knapp acht Prozent, waren es im städtisch geprägte Reisegebiete: Allen voran legten schnitten mit einer Steigerung von lediglich die sächsischen Städte (Chemnitz mit zweistelligen 1,1Zuwächsen, aber auch Leipzig und Dresden) sowie Prozent deutlich schwächer ab, als die westdeutschen Mitbewerber. Währendder starken die Mecklenburgische Ostseeküste mit BrandenStädtedestination Rostock an Übernachtungsvoluburg Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen men zu. zumindest ein leichtes Plus erzielten, war die Zahl Seenregionen: Seit Jahren boomt der Tourismus und Sachsen-Anhalt stark rückläufig. Damit am Wasser; 2013 profitierten davon vor allem das wurde der AufschwungDahme-Seenland undJahre Lausitzer Seenland, das der vergangenen die in Uckermark, die schon in den Vorjahren stets an Das diesem Segment recht jäh gestoppt. Tourismusjahr 2012 hatten noch mehr als die Bedeutung gewonnen hatten. Regionen mit Weltnaturerbestätten: Der Hainich stelligen Wachstumsraten im Incoming-Segment und das Eichsfeld – beide nördlich des Thüringer abgeschlossen. 2013 verzeichneten 23 der 42 ostWaldes gelegen – sind langfristig gesehen die deutschen Reisegebiete ein Minus am Jahresende. Zugpferde im Thüringen-Tourismus. 2013 allerdings Auch hier musstennach einem Elbe-Hochwasser legte das Eichsfeld die vom überaus erfreubetroffenen Regionen besonders starke Einbußen lichen Vorjahr eine Wachstumspause ein, während
Ausland zu verdanken. Allerdings lässt die
Jahr nur 4,5 Prozent. Die neuen Bundesländer
Werbekampagnen gegen die Nachfrageflaute 3,0 -2,6 infolge des Hochwassers -2,8 2,8 Lausitzer Seenland 8,2 -2,3 „Tourismus als bester Fluthelfer“. Nach den HochNiederlausitz -2,3 1,2 -0,9 -1,9 Saaleland wasserereignissen des Frühjahres 2013 war -3,0 4,7 -3,3 Schnelligkeit gefragt, um den Tourismus in den 0,5 1,4 betroffenen Gebieten wieder anzukurbeln. Die Lan-7,2 -2,9 -2,0 -2,6 desmarketinggesellschaft in Sachsen-Anhalt setzte 8,7 -7,5 -2,7 0,0 auf Plakataktionen in -3,7 2,3 -0,5 -0,5 westdeutschen Großstädten. 4,4 -0,2 Unter dem Motto 13,2 „Sachsen-Anhalt ist gerade jetzt 2,2 eine Reise wert“ wollte man-11,4 insbesondere den Rad-4,6 -5,0 -2,9 -3,0 tourismus an Elbe und Co. wieder in Gang bringen. -6,5 Das Land Sachsen warb in Sonderbeilagen populärer Zeitungen und Zeitschriften sowie in OnlineMedien und Social Media für seine Reisegebiete und Großstädte. Für die Aktion mit dem fast dreimal ausländischer Gäste in WestdeutschlandSlogan der Hainich zu den erfolgreichsten ostdeutschen so„Sommer, Sonne, goldener Herbst: nach Sachsen!“ hoch (17,5 Prozent)Seit Juniden neuen BundesReisegebieten zählte. wie in 2011 stehen die investierte das Land rund 750.000 Euro. Auch das ländern. Innerhalb Nationalpark Hainich auf der Buchenwälder im Ostdeutschlands erreicht ledigbrandenburgische Wirtschaftsministerium initiierte Liste der UNESCO-Welterbestätten. 2014 steht lich Sachsen einen Wert von mehr als zehn Prozent. eine Online-Werbekampagne: Kurzfilme über undas Thema UNESCO Welterbe im Mittelpunkt der Mecklenburg-Vorpommernintaktemit drei Prozent versehrte Landschaften und liegt touristische Marketingaktivitäten der Deutschen Zentrale für Infrastruktur vermitteltenEnde der Rangliste. Das recht abgeschlagen am die Botschaft, dass die Tourismus.5 Davon ausgehend sind können.6 Gäste hier unbesorgt Urlaub machenweitere Impulse Tourismusbarometer mahnt daher seit Jahren an, für die ostdeutschen Vertreter zu erwarten.
Unterdurchschnittlicher Anteil Ausländische Übernachtungen: Dynamik lässt des Tagestourismus weiter nach Wie in den Vorjahren war der bundesweite Übernachtungszuwachs im Jahr 2013 tragende auf diein der Tagesreisen nehmen eine großteils Rolle Nachfrage aus dem Ausland zurückzuführen. Allerdings deutschen Tourismuswirtschaft ein. Sie werden lässt die Dynamik im Incoming-Tourismus etwas nahezu ist der gesamten mehr so hoch wie in nach undvon bei weitem nichtBevölkerung unternommen. So gaben nur 16 Prozent der Finanzkrise den Jahren nach der Wirtschafts- und Deutschen 2009. Stieg die Zahl der ausländischen Übernachan, zwischen Mai 2012 und April 2013 keinen tungen zwischen 2010 und zu haben. Der DurchAusflug unternommen 2012 durchschnittlich um knapp 8 Prozent jährlich, so reichte es 2013 „nur“ für schnitt lag im betreffenden Zeitraum bei 38 4,5 Prozent.
Tagesreisen pro Kopf der Bevölkerung. Diese waren überwiegend privater Natur. einer SteigeDie neuen Bundesländer schnitten mit Ostdeutschrung um 1,1 Prozent bei denschwächer ab als viele land verzeichnet deutlich Tagesreisen einen westdeutsche Mitbewerber. Während Brandenburg, geringeren Marktanteil (15 Prozent) als bei den Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen zumindest Übernachtungen (18 Prozent). Allerdings lässt ein (wenn auch unterdurchschnittliches) Plus schaffsich dieser Umstand unter anderem auf die verten, ging die Zahl der Incoming-Übernachtungen in gleichsweise geringe Bevölkerungsdichte zurück. Sachsen-Anhalt und Thüringen drastisch in den InsofernBundesländern zurückführen. Innerhalb neuen konnte Ostdeutschland nicht an die erfolgreiche Bilanz des Vorjahres erreichen Sachsen und der neuen Bundesländer (+10,6 Prozent) anknüpfen. >> Abb. 6 Brandenburg überdurchschnittlich gute Werte.
das Auslandsmarketing weiter zu forcieren.
der Incoming-Übernachtungen in Thüringen
Hälfte der ostdeutschen Regionen mit zwei-
Von dem Hochwasser besonders schwer betroffen Abb. 5: Entwicklung ausländischer Übernachtungen in Betrieben ab zehn Schlafgelegenheiten Abb. die Sächsische Schweiz, wo die touristische war 6: Entwicklung ausländischer Übernachtungen in Betrieben ab zehn Schlafgelegenheiten 2013 gegenüber 2012 2013 gegenüber 2012 Nachfrage 2013 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 10 Prozent zurückging (–32,1 Prozent im Bundesländer (in %) Reisegebiete (in %) Hochwasser-Monat Juni). Aber auch die anderen Saarland ≥ 20 8,8 Regionen an der Elbe und ihren Zuflüssen bekamen 32,8 < 20 bis ≥ 10 Schleswig-Holstein 11,6 die Folgen der Überschwemmungen zu spüren: in < 10 bis ≥ 0 5,2 Hamburg 11,3 < 0 bis ≥ -10 -0,9 erster Linie Anhalt-Wittenberg und das (Thüringer) Bremen 10,2 -4,7 < -10 Vogtland, aber Berlin das Sächsische Elbland, die auch 9,1 9,2 31,6 Elbe-Börde-Heide-Region um Magdeburg, die Saale-34,8 Baden-Württemberg 5,0 Hainich -13,0 27,8 -11,0 Kyffhäuser -19,8 Unstrut-Region Bayern um Halle sowie 4,1 Prignitz. Selbst die Lausitzer Seenland 33,5 -37,6 23,9 -0,2 Brandenburg groß angelegte Image- und Aufklärungskampagnen 3,6 -18,8 Niederlausitz 7,4 13,5 0,1 Saaleland Nordrhein-Westfalen 3,3 konnten nur Schadensbegrenzung leisten. >> Abb. 5 10,3 -6,0
Mecklenburg-Vorpommern Sachsen
5
3,0
2,7 2,4 1,4
www.germany.travel/de/presse-international/themenjahr/unesco-presse.html
Hessen
-37,9 -38,7
-18,6
-11,9 6,6 -4,3 11,0
1,6 -49,3 -1,0
in Kauf nehmen. Generell verbinden sich mit dem IncomingTourismus in Ostdeutschland noch enorme Potentiale. So ist der Anteil der Übernachtungen
Niedersachsen
1,2 -17,6 3,4 16,3 -3,9
Rheinland-Pfalz
-1,7
-3,0
Thüringen -5,1 Sachsen-Anhalt -5,1
Quelle: dwif 2014, Daten Statistisches Bundesamt und Statistische Landesämter
3,2 -4,3
-21,8
30,2 -20,8
18
UNTERNEHMERIN KOMMUNE • AUSGABE 03 / SEPTEMBER 2014
6
www.sachsen-anhalt-tourismus.de; www.sachsen-tourismus.de; www.mwe.brandenburg.de
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insgesamt: +2,9 Prozent, Übernachtungen insgesamt: +10,7 Prozent). Auffallend stark und bereits Sparkassen mehrere Jahre in Folge stieg die Zahl der Schweizer Übernachtungen in Brandenburg, wo sich die Reisenden vor allem für das preußische Kulturerbe
im Dahme-Seenland, wo sich die Übernachtungen polnischer Reisender seit 2009 mehr als verdoppelt haben. Hieran hat die Freizeiterlebniswelt Tropical Islands mit ihrer durchgreifenden Markterschließung einen wichtigen Anteil.
Abb. 7: Herkunftsstruktur der ausländischen Gäste in Betrieben ab zehn Schlafgelegenheiten 2013
Abb. 6: Herkunftsstruktur der ausländischen Gäste in Betrieben ab zehn Schlafgelegenheiten 2013
Bundesländer – Top-3-Herkunftsmärkte Anteil Entwicklung Top-3Herkunftsmärkte an gesamt 2013/2012 18% 24% 14% -4% 6% 31% 17% 15% 15% 16% 11% 8% 9% 8% 8% 20% 7% 7% 15% 8% 7% 9% 3% -2% -20% -10% -10% -11% 5% -3% - 5% 4% 4% -1% 5% 1% Reisegebiete – Top-3-Herkunftsmärkte Chemnitz Bulgarien Dänemark Großbritannien Italien Japan Niederlande Norwegen Österreich Polen Rumänien Russland Schweden Schweiz Tschechische Republik Ungarn USA Lausitzer Seenland Übriges Thüringen
s Tourismusbarometer – Jahresbericht 2014
Brandenburg
Dresden Leipzig Potsdam
Mecklenburg-Vorpommern
Sachsen-Anhalt
Sachsen
Thüringen
Deutschland
Quelle: dwif 2014, Daten Statistisches Bundesamt und Statistische Landesämter
In Sachsen profitieren nahezu alle Reisegebiete erheblich vom Tagestourismus. Ein großer Vorteil für Brandenburg sind die Ausflügler aus Berlin. Eindeutiges Zugpferd ist Potsdam, aber auch der Spreewald entfaltet mittlerweile eine erhebliche Anziehungskraft. In die nordbrandenburgischen Regionen reisen Tagestouristen hingegen deutlich seltener. Auch in Sachsen-Anhalt und Thüringen zeigen sich erhebliche regionale Unterschiede. Hier können die Städteregionen deutlich stärker von Tagesgästen profitieren, als etwa die Mittelgebirge vom Harz bis zum Thüringer Wald. Schlusslicht im bundesweiten Vergleich ist Mecklenburg-Vorpommern. Hier können auch die traditionsreichen Hansestädte von Schwerin über Rostock nach Stralsund bislang nur eine unterdurchschnittliche Anziehungskraft auf Tagesgäste ausüben. Auch hinsichtlich der durchschnittlichen Ausgaben liegen die neuen Bundesländer deutlich hinter dem bundesweiten Schnitt. Dies ist allerdings vornehmlich der überwiegend ländlichen Siedlungsstruktur zuzuschreiben. So zeigt sich auch eine klare Proportionalität zwischen Bevölkerungsdichte und der Höhe der Ausgaben von Tagestouristen. Nur die ostdeutschen Reisegebiete mit hoher städtetouristischer Bedeutung (Thüringer Städte, Potsdam, Dresden) erreichen hier überdurchschnittliche Werte.
allerdings haben sich die Kapazitäten je Betrieb weiterhin sehr positiv entwickelt. Mittlerweile verfügen die ostdeutschen Beherbergungsbetriebe über Auslastung 3.2 durchschnittlich 80 Schlafgelegenheiten. Zehn Jahre zuvor waren es lediglich 70. SeitIn denliegen vergleichbare Daten zur Kapazitäts2009 neuen Bundesländern finden sich damit auslastung (inklusive Campingplätze) vor. In diesem deutlich größere und damit auch wettbewerbsfähigere Zeitraum konnte der Deutschland-Tourismus stets Einheiten als im übrigen Bundesgebiet. Das trifft insauf eine Verbesserung dieser für den Betriebserfolg besondere Kennzahl verweisen. Auch die ostdeutwichtigen auf die Küstenregionen in Mecklenburgschen Länder warenauf die verhältnismäßig beteiligt. Vorpommern und fast durchgängig daran wenigen Während das Auslastungsniveau der Beherbergungsostdeutschen Großstädte zu. In den vergangenen zwei betriebe 2013 deutschlandweit deutlich anstieg (+0,4 Jahren ist die Kapazitätsentwicklung etwas stagniert. Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr) und nun bei 2013 35 dies nicht zuletzt den hochwasserbedingten knappwar Prozent liegt, verlief die Entwicklung in den Betriebsschließungen geschuldet. So wurden in neuen Bundesländern weniger erfreulich. Sachsen und Sachsen-Anhalt 2013 deutlich weniger Nur Sachsen konnte trotz der Nachfragerückgänge Kapazitäten angeboten als noch im Vorjahr. In die Auslastung leicht steigern (+0,2 Prozentpunkte Brandenburg undallerdings aufzeigt sich mit einer Thüringen Kosten der Kapaauf 37 Prozent), regen Bautätigkeit einKräfte waren hier die Städte zitäten. Treibende wiedererwachter Optimismus. In Mecklenburg-Vorpommern, wo der Ausbau der Chemnitz und Leipzig, die beide um rund 2 Prozentpunkte zulegten, aber auch die Region OberlausitzSchlafplätze mit besonderer Vehemenz vorangetrieben Niederschlesien (+0,7 wurde und wo heute fast Prozentpunkte). ostdeutschen 40 Prozent der Im Vogtland hingegen ging die Belegungsrate erstmals seit Kapazitäten konzentriertsowohlzeigtsächsischer als sind, auf sich – allerdings Jahren wieder zurück, auf auchhohem Niveau – eine abnehmende Dynamik. sehr auf thüringischer Seite. Erst seit dem Jahr 2009 liegen vergleichbare Daten zur Kapazitätsauslastung vor. In diesem Zeitraum konnte sich der Deutschland-Tourismus hinsichtlich dieser
Abb. 10:
für den Betriebserfolg wichtigen Kennzahl stetig verbessern. Doch während Auslastungsniveau der Beherbergungsbetriebe im Jahr 2013 deutschlandweit um 0,4 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr anstieg, fällt die Bilanz für die neuen Bundesländer etwas ernüchternder aus. Nur Sachsen konnte trotz der Nachfragerückgänge die Auslastung leicht um 0,2 Prozentpunkte steigern. Treibende Kräfte waren hier die Städte Chemnitz und Leipzig, die beide um rund zwei Prozentpunkte zulegten. Die anderen ostdeutschen Bundesländer mussten durchgängig Auslastungsrückgänge in Kauf nehmen. Die höchsten Verluste verbuchten Thüringen und Sachsen-Anhalt. Das sehr unterschiedliche Auslastungsniveau in den einzelnen Bundesländern geht zu einem großen Teil auf die regionalen Merkmale in der Beherbergungsstruktur zurück. So sind Destinationen mit einer starken Hotellerie in der Regel deutlich besser anderen ostdeutschen mit zahlreichen, häufig Die aufgestellt, als GebieteBundesländer wurden von Auslastungsrückgängen auf breiter Front nur saisonal frequentierten Ferienunterkünften. Die beherrscht. Kapazitäten inDie höchsten Verluste verzeichneten der deutschen Hotellerie sind mit 40,6 Sachsen-Anhalt 21Prozent besonders (–0,4 Prozentpunkte auf 29,5 Progut ausgelastet. Auch war die Entzent) und Thüringen (–0,5 Prozentpunkte auf 34,3 wicklung in Hauptursache waren hier stetshochwasserProzent). den vergangenen Jahren die positiver als beibedingter Nachfrageausfälle; besonders betroffen: vielen anderen Unterkunftsarten.
Gute Bilanz bei den Großstädten
ii Die Auslastungssituation der ostdeutschen BeherDie insgesamt verhaltene Übernachtungsentwicklung bergungsbetriebe bleibt angespannt.
