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War man in Sorge, ein solcher Ausblick möchte allzu
scharfe Gegensätze auslösen, so muß das wohl respektiert
werden; beruht doch schon die Tatsache, daß die beiden inter
nationalen Verbände nebeneinander bestehen und daß ein ein
heitlicher Kongreß nicht möglich war, zum Teil auf älteren
Auseinandersetzungen über Grenzgebiete. Da ist es begreiflich,
daß beide Verbandspräsidenten, der Londoner Städtebauer
Unwin wie der Amsterdamer Senator Wibaut, zunächst das
besser gesicherte, wenn auch engere Feld rein fachlicher Arbeit
innezuhalten bemüht sind, auf dem ein hohes Maß von Über
einstimmung innerhalb jeder der beiden Organisationen von
vornherein gesichert erscheint.
Hatte man aber etwa Befürchtungen um das Niveau und
die konkrete sachliche Themenbehandlung, fürchtete man in
platte Allgemeinheiten zu geraten, so konnte man durch die
vorangegangene Tagung der Freien Deutschen Akademie des
Städtebaues eines besseren belehrt werden. An sich genügt es,
hierfür auf das vorstehende Referat über die Vorträge Schäfer
und Bruck zu verweisen; nur sei ausdrücklich nochmals darauf
aufmerksam gemacht, welche Vorteile dem Städtebau aus einer
weitgehenden Zusammenarbeit mit der Nationalökonomie er
wachsen können, Vorteile, die der Verfasser schon vor einiger
Zeit in der Zeitschrift „Der Städtetag“ anzudeuten sich be
mühte.
II.
Der Kongreß, den der Internationale Verband für Woh
nungswesen — Sitz Frankfurt a. Main, Präsident Senator
Wibaut-Amsterdam, Generalsekretär Dr. Kampffmeyer-
Frankfurt a. Main — abhielt, beschäftigte »ich mit drei Haupt
themen: „Die sozialpolitische Bedeutung der Wohnungswirt
schaft in Gegenwart und Zukunft“ — „Der Bau von Klein
wohnungen mit tragbaren Mieten“ — „Wohnungsinspektion
(Wohnungsaufsicht und Wohnungspflege)“. Für die Einzel
heiten muß auf die Veröffentlichungen verwiesen werden, die als
Hefte der Verbandszeitschrift „Bauen und Wohnen“ erschienen
sind. Den beherrschenden Eindruck hinterließen die Ver
handlungen über das erste Thema, was dem starken sozial
politischen Einschlag in der Zusammensetzung des Verbandes
entspricht. Die Aufgabe, die hierfür den Berichterstattern der
beteiligten Länder gestellt war, fand ihre genauere Umschrei
bung in folgenden. Formulierungen: Es sei zu untersuchen,
a) ob und inwieweit unter den gegenwärtigen Verhältnissen
die auf privatwirtschaftliche Rentabilität eingestellte Bauwirt
schaft (private Bauuntemehmung) ohne öffentliche Unter
stützung in der Lage sei, den Wohnungsbedarf der breiten
Schichten der Bevölkerung (Bedarf an Kleinwohnungen) in
einer Weise zu decken, die den wirtschaftlichen, sozialen,
hygienischen und kulturellen Anforderungen entspricht; b) wie
die Bauwirtschaft zu organisieren sei, um den Bedarf an Klein
wohnungen in befriedigender Weise zu decken; c) wie die auf
gemeinnütziger Grundlage errichteten Wohnbauten zu ver
walten seien.
Die Ergebnisse der Berichterstattung und der Aussprache
erweisen sich gegenüber dem Versuch einer zusammenfassenden
Berichterstattung als einigermaßen spröde, vor allem deshalb,
weil die Gegensätze der Grundanschauungen unausgeglichen
nebeneinander bestehen blieben, ja überhaupt kaum als
Gegensätze herausgestellt wurden. Immerhin: wäre ein solcher
Kongreß nicht seiner Natur nach dem Zwange entrückt, im
Wege der Abstimmung zu einer äußeren Entscheidung zu ge
langen, so würde sich etwa folgendes Resultat ergeben haben:
Es wird „unter den gegenwärtigen Verhältnissen“ immer
eine — größere oder kleinere — Schicht der Bevölkerung
geben, deren Einkommen nicht ausreicht, um die notwendige
Miete, die bei privatem Wohnungsbau entsteht, zu tragen.
Für einen Teil der Bevölkerung wird die private Bauunter
nehmung den Wohnungsbedarf decken können, für einen wei
teren Teil werden gemeinnützige Bauvereinigungen eintreten
können, aber dann wird immer noch ein weiterer Teil nur durch
ein Eingreifen der öffentlichen Hand zur Deckung seines
Wohnungsbedarfes gelangen können. Durch diese Feststellun
gen, die, freilich mit recht verschieden starker Betonung, in
fast allen Berichten wiederkehrten, erhielt die Forderung der
vorangegangenen Tagung der Kommunen nach dauernder
Sicherung des Finanzbedarfs für den öffentlichen Wohnungsbau
starken Nachdruck; auch die dort festgestellte Tatsache, daß
schon vor dem Kriege die Privatwirtschaft den Wohnungs
bedarf der untersten Einkommenschichten nicht gedeckt hat
und daß es daher irrig sei, von einer „Rückkehr zum privaten
Wohnungsbau“ zu sprechen, wurde auf dem internationalen
Kongreß wiederholt und bestätigt.
