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Abb. 1. Moserboden mit An
deutung der Sperrmauern.
(Blick vom Talbecken aus.)
Juni von uns erneut im Betriebe besichtigt, und es konnte er
sehen werden, „daß sowohl in der älteren als auch in der 1930
fertiggestellten Strecke, die also teils zwei, teils einen Winter
überstanden haben, keine nachträglichen Veränderungen auf
getreten sind“. Es galt auch diesmal das im Sommer 1930
festgestellte Ergebnis. Nur wenige Nachbesserungen waren
nötig geworden, obwohl im letzten Winter mehrere Lawinen
darüber zu Tal gegangen sind. Noch bei der Besichtigung im
Juni 1931 war der Hangkanal auf etwa 80 m Länge mit
der Schneemasse, einer Lawine überdeckt, auf der wir zum
Wielinger Gletscher wanderten. Man wird naturgemäß den Kanal
bündig in den Hang legen und den Angriffen tunlichst entziehen.
Die Kanalabdeckung hat sich bewährt. Die Betriebseinrich
tungen des Versuchskanals, wie Einfangung des Wielinger
Gletschers und einiger Runsen, die Spülschleusen, deren Wir
kung als gut erprobt wurde, und die Meßeinrichtungen (selbst
tätige elektrische) haben verläßlich und ohne Störung gearbeitet
und sind in ihrer Bewährung „durch verschiedene Meßmethoden
(Behältermessung, Eliigelmessung, Salzverdünnungsverfahren)
auf einen genügenden Grad der Genauigkeit gebracht worden“.
Der Kanal ist auch im Winter 1930/31 nicht eingefroren und
vereist, sondern ständig, unter sehr ungünstigen Umständen, in
Betrieb gewesen, obwohl im ersten Teil des Winters der Kanal
fast bloßlag, indem aller Schnee von den Stürmen fortgefegt
und der Kanal immer wieder freigemaeht wurde, „Die Wärme
im Kanal und seiner Umhüllung und auch die Luftwärme darin
sind über 0° geblieben, selbst bei einer größten Kälte bis
— 35°.“ Zwei über Winter mit Hilfsmannschaften am Moser
boden weilende Ingenieure haben die Meßeinrichtungen dauernd
beaufsichtigt, indem sie auf Schneeschuhen zum Hangkanal
gelangten.
Naturgemäß sind noch nicht alle Lösungen baulicher und
betriebstechnischer Art als endgültig anzusehen. Noch manche
Einzelkonstruktionen werden abzuändern und den Betriebs
verhältnissen anzupassen sein. Hier einzugreifen wird auch
Sache des zukünftigen Betriebes sein. Unterhaltungstrupps für
diesen Zweck sind vorgesehen. Wer wollte bei einem solchen
Versuchsbau gleich alles bis zum letzten geklärt sehen ? Aber in
zwei Hauptpunkten, die z. T. angezweifelt, z. T. ganz verneint
w urden, hat der Probekanal seine Güte und Verläßlichkeit er
wiesen: er hat zwei Winter bei starkem Frost und Lawinenfall
überdauert, ohne irgendwie ernsthaften Schaden genommen zu
haben, und ist nicht abgerutscht, und was für den Betrieb das
Wichtigste ist, er ist nicht eingefroren oder vereist. Das Wasser
war im ständigen Fließen. Diese zweijährigen Erfahrungen er
geben, wenn sie auch noch nicht abschließend sind, eine Tat
sache, um die auch die Gegner des Planes nicht herumkommen
werden. Diese sollten sich durch Augenschein eine unmittelbare
Anschauung verschaffen. Der Versuchskanal ist jedermann zu
gänglich.
Wenn aber wirklich sich einige Strecken im Gesamtnetz des
zukünftigen Hangkanalsystems über Winter zusetzen sollten,
so wäre dies an sich noch nicht bedenklich. Man wird dem ent
gegenarbeiten können, wenn man einerseits die Gesamtlänge
der Kanäle auskömmlich bemißt, so daß der vorübergehende
Ausfall einiger Kilometer keine Bedeutung haben würde, und
anderseits die Speicher genügend geräumig macht. Die Haupt
zeit des Wasseransammelns ist der Sommer, ln dieser Zeit wird
man etwaige Verstopfungen immer bald beseitigen können.
