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III. DIE LÄNDLICHEN SIEDLUNGSBA UTEN.
Von Architekt B. D.A. Bruno Ahrends, Berlin.
DAS PROBLEM.
Ein erheblicher Teil des ländlichen und städtischen Woh
nungsbaus lag vor dem Kriege in den Händen des Baugewerbes.
Freie Architekten waren nur in Ausnahmefällen beteiligt.
Solange sieh auf dem Lande eine gute Tradition und ein wenig
verändertes Bauprogramm erhielt, blieben die Lösungen
brauchbar, Allmählich aber griff die großstädtische Grund
stücksspekulation und die anhand neugeschaffener Bauord
nungen zulässige übermäßige Grundstücksausnutzung auch
auf die kleinen Städte und auf das flache Land über. Immer
mehr entstanden tiefe, vielgeschossige Häuser mit häßlichen,
frei in der Landschaft stehenden Brandgiebeln.
Erst die Wohnungsnot nach dem Kriege und die Ein
schaltung amtlicher und halbamtlicher Stellen zur Betreuung
des Wohnungsbaues führten dazu, Architekten mit der Planung
der neuen Wohnungsbauten zu beauftragen. Ihre Arbeiten
veranlaßten sie, die Bauprobleme im ganzen und einzelnen zu
untersuchen, und hieraus ergaben sich Lösungen, die zu einer
erheblichen Verbesserung und Verbilligung der Bauten führten
und rückwirkend die Bauordnungen umgestalteten. Es zeigte
sich, daß eine große Anzahl von Fragen, an denen das Bau
gewerbe vorbeigegangen war, überhaupt erst auftauchten und
eingehend bearbeitet werden mußten. Die Fortschritte im
städtischen Wohnungsbau liegen heute klar zutage.
Im ländlichen Bauwesen beginnt sich dieser Vorgang zu
wiederholen. Das Siedlungsprogramm Preußens für das Jahr
1931 sah die Auslegung von 10 000 Stellen vor; dies Programm
forderte eine planmäßige Verbesserung der Bauten und eine
erhebliche Senkung der Baukosten.
Die Siedlungsgesellschaften, die bisher mit ihren örtlichen
Baubüros die auf den Vorkriegslösungen sich aufbauenden Pro
jekte selbst bearbeitet hatten, zogen in den letzten Jahren
allmählich freie Architekten hinzu. Gleichzeitig verstärkte
sich die Erkenntnis, daß ein klares Bauprogramm nur durch
eine gemeinschaftliche Arbeit der Siedlungsgesellschaften und
Betriebswissenschaftler, der Landfrauen und Architekten
herausgearbeitet werden konnte. Wir befanden uns bisher erst
im Anfang dieser Arbeit.
DER BESTAND.
Die in der Inflation noch sehr rege Bautätigkeit auf dem
Lande hatte in den letzten Jahren nahezu aufgehört ; weder
der Gutsbesitzer noch der Bauer war in der Lago, für Neu- und
Umbauten Kapital freizumachen. In der ländlichen Siedlung
dagegen hatte sich die jährliche Zahl der Bauaufgaben seit dem
Jahre 1924 mehr als verdreifacht.
Im Vergleich mit den Baukosten in den Städten haben
die ländlichen Sicdlungsgesellschaften z. T. ganz außerordent
lich billig gebaut. Aber weder in ihrer planmäßigen Entwick
lung, noch in ihrer technischen Durchbildung entsprachen viele
ihrer Bauten den Forderungen, die eine vorgeschrittene Tech
nik oder die Ergebnisse der betriebswissenschaftlichen For
schung heute zu stellen in der Lage wären.
Das Bauerngehöft einer 15 Hektar-Stelle hatte bis vor
wenig Jahren Baukosten von etwa 17—18 000 RM verursacht,
wobei die Siedler bei einem Gesamtobjekt von etwa 32 000 RM
8—10 000, ja sogar 12 000 RM eigenes Kapital als Anzahlung
mitbringen konnten.
Für das vermehrte Siedlungsprogramm der letzten Jahre
fanden sich hinlänglich Anwärter. Die immer stärker werdende
wirtschaftliche Knse erweckte in so manchem vom Lande
stammenden Städter den Wunsch, auf das Land zurückzu
kehren. Aber den meisten Siedlern stand ein Anzahlungs
kapital in der früheren Höhe nicht mehr zur Verfügung. Hier
aus ergab sich zwangsläufig die Notwendigkeit, die Baukosten
der Häuser zu senken.
Die Vorschriften des Reichsarbeitsministeriums vom
Herbst 1930 haben demgemäß auch den Höchstbetrag für ein
Bauerngehöft für 15 Hektar, d. h. für zwei Pferde, acht Kühe,
Jungvieh, Schweine und Hühner auf 14 500 RM festgelegt.
Daneben aber trat als neues Bauproblem das ,,Ausbau
ehöft“ auf, d. h. ein Bau, bei dem vom Siedler zunächst eine
enkbar große Einschränkung im Wohnteil gefordert wurde,
bei dem er auf Pferde zu verzichten und sich mit fünf Kühen
zu begnügen hatte. Er mußte lernen, mit Kühen zu pflügen.
