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Querschnitt. ' Längsschnitt.
erdgelöster Raumschöpfung schon von der Gotik zur stärksten
architektonischen Verwirklichung des Sakralen entwickelt
wurde. Der Eisenbetonskclettbau ist in der Nikolai-Kirche
als Strukturbau mit gläsernen Wänden ohne Kompromiß
durchgeführt worden. Die Formgebung des Raumgerüstes
von Chor und Kirchenschiff entsteht aus den Gesetzen der
Konstruktion und aus den statischen Qualitäten des Werk
stoffs. Die eigentliche Aufgabe sakraler Aktivierung dieses
Formprinzips ist die Materialisation des Transrationalen
in der Inkarnation des Rationalen. Diese Zeugniskraft des
Mathematischen für das Mystische wird am allerwenigsten
dadurch erreicht, daß man der konstruktiven Berechnung
kryptosakrale Ausdruckstendenzen beimischt. Sondern nur
dadurch, daß die schöpferische Raumvision des Architekten
„konstruktives Gepräge“ trägt und aus ihrem Wesen her
aus dem mitarbeitenden Ingenieur den Weg zu einem
Formsystem weist, das ohne jede Absichtlichkeit zum Me
dium der Erscheinung sakraler Raumhaftigkeit wird. Peter
Grund, der entwerfende und bauleitende Architekt, hat
diese „konstruktive Inspiration“ durch den Baugedanken
von [St. Nikolai in seltener Wesentlichkeit bekundet. Die
Arbeitsgemeinschaft des Architekten mit den bildenden
Künstlern gründete in dieser geistigen Tiefensphäre: nicht
in gedanklicher Vereinbarung, sondern in gemeinsamer
Ausrichtung auf den Sinn sakraler Raumschöpfung. Durch
diesen inneren Einklang entstand mit organischer Not
wendigkeit eine gänzliche Harmonie der beiden wesent
lichen Raum dominanten: der Raumstruktur und der gläser
nen Wand, des Skeletts und seines verklärten Leibes.
DIE BAU BESCHREIBUNG.
Die Kirche liegt auf etwas erhöhtem Gelände an der
Kreuzung zweier Hauptverkehrsstraßen. Eine breite Frei
treppe führt durch eine Pergola auf den Vorplatz, der
durch die Portalfront der Kirche abgeschlossen wird. Diese
Platzgestaltung trägt den deutlichen Akzent des „ Vorhof-
Charakters“, der einen Übergang aus dem Alltagsbezirk
der Straße zur Kultstätte der Kirche darstellt.
Der Portalbau ist ein quer vor das Kirchenschiff ge
stellter Riegel, der über die Breite des Langhauses nach
beiden Seiten hinausragt: zur Linken durch den Turm,
der an die Kante des Portalbaues angegliedert, aber in der
Art eines Kampanile statisch und architektonisch vom
Kirchenhaus abgesetzt ist. Zur Rechten mündet der Vor
hallenbau in die Apsis der Taufkapelle. Der Portalbau
enthält auf der Turmseite eine Wartehalle, ihr gegenüber
die Taufkapelle. Die Wartehalle führt in den Turm, dessen
Treppe den Zugang zum Emporengeschoß der Kirche ver
mittelt. Die Taufkapelle ist als kleiner Feierraum aus
gestattet. Die erhöhte, halbrunde Apsis trägt an ihrer
Rückwand auf goldenem Sockel ein Glasmosaik von Elisa
beth Coester: Die Nachfolge Christi. Davor steht der
Altarblock, der ein Taufbecken mit Kreuz und Taube trägt.
Aus dem Säulenfuß des Kreuzes strömt fließendes, elek
trisch erwärmbares Wasser in das Taufbecken. Ein beson
ders schönes und überzeugendes Beispiel, daß die Kraft zu
neuartiger, sehr tiefer und doch gemeinverständlicher Sym
bolgestaltung in der modernen christlichen Kunst neu zu
erwachen beginnt. Der Sinn des Sakraments als Wieder
geburt aus Wasser und Geist, durch das Kreuz und das
von ihm gespendete „lebendige Wasser“ als Flut und Geist
der Liebe bezeugt, ist durch diese Arbeit von Otto
Coester auch ohne erläuternde Worte verdeutlicht. Eine
kleine Sängerbühne ermöglicht die Ausgestaltung der
Feiern durch Chorgesang.
Kapelle, Eingang und Wartehalle können zu einem
langgestreckten Gesamtraum vereinigt werden, der für
Bibelstunden, Passionsgottesdienste und ähnliche Veran
staltungen vorgesehen ist, während die Kapelle selbst für
Feiern in kleinem Kreis: Taufen, Trauungen, kleine
Abendmahlsgemeinschaften bestimmt ist.
Von diesen Räumen kann nur die Eingangshalle selbst
durch die große dreiflüglige Innenpforte, die dem äußeren