Über die Notwendigkeit ausgiebiger WasserSpeicherung für
das Tauernwerk, soweit die Geländeverhältnisse dies irgend
gestatten, besteht auf allen Seiten Einigkeit. Man ist im Be
griffe, hier ein großes Wasserkraftunternehmen zu schaffen, und
man sollte im Rahmen der gesamten Kraft- und Elektrizitäts
wirtschaft Mitteleuropas eine umfassende Wasserwirtschaft
durch Ausnutzung aller von der Natur gegebenen Möglichkeiten
betreiben. Mit einem Optimum der Wasserwirtschaft wird man
zugleich einen Höchstwert für die gesamte Kraft Wirtschaft ge
winnen, und man sollte die Wasserwirtschaft gegenüber der
Kohlenwirtschaft nicht zurückdrängen. Die Wasserkräfte
können in dem Vollverbrauch der Wirtschaft immer und in
jeder Form abgesetzt werden.
Es stehen sich gegenüber hydraulischer und elektrischer
Zusammenschluß. Dort findet eine Zusammenballung der
Kraftruasse in wenigen Zentralen, ja auf einem Punkte statt,
und von hier aus werden die Energien ferngeleitet. Bei dem
elektrischen Zusammenschluß wird die Gesamterzeugung auf
eine Reihe von Kraftwerken verteilt und der Strom durch eine
Ringleitung vereinigt. Das letztere gibt vielleicht einen billi
geren Ausbau, aber nicht einen so sicheren und geschlossenen
Betrieb w ie die hydraulische Speicherung. Hier ein Großbetrieb
in einem oder wenigen Werken, dort eine Verzettelung auf viele
Stellen, Verwicklungen, Erschwernisse und Verteuerung. Ein
gewisser Vorteil der elektrischen Zentralisierung liegt in der
gegenseitigen Aushilfe der Werke bei Störungen. Dieser Um
stand hat aber bei großen Überland Unternehmungen, die mit.
einer Verbundwirtschaft von Wasser- und Kohlenkraft arbeiten,
keine wesentliche Bedeutung. Grundsätzlich bringt der hydrau
lische Zusammenschluß ein einfacheres System für den Bau und
Betrieb als der elektrische : und dieser verbilligende Grundsatz
dürfte bei dem großen Umfang der Wasserkräfte der Hohen
Tauern ausschlaggebend sein.
Der Gesamtstauraum für das Tauernwerk war im ersten
Entwurf der A.E.G. auf 279 Millionen m 3 Nutzinhalt bemessen.
Bei Untersuchungen des Verfassers zeigte es sich, daß zwar ein
Gesamtwasservorrat, wie er im Plan der A.E.G. angenommen
ist, reichlich vorhanden sein wird, aber die Verteilung übers Jahr
ist anders zu erwarten; im Winter wird der Abfluß kleiner, im
Sommer größer sein. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit,
größere Stauräume für den Ausgleich zu schaffen. Nach neueren
Absichten soll der Gesamtspeicherraum in den drei obener
wähnten Becken auf etwa 450 bis 465 Mill. m 3 bemessen werden.
Für eine größere Winterkraftwasserentnahme bis 30 l/sek. u,
km 2 würde eine Speicherung von 800 bis 900 Mill. m 3 notwendig
sein. Die vermehrten Vorraträume können durch Nutzbar
machung hochgelegener Karseen sowie in einer Reihe von
Tälern, z. B. an der Krimmler Ache und im Fuscher Tale, in den
südlichen Tauern im Einzuggebiet der Drau, z. B, am Tauern-
und Kaiser Bach, an der Moll bei Heiligenblut und anderwärts
gewonnen werden. Da sowohl diese Stauseen wde z. T. die
Gletscherzungen unter der normalen Stauhöhe (rd. 2100 m) liegen
werden, sind Pumpenspeicherungen geplant, auch für die Ge
winnung von hochwertigem Spitzenstrom. Untersuchungen über
diese Möglichkeiten sind im Gange. Die drei eingangs erwähnten