Anhalt-Wittenberg und die Thüringer Rhön. >> Abb. 10
in Ostdeutschland spiegelt sich auch in den einzelnen
Damit hat sich auch im Im Detail zeigen sich jedoch Destinationstypen wider. Ranking der auslastungsstärksten Länder seit 2009 einiges getan. Zwar bleibt teils gravierende Unterschiede. Die Städte sind auch Sachsen auf Platz 4 in Deutschland und folgt somit 2013 der mit Abstand erfolgreichste Destinationsdirekt auf die Stadtstaaten. Thüringen, 2009 noch typ Platz 4, Gesamtdeutschlands. Insbesondere die auf Ost- und ist allerdings deutlich zurückgefallen und belegt nun 100.000 Einwohnern verzeichneten Großstädte ab nur noch den neunten Rang. Ähnlich erging es Mecklenburg-Vorpommern (2009: Platz 10; deutliche Zugewinne bei den Übernachtungen. Diese 2013: Platz 13). Hier spielt vor allem das schwanEntwicklung geht zulasten der Kleinstädte, die nicht kende Campingsegment eine Rolle. Unmittelbar annur in Ostdeutschland, sondern bundesweit, an schließend folgen Brandenburg und Sachsen-Anhalt, Nachfrage verlieren. Küsten und Seengebiete in den die sich zwar nicht verbessern, aber zumindestOstAbstand zumverbuchten zwar nur leichte Zuwächse, deutschland Letztplatzierten (Rheinland-Pfalz) ausbauen konnten. >>aber besser als ihre Wettbewerber. entwickelten sich Anhang 2
Bei den ostdeutschen Seenregionen trugen vor allem
Abb. 7: Kapazitätsauslastung in Betrieben ab zehn Schlafgelegenheiten 2013 gegenüber 2012
Bundesländer (in %-Punkten) Reisegebiete (in %-Punkten) 3,5 1,8 1,3 0,5 0,5 0,5 0,4 0,4 0,3 0,2 0,1 0,1 -0,1 -0,2 -0,4 -0,5 *
1,3 * -0,6 0,0 0,4 0,0 -1,8 1,7 0,5 2,5 -1,4 -1,0 0,9 0,1 0,1 0,7 -1,8 -0,6 -2,0 -0,9 0,5 0,7 0,1 0,3 -1,3 -2,1 -0,2 0,4 -0,4 -0,4 -1,3 0,0
Kapazitätsauslastung in Betrieben ab zehn Schlafgelegenheiten 2013 gegenüber 2012
Auslastung der touristischen Kapazitäten
Die erste Dekade nach dem Mauerfall war im ostdeutschen Tourismus geprägt von einer enormen Bautätigkeit. Überall in den neuen Bundesländern entstanden neue Hotels, Ressorts und Pensionen. Dazu wurden bestehende Gebäude teilweise aufwendig restauriert. Auf dem Beherbergungsmarkt verdoppelte sich in diesem Zeitraum die Zahl der Anbieter, während im Rest der Republik kaum neue Kapazitäten entstanden. Seit der Jahrtausendwende sind die Investitionen in das Beherbergungsgewerbe Ostdeutschlands etwas ins Stocken geraten, 48
Hamburg Berlin Saarland Rheinland-Pfalz Bayern Hessen Schleswig-Holstein Nordrhein-Westfalen Niedersachsen Sachsen Bremen Baden-Württemberg Brandenburg Mecklenburg-Vorpommern Sachsen-Anhalt Thüringen
< ≥ ≥ ≥ ≥
-1,0 -1,0 bis < -0,5 -0,5 bis < 0,0 0,0 bis < 0,5 0,5
Lausitzer Seenland 1,3 -1,2 Niederlausitz Thüringer Vogtland -0,6 Hinweis: Brandenburg, Sachsen, Thüringen ohne Camping
*
-0,5 -2,4 *
*
*
* Für die neuen Reisegebiete in TH sind keine Vorjahresdaten verfügbar.
Quelle: dwif 2014, Daten Statistisches Bundesamt und Statistische Landesämter
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Sparkassen
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die Gewässer südöstlich von Berlin – vom Spreewald bis hin zum Lausitzer Seenland – zu einer positiven Bilanz bei. Dagegen mussten die süddeutschen Seengebiete – hier etwa der Chiemsee oder der Bodensee – Einbußen in Kauf nehmen. Deutschlandweit die Nummer Eins bei den deutschen Seenregionen ist nach wie vor die Mecklenburgisch-Brandenburgische Seenplatte, allerdings gingen hier die Übernachtungszahlen im vergangenen Jahr leicht zurück. Im Vergleich aller Küstendestinationen legte die Mecklenburgische Ostseeküste 2013 am stärksten zu. Bei den Ankünften konnte gar ein zweistelliges Plus erzielt werden. Den Inseln Rügen und Hiddensee hingegen gelang es nicht, den Abwärtstrend der Vorjahre zu stoppen. Im Vergleich zum Jahr 2012 gibt es zwar nur ein leichtes Minus, doch im Fünfjahresvergleich ist Rügen/Hiddensee das Schlusslicht unter allen Küstenregionen. Insgesamt entwickelte sich die Ostseeküste in den vergangenen Jahren jedoch deutlich positiver, als die Regionen an der Nordsee. Diese positiven Impulse sind teilweise dem wachsenden Incoming-Tourismus aus dem Ausland zu verdanken. Allerdings lag der Anteil ausländischer Urlauber an den deutschen Küsten noch immer auf einem unterdurchschnittlichen Niveau. Insbesondere in Vorpommern entfaltet die Nähe zu Polen bislang kaum Potentiale. Die meisten ausländischen Gäste kamen dort aus der Schweiz.
Schloss Doberlug in Doberlug-Kirchhain – unter dem Titel „Preußen und Sachsen. Szenen einer Nachbarschaft” findet hier vom 7. Juni bis zum 2. November dieses Jahres die erste Brandenburgische Landesausstellung statt. Der OSV präsentierte dort am 2. September das diesjährige Tourismusbarometer für Brandenburg. Foto: Thomas Trutschel, photothek.net/OSV
Die Aufenthaltsdauer an den deutschen Küsten sinkt von Jahr zu Jahr. Es besteht ein ungebrochener Trend zu Kurzreisen, die von den Gästen mitunter aber auch mehrmals im Jahr gebucht werden. Die insgesamt leicht steigende Nachfrage an den deutschen Küsten führte 2013 jedoch nicht zu einem Ausbau der Beherbergungskapazitäten. Die
Mittelgebirgsregionen haben sich in den vergangenen Jahren durchaus positiv entwickelt. Dies gilt sowohl im deutschen als auch im ostdeutschen Maßstab. Die Hochwasserereignisse im Jahr 2013 bremsten allerdings die positive Nachfrageentwicklung in Ostdeutschland. Die deutschen Mittelgebirgsregionen insgesamt verloren 0,4 Prozent ihres Anteils
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Beherbergungskapazitäten. Vor allem in den Regionen an der Nordseeküste sind die Kapazitäten sogar Sparkassen rückläufig.
allem auf Rügen/Hiddensee und in Vorpommern: Während die mittelfristige Übernachtungsdynamik bei –8 Prozent respektive +0,6 Prozent lag, wurden die Übernachtungsmöglichkeiten im selben Zeitraum um mehr als 5 Prozent ausgebaut. >> Abb. 13
an den Übernachtungen in Deutschland. Die ostdeutschen Mittelgebirgsregionen mussten 2013 Veränderung Küstenregionen nahezu durchgängig empfindliche Einbußen (in Tsd.) ggü. 2012 gesamt 54.590 Übernachtungen +0,7% in Kauf nehmen. Hatte die Sächsische Schweiz Mecklenburgische 2.095 Übernachtungen Ausländer +5,2% Rügen Nordsee Ostsee Ostseeküste 12.302 Ankünfte +2,0% zuletzt zu den Gewinnern unter den deutschen 538 Schlafgelegenheiten -0,2% 8.444 -0,1% 11.120 +1,5% 7.609 +2,7% 5.847 -0,4% 165 +10,2% 1.004 +12,7% 273 -0,9% 231 +8,8% Mittelgebirgen gezählt, war sie umso stärker von Rahmen: 1.495 +2,8% 2.941 +2,4% 1.994 +4,5% 1.232 -2,6% Wachstumsregion -0,1% den Hochwasser-bedingten Einbußen des ver79 123 -0,4% 66 +0,5% 62 -0,6% Konsolidierer Schrumpfungsregion gangenen Jahres betroffen. Für das kommende Ostfriesische Inseln Vorpommern Jahr darf jedoch mit einiger Berechtigung eine 5.091 -1,0% 8.891 +0,5% Verbesserung erwartet werden. Das Sorgenkind 27 +1,1% 198 +5,2% 825 +1,0% 2.010 +0,8% ist aber nach wie vor der Thüringer Wald. Es 38 -1,7% ±0,0% 91 ist die einzige ostdeutsche Mittelgebirgsregion Nordseeküste/ O s t d e u t s c h e r S p a r k a s s e n v e r b a n d Bremerhaven ohne signifikante Zuwächse in den Jahren 7.589 +0,6% 197 -20,7% zwischen 2008 und 2012. Die beliebteste 1.805 +2,6% 80 +0,2% Mittelgebirgsregion Deutschland bleibt der Quelle: dwif 2014, Daten Statistisches Bundesamt und Statistische Landesämter sowie eigene Berechnungen Schwarzwald. Insbesondere die ostdeutschen Mittelgebirge Abb. 14: Mittelgebirgsvergleich (Auswahl): Touristische Kennziffern 2013 gegenüber 2012 Abb. 9: Mittelgebirgsvergleich (Auswahl): Touristische Kennziffern 2013 gegenüber 2012 verbuchten einen leichten Rückschlag bei den WeserberglandSauerland 17 2013 www.erlebniswelt-fotografie-zingst.de (inkl. Willingen) Mittelgebirgsregionen Veränderung Teutoburger Wald Südniedersachsen Harz gesamt Übernachtungen ausländischer Touristen. Im (in Tsd.) ggü. 2012 gesamt 6.516 +0,5% 3.250 +0,2% 6.341 -1,6% 7.159 -0,1% Fünfjahreszeitraum zeigt sich allerdings ein deut571 +7,9% 291 +11,2% 509 -0,7% 1.418 -5,4% 86.689 Übernachtungen -1,0% 1.910 +2,0% 1.130 +0,2% 2.023 -0,5% 2.245 +1,2% 12.292 Übernachtungen Ausländer +2,2% liches Plus, weshalb trotz der Sondersituation 52 -0,7% 35 +1,8% 61 -1,0% 63 +1,4% 28.556 Ankünfte +0,3% 832 Schlafgelegenheiten -0,1% des vergangenen Jahres Anlass zur Hoffnung auf SiegerlandSächsische Schweiz Rahmen: Wittgenstein 37wachsende Impulse aus dem Incoming-Markt Wachstumsregion 1.382 -11,4% Vogtland gesamt 824 +4,2% Konsolidierer 48 -21,8% 111 +40,9% besteht. Die Aufenthaltsdauer in den ostdeutschen 1.677 -3,7% Schrumpfungsregion 380 -13,0% 233 +5,5% 64 -1,9% 11 -10,5% Westerwald/Lahn 5 -1,8% Mittelgebirgsregionen ist recht stabil und liegt 484 -3,4% 16 -0,9% 1.641 -0,9% Erzgebirge über dem bundesdeutschen Durchschnitt. Im 146 -2,4% 3.020 -4,6% Eifel gesamt 590 +2,1% 123 -3,9% ostdeutschen Vergleich führend ist die Thüringer * 20 -1,6% 5.719 +2,6% 1.025 -3,4% 1.626 +2,8% 28 0,0% Rhön, der Harz findet sich am Ende der ostHunsrück 1.999 +2,9% 68 +3,4% Bayerische 697 -5,4% deutschen Rangliste. Insgesamt konsolidieren Mittelgebirge 283 -9,6% 280 -6,6% die deutschen Mittelgebirge ihr Angebot. So kam 2.843 -0,7% 13 -0,3% Spessart-Odenwald 236 +2,9% * Waldecker Land es in den ostdeutschen Mittelgebirgsregionen zu 1.036 -0,1% Rhön 3.197 -2,0% 5.941 +1,0% Schwarzwald 33 -1,8% gesamt 303 +3,1% 985 +3,9% keinem nennenswerten Kapazitätsausbau. n Thüringer Wald 20.418 -0,3% 778 +1,4% Bayerischer Wald 4.840 -0,9%
27 +0,9% 4.814 +5,6% 7.400 +0,9% 171 +0,3% 2.578 59 +0,6% +0,2% 173 -3,7% 1.375 +0,3% 35 +1,3% Zusammensetzung Bayerische Mittelgebirge: Frankenwald, Fichtelgebirge, Oberpfälzer Wald Zusammensetzung Spessart-Odenwald: Odenwald-Bergstraße-Neckartal, Spessart-Kinzigtal-Vogelsberg, Spessart-Mainland
Quelle: dwif 2014, Daten Statistisches Bundesamt und Statistische Landesämter sowie eigene Berechnungen
Abb. 13: Küstenregionsvergleich: Touristische Kennziffern 2013 gegenüber 2012
Abb. 8: Küstenregionsvergleich: Touristische Kennziffern 2013 gegenüber 2012
4.157 -2,9% 160 -4,3% 1.366 -0,3% 62 +0,3%
7.063 431 1.723 73
-3,4% -7,4% -1,4% -3,0%
i
infos
www.osv-online.de
Dass der Tourismus in den neuen Bundesländern einen derart hohen Stellenwert einnimmt, ist auch ein Ergebnis der massiven De-Industrialisierung der 90er Jahre. Mit Blick auf den demografischen Wandel und die anhaltende Strukturschwäche der neuen Länder wird sich dieser Umstand auch auf mittelfristige Sicht nicht auflösen. So werden möglicherweise einzelne re-industrialisierte Zonen rund um größere Universitätsstädte entstehen, doch gerade für die in Ostdeutschland ausgeprägten ländlichen Regionen ist eine Umkehr der nach der Wende eingeleiteten Entwicklungen kaum zu erwarten. Der Tourismus ist eine naheliegende Möglichkeit, aus der Not eine Tugend zu machen und Potentiale für eine gedeihliche wirtschaftliche Entwicklung zu schöpfen. Dies ist in vielen Regionen bereits gelungen. Die Entwicklung der vergangenen 25 Jahre war äußerst positiv. Die neuen Bundesländer nehmen heute einen überdurchschnittlichen Anteil an der deutschen Tourismuswirtschaft ein. Allerdings werden in einem weitgehend gesättigten Markt die hohen Wachstumsraten der Vergangenheit nicht mehr erreicht werden können. Potentiale für ein quantitatives Wachstum lassen sich aus den östlichen Nachbarländern von Polen, über Tschechien bis hin nach Russland schöpfen. Hauptziel der kommenden Jahre muss jedoch eine Konsolidierung und eine qualitative Fortentwicklung des Angebots sein.
Der Ostdeutsche Sparkassenverband (OSV) wird Kommunen und Unternehmen bei der Strategiebildung weiter unterstützen. Mit der Veröffentlichung des Tourismusbarometers leisten die ostdeutschen Sparkassen einen kontinuierlichen Beitrag zur Fortentwicklung eines der zentralen ostdeutschen Wirtschaftszweige. Die Sparkassen der Region stellen mit diesem und vielen anderen Angeboten unter Beweis, dass sie mit der Region fest verbunden sind. Die Resonanz auf die Veranstaltungen des OSV zur Tourismuswirtschaft zeigt, dass diese Expertise im Gegenzug hoch geschätzt wird. So wurden in diesem September in allen vier OSV-Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt die regionalen Ergebnisse zu den Entwicklungen im Tourismusmarkt vorgestellt – am 2. September für Brandenburg in Doberlug-Kirchhain, am 12. September für Mecklenburg-Vorpommern in Rostock, am 17. September für Sachsen in Meißen und am 24. September für Sachsen-Anhalt in Aschersleben. Falk Schäfer
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AUS FORSCHUNG UND LEHRE
AUS FORSCHUNG UND LEHRE
zitiert
„Mit unseren vier Studenten im Masterstudiengang Kommunalwirtschaft wollen wir uns nicht nur auf die Zukunft vorbereiten. Ziel ist es vielmehr, wissenschaftlich fundierte Strategien auch zeitnah umzusetzen.“
Dr. Dietlind Tiemann, Oberbürgermeisterin von Brandenburger an der Havel am Rande der VfkE-Landesveranstaltung Brandenburg in Brandenburg an der Havel
„Zukunft der Daseinsvorsorge“ in der BUGA-Region Westbrandenburg/Ost-Sachsen-Anhalt
Auflage 2 eines deutschlandweit einmaligen Lehrforschungsprojekts
Projektvorstellung im Rahmen der VfkE-Landesveranstaltung Brandenburg
W
ie die elementaren Lebensbedürfnisse der Menschen unter immer komplizierteren Bedingungen auch künftig befriedigt werden können? Diese Frage steht über zwei beispielhaften Initiativen aus Nordthüringen und Westbrandenburg/Sachsen-Anhalt, deren Signalwirkung weit über diese beiden Länder hinaus reicht. Im Rahmen von zwei Lehrforschungsprojekten werden Strategien für die Daseinsvorsorge von Morgen in den beiden Region entwickelt. Für diese Expertisen entstehen keine Kosten. Sie sind Teil des deutschlandweit einzigen Masterstudienganges „Kommunalwirtschaft“ an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. In diesem seit 2010 bestehenden berufsbegleitenden Lehrangebot werden Führungskräfte für kommunale Verwaltungen und Unternehmen ausgebildet. Im Vorfeld hatten sich die Kommunalpolitiker grundsätzlich darauf verständigt, der Zusammenarbeit im Bereich Daseinsvorsorge verstärkte Aufmerksamkeit zu widmen. Impulsgeber ist das BUGA-Konzept 2015. Erstmals in der 65jährigen Geschichte der Bundesgartenschauen wird eine solche Veranstaltung in einer ganzen Region, im Havelland, ausgerichtet. Ebenso einmalig ist es, dass als Veranstalter ein eigens dazu gegründeter kommunaler Zweckverband fungiert, dem vier Städte und ein Amt angehören. Bemerkenswert ist auch, dass dieses spektakuläre interkommunale Kooperationsprojekt sogar Ländergrenzen überschreitet. Neben den drei Städten aus Westbrandenburg und dem Amt Rhinow ist auch die Stadt Havelberg aus Sachsen-Anhalt beteiligt. Diese höchst anspruchsvolle und komplizierte „Konstruktion“ einer Bundesgartenschau als interkommunales Projekt hat bewiesen, dass die beteiligten Kommunen und Kommunalpolitiker das dringende Erfordernis nach mehr Zusammenarbeit über die Kirchturmgrenzen hinaus nicht nur ernst nehmen, sondern auch erfolgreich umsetzen. „Wer dies für ein so komplexes Vorhaben wie eine Bundesgartenschau schafft, der hat auch den Willen und die Kraft, auf einem so wichtigen Feld wie der Daseinsvorsorge zu kooperieren“, erläuterte Dr. Dietlind Tiemann, Oberbürgermeisterin der Stadt Brandenburg an der Havel. Vor allem die demografischen Entwicklung und die sich dramatisch zuspitzende Lage der Kommunalfinanzen bringen für die Daseinsvorsorge völlig neue Herausforderungen. Ob die Versorgung mit Wasser und Energie, die Bereitstellung von bezahlbaren Wohnungen, der öffentliche Nahverkehr, Krankenhäuser und Pflegedienste oder die Entsorgung von Abwasser und Abfall – alle Bereiche der kommunalen Leistungserbringung müssen sich auf gänzlich neue Rahmenbedingungen einstellen. Nur im Rahmen der jeweiligen kommunalen Grenzen sind Lösungen auf Dauer nicht tragfähig. Zur Kooperation der Kommunen und deren Unternehmen gibt es keine Alternative. Im Interesse ihrer Bürger haben die beteiligten Kommunalpolitiker die Erarbeitung eines strategischen Konzepts zum Ausbau der interkommunalen Kooperationen im Bereich der Daseinsvorsorge auf den Weg gebracht. 51
Den Startschuss für das erste dieser beiden Projekte, die in dieser Form in Deutschland nur mit der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde als Kooperationspartner realisiert werden, gab es am 21. Mai 2014 in Nordhausen unter federführender Mitwirkung des Landkreises Nordhausen und der Städte Nordhausen und Sondershausen. UNTERNEHMERIN KOMMUNE hat darüber ausführlich im Juniheft berichtet. Das zweite Projekt dieser Art wurde am 3. September auf Initiative der Oberbürgermeisterin von Brandenburg an der Havel, der Bürgermeister von Premnitz und Rathenow, des Direktors des Amtes Rhinow (alle Brandenburg) und Havelberg (Sachsen-Anhalt) gestartet. Es trägt den Titel „Konzepte für die regionale Daseinsvorsorge der Zukunft“ in der BUGA-Region Westbrandenburg/ Sachsen-Anhalt. Den würdigen Rahmen bot die Landesveranstaltung Brandenburg des „Verbundnetz für kommunale Energie“, in deren Verlauf Dr. Dietlind Tiemann, Oberbürgermeisterin der kreisfreien Stadt Brandenburg an der Havel diese Initiative vorstellte (Den Bericht über die Landesveranstaltung finden Sie in diesem Heft auf den Seiten 24 bis 30).
