Landesrechnungshof
Mecklenburg-Vorpommern
Jahresbericht 2021
Teil 2 - Kommunalfinanzbericht 2021
Vorwort der Präsidentin des Landesrechnungshofes
Der Landesrechnungshof komplettiert mit dem vorliegenden Kommunalfinanzbericht seine
Berichterstattung an den Landtag für das Jahr 2021.
Die Corona-Pandemie ist noch immer eines der beherrschenden Themen im Land. Wie gravierend deren Auswirkungen sind, zeigt beispielsweise der Einbruch der Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2020 in noch nie dagewesenem Umfang.
Die Kommunalfinanzen blieben von der Pandemie aufgrund der vielfältigen und gewichtigen
Gegenmaßnahmen sowie durch die systematische Erhöhung der Finanzzuweisungen des
Landes weitgehend verschont. Dies kann sicher zunächst positiv bewertet werden. Es lässt
allerdings außer Acht, dass sich das Land sehr stark verschulden musste, auch um den
Kommunen zusätzlich zu den Hilfsmaßnahmen des Bundes Unterstützung zukommen zu
lassen. Insoweit steht die kommunale Ebene noch mehr als sonst in der Pflicht, mit diesen
Mitteln sorgsam umzugehen und diese sachgerecht einzusetzen.
Wie schon vor Beginn der Corona-Pandemie zu beobachten war, löst zusätzliches Geld allein jedoch nicht die grundlegenden Probleme der Kommunen im Land. Es wirkt weder der
Wirtschaftsschwäche entgegen noch stellt es die kommunalen Strukturen auf ein solides und
für die Zukunft tragfähiges Fundament. Die neue Landesregierung muss diese Probleme in
der anstehenden Legislaturperiode nicht nur noch stärker in den Blick nehmen, sondern
auch endlich Lösungsansätze präsentieren.
Im vorliegenden Bericht dokumentiert der Landesrechnungshof zum wiederholten Male die
nur schleppenden Fortschritte bei der Digitalisierung der Verwaltungsvorgänge. Hier besteht
– neben den erheblichen Versäumnissen des Landes – auch für Kommunen noch deutlicher
Nachholbedarf. Gerade durch eine erfolgreiche Digitalisierung könnten perspektivisch aber
sowohl die Bürger als auch die Verwaltung entlastet werden.
Doch auch den Kommunen selbst wird Handlungs- und Verbesserungsbedarf aufgezeigt.
Dies betrifft zum Beispiel das Vergabewesen im kreisangehörigen Raum oder die Erhaltung
kommunaler Radwege. Der Landesrechnungshof hat zudem bei seinen überörtlichen Prüfungen verschiedene Feststellungen im Bereich des Haushalts- und Finanzwesens sowie bei
Vermögens- und Grundstücksgeschäften getroffen.
Angesichts der aktuellen Lage und der anstehenden Herausforderungen sollten sich die
Kommunen und das Land noch intensiver als in der Vergangenheit mit den Feststellungen
und Empfehlungen des Kommunalfinanzberichtes auseinandersetzen, um konsequent und
stringent an der Lösung der drängenden Probleme der kommunalen Ebene zu arbeiten.
I
Denn nur mit einer soliden und nachhaltigen Finanzpolitik eröffnen sich Chancen und Möglichkeiten politisch zu gestalten und das Land voranzubringen.
Ganz herzlich möchte ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landesrechnungshofes bedanken. Ohne ihr ausdauerndes und hervorragendes Prüfen in diesen belastenden und schwierigen Zeiten hätte der Landesrechnungshof weder diesen Bericht noch
den Landesfinanzbericht 2021 oder die Beratende Äußerung zum übertragenen Wirkungskreis veröffentlichen können. Das kommende Jahr werden wir mit der Gewissheit beginnen,
dass die Corona-Pandemie einerseits noch nicht ausgestanden ist und dass wir andererseits
ein umfangreiches Arbeitspensum zu bewältigen haben. Ich bin sicher, dass wir diese Herausforderungen gemeinsam gut bewältigen werden.
Für die weit überwiegend vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit möchte ich mich
bei allen anderen Mitstreitern im Land bedanken. Den Ausgeschiedenen wünsche ich für die
Zukunft nur das Allerbeste und mit den Übrigen hoffe ich auf eine Fortsetzung der ertragreichen Zusammenarbeit in der neuen Legislaturperiode.
Schwerin, im Dezember 2021
Dr. Martina Johannsen
II
Inhaltsverzeichnis
I.
Einleitung..................................................................................................................... 1
II.
Allgemeiner Teil........................................................................................................... 3
III.
1
Lage der kommunalen Finanzwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern.................3
2
Die kommunale Finanzwirtschaft im Vergleich....................................................22
3
Kommunaler Schuldenstand...............................................................................29
4
Zusammenfassung.............................................................................................34
Aktuelle Themen........................................................................................................ 37
1
Umsetzung des NKHR M-V................................................................................37
2
KoFiStA – KommunalFinanzStrukturAnalyse......................................................44
3
Geldanlage einer Kommune bei der Greensill Bank AG.....................................53
4
Gesetz zur Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit der Kommunen
während der SARS-CoV-2-Pandemie.................................................................59
5
IV.
Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes............................................................66
Überörtliche Prüfungen.............................................................................................77
1
Überörtliche Prüfung der Landeshauptstadt Schwerin: Teilprüfung
„Haushaltswesen/Finanzen“................................................................................77
2
Überörtliche Prüfung der Landeshauptstadt Schwerin: Teilprüfung
„Vermögens-/Grundstücksgeschäfte“.................................................................93
3
Beitreibung von Rundfunkbeiträgen..................................................................101
4
Vergabewesen im kreisangehörigen Raum......................................................108
5
Prüfung des Landkreises Rostock, Verträge für Leistungen nach § 34
SGB VIII............................................................................................................116
6
Erhaltung kommunaler Radwege in den Landkreisen Mecklenburgische
Seenplatte und Vorpommern-Greifswald..........................................................124
V.
VI.
Prüfung kommunaler Beteiligungen......................................................................135
1
Verzögerungen bei der Jahresabschlussprüfung..............................................135
2
Länderübergreifende kommunale Beteiligung...................................................139
Umsetzung von Landtagsentschließungen...........................................................141
1
Entschließung des Landtags zu dem Berichtsbeitrag „Umsetzung des
NKHR M-V“.......................................................................................................141
2
Entschließungen des Landtags zur Prüfung „Kommunales
Forderungsmanagement“.................................................................................143
III
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1:
Bereinigte Einnahmen und Ausgaben sowie Finanzierungssaldo der
Gemeinden/Gemeindeverbände Mecklenburg-Vorpommerns, 2011-2020,
in Mio. Euro......................................................................................................3
Abbildung 2:
Finanzierungssalden des Landes und der Gemeinden/Gemeindeverbände
Mecklenburg-Vorpommerns, 2018-2020, in Mio. Euro.....................................4
Abbildung 3:
BIP-Veränderung gegenüber dem Vorjahr (preisbereinigt), 2005-2020,
in %.................................................................................................................. 8
Abbildung 4:
Aufteilung des Niveauunterschieds bei den Einnahmen, 2019-2020 nach
Maßnahmen, in Mio. Euro................................................................................9
Abbildung 5:
Zahlungen des Landes an die Gemeinden/Gemeindeverbände,
2014-2020, in Mio. Euro.................................................................................10
Abbildung 6:
Finanzierungssaldo, Saldo der Kapitalrechnung und Saldo der laufenden
Rechnung der Gemeinden/Gemeindeverbände Mecklenburg-Vorpommerns,
2016-2020, in Mio. Euro.................................................................................12
Abbildung 7:
Finanzierungssaldo der kommunalen Gebietskörperschaften in
Mecklenburg-Vorpommern, 2018-2020, in Euro je Einwohner.......................13
Abbildung 8:
Finanzierungssalden der Landkreise (Kreisverwaltungen) und kreisfreien
Städte, 2018-2020, in Euro je Einwohner......................................................14
Abbildung 9: Finanzierungssaldo der kreisangehörigen Städte und Gemeinden in
Mecklenburg-Vorpommern nach Größenklassen, 2018-2020, in Euro je
Einwohner......................................................................................................15
Abbildung 10: Anteil der kreisangehörigen Städte und Gemeinden nach Größenklassen
mit Finanzierungsüberschüssen und -defiziten, 2020, in %...........................16
Abbildung 11: Anteil der kreisangehörigen Städte und Gemeinden mit
Finanzierungsüberschüssen nach Größenklassen, 2016-2020, in %............17
Abbildung 12: Spannweiten des Finanzierungssaldos der kreisangehörigen Städte und
Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern nach Größenklassen, 2020,
in Euro je Einwohner......................................................................................19
Abbildung 13: Finanzierungssalden der Gemeinden/Gemeindeverbände im
Ländervergleich, 2019 und 2020, in Euro je Einwohner.................................22
V
Abbildung 14: Finanzierungssalden der Gemeinden/Gemeindeverbände im
Ländervergleich, 2010-2020, in Euro je Einwohner.......................................24
Abbildung 15: Sachinvestitionsausgaben der Gemeinden/Gemeindeverbände
Mecklenburg-Vorpommerns, 2018-2020, in Mio. Euro...................................27
Abbildung 16: Schulden beim nicht-öffentlichen und beim öffentlichen Bereich der
Gemeinden/Gemeindeverbände Mecklenburg-Vorpommerns, 2010-2020,
in Mio. Euro....................................................................................................29
Abbildung 17: Kassenkredite beim nicht-öffentlichen Bereich der
Gemeinden/Gemeindeverbände im Ländervergleich, 2018-2020, in Euro
je Einwohner..................................................................................................31
Abbildung 18: Entwicklung der Kassenkredite der Gemeinden/Gemeindeverbände im
Ländervergleich, 2010-2020, in % (2010=100)..............................................32
Abbildung 19: Ergebnisplanung und -rechnung vor Veränderung der Rücklagen,
2012-2022, in Mio. Euro.................................................................................79
Abbildung 20: Struktur der Erträge, 2012-2018, in Mio. Euro................................................81
Abbildung 21: Struktur der Aufwendungen, 2012-2018, in Mio. Euro....................................82
Abbildung 22: Differenz von Aufwendungen und Erträgen der sozialen Sicherung, 20122018, in Mio. Euro..........................................................................................83
Abbildung 23: Struktur der Kreditschulden von der Eröffnungsbilanz bis 2018,
in Mio. Euro....................................................................................................85
Abbildung 24: Übersicht vereinbarte Entgelte für Leistungen nach § 34 SGB VIII
(Tagessätze)................................................................................................117
Abbildung 25: Radwegenetz (Alltagsverkehr/touristisches Radwegenetz)..........................125
Abbildung 26: Übersicht Radfernwege im Landkreis Vorpommern-Greifswald,
Stand: 2013.................................................................................................128
Abbildung 27: Ablaufdiagramm einer systematischen Straßenerhaltung............................130
VI
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1:
Maßnahmenbudget MV-Schutzfonds Bereich G – Kommunen, 2020-2021, in
Mio. Euro.............................................................................................................. 5
Tabelle 2:
Einnahmen und Ausgaben der Gemeinden/Gemeindeverbände in MecklenburgVorpommern, 2016-2020, in Mio. Euro.................................................................7
Tabelle 3:
Planmäßige Tilgung und Saldo der laufenden Rechnung der
Gemeinden/Gemeindeverbände Mecklenburg-Vorpommerns, 2017-2020,
in Mio. Euro........................................................................................................13
Tabelle 4:
Finanzsituation der kreisangehörigen Städte und Gemeinden, 2019 und
2020................................................................................................................... 18
Tabelle 5:
Saldo der laufenden Rechnung der kreisangehörigen Städte und Gemeinden
in Mecklenburg-Vorpommern nach Größenklassen, 2018-2020, in Euro je
Einwohner.......................................................................................................... 20
Tabelle 6:
Saldo der laufenden Rechnung der kreisfreien Städte und Landkreise
(Kreisverwaltungen) in Mecklenburg-Vorpommern, 2018-2020, in Euro je
Einwohner.......................................................................................................... 21
Tabelle 7:
Einnahmen der Gemeinden/Gemeindeverbände im Ländervergleich, 2020......25
Tabelle 8:
Ausgaben der Gemeinden/Gemeindeverbände im Ländervergleich, 2020........26
Tabelle 9:
Finanzierungssaldo der Kapitalrechnung im Ländervergleich, 2018-2020,
in Euro je Einwohner..........................................................................................28
Tabelle 10: Schuldenstand und Eventualverbindlichkeiten der
Gemeinden/Gemeindeverbände im Ländervergleich (öffentlicher
Gesamthaushalt), 31. Dezember 2020, in Euro je Einwohner............................30
Tabelle 11: Kassenkredite bei den höchst verschuldeten Kommunen in MecklenburgVorpommern in 2020 mit Entwicklung seit 2017, in Euro....................................33
Tabelle 12: Festgestellte Jahresabschlüsse in den Landkreisen, kreisfreien und großen
kreisangehörigen Städten, 2012-2019, Stand: 30. Juni 2021.............................38
Tabelle 13: Bearbeitungsstand der Jahresabschlüsse der kreisangehörigen Gemeinden
(ohne große kreisangehörige Städte), 2014-2019, Stand: 30. Juni 2021...........39
Tabelle 14: Eigenkapitalquote, 2012-2019, in %....................................................................46
Tabelle 15 : Kreditquote, 2012-2019, in %.............................................................................48
VII
Tabelle 16: Reinvestitionsquote, 2012-2019, in %.................................................................50
Tabelle 17: Reifegradmodell für elektronisch angebotene Verwaltungsleistungen................67
Tabelle 18: Fristen zur Aufstellung, Prüfung, Feststellung sowie Offenlegung und
Bekanntmachung des Jahresabschlusses und Lageberichts bei kommunalen
Wirtschaftsbetrieben mit Prüfungspflicht nach
Abschnitt III Kommunalprüfungsgesetz Mecklenburg Vorpommern.................135
Tabelle 19: Einhaltung der Fristen bei der Durchführung der Jahresabschlussprüfung
nach Abschnitt III Kommunalprüfungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern,
2018 und 2019, Stand: 9. September 2021......................................................137
VIII
Abkürzungsverzeichnis
ALG II
Arbeitslosengeld II
AmtsBl. M-V
Amtsblatt für Mecklenburg-Vorpommern
AO
Abgabenordnung
ARD
Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik
Deutschland
AV
Anlagevermögen
BaFin
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
BASt
Bundesanstalt für Straßenwesen
BauGB
Baugesetzbuch
BFH
Bundesfinanzhof
BGBl.
Bundesgesetzblatt
Drs.
