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des letzten. Jahrtausends erfüllt worden sei. Träfe dies zu, so
hätte Spengler recht, wenn er den Untergang des Abendlandes
in Aussicht stellt, aber man kann auch annehmen, daß dies
nicht zutrifft, daß für die nordische Landschaft im letzten
Jahrtausend die Entfaltung der organhaften Struktur zwar
nicht verhindert, aber doch aufgehalten wurde durch die
Invasion der geometrischen Mittelmeerkulturen, die sich über
dieses Gebiet erstreckten. Denn es muß gesagt werden, daß
die den nordischen Rassen zugehörige Struktur die Wesenszüge
des Organhaften schon in frühester Zeit trägt und daß sie in
der Entfaltung des technischen Geistes sich ihr Gebiet wieder
erobert hat. Die Völker des Mittelmeeres einschließlich der
lateinischen Völker, im Verfall der geometrischen Struktur
begriffe lebend, stehen den Aufgaben des neuen Bauens fremd
gegenüber. Le Corbusier, an der Grenze zweier geistiger Land
schaften, versucht noch einmal die Herrschaft der Geometrie
aufzurichten, indem er sie mit der Welt unserer heutigen
technischen Mittel konfrontiert, aber dieser Versuch führt nicht
hinüber zu organhaftem Bauen, sondern zurück zu ästhetischen
Prinzipien. Es verdient unsere Aufmerksamkeit, daß nur die
Völker der nordischen Landschaft von der tieferen Umwälzung
der Probleme ergriffen erscheinen und daß weiter die jungen
slawischen Völker, deren Rassen wir ebenfalls den organhaften
Strukturen zugehörig ansehen müssen, sich mit Heftigkeit
auf diese Problematik stürzen. Bleibt noch zu sagen, daß wir
uns damit stark den Kulturen Asiens nähern, die immer auf
dem Boden organhafter Strukturen gestanden haben, die die
Geometrie zwar kannten, ihr aber keine kosmologische Be
deutung beilegten, da sie die psychische Kraft immer höher
schätzten als die Kraft des Geistes.
Der Wandel in den Strukturbegriffen wirkt sich in der
Gegenwart am sichtbarsten in der Umbildung der politischen
Struktur der Gesellschaft aus. Die Idee des organhaften Struk-
turbegriffes fordert, daß die Gesellschaft geordnet sei nach den
Prinzipien der Ordnung eines Organs, d. h. daß ihre Individuen
betrachtet werden als Zellen und daß die Stellung dieses
Individuums im Raume des Ganzen gegeben sei durch die Auf
gabe, die es für das Ganze leistet oder zu leisten hat.
Dieses selbe Problem der neuen Ordnungsfindung im
ganzen im Sinne einer LeistungserfiiUung ist es, das die
Probleme des neuen Bauens auf das engste mit den Problemen
der Gesellschaft verbindet. Die Btruktive Organisation eines
Bauwerkes ist durchaus identisch ihrem Wesen nach mit der
struktiven Organisation einer Gesellschaft.
Dieselben konstitutiven Probleme sind hier wie dort.
Wenn man sagt, daß die Bauaufgaben der neuen Gesellschaft
die neue Baukunst fördern, so muß man hinzufügen, daß
dieses vor allen Dingen in einem durchaus geistigen Sinne zu
verstehen ist. Die struktive Erfassung einer Bauaufgabe be
deutet zugleich eine Entscheidung Soziologen Charakters.
Unsere großen Bauprobleme, die Siedlungsfragen, die Auf
lösung der Stadt, die Citybildungen enthalten struktive Pro
bleme, die durchaus identisch sind mit den struktiven Pro
blemen der Gesellschaft. Die Idee der organhaften Struktur
beseitigt das Starre, Unbewegliche und das Dauernde, sie
will die Bewegung als das Lebenschaff ende, Lebenzeugende,
sie bringt deshalb den Menschen aus den Steinmeeren der
Städte heraus wieder in die Natur, um ihn nicht nur geistig
zu entwickeln, sondern ihn auch psychisch zu nähren. Viel
leicht wird die geometrische Figur noch lange auch in dieser
Welt der organhaften Struktur herrschen, denn überall da, wo
tote Masse auf engem Raum zusammengebracht wird, wird
sich die geometrische Figur als eine Eigenschaft der Materie,
als die Struktur der Materie einfinden.
Die Stadtkultur wird das Geometrische nicht überwinden
können, es sei denn, daß sie sich selbst in eine Landkultur
wieder auflöse. Spengler sagt, die Kulturen gehen an ihren
Großstädten zugrunde; wenn die organhafte Struktur die
Großstädte wieder auflöst, so hätte sie also eine Aussicht, nicht
zugrunde zu gehen. Inzwischen aber wird sich unsere gegen
wärtige Stadtkultur noch einige Zeit mit der Geometrie herum
zuschlagen haben, wenn auch ihre Rolle eine nachgeordnete
sein wird. Gleichwohl liegen hier große Konflikte für die
künstlerischen Probleme des neuen Bauens.