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Masterstudiengang Kommunalwirtschaft
Die Ergebnisse des Lehrforschungsprojekts sollen im Sommer 2016 öffentlich vorgestellt werden. Auf diese Weise wird gewährleistet, dass für die weitere Diskussion in den kommunalen Gremien und mit den Bürgern sowie für die abzuleitenden wirtschaftlich-organisatorischen Umsetzungskonzepte eine objektive, wissenschaftliche Grundlage zur Verfügung steht.
Daseinsvorsorge ist das wichtigste kommunale Thema
Angesichts der dramatischen demografischen Entwicklung und der weiter zurückgehenden kommunalen Finanzmittel gewinne die Gewährleistung der elementaren Daseinsvorsorge eine immer größere Bedeutung, sagten die beteiligten Kommunalpolitiker aus Brandenburg und Sachsen-Anhalt übereinstimmend. Es gehe um die Sicherung der existentiellen Bedingungen und Lebensumstände der Menschen. Deshalb habe die Daseinsvorsorge unter allen kommunalen Aufgaben die höchste Priorität. Diesen Zusammenhang müsse auch die Landespolitik herstellen. Bei den nach den Landtagswahlen im Herbst anstehenden kommunalen Funktional- und Strukturreformen dürfe es nicht in erster Linie darum gehen, die Zuschnitte kommunaler Gebietskörperschaften zu verändern. Die Hauptfrage sei vielmehr die folgende: Unter welchen Rahmenbedingungen kann die Daseinsvorsorge von den Kommunen bestmöglich erbracht werden? Mit diesem Ziel müssten Funktionen und Strukturen so optimiert werden, dass die interkommunale Zusammenarbeit deutlich an Fahrt gewinnt. Dabei gehe es vor allem auch darum, der zentralen Rolle der Städte landespolitisch noch mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Für sich allein werde in Zukunft kaum noch eine Kommune in strukturschwachen Regionen die Daseinsvorsorge garantieren können, sagte Michael Schäfer, Professor für Kommunalwirtschaft an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Deshalb gäbe es zum kommunalen Schulterschluss keine Alternative. Dass sich Kommunalpolitiker aus unterschiedlichen politischen Lagern zu einem solchen Vorgehen bekennen, zeige, dass für sie die Sorge um ihre Bürger Vorrang habe vor parteipolitischer Profilierung. Mit dem Lehrforschungsprojekt „Zukunft der Daseinsvorsorge“ setze die Region ein Zeichen, das weit über Brandenburg und Sachsen-Anhalt hinaus Bedeutung habe und gehört werden wird, wertete Schäfer. n
Oberbürgermeisterin Dr. Dietlind Tiemann stellte auf der VfkE-Landesveranstaltung Brandenburg am 3. September das Lehrforschungsprojekt „Zukunft Daseinsvorsorge“ vor.
Beschritten wird dazu ein ebenso kreativer wie Kosten sparender Weg. Die wissenschaftliche Bearbeitung des Themas erfolgt im Rahmen des Berufsbegleitenden Studienganges Kommunalwirtschaft an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde, FH (HNE). Vier Studenten aus Brandenburg an der Havel – es handelt sich um Mitarbeiter aus kommunalen Unternehmen, die bereits mittlere Führungspositionen bekleiden – werden in diesem deutschlandweit einzigen Masterstudiengang ab Herbst 2014 ihr berufsbegleitendes Studium aufnehmen. Diese Studenten werden die Forschungsgruppe „Zukunft Daseinsvorsorge Westbrandenburg/ Sachsen-Anhalt“ bilden. Die wissenschaftliche Arbeit wird im Rahmen der Masterarbeiten erfolgen. Im engen Zusammenwirken mit der Eberswalder Hochschule und den Betreuern der Arbeiten, Prof. Dr. Mario Stoffels, Leiter des Studienganges und Vizepräsident der HNE, und Prof. Dr. Michael Schäfer, Professor für Kommunalwirtschaft an der HNE und Dozent im Studiengang, wurde folgendes Oberthema definiert: „Zukunft Daseinsvorsorge in der BUGA-Region Westbrandenburg/Sachsen-Anhalt“ Interkommunale Kooperationen als Schlüsselstrategie für zuverlässige kommunale Leistungen angesichts differenzierter dramatischer demografischer Veränderungen und weiter sinkender Kommunalfinanzen. Bestandsaufnahme des Kooperationsstatus in der Region im Zusammenhang mit dem BUGA-Projekt 2015. Analyse weiterer Kooperationspotenziale mit dem Schwerpunkt Daseinsvorsorge. Entwicklung von Konzepten zu deren Erschließung mit einem Exkurs zu den inhaltlichen und strukturellen Möglichkeiten 52
kommunaler Zweckverbände. Erarbeitung von Vorschlägen zur politischen Umsetzung“ Die Masterstudenten werden unter dieser Hauptüberschrift untersuchen, welche Möglichkeiten der interkommunalen Zusammenarbeit in der Region für ausgewählte Bereiche der Daseinsvorsorge, unter anderem bei der Energieversorgung, im Gesundheitswesen und im ÖPNV bestehen und Vorschläge unterbreiten, wie diese Potenziale erschlossen werden können. Die Namen der Studenten stehen bereits fest. Die Stadtwerke Brandenburg an der Havel entsenden Sandra Hahn und Alexander Korn. Aus der Brandenburger Dienstleistungen GmbH kommt der Prokurist, Stephan Köpping. Die Technischen Werke Brandenburg GmbH delegieren Sebastian Ackermann. Die Vorteile dieses Lehrforschungsprojekts, das in seiner Art in Deutschland einmalig ist, liegen auf der Hand: Die Expertise für die Kooperationskonzepte kommt aus den Kommunen selbst. Die Mitglieder der Forschungsgruppe verfügen über eine authentische Orts- und Problemkenntnis und sind auch als Bürger motiviert, einen Beitrag zur gedeihlichen Entwicklung ihrer Kommunen und ihrer Region zu leisten. Eingespart werden in erheblichem Umfang Kosten für externes Consulting. Mit der Entsendung von Studenten zu einem deutschlandweit einmaligen Studiengang an einer Hochschule der neuen Länder setzen die Kommunen angesichts der fortdauernden Abwanderung von Fachkräften aus Ostdeutschland auch politisch ein Zeichen: die ostdeutsche Kommunalwirtschaft bietet sichere Perspektiven gerade für junge, motivierte Mitarbeiter aus den neuen Ländern.
i
infos
Steffen.scheller@stadt-brandenburg.de www.vfke.org www.hnee.de
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INSPIRATIONEN/INFORMATIONEN
INSPIRATIONEN/INFORMATIONEN
zitiert
„Wir arbeiten ganz emotionslos mit jedem zusammen, der halbwegs vernünftig ist, wir können mit allen.”
Hubert Aiwanger, Bundesvorsitzender der Freien Wähler, zur Positionierung seiner Partei im bayerischen und bundesdeutschen Parteienspektrum
Aus unserer Serie Blick über den Gartenzaun – Estland
Orientierung am skandinavischen Modell
Administrative Strukturen und der öffentliche Sektor in Estland
E
stland ist das erste wirkliche Transformationsland in unserer Reihe „Blick über den Gartenzaun“. Zwar hatten wir uns bereits Polen und Tschechien gewidmet, diese beiden Länder haben ihr administratives Gefüge nach der politischen Wende 1989/90 jedoch lediglich modifiziert. Sie konnten an ein in Jahrhunderten gewachsenes Gefüge anknüpfen. Für die heutige Republik Estland galt dies nur bedingt. Bis auf knapp zwei Jahrzehnte zwischen 1918 und 1940 war das Land an der Südküste des Finnischen Meerbusens stets von anderen Mächten besetzt. Erst mit dem Zerfall der Sowjetunion zu Beginn der 90er Jahre schafften es die Esten, sich dauerhaft von äußerer Bevormundung zu lösen. Der Unabhängigkeitskampf zwischen 1990 und 1991 verlief unblutig und profitierte vom fortschreitenden Zerfall des Sowjetreiches. In den 90er Jahren durchlief Estland einen rasanten wirtschaftlichen Aufschwung. Politisch orientierte sich das Land konsequent in Richtung Westen. Mit der Aufnahme in EU und NATO im Jahre 2004 wurde dieser Transformationsprozess vorläufig abgeschlossen. Im Rahmen unserer Serie „Blick über den Gartenzaun“ blicken wir nach Estland und nehmen damit erstmals einen Staat aus der Zerfallmasse der UdSSR unter die Lupe. russischen Minderheit wurde jüngst auch vom UN-Menschenrechtsrat kritisiert. Nach dem gescheiterten Augustputsch im Moskauer Sommer 1991 wurde die estnische Unabhängigkeit auch von der Sowjetunion anerkannt. Damit waren die Weichen gestellt für eine vollständige Neuordnung der politischen und administrativen Strukturen. In Estland wurde eine repräsentative Demokratie geschaffen, die sich weitgehend an skandinavischen Staatstraditionen orientierte. Die gesetzgebende Gewalt gehört dem Riigikogu, einem Einkammerparlament, welches alle vier Jahre im Verhältniswahlrecht neu bestimmt wird. Die auch in Estland geltende Fünf-ProzentHürde wurde bei der vergangenen Wahl von vier Parteien übersprungen.1 Nach dem Ende der liberalkonservativen Regierungskoalition unter Ministerpräsident Andrus Ansip bildete der bisherige Sozialminister Taavi Rõivas im März dieses Jahres eine neue Zwei-Parteien-Regierung. Sie besteht aus der liberalen Reformpartei und der Sozialdemokratischen Partei und verfügt über eine knappe Mehrheit von 52 der 101 Sitze im Riigikogu. Der estnische Präsident wird nicht direkt, sondern mittelbar vom Riigikogu gewählt. Ähnlich wie in Deutschland verfügt dieses Amt über keine faktischen Kompetenzen, sondern ist eher symbolischer Natur. Wie bei den finnischen Nachbarn besteht in Estland keine föderale Ebene. Die Republik Estland ist eher zentralistisch ausgerichtet, gestattet auf der lokalen Ebene jedoch eine weitgehende kommunale Selbstverwaltung.
Estland wird gemeinhin unter den drei baltischen Staaten subsumiert. Doch tatsächlich haben die Esten in Kultur und Sprache deutlich mehr mit den Finnen gemein, als mit den Letten oder Litauern. Zusätzlich ist zu erwähnen, dass sich noch immer mehr als ein Viertel der in Estland lebenden Menschen als Russen identifiziert. In den Regionen am Peipussee nahe der Ostgrenze zu Russland erreicht der Anteil der russischen Minderheit teilweise mehr als 75 Prozent. Eine Autonomie dieser Regionen ist jedoch bislang nicht vorgesehen. Dass die russische Minderheit über keine eigene Vertretung im estnischen Parlament verfügt, ist dem Umstand zuzuschreiben, dass ein großer Teil nicht über die estnische Staatsangehörigkeit verfügt. Dafür sind Kurse vorgeschrieben, die allerdings nur in estnischer Sprache absolviert werden können. Denn trotz des hohen Anteils russischer Bürger steht die russische Sprache nicht im Rang einer Amtssprache. Die fehlende Integration der
Die administrativen Gliederungen
Einer Analyse der administrativen Strukturen muss zunächst einmal der simple Umstand
1 Eesti Reformierakond (Estnische Reformpartei) – klassisch liberal – 33
Sitze, Eesti Keskerakond (Estnische Zentrumspartei) – linksliberal – 26 Sitze, Isamaa ja Res Publica Liit (Pro-Patria und Res-Publica-Union) – konservativ – 23 Sitze, Sotsiaaldemokraatlik Erakond (Sozialdemokratische Partei) – 19 Sitze
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Blick über den Gartenzaun
Die Landkreise der Republik Estland
vorangestellt werden, dass Estland sehr klein ist. Mit einer Einwohnerzahl von lediglich 1,3 Millionen und einer Fläche von etwa 45.000 Quadratkilometern entspricht es der Bevölkerung Münchens bzw. der Größe Niedersachsens. Die Bevölkerungsdichte ist mit 30 Einwohnern pro Quadratkilometer fast achtmal geringer als in Deutschland und erreicht annähernd die Dimensionen der finnischen Nachbarn im Norden. Bereits Ende der 80er Jahre begann die estnische Unabhängigkeitsbewegung, die grundlegenden Prinzipien der lokalen Selbstverwaltung in einem estnischen Staatswesen zu konzeptionieren. Im Herbst 1989 wurden die ersten Kommunalwahlen abgehalten und am 1. Januar 1990 ist das Gesetz zur kommunalen Verwaltung verabschiedet worden. Zunächst wurde eine zweistufige Verwaltungsstruktur geschaffen. Nach einigen Reformen und Restrukturierungen der rechtlichen und finanziellen Grundlagen der jungen Republik besteht seit 1994 und bis heute eine einstufige Struktur. Seitdem obliegt die Verwaltung der Landkreise dem Zentralstaat, der auch die Gouverneure der Landkreise beruft. Grundlegende Verfügungen zur Lokalverwaltung waren bereits in der Verfassung von 1992 enthalten und wurden durch weitere Gesetze sukzessive konkretisiert. Bereits 1994 ratifizierte Estland ohne Einschränkungen die Europäische Charta der lokalen Selbstverwaltung. Die Gouverneure der insgesamt 15 Landkreise implementieren als Vertreter der Zentralregierung deren Politik auf der regionalen Ebene. Sie werden jeweils für fünf Jahre vom Innenminister der Republik Estland berufen. Um ihren spezifischen exekutiven Funktionen 54
gerecht werden zu können, betreiben viele Ministerien und staatliche Agenturen Büros in den verschiedenen Regionen. Aufgrund der einstufigen Verwaltungsstruktur gibt es keine direkt gewählten Repräsentanten auf der Landkreisebene.
Die 15 Landkreise der Republik Estland
Die kommunale Ebene in Estland wird von Städten und ländlichen Gemeinden gebildet. Diese genießen allesamt den gleichen rechtlichen Status und sind auf nationaler Ebene durch die Vereinigung der estnischen Städte bzw. durch den Verband der Gemeinden Estlands vertreten. Unter den 227 lokalen Selbstverwaltungseinheiten sind 33 Städte und 194 Gemeinden. Sie alle gehören jeweils zu einem Landkreis. Die estnischen Kommunen sind von recht unterschiedlicher Größe. 32 haben weniger als 1.000 Einwohner und nur drei mehr als 50.000. Die mit Abstand größte Gemeinde ist die estnische Hauptstadt Tallinn mit 430.000, die kleinste mit lediglich 101 Einwohnern die Insel Ruhnu. Der Median, also jener Wert, an dem sich die Verteilung in zwei gleichgroße Segmente aufspalten lässt, liegt bei circa 2.000 Einwohnern. Städte und auch ländliche Gemeinden können sich in kommunale Distrikte (linnaosa,
Landkreis Harju Hiumaa Ida-Viru Jõgeva Järva Lääne Lääne-Viru Põlva Pärnu Rapla Saare Tartu Valga Viljandi Võru
Gesamt
Hauptstadt Tallinn Kärdla Jõhvi Jõgeva Paide Haapsalu Rakvere Põlva Pärnu Rapla Kuressaare Tartu Valga Viljandi Võru
Tallinn
Fläche qkm
4.333 1.023 3.364 2.604 2.461 2.383 3.627 2.165 4.806 2.980 2.922 2.993 2.044 3.422 2.306 45.227
Bevölkerung
552.643 8.470 149.244 31.398 30.553 24.184 59.861 27.452 82.584 34.905 31.344 150.287 30.158 47.594 33.439 1.294.486
Zahl der Gemeinden
24 5 22 13 12 12 15 14 21 10 16 22 13 15 13 227
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Blick über den Gartenzaun
INSPIRATIONEN/INFORMATIONEN
osavald) mit beschränkter Selbstverwaltung aufgliedern. Deren Kompetenzen sind in den Statuten der jeweiligen Stadt oder Gemeinde geregelt. Die Initiative zu einer Änderung der estnischen Verwaltungsstruktur kann sowohl von der zentralstaatlichen Ebene als auch von den Kommunen selbst kommen. Nach der Verfassung werden Funktionen und Aufgaben nur bei gegenseitigem Einverständnis von der zentralstaatlichen Ebene an die Kommunen verlagert. Alle lokalen Angelegenheiten bleiben nach dem Grundsatz der Subsidiarität der kommunalen Ebene vorbehalten. Die Kommunen sind darüber hinaus berechtigt, bestimmte Aufgaben der Daseinsvorsorge nach Ausschreibung von privatwirtschaftlichen Unternehmen erfüllen zu lassen.
