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Zentralblatt der Bauverwaltung
vereinigt mit
Zeitschrift für Bauwesen
MIT NACHRICHTEN DER REICHS- U. STAATSBEHÖRDEN, HERAUSGEGEBEN IM PREUSS. FINANZMINISTERIUM
SCHRIFTLEITER: INGENIEURBAU RICHARD BERGIUS • HOCHBAU Dr.-Ing, GUSTAV LAMPMANN
51. JAHRGANG BERLIN, DEN 23 SEPTEMBER 1931 NUMMER 39
Alle Rechte Vorbehalten.
ZWEI INDUSTRIEBAUTEN.
Architekt Hans Richter, Dresden.
Beim Industriebau ist die Frage der Transporte, der Gleis
anschlüsse usw. von grundlegender Bedeutung. Bei der Diesel
motorenfabrik der „Hille-Werke A.-G.“ in Dresden-Reick, die
sich mit dem Bau mehr oder weniger schwerer Maschinen be
fassen, läßt sich das geradezu musterhaft verfolgen. Die Werke
entstanden in einem Bauvorgang, wurden also einheitlich
geplant und durchgeführt, und außerdem stand ein völlig
freies Baugelände zur Verfügung. Der Anfuhr von Kohlen,
Metallen und anderen Rohstoffen dient ein im Westen gerad
linig an den Gebäudeblock herangeführtes Anschlußgleis, dem
Abtransport der Fertigfabrikate ein mit „Deutschlandkurve“
nördlich an die Hallen heran- bzw. eingeführtes Verladegleis
und den schienenfreien Transporten ein von der Straße her
zugänglicher Hof. Da die Gießerei dem Dieselmotorenwerk
nicht unmittelbar angeschlossen werden konnte, spielen die
Lastwagentransporte immerhin eine bedeutsame Rolle. Für
sie ist es wichtig, daß durch Hof und Einfahrt ein zwischen
Straße und Hallen — die auf Höhe des Verladegleises liegen
mußten — bestehender Höhenunterschied geschickt ausge
glichen werden konnte. Alle inneren Transporte erfolgen durch
Elektrokarren und in den drei höhergeführten Montagehallen
durch Brückenkrane, die durch Laufkatzen und Flaschenzüge
ergänzt werden. Die inneren Transporte sind durch äußerste
Rationalisierung des Fabrikationsganges auf ein Minimum
beschränkt und Rücktransporte durch sinngemäße Ein
ordnung der Teillager vermieden. Die Fabrikation beginnt bei
den Rohlagern am westlichen Anschlußgleis und endigt bei
den Prüfständen in der Nähe des Verladeraumea am nördlichen
Anschlußgleis.
Um eine möglichst freie Übersichtlichkeit in den Hallen
zu gewährleisten, sind fest eingebaute Meisterstuben ver
mieden, Die Pulte der Meister befinden sich in verschließbaren
Maschendrahtboxen. Oberlichter über den vier niederen, hohe
Seitenfenster in den drei höheren Montagehallen gewähren
einwandfreies, reichliches Tageslicht. An der Straße ist den
Hallen und dem Hof ein dreigeschossiges Verwaltungsgebäude
vorgelagert. Die mittlere Einfahrt, an der die Pförtnerloge
liegt, bildet den einzigen offenen Zugang zum Fabrikgelände
und Verwaltungsgebäude. Sie gestattet daher eine leichte
Kontrolle des gesamten Verkehrs. Links in der Einfahrt führt
ein Treppenhaus zu den Direktions- und Empfangsräumen im
zweiten Obergeschoß. Sie liegen zentral zwischen den tech
nischen Büros im West- und den kaufmännischen Büros
im Ostflügel. Während aber die technischen Büros sich
über alle drei Stockwerke erstrecken, beschränken sich die
Buchhaltereien auf das zweite Obergeschoß des Ostflügels, in
dessen Erdgeschoß die Arbeiterwasch- und Garderobenräume
und in dessen erstem Obergeschoß die Speiseräume und
Kantinen untergebracht sind.
Sämtliche Gebäude wurden in Eisenskelett und Back
steinrohbau ausgeführt. Das äußere Füllmauerwerk wird durch
zwei halbsteinstarke Schalen mit 7 cm Zwischenluft gebildet.