Landtagsdrucksache
EGovG M-V
E-Government-Gesetz Mecklenburg-Vorpommern
EfA
Einer für Alle
eGo-MV
Zweckverbands elektronische Verwaltung in Mecklenburg-Vorpommern
EigVO
Eigenbetriebsverordnung
EW
Einwohner
FAG M-V
Finanzausgleichsgesetz Mecklenburg-Vorpommern
GemHVO-Doppik
Gemeindehaushaltsverordnung-Doppik
GemHVO-GemKVODoppVV M-V
Verwaltungsvorschrift zur Gemeindehaushaltsverordnung-Doppik und Gemeindekassenverordnung-Doppik
GemHVO-Doppik
Gemeindehaushaltsverordnung-Doppik
GemKVO-Doppik
Gemeindekassenverordnung-Doppik
GmbHG
Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung
GVOBl. M-V
Gesetz- und Verwaltungsvorschrift Mecklenburg-Vorpommern
GWB
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen
HGB
Handelsgesetzbuch
i. V. m.
in Verbindung mit
KLR
Kosten- und Leistungsrechnung
KoFiStA
KommunalFinanzStrukturAnalyse
KommStEG M-V
Kommunales Standarderprobungsgesetz
KPG M-V
Kommunalprüfungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern
KSV
Kommunaler Sozialverband Mecklenburg-Vorpommern
KV M-V
Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern
LEQ
Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsentwicklungsvereinbarungen
LFI
Landesförderinstitut Mecklenburg-Vorpommern
MicroBilG
Kleinstkapitalgesellschaften-Bilanzrechtsänderungsgesetz
NDR
Norddeutscher Rundfunk
NKHR M-V
Neues Kommunales Haushalts- und Rechnungswesen Mecklenburg-Vorpommern
OZG
Onlinezugangsgesetz
RBStV
Rundfunkbeitragsstaatsvertrag
RPA
Rechnungsprüfungsamt
IX
RUBIKON
Rechnerunterstütztes Haushaltsbewertungs- und Informationssystem der Kommunen
RV M-V
Rahmenvertrag Kinder- und Jugendhilfe Mecklenburg-Vorpommern
SGB
Sozialgesetzbuch
SGB II
Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende
SGB III
Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung
SGB IX
Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen –
SGB VIII
Sozialgesetzbuch Achtes Buch - Kinder- und Jugendhilfe
SGB X
Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz
SGB XII
Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe
TVöD
Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst
Verf. M-V
Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern
VgE M-V
Erlass über die Vergabe öffentlicher Aufträge im Anwendungsbereich des Vergabegesetzes Mecklenburg-Vorpommern
VgG M-V
Vergabegesetz Mecklenburg-Vorpommern
VK
Vollzeitkräfte
VOB
Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen
VOL/A
Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen – Teil A
VollstrZustKLVO M-V
Vollstreckungszuständigkeits- und -kostenlandesverordnung Mecklenburg-Vorpommern
VwVfG M-V
Landesverwaltungsverfahrensgesetz Mecklenburg-Vorpommern
VwVG
Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz
VZÄ
Vollzeitäquivalent
ZBS
Zentraler Beitragservice
ZDF
Zweites Deutsches Fernsehen
ZDL
Zentrale Datenstelle der Landesfinanzminister
ZGM
Zentrales Gebäudemanagement (Eigenbetrieb)
X
Länderbezeichnungen
BB
Brandenburg
BW
Baden-Württemberg
BY
Bayern
HE
Hessen
MV
Mecklenburg-Vorpommern
NI
Niedersachsen
NW
Nordrhein-Westfalen
RP
Rheinland-Pfalz
SH
Schleswig-Holstein
SL
Saarland
SN
Sachsen
ST
Sachsen-Anhalt
TH
Thüringen
FO
Durchschnitt der Flächenländer Ost ohne MV (BB, SN, ST und TH)
FFW
Durchschnitt der finanzschwachen Flächenländer West (NI, RP, SL und SH)
D
Deutschland
Bezeichnungen der kreisfreien und großen kreisangehörigen Städte
HGW
Universitäts- und Hansestadt Greifswald
NB
Neubrandenburg
HRO
Hanse- und Universitätsstadt Rostock
LH SN
Landeshauptstadt Schwerin
HST
Hansestadt Stralsund
HWI
Hansestadt Wismar
Bezeichnungen der Landkreise
NWM
Landkreis Nordwestmecklenburg
LUP
Landkreis Ludwigslust-Parchim
LRO
Landkreis Rostock
VR
Landkreis Vorpommern-Rügen
MSE
Landkreis Mecklenburgische Seenplatte
VG
Landkreis Vorpommern-Greifswald
XI
I.
Einleitung
(1)
Nach Art. 68 Abs. 3 der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Verf.
M-V) überwacht der Landesrechnungshof die gesamte Haushalts- und Wirtschaftsführung
des Landes. Er untersucht hierbei die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der öffentlichen Verwaltung. Er ist auch zuständig, soweit Stellen außerhalb der Landesverwaltung und
Private Landesmittel erhalten oder Landesvermögen verwalten.
(2)
Der Landesrechnungshof überwacht nach Art. 68 Abs. 4 Verf. M-V zudem die Haus-
halts- und Wirtschaftsführung der kommunalen Körperschaften und der übrigen juristischen
Personen des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht des Landes unterstehen.
Nach §§ 4 ff. Kommunalprüfungsgesetz (KPG M-V) ist der Landesrechnungshof für die
überörtliche Prüfung der kommunalen Körperschaften verantwortlich, die der unmittelbaren
Rechtsaufsicht des Landes unterliegen. Dies sind in Mecklenburg-Vorpommern die kreisfreien Städte, die großen kreisangehörigen Städte und die Landkreise.
Bei der überörtlichen Prüfung wird insbesondere festgestellt, ob
•
die Haushalts- und Wirtschaftsführung sowie die sonstige Verwaltungstätigkeit der
kommunalen Körperschaft und ihrer Sondervermögen den Rechtsvorschriften und
den Weisungen der Aufsichtsbehörden entsprechen (Ordnungsprüfung),
•
die Kassengeschäfte ordnungsgemäß geführt werden (Kassenprüfung),
•
die Verwaltung der kommunalen Körperschaft und ihrer Sondervermögen sachgerecht und wirtschaftlich geführt wird (Organisations- und Wirtschaftlichkeitsprüfung).
(3)
Der Landesrechnungshof kann darüber hinaus Querschnittsprüfungen im Benehmen
mit dem Ministerium für Inneres und Europa 1 auch bei anderen kommunalen Körperschaften durchführen. Bei Querschnittsprüfungen handelt es sich um vergleichende Prüfungen
mehrerer kommunaler Körperschaften zu einem Aufgabenbereich oder zu sachlichen
Schwerpunkten.
(4)
Der Landesrechnungshof kann gemäß § 8 Abs. 3 und 4 KPG M-V auch bei Dritten
prüfen, soweit den kommunalen Körperschaften aufgrund von Rechtsvorschriften oder Verträgen im Zusammenhang mit dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII), dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) oder dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII)
diese Prüfungsrechte zustehen.
1
Im Folgenden Innenministerium genannt.
1
(5)
Der Umgang mit den Prüfungsergebnissen und -empfehlungen des Landes-
rechnungshofes ist in § 9 KPG M-V geregelt. Die Prüfungsergebnisse dienen als Grundlage
für Entscheidungen der Kommunalaufsicht. Sie sollen den Kommunen Korrekturnotwendigkeiten der bisherigen Verwaltungspraxis und Erfolg versprechende Gestaltungsmöglichkeiten für die künftige Haushalts- und Wirtschaftsführung aufzeigen.
(6)
Aufgrund seiner breit gefächerten Aufgaben und begrenzten Personalressourcen
muss der Landesrechnungshof bei der Auswahl seiner Prüfungsvorhaben Prioritäten setzen.
Bei der Entscheidung über die Prüfungsplanung stützt sich der Landesrechnungshof auf alle
ihm zugänglichen Informationen. So bezieht er im Kommunalbereich auch die allgemeine
Haushaltslage der Kommunen in seine Überlegungen ein.
(7)
Den jeweils zuständigen Stellen wurde Gelegenheit gegeben, zum entsprechenden
Berichtsbeitrag eine Stellungnahme abzugeben. Erhebliche Einlassungen hat der Landesrechnungshof wiedergegeben und abschließend gewürdigt.2
2
2
Der Landesrechnungshof achtet auf eine gendergerechte Ausdrucksweise. Wegen der besseren Lesbarkeit
verzichtet er jedoch auf die gleichzeitige Verwendung geschlechterspezifischer Sprachformen. Die im Bericht
aufgeführten Personen- und Funktionsbezeichnungen gelten für alle Formen analog.
II.
Allgemeiner Teil
1
Lage der kommunalen Finanzwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern
(8)
Im folgenden Abschnitt wird zunächst die Finanzlage der kommunalen Ebene Meck-
lenburg-Vorpommerns insgesamt dargestellt. Daran schließt ein Überblick über die finanzielle Lage der kommunalen Gebietskörperschaften nach Ebenen an.
(9)
Das Innenministerium als oberste Rechtsaufsicht, das Finanzministerium sowie die
kommunalen Landesverbände wurden zum Entwurf des Allgemeinen Teils des Kommunalfinanzberichts angehört.
Das Finanzministerium und der Landkreistag Mecklenburg-Vorpommern haben auf eine
Stellungnahme verzichtet.
(10)
Abbildung 1 zeigt die bereinigten Einnahmen und Ausgaben sowie den Finanzie-
rungssaldo der Kommunen3 im Land.4 Der in der amtlichen statistischen Systematik dargestellte Finanzierungssaldo gibt einen ersten Einblick in die kommunale Haushaltslage im betrachteten Jahr. Dazu wird der Saldo aus bereinigten Einnahmen und Ausgaben gebildet.
Ein Finanzierungsdefizit ergibt sich, wenn die Ausgaben höher als die Einnahmen sind und
ein Finanzierungsüberschuss, sofern die Einnahmen die Ausgaben übersteigen.5
Abbildung 1: Bereinigte Einnahmen und Ausgaben sowie Finanzierungssaldo der Gemeinden/Gemeindeverbände Mecklenburg-Vorpommerns, 2011-2020, in Mio. Euro
2.000
5.600
Finanzierungssaldo
Bereinigte Einnahmen
Bereinigte Ausgaben
1.600
5.400
5.200
5.000
1.200
4.800
1.000
4.600
800
4.400
600
4.200
in Mio. Euro
1.400
400
200
259
2012
4.000
3.800
3.600
-7
-41
2011
135
9
0
-200
173
110
20
336
297
in Mio. Euro
1.800
3.400
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
2020
Quelle: Statistisches Bundesamt, GFK; eigene Berechnungen.
3
4
5
Kommunen und Gemeinden/Gemeindeverbände werden in diesem Abschnitt synonym behandelt.
Zu beachten ist, dass sich durch das Heranziehen anderer Datengrundlagen als der amtlichen Statistik auf grund unterschiedlicher Systematiken und Erhebungszeitpunkte die Finanzsituation der Kommunen geringfügig anders darstellen kann.
Die sogenannten besonderen Finanzierungsvorgänge, wie z. B. Krediteinnahmen oder Rücklagenentnahmen werden nicht berücksichtigt, da sie dem periodenübergreifenden Ausgleich des Haushalts dienen.
3
(11)
Die kommunale Ebene Mecklenburg-Vorpommerns schloss das Haushaltsjahr 2020
trotz des wirtschaftlichen Einbruchs im Zuge der Corona-Pandemie mit einem Finanzierungsüberschuss von rd. 336 Mio. Euro ab (+201 Mio. Euro, +148,2 % im Vergleich zum
Vorjahr). Damit stieg dieser auf einen neuen Höchststand.
(12)
Abbildung 2 zeigt, dass sich demgegenüber die Landesfinanzen 2020 deutlich ver-
schlechtert haben. Während das Land 2019 noch einen Überschuss von 88 Mio. Euro erwirtschaften konnte, hat es 2020 anders als die kommunale Ebene mit einem erheblichen Defizit
von 2,992 Mrd. Euro abgeschlossen.
Abbildung 2: Finanzierungssalden des Landes und der Gemeinden/Gemeindeverbände Mecklenburg-Vorpommerns, 2018-2020, in Mio. Euro
500
195
173
88
336
135
0
in Mio. Euro
-500
-1.000
Finanzierungssaldo Land
Finanzierungssaldo Kommunen
-1.500
-2.000
-2.500
-3.000
-2.992
-3.500
2018
2019
2020
Quelle: ZDL; eigene Berechnungen.
(13)
Hier zeigen sich die Folgen der Corona-Pandemie. Zum Ausgleich von Mindereinnah-
men und zur Finanzierung umfangreicher Sofort- und Hilfsprogramme hat das Land das
nicht rechtsfähige Sondervermögen MV-Schutzfonds errichtet und mit 2,85 Mrd. Euro vollständig kreditfinanziert. Die (haushalterische) Zuführung zum Sondervermögen führt zu einer
Belastung des Finanzierungssaldos in derselben Höhe, weil nach der amtlichen Abgrenzung
des Finanzierungssaldos die Krediteinnahmen als besondere Finanzierungsvorgänge nicht
berücksichtigt werden.6
(14)
Tabelle 1 zeigt, dass für die Kommunen im MV-Schutzfonds für 2020 und 2021 Maß-
nahmen von insgesamt 397,2 Mio. Euro vorgesehen sind:
6
4
Vgl. Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern (2021): Jahresbericht 2021 (Teil 1) – Landesfinanzbericht 2021, S. 8 ff.
Tabelle 1:
Maßnahmenbudget MV-Schutzfonds Bereich G – Kommunen, 2020-2021, in Mio. Euro
2020
2021
2020/2021
in Mio. Euro
G1
Finanzausstattung Kommunen
60,0
102,5
162,5
davon:
Gewerbesteuerkompensation (Land)
60,0
Aufstockung Schlüsselzuweisungen
35,5
Gewerbesteuerkompensation
67,0
G2
Breitbandausbau
G3
ÖPNV
G4
Städtebau
G5
Re-Start lebendige Innenstädte
Insgesamt
200,0
200,0
22,2
22,2
2,5
2,5
84,7
10,0
10,0
312,5
397,2
Quelle: Finanzministerium; eigene Berechnungen.
Darunter sind 2020 u. a. 60 Mio. Euro für den hälftig von Bund und Land finanzierten pauschalen Ausgleich von Gewerbesteuermindereinnahmen. 7 Insgesamt haben die Kommunen
insoweit für die in 2020 erwarteten Gewerbesteuermindereinnahmen einen pauschalen Ausgleich von 120 Mio. Euro erhalten. Da die Gewerbesteuereinnahmen im Ergebnis nur um 39
Mio. Euro sanken, führte dies zu einer Überkompensation bzw. zu einer Erhöhung der kommunalen Finanzausstattung um rd. 81 Mio. Euro (vgl. Tabelle 2).
(15)
2021 werden die Kommunen pauschal 67 Mio. Euro für den Ausgleich möglicher Ge-
werbesteuermindereinnahmen aus dem MV-Schutzfonds erhalten. Mit Blick auf das Gewerbesteueraufkommen 2019 in Höhe von 525 Mio. Euro und die in der Mai-Steuerschätzung
prognostizierten Gewerbesteuereinnahmen 2021 von rd. 528 Mio. Euro wird dies zu einer
weiteren Überkompensation führen.
(16)
Das Innenministerium führt aus, dass die pauschalen Ausgleichszahlungen für Ge-
werbesteuermindereinnahmen 2020 bei einigen Gemeinden nicht ausgereicht hätten, die
Gewerbesteuerausfälle zu kompensieren. Bei anderen Gemeinden hätten die Ausgleichszahlungen hingegen zu einer Überkompensation geführt. Durch die Berücksichtigung der
Ausgleichszahlungen bei der Berechnung der Schlüsselzuweisungen im FAG M-V würde
die Über- als auch Unterkompensation aufgefangen.
(17)
Der Landesrechnungshof weist darauf hin, dass es im Ergebnis bei der dargestellten
Überkompensation bzw. Erhöhung der kommunalen Finanzausstattung bleibt. Daran ändert
auch die Berücksichtigung der Ausgleichszahlungen bei der Berechnung des kommunalen
Finanzausgleichs für die Folgejahre nichts. Im Übrigen deuten die Schilderungen des Innen-
7
Vgl. BR-Drs. 364/20.
5
ministeriums darauf hin, dass der Verteilungsmechanismus bislang möglicherweise nicht
hinreichend feinjustiert war.
(18)
Im Ergebnis hat das Land die Kommunen auf seine Kosten kreditfinanziert vor Min-
dereinnahmen bewahrt, obwohl es selbst erhebliche Mindereinnahmen hatte. Nach der Ausgleichslogik des kommunalen Finanzausgleichs über den Gleichmäßigkeitsgrundsatz wäre
es jedoch sachgerecht gewesen, die Steuermindereinnahmen beider Ebenen zu berücksichtigen und daran anschließend einen Ausgleich herbeizuführen.
Land und Kommunen sollten die etablierten und regelgebundenen Systeme wieder wie vorgesehen nutzen. Gesonderte Absprachen, die diese umgehen, sollten vermieden werden.
(19)
Nicht nur die über Jahre gewachsenen und vergleichsweise sehr hohen Zahlungen
des Landes an die kommunale Ebene bieten Anlass, die Aufgaben- und damit auch die Ausgabenstrukturen zu hinterfragen, sondern auch das Ergebnis der Landesebene. 8 Um die finanziellen Spielräume des Landes zu erhalten, ist aus Sicht des Landesrechnungshofes die
Aufgabenverteilung zwischen Land und Kommunen in den Blick zu nehmen und (regelmäßig) zu überprüfen.
(20)
Tabelle 2 zeigt Eckdaten zu den kommunalen Einnahmen und Ausgaben Mecklen-
burg-Vorpommerns für die Jahre von 2016 bis 2020. 2020 betrugen die bereinigten Einnahmen 5,574 Mrd. Euro (+641 Mio. Euro, +13,0 %). Die bereinigten Ausgaben beliefen sich auf
5,239 Mrd. Euro (+441 Mio. Euro, +9,2 %). Damit stiegen die bereinigten Einnahmen 2020
stärker als die bereinigten Ausgaben.
