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Alle diese Haupttaler haben gemeinsam eine von Ost
nach etwa Nordwest verlaufende Richtung, die uns noch heute
den jeweiligen Gletscherrand während einer langdauemden
Stillstandlage in seinem Verlaufe anzeigt.
Die Karte zeigt nun weiter, daß sich zwischen diesen
Haupttälem zahlreiche Quertäler gebildet haben, die alle fast
dieselbe Richtung zum Meridian haben. Ueber ihre Ent’
stehung hat man. verschiedene Erklärungen zu finden versucht,
die aber nicht befriedigen können. Vor allem glaubte man
in der bekannten rechtsablenkenden Zusatzbeschleunigung in
folge der Erdumdrehung (rechtsablenkend für die nördliche
Erdhalbkugel) die Ursache für die Abbiegung der Stromtäler
nach Norden gefunden zu haben; selbstverständlich ist diese
Coriolis-Beschleunigung wirksam, sie ist aber gegenüber den
anderen Erosionskräften so gering, daß ihre Wirkung ver
schwindend klein bleibt und auf keinen Fall die Verlegung
eines Strombettes nach Norden bedingen kann; wäre sie aber
ausreichend groß, so müßten alle Flüsse Norddeutschlands
bis zur Einmündung in das Meer eine ständige Krümmung
nach rechts im Sinne des Uhrzeigers beibehalten, was aber,
wie ein Blick auf die Karte zeigt, nirgends der Fall ist. Wir
wollen, um sicher zu gehen, die Größe der Coriolis-Kraft mit
der Erosionskraft vergleichen. Es bezeichne v in m/sek die
mittlere Wassergeschwindigkeit, T in m die gemittelte Wasser
tiefe, J das Fließgefälle des Stromes, 9? den Breitengrad an
dem betrachteten Orte, co = 2 ji/86400 sek= 1/13740 in sek die
Winkelgeschwindigkeit der Erde; es ist dann für 1 qm Fläche
des Strombettes
die Erosionskraft S - 1000 kg (T ■ J), und da v = k \ ^T- J,
auch S = Konst. v* ist,
die Ablenkungskraft P =y/g 1 qm • T (2 <a sin q> v) oder
P = konst. v;
d. h. 8 ist v % , aber P nur dem Werte v verhältnisgleich; es ist
also S erheblich größer als P, zumal bei den Urströmen die
Fließgeschwindigkeit sehr groß war, vielleicht 4 bis 5 m/sek
und mehr.
Ein Zahlenbeispiel möge dies bestätigen; angenommen
T = 6 m, J — 0.002, v = 4,5 m/sek (vgl. Eine allgemeine Abfluß
formel, Z. d. Bauverw. 1923, Nr. 103, Nomogramm), <p = 53<\
sin <p — 0,8. Demnach ist für den angenommenen Fall
P = (1000/9,81) 1 • 5 (2/13740) 4,5 • 0,8 = 0,26 kg/qm
8 = 1000 • 5 • 0,002 = 10 kg/qm;
die Erosionswirkung würde also in diesem Falle etwa 40 mal
so groß sein als der Angriff des Strombettes und des rechten
Ufers durch die Ablenkungskraft. Die Erklärung der Ver
legung des Strombettes durch die Wirkung der Erdumdrehung
ist mithin nicht annehmbar.
Auch Eisstopfungen im Strome können nicht die Ursache
gewesen sein, da es ganz unwahrscheinlich ist, daß in allen
Stromgebieten die Abbiegung stets in ungefähr gleicher
Richtung (vgl. die Doppelpfeile in der Karte) erfolgt sein soll.
Für die Abbiegung der Weichsel bei Fordon und der Oder
bei Oderberg—Hohensaaten, östlich von Eberswalde, hat man
wohl auch die sogenannte Litorinasenkung als Ursache ver
mutet. Nun sind aber die Senkungen der südlichen Gestade
des Baltikums zur Litorinazeit, die von den häufigen Vor
kommen der Schalen einer kleinen Schnecke litorina litorea den
Namen erhalten hat, nach den Forschungen von Geinitz
und von Samter etwa um 1500 vor Christi, nach Andersson-
Wahnschaffe- Jentsch etwa 5000 bis 2000 vor Christi und nach
Keilhack ebenfalls um ungefähr 5000 vor Christi anzu
setzen; anderseits ist nach den mit Hilfe der Mächtigkeit
der Bändertonschichten angestellten Ermittlungen des schwe
dischen Geologen Gerard de Geer ungefähr um 10000 vor
Christi die Südküste von Schweden und damit auch die ganze
deutsche Tiefebene schon wieder eisfrei gewesen; zuvor hatten
sich bereits die oben besprochenen Urstromtäler bei Stettin
(Ihna—Peene) und das Urstromtal bei Lauenburg—Leba-
mündung gebildet. Demnach sind auch diese Erklärungen nicht
annehmbar, da eie sich auf sehr unwahrscheinliche Annahmen
stützen.