Bei den Dächern übernehmen 7 cm starke Bimsbetonplatten
zugleich die Aufgabe der Wärmeisolierung und Schalung.
Die Fertigstellung der neuen „Hille-Werke“ erfolgte im
Herbst 1928. In dem darauffolgenden, außerordentlich kalten
Winter 1928/29 haben sich die Gebäude in ihrer Konstruktion
und baulichen Einrichtung vollauf bewährt.
Daß die Wirkwarenfabrik Schindler in Schönlinde (Tschecho
slowakei) zu den „Hille-Werken“ schon rein äußerlich in auf
fallendem Gegensatz steht, könnte allein aus der Verschieden
artigkeit der Erzeugnisse zu erklären versucht werden. Wäh
rend es sich bei den „Hille-Werken“ um die Fabrikation
schwerer und schwerster Dieselmotoren handelt, stellt die Wirk
warenfabrik Schindler nur elegante und leichteste Damen
strümpfe her. Und dementsprechend liegen die Unterschiede
nicht nur in der äußeren „Symbolik“, sondern beginnen
mit der Transportfrage, äußern sich im Fabrikations
gang und finden im Formalen nur ihren letzten sinnfälligen
Ausdruck.
Während die Transportfrage bei den „Hille-Werken“ von
größtem Einfluß, ja geradezu grundlegend wurde, sinkt sie
bei der Strumpffabrik infolge der Leichtigkeit von Rohstoff
und Fabrikat zwar nicht zur Bedeutungslosigkeit, aber immer
hin zur Nebensächlichkeit hinab. Und während es sich bei
der Dieselmotorenfabrikation um ein unendlich differenziertes-
Herstellungsverfahren mit zahllosen Arbeitsgängen und eben
soviel verschiedenartigen Maschinen handelt, konzentriert sich
die Strumpffabrikation auf wenige Arbeitsgänge mit ebenso
wenig, fast immer gleichen Maschinen. Diese bestimmen bei
ihr die Feldweite des Eisenbetonskelettsystems, welches so
dimensioniert wurde, daß auf das jetzt viergeschossige Fabrik
gebäude noch drei weitere Stockwerke aufgesetzt werden
können. Die Leichtigkeit des Wirkmaterials und — relativ —
auch der Maschinen macht hier einen Fabrikhochbau wirt
schaftlich, in dem übersichtliche Einräume mit gleichen
Funktionen übereinandergeschichtet und die wenigen Neben
räume an den Enden zusammengefaßt sind. Nur das Erd
geschoß, welches als Lagerraum Verwendung findet, nimmt
eine Sonderstellung ein. Hier tritt die Frage der Lichtzu
führung, die bei den Obergeschossen im Hinblick auf das
spinnfadenzarte Wirkmaterial nicht wichtig genug genommen
werden konnte, zurück, und die fast ebenso bedeutsame Frage
des Sonnenschutzes, der in den Obergeschossen durch Roll
vorhänge zwischen den eisernen Doppelfenstern erzielt wird,
findet durch das Zurücksetzen der Umfassungswände in die
Flucht der äußeren Stützenreihen eine zwanglose Lösung.
Alle diese Fabrikations- und Materialeigenheiten kommen
naturgemäß bei sinnvoller baulicher Gestaltung in der äußeren
Erscheinung der Bauten zum Ausdruck. Im Vergleich zu dem
leiehten und eleganten, aber an geschlossener Wirkung kaum
zu übertreffenden Äußeren dieser Strumpffabrik wirken die
bei aller Geschlossenheit der Gesamtanlage differenzierteren
„Hille-Werke“ emgt und streng. So verschieden aber zunächst
das Äußere der beiden Fabriken auch anmuten mag, so leicht
sind nach dem Gesagten in beiden dieselben, klar auf den
Zweck des Bauwerkes gerichteten Gestaltungsprinzipien
wiederzuerkennen. Diese klare, logisch auf bauende, bis zum
letzten konsequente Gestaltungstendenz erscheint als grund
legendes Verdienst des Architekten. Wenn er darüber hinaus
— wie hier — in einfachen, großen Linien und Verhältnissen,
in knappster Form und Farbe das innere Wesen der Bauten,
ihre Aufgaben zu symbolisieren vermag, so erhebt er sie
damit zum letzten Ziel alles baulichen Schaffens — zur Archi
tektur.
Dresden. Dr.-Ing. Reichow.