(21)
Die Einnahmen der laufenden Rechnung betrugen im Berichtszeitraum 4,817 Mrd.
Euro (+393 Mio. Euro, +8,9 %). Auch die Einnahmen der Kapitalrechnung sind gegenüber
dem Vorjahr gestiegen. Sie beliefen sich 2020 auf 757 Mio. Euro (+248 Mio. Euro, +48,9 %).
8
6
Vgl. Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern (2021): Jahresbericht 2021 (Teil 1) – Landesfinanzbericht 2021, S. 23 f.
Tabelle 2:
Einnahmen und Ausgaben der Gemeinden/Gemeindeverbände in Mecklenburg-Vorpommern, 2016-2020, in Mio. Euro
2016
2017
2018
2019
2020
in Mio. Euro
1. Einnahmen laufende Rechnung
2016-2020
2019-2020
Veränderung in %
4.144
4.191
4.329
4.424
4.817
16,2%
8,9%
-2,2%
darunter:
Steuern u. steuerähnliche Einnahmen
1.149
1.228
1.306
1.346
1.317
14,6%
Grundsteuer A + B
189
193
197
199
203
7,4%
1,9%
Gewerbesteuer (netto)
472
507
535
525
486
3,1%
-7,4%
399
419
447
483
481
20,4%
-0,5%
Zuweisungen vom Land
Gemeindeanteil Einkommensteuer
2.221
2.157
2.217
2.255
2.741
23,4%
21,6%
Zuweisungen vom Bund
41
34
21
24
22
-45,0%
-7,1%
261
262
265
269
254
-2,9%
-5,8%
2. Einnahmen der Kapitalrechnung
354
363
368
509
757
113,9%
48,9%
darunter:
Zuweisungen und Zuschüsse für Investitionen vom Land
Erlöse aus Vermögensveräußerungen
260
246
257
347
518
99,2%
49,3%
48
79
60
62
58
21,4%
-5,5%
4.498
4.554
4.697
4.933
5.574
23,9%
13,0%
3.853
3.852
3.955
4.114
4.365
13,3%
6,1%
Personalausgaben
1.015
1.038
1.074
1.117
1.162
14,5%
4,0%
Laufender Sachaufwand
1.037
1.024
1.026
1.061
1.015
-2,1%
-4,3%
Lfd. Zuweisungen und Zuschüsse
1.039
1.093
1.186
1.297
1.816
74,8%
40,0%
38
31
29
22
19
-49,3%
-14,0%
1.318
1.289
1.283
1.299
1.246
-5,4%
-4,1%
386
405
570
684
873
126,5%
27,7%
Sachinvestitionen
366
391
522
602
792
116,5%
31,5%
Baumaßnahmen
Zuweisungen und Zuschüsse für Investitionen
227
260
337
408
478
110,9%
17,0%
17
26
18
58
79
373,7%
35,4%
4.239
4.257
4.525
4.798
5.239
23,6%
9,2%
290
339
374
310
452
55,5%
45,6%
138
134
123
108
116
-16,5%
7,0%
181
153
145
128
127
-29,3%
-0,6%
1.725
1.611
1.486
1.455
1.361
-21,1%
-6,5%
590
495
394
381
300
-49,1%
-21,2%
259
297
173
135
336
29,7%
148,2%
Gebühren, sonstige Entgelte
3. Bereinigte Einnahmen (1. + 2.)
4. Ausgaben laufende Rechnung
darunter:
Zinsausgaben
Sozialausgaben*
5. Ausgaben der Kapitalrechnung
darunter:
6. Bereinigte Ausgaben (4. + 5.)
Saldo der laufenden Rechnung
Schuldenaufnahme
beim nicht-öffentlichen Bereich
Schuldentilgungen
beim nicht-öffentlichen Bereich
Schulden beim nicht-öffentlichen Bereich**
darunter:
Kassenkredite
7. Finanzierungssaldo (3. ./. 6.)
Quelle: Statistisches Bundesamt, GFK und Fachserie 14 Reihe 5; Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern, Kassenstatistik;
eigene Berechnungen.
* Ohne die Aufwendungen der Optionskommune(n) für Grundsicherung für Arbeitssuchende, die der Bund trägt.
** Kassenkredite, Wertpapierschulden und Kredite.
Die Angaben für „Laufenden Sachaufwand“ und „Sachinvestitionen“ wurde für 2016 nach Maßgabe des Statistischen Amtes korrigiert.
7
(22)
Auf der Einnahmenseite veränderten sich gegenüber 2019 insbesondere
•
die Steuern und steuerähnlichen Einnahmen (-29 Mio. Euro, -2,2 %),
•
die Zuweisungen vom Land (+486 Mio. Euro, +21,6 %) sowie
•
die Zuweisungen und Zuschüsse für Investitionen vom Land (+171 Mio. Euro,
+49,3 %).
Aus Gebühren und Entgelten haben die Kommunen 2020 weniger als noch 2019 vereinnahmt (-15 Mio. Euro, -5,8 %). Auslöser ist im Wesentlichen die ab dem 1. Januar 2020 beitragsfreie Kindertagesförderung.
Bei den Steuern und steuerähnlichen Einnahmen sind insbesondere die Gewerbesteuereinnahmen gegenüber dem Vorjahr gesunken (-39 Mio. Euro, -7,4 %). Hier spiegelt sich der
Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) 2020 wider (vgl. Abbildung 3).
Abbildung 3: BIP-Veränderung gegenüber dem Vorjahr (preisbereinigt), 2005-2020, in %
8,0
1,3
0,6
2,7
4,0
2,6
2,2
1,4
1,5
0,3
0,4
0,2
0,4
2,3
2,2
3,1
3,9
4,2
1,0
1,0
0,9
0,7
-4,0
D
MV
-5,7
-6,0
-4,9
-3,2
-1,5
-1,2
-2,0
-0,5
0,0
-0,4
in %
2,0
2,1
4,0
3,0
3,4
3,8
6,0
-8,0
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020
Quelle: Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern; eigene Berechnungen.
(23)
Preisbereinigt ging das BIP um 3,2 % zurück (Deutschland: -4,9 %). Einen derartigen
Einbruch hat es in Mecklenburg-Vorpommern seit dem Bestehen des Landes noch nicht gegeben. Gemessen daran fiel die BIP-Veränderung in der Banken- und Wirtschaftskrise 2009
moderat aus (-1,2 %).
(24)
Zurückzuführen ist der erhebliche Anstieg von 471 Mio. Euro bei den laufenden Ein-
nahmen mit Blick auf das Vorjahr auf
•
den Finanzausgleich zwischen Land und Kommunen, der durch das Finanzausgleichsgesetz Mecklenburg-Vorpommern (FAG M-V) geregelt wird,
•
die Kompensation von Gewerbesteuermindereinnahmen der Gemeinden durch den
Bund und das Land (Gewerbesteuerkompensation) und
8
•
die höhere Beteiligung des Bundes an den Ausgaben für die Leistungen für Unterkunft und Heizung (KdU) nach § 22 Absatz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Abbildung 4 stellt die wesentlichen Ursachen dar.
Abbildung 4:
Aufteilung des Niveauunterschieds bei den Einnahmen, 2019-2020 nach Maßnahmen,
in Mio. Euro
120
Einnahmezuwachs von insgesamt
+ 471 Mio. Euro durch folgende
Ursachen:
FAG M-V
KdU
281
70
Gewerbesteuerkompensation
Quelle: Finanzministerium; eigene Darstellung.
(25)
Besonders auffällig sind die gestiegenen Finanzausgleichsleistungen, die durch das
FAG M-V ausgereicht werden. Hintergrund sind die im Zuge der Neuregelung der BundLänder-Finanzbeziehungen gestiegenen Landeseinnahmen, an denen die Kommunen mit
der in § 6 FAG M-V festgelegten Beteiligungsquote direkt teilhaben.
(26)
Zu beachten ist allerdings, dass die Finanzausgleichsleistungen gemäß § 11 Abs. 1
FAG M-V zunächst nach den Ansätzen im Landeshaushaltsplan und den geschätzten Steuereinnahmen der Gemeinden vorläufig errechnet und ausgereicht werden. Die endgültigen
Finanzausgleichsleistungen werden nach dem Ende des jeweiligen Haushaltsjahres festgesetzt. Sowohl das Land als auch die Kommunen waren im Zuge der Corona-Pandemie
2020 von Mindereinnahmen betroffen. Diese fielen auf Seiten des Landes (relativ) stärker
aus als bei den Kommunen. Gegenüber dem Soll 2020 wurden beim Land z. B. aus Steuern, LFA und BEZ rd. 360 Mio. Euro weniger vereinnahmt.
Im Zuge dessen ist zu erwarten, dass die endgültigen Finanzausgleichsleistungen niedriger
ausfallen werden als die vorläufigen. Der Differenzbetrag ist nach § 11 Abs. 4 FAG M-V zugunsten des Landes der Finanzausgleichsmasse zu entnehmen. Der Landesrechnungshof
erwartet, dass diesem regelgebundenen System Rechnung getragen wird.
9
(27)
Seit dem 1. Januar 2020 gilt das neu gefasste FAG M-V. Der horizontale Ausgleichs-
mechanismus wurde hierbei vollständig überarbeitetet und statistisch fundiert. Die Entwicklung der Zahlungen des Landes an die kommunale Ebene zeigt Abbildung 5.
Abbildung 5:
Zahlungen des Landes an die Gemeinden/Gemeindeverbände, 2014-2020, in Mio. Euro
3.500
518
3.260
3.000
843
347
362
403
707
358
630
2014
2015
2016
2017
2018
2019
Investitionszuweisungen
Schuldendiensthilfen; Zinseinnahmen vom
Land
Zuweisungen für laufende Zwecke
Erstattung von Ausgaben für staatliche
Aufgaben
Sonstige allgemeine Zuweisungen
Bedarfszuweisungen
Schlüsselzuweisungen
Ausgleichsleistungen
Zahlungen vom Land insgesamt
964
678
356
308
623
308
257
246
557
466
615
320
542
500
628
319
311
2.475
600
500
2.603
2.403
592
1.000
398
1.500
334
248
2.300
518
264
520
2.000
294
in Mio. Euro
2.194
260
2.481
2.500
0
2020
Quelle: Statistisches Bundesamt, GFK; eigene Berechnungen.
(28)
Auffällig ist zum einem das betragsmäßig gestiegene Zuweisungsniveau 2020 gegen-
über dem Vorjahr. 2020 haben die Kommunen insgesamt rd. 657 Mio. Euro mehr erhalten
als noch 2019. Dies liegt zum einen – wie bereits zuvor dargelegt – an der Neuordnung der
Bund-Länder-Finanzbeziehungen mit gestiegenen Landeseinnahmen, an denen die Kommunen über das FAG M-V mittelbar partizipieren. Zum anderen machen sich 2020 bspw. auch
höhere Investitionszuweisungen bemerkbar (+171 Mio. Euro). Hier ist der Breitbandausbau
maßgeblich. Positiv zu werten ist, dass die Schlüsselzuweisungen, die finanzkraftabhängig
gewährt werden, deutlich gestiegen sind (+334 Mio. Euro). Sie stehen den Kommunen als
allgemeine Deckungsmittel zur Verfügung.
(29)
Der Landesrechnungshof hat zuletzt im Kommunalfinanzbericht 2020 darauf hinge-
wiesen, dass die Zahlungen des Landes im Ländervergleich auffällig hoch sind. 9 Mit diesen
vergleichsweise hohen Zahlungen gleicht das Land nicht nur die aufgrund der wirtschaftlichen Schwäche der Kommunen geringeren Steuereinnahmen aus, sondern überkompensiert diese (vgl. Tz. 14). Die Wirtschaftsschwäche der Kommunen im Land ist nach wie vor
ein gravierendes Problem. Aus Sicht des Landesrechnungshofes fehlt es an einem Konzept,
wie dieses Problem gelöst werden kann.
9
10
Vgl. Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern (2020): Jahresbericht 2020 (Teil 2) – Kommunalfinanzbericht 2020, S. 17.
(30)
Tabelle 2 zeigt neben der Einnahmenseite auch die Ausgabenseite für 2020. Die
Ausgaben der laufenden Rechnung beliefen sich im Berichtszeitraum auf rd. 4,365 Mrd.
Euro (+251 Mio. Euro, +6,1 %). Die Ausgaben der Kapitalrechnung betrugen 2020 in Mecklenburg-Vorpommern rd. 873 Mio. Euro (+189 Mio. Euro, +27,7%).
(31)
Auf der Ausgabenseite veränderten sich vor allem
•
die Personalausgaben (+45 Mio. Euro, +4,0 %),
•
die laufenden Zuweisungen und Zuschüsse (+597 Mio. Euro, +40,0 %) und
•
die Sachinvestitionen (+190 Mio. Euro, +31,5 %).
Die deutlich gestiegenen laufenden Zuweisungen und Zuschüsse stehen mit der Novellierung des KiföG M-V in Zusammenhang. Die höheren Sachinvestitionsausgaben beruhen
u. a. auf dem Breitbandausbau.
(32)
Die Kassenkredite beim nicht-öffentlichen Bereich10 betrugen mit Stand 31. Dezem-
ber 2020 rd. 300 Mio. Euro (-81 Mio. Euro, -21,2 %). Damit sind die nur zur Überbrückung
von Liquiditätsengpässen vorgesehenen Kredite in Mecklenburg-Vorpommern weiterhin
rückläufig (vgl. Tzn. 82 ff.). Positiv ist festzuhalten, dass sich der Kassenkreditbestand seit
2016 nahezu halbiert hat. Dies steht auch im Einklang mit den hohen Finanzierungsüberschüssen seit 2015.
Tabelle 2 zeigt auch die Schuldenaufnahme und Schuldentilgungen beim nicht-öffentlichen
Bereich. 2020 wurden Schulden in Höhe von 127 Mio. Euro getilgt (-1 Mio. Euro, -0,6 %).
Die Schuldenaufnahme betrug 116 Mio. Euro (+8 Mio. Euro, + 7,0 %). Damit wurden wie in
den letzten Jahren mehr Schulden getilgt als aufgenommen. Betragsmäßig unterscheiden
sich die beiden Positionen auch mit Blick auf die Vorjahre vergleichsweise wenig. Schuldentilgungen belasten demnach die Finanzsituation nicht (vgl. dazu auch Tzn. 52 ff.).
(33)
Abbildung 6 zeigt neben dem Saldo der laufenden Rechnung auch den Saldo der
Kapitalrechnung ab 2016. Ein Überschuss in der laufenden Rechnung macht deutlich, dass
die laufenden Einnahmen zur Deckung der laufenden Ausgaben ausgereicht haben. Dieser
steht unter Berücksichtigung der planmäßigen Tilgung für Investitionen und/oder des Ausgleichs negativer Salden der laufenden Rechnung aus vergangenen Jahren bzw. zur (außerplanmäßigen) Schuldentilgung zur Verfügung. Ein negativer Saldo der Kapitalrechnung
zeigt, dass die Kommunen aus eigener Kraft investiert haben.
10
Der nicht-öffentliche Bereich umfasst Kreditinstitute sowie den sonstigen inländischen Bereich und den sonstigen ausländischen Bereich. Zum öffentlichen Bereich zählen der Bund, die Länder, Gemeinden/Gemeindeverbände, Zweckverbände und dergleichen, die gesetzliche Sozialversicherung, verbundene Unternehmen,
Beteiligungen und Sondervermögen sowie die sonstigen öffentlichen Sonderrechnungen.
11
Abbildung 6:
Finanzierungssaldo, Saldo der Kapitalrechnung und Saldo der laufenden Rechnung der
Gemeinden/Gemeindeverbände Mecklenburg-Vorpommerns, 2016-2020, in Mio. Euro
500
400
336
452
-175
-202
-100
Finanzierungssaldo
Saldo der Kapitalrechnung
Saldo der laufenden Rechnung
-11 6
135
173
310
374
297
339
-42
0
259
100
290
200
-32
in Mio. Euro
300
-200
-300
2016
2017
2018
2019
2020
Quelle: Statistisches Bundesamt, GFK; eigene Darstellung.