Die allmähliche Erweiterung des Gehöftes war beabsichtigt
und in der Planung bereits mit vorzusehen.
DAS ZIEL.
a) Grundrißverbesserung.
Alle Bauten der ländlichen Siedlung, also Bauemstellen
für 15 und 7,5 Hektar Land, Landarbeiterstellen und die
Spezialformen, wie Gärtnerstellen, Hühnerfarmen, mußten in
ihrer Grundrißgestaltung so zweckmäßig gelöst werden, daß die
Familie ohne bezahlte Hilfskräfte in der Lage war, die Stelle zu
bewirtschaften. Jeder überflüssige Weg und jede vermeidbare
körperliche Leistung war auszuschalten. Die Arbeitszeit von
Mann und Frau, die in den Zeiten der Spitzenleistung mehr als
16 Stunden täglich beträgt, mußte verkürzt werden. Aus diesen
Forderungen ergab sich der neue Grundriß, ergab sich weiter
die Anlage von fließendem Wasser in Küche, Futterküche und
Stall und sonstiger Hilfsmaschinen zur Entlastung der Siedler
von körperlicher Arbeit. Es war in jedem einzelnen Falle zu
untersuchen, ob die hierdurch bedingte Verteuerung der Bau
kosten durch den höheren Ertrag der Stelle gerechtfertigt
erschiene.
b) Verbilligung der Bauten in der Herstellung und im Gebrauch.
Eine Senkung der Baukosten wurde möglich durch die
Auswahl der für jede Baustelle zweckmäßigsten Materialien
und Konstruktionen; es galt für die oft schlechten Anfuhrwege
leichtes und bruchfestes Material zu finden; es galt, einen Teil
der Arbeiten in den Winter und in die Fabrik zu verlegen und
mit fertigen Bauteilen auf die Baustelle zu kommen; es galt,
bei den Bauten Bauweisen zu verwenden, die eine möglichst
starke Verwendung ungelernter Arbeiter zuließen.
Diesem Bestreben kam die Bauindustrie entgegen, indem
sie eine Fülle neuartiger Materialien und Konstruktionen anbot,
die im städtischen Wohnungsbau schon erprobt waren und
deren Geeignetheit für das Bauen auf dem Lande nunmehr zu
untersuchen war.
Diese Untersuchungen ließen sich bei neuen Siedlungen
nur schwer durchführen, da die Siedlungsbauten verkauft
wurden und weder der Siedler noch die Siedlungsgesellschaften
mit dem Risiko eines fehlgeschlagenen. Versuches belastet
werden konnten.
DIE BAUAUSSTELLUNG.
Eine Bauausstellung soll und kann derartige Versuche
machen, selbst auf die Gefahr hin, daß sich einzelne dieser Ver
suche nicht bewähren. Darum war es besonders zu begrüßen,
daß auf der Deutschen Bauausstellung Berlin 1931, die vom
9, Mai bis zum 2, August d. J. andauerte, der ländlichen Sied
lung ein großes Gelände für die Errichtung von Siedlungs
gehöften aller Art zur Verfügung gestellt wurde und daß sich
der Bau dieser Gehöfte mit den vom Ausstellungsamt der
Stadt Berlin und den vom preußischen Ministerium für Land
wirtschaft, Domänen und Forsten zur Verfügung gestellten
Mitteln sowie einer weitgehenden Beteiligung der Bauindu
strie durchführen ließ.
Die für das Jahr 1931 in Preußen geplanten Bauten der
ländlichen Siedlung waren mit einem Aufwand von 120 Millio
nen Mark reinen Baukosten zu schätzen. Wenn die Versuche
auf der Bauausstellung den Weg zeigten, die künftigen Bauten
gleicher Größe und Ausstattung auch nur um lvH zu verbilligen
oder zu verbessern, so war der in den ländlichen Bauten der
Bauausstellung investierte Betrag um ein Vielfaches durch
die Ersparnisse bei den künftigen ländlichen Bauten überboten.
DIE DURCHFÜHRUNG.
Die Leitung des „ländlichen Siedlungshaus“ auf der Bau
ausstellung wurde im Herbst 1929 dem Verfasser übertragen.
An den vorbereitenden Arbeiten waren unter Führung und
tätiger Mitwirkung des Leiters der Siedlungsabteilung im
preußischen Landwirtschaftsministerium Ministerialdirektor
Bollert und zahlreicher seiner Rate eine große Zahl von Ver
tretern der in Frage kommenden Fachorganisationen tätig,
außerdem noch besondere Sachverständige.
Für die Planbearbeitung der Bauten im einzelnen hatte
der Verfasser die Architekten Bollert, Engler, Klement,
Roder und Krüger, letzteren in Verbindung mit dem Ober
regierungs- und Landeskulturrafc Dr, Kannenberg, hinzu
gezogen; der Grundrißentwurf der Ausbaustelle stammt von