Demokratische Beteiligung auf der kommunalen Ebene
Das Wahlrecht in Estland gilt ab dem Alter von 18 Jahren. Im Gegensatz zu den Wahlen auf nationaler Ebene können an den Urnengängen in den Kommunen auch die im jeweiligen Ort dauerhaft gemeldeten Ausländer partizipieren. Dieser Punkt ist vor allem im Hinblick auf die starke russische Minderheit von Relevanz. Schließlich verfügt nur ein Bruchteil der in Estland lebenden Russen über einen estnischen Pass. Allerdings gilt diese Sonderregelung nicht für das passive Wahlrecht. Die Wahlen auf der lokalen Ebene werden alle vier Jahre am dritten Sonntag im Oktober abgehalten. Dieser einheitliche Termin wurde gefunden, um erstens Kosten zu minimieren und zweitens eine angemessene mediale Präsenz zu sichern. Die Wahlbeteiligung lag bei den
vergangenen vier Kommunalwahlen jeweils um die 50 Prozent. Im Jahre 2005 wurde erstmals das e-voting über das Internet als mögliche Alternative der Stimmabgabe eingeführt. Seitdem hat sich der Anteil der auf diesem Wege abgegebenen Stimmen vervielfacht, zudem wurde das Procedere im Hinblick auf die technischen Instrumentarien weiter verbessert. Das Gesetz zur Organisation der lokalen Regierungen führt aus, dass die Selbstverwaltung durch demokratisch gewählte Versammlungen und exekutive Gremien ausgeübt wird. Im gleichen Gesetz sind auch die Voraussetzungen für mögliche Bürgerbegehren geregelt. Dazu ist die Unterstützung von mindestens einem Prozent der am Ort lebenden, wahlberechtigten Bürger bzw. von mindestens fünf Personen erforderlich. Solche Initiativen dürfen nicht länger als drei Monate debattiert werden. Zudem hat jeder Bürger die Möglichkeit, die auf der lokalen Ebene verabschiedeten Gesetze anzufechten, wenn diese die Rechte des Antragstellers gesetzwidrig beschneiden. Gewählte Repräsentanten der lokalen Ebene können kommunale Aufsichtsgremien einberufen, an denen auch einzelne Bürger beteiligt werden können. Auch bei der Erarbeitung der obligatorischen Strategiepapiere zur Entwicklung einer einzelnen Kommune können sich die Bürger engagieren. Jeder Bürger Estlands hat das Recht, Zugang zu allen Informationen von öffentlichem Belang zu erhalten. Die lokalen Behörden nutzen verschiedene Wege, um ihrerseits der Verpflichtung zur Information der Bevölkerung nachzukommen. Dies können Gratiszeitungen, öffentliche Anschläge, Webseiten, InternetForen aber auch Roundtable-Gespräche sein.
Vor allem in Bezug auf die Fusion kommunaler Einheiten werden auch öffentliche Anhörungen durchgeführt. In den vergangenen Jahren haben sich mehrere regionale aber auch landesweite Netzwerke von Ehrenamtlern und lokal verwurzelten Organisationen gebildet. Erklärtes Ziel ist es, das ländliche Leben in Estland zu verbessern. In diesem Zusammenhang hat sich die Zahl der Partnerschaften zwischen lokalen Regierungen einerseits sowie gemeinnützigen Organisationen und Zusammenschlüssen der lokalen/regionalen Privatwirtschaft andererseits deutlich erhöht.
Die interne Organisation der lokalen Regierungen
Das Gesetz zur Organisation der Lokalregierungen bestimmt die allgemeinen Richtlinien zur institutionellen Struktur der Verwaltung auf lokaler Ebene. Diese allgemeinen Grundlagen werden durch das Statut (põhimäärus) jeder lokalen Verwaltungseinheit konkretisiert. Das wichtigste Organ einer jeden Kommune ist die Ratsversammlung (volikogu), die in der Regel für die Dauer von vier Jahren gewählt wird. Die Zahl der Ratsmitglieder kann jede Ratsversammlung – allerdings nur für die kommende Legislaturperiode – frei bestimmen. Die Mindestzahl liegt bei sieben Personen. Die Ratsversammlung kann sowohl ständige als auch sporadische Aufsichtskommissionen berufen (alaline/ajutine komisjon). Der Präsident aller eingesetzten Kommissionen muss von und aus der Ratsversammlung heraus gewählt werden. Den Ratsversammlungen sind exklusiv Entscheidungen zu kommunalen Statuten, zu
Riigikogu – das Parlament der Republik Estland im Toompea-Schloss von Tallinn
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Blick über den Gartenzaun
Blick auf die estnische Hauptstadt Tallinn
Steuern, zum Haushalt, zur Entwicklung von Strategiepapieren und andere grundlegende Weichenstellungen zugeordnet. Nicht zuletzt wird auch der Bürgermeister (linnapea, vallavanem) durch die Ratsversammlung gewählt. Dessen Amtszeit ist gebunden an die jeweilige Legislaturperiode. Die Regierungsmitglieder auf der kommunalen Ebene werden durch den Bürgermeister vorgeschlagen und durch Wahl in der Ratsversammlung bestätigt. Im Gegensatz zum Bürgermeister dürfen diese der Ratsversammlung nicht angehören. Die Ratsversammlung hat zwar das Recht, bestimmte Vorschläge abzulehnen, sie kann allerdings keine eigenen einbringen. Während die Ratsversammlungen generell öffentlich tagen, sind die Sitzungen der Lokalregierungen nicht-öffentlich. Der Bürgermeister ist das Oberhaupt der kommunalen Verwaltung. Sein Sekretär (linnasekretär, vallasekretär) managt die Beziehungen zwischen den verschiedenen Ämtern als den Organen der kommunalen Exekutive sowie der Ratsversammlung.
Finanzierung der kommunalen Ebene
Nach estnischem Gesetz sind staatliche und kommunale Haushalte voneinander 56
unabhängig. Die Kommunen sind gehalten, ausgeglichene Haushalte vorzulegen. Sie finanzieren sich aus der Einkommenssteuer, der Landsteuer, einigen lokalen Steuern sowie aus Gebühren und Einnahmen, die aus der wirtschaftlichen Aktivität der Kommunen erwachsen. Darüber hinaus bestehen einige finanzielle Transfermechanismen von der zentralstaatlichen auf die kommunale Ebene. Die wichtigste Einnahmequelle der estnischen Kommunen ist mit 42 Prozent die Einkommenssteuer. Die lokalen Verwaltungseinheiten erhalten 11,8 Prozent des Einkommens eines jeden Einwohners. Die höchsten Ausgaben beziehen sich mit 44 Prozent auf den Bildungssektor. Die Höhe der Gebühren für die Wasserversorgung und für die Bereitstellung weiterer natürlicher Ressourcen wird von der Zentralregierung in Tallinn festgelegt. Die lokale Ebene hat jedoch das Recht, im Rahmen der Gesetze verschiedene lokale Steuern und Gebühren zu erheben. Dazu gehören etwa die KfZ-Steuer, die Gewerbesteuer, die Haustiersteuer oder auch Parkgebühren. Insgesamt verfügen die kommunalen Einheiten in Estland über eine vergleichsweise weitreichende Autonomie, ihr Eigentum zu managen und Einnahmen zu generieren.
Die zweitwichtigste Einnahmequelle der estnischen Kommunen sind finanzielle Transfers der staatlichen Ebene. Ein staatlicher Fonds soll zusätzlich gewährleisten, dass die unterschiedlichen Einnahmemöglichkeiten verschiedener Kommunen ausgeglichen werden. Damit sollen auch schwache Kommunen in die Lage versetzt werden, öffentliche Dienstleistungen auf möglichst hohem Niveau anzubieten. Die Höhe der Ausgleichszahlungen wird zwischen den kommunalen Verbänden und der Zentralregierung verhandelt. Die Kommunen dürfen sich auch im Kreditmarkt engagieren, unterliegen dabei allerdings einigen rechtlichen Einschränkungen.
Interkommunale Kooperation
Die Lokalregierungen haben das Recht, Verbände und gemeinsame Institutionen zu bilden, um ihre eigenen Interessen zu schützen und auf nationaler Ebene zu vertreten. In der alltäglichen Praxis zeigt sich die kommunale Zusammenarbeit insbesondere bei der gemeinsamen Erledigung von Daseinsvorsorgeaufträgen – etwa bei der Abfall- und Abwasserentsorgung, im Bildungsbereich oder bei Sozial- und Gesundheitsleistungen. Daneben werden gemeinsame Strategiepapiere
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Blick über den Gartenzaun
INSPIRATIONEN/INFORMATIONEN
entwickelt und kulturelle Veranstaltungen organisiert. Viele kleinere Verwaltungseinheiten kaufen Leistungen der Daseinsvorsorge auch bei benachbarten Kommunen ein. Da es in Estland keine regionale Ebene gibt, ist die Kooperation zwischen den Lokalverwaltungen unabdingbar, um die Interessen der Kommunen auf der zentralstaatlichen Ebene zu vertreten. In jedem der 15 estnischen Landkreise sind die dortigen Kommunen verbandlich organisiert. Die Mitgliedschaft in den kommunalen Spitzenverbänden ist fakultativ, dennoch sind fast alle estnischen Kommunen dort vereinigt. Die Verbände finanzieren sich hauptsächlich aus Mitgliedsbeiträgen. Die kommunalen Spitzenverbände können sowohl auf der regionalen als auch auf der nationalen Ebene zu Leistungserbringern werden. Dazu werden Aufgaben von den Kommunen oder vom Staat durch vertragliche Bindungen an sie übertragen. Die regionalen Spitzenverbände werden auch konsultiert, bevor die Gouverneure der 15 Landkreise ernannt werden. Voraussetzung für die Gründung eines kommunalen Verbandes auf der nationalen Ebene ist die gemeinsame Vertretung von mehr als der Hälfte aller Kommunen. Zudem muss die kumulierte Einwohnerzahl aller beteiligten Kommunen die Hälfte der Gesamtbevölkerung Estlands übersteigen. Zweck und Ziel des nationalen Verbandes ist es, die gesellschaftliche Entwicklung in den Kommunen zu forcieren, die Lokalregierungen national und international zu vertreten, interkommunale Kooperationen zu fördern und die rechtlichen Rahmenbedingungen für das Erbringen von Daseinsvorsorgeleistungen zu verbessern. Es gibt zwei kommunale Spitzenverbände
in Estland. Zum einen die Vereinigung der estnischen Städte (Eesti Linnade Liit) und zum anderen den Verband der Gemeinden Estlands (Eesti Maaomavalitsuste Liit). Gemeinsam bilden sie die Kooperative Versammlung der Vereinigungen lokaler Behörden. Sie wurde eigens etabliert, um die ständigen Verhandlungen mit der Zentralregierung zu führen.
Staat und Kommunen
Die Beziehungen zwischen kommunalen und staatlichen Organen werden durch Gesetze und gegenseitige Verträge geregelt. Jede Kommune hat das Recht, ihre Angelegenheiten auch vor den Verwaltungsgerichten zu vertreten. Den Kommunen ist es allerdings nicht möglich, bestimmte Rechte und Aufgaben an die staatliche Ebene zu transferieren. Die allgemeine Strategiebildung zu rechtlichen Rahmenbedingungen, Strukturen und Funktionen der kommunalen Ebene erfolgt im Estnischen Ministerium des Innern. Das Finanzministerium ist verantwortlich für die Finanzierung der kommunalen Ebene und für Haushaltsfragen. Die Kommunen in Estland bilden im Hinblick auf Haushaltsfragen eigene Aufsichtsgremien aus. Insbesondere größere Städte beauftragen zu diesem Zweck auch externe Wirtschaftsprüfer. Staatliche Kontrolle wird durch die Gouverneure der 15 Landkreise, durch Ombudsmänner und durch eine staatliche Bilanzprüfungsagentur ausgeübt. Die Ombudsmänner führen die Aufsicht über die Gesetzgebung auf der lokalen Ebene und überwachen die Konformität mit staatlicher Rechtsetzung. Die Bilanzprüfungsagentur
beaufsichtigt das Finanzierungsgebaren der kommunalen Ebene und die Erfüllung finanzieller Vorgaben bei der Nutzung nationaler und EU-weiter Fördertöpfe. Die Landkreisgouverneure haben die Rechtmäßigkeit und Funktionsweise der lokalen Ratsversammlungen innerhalb des jeweiligen Landkreises zu überprüfen. Daneben wird die Erbringung jener Aufgaben geprüft, die von der staatlichen Ebene auf die Kommunen übertragen wurden. Ein Landkreisgouverneur hat allerdings nicht das Recht, von der kommunalen Ebene beschlossene Maßnahmen zu stoppen. Nur wenn selbige gegen bestimmte Rechtsgrundsätze verstoßen, können Gerichte angerufen werden. Die Kooperationen zwischen Zentralstaat und Kommunen sind intensiv und werden auf vielfältigen Ebenen gepflegt. So werden die Auswirkungen zentralstaatlicher Rechtsetzungen auf die kommunale Ebene regelmäßig evaluiert. In Form von Arbeitsgruppen sind die kommunalen Spitzenverbände zunehmend auch im Voraus an der Entwicklung neuer Rechtsnormen für die kommunale Ebene beteiligt. Jährlich im Oktober verhandeln die estnische Regierung und die kommunalen Spitzenverbände die Ausformung finanzieller Transfermechanismen. Die Lokalregierungen sind berechtigt, auch mit Kommunen in anderen Ländern zusammenzuarbeiten. Neue Impulse für solche grenzüberschreitenden Kooperationen werden auch von einigen Programmen der Europäischen Union gesetzt. n
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infos
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Es kann von Vorteil sein, sämtliche Strukturen von Grund auf neu zu formen. Und zwar dann, wenn man sich an positiven Beispielen orientiert, diese sinnvoll auf die spezifischen Gegebenheiten anwendet und wenn alle Beteiligten das Bewusstsein und die notwendige Solidarität für eine gemeinsame große Aufgabe entwickeln. Estland hat sich nach der Unabhängigkeit zu Beginn der 90er Jahre weitgehend am globalen Benchmark für erfolgreiche gesellschaftliche Strukturen orientiert. Dies wird zweifelsohne von den benachbarten nordeuropäischen Nationen geliefert. Allen gemeinsam ist ihnen eine schwache oder gänzlich fehlende föderale Ebene, deren Kompetenzen weitgehend von äußerst potenten Kommunen übernommen werden. Wenn das deutsche System als Föderalismus deklariert wird, ließen sich die nordeuropäischen und auch die estnischen Strukturen am ehesten als „Kommunalismus“ beschreiben. Das funktioniert offenkundig sehr gut und sollte auch in Deutschland Mut für ein größeres Vertrauen in die Kommunen geben. Dazu gehört selbstverständlich eine angemessene Finanzierung, wie sie in Estland mit dem Zugriff auf die Einkommenssteuer gegeben ist. In Bezug auf Estland sind auch die vielfältigen Instrumente und Kanäle einer institutionalisierten, gleichberechtigUNTERNEHMERIN KOMMUNE • AUSGABE 03 / SEPTEMBER 2014
ten Kooperation zwischen staatlicher und kommunaler Ebene hervorzuheben, die einen weitgehend reibungslosen Austausch von Interessen ermöglichen. Die in Estland lebenden Menschen haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine bemerkenswerte Aufbauleistung vollbracht. Heute kann sich das kleine Land südlich des Finnischen Meerbusens in puncto Infrastruktur, Bildungsstand, sozialem Frieden und Wohlstand durchaus mit seinen nordeuropäischen Nachbarn vergleichen. Einziger Wermutstropfen ist die noch immer schleppende Integration der russischen Minderheit. Auch diese hat einen großen Anteil an den Erfolgen der jüngsten Vergangenheit und ein Recht auf angemessene politische Vertretung und kulturelle wie sprachliche Wahrnehmung. Falk Schäfer
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Statistik
Eine nicht ganz neue politische Kraft
Die Freien Wähler
Aus unserer Serie zu statistischen Fragestellungen mit kommunaler Relevanz
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ie elf Kommunalwahlen des Frühjahrs, über die wir im vergangenen Heft ausführlich berichteten, brachten ein Ergebnis, über das sich kaum jemand mehr wundert. Freie Wählervereinigungen und Wählergruppen wurden in einigen Bundesländern gar zur stärksten kommunalen Kraft. Doch wer ist diese politische Gruppierung, die sich zunehmend auch auf anderen politischen Ebenen etabliert – und dies in einer Form, die deutlich nachhaltiger erscheint, als bei einigen politischen Sternschnuppen der vergangenen Jahre? Weil UNTERNEHMERIN KOMMUNE sich als explizit kommunale Fachzeitschrift begreift, fanden wir es an der Zeit, sich in diesem Rahmen endlich mit der neuen kommunalen Volkspartei zu beschäftigen – den Freien Wählern. Mit den Piraten ist in den vergangenen Jahren eine weitere Kraft auf dem politischen Tableau erschienen. Die eher linksliberal orientierte Partei mit dem Schwerpunkt auf den Themen Datenschutz und Informationsfreiheit bildet aktuell in vier Bundesländern eine Landtagsfraktion. Die rechtskonservative Alternative für Deutschland (AfD) verpasste bei der vergangenen Bundestagswahl im September 2013 mit 4,7 Prozent nur äußerst knapp den Einzug in den Bundestag. Zentrales Thema der AfD ist die Kritik an der Europäischen Union und insbesondere an ihrer Währungspolitik. Bei der Europawahl im Mai dieses Jahres konnte das bundesweite Ergebnis auf 7,1 Prozent ausgebaut werden. Es könnte also durchaus sein, dass die Bundesrepublik dauerhaft um eine neue politische Strömung bereichert wird – so wie es einst auch den Grünen und den Linken gelungen ist. Vermutlich ist es dieser Umstand, aus dem sich das große Interesse speist, das zuerst die Piraten und nun die AfD auf sich vereinigen konnten. Werden jedoch alle politischen Ebenen betrachtet, fällt auf, dass eine zumindest auf landes- und bundespolitischer Ebene ebenfalls recht neue Bewegung weitgehend unbeachtet bleibt – und dies trotz der immensen Erfolge, die sie in den vergangenen Jahren einfahren konnte. Dies liegt vermutlich daran, dass sie ihren Schwerpunkt dort setzt, wo leider nur Wenige hinschauen. Die Freien Wähler haben sich in vielen Kommunen Deutschlands zu einer entscheidenden Kraft entwickelt. Insbesondere in den süddeutschen Bundesländern konkurrieren sie nicht mehr mit den kleineren, sondern mit den großen politischen Volksparteien um den ersten Rang in der Wählergunst. Entscheidungen in einigen Bundesländern wurde ihnen in den 60er und 70er Jahren die Teilnahme an Wahlen teilweise unmöglich gemacht. Nachdem diese Entscheidungen durch Gerichte revidiert wurden, war die Basis vieler unabhängiger Wählergruppen jedoch entscheidend geschmolzen. Hinzu kam der Umstand, dass es im Ergebnis kommunaler Gebietsreformen dieser Zeit unabhängigen Kandidaten immer schwerer fiel, in stetig größer werdenden Einheiten den Bezug zum Wahlbürger zu halten. In den 90er Jahren kam es zu einer Renaissance freier und unabhängiger Wählergruppen, die sich zunächst als explizit kommunale Kraft etablierten. Die Erfolge speisten sich nicht nur aus der Unzufrieden-
Das bundesdeutsche Parteiensystem hat sich nach Verkündung des Grundgesetzes zunächst einmal etwas verengt. So spielte die im Ersten Bundestag vertretene Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) keine langfristige Rolle in der Parteienlandschaft. Sie war schon vor ihrem Verbot im Jahre 1968 weitgehend marginalisiert. Der Bund der Heimatvertriebenen schaffte bei den zweiten Bundestagswahlen den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde. Doch auch dieser Erfolg konnte nicht wiederholt werden. Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) konnte insbesondere in den 50er und 60er Jahren bei einigen Landtagswahlen bemerkenswerte Ergebnisse erzielen. Bei den dritten Bundestagswahlen 1957 verpasste sie mit 4,6 Prozent nur äußerst knapp den Einzug in den Bundestag. In den vergangenen Jahren erlebten die Rechtsextremisten in einigen ostdeutschen Bundesländern eine gewisse Renaissance, bundespolitisch ist die Partei allerdings unbedeutend. Von 1957 bis 1983 waren im Deutschen Bundestag durchgängig lediglich drei Fraktionen vertreten. Seit Beginn der 80er Jahre und den ersten Erfolgen der grünen Bewegung differenzierte sich das Parteiensystem wieder sukzessive aus. Dieser Trend hält bis heute an. Die Grünen schafften 1983 erstmals den Sprung in den Bundestag. Abgesehen von den Wahlen am 1. Dezember 1990, den ersten in einem wiedervereinigten Deutschland, konnten sie diesen Erfolg bis heute jedes Mal wiederholen. Die Wiedervereinigung 1990 brachte eine neuerliche, genuin ostdeutsche, Erweiterung der politischen Landschaft. Aufgrund einer Besonderheit bei den Bundestagswahlen 1990 erreichte die Partei des demokratischen Sozialismus (PDS) den Einzug in den Bundestag. Dazu genügte ihr ein Ergebnis von mehr als fünf Prozent auf dem Gebiet der gerade aufgelösten DDR. 1998 gelang erstmals bundesweit der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde. Seit der Vereinigung der PDS mit der Wahlalternative soziale Gerechtigkeit (WASG) ist die neue Partei „Die Linke“ konstant im Bundestag vertreten. 58
Hubert Aiwanger ist Bundesvorsitzender der Bundesvereinigung Freie Wähler, Vorsitzender des Bundesverbandes, des Landesverbandes Bayerns, der Wählergruppe Bayern und Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler im Bayerischen Landtag.