Die Unterwerfung unter die struktive Idee, das Organ
hafte, ist heute ganz allgemein. Da, wo sich noch Widerstände
zeigen, handelt es sich um die Reste einer der Geschichte an-
gehörigen Ideologie, aber wir können sagen, daß heute grund
sätzlich ein Bauwerk aus seinen Gebrauchsansprüchen heraus
entwickelt wird und daß der Baumeister seinen Ehrgeiz darin
sieht, diesen Gebrauchsansprüchen auf das vollkommenste zu
genügen. In Erfüllung dieser Aufgabe entsteht ein Bauwerk
als ein Gebrauchsgegenstand, aber auch als ein Bekenntnis
zu einer struktiven Idee. Aber die so entstehende Form wird
höheren Ansprüchen noch nicht genügen, denn in dem Augen
blick, in dem wir das Bauwerk errichten, geben wir ihm zu
gleich ein Aussehen, die geistig ermittelte, technisch gebundene
Form wird dargeboten. Wir entnehmen aus dieser Darbietung
eine Verpflichtung zur künstlerischen Gestaltung, einen Auftrag
der struktiven Idee, sie ideologisch darzustellen, sie sinnlich
‘erlebbar zu demonstrieren.
Diese Bindung des künstlerischen Auftrages an eine struk
tive Idee, an die Verwirklichung dieser Idee im individuellen
Einzelfall, stellt diesem Auftrag das Thema.
Freilich läßt nun dieses Thema noch viele Möglichkeiten
offen, aber diese Möglichkeiten stehen unter der strengen Kon
trolle einer auf ein bestimmtes Ziel gerichteten Ideologie, der
Ideologie einer neuen sittlichen Ordnung, Rückblickend, in die
Vergangenheit möchte ich glauben, daß in dieser Auffassung
von dem Sinne der künstlerischen Arbeit ein grundsätzlicher
Unterschied gegenüber der Auffassung der Griechen zum Bei
spiel nicht besteht. Auch von ihrer künstlerischen Arbeit läßt
sich sagen, daß sie zum Inhalt hatte, die Idee einer sittlichen
Ordnung zu verkünden; was sich jedoch geändert hat, das ist
das struktive Prinzip, das wir heute für die Errichtung einer
sittlichen Ordnung zugrunde legen, und das allerdings führt
zu großen Veränderungen auch in der Welt des Künstlerischen.
SCHULEN UND KIRCHEN IM BEBAUUNGSPLAN
Von Magistratsbaurat Dr.-Ing. Knipping, Breslau,
Leiter des Stadterweiterungsamts.
In den Jahren nach dem Kriege hat sich im städtischen
Wohnungsbau eine grundlegende Wandlung vollzogen. Unter
dem Druck der Wohnungsnot haben die Städte selbst die Füh
rung übernommen und sind durch die für den Wohnungsbau
zur Verfügung stehenden Hauszinssteuermittel in der Lage,
eine weitsichtige Städtebau- und Wohnungspolitik zu betreiben.
Die entstehenden großen Siedlungen führen zu einer
schnellen und umfangreichen Verlagerung der Großstadtbe
völkerung in der Richtung der Außengebiete der Städte. Die
Notwendigkeit der baldigen Versorgung dieser umgesiedelten
Bevölkerungsteile mit öffentlichen Einrichtungen aller Art ist
eine Folgeerscheinung dieser Entwicklung.
Neben dem Wohnungsbauprogramm muß notwendig ein
Programm der öffentlichen Bauten gehen. Während die Be
darfsfragen der Krankenhäuser, Verwaltungsgebäude und
Bäder unabhängig vom Einzelbebauungsplan und unabhängig
von der Wanderung der Bevölkerung innerhalb des Stadtge
bietes nach den durch das Wachstum der Stadt bedingten Er
fordernissen zu klären sind, die in den Siedlungen notwendigen
Postämter, Volksbüchereien, Polizeistationen und Sparkassen
nebenstellen keine besonderen Gebäude beanspruchen, spielen
die Schulen und Kirchen bei Aufstellung der Bebauungspläne
eine entscheidende Rolle und beeinflussen nachhaltig deren Ge
staltung im ganzen und im einzelnen.
Schulen,
Bei einer Erörterung über die vorsorgliche Regelung der
Beschulungsverhältnisse kann man die Mittelschulen, höheren
Schulen und Berufschulen außer acht lassen. Die Berufschulen
mit ihrem Abendunterricht werden zweckmäßig in der Nähe
der inneren Stadt untergebracht, wo sich die Mehrzahl der
Arbeitstätten befindet. Die Notwendigkeit des Neubaues von
mittleren und höheren Schulen entsteht meist nur aus dem
Zwange der Erneuerung nicht mehr zweckvoller und erweite
rungsfähiger alter Schulgebäude. Die Lage dieser Neubauten
richtet sich nach allgemeinen städtebaulichen Gesichtspunkten,
da sie nicht so eng wie die Volksschulen bezirksmäßig gebunden
sind.
Der Neubau von Volksschulen dagegen wird aus dem
Grunde sofort dringend, weil die neuen Siedlungen meist nicht
im Anschluß an die bestehende Bebauung, sondern in bisher
unerschlossenen Außengebieten der Städte entstehen. Eine An
gliederung dieser neuen Wohngebiete an die bestehenden inner
städtischen Schulbezirke ist durchweg schon wegen der allzu*