752
besonders, daß dem Auge der Blick über den Altar hinweg er
möglicht wird, etwas wie eine Weitschau in eine jenseitige
Welt, die der Gemeinde durch das am Altar Geschehende
nahekommt. Die bunten Fenster im Hintergründe, die ihrer
seits das dahinter liegende Ewige ahnen lassen, sieht freilich
nur der Teil der Kirchenbesucher, der in den beiden mittleren
Sektoren vor dem Altar seinen Platz hat. Der Blick der
anderen fällt durch die Zwischenräume der Stützen der Orgel
empore auf die massive Seitenwand des Feierraumes. Aber
auch sie haben wenigstens eine Andeutung jener Schau.
Wie sollen wir uns zu dieser Lösung stellen ? Lutherisch
gerichtete Gemeinden werden es vorziehen, den „Feierraum"
als Chorraum in die Gesamtanlage einbezogen zu sehen. Nicht
nur, weil es so hergebracht ist, sondern weil es ihrer Auf
fassung vom Gottesdienst mehr entspricht. Sie sehen in diesem •
einen Wechselverkehr der Gemeinde mit dem gegenwärtigen
Gott. Die schweizerische Reformation ging — anders als
Luther — von dem Widerspruch gegen die katholische Ver
dinglichung des Heiligen aus und betonte deshalb aufs stärkste
die überweltliche Erhabenheit Gottes über alles Kreatürliche.
Sie hat darum auch immer eine gewisse Scheu gehabt, Gott
als der Gemeinde so nahe zu denken und gewissermaßen als
deren Partner im Gottesdienst anzusehen. Gottesdienst ist
ihr darum wesentlich ein Handeln der Gemeinde, die sich vor
Gott sammelt, um aus seinem Wort Weisung zu schöpfen.
Auch wenn in der unierten Kirche dieser Unterschied etwas
verwischt ist und reformierte Liturgiker den Gottesdienst
ähnlich definieren wie lutherische, so wirkt doch auch hier
jene ursprüngliche Einstellung deutlich nach, z. B. in der in
stinktiven Abneigung reformierter Gemeinden gegen das, was
wir liturgischen Ausbau des Gottesdienstes zu nennen pflegen.
So ist ihnen auch der Kultraum wesentlich Versammlungs
raum der Gemeinde. Der Gedanke, daß die gottesdienstliche
Stätte dem Eintretenden das Gefühl: „Gott ist gegenwärtig"
vermitteln soll, ist der reformierten Richtung nicht so adäquat
wie der lutherischen. Sie will da vor allem die Gemeinde sehen.
So ist für sie ein Rundbau, der die Gemeinde so stark betont
wie in der Auferstehungskirche, durchaus das Gegebene. Es
handelt sich hier also um einen spezifisch reformierten Typ.
Die kritische Einstellung mancher Gemeindeglieder zu ihm
wird ihren tiefsten, meist unbewußten Grund darin haben, daß
die Essener Gemeinde aus verschiedenartigen Bestandteilen
zusammengeschmolzen ist und die vom Luthertum her
kommenden schon rein gefühlsmäßig etwas andere Anforde
rungen an ihren Kultraum stellen. Durch Hinzufügung des
„Feierraumes" aber erfährt dieser reformierte Typ eine glück
liche Fortbildung, die den Charakter des gottesdienstlichen
Raumes nicht stört, nicht einmal verändert, sondern ihn nur
in einer sachlich begründeten Weise ergänzt. Die Auf
erstehungskirche ist danach also nicht die evangelische Kirche
schlechthin und bedeutet nicht die Lösung des evangelischen
Kirchenbauproblems überhaupt, wohl aber stellt sie einen
Zwischentyp wesentlich reformierten Charakters dar, der sich
dom lutherischen Bedürfnisse einen Schritt nähert.
Die ehemalige Pressakirche, mit ihrem Unterbau auf freiem
Platz sich würdig erhebend, ist ganz anderer Art. Bartnings
Vielseitigkeit kann nicht deutlicher illustriert werden als durch
Nebeneinanderstellung dieser beiden so verschiedenartigen
Kirchen. Zwar der Grundge danke ist bei beiden ähnlich
Aber es tritt schlagend zutage, wie schon eine scheinbar un
bedeutende Abwandlung der theoretischen Grundlage zu ganz
verschiedenen praktischen Ergebnissen führen kann und muß.
Ist in der erstgenannten Kirche der Gemeindegedanke im
reformierten Sinn herrschend, so in dieser der ähnliche, aber
ganz anders nuancierte des allgemeinen Priestertums, wie ihn
aas Luthertum versteht. Die Trennung von Chorraum und
Gemeinderaum ist radikal beseitigt, und zwar auf eine durchaus
originelle Weise. Nicht durch Weglassung des Chorraums
— damit wäre die Kultgemeinde noch nicht als priesterliches
Volk gekennzeichnet —, sondern umgekehrt dadurch, daß die
ganze Gemeinde in einen einheitlichen Raum versetzt wird,
der durch seinen Grundriß wie auch durch seine farbigen
Glaswände als großer Chorraum gestaltet und bezeichnet ist.