Zur Geschichte der Freien Wähler
Unabhängige Wählergruppen spielten in den ersten Jahren der Bundesrepublik bereits eine große Rolle insbesondere auf der kommunalpolitischen Ebene. Doch durch wahlrechtliche heit mit den großen Parteien, sondern auch aus dem Antagonismus heraus, am eigenen Wohnort politisch und gesellschaftlich gestalten, sich dafür aber auf keine spezifische Strömung festlegen zu wollen. Dass die Freien Wähler
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zunächst in Bayern und Baden-Württemberg Erfolge erzielten und nach wie vor im Süden Deutschlands ihre besten Ergebnisse erzielen, lässt sich vielleicht mit der starken Dominanz erklären, die das konservative politische Lager dort über viele Jahrzehnte entfaltete. Politische und gesellschaftliche Strukturen wurden zunehmend als verkrustet, arrogant oder gar korrupt empfunden, doch aufgrund stabil positiver Wirtschaftsdaten war die Bereitschaft für einen kompletten Wechsel des politischen Lagers eher begrenzt. Gerade auf kommunaler Ebene, wo das individuell bei Bürgern und Nachbarn erworbene Vertrauen wichtiger sein kann, als eine parteipolitische Festlegung, bewarben sich immer mehr unabhängige Kandidaten um politische Ämter. Nach und nach bildete sich mit den Freien Wählergruppen eine Gruppierung heraus, die aus der Mitte der Bürgerschaft heraus entstand und dementsprechend auch politisch dort anzusiedeln ist. Die Diskussion, ob diese sehr heterogenen Graswurzelbewegungen Landes- und Bundesverbände bilden und mit den dazu notwendigen programmatischen Festlegungen auch an Landtags-, Bundestags- und Europawahlen teilnehmen sollen, wird innerhalb der Freien Wähler noch immer kontrovers geführt. In der großen Mehrheit der Bundesländer wurde diese Frage bejaht, in einem der beiden Ursprungsländer, Baden-Württemberg, ist jedoch bis heute keine Freie Wählergruppierung zu Landtagswahlen angetreten. Im Zuge dieses Streits trat der Landesverband Baden-Württemberg aus dem Bundesverband der Freien Wähler aus. In Bayern hingegen bilden die Freien Wähler seit 2008 eine eigene Fraktion im Landtag. Nach der Europawahl im Mai dieses Jahres sind die Freien Wähler auch im Europaparlament mit einer Abgeordneten vertreten.
Erfolgen der Freien Wähler auf der bayerischen Landesebene erwuchs der politische Wille, auch bundesweit anzutreten. Dazu wurde im Januar 2009 die Bundeswählergruppe Freie Wähler ins Leben gerufen. Spitzenkandidatin war die ehemalige CSU-Landrätin Gabriele Pauli. Der Entschluss, sich mit eigenen Kandidaten an der Europawahl des Jahres 2009 zu beteiligen, war innerhalb der Freien Wähler sehr umstritten und führte in indirekter Folge zum bereits erwähnten Austritt des Landesverbandes Baden-Württemberg. Dennoch gelang mit einem bundesweiten Ergebnis von 1,7 Prozent ein Achtungserfolg. Die Freien Wähler avancierten bei diesen Wahlen zur sechststärksten politischen Kraft der Bundesrepublik. Die Bundeswählergruppe wurde im Februar 2010 in die Bundesvereinigung Freie Wähler überführt. Bundesvorsitzender ist Hubert Aiwanger. Er ist gleichzeitig Vorsitzender des Bundesverbandes, des Landesverbandes Bayerns, der Wählergruppe Bayern und Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler im Bayerischen Landtag. Am 8. Mai 2010 gründete sich in Mainz mit der Landesvereinigung Freie Wähler Rheinland-Pfalz die erste Landesgliederung der Bundesvereinigung Freie Wähler. Bis April 2013 wurden in allen 16 Bundesländern Landesvereinigungen gegründet, welche teilweise zu Landtagswahlen antraten. Die Gründungen wurden zum Teil aus den entsprechenden Landesverbänden heraus organisiert, zum Teil erfolgten sie jedoch auch gegen den Widerstand des entsprechenden Landesverbandes. Anfang Oktober 2011 beschlossen die Freien Wähler Bayerns, zur Bundestagswahl 2013 anzutreten. Kurz darauf entschied sich auch die Bundesvereinigung zu diesem Schritt. Im Juli 2012 erschienen Freie
Wähler erstmals in den bundesweiten Umfragen der großen Meinungsforschungsinstitute. Im Jahre 2012 arbeitete die Bundesvereinigung mit der aus CDU-Kreisen gegründeten Wahlalternative 2013 zusammen. Dabei kandidierte bei der Landtagswahl in Niedersachsen 2013 unter anderem Bernd Lucke, heute Bundesvorsitzender der Alternative für Deutschland (AfD), auf der Liste der Freien Wähler. Beim ersten Anlauf zu einer Bundestagswahl, am 22. September 2013, erreichten die Freien Wähler etwa ein Prozent der Wählerstimmen. 2012 wurde das erste Grundsatzprogramm verabschiedet. Ein Bundeswahlprogramm ist im Mai 2013 beschlossen worden. Darin bekennen sich die Freien Wähler zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und bezeichnen sich selbst als wertkonservativ und bürgerlichliberal. Betont wird zudem die kommunale Verwurzelung. In diesem Zusammenhang wollen die Freien Wähler bürgerschaftliches Engagement fördern, Elemente der direkten Demokratie erweitern und die kommunale Selbstverwaltung stärken. Die Freien Wähler traten im Mai dieses Jahres zum zweiten Mal zu einer Europawahl an. Die bayerische Landtagsabgeordnete Ulrike Müller und der Hamburger Journalist Wolf Achim Wiegand wurden an die Spitze der Liste gewählt. Erstere schaffte den Sprung ins Europäische Parlament, der zweite Sitz wurde nur um 0,067 Prozentpunkte verfehlt. Im Vergleich zur Europawahl 2009 mussten die Freien Wähler Einbußen von 0,2 Prozentpunkten in Kauf nehmen. Deutschlandweit sind die Freien Wähler die politische Gruppierung mit den drittmeisten Mandaten auf kommunaler Ebene – dies gilt auch im Hinblick auf Landräte und Oberbürgermeister kreisfreier Städte.
Die Landesergebnisse der Freien Wähler bei der Bundestagswahl 2013 – in Prozent
3 2,5 2 1,5 1 0,5 0 1 0,6 0,4 0,8 1,3 1,5 1 1,4 2,7
0,9 0,5
0,2 0,6
0,5
0,2
0,5
Die Bundesebene
Der Bundesverband der Freien Wähler gründete sich bereits im Jahre 1965. Doch aufgrund der explizit kommunalen Ausrichtung der Wählergemeinschaften besaß er lange Zeit nur eine geringe Relevanz. Erst aus den wachsenden
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(Grafik 2)
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Ergebnisse der Freien Wähler bei den jeweils zurückliegenden Landtagswahlen – in Prozent (n.a. =
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(Grafik 2) Ergebnisse der Freien Wähler bei den jeweils zurückliegenden Landtagswahlen – in Prozent (n.a. = nicht angetreten) Ergebnisse der Freien Wähler bei den jeweils zurückliegenden Landtagswahlen – in Prozent gemacht würden. Allerdings traten einige Wählergruppen aus dem Dachverband aus bzw. kündigten 9 9 an, diese Kandidatur nicht zu unterstützen. Die 8 Freien Wähler, so die Kritiker, würden damit ihr 7 eigentliches kommunales Betätigungsfeld verlassen. 6 Erstmals traten die Freien Wähler bei der Landtagswahl 1998 an und erreichten 3,7 Prozent. 5 3,9 2003 konnte man sich leicht auf nun vier Prozent 4 2,8 2,3 steigern. Bei der Landtagswahl 2008 avancierten 3 die Freien Wähler schließlich mit 10,2 Prozent 1,2 1,1 1,1 2 0,9 n.a. 0,7 n.a. n.a. n.a. n.a. 0,6 der Wählerstimmen und 21 Mandaten zur dritten 0,2 1 politischen Kraft in Bayern. Diese Rolle konnte 0 trotz leichter Einbußen auf nun neun Prozent der Wählerstimmen im Jahre 2013 verteidigt werden. Bei den Kommunalwahlen 2008 waren die Freien Wähler statistisch noch zusammen mit anderen Wählergruppen verzeichnet worden. Zusammengerechnet erzielten diese und die Freien Wähler bei Legende: n.a. = nicht angetreten den Kommunalwahlen im März dieses Jahres nahezu dasselbe Resultat wie 2008 (insgesamt 19,2 Prozent). (ZÜ) In den Landkreisen Bad Tölz-Wolfratshausen, Baden-Württemberg Garmisch-Partenkirchen, Neuburg-Schrobenhausen, Baden-Württemberg Bayern Kelheim, Landshut, Regensburg, Tirschenreuth, Kulmbach, Nürnberger Land, Kitzingen, MainAls Reaktion auf die Kandidatur zur Europawahl Die Freien Wähler in Bayern haben sich für einen Spessart, Dillingen an der Donau und Unterallgäu 2009 trat der Landesverband Baden-Württemberg anderen Weg entschieden, als ihre Kollegen in stellen die Freien Wähler insgesamt 13 Landräte. aus dem Bundesverband der Freien Wähler aus. Baden-Württemberg. Erklärtes Ziel ist eine landesMit nach wie vor gültigem Beschluss aus dem und letztlich auch bundespolitische Integration. Der Jahre 2010 wird auch auf eine Kandidatur zu Bundesverband der Freien Wähler ist weitgehend Landtagswahlen verzichtet. Als Reaktion auf diese identisch mit dem Landesverband Bayern. Nicht nur Entwicklung, entschloss sich der Bundesverband in Bezug auf den Bundes- und Landesvorsitzenden der Freien Wähler dazu, einen namensgleichen Hubert Aiwanger, sondern auch bei den Vorständen Berlin Konkurrenzverband in Baden-Württemberg besteht eine weitgehende personelle Kongruenz. zu gründen. Eine daraufhin eingereichte Die Entscheidung, bei Landtagswahlen anzuSeit Oktober 2005 stellen die Freien Wähler auch in treten, wurde 1997 auf einer LandesdelegiertenBerlin einen Landesverband. Allerdings sind sie in Namensschutzklage hatte keinen Erfolg. Beide versammlung mit knapper Mehrheit gefasst und der hauptstädtischen Politik kaum präsent. Bei der Vereinigungen müssen daher eine Verwechslungsanschließend durch eine Mitgliederbefragung gefahr in Kauf nehmen. letzten Abgeordnetenhauswahl wurden lediglich 312 basisdemokratisch legitimiert. Dennoch war und Der Verband hat kein politisches Programm Erststimmen gewonnen. Berlinweit trat die Partei ist die Teilnahme an Landtagswahlen innerhalb und ist keine Partei. Es ist den Mitgliedern übernicht an. Bei den Bundestagswahlen im Herbst verlassen, sich zu sachpolitischen Themen vor Ort zu der kommunalen Wählergruppen umstritten. Die gangenen Jahres wurde ein Ergebnis von 0,4 Prozent äußern. Die Freien Wähler Baden-Württemberg Befürworter verweisen wie in anderen Bundesländern erzielt. Die Partei hat in Berlin jüngst etliche Mitverstehen sich lediglich als Dienstleister für darauf, dass die Regeln für die Kommunen im Land glieder an die Alternative für Deutschland verloren. die Mitglieder und vertreten die gemeinsamen Interessen. Zentrale Ziele sind die Beibehaltung Ergebnisse der Freien Wähler bei den Landtagswahlen in Bayern – in Prozent des kommunalen Persönlichkeitswahlrechts, 12 10,2 steuerliche Gleichstellung mit den Parteien 9 und Erhaltung des Selbstverwaltungsrechts der 10 Gemeinden. Die Freien Wähler sind in Baden-Württemberg 8 am stärksten verankert. Bei Gemeinderatswahlen errangen sie die meisten Sitze und haben sich bei 6 den letzten Wahlen beständig gesteigert. Im Mai 4 3,7 dieses Jahres wurde ein landesweites Ergebnis von 37,6 Prozent erreicht. Damit konnte man im Ver4 gleich zu den vorangegangenen Kommunalwahlen nochmals um zwei Prozentpunkte zulegen. Die 2 Freien Wähler sind in Baden-Württemberg mit Abstand die stärkste kommunale Kraft. In den 0 Landkreisen Lörrach und Tuttlingen stellen sie 1998 2003 2008 2013 auch Landräte.
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(ZÜ) Berlin
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Brandenburg
Die Freien Wähler Brandenburg gründeten sich im Dezember 2008. Nur drei Monate später berichtete jedoch das ARD-Magazin „Report München“ über die Unterwanderung der Freien Wähler durch rechte Kräfte und über die rechtspopulistische Vergangenheit einiger Vorstandsmitglieder. In direkter Folge wurde der Landesverband Brandenburg im April 2009 aus dem Bundesverband ausgeschlossen. Daraufhin gründeten Mitglieder des Landesverbandes Brandenburg einen eigenen Bundesverband als Kleinpartei unter dem Namen Freie Wähler Deutschland (FWD). Diese trat mit einer Landesliste zur Bundestagswahl 2009 an. Parallel gründete sich ein Brandenburger Landesverband der Bundesvereinigung Freie Wähler. Das BürgerBündnis freier Wähler e. V. wurde 1993 von Mitgliedern der Bürgerbewegungen der Wendezeit ins Leben gerufen. Der Verband benannte sich 2009 in Landesverband Freie Wähler Brandenburg e. V. um. Nach einer Klage der Freien Wähler Brandenburg wurde die Nutzung dieses Namens allerdings untersagt. Das BürgerBündnis freier Wähler e.V. ist derzeit nicht Mitglied im Bundesverband der Freien Wähler. Aufgrund dieser recht unübersichtlichen Ausprägung der Freien Wählergemeinschaften im Land Brandenburg ist es schwer, die jeweiligen Wahlergebnisse sinnvoll zu vergleichen. Daher werden die verschiedenen Wählergruppen zusammengefasst, um im Hinblick auf die kommunale Ebene in Brandenburg zumindest das Potential für Freie Wählergemeinschaften zu eruieren. Bei den vergangenen Kommunalwahlen im Mai dieses Jahres erreichten Unabhängige Wählergemeinschaften insgesamt 17 Prozent der Stimmen. Sie sind damit klar die viertstärkste Kraft im Land. Im Vergleich zu den Kommunalwahlen 2009 hat dieses Lager jedoch knapp zwei Prozentpunkte verloren. Bei der Bundestagswahl 2013 erreichten die Freien Wähler ein Prozent.
Deshalb wurde auch der Landesverband Bremen im April 2009 aus dem Bundesverband der Freien Wähler ausgeschlossen. Dieser Schritt wurde damit begründet, dass sich der Landesverband Bremen fast ausschließlich aus ehemaligen Mitgliedern der beiden genannten rechtspopulistischen Bewegungen rekrutierte. Dem Vorsitzenden des Landesverbandes, Friedhelm Altvater, wurden öffentliche Äußerungen zu einem Zuschuss für einen jüdischen Friedhof vorgeworfen. Er hatte dies als „Steuergeldverschwendung“ bezeichnet. Die Freien Wähler Bremen agierten in der Folge als eingetragener Verein und traten im Januar 2011 der aus dem ehemaligen Landesverband Brandenburg hervorgegangenen Partei Freie Wähler Deutschland bei. Sie traten zur Bürgerschaftswahl in Bremen 2011 an und erreichte im Stadtgebiet Bremen 0,2 Prozent der Stimmen. Die „Bremer und Bremerhavener Bürger Liste“ (BBL) des ehemaligen FDP-Fraktionsvorsitzenden Uwe Woltemath verkündete zur Bürgerschaftswahl 2011, mit dem Bundesverband Freie Wähler eng zusammenarbeiten zu wollen. Bei der Bundestagswahl 2013 erreichten die Freien Wähler im Land Bremen 0,2 Prozent.
Hamburg
Der FW Freie Wähler Hamburg e. V. hatte sich im Dezember 2008 als Wählervereinigung gegründet. Der Landesverband war Mitglied im Bundesverband. Er wurde 2012 jedoch aufgelöst, weil es in Hamburg mangels kommunaler Wählervereinigungen keinen Bedarf mehr gab. Das Vermögen ging in die Landesvereinigung Freie Wähler Hamburg über, die im Oktober 2010 als Partei gegründet worden ist und an der Bürgerschaftswahl und Bezirksversammlungswahl 2011 sowie an der Bundestagswahl 2013 teilgenommen hat. In Hamburg waren die Freien Wähler unterdurchschnittlich erfolgreich. Bei der Bürgerschaftswahl gelangen 0,7 und bei der Bundestagswahl 2013 0,5 Prozent. Bei den Wahlen zu den Bezirksversammlungen im Mai dieses Jahres konnte knapp ein Prozent der Wählerstimmen gewonnen werden.