Seit 2016 konnten die Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern einen hohen Überschuss in
der laufenden Rechnung erzielen. 2020 lag dieser bei 452 Mio. Euro. Die Kommunen nutzten dies u. a. um zu investieren. So erhöhten die Kommunen ihre Sachinvestitionsausgaben
gegenüber dem Vorjahr um weitere 190 Mio. Euro auf 792 Mio. Euro. Positiv dabei ist, dass
Investitionen aus eigener Kraft möglich waren. Dies zeigen die teils hohen negativen Salden
der Kapitalrechnung von 2018 bis 2020. Für 2020 muss allerdings festgehalten werden,
dass die Investitionen aus eigener Kraft gegenüber dem Vorjahr gesunken sind.
Das Innenministerium trägt vor, dass die Eigenfinanzierungskraft der Kommunen u. a. aufgrund der statistischen Erfassung von Zuweisungen für Infrastruktur (§ 23 FAG M-V) und
Übergangszuweisungen an kreisangehörige zentrale Orte (§ 24 FAG M-V) unterzeichnet sei.
Diese Zuweisungen seien zwar richtigerweise als Investitionszuweisungen vom Land verbucht worden. Da sie über das FAG M-V ausgereicht würden, seien sie aber prinzipiell als
allgemeine Deckungsmittel anzusehen.
Die Ausführungen des Innenministeriums stehen der vom Landesrechnungshof beschriebenen Tendenz nicht entgegen.
(34)
Tabelle 3 weist u. a. die seit dem Berichtsjahr 2017 vom Statistischen Amt angebote-
ne Position „Planmäßige Tilgung“ aus. Wird die planmäßige Tilgung von dem Saldo der laufenden Rechnung abgezogen, bleibt es in den dargestellten Jahren stets bei einem deutlichen Überschuss, den die Kommunen für Investitionen und/oder den Ausgleich negativer
Salden der laufenden Rechnung aus vergangenen Jahren bzw. zur (außerplanmäßigen)
Schuldentilgung nutzen konnten. Diese freien Mittel erreichten im Jahr 2020 ihren Höchststand mit 336 Mio. Euro.
12
Tabelle 3:
Planmäßige Tilgung und Saldo der laufenden Rechnung der Gemeinden/Gemeindeverbände Mecklenburg-Vorpommerns, 2017-2020, in Mio. Euro
2017
2018
2019
2020
in Mio. Euro
1.
Saldo der laufenden Rechnung
339
374
310
452
2.
Planmäßige Tilgung
116
129
121
116
Freie Mittel
223
245
189
336
Quelle: Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern; eigene Berechnungen.
(35)
Abbildung 7 stellt die finanzwirtschaftliche Entwicklung der kommunalen Gebiets-
körperschaften in Mecklenburg-Vorpommern seit 2018 nach Ebenen dar. Im Betrachtungszeitraum von 2018 bis 2020 wiesen alle kommunalen Ebenen jeweils positive Pro-Kopf-Finanzierungssalden aus. In der Ebenenbetrachtung sind allerdings teils deutliche Niveauunterschiede zu erkennen.
Abbildung 7: Finanzierungssaldo der kommunalen Gebietskörperschaften in Mecklenburg-Vorpommern, 2018-2020, in Euro je Einwohner11
320
2018
280
2019
190
197
206
43
31
21
2
4
0
2
22
40
66
112
100
59
80
83
54
80
62
120
103
160
81
in Euro je EW
200
206
2020
240
Kommunaler Gesamthaushalt
Kreisangehörige Städte u.
... davon amtsangehörige
Kreisverwaltungen
Gemeinden
Städte u. Gemeinden
Kreisfreie Städte
... davon amtsfreie Städte u.
Amtsverwaltungen
Gemeinden
Quelle: Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern; eigene Berechnungen.
(36)
Die beiden kreisfreien Städte erzielten 2020 einen positiven Pro-Kopf-Finanzierungs-
saldo von insgesamt 54 Euro (2019: 83 Euro).
Die 724 kreisangehörigen Städte und Gemeinden haben das Jahr 2020 mit einem einwohnerbezogenen Überschuss von 197 Euro abgeschlossen. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich
dieser deutlich um 138 Euro erhöht und sich mehr als verdreifacht. Bei der Unterkategorie
der amtsangehörigen Städte und Gemeinden fällt der Zuwachs wesentlich deutlicher aus.
Der Pro-Kopf-Überschuss im Vergleich zum Vorjahr stieg um 184 Euro auf 206 Euro und
11
Zu beachten ist, dass sich die einwohnerbezogenen Finanzierungssalden der kreisfreien Städte und des
kreisangehörigen Raums nicht zum Finanzierungssaldo des kommunalen Gesamthaushaltes addieren lassen, da nicht die gleiche Basis verwendet wird.
13
betrug somit mehr als das Neunfache. Bei den amtsfreien Städten und Gemeinden stieg der
Überschuss um 78 Euro auf 190 Euro je Einwohner.
Auch die 76 Amtsverwaltungen und 6 Kreisverwaltungen erzielten 2020 in der Ebenenbetrachtung wieder Überschüsse. Wegen ihrer Finanzierung über Umlagen fallen diese vergleichsweise niedrig aus.
(37)
Abbildung 8 zeigt, dass 2020 die beiden kreisfreien Städte einen Überschuss erwirt-
schaften konnten. Während dieser mit 7 Euro je Einwohner bei der Hansestadt Rostock im
Gegensatz zum Vorjahr mit 164 Euro je Einwohner deutlich geringer ausfiel, verbesserte
sich das Ergebnis der Landeshauptstadt Schwerin gegenüber dem Vorjahr merklich. Das
Jahr 2019 schloss die Landeshauptstadt mit einem Defizit von 92 Euro je Einwohner. 2020
erreichte sie einen Überschuss von 155 Euro je Einwohner.
(38)
2020 haben erneut nicht alle Landkreise einen Überschuss erzielen können. Die
Landkreise Ludwigslust-Parchim (-2 Euro je Einwohner) und Rostock (-12 Euro je Einwohner) lagen im Minus. Die Pro-Kopf-Ergebnisse liegen insgesamt in einem Band von -2 bis
103 Euro je Einwohner. Damit ist die im letzten Jahr festgestellte Spreizung von 116 Euro
bei den Pro-Kopf-Ergebnissen nahezu unverändert geblieben. Sie liegt 2020 bei 115 Euro je
Einwohner.
Abbildung 8: Finanzierungssalden der Landkreise (Kreisverwaltungen) und kreisfreien Städte, 20182020, in Euro je Einwohner
480
2018
2019
2020
155
19
55
83
103
50
35
57
58
43
-5
-12
-10
-92
-51
-35
-33
-20
-120
41
65
3
7
80
-2
180
164
280
106
in Euro je EW
380
-220
HRO
LH SN
NWM
LUP
LRO
VR
MSE
VG
Quelle: Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern; eigene Berechnungen.
(39)
Abbildung 9 zeigt die Finanzlage der kreisangehörigen Städte und Gemeinden12 in
Mecklenburg-Vorpommern nach Gemeindegrößenklassen.
12
14
Zur besseren Lesbarkeit werden die kreisangehörigen Städte und Gemeinden bei der hier durchgeführten
Betrachtung in der Regel als Gemeinden bezeichnet.
Mit Blick auf das Jahr 2020 ist positiv anzumerken, dass in sämtlichen Größenklassen ein
Überschuss festzustellen ist.
2018
2019
213
250
2020
150
23
16
32
57
61
50
50
38
100
87
93
115
150
35
in Euro je EW
200
159
300
261
277
287
Abbildung 9: Finanzierungssaldo der kreisangehörigen Städte und Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern nach Größenklassen, 2018-2020, in Euro je Einwohner
0
-40
-50
-100
unter 500
500-999
1.000-4.999
5.000-9.999
10.000-19.999
20.000 und mehr
Quelle: Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern; eigene Berechnungen.
(40)
In der Größenklasse unter 500 Einwohner liegen 246 Gemeinden. 2020 wiesen 205
Gemeinden (83,3 %) einen Überschuss auf. Insgesamt belief sich dieser auf durchschnittlich 277 Euro je Einwohner. Im Vorjahr lag er wesentlich niedriger bei 38 Euro je Einwohner.
Das Pro-Kopf-Ergebnis lag in dieser Klasse zwischen -3.252 Euro und 3.067 Euro. Die
Spannweite betrug damit 6.319 Euro.
(41)
241 Gemeinden befinden sich in der Größenklasse von 500 bis 999 Einwohner. Bei
198 Gemeinden (82,2 %) war 2020 ein Überschuss zu verzeichnen. Insgesamt erreichten
die Gemeinden in dieser Klasse einen Überschuss von durchschnittlich 287 Euro je Einwohner. Das höchste einwohnerbezogene Defizit lag bei -1.813 Euro, der höchste Überschuss
belief sich auf 7.343 Euro. Die Spannweite betrug somit 9.157 Euro.
(42)
Die Größenklasse von 1.000 bis 4.999 Einwohner umfasst 188 Gemeinden, davon
152 (80,9 %) mit einem Überschuss. 2020 konnte ein Plus von durchschnittlich 213 Euro je
Einwohner erzielt werden. Die Pro-Kopf-Ergebnisse liegen zwischen -1.844 Euro und
1.591 Euro. Dementsprechend betrug die Spannweite 3.435 Euro.
(43)
Die Größenklasse von 5.000 bis 9.999 Einwohner beinhaltet 31 Gemeinden. Bei 20
Gemeinden (64,6 %) war ein Überschuss festzustellen. In dieser Größenklasse wurde ein
Überschuss von durchschnittlich 87 Euro je Einwohner erwirtschaftet. Das Pro-Kopf-Ergebnis bewegt sich in dieser Klasse zwischen -937 Euro und 991 Euro und in einer Spannweite
von 1.928 Euro.
15
(44)
In der Größenklasse von 10.000 bis 19.999 Einwohner liegen elf Gemeinden. Bei
acht Gemeinden (72,7 %) war ein Überschuss zu verzeichnen. Dieser belief sich durchschnittlich auf 23 Euro je Einwohner. Das höchste Defizit betrug -506 Euro, der höchste
Überschuss 387 Euro. Dies ergibt eine Spannweite von 893 Euro.
(45)
Sieben Städte befinden sich in der Größenklasse von 20.000 und mehr Einwohner.
2020 betrug deren Überschuss durchschnittlich 261 Euro je Einwohner. Alle Städte wiesen
Überschüsse auf. Der niedrigste Überschuss betrug 29 Euro je Einwohner. Der Spitzenwert
lag bei 740 Euro je Einwohner, insoweit belief sich die Spannweite auf 711 Euro.
(46)
Zusammenfassend verdeutlicht Abbildung 10, dass fast in jeder Größenklasse der
weit überwiegende Teil der Städte und Gemeinden Überschüsse erwirtschaften konnte. Weiterhin ist ersichtlich, dass weniger als 20 % aller Gemeinden 2020 ein Defizit ausweisen
mussten.
Abbildung 10: Anteil der kreisangehörigen Städte und Gemeinden nach Größenklassen mit Finanzierungsüberschüssen und -defiziten, 2020, in %
100
90
Überschuss
Defizit
80
70
in %
60
65
83
82
81
74
50
81
100
40
30
20
10
35
17
18
19
unter 500
500-999
1.000-4.999
27
19
0
5.000-9.999
10.000-19.99920.000 und mehr
Insgesamt
Quelle: Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern; eigene Berechnungen.
Abbildung 11 zeigt, wie sich der Anteil der kreisangehörigen Städte und Gemeinden nach
Größenklassen mit Finanzierungsüberschüssen im Zeitverlauf entwickelt hat.
In den letzten Jahren lag mit einer Ausnahme der Anteil der kreisangehörigen Städte und
Gemeinden mit einem Überschuss immer über 50 %. Mit Blick auf das Jahr 2016 ist zudem
in jeder Größenklasse der Anteil mit kreisangehörigen Städten und Gemeinde mit einem
Überschuss gestiegen. Dies steht im Einklang mit den in dieser Zeit insgesamt erreichten
Überschüssen (vgl. Abbildung 1).
16
Abbildung 11: Anteil der kreisangehörigen Städte und Gemeinden mit Finanzierungsüberschüssen
nach Größenklassen, 2016-2020, in %
100
90
80
70
in %
60
50
40
30
20
10
0
2016
unter 500
500-999
1.000-4.999
5.000-9.999
10.000-19.999
20.000 und mehr
2017
2018
2019
2020
Quelle: Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern; eigene Berechnungen.
(47)
Wie zuvor dargestellt ist die Spannweite zwischen dem niedrigsten und höchsten
Pro-Kopf-Ergebnis teilweise trotz der insgesamt guten Finanzlage groß. 2020 war sie in der
Gemeindegrößenklasse von 500 bis unter 1.000 Einwohner mit 9.157 Euro am höchsten.
2019 lag die größte Spannweite bei 11.959 Euro in der Größenklasse von unter 500 Einwohner.
(48)
Im Folgenden wird für jede Gemeindegrößenklasse gezeigt, welche Auswirkungen
sich ergeben, wenn die 5 % höchsten Finanzierungsdefizite bzw. -überschüsse bei der Betrachtung außen vor bleiben. Die Finanzierungssalden der am oberen bzw. unteren Rand
liegenden Gemeinden der jeweiligen Größenklasse (nachfolgend auffällige Gemeinden)
werden damit nicht in die Berechnung einbezogen.
Der durchschnittliche Finanzierungssaldo je Größenklasse wird in der Folge nicht mehr aus
allen Werten einer Größenklasse berechnet, sondern nur noch aus denjenigen, die in einem
90 %-Korridor aller Gemeinden liegen. 13 Dieses Band hat sich als zielführend erwiesen, weil
damit der weit überwiegende Teil der auffälligen Gemeinden identifiziert werden kann.
(49)
Tabelle 4 zeigt, wie sich der Ausschluss der 5 %-Ränder in der jeweiligen Größen-
klasse auf den Finanzierungssaldo und die Spannweite (jeweils in Euro je Einwohner) in
den Jahren 2019 und 2020 auswirkt.
13
Vgl. dazu auch Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern (2020): Jahresbericht 2020 (Teil 2) – Kommunalfinanzbericht 2020, Fn. 10.
17
Tabelle 4:
Finanzsituation der kreisangehörigen Städte und Gemeinden, 2019 und 2020
Gemeindegrößenklassen (Einwohner)
unter 500
Anzahl Gemeinden
Einwohnerzahl
500-999
1.000-4.999
5.000-9.999
10.00019.999
20.000 und
mehr
2019
245
241
188
30
12
7
2020
246
241
188
31
11
7
2019
81.495
170.649
377.404
214.966
149.621
295.265
2020
82.127
171.404
404.622
212.864
139.230
294.845
Finanzsituation der Gemeindegrößenklassen (alle Gemeinden)
Finanzierungssaldo
(in Euro/EW)
Spannweite (in Euro/EW)
2019
38
115
16
-40
57
159
2020
277
287
213
87
23
261
2019
11.959
7.517
2.677
1.336
506
304
2020
6.319
9.157
3.435
1.928
893
769
Finanzsituation der Gemeindegrößenklassen (ohne auffällige Gemeinden)
Anzahl auffälliger
Gemeinden
2019
Finanzierungssaldo
(in Euro/EW)
Spannweite (in Euro/EW)
26
26
20
4
2
2
2019
68
100
47
-33
58
123
2020
281
256
212
88
41
144
2019
1.140
1.408
1.246
919
330
193
2020
1.503
1.419
1.132
1.171
569
230
2020
Quelle: Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern; eigene Berechnungen.
In der Größenklasse
•
unter 500 Einwohner erhöht sich 2020 der Finanzierungssaldo auf durchschnittlich
281 Euro und die Spannweite verringert sich massiv auf 1.503 Euro,
•
von 500 bis unter 1.000 Einwohner sinkt der Finanzierungssaldo 2020 auf durchschnittlich 256 Euro und die Spannweite verringert sich massiv auf 1.419 Euro,
•
von 1.000 Einwohner bis unter 5.000 Einwohner sinkt der Finanzierungssaldo 2020
minimal auf durchschnittlich 212 Euro und die Spannweite verringert sich deutlich
auf 1.132 Euro,
•
von 5.000 bis unter 10.000 Einwohner verbessert sich der Finanzierungssaldo
2020 minimal auf durchschnittlich 88 Euro und die Spannweite verringert sich auf
1.171 Euro,
•
von 10.000 Einwohner bis unter 20.000 Einwohner steigt der Finanzierungssaldo
2020 auf 41 Euro und die Spannweite verringert sich auf 569 Euro und
•
über 20.000 Einwohner sinkt der Finanzierungssaldo 2020 auf durchschnittlich
144 Euro und die Spannweite verringert sich deutlich auf 230 Euro.
Damit deckt sich die für 2020 aufgezeigte Entwicklung fast ausnahmslos mit der Entwicklung
für 2019. Lediglich in der Größenklasse von 1.000 bis unter 5.000 Einwohner ist der Finanzierungssaldo anders als noch im Vorjahr 2020 nicht gestiegen, sondern leicht gesunken.