So ist diese Kirche das lutherische Gegenstück zur Auferstehungs
kirche. Dabei ist aber der ganze Raum dennoch Richtungs
raum und wird als solcher durch die Verjüngung des Mittel
ganges nach vorn hin noch besonders betont. Man hat be
zweifelt, ob es möglich sei, die auf dem dritten Kirchbau-
kongresse aufgestcllte Forderung zu erfüllen, daß der evan
gelische Kultraum die Gemeinde zugleich als heilbesitzende
und als zielstrebige bezeichnen müsse. Nun, hier ist eine
Lösung der Aufgabe: die Gemeinde ist Besitzerin und Ver
walterin der Heilsgüter, streckt aber zugleich die Hände aus,
um sie sich immer besser anzueignen. Altar und Kanzel sind
Zielpunkt, beide in der Hauptachse gelegen.
In der Heraushebung des Altars ist m. E. zu viel ge
schehen. Daß er höher steht als die Kanzel vor ihm, entspricht
lutherischem Empfinden. Aber hier ist er zu stark erhöht.
Das unterliegt theoretischen Bedenken und hat schwer
wiegende praktische Nachteile. Der Liturg, der wie ein himm
lischer Bote hoch über der Gemeinde am Altar steht, muß
fast schwindelfrei sein. Für seinen Zweck als Abendmahl
tisch ist dieser Altar kaum zu verwenden. Tatsächlich pflegen
auch die Kommunikanten nicht zu ihm hinauf zusteigen,
sondern auf dem Absatz zwischen Kanzel und Altar die Ele
mente zu empfangen. Anregungen, ihn einige Stufen tiefer
zu stellen, sind nicht durchgedrungen.
In der Praxis bewährt sich, wie ich schon von maßgebender
Seite hörte, die Kirche sonst gut. Namentlich haben sich dank
der Ventilationsanlagen die Befürchtungen w r egen der Sommer
temperatur in diesem Glashaus erfreulicherweise als gänzlich
unbegründet erwiesen. Und im Winter arbeitet die Gasheizung
tadellos und viel billiger als die elektrische in der Schwester
kirche. Die Akustik des Raumes ist jedoch nicht bei allen
Stimmlagen gleich befriedigend.
Jedenfalls hat die evangelische Kirchcnvertretung von
Essen einen nicht gewöhnlichen Weitblick gezeigt, indem sie
sich diese beiden Kirchen sicherte, die als bedeutsame Ver
suche einer Neubildung ein neues Kapitel in der Geschichte
des evangelischen Kirchenbaues einleiten oder wenigstens vor
bereiten, nicht wegen des bei ihnen verwendeten Materials
und seiner Behandlung — das sind Dinge zweiter Ordnung —,
sondern wegen der neuen Art, wie sie evangelische Grund
gedanken, die für den Kirchbau maßgebend sind, verkörpern.
Wansleben, Bez. Halle a. d. S. Brathe.
ZUR FRAGE DER TECHNISCHEN AUSFÜHRBARKEIT DES TAUERNWERKS.
Von Professor E. Mattern, Oberbaurat a. D., Berlin-Charlottenburg,
Für die Ausnutzung der Wasserkräfte der Hohen Tauern
hat die Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft (A. E. G.), Ber
lin, Abteilung für Wasserkraftanlagen, im Jahre 1928 einen
Plan aufgestellt, der in letzter Zeit fortgesetzt Gegenstand
lebhafter Erörterungen gewesen ist. Es darf diese starke An
teilnahme nicht wundemehmen, da das Tauemwerk berufen
scheint, in der zukünftigen Stromversorgung Mitteleuropas
eine gewichtige Rolle zu spielen. Die Grundzüge dieses Ent
wurfes, der mannigfache große und neue Probleme in sich
birgt, werden hier als bekannt vorausgesetzt, nachdem darüber
mehreres veröffentlicht ist und auch im Jahrg. 1930 d. Bl. auf
S. 871 Mitteilungen gebracht wurden 1 ).
Die Generalidee ist die Zusammenfassung des höchst ge
legenen Gesamtgebietes der Hohen Tauern, zu einer einheitlichen
Kraftgewinnung. Die erzielbare Energie überschreitet alle bisher
bekannten Ausmaße, und die natürlichen Vorbedingungen sind
*) s. auch ..Wasserwirtschaft“ (Wien) 1A29. S. 515. u. 1931. S. 181; „Wasserkraft und
Wasserwirtschaft" 1931. S. 13.
als gut, ja überragend zu bezeichnen. Während dem ursprüng
lichen Plane ein Niederschlaggebiet von rd. 2000 km 2 in einer
Höhenlage von rd. 2100 m und darüber zugrunde lag, ist die
Wasserfassung u. a. durch Ausschaltung der Fläche der Gasteiner
Heilquellen neuerdings auf 1593 km 2 eingeengt bei entsprechen
der Verkürzung der wassersammelnden Hangkanäle und Stollen,
Änderung ihrer Linienführung usw. Anderseits sind die Spei'
chorräume vergrößert und neue Täler dafür gesucht worden,
und an Stelle von drei Kraftwerken sind deren vier vorgesehen.
Bei der Aussprache in Zeitschriften, Tageszeitungen und
Vereinssitzungen sind mancherlei Gesichtspunkte hervor
getreten und Bedenken laut geworden, die eine erhebliche
Beunruhigung herbeigeführt haben. Berufene und Unberufene
haben sich daran mit mehr oder weniger Sachkenntnis be
teiligt. Einige Bemerkungen darüber mögen daher angebracht
erscheinen.
Die Schwierigkeiten, auf die der A. E. G,-Plan stößt, sind
wasserrechtlicher, hydrologischer, geologischer, bau- und be