Wähler bezeichnet. Beide Organisationen sind zwar personell verflochten, unterscheiden sich aber juristisch. Bei der einen handelt es sich um einen Verband unabhängig agierender Wählergruppen, bei der anderen um eine Partei. Der Verband der Freien Wähler Hessen wurde 1956 gegründet. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg waren Wählergruppen in Hessen wesentlich stärker als heute. 1952 wurden sie mit 35,8 Prozent der Wählerstimmen stärkste kommunale Kraft. Danach sank der Anteil kontinuierlich ab. Zwischen 1977 und 1985 erreichten Freie Wähler nur noch einen durchschnittlichen Stimmenanteil von 7,2 bis 7,6 Prozent bei den Gemeindewahlen. Erst bei den Kommunalwahlen 1989 und 1993 erzielten sie mit 9,2 bzw. 14,1 Prozent einen spürbaren Zuwachs. Bei den hessischen Kommunalwahlen 2006 wurde ein durchschnittliches Ergebnis von 15,6 Prozent der Stimmen erreicht. Da sie jedoch nicht landesweit antraten, lag das Gesamtergebnis bei 5,2 Prozent. Bei den Kommunalwahlen am 27. März 2011 konnte das landesweite Ergebnis auf 5,7 Prozent verbessert werden. Dazu sind die Freien Wähler in 20 der 21 hessischen Kreistage vertreten sowie in den Stadtparlamenten von vier der fünf kreisfreien Städte Hessens. Nach der Anzahl der kommunalen Mandate sind sie die drittstärkste kommunale Kraft in Hessen. Im Odenwaldkreis stellen die Freien Wähler mit Dietrich Kübler auch einen Landrat. Die Freien Wähler Hessen traten 2008 erstmals seit 1978 wieder bei einer hessischen Landtagswahl an. Die Kandidatur auf Landesebene war zunächst heftig umstritten. Auf dem Landesdelegiertentag 2006 stimmten 61 Prozent der Delegierten dafür. Allerdings erreichte die Partei bei den Wahlen selbst lediglich 0,9 Prozent und damit nicht einmal die Hürde von einem Prozent, ab der eine staatliche Wahlkampfkostenerstattung erfolgt wäre. Bei der Neuwahl 2009 verbesserten sie ihre Position jedoch auf 1,6 Prozent. Bei den Landtagswahlen 2013 waren es 1,2 und bei den am selben Tag abgehaltenen Bundestagswahlen 0,8 Prozent hessenweit.
Mecklenburg-Vorpommern
Mit nur 36 Mitgliedern sind die Freien Wähler in Mecklenburg-Vorpommern noch immer eine sehr kleine Partei. Das gesamte Lager der freien und unabhängigen Wählergemeinschaften erreichte bei der vergangenen Kommunalwahl im Mai dieses Jahres jedoch immerhin knapp zehn Prozent der Wählerstimmen. Mit 1,1 Prozent bei den letzten Landtagswahlen im Jahr 2010 und 0,9 Prozent bei der Bundestagswahl erreichten die Freien Wähler Mecklenburg-Vorpommern bei überregionalen Wahlen deutlich schlechtere Ergebnisse. 61
Bremen
Die Wählervereinigung Freie Wähler Bremen gründete sich im Oktober 2008. Nach einem Bericht des „Weser-Kurier“ waren jedoch acht Vorstandsmitglieder früher in rechtspopulistischen Parteien und Gruppierungen wie der Schill-Partei und der „Wählervereinigung Bremen muß leben“ politisch aktiv.
Hessen
Als Freie Wähler Hessen wird sowohl der Landesverband Hessen des Bundesverbandes der Freien Wählergemeinschaften Deutschlands als auch die Landesvereinigung Freie Wähler Hessen als Landesverband der Bundesvereinigung Freie
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Niedersachsen
Mit 2.693 errungenen Gemeinderatsmandaten bei den letzten Kommunalwahlen im Jahre 2011 stellen Wählergruppen in Niedersachsen die drittstärkste kommunale Kraft nach CDU und SPD. Wie in Hessen waren sie auch in Niedersachsen zunächst stark, mussten in den 60er und 70er Jahren allerdings erhebliche Einbußen in Kauf nehmen, gewannen in den zurückliegenden Jahren jedoch wieder erheblich hinzu. Der Verein Freie Wähler Niedersachsen – Bürgerinitiativen, Bürgerlisten und unabhängige Wählergemeinschaften e.V. wurde im Sommer 2007 gegründet. Obwohl die Freien Wähler Niedersachsen sich aus Wählergruppen zusammensetzen, sind sie im Gegensatz zu anderen Landesverbänden gemäß Satzung eine Partei. Die Rechtsform wurde gewählt, da in Niedersachsen nur Parteien und keine Wählergruppen zu Landtagswahlen antreten können. An der Bundestagswahl 2009 wollte die Gruppierung ursprünglich teilnehmen, zog die betreffende Anzeige aber vor der Sitzung des Bundeswahlausschuss wieder zurück. Am 5. Juni 2010 gründete sich aus dem Landesverband heraus eine Landeswählervereinigung als Landesverband der Bundesvereinigung der Freien Wähler. Der Landesverband beschränkt sich zukünftig auf die Rolle als Dachverband der kommunalen Wählergemeinschaften. Bei den Landtagswahlen 2010 erzielten die Freien Wähler 1,1 Prozent der Wählerstimmen. Mit Joachim Bordt im Landkreis Harburg stellen freie Wählergemeinschaften auch einen Landrat in Niedersachsen.
Großgemeinden erschwerte den Wiederaufstieg der Freien Wähler, deren Stärke örtliche Verankerung und Bekanntheit ihrer Kandidaten war. Bei den Kommunalwahlen 2014 erzielten freie Wählergruppen einen Anteil von 4,5 Prozent. Dies sind 0,4 Prozentpunkte weniger als noch 2009. Zusätzlich muss darauf verwiesen werden, dass nicht alle dieser Wählergruppen im Landesverband Freier Wähler Nordrhein-Westfalen e. V. vertreten sind. Die Partei Freie Wähler erzielte sowohl bei der letzten Landtagswahl 2011 als auch bei der Bundestagswahl 2014 mit jeweils 0,2 Prozent der Stimmen äußerst ernüchternde Ergebnisse.
Saarland
Der FW/FWG Freie Wähler Landesverband Saarland e. V. wurde als überregionaler Zusammenschluss der Freien Wählergemeinschaften im Saarland gegründet. Bei den Kommunalwahlen 2004 haben Freie Wählervereinigungen rund zehn Prozent der Mandate auf Gemeindeebene errungen. Bei Landtagswahlen traten die Freien Wähler erstmals 2009 an und erreichten 0,8 Prozent der Wählerstimmen. Im August 2011 gründete sich die Freie Wähler Landesvereinigung Saarland als Landesverband der Bundesvereinigung. Einige lokale Vereinigungen der Freien Wähler zeigten sich mit dieser Entscheidung jedoch nicht einverstanden. Auch im Vorfeld der Landtagswahl im Saarland 2012 kam es zu Spannungen zwischen dem Landesverband und der Landesvereinigung. Der Landesverband stellte mehrmals klar, nicht mit der zur Landtagswahl antretenden Partei identisch zu sein. Bei der letzten Landtagswahl erreichten die Freien
Rheinland-Pfalz
Nordrhein-Westfalen
Der Landesverband Freier Wähler Nordrhein-Westfalen e. V. wurde 1980 gegründet. Etwa ein Drittel der 470 Wählergruppen im Land Nordrhein-Westfalen gehören ihm an. Weitere 20 Prozent streben eine Mitgliedschaft an. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg waren Wählergruppen sehr stark in Nordrhein-Westfalen. Dann jedoch beschränkten die Landtagsparteien mit dem nordrhein-westfälischen Kommunalwahlgesetz von 1952 das Recht zur Aufstellung von Wahllisten ausdrücklich auf politische Parteien. Parteifreie Kandidaten und kommunale Wählergemeinschaften wurden per Gesetz ausgeschlossen. Als das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidung in einem Urteil aus dem Jahre 1960 kippte, hatten die Freie Wähler ihre breite Basis im Land bereits eingebüßt. Die anschließende Gemeindereform mit den entstehenden 62
Der Landesverband Freier Wählergruppen Rheinland-Pfalz e. V. hat mit circa 5.000 eher überdurchschnittlich viele Mitglieder. Bereits 2001 wurde erstmals an Landtagswahlen teilgenommen. Mit 2,6 Prozent scheiterte man zwar an der Fünf-Prozent-Hürde, erhielt jedoch eine Wahlkampfkostenerstattung. In die Parteienfinanzierung wurden die Freien Wähler nicht einbezogen, da sich ein Teil der Mitgliedsverbände Gründung/Beitritt zur Bundesvereinigung Freie Wähler sowie Mitgliedszahlen weigerte, ihre Finanzsituation dem der Landesvereinigungen Freie Wähler Landeswahlleiter offenzulegen. Bei der Landtagswahl 2006 büßten die Gründung/Beitritt Mitglieder Landesvereinigung Freien Wählergruppen einen Prozentpunkt ein und erreichten nur Baden-Württemberg Mai 2010 118 1,6 Prozent. Im Jahr 2010 beschlossen die Bayern Dezember 2011 3.300 Freien Wählergruppen RheinlandBerlin Dezember 2010 54 Pfalz, sich in einen bloßen Dachverband von Wählergruppen zurück Brandenburg Mai 2011 31 zu verwandeln. Zur Teilnahme an der Landtagswahl 2011 wurde als Bremen Juli 2013 20 Gliedverband der Bundesvereinigung Hamburg Oktober 2010 31 die Landesvereinigung Freie Wähler Rheinland-Pfalz gegründet. Mit 2,3 Hessen November 2012 190 Prozent konnte das Ergebnis wieder etwas gesteigert werden. Bei der Mecklenburg-Vorpommern September 2011 36 Bundestagswahl im vergangenen Niedersachsen Juni 2010 267 Jahr wurden 1,3 Prozent erreicht. Bei den Kommunalwahlen 2014 Nordrhein-Westfalen September 2011 215 lag das landesweite Ergebnis der Wählergruppen bei 10,6 Prozent. Rheinland-Pfalz Mai 2010 189 Damit büßte man im Vergleich Saarland August 2011 84 zur vorherigen Kommunalwahl des Jahres 2009 circa einen Prozentpunkt Sachsen Juni 2011 45 ein. Mit insgesamt mehr als 7.000 errungenen kommunalen Mandaten Sachsen-Anhalt Juni 2010 120 lag man jedoch erneut vor der SPD, Schleswig-Holstein Januar 2012 64 die in Rheinland-Pfalz immerhin die Ministerpräsidentin stellt. Nur die Thüringen Juni 2013 89 CDU war in dieser Kategorie stärker.
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Wähler 0,9 Prozent, bei der Bundestagswahl 2013 waren es saarlandweit gar nur 0,6 Prozent. Bei den Kommunalwahlen im Mai dieses Jahres lagen die Freien Wähler bei etwa zwei Prozent. Sie sind damit im Saarland deutlich schwächer, als in den anderen Bundesländern Süd- und Südwestdeutschlands.
Sachsen
Die Freien Wähler e. V. in Sachsen wurden bereits im November 1992 gegründet. Sie sind damit der älteste Landesverband der neuen Bundesländer. Bei den Kreistagswahlen 2008 erreichten die Freien Wähler landesweit 12,1 Prozent der Stimmen. Bei den Kommunalwahlen 2009 wurden unabhängige Wählergruppen mit 24,6 Prozent zweitstärkste Kraft hinter der CDU (32,7 Prozent). Mit 3.104 von insgesamt 8.056 zu vergebenden Mandaten lagen sie in dieser Kategorie sogar leicht vor der CDU. Nicht alle dieser Wählergruppen waren oder sind jedoch Mitglied der Freien Wähler. Da es nach dem Landtagswahlgesetz in Sachsen nicht möglich ist, als Wählervereinigung zur Landtagswahl anzutreten, haben einzelne
Mitglieder der Freien Wähler im Mai 2007 die Partei Freie Sachsen gegründet. Diese erzielte bei den Landtagswahlen 2009 ein Ergebnis von 1,4 Prozent. Im Juni 2011 wurde die Landesvereinigung Freie Wähler Sachsen gegründet. Bei der Bundestagswahl im Herbst vergangenen Jahres wurde mit 1,5 Prozent das zweitbeste Ergebnis der Freien Wähler in einem Bundesland erreicht. 2014 treten die Freien Wähler Sachsen erstmals bei einer Landtagswahl an. Bei den Kommunalwahlen im Mai dieses Jahres konnten sie in den Städten und Gemeinden fast ein Viertel der Wählerstimmen auf sich vereinigen. Bei den Kreistagswahlen wurde ein sachsenweites zweistelliges Ergebnis jedoch knapp verfehlt.
der Landtagswahl 2011 trat die neu gegründete Landesvereinigung an. Der Stimmenanteil konnte mit 2,8 Prozent der Stimmen deutlich ausgebaut werden. Bei der Bundestagswahl 2013 erreichten die Freien Wähler Sachsen-Anhalts immerhin knapp ein Prozent. Wie in fast allen Bundesländern erzielen die Freien Wähler Sachsen-Anhalts je stärkere Ergebnisse, desto kleiner die jeweils zu wählende Einheit ist. In Bezug auf die Kreistage und die Stadtverordnetenversammlungen kreisfreier Städte wurden bei den Kommunalwahlen dieses Jahres 8,9 Prozent erreicht, ein leichter Verlust von 0,3 Prozentpunkten zur Vergleichswahl des Jahres 2009.
Schleswig-Holstein Sachsen-Anhalt
Der Freie Wähler Landesverband Sachsen-Anhalt e. V. ist ein Zusammenschluss von lokalen Wählergemeinschaften und Einzelpersonen. Der Verein ist Mitglied im Bundesverband Freie Wähler Die Landtagswahl 2006 wurde als Teil des Bund der Bürgerinitiativen und Freie Wähler Sachsen-Anhalt angegangen. Der Erfolg war mit 0,46 Prozent der Stimmen recht bescheiden. Bei Auch in Schleswig-Holstein entstammen die Freien Wähler einer langen – vor allem kommunalpolitischen – Tradition unabhängiger Wählergruppen. Die heutige Freie Wähler Landesvereinigung Schleswig-Holstein wurde im Jahre 2008 gegründet. Sie ist unter anderem in den Kreistagen von Schleswig-Flensburg und Steinburg, in der Lübecker Bürgerschaft und in verschiedenen Gemeindevertretungen kommunalpolitisch aktiv. Im Vergleich zu den mitteldeutschen und südlichen Bundesländern erreichen die Freien Wähler Schleswig-Holstein allerdings noch immer unterdurchschnittliche Ergebnisse. Bei den letzten Landtagswahlen 2012 wurden 0,6 und bei den Bundestagswahlen 2013 0,5 Prozent erzielt.
Bei den Freien Wählern zeigt sich noch immer eine ausgeprägte umgekehrte Proportionalität zwischen dem Wahlerfolg und der Größe der zu wählenden Einheiten. Je enger das Wahlumfeld, desto größer werden die Erfolge der Freien Wähler. Dies gilt auch für die kommunale Ebene. So werden bei Ortschafts- oder Gemeinderatswahlen deutlich bessere Ergebnisse erreicht, als bei den Wahlen zu Kreistagen oder Stadtverordnetenversammlungen kreisfreier Städte. Die Freien Wähler sind noch immer eine sehr heterogene Gruppierung. Nach vielen Debatten in den Ländern ist die Integration in einheitliche Landesverbände und in den Bundesverband jedoch deutlich vorangeschritten. Dies wird auch die Voraussetzung sein, um in der politischen Debatte und im Ringen um öffentliche Aufmerksamkeit erfolgreich sein zu können. Denn bis dato erscheinen die Freien Wähler noch als deutlich zu komplex, um als überregionale politische Kraft wahrgenommen werden zu können. Während Bürgernähe, Individualität und eine fehlende parteipolitische Bindung auf kommunaler Ebene zum Vorteil gereichen können, ist bei Landtags-, Bundestags- und Europawahlen eine programmatische Festigung vonnöten. Ob dies gelingt und von Erfolg gekrönt sein wird, wird man sehen. In jedem Fall ist es unerlässlich, die Strategie einer landes- und bundespolitischen Integration mit einheitlicher Stimme voranzutreiben. Bis dato werden die Freien Wähler im Bund noch sehr stark mit dem bayerischen Landesverband verknüpft und erscheinen demnach als wertkonservative, kommunale Kraft mit einer starken ländlichen Basis. Um bundesweit reüssieren zu können, müssen die Freien Wähler zunächst einmal den „Weißwurst-Äquator“ überqueren und sie müssen deutlich großstädtischer werden. Ob der Zusammenhalt der eh schon sehr heterogenen Gruppierung dabei erhalten bleibt, wird eine der spannendsten Fragen im Hinblick auf die weitere Entwicklung des bundesdeutschen Parteiensystems werden. Falk Schäfer
UNTERNEHMERIN KOMMUNE • AUSGABE 03 / SEPTEMBER 2014
Thüringen
Der Landesverband der Freien Wähler Thüringen e. V. wurde im März 2004 gegründet. Nach der Kommunalwahl 2004 wurden insgesamt 5.298 kommunale Mandate von Freien Wählern gehalten. Damit lagen sie deutlich vor allen anderen Parteien. Die Partei Freie Wähler trat 2009 zum zweiten Mal bei Landtagswahlen an. Sie konnte ihr Ergebnis aus dem Jahre 2004 um 1,3 Prozentpunkte auf 3,9 Prozent steigern. Bei den Kommunalwahlen im Juni 2009 erhielten die Freien Wähler landesweit 6,7 Prozent der Stimmen. 2014 lagen sie noch bei 4,5 Prozent. n
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www.freiewaehler.eu
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Veranstaltungen
Nachfolgend informieren wir an dieser Stelle über Veranstaltungen zu kommunalen und kommunalwirtschaftlichen Themen, die in den kommenden Wochen und Monaten interessante Anregungen und Diskussionen versprechen und deren Besuch Sie deshalb ins Auge fassen sollten. Die Hinweise veröffentlichen wir in der terminlichen Reihenfolge der stattfindenden Veranstaltungen.