18
(50)
Abbildung 12 zeigt die Spannweite zwischen dem niedrigsten und höchsten Pro-
Kopf-Ergebnis in allen Größenklassen bei Vernachlässigung der 5 % auffälligen Gemeinden.
Abbildung 12: Spannweiten des Finanzierungssaldos der kreisangehörigen Städte und Gemeinden in
Mecklenburg-Vorpommern nach Größenklassen, 2020, in Euro je Einwohner
9.157
9.000
8.000
alle Gemeinden
ohne auffällige Gemeinden
7.000
6.000
230
769
569
893
1.171
1.928
1.132
1.000
3.435
2.000
1.419
3.000
1.503
4.000
6.319
in Euro je EW
5.000
0
-1.000
-2.000
-3.000
-4.000
unter 500
500-999
1.000-4.999
5.000-9.999
10.000-19.999
20.000 und mehr
Quelle: Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern; eigene Berechnungen.
In den beiden unteren Größenklassen sind die Auswirkungen der Bereinigung besonders
auffällig. In der Größenklasse unter 500 Einwohner sinkt die Spannweite um 4.806 Euro. In
der nächst größeren Klasse sinkt sie sogar um 7.738 Euro. Über alle Größenklassen hinweg gleichen sich die Spannweiten deutlich an. Die Finanzsituation ist nach dieser Bereinigung also wesentlich homogener, als es die unbereinigten Zahlen zeigen. Strukturelle Probleme sind insoweit für die weit überwiegende Zahl der Kommunen tendenziell nicht erkennbar.
(51)
Dafür sprechen auch die im Kommunalfinanzbericht 2020 exemplarisch dargelegten
Gründe, die für die deutlich vom Durchschnitt abweichende Finanzlage der auffälligen Gemeinden maßgeblich sind.14 Dies waren z. B. fehlerhafte Datenübertragungen, Investitionen
und deren Finanzierung oder lokale Maßnahmen wie das Betreiben von sozialen und wirtschaftlichen Einrichtungen im Kernhaushalt. Insbesondere das zeitliche Auseinanderfallen
von Investitionsauszahlung und Vereinnahmung der Zuweisung vom Land führte dazu, dass
Gemeinden im Jahr der Auszahlung einen hohen negativen Finanzierungssaldo erwirtschafteten und im Jahr der Förderung einen sehr hohen positiven Finanzierungssaldo erzielten.
Darüber hinaus beruhen die Finanzunterschiede auf erklärbaren und buchungstechnischen
Sondereffekten.
14
Vgl. Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern (2020): Jahresbericht (Teil 2) – Kommunalfinanzbericht
2020, S. 13 f.
19
(52)
Da der Finanzierungssaldo anfällig ist für Sondereffekte, ergänzt der Landesrech-
nungshof die Analyse zur Finanzsituation der kreisangehörigen Städte und Gemeinden. Dafür zieht er
•
den Saldo der laufenden Rechnung und
•
den Saldo der laufenden Rechnung abzüglich der planmäßigen Tilgung
heran. Beide Kennziffern zeigen, ob und inwieweit die laufenden Ausgaben durch laufende
Einnahmen gedeckt werden können. Ein Überschuss bedeutet, dass beispielsweise Mittel
für Investitionen zur Verfügung stehen.
Tabelle 5 zeigt die beiden Kennziffern für die Gemeindegrößenklassen im Zeitverlauf. Positiv
hervorzuheben ist, dass in allen Größenklassen 2019 bis 2020 Überschüsse erzielt werden
konnten. Dies gilt sowohl für den Saldo der laufenden Rechnung als auch für den Saldo der
laufenden Rechnung abzgl. der Position „Planmäßige Tilgung“.
Tabelle 5:
Saldo der laufenden Rechnung der kreisangehörigen Städte und Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern nach Größenklassen, 2018-2020, in Euro je Einwohner
Gemeindegrößenklassen
unter 500
500-999
1.000-4.999
5.000-9.999
10.0000-19.999
20.000 und mehr
in Euro je EW
Saldo der laufenden Rechnung
2018
90
133
147
200
111
233
2019
109
155
140
111
92
212
2020
226
287
248
183
162
309
Summe
424
575
536
495
365
754
67
184
Saldo der laufenden Rechnung abzgl. Planmäßige Tilgung
2018
39
85
91
142
2019
55
106
89
47
50
170
2020
174
236
202
127
129
268
Summe
268
428
383
317
246
621
Quelle: Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern; eigene Berechnungen.
(53)
Tabelle 6 zeigt die beiden Kennziffern für die beiden kreisfreien Städte und die Land-
kreise. Während die kreisfreien Städte durchweg Überschüsse ausweisen konnten, gelang
dies den Landkreisen nicht durchgängig.15
15
20
Hier spiegeln sich das 2020 novellierte KiföG M-V mit höheren Finanzierungsbeiträgen der Landkreise wider.
Tabelle 6:
Saldo der laufenden Rechnung der kreisfreien Städte und Landkreise (Kreisverwaltungen) in Mecklenburg-Vorpommern, 2018-2020, in Euro je Einwohner
Kreisfreie Städte und Landkreise (Kreisverwaltungen)
HRO
SN
NWM
LUP
LRO
VR
MSE
VG
in Euro je EW
Saldo der laufenden Rechnung
2018
214
160
8
87
48
63
64
95
2019
209
133
-18
56
52
7
59
54
2020
101
289
-15
12
-5
25
98
130
Summe
524
582
-25
155
95
95
221
279
2018
170
79
-14
56
14
41
41
37
2019
164
49
-41
19
20
-15
36
25
2020
60
217
-38
-22
-38
2
75
91
Summe
393
345
-93
53
-4
28
152
153
Saldo der laufenden Rechnung abzgl. Planmäßige Tilgung
Quelle: Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern; eigene Berechnungen.
Allerdings ist zu beachten, dass lediglich die Landkreise Nordwestmecklenburg und Rostock
unter Berücksichtigung von planmäßigen Tilgungen in der Summe keinen Überschuss erzielen konnten.
Eine Ursache könnte sein, dass ein erheblicher Anteil der Finanzierung der Landkreise auf
die Kreisumlage entfällt. Diese wird bedarfsgerecht angepasst. Die Erzielung von Überschüssen ist daher nicht im gleichen Umfang wie bei anderen kommunalen Ebenen zu erwarten.
(54)
Die Ergebnisse in Tabelle 5 und Tabelle 6 zeigen insgesamt weit überwiegend positi-
ve Salden, d. h. die laufenden Einnahmen übersteigen die laufenden Ausgaben. Damit standen eigene Mittel z. B. für Investitionen zur Verfügung. Insoweit kann festgehalten werden,
dass die beiden zusätzlich herangezogenen Kennziffern grundsätzlich die anhand des Finanzierungssaldos ermittelten Ergebnisse stützen.
(55)
Das Innenministerium führt aus, dass es die Auswertung des Saldos der laufenden
Rechnung abzüglich der Auszahlungen der planmäßigen Tilgung von Investitionskrediten
begrüße. Diese Kennzahl sei annähernd mit dem jahresbezogenen Saldo der laufenden
Ein- und Auszahlungen gemäß dem Gemeindehaushaltsrecht vergleichbar.
(56)
Dennoch bestünden aufgrund der Jahresbezogenheit der Finanzstatistiken und des
fehlenden Bezugs zu den Vorträgen Abweichungen. „So weisen die Landkreise Nordwestmecklenburg und Rostock abweichend von der Darstellung im Berichtsentwurf nach vorläufigen Angaben zum 31.12.2020 durchaus einen positiven Saldo der laufenden Ein- und
Auszahlungen aus. Andererseits verzeichnen abweichend von der Darstellung die Landes-
21
hauptstadt Schwerin sowie die Landkreise Ludwigslust-Parchim und Vorpommern-Greifswald zum 31.12.2020 einen negativen Saldo der laufenden Ein- und Auszahlungen.“
Ferner merkt das Innenministerium an, „dass die Überschüsse der kreisfreien Städte und
der Landkreise Vorpommern-Greifswald, Mecklenburgische Seenplatte 2019 und 2020 und
des Landkreises Ludwigslust-Parchim 2019 teilweise deutlich beeinflusst sind durch zur
Auszahlung gelangte Konsolidierungszuweisungen.“
(57)
Der Landesrechnungshof verwendet im Allgemeinen Teil des Kommunalfinanzbe-
richts grundsätzlich Daten aus der amtlichen Statistik, um u. a. Benchmark-Vergleiche
durchführen zu können. Ob und inwieweit die vom Innenministerium erhobenen und verwendeten Daten mit diesen vergleichbar sind, vermag der Landesrechnungshof nicht zu beurteilen.
2
Die kommunale Finanzwirtschaft im Vergleich
(58)
Zunächst wird ein Überblick über die Entwicklung der Finanzierungssalden der Kom-
munen in Deutschland sowie der FFW16 und der FO17 im Zeitverlauf gegeben. Anschließend
wird mit einem Benchmarking gezeigt, in welchen Einnahme- und Ausgabebereichen Unterschiede bestehen und welche Verbesserungsmöglichkeiten existieren.
Abbildung 13: Finanzierungssalden der Gemeinden/Gemeindeverbände im Ländervergleich, 2019 und
2020, in Euro je Einwohner
141
Brandenburg
154
84
Mecklenburg-Vorpom...
209
39
Sachsen
110
15
18
Sachsen-Anhalt
82
Thüringen
140
35
Niedersachsen
-29
64
Rheinland-Pfalz
Saarland
50
16
120
59
Deutschland
36
-60
-40
-20
0
20
40
60
80
100
120
140
160
180
in Euro je EW
Quelle: Statistisches Bundesamt, GFK; eigene Berechnungen.
16
17
22
2020
-17
Schleswig-Holstein
-80
2019
-63
Durchschnitt der Kommunen der finanzschwachen Flächenländer West (NI, RP, SL und SH).
Durchschnitt der Kommunen der Flächenländer Ost ohne MV (BB, SN, ST und TH).
200
220
(59)
Abbildung 13 zeigt, dass die Kommunen in Deutschland auch das Jahr 2020 mit ei-
nem (jahresbezogenen) Überschuss (36 Euro je Einwohner) abgeschlossen haben. Im Vergleich zum Vorjahr ist dies ein um 23 Euro je Einwohner niedrigerer Betrag. In Anbetracht
der wirtschaftlichen Entwicklung ist dies dennoch beachtlich und auf die umfangreichen
Hilfsleistungen des Bundes und der Länder zurückzuführen. Insbesondere der hälftig getragene Ausgleich der Gewerbesteuermindereinnahmen und die höhere Beteiligung des Bundes an den Leistungen für Unterkunft und Heizung in der Grundsicherung für Arbeitsuchende sind zu nennen.
(60)
Daneben führte die Absenkung des Gewerbesteuerumlagesatzes zu einer weiteren
Entlastung der westdeutschen Kommunen.18 In der Gesamtsicht führte dies dazu, dass die
Kommunen weitgehend von den finanziellen Lasten der Coronavirus-Krise freigestellt wurden.19 Ein Beleg dafür sind die bereinigten Einnahmen, die so auf einem ähnlichen Niveau
wie in den Vorjahren steigen konnten (+13,6 Mrd. Euro; +5,2 %). Ein ähnliches Bild ergibt
sich bei den bereinigten Ausgaben (+15,3 Mrd. Euro; +6,0 %). Diese sind auch durch die
Erhöhung der Investitionsausgaben (+3,1 Mrd. Euro; +9,8 %) gestiegen.
(61)
Mit Blick auf die gewählten Vergleichsländer ist festzustellen, dass alle ostdeutschen
Kommunen 2020 einen positiven Finanzierungssaldo erreicht haben. Das Pro-Kopf-Ergebnis bemisst sich dabei in einer Spannweite von 18 Euro (Sachsen-Anhalt) bis 209 Euro
(Mecklenburg-Vorpommern). Zudem konnten alle ihr Ergebnis gegenüber dem Vorjahr verbessern. Während die Kommunen von Schleswig-Holstein (+120 Euro je Einwohner) und
Rheinland-Pfalz (+50 Euro je Einwohner) einen positiven Finanzierungssaldo auswiesen,
gab es Defizite in Niedersachsen (-29 Euro je Einwohner) und im Saarland (-63 Euro je Einwohner).
(62)
Weiterhin ist festzuhalten, dass die kommunale Ebene in Mecklenburg-Vorpommern
2020 bundesweit den höchsten Wert erreichte und das Ergebnis aus dem Vorjahr mehr als
verdoppelte.
(63)
Abbildung 14 veranschaulicht, wie sich das Niveau der Finanzierungssalden der
Kommunen von Mecklenburg-Vorpommern im Vergleich zu den der FO und FFW entwickelt
hat. Am aktuellen Rand ist der Pro-Kopf-Überschuss der Kommunen der FO von 66 Euro
auf 108 Euro gestiegen, während der Finanzierungsüberschuss der Kommunen der FFW
von 31 Euro je Einwohner auf 16 Euro je Einwohner gesunken ist.
18
19
Vgl. Bertelsmann Stiftung (2021): Kommunaler Finanzreport 2021, S.10.
Vgl. Stabilitätsrat (2021): 16. Stellungnahme zur Einhaltung der Obergrenze für das strukturelle gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit nach § 51 Absatz 2 HGrG, S. 30.
23
Abbildung 14: Finanzierungssalden der Gemeinden/Gemeindeverbände im Ländervergleich, 20102020, in Euro je Einwohner
200
MV
FO
FFW
150
in Euro je EW
100
50
0
-50
-100
-150
-200
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
2020
Quelle: Statistisches Bundesamt, GFK; eigene Berechnungen.
Der Finanzierungsüberschuss der Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern ist von 84 Euro
je Einwohner in 2019 auf 209 Euro je Einwohner wesentlich stärker gestiegen. Er liegt somit
um mehr als 100 Euro je Einwohner über den Durchschnitt der FO. Seit 2015 liegt der Finanzierungssaldo der Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern zudem stets über dem der FO
und der FFW.
(64)
In Tabelle 7 werden die kommunalen Einnahmen im Benchmarkvergleich dargestellt.
Die Daten in diesen Darstellungen werden jeweils als Pro-Kopf-Werte ausgewiesen, um die
einzelnen Positionen länderübergreifend vergleichen zu können. Zur Verdeutlichung von potenziellen Einsparungen werden für die Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern ferner Einnahmen- und Ausgabendifferenziale errechnet.
(65)
Die bereinigten Pro-Kopf-Einnahmen der Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern
lagen 2020 mit 3.463 Euro um 188 Euro über denen der FFW (3.275 Euro) bzw. um
240 Euro über denen der FO (3.223 Euro). Nach Hochrechnung auf die Einwohnerzahl
Mecklenburg-Vorpommerns ergeben sich daraus für 2020 rechnerische Mehreinnahmen von
303 Mio. Euro gegenüber den FFW bzw. von 387 Mio. Euro gegenüber den FO.
24
Tabelle 7:
Einnahmen der Gemeinden/Gemeindeverbände im Ländervergleich, 2020
MV
Bevölkerung am 30. Juni 2020
1.609.367
Einnahmeart
FFW
FO
Mehr-(+)/Mindereinnahmen(-)
15.979.863
10.900.308
in Euro je Einwohner
Einnahmen der laufenden Rechnung
FFW
FO
in Mio. Euro
2.993
3.111
2.880
-191
182
Steuereinnahmen
818
1.163
844
-555
-42
Einnahmen aus wirtschaftlicher Tätigkeit
189
142
134
75
89
1.703
1.451
1.542
406
260
Verwaltungs- und Benutzungsgebühren sowie
zweckgebundene Abgaben
158
176
195
-29
-60
Einnahmen der Kapitalrechnung
471
164
343
494
205
Erlöse aus Vermögensveräußerungen
36
51
49
-24
-20
20
322
60
257
421
104
116
56
36
98
129
3.463
3.275
3.223
303
387
2.025
1.512
1.799
827
364
darunter:
Laufende Zuweisungen und Zuschüsse vom
Land
darunter:
Vermögensübertragungen vom Land
Vermögensübertragungen von anderen
Bereichen
Bereinigte Einnahmen
davon:
Zahlungen vom Land insgesamt
Quelle: Statistisches Bundesamt, GFK; eigene Berechnungen.
(66)
Vergleichsweise hoch sind nach wie vor die Zahlungen des Landes an die Kommu-
nen. Diese erhielten im Jahr 2020 rd. 2.025 Euro je Einwohner. Im Vergleich mit den FFW
leistet Mecklenburg-Vorpommern rechnerische Mehrausgaben von rd. 827 Mio. Euro; im
Vergleich mit den FO von 364 Mio. Euro. Damit reicht das Land – wie in den Vorjahren – im
Vergleich zu den FO und FFW die höchsten Zahlungen an seine Kommunen aus.
(67)
Die Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern erzielen nur einen vergleichsweise ge-
ringen Anteil der laufenden Einnahmen aus Steuern (27,3 %). Bei den Kommunen der FO
betrug dieses Verhältnis rd. 29,3 %. Noch deutlicher wird die Eigenfinanzierungsschwäche
im Vergleich mit den Kommunen der FFW. Dort betrug die Quote in 2020 rd. 37,4 %.
(68)
Die Kommunen können insbesondere auch Einnahmen aus Entgelten, Gebühren
und Beiträgen erzielen. Diese Einnahmen lagen 2020 bei 158 Euro je Einwohner und damit
unter denen der FFW (176 Euro je Einwohner) und FO (195 Euro je Einwohner). Aus der
Hochrechnung auf die Einwohnerzahl Mecklenburg-Vorpommerns ergeben sich für 2020
daraus rechnerische Mindereinnahmen von 29 Mio. Euro (FFW) und von 60 Mio. Euro (FO).
(69)
Tabelle 8 zeigt die Ausgaben der Kommunen im Benchmarkvergleich. Die bereinig-
ten Pro-Kopf-Ausgaben der Kommunen im Land lagen mit 3.255 Euro leicht unter denen
der FO (3.259 Euro), aber deutlich über denjenigen der FFW (3.116 Euro). Daraus ergeben
20
Darunter sind auch investive Zuweisungen und Zuschüsse zu verstehen.
25
sich rechnerische Mehrausgaben gegenüber den Kommunen der FO in Höhe von rd.
224 Mio. Euro. Ausschlaggebend ist hier das höhere Investitionsniveau. Gegenüber den
Kommunen der FFW lagen die hochgerechneten Minderausgaben bei rd. 7 Mio. Euro.
Tabelle 8:
Ausgaben der Gemeinden/Gemeindeverbände im Ländervergleich, 2020
Bevölkerung am 30. Juni 2020
MV
FFW
FO
1.609.367
15.979.863
10.900.308
Ausgabenart
Ausgaben der laufenden Rechnung
Mehr-(+)/Minderausgaben(-)
in Euro je Einwohner
FFW
FO
in Mio. Euro
2.712
2.805
2.647
-149
106
Personalausgaben
722
845
876
-198
-247
Laufender Sachaufwand
631
641
625
-16
9
davon Verwaltungs- und Betriebsaufwand
505
524
504
-31
1
davon Erstattungen an andere Bereiche,
Zuschüsse an übrige Bereiche, weitere
Finanzausgaben
126
117
121
15
8
12
35
9
-38
5
Allgemeine Zuweisungen und Zuschüsse
447
587
409
-224
62
Sonstige Zuweisungen und Zuschüsse für laufende Zwecke
686
433
558
406
205
Sozialausgaben
774
882
649
-173
202
Ausgaben der Kapitalrechnung
543
454
469
142
119
492
373
390
192
165
darunter:
Zinsausgaben
darunter:
Sachinvestitionen
Zuweisungen und Zuschüsse für Investitionen
49
53
52
-6
-4
Gewährung von Darlehen
3
22
18
-31
-25
Erwerb von Beteiligungen, Kapitaleinlagen
4
19
16
-23
-18
3.255
3.259
3.116
-7
224
Bereinigte Ausgaben
Quelle: Statistisches Bundesamt, GFK; eigene Berechnungen.
(70)
Im Vergleich mit den FO fallen die höheren konsumtiven Ausgaben auf. Während die
Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern insgesamt 2.712 Euro je Einwohner für laufende
Zwecke ausgaben, verausgabten die Kommunen der FO mit 2.647 Euro je Einwohner hierfür
weniger. Die Kommunen der FFW gaben hingegen mit 2.805 Euro pro Kopf deutlich mehr
konsumtiv aus. Daraus ergeben sich rechnerische Minderausgaben in Höhe von 149 Mio.
Euro (FFW) und Mehrausgaben von 106 Mio. Euro (FO).
(71)
Auffällig im Vergleich zu den FO sind nach wie vor die Sozialausgaben. Hier ergeben
sich rechnerische Mehrausgaben für Mecklenburg-Vorpommern von 202 Mio. Euro. Gegenüber den Kommunen der FFW ergeben sich hingegen rechnerische Minderausgaben von
173 Mio. Euro.
(72)
Bei den Personalausgaben weist die kommunale Ebene in Mecklenburg-Vorpom-
mern gegenüber den FO Minderausgaben von 154 Euro je Einwohner bzw. hochgerechnet
auf die Bevölkerung des Landes von 247 Mio. Euro auf. Im Vergleich zu den FFW betragen
26
die Personalminderausgaben je Einwohner 123 Euro oder hochgerechnet 198 Mio. Euro
(vgl. Tabelle 8).
(73)
Mit 492 Euro je Einwohner investierten die Kommunen Mecklenburg-Vorpommerns
2020 deutlich mehr als die Kommunen der FFW (373 Euro je Einwohner) und die der FO
(390 Euro je Einwohner). Die als positiv anzusehenden hochgerechneten Mehrausgaben
belaufen sich auf 192 Mio. Euro (FFW) und 165 Mio. Euro (FO). Mit Blick auf den 2020 erreichten neuen Rekordüberschuss ist dies bemerkenswert, da die Investitionen methodisch
bedingt den Finanzierungssaldo reduzieren.
(74)
Abbildung 15 zeigt, dass sich die positive Entwicklung mit steigenden Sachinvestiti-
onsausgaben im Jahr 2020 insbesondere bei den ostdeutschen Kommunen fortgesetzt hat.
Abbildung 15: Sachinvestitionsausgaben der Gemeinden/Gemeindeverbände Mecklenburg-Vorpommerns, 2018-2020, in Mio. Euro
600
2018
492
2019
180
214
200
250
326
351
301
311
283
317
330
400
419
2020
364
372
391
403
348
374
283
300
324
350
346
359
400
292
in Euro je EW
450
324
500
415
419
550
200
150
100
50
0
BB
MV
SN
ST
TH
NI
RP
SL
SH
Quelle: Statistisches Bundesamt, GFK; eigene Berechnungen.
Besonders hervorzuheben ist wiederum die Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern. Im
Vergleich zum Vorjahr sind die Sachinvestitionsausgaben um 118 Euro je Einwohner auf
492 Euro je Einwohner gestiegen. Dies war der höchste Anstieg im Vergleich.
(75)
Tabelle 9 zeigt dennoch ein Ungleichgewicht, das aus dem geringen Eigenfinanzie-
rungsbeitrag aus dem laufenden Haushalt und hohen Investitionszuweisungen resultiert. Ein
negativer Betrag bedeutet, dass Investitionsausgaben aus eigener Kraft erbracht werden.
27
Tabelle 9:
Finanzierungssaldo der Kapitalrechnung im Ländervergleich, 2018-2020, in Euro je Einwohner
MV
2018
2019
FFW
2020
2018
2019
FO
2020
2018
2019
2020
in Euro je EW
Einnahmen der Kapitalrechnung
229
316
471
140
150
164
265
274
343
Ausgaben der Kapitalrechnung
354
425
543
360
413
454
373
432
469
-125
-109
-72
-220
-263
-290
-108
-158
-126
Finanzierungssaldo der
Kapitalrechnung
Quelle: Statistisches Bundesamt, GFK; eigene Berechnungen.
Der von den Kommunen selbst erwirtschaftete Beitrag für Investitionen betrug 2020 72 Euro
je Einwohner. 2019 waren es noch 109 Euro je Einwohner. Im Vergleich zu den FFW
(290 Euro je Einwohner) ist dies ein um 218 Euro je Einwohner geringerer Wert. Das Niveau
der FO (126 Euro je Einwohner) konnten die Kommunen im Land ebenfalls nicht erreichen.
(76)
Das derzeit hohe Investitionsniveau darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es nach
wie vor Strukturprobleme auf der kommunalen Ebene gibt. Auf der Einnahmenseite fällt die
vergleichsweise höhere Finanzausstattung auf. Diese resultiert jedoch nicht aus eigenen
Einnahmen, sondern aus Zahlungen vom Land. Das Land gleicht regelmäßig die kommunale Steuerschwäche aus und kaschiert, dass die Kommunen strukturschwach sind. Dies führt
dazu, dass bspw. die in den letzten Jahren gestiegenen Investitionen nur in geringem Umfang mit eigenen Mitteln der Kommunen finanziert wurden. Nicht zuletzt mit Blick auf die Finanzsituation des Landes sind daher erhebliche Anstrengungen erforderlich, um die Eigenfinanzierungskraft der Kommunen beispielsweise für Investitionen zu erhöhen.
(77)
Das Land muss für die Weiterentwicklung der kommunalen Ebene eine Strategie er-
arbeiten, um deren Struktur zu stärken. Aus Sicht des Landesrechnungshofes ist es nicht
ausreichend, lediglich Mittel von der Landesebene auf die Kommunalebene zu verschieben.
Es besteht die Gefahr, dass sich das Ausgabe-/Investitionsverhalten der Kommunen nicht
mehr an der eigenen Steuerkraft oder Strukturschwäche ausrichtet. Dadurch wird eine dauerhafte Abhängigkeit der Kommunen von hohen Kompensationsleistungen des Landes geschaffen und verfestigt. An diesem goldenen Zügel des Landes dürfte auch die kommunale
Ebene kein Interesse haben, da hierdurch Fehlanreize entstehen können. Vielmehr sollten
die vielfältigen „Fördertöpfe“ in den kommunalen Finanzausgleich überführt werden, um die
die Schlüsselzuweisungen weiter zu stärken. Damit würde die Eigenverantwortung der Kommunen erhöht.
28
3
Kommunaler Schuldenstand
(78)
Der folgende Abschnitt beschäftigt sich mit der Verschuldungssituation der kommu-
nalen Ebene Mecklenburg-Vorpommerns sowohl im interkommunalen als auch im Ländervergleich.
Unterschieden werden Schulden beim öffentlichen und nicht-öffentlichen Bereich, darunter
Kassenkreditschulden und Wertpapierschulden sowie Bürgschaften. Um ein möglichst vollständiges Bild der Situation zu zeichnen, werden in diesem Abschnitt auch Daten des Öffentlichen Gesamthaushalts (Kern- und Extrahaushalte) herangezogen.
(79)
Abbildung 16 zeigt, dass die Gesamtschulden (Schulden beim nicht-öffentlichen und
Schulden beim öffentlichen Bereich zusammen) im Zeitraum von 2010 und 2020 von
2.535 Mio. Euro auf 1.988 Mio. Euro verringert werden konnten (-547 Mio. Euro; -21,6 %).
Abbildung 16: Schulden beim nicht-öffentlichen und beim öffentlichen Bereich der Gemeinden/Gemeindeverbände Mecklenburg-Vorpommerns, 2010-2020, in Mio. Euro
2.661
2.510
2.136
366
1.988
420
2.000
867
2.389
844
2.568
486
2.504
527
2.456
524
534
2.479
2014
2015
1.622
2013
1.716
2.042
2012
1.666
1.979
2011
1.794
1.908
2010
1.903
1.944
1.000
1.914
1.500
1.964
In Mio. Euro
571
2.500
2.469
555
2.535
548
Schulden beim öffentlichen Bereich
Schulden beim nicht-öffentlichen Bereich
3.000
2016
2017*
2018*
2019
2020
500
0
Quelle: ZDL; eigene Darstellung.
* Durch eine methodische Änderung der Schuldenstandstatistik sind die Schulden beim öffentlichen Bereich für die Jahre 2017 und 2018
nicht ohne Weiteres auswertbar. Der Schuldenstand der Kommunen insgesamt wird in diesen Jahren deutlich höher ausgewiesen als in
den Jahren bis 2016 und ab 2019. Der Niveauunterschied resultiert aus der geänderten Erfassung der sogenannten Einheitskassen bei
den Ämtern und ist nicht auf einen realen Anstieg der Verschuldung zurückzuführen. 2019 gab es erneut eine Umstellung, die einen Vergleich der Angaben ab 2019 mit denen von 2010 bis 2016 wieder möglich macht.
Die Schulden beim nicht-öffentlichen Bereich sind seit 2010 von 1.964 Mio. Euro auf 1.622
Mio. Euro gesunken. Dies entspricht einem Rückgang von 342 Mio. Euro bzw. 17,4 %.
(80)
Tabelle 10 zeigt, dass die Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern mit 1.235 Euro
(Stand 31. Dezember 2020) im ostdeutschen Vergleich den höchsten Pro-Kopf-Schuldenstand beim nicht-öffentlichen und öffentlichen Bereich aufwiesen. Die Kommunen der FO
wiesen wesentlich geringere Schulden auf (865 Euro je Einwohner). Insbesondere die Kommunen von Sachsen (634 Euro je Einwohner) und Brandenburg (639 Euro je Einwohner)
sind vergleichsweise niedrig verschuldet. Die durchschnittlichen Schulden der FFW lagen
29
2020 bei 2.369 Euro je Einwohner wesentlich höher als die der FO. Die Kommunen von
Rheinland-Pfalz (3.509 Euro je Einwohner) und des Saarlands (3.201 Euro je Einwohner)
sind auffällig.
Tabelle 10: Schuldenstand und Eventualverbindlichkeiten der Gemeinden/Gemeindeverbände im Ländervergleich (öffentlicher Gesamthaushalt), 31. Dezember 2020, in Euro je Einwohner
Schulden beim nicht-öffentlichen Bereich
und öffentlichen Bereich insgesamt
Stand
31.12.2020, in
Euro je EW
Rang
durchschnittl.
Veränderung
2017-2020 p.a.
Kassenkredite beim nicht-öffentlichen
Bereich
Stand
31.12.2020, in
Euro je EW
Rang
durchschnittl.
Veränderung
2017-2020 p.a.
Bürgschaften
Stand
31.12.2020, in
Euro je EW
Rang
durchschnittl.
Veränderung
2017-2020 p.a.
ostdeutsche Flächenländer
MV
1.235
5
-2,83 %
187
4
-15,31 %
137
4
-9,74 %
FO
865
-
-6,78 %
153
-
-8,69 %
143
-
-5,71 %
BB
639
2
-8,78 %
153
3
-19,47 %
114
3
-9,08 %
SN
634
1
-10,18 %
20
2
-13,46 %
226
5
-4,66 %
ST
1.224
4
-2,57 %
532
5
-1,11 %
84
2
-8,85 %
TH
1.208
3
-5,54 %
16
1
-33,13 %
76
1
-1,44 %
finanzschwache Westflächenländer
FFW
2.369
-
-1,82 %
511
-
-6,47 %
171
-
-12,82 %
NI
1.927
1
0,50 %
169
2
-9,60 %
284
4
-4,22 %
RP
3.509
4
-3,01 %
1.263
3
-2,42 %
200
3
-2,61 %
SL
3.201
3
-4,96 %
1.394
4
-12,04 %
161
2
-21,08 %
SH
1.698
2
-2,80 %
93
1
-20,98 %
103
1
-3,30 %
Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14 Reihe 5; eigene Berechnungen.
Zwischen 2017 und 2020 ist für die Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern ein durchschnittlicher Schuldenrückgang in Höhe von 2,8 % p. a. festzustellen. Die Kommunen der
FO senkten im gleichen Zeitraum die Schulden um 6,8 % p. a. Bei den FFW sanken die
Schulden im Zeitraum von 2017 bis 2020 um 1,8 % p. a. weniger stark.
