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II. DIE SIEDLUNGS-WANDERAUSSTELLUNG.
Von Regierungs- und Kulturrat Dr. Karutz, Berlin.
Als seinerzeit an das preußische Landwirtschaftsministe-
rium herangetreten wurde, an der Planung und an dem Aufbau
der Abteilung ,,I)er ländliche Siedlungsbau“ der Bauaus
stellung Berlin 1931 mitzuwirken, bestand von vornherein
Klarheit darüber, daß die Darstellung des technischen Standes
des ländlichen Siedlungsbaues allein das Interesse der Öffent
lichkeit für diese wichtigste wirtschaftspolitische Arbeit der
Gegenwart nicht genügend zu wecken vermöchte. Eine der
artige technische Darstellung bedurfte der Ergänzung durch
Darstellung der wirtschaftlichen Bedingungen und Voraus
setzungen, der Zielsetzung, der Ergebnisse und der Auswir
kungen der deutschen ländlichen Siedlung in Vergangenheit und
Gegenwart. So entstand unter der Führung des Landwirt-
schaftsministcriums in gemeinsamer Arbeit einer Reihe
interessierter Beamter, Wissenschaftler und Künstler die
Siedlungswanderausstellung, die in dem großen Mittelbau des
ländlichen Teiles der Bauausstellung untergebracht war und
dort voraussichtlich auch in Zukunft ihren Stammsitz haben
wird. Aus dem ursprünglich nur als Abrundung des Bildes der
ländlichen Abteilung der Bauausstellung gedachten Unter
nehmen ist zwangsläufig eine in sich geschlossene Ausstellung
geworden, die in interessantem Zusammenklang künstlerischer
und wissenschaftlicher Leistungen ein klares und umfassendes
Gesamtbild der deutschen ländlichen Siedlung gibt.
Das Bild der deutschen ländlichen Siedlung ist entschei
dend bestimmt durch den eigenartigen deutschen Wirtschafts
aufbau. Er wiederum ist natürlich und historisch bedingt.
Die kolonisatorische Leistung des deutschen Volkes im Mittel-
alter einerseits, die natürliche Standortgebundenheit der wich
tigsten deutschen Industriezweige anderseits haben das
Schwergewicht der deutschen Landwirtschaft in den Osten
verlagert. Die Eigenart der geschichtlichen Entwicklung der
politischen und der Bodenbesitzverhältnisse hat zugleich in der
östlichen Landwirtschaft den Großbetrieb in den Vordergrund
gerückt. Begünstigt ist dies durch die flache Bodengestaltung
und durch ein Überwiegen der leichteren und der ganz schweren
Böden. Dazu kommt, daß der im Westen und Süden erhalten
gebliebene bäuerliche Besitz im Laufe der wirtschaftlichen
Entwicklung stark eingeengt worden ist. Weiter hat hier die
vielfach übliche Realteilung den Grundbesitz in einer Weise
zersplittert, daß die Voraussetzungen rentabler Wirtschaft und
damit der Existenzsicherung der bäuerlichen Familie weit
gehend verlorengegangen sind. Hier findet man in der Folge
wirtschaftliche Übervölkerung, im Osten Untervölkerung. Der
in der Zeit des industriellen Aufschwungs Deutschlands ge
gebene binnenwirtschaftliche Ausweg, den Bevölkerungsüber
druck des Westens und Südens in gewerblicher oder industrieller
Tätigkeit in den Städten unterzubringen, ist heute ohne Aus
sicht. Die besondere Struktur der deutschen Industrie 1 ) in Ver
bindung mit den als Folge des Krieges eingetretenen weltwirt
schaftlichen Produktionsverschiebungen haben eine Schrump
fung der Basis des industriellen Produktionsprozesses in
Deutschland zur Folge gehabt, der gebieterisch eine Lösung des
Problems der deutschen Bevölkerungsverteilung und des
inneren Arbeitsausgleiches von der landwirtschaftlichen Seite
her fordert (Abb. 1 und 2). Sie ist möglich auf dem Wege über
die ländliche Siedlung. Die Übervölkerung der westlichen und
südlichen Teile des Reiches, die im Wesentlichen in der länd
lichen Bevölkerung dieser Gebiete ihre Quellen hat, vermag
auf den menschenarmen Flächen des Ostens einen Ausgleich
l ) Der Inhalt zweier Tafeln der Siedlungswanderausstellung, welche diese Struktur
besonders illustrieren, sei Raummangels wegen nur in Tabellenform wiedergegeben.
Der gesamte Roherzeugungswert der deutschen Wirtschaft stellte sich 1929/30 auf
14,525 Milliarden RM. Dieser Gesamtwert verteilt, sich auf Industrie und Landwirtschaft
wie folgt:
Industrie Landwirtschaft
(Roherzeugungswerte in Milliarden RM)
Kohlen
2,763
Getreide
4.286
Steinsalz und Kali
0,149
Hackfrüchte
2.268
Rlei, Nickel usw
0,072
Gemenge und Futterpflanzen
1,277
Eisenerze
0,063
Weizen
1,268
Erdöl
0,010
Acker- und Viehweiden . . ■
0,631
Andere, z.R. Steine und Er-
Obst, Wein, Hausgärten ..
0,520
den, Luftstickstoff
0,210
Feldmäßig gebaute Garten-
Wasserkraft
0,091
gewüchse, Gartenbau-
betriebe
0,191
Hülsenfrüchte
0,123
Handelsgewächse
0,108
Forst
0,500
Industrielle Rohstoffe ...
3,358
Landwirtschaft!. Rohstoffe 11,172
Die landwirtschaftlichen Rohstoffwerte erreichen sonach beinahe das Vierfache der
industriellen. Im Vcrarbeitungsprozeß zu Verbrauchsgütern verändern sie sich jedoch
in nur 23 Milliarden RM landwirtschaftlicher und 26 Milliarden RM industrieller Ver-
brauchsgüter.
SOZIALE VERHÄLTNISSE DER
LANDWIRTSCHAFTLICHEN BEVÖLKERUNG
DIE EIGENTUMSVERHÄLTNISSE
DER LÄNDLICHEN BEVÖLKERUNG
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SPEZI AlAffff* 125 000
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Abb. 1. Abb. 1 bis 8. Gesamtentwurf Otto Karutz, Einzelbearbeitung Gustav Langen und Karl Prieß.
Abb. 2.