Qualifizierte Nachwuchskräfte gewinnen und langfristig binden ist eine der größten Herausforderungen des heutigen Arbeitsmarktes. Wie können Kommunen und kommunale Unternehmen in diesem verschärften Wettbewerb um die besten Köpfe bestehen? Diese Frage – und mögliche Antworten – möchten die namhafte Partnerschaft Becker Büttner Held gemeinsam mit dem IWK Wissenzentrum Kommunalwirtschaft e. V., der Zeitschrift UNTERNEHMERIN KOMMUNE
„Fachkräfte das Unternehmen Kommune der Zukunft“-Veranstaltung
am 6. November in Berlin
sowie der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde mit kommunalen Gästen diskutieren, die in Kommunen und kommunalen Unternehmen Personalverantwortung tragen. Diese Fachveranstaltung hat das Thema „Fachkräfte für das Unternehmen Kommune der Zukunft - Nachwuchsförderung durch Job-Rotation, Hospitation & Co” und findet am 6. November 2014 von 11.00 bis 17.30 Uhr bei Becker Büttner Held in der Magazinstraße 15-16 in 10179 Berlin statt. Zur Veranstaltung wurde schriftlich eingeladen. Wer keine Einladungen erhalten hat, aber gern teilnehmen möchte, wendet sich bitte an die Rechtsanwältin Sarah Schweizer, die bei Becker Büttner Held für die Veranstaltung verantwortlich ist. Die Teilnahme ist kostenfrei.
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sarah.schweizer@bbh-online.de Tel: 030/6112840-447
Ohne die Einhaltung der Menschenrechte und dauerhaften Frieden kann die weltweite Armut nicht überwunden werden. Spendenkonto Brot für die Welt: Bank für Kirche und Diakonie IBAN: DE10 1006 1006 0500 5005 00 BIC: GENODED1KDB
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Foto Christof Krackhardt
Für Menschenrechte und Frieden
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INSPIRATIONEN/INFORMATIONEN
Energiewende und die kommunale Wirtschaft
VfkE-Jahresveranstaltung am 29. Oktober in Lutherstadt Wittenberg
Am 29. Oktober dieses Jahres findet in Lutherstadt Wittenberg die Jahresveranstaltung 2014 des Verbundnetz für kommunale Energie statt. Sein Kommen zugesagt hat unter anderem der Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt, Dr. Reiner Haseloff. Daneben werden Abgeordnete aus Europa-, Landes- und Bundesparlamenten, kommunale Amts- und Mandatsträger sowie die Vertreter kommunaler Unternehmen in Ostdeutschland erwartet. Thematisch wird sich die Veranstaltung den aktuellen Herausforderungen bei der Umsetzung der Energiewende auf kommunaler Ebene widmen. In diesem Zusammenhang soll die VfkE-Jahresstudie „Energiewende kommunal“ präsentiert werden. Zusätzliche Impulse zu dieser Debatte werden unter anderem von Ministerpräsident Dr. Haseloff, Dr. Karsten Heuchert, Vorstandschef der VNG AG, Wittenbergs Oberbürgermeister Eckhard Naumann und dem Vorsitzenden der VKU-Landesgruppe Sachsen-Anhalt, HansJoachim Herrmann, gesetzt werden.
Das „Verbundnetz für kommunale Energie“ (VfkE) als wichtigstes Diskussionsforum ostdeutscher kommunaler Amts- und Mandatsträger zur kommunalwirtschaftlichen Betätigung hat 2013 das zehnjährige Gründungsjubiläum begangen. Bis heute hat sich die Plattform als unverzichtbare Börse des Meinungs- und Erfahrungsaustausches zu kommunalen Themen in Ostdeutschland etabliert. Die Jahrestagung des VfkE am 29. Oktober in Lutherstadt Wittenberg wird in der bewährten Kooperation mit den Spitzenverbänden der Städte und Gemeinden und den VKU-Landesgruppen der neuen Länder stattfinden. Im Tagungszentrum LEUCOREA der Universität Halle-Wittenberg werden ab 14 Uhr mehr als hundert Gäste aus Kommunal-, Landes-, Bundes- und Europapolitik sowie der kommunalen Wirtschaft erwartet. Ein Höhepunkt der Jahresveranstaltung wird die erstmalige Vorstellung einer repräsentativen Befragung von Geschäftsführern kommunaler Energieunternehmen zur Umsetzung der Energiewende aus der kommunalen Perspektive sein. Diese umfassende Bestandsaufnahme hat das VfkE in enger Zusammenarbeit mit den VKU-Landesgruppen Brandenburg, SachsenAnhalt und Thüringen in diesen Ländern vorgenommen. Der erreichte Rücklauf von rund 43 Prozent liegt weit über dem vergleichbarer Befragungen. Damit haben die Aussagen und die auf dieser Grundlage formulierte gemeinsame politische Erklärung des VfkE und der beteiligten VKU-Landesgruppen ein besonderes Gewicht. Diese Stellungnahme wird in Lutherstadt Wittenberg erstmals zur Diskussion gestellt werden. Erzeugung in großen Kraftwerkseinheiten hin zur Produktion von Strom, Gas und Wärme in kleinen, dezentralen Einheiten ein wesentliches Element der Energiewende. Zudem agieren kommunale Energieversorger vorwiegend auf der Ebene der Verteilnetze, die für die Einspeisung Erneuerbarer Energien von zentraler Bedeutung sind. Die Stadtwerke gewannen aber auch deshalb zunehmende AufmerksamErneuerbare-Energien-Anlagen beteiligen, gehört in Deutschland inzwischen fast zum Alltag. Ein deutlicher Zuwachs an Neugründungen ist seit 2006 zu verzeichnen. Für dieses Bürgerengagement sind die Versorger vor Ort die quasi geborenen Partner. Schließlich bildet die Energieeffizienz einen wesentlichen Aspekt der Energiewende. Die energetische Ertüchtigung öffentlicher Bauten spielt nicht nur wegen der beträchtlichen Einsparpotenziale eine herausragende Rolle. Nicht minder wichtig ist die Impuls- und Vorbildfunktion der energetischen Sanierung von Rathäusern, Schulen, kommunalen Krankenhäusern oder der gerade in Ostdeutschland beträchtlichen kommunalen Wohnungsbestände. Aus den geschilderten Zusammenhängen heraus lassen sich vielfältige Chancen für die kommunalen Versorger ableiten. Allerdings zeigen sich im Kontext einer wachsenden Komplexität und enormer Investitionsanforderungen auch erhebliche Risiken. Die Rolle der Stadtwerke bei der Bewältigung der Energiewende ist in der Vergangenheit insbesondere aus dem politischen System heraus intensiv gewürdigt worden. Die in Lutherstadt Wittenberg vorzustellende VfkE-Jahresstudie hingegen widmete sich vornehmlich der Selbstsicht kommunaler Versorger. Bereits anhand der bei den Landesveranstaltungen in Thüringen (9. Juli in Nordhausen) und Brandenburg (3. September in Brandenburg an der Havel) vorgestellten Teilergebnisse lässt sich eine bemerkenswerte Inkongruenz zwischen politischen Weichenstellungen und Erwartungen der kommunalen Ebene feststellen. Zudem zeigte sich, dass die in politischen Lippenbekenntnissen geäußerte Fremdsicht auf die Rolle kommunaler Unternehmen im Rahmen der Energiewende nur ansatzweise deren Selbstsicht entspricht. n
Das Vfke
Das VfKE ist eine parteiübergreifende Kommunikationsplattform der ostdeutschen Kommunalpolitik, welche sich in erster Linie mit Fragen der Wirtschaftstätigkeit der Kommunen in den neuen Ländern befasst. Ziel ist es, die Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Betätigung auf kommunaler Ebene zu verbessern. Im Dialog mit den zuständigen politischen Entscheidungsträgern sollen zudem Faktoren beseitigt werden, die eine effiziente wirtschaftliche Betätigung der ostdeutschen Kommunen behindern. Eine weitere Intention besteht darin, in der politischen Öffentlichkeit das Bewusstsein für die enormen Leistungen zu wecken, die in den Kommunen der neuen Länder erbracht werden. Initiatoren dieser Plattform sind ostdeutsche Kommunalpolitiker sowie die VNG – Verbundnetz Gas AG in Leipzig.
Risiken und Herausforderungen
Das Verbundnetz für kommunale Energie (VfkE) hatte sich im Jahr 2014 aus verschiedenen Gründen auf die Implikationen einer kommunalen Energiewende konzentriert. So ist der Paradigmenwechsel von der
keit, weil sie sich selbst vielerorts als Erzeuger profilierten. Neben eigenen Engagements schlossen sich kommunale Versorger häufig auch zu Netzwerken zusammen, um größere Projekte wie On- und Offshore-Windparks realisieren zu können. Die zunehmende Dezentralisierung der Energieversorgung führte dazu, dass das Thema Energie von den Bürgern nicht mehr nur abstrakt, sondern recht konkret wahrgenommen wird. Dass sich Bürger mit ihrem Kapital an Errichtung und Betrieb von
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www.vfke.org
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Bücher
Kommunalwissenschaft aktuell:
Kommunalrating: Finanzierung von Städten und Gemeinden sichern
Oliver Everling... (Hrsg.) Köln: Bank-Verl., 2013. - .383 S.: graph. Darst. ISBN 978-3-86556-285-2 Senatsbibliothek: Kws 704/226
Kommunalverwaltung und Wirtschaftsförderung als Standortfaktor für Unternehmen
André Göbel Berlin [u.a.]: LIT, 2013. - . 413 S.: graph. Darst. Zugl.: Osnabrück,Univ., Diss., 2012 (Forschungsbeiträge zum Public Management; 7) ISBN 978-3-643-12281-0 Senatsbibliothek: Kws 761/108
Kommunalreformen in Deutschland
Martin Junkernheinrich... (Hrsg.) Baden-Baden: Nomos, 2013. - . 497 S.: graph.Darst., Kt. ISBN 978-3-8329-7917-1 Senatsbibliothek: Kws 740/143
In dieser Rubrik, die wir seit dem Septemberheft 2011 im Blatt haben, stellen wir Ihnen Publikationen zu kommunalen Themen vor, die es wert sind, über die unmittelbare fachwissenschaftliche Debatte hinaus auch in der Praxis zur Kenntnis genommen zu werden. Beim Aufspüren unterstützt uns die Senatsbibliothek Berlin, die sich als einzige Spezialeinrichtung deutschlandweit auf das kommunale Thema spezialisiert hat. Deren Leiterin, Marion Hecker-Voß, zugleich auch stellvertretende Generaldirektorin der Stiftung Zentral- und Landesbibliothek Berlin, hat für die Septemberausgabe 2014 die nachfolgende Auswahl getroffen. Alle Titel befinden sich im Bestand der Senatsbibliothek.
Lehrbuch kommunale Sozialverwaltung und soziale Dienste
Grundlagen, aktuelle Praxis und Entwicklungsperspektiven/ Heinz-Jürgen Dahme; Norbert Wohlfahrt.-. 2., völlig überarb. Aufl. Weinheim [u.a.]: Beltz Juventa, 2013. - . 287 S.: graph. Darst. ISBN 978-3-7799-2217-9 Senatsbibliothek: Kws 3/80
Fachzeitschriften mit kommunalem Bezug:
Ebenfalls in Kooperation mit der Berliner Senatsbibliothek haben wir in der Ausgabe Dezember 2011 damit begonnen, über die dort verfügbaren Fachzeitschriften mit kommunalem Bezug zu informieren. Wir haben diese Bibliographie thematisch geordnet. Im Dezember 2011 standen die Themen Bauen und Denkmalpflege auf der Agenda, im März 2012 die Komplexe Energie, Landkreise, Europa kommunal und Finanzen, im Juni 2012 Publikationen zu den Bereichen IT, TK und Kommunalwirtschaft, im September 2012 die Segmente Vermessung und Entsorgung und im Dezember 2012 der ÖPNV. Im März 2013 haben wir Titel zum Thema Ordnung/Sicherheit und Organe von kommunalen und kommunalnahen Verbänden. Im den Ausgaben 2013 stellten wir parteinahe Kommunalzeitschriften und Fachtitel zum Thema Personal (Juni) vor. Im September und Dezember 2013 standen Titel zum Thema Recht im Mittelpunkt. Im Heft März 2014 gaben wir Ihnen eine Übersicht über Zeitschriften zu den Themen Standortmarketing/ Stadtentwicklung / Stadtpflege. In der Ausgabe Juni 2014 folgte eine Übersicht zu Publikationen zur Verwaltungspraxis. Lesen Sie jetzt im Septemberheft nach, welche Titel zum Thema Wohnungswirtschaft und Gebäudemanagement im Bestand der Bibliothek sind:
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Senatsbibliothek Berlin in der Stiftung Zentral- und Landesbibliothek Berlin Breite Straße 30-36, 10178 Berlin www.senatsbibliothek.de
Titel
Bundesbaublatt: BBB-Magazin ; Zeitschrift für die Immobilien- und Wohnungswirtschaft
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Zs 789
Das Grundeigentum R 209 ZB 2068 Das Hauseigentum: Zeitschrift für Recht und Praxis im Wohnungswesen R 209 ZB 1681
Kommunale Selbstverwaltung in der Bewährung:
Professorengespräch 2013 des Deutschen Landkreistages am 4./5.2013 in Berlin und Neuhardenberg/ hrsg. von Hans-Günter Henneke Stuttgart [u.a.]: Boorberg, 2013. - . 296 S. (Schriften zum deutschen und europäischen Kommunalrecht; 45) ISBN 978-3-415-05143-0 Senatsbibliothek: Kws 740/150
Deutsche Wohnungswirtschaft: DWW; Fachzeitschrift für das gesamte Haus- und Grundstückswesen Zs 1447 Facility management Gewerbemiete und Teileigentum: GuT Zs 6753 Zs 7338 Zs 4331 Zs 2950 R 199 ZB 3584 Zs 3448 Zs 4069 Zs 6352 Zs 631 Zs 613 R 199 ZB 1150
Grundstücksmarkt und Grundstückswert: GuG; Zeitschrift für Immobilienwirtschaft, Bodenpolitik und Wertermittlung Mieter-Magazin: Organ des Berliner Mietervereins e.V. Mieter-Zeitung/ Hrsg.: Deutscher Mieterbund e.V.
Kommunale Wirtschaftsförderung: Handbuch und Leitfaden für die Verwaltungspraxis von Heute nach Übermorgen
Kruse; Hogrebe Frankfurt am Main: Verl. für Verwaltungswiss., 2013. - . 249 S.: Ill., graph. Darst. (Fachbuchreihe 4.0) ISBN 978-3-942731-17-1 Senatsbibliothek: Kws 610/23 66
Wohnmedizin: Zeitschrift für Wohnmedizin und Bauhygiene Wohnrechtliche Blätter: wobl Wohnungseigentum, Mietrecht: WE
(mit 4/2011 Erscheinen eingestellt)
Wohnungspolitische Informationen: wi; aktuelles für die Wohnungswirtschaft Die Wohnungswirtschaft: DW
Wohnungswirtschaft & Mietrecht: WM
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INSPIRATIONEN/INFORMATIONEN
Management in der öffentlichen Verwaltung
Organisations- und Personalarbeit in modernen Kommunalverwaltungen Helmut Hopp; Astrid Göbel. - . 4., überarb. Aufl. Stuttgart: Schäffer-Poeschel, 2013. - . XIV, 480 S.: graph. Darst. ISBN 978-3-7910-3317-4 Senatsbibliothek: Kws 761/96
Teure Bücherwürmer, verehrte Leseratten,
das Fazit jeder Rezension sollte eine Leseempfehlung sein. Sie können unter jeder Buchbesprechung mit einem Blick feststellen, ob sich der Weg zur nächsten Buchhandlung oder der Klick bei amazon.de lohnt. Und was die Symbolik – vom Fünf-Sterne-Gütesiegel bis zur Blauen Tonne – bedeutet, verrät Ihnen die folgende Legende: Labsal für Grips und Seele. Man wird deutlich schlauer. Ganz nützlich, aber es reicht, auf‘s Taschenbuch zu warten. Unschädlich, und hier und da erbaulich. Bevor man mit der Fernbedienung zappt. Segensreich – aber nur für die Recyclingwirtschaft!
In der Jetzt-Zeit sind wir – so der Autor – am vorläufigen Tiefpunkt dieser Entwicklung angelangt. Das ist die philosophische „Beschreibung“ des Zustandes, den wir im gesellschaftlichen Diskurs mit einem so profanen Diskurs wie „Werteverfall“ übersetzen. Was wir lernen? Es sind ja gemeinhin die Älteren, die heutzutage darüber diskutieren, dass Werte und Sitten verfallen. Diese Sicht ist Privileg und Unart der Eltern- und Großelterngeneration seit Menschengedenken. Deshalb ist auch der Autor dieser Zeilen höchst verunsichert, wenn er solche Befunde abliefert. Nein, ein Besserwisser, ein verbitterter älterer Herr, der über die verdorbene Jugend parliert, will er nicht sein. Und von Sloterdijk hat er gelernt, dass es gerade nicht um die normalen Kritteleien
Moderne Finanzkontrolle und öffentliche Rechnungslegung:
Denkschrift anlässlich der Verabschiedung von Herrn Prof. Dr. Manfred Eibelshäuser aus dem Amt des Präsidenten des Hessischen Rechnungshofs hrsg. von Walter Wallmann …Köln: Luchterhand, 2013. - . XX, 635 S.: Ill., graph. Darst. ISBN 978-3-556-06417-7 Senatsbibliothek: Kws 704/297
Personalmanagement professionalisieren:
Beiträge zur Gestaltung einer zukunftsfähigen öffentlichen Verwaltung; Festschrift zum 20jährigen Bestehen des Instituts für Kommunalund Verwaltungswissenschaften NRW Eberhard G. Fehlau [Hrsg.] Baden-Baden: Nomos, 2013.- . 431 S.: Ill., graph. Darst. ISBN 978-3-8329-5686-8
Ausführlich rezensiert:
Die schrecklichen Kinder der Neuzeit
Worum es geht? Sloterdijk formuliert eine interessante These: Die Überlebensfähigkeit einer Kultur sei an deren Vermögen fest zu machen, sich erfolgreich zu wiederholen. Nur wenn das Erbe im Ganzen mehr zähle als das Neue, nur wenn das Aktuelle das zu Bewahrende nicht überwuchere, gäbe es in der Gesellschaft mehr Stabilität als Erosion. Die Idee des Buches ist es weniger, den Beweis für die Richtigkeit der Ausgangsthese nur erkenntnistheoretisch zu führen. Sloterdijk unternimmt vielmehr plausible – im Kontext mit seiner Kernaussage – als auch überraschende Exkurse in die Menschheitsgeschichte, um uns zeigen, dass er Recht hat. Dieses Recht haben betrifft zum einen die eher abstrakte, eingangs zitierte, Beschreibung in der großen historischen Dimension menschlicher Existenz auf unserem Globus. Es betrifft aber vor allem die Beschreibung aktueller Zustände. Sloterdijk zeigt, dass die Relation zwischen Erbe und Neuem bis zur Renaissance einigermaßen im Lot war. Mit der französischen Revolution habe sich dann die sogenannte „futuristische Wende“ endgültig durchgesetzt – jener Prozess, in dem die Wirklichkeit sich schneller bewegt als das allgemeine Bewusstsein.
Sloterdijk Die
Peter
Praktische Fälle aus dem Kommunalen Finanzmanagement und Externen Rechnungswesen NRW
von Klaus Mutschler; René Schlösser Witten: Bernhardt-Witten, 2013. - . VI, 214 S. - . 2., vollst. überarb. und erw. Aufl. ISBN 978-3-939203-44-5 Senatsbibliothek: Kws 704/247
Kinder
Neuzeit Suhrkamp
der
schrecklichen
Rechtliche Ausgestaltung der strategischen Neuausrichtung des Haushaltswesens:
beratende Äußerung nach § 88 Absatz 2 LHO/ Rechnungshof Freie und Hansestadt Hamburg Hamburg: Rechnungshof der Freien und Hansestadt Hamburg, 2013. - . 28 S. Senatsbibliothek: Kws 704/262
Rechtssichere Personalauswahl in der öffentlichen Verwaltung:
Stellen nach dem Bestenprinzip besetzen von Boris Hoffmann Heidelberg [u.a.]: Rehm, 2013. - . 179 S.: graph. Darst. (Personalmanagement im öffentlichen Sektor; 8) ISBN 978-3-8073-0156-3 Senatsbibliothek: Kws 720/22
über die „Nachfolger“ geht, sondern um einen kulturellen Erosionsprozess. Die Argumente und die historischen Beispiele sind jedenfalls plausibel. Und sie korrelieren mit eigenen Erfahrungen. Ich habe Erinnerungen an drei Vorgängergenerationen: mir sind meine Urgroß- und meine Großeltern noch gegenwärtig, und meine Eltern sowieso. Was sie mir an elementaren Regeln mitgaben, unterschied sich nur marginal. Der Bruch ist im heute. Ich habe an dieser Stelle vor einigen Monaten das Buch von Michael Winterhoff „Warum unsere Kinder Tyrannen werden“ vorgestellt. Winterhoff weist dort unter anderem 67
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auf das Paradoxon hin, dass es früher Oma und Opa waren, die das Verwöhnprivileg hatten. Ihnen gebühre heute die ganz andere Rolle, nämlich jene, Regeln zu setzen und somit – um es mit Sloterdijk zu formulieren – ein wenig Erbe über die Zeit zu retten. Wie die Inhalte dargeboten werden? Ob Sloteredijk nun der der deutsche Philosoph der Gegenwart ist, das ist mir ziemlich „wurscht“. Vor einiger Zeit trug Richard David Precht diese Krone, nun ist es Peter Sloterdijk. Precht liest sich leichter, bei Sloterdijk brauche ich je Seite das Dreifache an Zeit. Die aber ist nicht verloren, denn er argumentiert schlüssig, schreibt anspruchsvoll, aber lesbar und entlässt mich wissender und klüger. Und er gibt so viele Anstöße, zu Dingen nachzuschlagen und nachzudenken, über die man s o noch nicht nachgedacht hatte. Die Zahl der Intellektuellen, die solches bewirken, ist sehr übersichtlich geworden. Schon deshalb kann ich Ihnen den neuen Sloterdijk empfehlen. Was das Buch nicht leistet? „Die schrecklichen Kinder der Neuzeit“ ist kein Welterklärungsbuch. Und Peter Sloterdijk ist kein selbsternannter Welterklärer. Deshalb müssen wir die meisten Schlussfolgerungen aus seiner Bestandsaufnahme schon selber ziehen. Der Fortschritt ist nicht „schneller“ geworden. Das Buch, das ich bei Amazon in wenigen Minuten bestelle, kommt immer noch per Achse ins Haus und das geht nicht schneller als früher, als ich die Ware noch mit dem guten alten Katalog und dem dort eingedruckten Bestellschein geordert habe. Die Zeitenläufe sind so wie sie immer waren. Was wir fühlen, das ist nicht die Realität. Und wenn wir etwas bewahren wollen, müssen wir es schon selbst bewahren. Das ist meine Schlussfolgerung. Die steht so nicht bei Sloterdijk. Ich vermute, er bezweifelt, dass wir diese Einflussmöglichkeit haben. Ich bin da weniger pessimistisch. Welche Fußnote der Rezensent am Ende gerne setzen möchte? Der neue Sloterdijk polarisiert. Nach dem Buch habe ich viele Rezensionen gelesen. Zwei – noch dazu aus einem Hause – stehen für die extreme Bandbreite: Bei Spiegel Online fand ich die Kolumne von Georg Diez „Nach ihm die Sintflut.“ Folgende kurze Kostprobe: Mit seinem neuen Buch „Die schrecklichen Kinder der Neuzeit“ entpuppt sich Peter Sloterdijk endgültig als Reaktionär und Ressentimentlieferant. Die Wähler der AfD dürften ihn dafür feiern.“ In diesem Stil geht’s weiter, und in dieser Weise haben andere „Kritiker“ in jüngerer Zeit auf 68
Sarrazin und Buschkowsky – um nur zwei Beispiele zu nennen – eingeschlagen. Und damit Sloterdijk Recht gegeben. Dieses Diskurs„Niveau“ belegt tatsächlich die gewaltige kulturelle Schussfahrt……….. Lesen Sie als Kontrapunkt dann bitte auch aus „Der Spiegel“, 25/2014, S. 116 von Elke Schmitter „Die futuristische Wende“. Nicht, weil ich deren Bewertung in vielen Punkten teile. Sondern deshalb, weil sie sich auf gemäße Weise auf ein kluges Meinungs- und Faktenangebot einlässt. Rezensent: Michael Schäfer Bewertung: ***** Peter Sloterdijk: Die schrecklichen Kinder der Neuzeit 1. Auflage 2014 Suhrkamp Verlag Berlin ISBN 978-3-51842435-3 www.suhrkamp.de
Bewertung des gerade vorgestellten Sloterdijk. Denn Miegel zeigt als zentrale Ursache für den gesellschaftlichen Niedergang – und hier ist der Zusammenhang zu Sloterdijk – die umfassende Krise der westlichen Kultur. Er schreibt: „Ein jahrhundertelang gültiges Wertesystem wurde grundlegend uminterpretiert oder genauer: in sein Gegenteil verkehrt. Waren Habsucht, Gier und Maßlosigkeit
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Hybris. Die überforderte Gesellschaft
Worum es geht? Das neue Buch von Meinhard Miegel ist für mich die Fortsetzung des 2010 ebenfalls bei Propyläen erschienenen „Exit. Wohlstand ohne Wachstum“. Die Kernaussagen vor vier Jahren lauteten: Wenn die Menschheit das Ruder nicht herum reißt, ist sie dem Untergang geweiht. Miegel beschrieb aber auch die Alternative. Die Reduktion menschlicher Bedürfnisse auf die Befriedigung materieller Bedürfnisse sei eine Perversion. Ein viel reicheres Leben verheiße das Umschalten auf Ideelles: Kultur, Gemeinsinn, Bildung. Das Haben-Haben-Haben-Prinzip sei nicht nur nicht haltbar auf Dauer, es habe auch zur massenhaften Zerstörung intellektueller und sozialer Ressourcen geführt. Der Ausweg sei ein Bildungswesen, das neben den intellektuellen auch die emotional-sozialen Potenziale der Gesellschaft aktiviert. Nur so könne es zu dem unabdingbaren Bewusstseinswandel der Menschen beitragen. Dafür müssten die Weichen gestellt werden. Das, was uns Miegel nun – 2014 – in Hybris aufzeigt, belegt leider auch, dass seine völlig richtige Bestandsaufnahme aus dem Jahr 2010 nicht gehört wurde. Jedenfalls hat sie nicht zu Veränderungen geführt. Warum dies so ist, analysiert Miegel in „Hybris“. Das ist in gewissem Sinne auch sehr verwandt mit der übergreifenden philosophisch-historischen
zuvor Laster, so wurden sie jetzt zu wohlstandsfördernden Tugenden erhoben. Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwammen, weil materieller Erfolg als der neue und alleinige Maßstab galt. Wer materiell erfolgreich war, genügte den gesellschaftlich-moralischen Anforderungen“ (S. 15). Miegel belegt diese Einschätzung für nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche und setzt diesen „Werte“wandel in den Kontext zu Prozessen wie Globalisierung und technischen Fortschritt. Was wir lernen? Miegels Buch ist überzeugend, weil es Beispiele aus allen Sphären liefert. Nach der Lektüre wissen wir (oder haben neuerlich eine überzeugende Bestätigung bekommen), dass der Niedergang unserer westlichen Kultur eine Realität ist. Wie die Inhalte dargeboten werden? Wie immer brilliert Miegel mit der selten gewordenen Mischung aus wissenschaftlicher Präzision und Verständlichkeit. Das ist Populärwissenschaft im allerbesten Sinne. Leibniz hätte daran seine Freude.
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INSPIRATIONEN/INFORMATIONEN
Was das Buch nicht leistet? Eine wirklich überzeugende Lösung hat Miegel nicht parat. Natürlich haben seine Appelle für eine neue Bescheidenheit alle Berechtigung dieser Welt. Er hat sie schon in „Exit“ formuliert, aber das Abwärtstempo ist seitdem noch größer geworden. Andererseits: es gibt auch Gegenbewegungen. Gerade wurde in Berlin-Kreuzberg ein Supermarkt eröffnet, der gänzlich ohne Verpackungen auskommt. Und die Zahl derjenigen, die in Metropolen ihr Auto abschaffen, hat inzwischen eine stattliche Dimension erreicht, eine schon deutlich sichtbare, aber noch lange keine gesellschaftliche. Nicht in Deutschland und erst recht nicht im globalen Maßstab. Welche Fußnote der Rezensent am Ende gerne setzen möchte? Wir brauchen sie, die Sloterdijks, die Miegels, die Schorlemmers oder die Dahns!!! Auch wenn sich die Welt nach Euren Büchern nicht oder nur ganz langsam ändert. Mahnt weiter! Und Sie, liebe Leserinnen und Leser, lest weiter solche Bücher, tragt die Gedanken in die Welt und macht sie Euch in Taten zu eigen. Am Ende ändert sich die Welt durch Handeln. Aber am Anfang ist das Wort. Rezensent: Michael Schäfer Bewertung: ***** Meinhard Miegel: Hybris. Die überforderte Gesellschaft 2. Auflage 2014 Propyläen-Verlag Berlin ISBN 978-3-549-07448-0 www.propylaeen-verlag.de
Was wir lernen? Der Autor erläutert, dass unser Geldsystem eigentlich „Schuldgeldsystem“ heißen müsste. Begründung: Es gibt real gar kein Geld, sondern die Banken „erfinden“ es. Das nennt man Giralgeldschöpfung, Geld entsteht also ausschließlich über die Aufnahme von Krediten. Kunze zeigt, dass mit dieser Logik auch die Entstehung der Zinsen erklärt werden muss. „Ich brauche Kredite von morgen, um die Zinsen von heute zu bezahlen. Diese Vorgehensweise entspricht einem klassischen Schneeballsystem oder auch Pyramidenspiel,
Wie die Inhalte dargeboten werden? Sebastian Kunze braucht ganze 58 Seiten um kurz und knackig unser Geldsystem zu erläutern. Mit überzeugenden Beispielen und verständlicher Sprache wird er damit auch jene erreichen, die als Nichtfachleute nicht in der Lage sind, sich diese Materie über dicke und für den Laien unverständliche Fachbücher zu erschließen. Was das Buch nicht leistet? Wer so knapp und pointiert erklärt, muss auf manchen Zwischenton verzichten. Etwa, wenn Kunze in dem eingangs zitierten Vorwort unser Geldsystem als einzige Ursache für die grundlegende ökonomische und gesellschaftliche Krise ausmacht. Folgerichtig präsentiert er uns in Kapitel 8 als Lösung, dass man dieses Geldsystem verändern müsse und schlägt als Varianten die Einführung einer Mindestreserve oder eines Vollgeldsystems vor. Dass dies diejenigen tun – wir erinnern, in Deutschland ist das ein Prozent der Bevölkerung – die Gewinner des jetzigen Systems sind, glaubt Sebastian Kunze ganz sicher ist. Wie es denn gehen soll, das könnte er uns in einem nächsten Büchlein erklären. Welche Fußnote der Rezensent am Ende gerne setzen möchte? Sebastian Kunze ist im Hauptberuf Referatsleiter für kommunalwirtschaftliche Betätigung und Energiewirtschaftsrecht beim Städte- und Gemeindebund Brandenburg. Dass er sich also quasi „nebenbei“ auf einem so hohen Niveau damit beschäftigt hat, uns einen hochkomplizierten Sachverhalt verständlich nahe zu bringen, verdient großen Respekt. Erfreulich ist es, dass ein Autor dieser Qualität heutzutage nicht zwingend die Klinken von Verlagshäusern putzen muss, damit sein Wissen an den Leser kommt. „Books on Demand“ macht’s möglich. Fragen Sie dort nach, und wenn sie Kunzes Büchlein gelesen und „Blut geleckt“ haben, finden Sie dort auch Tipps, wo Sie vertiefend weiterlesen können. Rezensent: Michael Schäfer Bewertung: ***** Sebastian Kunze: Schwarzbuch Geldsystem 1. Auflage 2014 BoD – Book on Demand, Norderstedt ISBN 978-3-7357-3635-1 www.bod.de
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Schwarzbuch Geldsystem
Worum es geht? Das definiert der Autor so prägnant in seinem kurzen Vorwort, dass ich selbiges hier einfach übernehme: „Seit 2008 sehen wir eine Abfolge von Krisen, die kein Ende zu nehmen scheint. Immobilienkrise, Bankenkrise, Wirtschaftskrise, Staatsschuldenkrise waren Begriffe, die man uns präsentierte. Letztlich waren all diese Krisen lediglich Erscheinungsformen einer einzigen Krise: einer grundlegenden Systemkrise. Und diese einzige Krise hat auch nur eine einzige Ursache. Diese Ursache ist unser Geldsystem. Diese kleine Abhandlung soll erklären wie unser Geldsystem funktioniert – oder besser gesagt – warum es nicht funktioniert und welche Auswirkungen das hervorruft.“
das immer nur solange funktioniert, bis niemand mehr da ist, der die vorhergehende Stufe finanzieren könnte. Und so kann unser Geldsystem immer nur weiter funktionieren, wenn neue, höhere Schulden aufgenommen werden“ (S. 13). Aber auch dieser Krug geht nur solange zu Wasser bis er bricht: wird der Verschuldungsgrad und damit die Zinslast zu groß, kollabiert das System. Im Kapitel 6 zeigt Kunze, wer in diesem Spiel die Gewinner, und wer die Verlierer sind: Zinsgewinner sind die, deren Vermögen so groß ist, dass sie mehr Zinsen einnehmen als sie über Steuern und Preise ausgeben. Das ist in Deutschland ein Prozent der Bevölkerung. 99 Prozent sind also Zinsverlierer, die nicht nur ihre eigenen Zinsen, sondern auch die der Unternehmen und des Staates über Verbraucherpreise und Steuern aufbringen müssen. Ergo sind auch die besonders Sparsamen, die ganz ohne eigene Kredite auskommen, auf dieser Verliererseite.
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UNTERNEHMERIN KOMMUNE • AUSGABE 03 / SEPTEMBER 2014
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Epilog / Impressum
Liebe Leserinnen, liebe Leser, die Jahresstudie des Verbundnetz für kommunale Energie widmet sich in diesem Jahr den aktuellen Herausforderungen der kommunalen Ebene bei der Bewältigung der Energiewende. Die ersten Ergebnisse aus Thüringen und Brandenburg zeigen eine ausgeprägte Unzufriedenheit mit den politischen Rahmenbedingungen, bekunden allerdings gleichzeitig ungenutzte Potentiale für kooperative Ansätze. Als unter der ersten Schröder-Regierung im Jahr 2000 das erste Erneuerbare Energien-Gesetz verabschiedet wurde, war kaum absehbar, dass sich die Kommunen und ihre Unternehmen zu derart zentralen Akteuren im Energiemarkt entwickeln würden. Schließlich ging gerade ein Jahrzehnt zu Ende, in dem sich Kommunen deutschlandweit massenhaft von ihrem Eigentum trennten und Verantwortung für zentrale Leistungen der Daseinsvorsorge an Private abgaben. Wurde den Kommunen wirtschaftliche Kompetenz seinerzeit schlicht abgesprochen, werden heute die vielfältigen Impulse kommunaler Unternehmen beim Vorwärtstreiben des größten Gesellschaftsprojektes unserer Zeit betont. Kommunen und kommunale Unternehmen haben sich nach der Liberalisierung der Versorgungsmärkte ein enormes Vertrauen erarbeitet. Dafür sprechen nicht zuletzt die mannigfaltigen Bürgerbewegungen, die in allen Teilen Deutschlands für eine Kommunalisierung zentraler Daseinsvorsorgeleistungen streiten. Gerade vor dem Hintergrund der Energiewende müssen Kommunen jedoch auch darauf achten, dass ihre Rolle nicht überbetont wird und dass Herausforderungen überwindbar bleiben. Entsolidarisierung, Rosinenpickerei und Kirchturmdenken werden zwar allerorten gebrandmarkt, in der Realität konnten diese negativen Tendenzen jedoch noch nicht gänzlich aufgelöst werden. Und dies, obwohl sich die zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen wie der demografische Wandel und die Energiewende nur mit mehr Kooperation zwischen allen Ebenen und Akteuren bewältigen lassen. Es stimmt, dass die Kommunen in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten enorm und zu Recht an Renommee gewonnen haben. Doch sie müssen sich diesen Stellenwert immer wieder aufs Neue erkämpfen. Gerade kleinere Einheiten sollten sich nicht betrunken machen lassen von kruden Verheißungen wachsender Einnahmen und größerer Unabhängigkeit. Das Gute liegt oftmals viel näher. Es sind die Kommunen in der direkten Nachbarschaft, die in der Regel ähnlich ticken und mit denen übergreifende, mittelfristig belastbare Angebotsstrukturen entwickelt werden können. In diesem Zusammenhang darf auch die Schraube der Rekommunalisierung nicht überdreht werden. Denn wenn Kommunen sich selbst überfordern und damit gewachsene Strukturen belasten, kann das aktuell allzu vehemente Lob genauso schnell wieder ins Gegenteil umschlagen. Die VfkE-Jahresveranstaltung und die Präsentation der eingangs erwähnten Studie werden sich genau diesen Zusammenhängen widmen. Welche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden, können Sie in einem umfassenden Bericht in der Dezember-Ausgabe von UNTERNEHMERIN KOMMUNE nachlesen. Ihr Falk Schäfer
IMPRESSUM
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UNTERNEHMERIN KOMMUNE • AUSGABE 03 / SEPTEMBER 2014
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