(81)
Ein wesentlicher Indikator für die Haushaltslage der Kommunen ist die Höhe der In-
anspruchnahme von Kassenkrediten. Dabei zeigt ein hoher Kassenkreditbestand während
und zum Ende des Haushaltsjahres an, dass laufende Ausgaben kreditär finanziert werden
mussten. Diesen Krediten stehen, anders als bei Investitionskrediten, größtenteils keine Vermögenswerte gegenüber.
(82)
Das von den Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern in Anspruch genommene
Kassenkreditvolumen reduzierte sich zum Jahresende 2020 gegenüber dem Vorjahr von
237 Euro je Einwohner auf 187 Euro je Einwohner deutlich (-21,2 %). Zwischen 2017 und
2020 ist ein merklicher Rückgang des Kassenkreditbestandes von jährlich 15,3 % festzustellen. Die Kassenkreditbestände der Kommunen der FO sind ebenfalls gesunken. Sie gingen
von 173 Euro auf 153 Euro je Einwohner (-11,6 %) zurück. Zwischen 2017 und 2020 ist für
die Kommunen der FO ein durchschnittlicher Schuldenrückgang in Höhe von 8,7 % festzustellen. Bei den Kommunen der FFW sank der Kassenkreditbestand von 549 Euro im Jahr
30
2019 auf 511 Euro je Einwohner im Jahr 2020 (-7,0 %). Die jährliche Reduzierung fiel mit
6,5 % niedriger aus als bei den FO (vgl. Tabelle 10).
(83)
Abbildung 17 zeigt die Kassenkreditbestände im Vergleich mit den kommunalen
Ebenen der FO und der FFW.
Abbildung 17: Kassenkredite beim nicht-öffentlichen Bereich der Gemeinden/Gemeindeverbände im
Ländervergleich, 2018-2020, in Euro je Einwohner
2.000
2018
1.950
1.935
2.250
2019
2020
1.393
1.302
1.272
1.260
in Euro je EW
1.750
1.500
1.250
1.000
0
SN
129
105
93
212
165
168
MV
40
41
16
BB
23
18
19
245
237
187
250
260
202
153
500
551
550
532
750
ST
TH
NI
RP
SL
SH
Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14 Reihe 5; eigene Berechnungen.
Spiegelbildlich zu den 2020 erreichten Überschüssen konnten die Kassenkreditbestände in
der Summe erheblich reduziert werden. Nur die Kommunen in Sachsen hatten Ende 2020
einen etwas höheren Bestand zu verzeichnen. Nach wie vor auffällig sind jedoch die erheblichen Unterschiede in der Höhe. So bewegt sich die Pro-Kopf-Verschuldung mit Kassenkrediten von 19 Euro (Sachsen) bis 1.393 Euro (Saarland). Sehr hoch verschuldet sind zudem
auch die Kommunen in Rheinland-Pfalz (1.260 Euro je Einwohner).
Die Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern wiesen 2020 einen Kassenkreditbestand von
187 Euro je Einwohner aus und bewegen sich im Mittelfeld.
(84)
Abbildung 18 zeigt die Entwicklung des Kassenkreditbestandes seit dem Jahr 2010.
Mit Blick auf die kommunale Ebene Mecklenburg-Vorpommerns wird deutlich, dass sich der
Bestand an Kassenkrediten seit 2015 kontinuierlich verringert hat. Dies steht in Verbindung
mit den deutlichen Finanzierungsüberschüssen seit 2015.
31
Abbildung 18: Entwicklung der Kassenkredite der Gemeinden/Gemeindeverbände im Ländervergleich,
2010-2020, in % (2010=100)
140
130
MV
FO
FFW
Index 2010=100
120
110
100
90
80
70
60
50
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
2020
Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14 Reihe 5; eigene Berechnungen.
(85)
Kassenkredite sind immer problematisch, weil ihnen keine Vermögenswerte gegen-
überstehen. Die Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern sollten daher vermehrt Anstrengungen unternehmen, um diese Verschuldung weiter zu reduzieren. Dies gilt insbesondere
für die mit Kassenkrediten hoch verschuldeten Kommunen im Land.
(86)
Zum 31. Dezember 2020 wiesen die Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern
rd. 300 Mio. Euro Schulden in Form von Kassenkrediten beim nicht-öffentlichen Bereich auf.
Über 289 Mio. Euro davon entfielen auf die zehn höchst verschuldeten Kommunen:
•
die Landeshauptstadt Schwerin 108,7 Mio. Euro,
•
den Landkreis Vorpommern-Greifswald 106,0 Mio. Euro,
•
die Stadt Eggesin 20,8 Mio. Euro,
•
den Landkreis Ludwigslust-Parchim 14,5 Mio. Euro,
•
die Amtsverwaltung Anklam-Land 11,3 Mio. Euro,
•
die Stadt Wittenburg 8,0 Mio. Euro,
•
die Stadt Neubrandenburg 7,0 Mio. Euro,
•
die Stadt Lübtheen 5,3 Mio. Euro,
•
die Hansestadt Rostock 5,0 Mio. Euro und
•
die Stadt Wolgast 2,7 Mio. Euro.
Somit sind über 96 % der Kassenkredite in Mecklenburg-Vorpommern auf diese Kommunen
zurückzuführen. In 2017 machten die zehn Kommunen mit den höchsten Kassenkreditschul-
32
den noch knapp unter 90 % des Gesamtvolumens aus. Es ist eine Zuspitzung auf die
höchst verschuldeten Kommunen feststellbar.
(87)
Dies nahm der Landesrechnungshof zum Anlass, diese Kommunen näher zu be-
trachten. Die absolute Höhe der Kassenkredite wurde in Tabelle 11 ins Verhältnis zur Einwohnerzahl gesetzt.
Tabelle 11: Kassenkredite bei den höchst verschuldeten Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern in
2020 mit Entwicklung seit 2017, in Euro
2017
2018
2019
2020
Kassenkredite beim nicht-öffentlichen Bereich
in Euro je
EW
in Euro
in Euro je
EW
in Euro
in Euro je
EW
in Euro
in Euro
in Euro je
EW
Landeshauptstadt
Schwerin
160.644.797
1.678
136.189.135
1.424
130.807.727
1.364
108.686.758
1.138
Landratsamt Vorpommern-Greifswald
145.000.000
612
122.527.731
518
120.697.080
511
106.009.220
450
7.918.098
1.653
7.959.612
1.689
10.998.605
2.333
20.800.000
4.416
-
-
8.608.943
40
6.626.244
31
14.493.077
68
Amtsverwaltung
Anklam-Land
9.000.000
920
8.570.748
884
11.577.965
1.208
11.297.072
1.189
Stadt Wittenburg
2.094.925
330
2.491.913
395
4.385.202
696
8.003.933
1.280
66.822.934
1.044
38.296.127
597
38.351.858
600
7.018.852
111
Stadt Lübtheen
5.776.338
1.196
5.376.232
1.112
5.248.771
1.110
5.270.727
1.126
Hansestadt und Universitätsstadt Rostock
5.000.000
24
5.000.000
24
5.000.000
24
5.000.000
24
-
-
-
-
-
-
2.667.172
225
Stadt Eggesin
Landratsamt Ludwigslust-Parchim
Stadt Neubrandenburg
Stadt Wolgast
Kassenkreditvolumen
der in 2020 höchst verschuldeten Kommunen
402.257.092
335.020.441
333.693.452
289.246.811
Kassenkreditvolumen
insgesamt
495.215.830
393.621.390
381.103.683
300.406.258
Quelle: Statistisches Amt Mecklenburg-Vorpommern; eigene Berechnungen.
(88)
2020 ist einwohnerbezogen die Stadt Eggesin die mit Abstand am höchsten mit Kas-
senkrediten verschuldete Kommune in Mecklenburg-Vorpommern (4.416 Euro je Einwohner). Besorgniserregend ist dabei vor allem der stetig wachsende Trend von 1.653 Euro je
Einwohner in 2017 zu 4.416 Euro je Einwohner in 2020.
(89)
Positiv auffällig sind vor allem die hohen Reduzierungen der Kassenkredite bei der
Landeshauptstadt Schwerin, dem Landkreis Vorpommern-Greifswald und der Stadt Neubrandenburg. Bei den beiden erstgenannten Kommunen sind diese jedoch immer noch auf
einem sehr hohen Niveau.
Negativ fällt die Steigerung der Kassenkredite bei der Stadt Eggesin, der Stadt Wittenburg
und dem Landkreis Ludwigslust-Parchim auf.
(90)
Grundsätzlich ist eine sich entspannende Situation bei den Kassenkrediten im nicht-
öffentlichen Bereich feststellbar. Nutzten diese Kredite in 2017 noch 35 Kommunen mit ei33
nem Volumen von 495 Mio. Euro, so fiel dieses auf 300 Mio. Euro bei 19 Kommunen in
2020.
(91)
Die Kommunen im Land nehmen in den letzten Jahren zunehmend weniger Kassen-
kredite in Anspruch. Dies betrifft neben der Anzahl auch deren Höhe. Diese Entwicklung ist
grundsätzlich positiv zu bewerten. Gleichwohl müssen noch vorhandene Kassenkredite
zwingend zurückgeführt werden.
(92)
Ein Blick auf die übernommenen Bürgschaften zeigt, dass Ende 2020 für Mecklen-
burg-Vorpommern mit 137 Euro je Einwohner der zweithöchste Pro-Kopf-Wert unter den ostdeutschen Flächenländern zu Buche stand (vgl. Tabelle 10). Zwischen 2017 und 2020 ist jedoch mit -9,7 % p.a. ein hoher durchschnittlicher Rückgang zu verzeichnen. Die Gewährung
von Bürgschaften verliert damit weiter an Bedeutung.
4
Zusammenfassung
(93)
Folgende wesentliche Ergebnisse lassen sich zusammenfassen:
•
Der Finanzierungssaldo der kommunalen Ebene Mecklenburg-Vorpommerns hat
2020 – trotz der Corona-Pandemie – einen neuen Höchststand erreicht (+336 Mio.
Euro). Dies ist auch deswegen bemerkenswert, weil die Ausgaben der Kapitalrechnung (darunter die Sachinvestitionen) in 2020 stark gestiegen sind.
•
Die negative wirtschaftliche Entwicklung der kommunalen Ebene mit u. a. gesunkenen Gewerbesteuereinnahmen wurde durch höhere Finanzausgleichsleistungen im
Rahmen des FAG M-V, die höhere Beteiligung des Bundes an den KdU und Kompensationszahlungen des Bundes und des Landes für Gewerbesteuermindereinnahmen nicht nur aufgefangen, sondern deutlich überkompensiert.
•
Wie schon in den Vorjahren konnten alle kommunalen Gebietskörperschaften im
Durchschnitt einen positiven Finanzierungssaldo erwirtschaften.
•
In der Gruppe der kreisangehörigen Städte und Gemeinden konnten mehr als 80 %
einen Überschuss erzielen. Das Ergebnis ändert sich auch dann nicht wesentlich,
wenn anstelle des Finanzierungssaldos der Saldo der laufenden Rechnung (auch
abzgl. der Position Planmäßige Tilgung) betrachtet wird.
•
Das Benchmarking zeigt, dass die Kommunen im Land das Haushaltsjahr 2020 wesentlich besser abgeschlossen haben als die Kommunen der FO und der FFW.
Bundesweit erreichte keine andere kommunale Ebene das Ergebnis der Kommunen
in Mecklenburg-Vorpommern.
34
•
Auffällig bleiben die vergleichsweise hohen Zahlungen des Landes an die Kommunen, mit denen die geringeren Steuereinnahmen ausgeglichen bzw. überkompensiert werden. Das Land muss eine Strategie entwickeln, um die Eigenfinanzierungskraft der Kommunen zu stärken. Damit würde die kommunale Ebene dauerhaft gestärkt und ihre Abhängigkeit von den Landeszuweisungen reduziert.
•
Ausgabenseitig fallen vergleichsweise höhere Sachinvestitionsausgaben auf. Dies
ist ein positiver Fakt, weil damit eine Vermögenszunahme verbunden ist. Problematisch ist jedoch, dass die Investitionen aus eigener Kraft abgenommen haben.
•
Die Kommunen im Land haben 2020 ihre Schulden weiter reduzieren können. Dies
steht im Einklang mit der guten finanziellen Lage. Kassenkredite, die ein Indikator
für grundlegende Finanzprobleme sein können, waren 2020 ebenfalls rückläufig.
•
Gleichwohl sind einige Kommunen im Land immer noch erheblich mit Kassenkrediten verschuldet. Mit Blick auf das Zinsänderungsrisiko kann dies bei steigendem
Zinsniveau zu höheren Zinsausgaben führen.
•
Die Belastungen der Corona-Pandemie dürfen innerhalb der „Schicksalsgemeinschaft“ von Land und Kommunen nicht einseitig zu Lasten der einen Ebene bei
gleichzeitiger Schadensfreistellung der anderen Ebene verteilt werden. Das Land
schloss das Haushaltsjahr mit einem Minus von rd. 3 Mrd. Euro ab. Der im FAG
M-V festgelegte Ausgleichsmechanismus mit dem Gleichmäßigkeitsgrundsatz sollte künftig wieder eingehalten werden. Überkompensationen sind zu vermeiden.
•
Die Aufgabenverteilung und die damit korrespondierende Ausgabenentwicklung
zwischen Land und Kommunen sollte regelmäßig überprüft werden, um Lasten
gleichmäßig zu verteilen. Mit Blick auf die Zukunft wird es außerdem vordringliche
Aufgabe bleiben, effiziente Verwaltungsstrukturen zu schaffen.
35
III. Aktuelle Themen
1
Umsetzung des NKHR M-V
Der Verzug bei der Auf- und Feststellung der Jahresabschlüsse konnte trotz teilweiser Verbesserungen noch immer nicht vollständig beseitigt werden.
Der Landesrechnungshof sieht die Beschränkung der Pflicht zur Erstellung eines Gesamtabschlusses auf die kreisfreien und großen kreisangehörigen Städte weiterhin
kritisch. Damit ist die Gefahr erheblicher Intransparenz verbunden. Die Landkreise
machen von ihrem Wahlrecht Gebrauch und erstellen einen Beteiligungsbericht.
Bei der Einführung einer zweckmäßigen Kosten- und Leistungsrechnung gibt es keine Fortschritte.
(94)
Der Landesrechnungshof aktualisierte seine Abfrage zum Umsetzungsstand des
NKHR M-V bei allen Landkreisen, kreisfreien und großen kreisangehörigen Städten (Stand:
30. Juni 2021).
1
Jahresabschlüsse
(95)
§ 60 Abs. 1 Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern (KV M-V) schreibt den
Kommunen die Aufstellung eines Jahresabschlusses für den Schluss eines jeden Haushaltsjahres vor. Die Aufstellung hat innerhalb von fünf Monaten nach Abschluss des Haushaltsjahres zu erfolgen (§ 60 Abs. 4 KV M-V). Die Vertretungskörperschaft hat den geprüften Jahresabschluss bis spätestens zum 31. Dezember des auf das Haushaltsjahr folgenden Jahres gemäß § 60 Abs. 5 KV M-V festzustellen.
(96)
Davon
abweichend
gewährte
das
Gesetz
zur
Aufrechterhaltung
Handlungsfähigkeit der Kommunen während der SARS-CoV-2-Pandemie
21
der
den Kommunen
eine Fristverlängerung für die Auf- und Feststellung der Jahresabschlüsse 2019 und 2020
um jeweils ein Jahr.
21
Vgl. Gesetz zur Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit der Kommunen während der SARS-CoV-2-Pandemie vom 28. Januar 2021, GVOBI. M-V vom 29. Januar 2021, S. 66-67. Das Gesetz trat am Tage nach seiner Verkündung in Kraft.