Bei der Untersuchung dieser Fragen bin ich zu folgenden
Ergebnissen gelangt, die vielleicht dieses Rätsel losen helfen
können. Aus der Karte ergibt sich, daß die Abbiegungen in
allen Stromgebieten ungefähr denselben Winkel mit dem
Meridian bilden, wie es die Doppelpfeile zeigen. Offenbar
liegt hier eine gemeinsame und auch ganz gesetzmäßige Ur
sache zugrunde; diese durch die Pfeile hervorgehobenen Ab
biegungen verbinden im allgemeinen benachbarte Urstromtäler
fast rechtwinklig, weshalb ich sie als Quertäler bezeichnen
möchte. Wir erinnern uns an die starken Bodenbelastungen
von vielleicht 35 bis über 100 at durch die Eismassen; sobald
die Eismassen auftauten und der Gletscherrand sich nordwärts
verlegte, trat eine Entspannung des zuvor elastisch stark
zusammengedrückten Bodenmaterials ein, die Bodenerhe
bungen in nicht geringem Ausmaße bedingte. So wurde dem
Strome die Vorflut versperrt, er staute dort an, uferte aus
und ergoß einen Teil seiner Wassermassen in die von den
Gletschern früher ausgepflügten Furchen, die also die Richtung
der Gletscherbewegung verraten und daher auch alle mit dem
Meridian angenähert denselben Winkel bilden. Die über das
Ufer strömenden Wassermassen erodierten alsdann sehr bald
das Quertal, wenn ein neuer Stillstand des Gletscherrandes das
Quertal nördlich begrenzte und den Strom in das neu sich
bildende Urstromtal nach West hin ableitete. In der Tat
finden sich derartige rückenartige Erhebungen des Bodens, die
zu Wasserscheiden wurden, fast durchweg westlich neben
diesen Stellen, an denen die Ablenkung in die Quertäler er
folgte (vgl. die in der Karte durch schrägliegende Kreuze
gekennzeichneten Stellen). Hiernach liefern die Quertäler
auch an ihrem südlichen Beginn den Ort, an dem dereinst
ein Urstromtal von Ost nach West verlief (vgl. z. B. die ge
strichelte Linie zwischen Breslau und Hoyerswerda).
Wenn nun vielleicht die Kritik auch gegen diese Annahme
der Quertalbildung manches einzuwenden haben wird, so
dürfte dieser Quertaltheorie doch größere Wahrscheinlichkeit
beizumessen sein als den bisherigen Erklärungsversuchen.
Möge sie sich als ein weiterer Schritt zur Erkenntnis wichtiger
Naturvorgänge aus den ersten Zeiten des Auftretens des
Diluvialmenschen erweisen.
Schrifttum:
1. Credner ,Elementeder Geologie, Leipzig, Verlag Engelmann.
2. Jasmund, Fließende Gewässer, Talbildung, Hdb. d. Ing.-
Wissenschaften III, 1; Leipzig, Verlag Engelmann.
3. Bölsche, Entwicklungsgeschichte der Natur, Neudamm,
Verlag Neumann.
4. Braun, Das Ostseegebiet, Leipzig, Verlag Teübner {Aus
Natur und Geisteswelt).
5. Fr aas, Geologie, Stuttgart {Sammlung Göschen).
6. Keilhack, Einführung in das Verständnis der geolog.-
agronom. Karten des Norddeutschen Flachlandes. .Berlin,
im Vertrieb der Geolog. Landesanstalt u. Bergakademie.
7. Wahnschaffe-Schucht, Geologie und Oberflächengestal
tung des Norddeutschen Flachlandes. Stuttgart, Verlag
Engelhoms Nachf, 1921.
8. Sonntag, Die Urstromtäler des unteren Weichsdgebietes,
Danzig, Schriften der Naturforschenden Gesellschaft, 1912.
9. Woldstedt, Das Eiszeitalter, Stuttgart 1929, Verlag Enke.
10. Werth, Das Eiszeitalter, Berlin-Leipzig, Sammlung Göschen.
11. Jentsch, Geologische Skizze des Weichseldeltas, Königsberg
1880, Physik.-ökonomische Gesellschaft Königsberg.
12. Solger, Das Oderbruch (Geologie), Eberswalde 1930, Verlag
R. Müller m. b. H.
PROBEBELASTUNGEN VON BOHRPFÄHLEN.
Von Dr.-Ing. Heinrich Preß, Berlin.
Nachstehend sollen einige vom Verfasser durchgeführte
Probebelastungen von Bohrpfählen verschiedener Ausführung
im gleichen Boden mitgeteilt werden. Vorweg sei bemerkt,
daß die bei dem beschriebenen Boden am wirtschaftlichsten
befundene Pfahlausführung (d. h. jene mit dem geringsten
Aufwand bei größter Tragfähigkeit des Pfahles) durchaus nicht
die vorteilhafteste bei einem anderen Boden sein wird. Auch
ist eB nicht zulässig, aus diesen wenigen Versuchen allgemeine
Folgerungen zu ziehen. In manchen Böden wird sich überdies
diese oder jene der zahlreichen Bohrpfahlausführungen kaum
mit Erfolg anwenden lassen. Bei stark Beton zerstörenden
Wassern und Böden schließlich werden, falls Bohrpfähle er
forderlich sind, nur Hülsenbohrpfähle anwendbar sein.
Wenn auch die Tragfähigkeit einer Bohrpfahlgründung
eine andere ist als die eines Einzelpfahles, dürfte es sich
doch dringend empfehlen, stets neben der genauen Ermitt
lung der Böden bis in größere Tiefen hinein auch die Tragfähig
keit von Einzelpfählen festzustellen, da hierzu nur ein geringer
Aufwand nötig ist. Die Probebelastungen von Bohrpfählen
werden ausgeführt: