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ABTEILUNG „NEUES BAUEN“.
Von Professor Ernst Neufert, Gelmeroda-Berlin.
Im amtlichen Katalog der Bauausstellung finden sich
nachstehende Sätze:
„Es galt die wirklichen Bedürfnisse im Bauen und Wohnen
einmal klarzustellen und die Wege zu ihrer Befriedigung auf
zuzeigen. Die deutsche Bauausstellung ist daher nicht als
eine Ausstellung der Repräsentationen zu bewerten oder etwa
als eine Veranstaltung, die historisch registriert, oder eine
Messe, die Vorhandenes aneinanderreiht, sie ist vielmehr eine
Ausstellung, die aus dem kritischen Vergleich der Erkenntnisse
und Vorschläge die Konsequenzen zieht und die zukünftigen
Entwicklungs- und Arbeitsmöglichkeiten zielbewußt heraus
arbeitet. Dabei galt es unter Ausschaltung alles Nebensäch
lichen und Bekannten eine strenge Auswahl vorzunehmen, so
daß nur Spitzenleistungen in die Erscheinung treten.“
Hiernach erwartete der Baufachmann eine Klarstellung der
Bedürfnisse des neuen Bauens; er hoffte, in anschaulichen
Darstellungen das Barometer des Baustoff Verbrauchs in den
Jahren nach dem Kriege, verglichen mit einigen Vorkriegs
jahren, zu sehen, die Auswirkungen aufgezeichnet zu finden,
die die moderne Bauweise etwa in der Dachziegel- und Ziegel
industrie hervorgerufen hat. Ihn interessierte mengenmäßig
die Verwendung und Bewährung der neuen Holz-, Stahl-.
Beton-, Gips-, Bims-, Schlacken-, Heraklith- und Solomit-
Bauweisen in den letzten Jahren. Er hoffte, die volkswirt
schaftliche Bedeutung der einzelnen Baustoffe kennen zu lernen,
die Fabrikationsstätten, die Hauptabsatzgebiete, die Haupt-
Verwendung, die Eigenschaften und die Preiszusammensetzung.
Er nahm an, daß endlich der Messecharakter mit Ständen
und Standvertretern verlassen und von hervorragenden Spe
zialisten, vielleicht unter Mithilfe der deutschen Material-
prüfungsämter, ein kritischer Vergleich der neuen bautech
nischen Möglichkeiten, gemessen an den bekannten bewährten
Bauverfahren zusammengestellt worden war; natürlich alles
in vergleichbarer Form, in einer drastischen Darstellung, wie
sie nach den Vorbildern der vorangegangenen deutschen Aus
stellungen (Gesolei, Pressa, Hygiene) selbstverständlich voraus
zusetzen war. Er war erstaunt und erfreut, daß eine Auswahl
getroffen sein sollte, die alles Nebensächliche und Bekannte
ausschaltete und nur Spitzenleistungen in Erscheinung treten
ließ. Er nahm an, daß die Ausstellung alles Wissenswerte in
einem erfrischenden Rundgang vor dem Besucher aufrollen
würde, so daß er einen gründlichen Überblick und Einblick
in das neue Bauen bekam. Er hoffte außerdem aber, vor den
einzelnen Gruppen der Ausstellung ständige Spezialisten an-
zutreffen, die auf ganz spezielle Fragen Auskünfte oder Er
klärungen geben könnten.
Aber so war es leider nicht!
Wenn man die Halle III betrat, so bot sieb das bekannte
Bild einer Messe dar (Abb. I).
Wohl waren die ähnlichen Gebiete mehr oder weniger
geschickt nebeneinander gelegt, aber die ganze Baumesse, wie
treffend die Hallen „Neues Bauen“ genannt wurden, unter
schied sich nicht wesentlich, nur in geringen Ausnahmen, von
der Baumessc in Leipzig.
Ausnahmen waren: die Ausstellungen der Industrief ach-
verbände, die wissenschaftlichen Gruppen, die Regiebetriebe
und einige nebeneinandergestellte Leicht bau wände und Skelett
bauweisen. Es wäre sicherlich richtiger gewesen, wenn nur
diese Gruppen allein die Ausstellung in umfangreicherer Form
beschickt hätten, alles wäre dann kleiner, übersichtlicher, aus-
kunftsreicher, für alle Teile billiger und wirksamer geworden.
Denn die Verbände oder die wissenschaftlichen Gruppen als
Mittler zwischen Hersteller und Verbraucher finden größeres
Vertrauen beim Interessenten als die Hersteller, deren oft
gegen die Konkurrenz gerichtete Reklame skeptisch macht.
Dabei soll nicht übersehen werden, daß auf der Ausstellung
einige Firmen die direkte Werbung für ihre Fabrikate zurück-
gestellt hatten und in sympathischer Form die Probleme ihrer
Fabrikation lehrschauhaft erläuterten. Es wird deshalb jeder
Fachbesucher der Ausstellung nach der ersten Enttäuschung
versucht haben, sich mit Ausdauer durch den oft unverständ
lichen Wirrwarr, durch das Nebeneinander von vollkommen
gleichen, aber auch vollkommen entgegengesetzten Fabrikaten
durchzuwinden, um die paar wichtigen Dinge zu sehen, wegen
deren sich der Besuch der Ausstellung auch für den orientierten
Fachmann lohnte. Ganz Neues fand sich allerdings nicht viel.
Warum aber auch immer Neues ? Haben doch die Neuerungen
der letzten Jahre zumeist noch nicht den Weg in die Praxis
gefunden. Viele amerikanische Bauteile z. B., die dort im
großen Verwendung finden, sind hier nicht abzusetzen. Der
Deutsche ist in der Regel gründlich, ängstlich und voller
Bedenken, er beschäftigt sich zu sehr theoretisch mit dem
Neuen, als es praktisch auszuprobieren. Deshalb finden wir
immer neue Bauweisen und Neuerungen, führen aber seltener
die Dinge zur praktischen Verwertung. In der Praxis greift
man dann zumeist zum alten bewährten Bauverfahren, weil
die für die Praxis befriedigende Kenntnis der Neuerungen fehlt.
Insofern bot die Ausstellung doch Gelegenheit, eine ganze
Reihe von Neuerungen und deren Eigentümlichkeiten in Ruhe
studieren zu können.
Abb. 1. Halle III.