Damit waren die dem Kongreß in seiner Themenstellung
als Voraussetzung gegebenen „gegenwärtigen Verhältnisse“
ihrerseits selbst in Frage gestellt; daß der Kongreß selbst diese
weitere Frage nicht aufgriff, wird man, um es nochmals zu
sagen, verstehen müssen. Ein Delegierter aus den Vereinigten
Staaten allerdings war der Auffassung, der Ausweg sei in einer
allgemeinen Politik der Hebung des Lohnniveaus zu suchen;
ihm wurde entgegengehalten, daß damit auch die Baukosten
sich automatisch erhöhen und also die Differenz zwischen den
niedrigen Lohnklassen und den privatwirtschaftlich rentablen
Mieten bleibt. Mag diese Argumentation, die die mögliche
Verringerung dieser Differenz durch Methoden der Techni
sierung usw. übersieht, für sich allein nicht ganz stichhaltig
erscheinen, so leuchtet um so mehr der von verschiedenen
europäischen Delegierten vorgebrachte Hinweis darauf ein,
daß bei langfristigen Investitionen das Interesse an der Sicher
heit im Range noch vor dem Interesse an der Höhe der Rente
zu stehen pflegt und daß, wie die gegenwärtige Krise beweist,
diese Sicherheit immer wieder der Gefahr schwerer Erschütte
rungen durch umfangreiche Arbeitslosigkeit ausgesetzt ist.
Im einzelnen erwies sich, daß, die gegebenen Verhältnisse
vorausgesetzt und abgesehen von den Extremen der rein
privatwirtschaftlichen USA und der rein staatswirtachaftlichen
UdSSR, erhebliche Unterschiede zwischen den verschiedenen
Ländern bestehen, Unterschiede in der Verteilung der Woh
nungsbautätigkeit auf die drei Faktoren der privaten Bautätig
keit, der freien gemeinnützigen Gesellschaften und der öffent
lichen Hand, Unterschiede naturgemäß auch in der Tendenz
zur Ausdehnung der einen oder der andern Form der Bedarf
deckung. Dabei stellte sich ferner, wenn auch kaum klar genug
ausgesprochen, heraus, daß der entscheidende Maßstab nicht
die Differenz zwischen Einkommen und rentabler Miete zu
einem bestimmten Zeitpunkt ist, daß also auch die Frage, ob
Hebung der Einkommen oder Senkung der Mieten, am Kern
punkt vorbeigeht, daß vielmehr das Risiko in seiner zeitlichen
Entwicklung maßgebend ist für die wirtschaftliche Beurtei
lung. Die besten Risiken sind die Wohnungen der Bevölke
rungsklassen vom Mittelstand aufwärts, sie sind auch das bevor
zugte und gegebene Tätigkeitsfeld der privaten Bauwirtschaft.
Im Gebiet der mittleren Risiken, das vor allem durch die
Schicht der gehobenen Facharbeiterschaft gekennzeichnet ist,
haben die gemeinnützigen Gesellschaften vor allem in der
genossenschaftlichen Form seit langem Hervorragendes ge
leistet. Die ausgesprochen schlechten Risiken, die geringst
bezahlten Arbeitergruppen, dazu die Erwerbsbehinderten,
Tuberkulösen, Asozialen, fallen zunächst den Gemeinden
anheim. Die Grenzen zwischen diesen drei Gruppen verlaufen,
in den einzelnen Ländern sehr verschieden und erleiden im
Lauf der wirtschaftlichen Entwicklung starke, wiederum
geographisch verschiedene Veränderungen. Es war sehr be
zeichnend, daß etwa der Vertreter eines wirtschaftlich noch
einigermaßen saturierten Landes wie Dänemark geneigt war,
von einem Lohnniveau als Norm auszugehen, das etwa dem
eines ständig beschäftigten deutschen Metallfacharbeiters
entspricht; er erhob dann von da aus die Forderung nach
guter technischer Innenausstattung der Wohnungen auch
auf Kosten der Wohnfläche. Aus einer noch ähnlichen, aber
wirtschaftlich bereits etwas mehr angegriffenen Position heraus
entwickelte ein Vertreter Hollands die These, daß den Gemeinden
die Versorgung eines gewissen Restbedarfs verbleibe, und be
richtete besonders von den eigens gebauten sog. Kontroll-
Wohnungen,die verschiedene holländische Städte für die asozia-
lenFamiliengebaut haben. (Diese Fürsorgemaßnahmen wurden,
wie man in deT internationalen Abteilung der Bauausstellung
sehen kann, mit der Beseitigung von Slums verbunden; sie
führen übrigens zur Notwendigkeit einer ständigen gemeind
lichen Wohnungsverwaltung, die sich in Holland als durchaus
durchführbar erwiesen hat.) Der Delegierte der Tschecho
slowakei, dessen Land schon wesentlich mehr von den Folgen
der Weltkrise erfaßt ist, lenkte die Aufmerksamkeit auf das
Risiko der zeitlichen Wertveränderungen und berichtete von
erfolgreichen Versuchen, die Differenz zwischen den Neubau
kosten der Hochkonjunktur und dem geringeren Wert nach
einer (Deflations-) Stabilisierung durch öffentliche Zuschüsse
auszugleichen; das Ziel dabei sei, jene Form der staatlichen
Förderung zu finden, die den Wohnungsbau „als rentabel
erscheinen“ lasse. Oesterreich ist bekannt als ein Land, das
seit dem Kriege fast ununterbrochen in schwerer wirtschaft
licher Krise lebt; Wien ist bekannt als Stadt des ausgedehn
testen (abgesehen von Rußland) Wohnungsbaues der öffent
lichen Hand. So war es auch einer der Wiener Delegierten, der
erklärte, man könne nicht vom Maximum an Wohnungs
leistung träumen, sondern müsse sich das notwendige Minimum
setzen, zumal die private Bauwirtschaft absolut außerstande sei,
den Wohnungsmarkt zu sättigen; die Schaffung des Einfami
lienhauses für die breiten Schichten erklärte er für unmöglich: