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DIE NEUEN WASSERSTRASSEN IM SÜDLICHEN HOLLAND.
Die Holländer haben ihren von jeher hervorragenden
Leistungen auf dem Gebiete des Wasserbaues in dem ver
flossenen Jahrzehnt neue hinzugefügt durch eine Reihe umfang
reicher und technisch bedeutender Bauausführungen 1 ). Die
größte und schwierigste dieser Aufgaben ist die noch in der
Ausführung befindliche Abschließung und Trockenlegung der
Zuidersee 3 ), die dem sehr dicht bevölkerten Lande (200, in
Deutschland 135 Einwohner/km 2 ) einen Landgewinn von
288000 ha, d. h. ein Zehntel der bislang landwirtschaftlich
genutzten Fläche bringen, aber auch rund 775 Millionen RM
(nach dem Anschlag) kosten wird, Ein weiterer großer Bau,
die im Jahre 1930 fertiggestellte größte Seeschleuse der Welt
bei Ymuiden 3 ), hat rund 49 Millionen RM gekostet.
Daneben hat das durch seinen Kolonialbesitz wohlhabende
Land weitere beträchtliche Aufwendungen machen können für
eine umfassende Verbesserung bestehender und die Herstellung
neuer Wasserstraßen, über die hier im Zusammenhang berichtet
werden soll. Es handelt sich um die Kanalisierung der Maas
unterhalb Maastricht, den Juliana-Kanal, die Verbindung
Maas — Süd - Wilhelmsfahrt und den Maas-Waal-Kanal,
Bauten» durch die die Verkehrs- und Absatzverhältnisse in dem
Deutschland benachbarten Limburger Revier bedeutend ver
bessert werden.
Limburg, das sich als südlichster Zipfel Hollands zwischen
Deutschland und Belgien weit hinunter nach dem von Aachen
westwärts an Maastricht vorbei bis in die Gegend von Hasselt
und Diest verlaufenden. Kohlengebiet vorschiebt (Abb. 1),
birgt die wichtigsten Bodenschätze des Landes. Offenbar
beabsichtigen die Holländer, durch die Verbesserung der Ver
kehrswege nicht nur die Produktion dieses Gebietes zu heben,
sondern auch den Verkehr aus dem belgischen Montanrevier
um Lüttich und Charleroi sowie aus dem nordöstlichen Frank
reich nach Rotterdam zu ziehen. Mindestens kann dies ver
mutet werden nach der großen Leistungsfähigkeit, die sie den
neuen Wasserstraßen gegeben haben.
Ob allerdings der Verkehr aus Belgien auf die Dauer ab
gezogen werden kann, erscheint zweifelhaft. Denn nachdem
die Verhandlungen mit Belgien über den gemeinsamen Ausbau
der die Grenze bildenden Maasstrecke bei Maastricht ge
scheitert sind, hat sich zwischen beiden Ländern der Kon
kurrenzkampf um den Wasserstraßenverkehr noch verschärft.
Seit dem selbständigen Vorgehen Hollands mit der Verbesse
rung der Maaswasserstraße ist Belgien bestrebt, Gegen
maßnahmen zugunsten seines Antwerpener Hafens zu treuen.
Belgien hat mit dem Bau eines Kanals begonnen, der unter
Überwindung großer Geländeschwierigkeiten das holländische
Gebiet bei Maastricht umgeht, das zur Zeit durch viermalige
Zollkontrolle und enges Fahrwasser im Stadtgebiet recht un
bequem ist. Nach Fertigstellung dieses nach dem König Albert
benannten Kanals und Verbesserung der oberen Maas wird
Belgien eine nur auf seinem Gebiet verlaufende leistungsfähige
Wasserstraße für Schiffe von mindestens 13501 zwischen dem
Lütticher Industriegebiet und seinem Seehafen besitzen und
hofft dann sogar Verkehr aus Hollandisch-Limburg nach Ant
werpen zu ziehen, soweit der Weg dahin kürzer ist als nach
Rotterdam. Holland hat jedoch einen nicht unbedeutenden
Vorsprung insofern, als seine Bauten im wesentlichen fertig-
gestellt sind, während das erst Anfang 1930 in Angriff ge
nommene erste Teilstück des Albert-Kanals noch eine Bauzeit
von mehr als fünf Jahren erfordert 4 ).
Auf die belgischen Bauausführungen kann hier nicht näher
eingegangen werden. Zunächst möge der Zustand des hollän
dischen Wasserstraßennetzes vor der Verbesserung durch einen
kurzen Rückblick dargelegt werden. Bislang war die Maas
im allgemeinen bis hinauf nach Venlo das ganze Jahr über
schiffbar bei einer geringsten Fahrwassertiefe von 1,6 m.
Während eines großen Teiles des Jahres war auch Roermond
für die Schiffahrt erreichbar. Das oberhalb gelegene Gebiet,
besonders in der Umgebung von Maastricht, stand mit den
übrigen Landesfceilen und den Seehäfen durch die 1823 voll
endete Süd-Wilhelmsfahrt in Verbindung, die bei Maastricht
die Maas verläßt, zunächst durch Belgien, dann durch hollän
disches Gebiet in großem Abstand vom Fluß über Weert ver
läuft und bei Herzogenbusch über die Dieze wieder in die Maas
einmündet. Diese Linienführung wird erst verständlich, wenn
man bedenkt, daß Belgien bis 1831 als „spanische Nieder
lande“ mit dem heutigen Holland vereinigt war. Etwa 1850
') Zentral blatt der Bauverwaltonsc 1920, S, 9; ferner „De Ingenieur“ 1919, 21, 22,
25. 27, 30, 31.
ä ) Fortlaufende Berichte in den Jahrgängen d. BL von 1922 ab (außer 1929 li. 1927).
*) Vergl. Jahrg. 1931 d. BL, 8. Öl u. 10* *.
A ) Vergl. mich S. 15 d, BL
wurde dieser Kanal von den Belgiern als Maas-Seitenkanal
flußaufwärts bis Lüttich fortgeführt, so daß über die kanali
sierte obere Maas sogar eine Verbindung mit dem nordfran
zösischen Kanalnetz bestand.
Bei der zunehmenden Entwicklung des Bergbaues in Süd
limburg, dessen Gesamtproduktion 5 ) von 1899 bis 1923 von
150000t auf 5,3 Millionen t anstieg, waren diese Wasserstraßen
mit ihren geringen Abmessungen dem Verkehr nicht mehr
gewachsen. Die Verbesserungsmöglichkeiten wurden von
einem holländisch-belgischen Ausschuß eingehend untersucht,,
der 1912 die Kanalisierung der Maas unterhalb Maastricht
vorschlug. Ueber die Ausführung war jedoch auch später
keine Einigung zu erreichen. Hofland entschloß sich daher,
im Rahmen des Gesamtausbauplanes auf seinem Gebiet
allein vorzugehen und darüber hinaus noch weitere Verbesse
rungen vorzunehmen. Das Gesetz vom 12. Juni 1915 sah die
Kanalisierung der Maas von Maasbracht bis Grave und statt
der zunächst in Erwägung gezogenen weiteren Kanalisierung
abwärts bis St. Andries einen Kanal von der Maas unterhalb
Mook nach dem Waal unterhalb Nimwegen und schließlich
eine kürzere Verbindung von der Maas unterhalb Maasbracht
bei Wessem nach der Süd-Wilhelmsfahrt bei Niederweert vor.
Bei der weiteren im Gesetz vom 28. Juli 1921 beschlossenen
Verbesserung der Wasserstraße oberhalb Maasbracht wurde
aus technischen, in der Hauptsache aber wohl aus politischen
Gründen von der früher geplanten Kanalisierung der Maas
auf der Grenzstrecke Abstand genommen und einem Seiten
kanal auf holländischem Gebiet der Vorzug gegeben, der nach
der Prinzessin Juliana benannt wurde.
Die neue Wasserstraße von Maastricht bis zum Waal hat
Abmessungen für einen Verkehr mit 2000 t-Schiffen erhalten,
während der Kanal Wessem—Niederweert, den Abmessungen
der Süd-Wilhelmsfahrt entsprechend, nur für 600 t-Kähne
bestimmt ist.
Die einzelnen Abschnitte sollen, dem Flußlauf abwärts
folgend, ohne Rücksicht auf die Zeit ihrer Herstellung be
sprochen werden.
I. Die Bauwerke in der Nähe von Maastricht sollen den
Anschluß des Juliana-Kanals an die Maas und an den Seiten
kanal Lüttich—Maastricht hersteilen und die Fahrstraße inner
halb der Stadt verbessern. Die bestehenden Schiffahrt
verhältnisse in Maastricht sind für die durchgehende Schiffahrt
recht ungünstig. Wie Abb. 2 zeigt, liegt der Kanal zwischen
dem Fluß einerseits und den Kreidebergen von St. Pieter und
der Stadt anderseits eingezwängt. Diese Strecke weist neben
scharfen Richtungsänderungen und Querschnittverengungen
acht bewegliche und drei feste Brücken, drei Schleusen und
sogar einen einschiffigen Tunnel auf. Treidelpfade fehlen. Da
Maastricht Industriestadt ist, hat sich ein lebhafter Ortsverkehr
entwickelt, woraus sich weitere Schwierigkeiten für die durch
gehende Schiffahrt ergeben. Um das Maß voll zu machen, sind
auch noch vier Zollstellen zii passieren.
Diese Zustände sind durch die neuen Bauten beseitigt
worden. Die von oben kommenden Schiffe werden durch die
neue Schleuse bei St. Pieter dicht oberhalb der Stadt in die
Maas geleitet und gelangen, nachdem sie in schlanker Fahrt
das Stadtgebiet durchfahren haben, durch die neue Schleuse
im „Bossche Veld“ wieder in den Kanal. Weiter unterhalb
ist bei Borgharen ein Wehr in der Maas errichtet worden, dessen
Stau bis St. Pieter reicht und stets die nötige Fahrtiefe sichert.
Kurz oberhalb des Wehres zweigt der Juliana-Kanal rechts
ab, der durch die obenerwähnten Schleusen mit dem Kanal
nach Lüttich und der Süd-Wilhelmsfahrt verbunden ist.
Der Ausbau der neuen Schiffahrtstraße durch Maastricht
erfolgte zunächst für das 10001-Schiff, wobei aber schon auf
die spätere Zulassung der auf dem Juliana-Kanal verkehrenden
2000 t-Schiffe gerechnet wurde.
Im Stadtgebiet ergaben sich Schwierigkeiten für den
Umbau der alten massiven Straßenbrücke. Diese wird von
den holländischen Ingenieuren für die schönste alte Brücke
Europas gehalten, die in Verbindung mit der Bebauung links
der Maas ein so schönes Stadtbild ergebe, wie man es nur
selten in Holland finde und daher unbedingt erhalten bleiben
müsse. Die neue Brücke war erforderlich, weil die alte dem
Straßenverkehr nicht mehr gewachsen war. Nach vielen anderen
Vorschlägen wurden schließlich am rechtenUferzweiBetonbögen
der alten Brücke durch eine 50 m weite Öffnung mit schlichtem
eisernem Überbau ersetzt, wobei auf einen gefälligen Übergang
vom massiven zum eisernen Teil großes Gewicht gelegt wurde.
*) Nach I.e G£nie civil vom 4. April 1925.