37
Tabelle 12: Festgestellte Jahresabschlüsse in den Landkreisen, kreisfreien und großen kreisangehörigen Städten, 2012-2019, Stand: 30. Juni 2021
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
Hansestadt
Greifswald
22.02.18
22.10.18
21.02.19
25.06.19
01.02.21
Nein
Nein
Nein
Neubrandenburg
11.02.16
08.09.16
13.07.17
08.02.18
13.12.18
05.09.19
06.02.20
22.10.20
Hansestadt Rostock
11.04.18
17.10.18
15.05.19
21.10.20
19.05.21
Landeshauptstadt
Schwerin
11.12.17
23.04.18
10.09.18
03.12.18
26.10.20
07.12.20
Hansestadt Stralsund
20.06.19
12.12.19
03.12.20
17.06.21
Nein
Nein
Nein
Nein
Hansestadt Wismar
23.02.17
28.09.17
15.02.18
13.12.18
28.05.2020
29.04.21
Nein
Nein
Landkreis
Ludwigslust-Parchim
12.10.17
15.12.17
21.06.18
27.09.18
18.12.18
09.05.19
24.10.19
15.12.20
Landkreis
Mecklenburgische
Seenplatte
10.10.16
20.03.17
03.07.17
09.10.17
11.12.17
10.12.18
16.12.19
09.12.20
Landkreis Nordwestmecklenburg
10.12.15
03.11.16
03.11.16
07.12.17
07.12.17
06.12.18
12.12.19
09.12.20
Landkreis Rostock
11.10.17
13.06.18
19.12.18
04.12.19
28.04.21
Nein
Nein
Nein
Landkreis Vorpommern-Greifswald
06.06.17
09.10.17
19.02.18
25.06.18
10.12.18
08.04.19
25.11.19
07.12.20
Landkreis
Vorpommern-Rügen
11.06.16
19.12.16
09.10.17
07.05.18
17.12.18
23.09.19
15.06.20
14.12.20
25.09.2019 25.09.2019 17.06.2020
28.10.2019 02.12.2019
Quelle: Angaben der Kommunen, eigene Darstellung.
(97)
Zum Zeitpunkt der Abfrage hatten alle Landkreise, kreisfreien und großen kreisange-
hörigen Städte mindestens Jahresabschlüsse für die Jahre 2012 bis 2015 festgestellt.
Gegenüber dem Kommunalfinanzbericht 2020 zeigen sich insbesondere bei den kreisfreien
Städten sowie der Hansestadt Stralsund deutliche Verbesserungen. Dennoch hat die Hansestadt Stralsund weiterhin den größten Nachholbedarf bei der Auf- und Feststellung der Jahresabschlüsse. Als sogenannter Frühstarter (1. Januar 2011) hat sie bisher lediglich fünf
doppische Jahresabschlüsse festgestellt (2011 bis 2015).
(98)
Für die einzelnen Haushaltsjahre ergibt sich folgendes Bild:
•
Den Jahresabschluss für das Haushaltsjahr 2016 hat nur die Hansestadt Stralsund
noch nicht festgestellt.
•
Den Jahresabschluss 2017 haben insgesamt neun Kommunen festgestellt. Die Universitäts- und Hansestadt Greifswald sowie der Landkreis Rostock haben diesen
Jahresabschluss am 6. April 2021 bzw. 6. Mai 2021 aufgestellt.
•
Einen festgestellten Jahresabschluss 2018 haben acht Kommunen. Die Hansestadt
Wismar hatte diesen Jahresabschluss zum Zeitpunkt der Abfrage aufgestellt.
•
Der Jahresabschluss für das Haushaltsjahr 2019 wurde bisher von acht Kommunen
festgestellt.
38
•
Bis auf den Landkreis Rostock sowie die Hansestädte Wismar, Stralsund und
Greifswald haben acht Kommunen den Jahresabschluss 2020 bislang aufgestellt.
(99)
Der Landesrechnungshof begrüßt, dass sieben Kommunen für das Haushaltsjahr
2019 die gesetzliche Frist zur Feststellung des Jahresabschlusses (31. Dezember 2020)
einhielten. Aufgrund des Gesetzes zur Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit der
Kommunen während der SARS-CoV-2-Pandemie wäre es möglich gewesen, diese Frist um
ein Jahr zu verlängern. Dies nutzten lediglich fünf der zwölf befragten Kommunen. Dabei
waren vier der fünf Kommunen ohnehin mit den Jahresabschlüssen in Verzug. Um den
auch weiterhin notwendigen Aufholprozess nicht zu beeinträchtigen, sollten diese
Kommunen von der Nutzung weiterer Fristverlängerungen absehen. 22
(100) Tabelle 13 gibt den Bearbeitungsstand der Jahresabschlüsse 2014 bis 2019 für den
kreisangehörigen Raum wieder.
Tabelle 13: Bearbeitungsstand der Jahresabschlüsse der kreisangehörigen Gemeinden (ohne große
kreisangehörige Städte), 2014-2019, Stand: 30. Juni 2021
Bearbeitungsstand
2014
2015
2016
2017
2018
2019
aufgestellt
1%
1%
2%
7%
9%
6%
festgestellt
99 %
99 %
98 %
79 %
62 %
34 %
Landkreis Ludwigslust-Parchim
100 %
100 %
99 %
74 %
47 %
24 %
Landkreis Mecklenburgische
Seenplatte
100 %
100 %
99 %
96 %
87 %
44 %
Landkreis Nordwestmecklenburg
100 %
100 %
98 %
88 %
65 %
29 %
99 %
98 %
98 %
94 %
81 %
61 %
100 %
100 %
96 %
72 %
60 %
35 %
94 %
94 %
94 %
46 %
25 %
4%
davon:
Landkreis Rostock
Landkreis Vorpommern-Greifswald
Landkreis Vorpommern-Rügen
Quelle: Angaben des Innenministeriums, eigene Darstellung.
(101) Die Zahlen machen deutlich, dass bei der Feststellung der Jahresabschlüsse im
kreisangehörigen Raum auch weiterhin ein überwiegend rechtswidriger Zustand herrscht.
Bis zum 30. Juni 2021 (und damit ein halbes Jahr nach der gesetzlichen Frist) hatten nur
34 % der Gemeinden den Jahresabschluss 2019 durch deren Vertretungskörperschaften
festgestellt. Allerdings war es auch im kreisangehörigen Raum möglich, von einer
Fristverlängerung um ein Jahr Gebrauch zu machen.
(102) Die Bearbeitungsstände in den einzelnen Landkreisen unterscheiden sich teils
erheblich.
Schlusslicht sind dabei weiterhin die Gemeinden des Landkreises Vorpommern-Rügen.
Allerdings ist hier ein deutlicher Aufholprozess zu verzeichnen. Hatten im Vorjahr erst 80 %
22
Vgl. dazu Abschnitt III.4, S. 59 ff.
39
der Gemeinden einen festgestellten Jahresabschluss 2014, so waren es in diesem Jahr
bereits 94 %. Ähnlich verhält es sich bei den festgestellten Jahresabschlüssen 2015 und
2016, hier konnte der Wert im Vergleich zum Vorjahr von 65 % bzw. 42 % ebenfalls auf
94 % gesteigert werden. Den Jahresabschluss 2019 haben im Landkreis VorpommernRügen bisher allerdings nur 4 % der Gemeinden festgestellt.
Insgesamt haben im Vergleich zum Vorjahr auch alle anderen Landkreise aufgeholt.
(103) Der Landesrechnungshof sieht den Verzug bei der Auf- und Feststellung der
Jahresabschlüsse mit Sorge. Dies gilt insbesondere für die Jahresabschlüsse, bei denen die
Gemeinden nicht von einer Fristverlängerung Gebrauch machen können.
Hier sind die Rechtsaufsichtsbehörden auch weiterhin gefordert, auf die Feststellung der
Jahresabschlüsse auch mit rechtsaufsichtlichen Mitteln hinzuwirken.
Der Landesrechnungshof sieht die Gefahr, dass die aufgrund des Gesetzes zur Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit der Kommunen während der SARS-CoV-2-Pandemie möglichen Fristverlängerungen insbesondere von Gemeinden genutzt werden, die sich ohnehin
mit den Jahresabschlüssen in Verzug befinden. Die Ursachen dafür dürften jedoch nicht in
der Pandemie liegen.
(104) Das Innenministerium weist darauf hin, dass sich die Regelung nicht auf nachzuholende Jahresabschlüsse bis 2018 bezieht.
(105) Der Landesrechnungshof hat deshalb bzgl. dieser Jahresabschlüsse ausgeführt,
dass die Rechtsaufsichtsbehörden auch weiterhin gefordert sind, auf die Feststellung dieser
Jahresabschlüsse ggf. mit rechtsaufsichtlichen Mitteln hinzuwirken. Im Übrigen bleibt seine
Wertung unberührt.
2
Gesamtabschlüsse
(106) Gemäß § 61 Abs. 1 KV M-V haben nur noch kreisfreie und große kreisangehörige
Städte einen Gesamtabschluss für den Schluss eines jeden Haushaltsjahrs aufzustellen.
Nach den Übergangsvorschriften des § 176 KV M-V hat die Erstellung des ersten
Gesamtabschlusses spätestens für das Haushaltsjahr 2024 zu erfolgen.
Für alle anderen Gemeinden besteht diese Verpflichtung nicht mehr. Verfügen diese
Gemeinden über unmittelbare und mittelbare Beteiligungen an Unternehmen und Einrichtungen, haben sie nach § 73 Abs. 3 KV M-V einen Beteiligungsbericht zu erstellen. Dieser ist
bis zum 30. September des Folgejahres der Vertretungskörperschaft und der Rechtsaufsichtsbehörde vorzulegen. Ein Beteiligungsbericht gem. § 73 Abs. 3 KV M-V ist erstmals für
das Haushaltsjahr 2019 zu erstellen.
40
Die Gemeinden, die einen Gesamtabschluss erstellen, sind von der Pflicht zur Erstellung
eines Beteiligungsberichts befreit (§ 73 Abs. 4 KV M-V).
(107) Die Abfrage des Landesrechnungshofes ergab für die kreisfreien und großen kreisangehörigen Städte folgende Ergebnisse:
•
Die Stadt Neubrandenburg ist weiterhin die einzige Kommune, die bisher einen Gesamtabschluss (2010) aufgestellt hat. Der nächste Gesamtabschluss ist für das
Haushaltsjahr 2021 vorgesehen und befindet sich derzeit in Bearbeitung.
•
Die Hanse- und Universitätsstadt Rostock hat ihre Vorjahresangaben korrigiert und
will nun einen ersten Gesamtabschluss für das Haushaltsjahr 2023 aufstellen.
•
Die vier anderen Städte planen die erstmalige Erstellung eines Gesamtabschlusses
für das Haushaltsjahr 2024.
(108) Die Landkreise sind nicht zur Erstellung eines Gesamtabschlusses verpflichtet. Sie
haben die Wahl zwischen der Aufstellung eines Gesamtabschlusses und der Erstellung eines Beteiligungsberichts.
Alle Landkreise haben sich für die Erstellung eines Beteiligungsberichts entschieden.
(109) Viele Kommunen des Landes haben wesentliche Teile ihres kommunalen Vermögens (z. B. kommunale Wohnungsgesellschaften oder Stadtwerke) aus dem Kernhaushalt
ausgelagert. Dies ist mit teils erheblichen Risiken verbunden und erschwert den Gesamtüberblick über die Vermögens-, Finanz- und Ertragssituation dieser Kommunen.
Aus diesem Grund hält der Landesrechnungshof es weiterhin für bedenklich, die Pflicht zur
Erstellung eines Gesamtabschlusses auf die kreisfreien und großen kreisangehörigen Städte zu beschränken. Durch diese Beschränkung ergibt sich eine herausgehobene Bedeutung
der Beteiligungsberichte, der Rechnung zu tragen ist.23
(110) Das Innenministerium berichtet, dass es sich in Abstimmung mit dem Städte- und
Gemeindetag M-V befinde. Ziel der Abstimmung sei die Erarbeitung von Mustern zu den
Beteiligungsberichten. Parallel hierzu seien Arbeitshilfen zur Gestaltung der Beteiligungsberichte denkbar, die mögliche Detailfragen im Vorwege klären würden.
(111) Der Landesrechnungshof begrüßt dieses Vorgehen.
23
Vgl. Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern (2019): Jahresbericht 2019 (Teil 2) – Kommunalfinanzbericht 2019, S. 62 f.
41
3
Kosten- und Leistungsrechnung
(112) Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 GemHVO-Doppik soll eine Kosten- und Leistungsrechnung (KLR) zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit der Verwaltung sowie als Grundlage der Verwaltungssteuerung entsprechend den örtlichen Bedürfnissen geführt werden.
Auf eine KLR kann nach § 27 Abs. 1 Satz 2 GemHVO-Doppik verzichtet werden, „wenn
durch eine angemessene Produktgliederung und interne Leistungsverrechnungen eine
ausreichende Steuerungsgrundlage gegeben ist“.
Art und Umfang der KLR sind in einer Dienstanweisung zu regeln (§ 27 Abs. 3
GemHVO-Doppik).
(113) Im Vergleich zum Vorjahr sind bei der (Ein-)Führung einer KLR keine Fortschritte zu
verzeichnen. Weiterhin haben lediglich sieben der zwölf Landkreise, kreisfreien und großen
kreisangehörigen Städte eine KLR (zumindest in den Grundzügen) eingeführt. Die Abfrage
des Landesrechnungshofes ergab, dass zwei Kommunen keine KLR führen und deren
Einführung auch nicht planen, von denen eine noch im Vorjahr angab, eine KLR 2021
einführen zu wollen. Zwei weitere Kommunen beabsichtigen, eine KLR 2023 bis 2024 zu
etablieren. Davon hat eine Kommune die beabsichtigte Einführung um ein bis zwei Jahre
nach hinten verschoben. Eine weitere Kommune will die KLR mittelfristig etablieren.
(114) Kommunen, die bereits eine KLR eingeführt haben, haben zum großen Teil auch
bereits Dienstanweisungen über Art und Umfang der KLR erlassen. Teilweise haben sie
diese zwischenzeitlich angepasst und/oder ergänzt.
Soweit noch nicht geschehen, sollten Kommunen ihre Dienstanweisungen zur KLR zeitnah
erlassen bzw. aktualisieren.
(115) Die KLR ist trotz der durch den Gesetzgeber zunehmend aufgeweichten Regelungen
des § 27 GemHVO-Doppik eines der Kernelemente der Doppik. Der Landesrechnungshof ist
weiterhin der Ansicht, dass die zwölf Landkreise, kreisfreien und großen kreisangehörigen
Städte aufgrund ihrer sehr komplexen Haushaltsstrukturen mit einer Vielzahl an Produkten
nicht auf eine KLR verzichten können. Er hält deren Einführung weiterhin für zwingend
notwendig.
42
Dies bestätigte u. a. auch die Überprüfung des Verfahrens zum Kostenausgleich für die
Wahrnehmung von Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises durch den Landesrechnungshof. Eine sinnvoll ausgestaltete KLR könnte den Verwaltungsaufwand der Kommunen
bei der Erhebung der Kosten für die Aufgabenwahrnehmung erheblich reduzieren und die
Qualität der Daten erhöhen.
(116) Die Kommunen, die bisher keine KLR implementiert haben, sind gehalten, die
Einführung einer geeigneten KLR zu forcieren, um die damit verbundenen Vorteile nutzen
zu können. Des Weiteren sollte das Innenministerium intensiv auf die Einführung einer KLR
hinwirken und sich damit auf die ursprünglichen Ziele des NKHR M-V besinnen.
(117) Das Innenministerium führt aus:
„Ziel der kommunalen Doppik ist eine verbesserte zielgenaue Steuerung des Haushalts
nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Einer Kommune, die ihren
Haushalt tief untergliedert hat, stehen diese Daten zur effizienten Steuerung des
Haushaltes und zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit grundsätzlich auch ohne eine KLR zur
Verfügung. Und schließlich sollte die Einführung oder Beibehaltung einer KLR selbst nicht
mehr Kosten verursachen, als sie an Erkenntnisgewinn – im Sinne der Informationsbeschaffung – für die Kommune erbringt."
(118) Der Landesrechnungshof bleibt bei seiner Auffassung. Die Einführung der KLR ist
als Regelfall vorgesehen. Abweichungen sind nur im Ausnahmefall gerechtfertigt.
Der Landesrechnungshof weist darauf hin, dass fraglich bleibt, ob und inwieweit die
vielfältigen und mehrstufigen internen Leistungsbeziehungen bei komplexen Haushaltsstrukturen und einer Vielzahl an Produkten ohne individuelle KLR abgebildet werden
können.24 Ohne KLR werden insbesondere die Kosten für Vorleistungen (z. B.
Verwaltungsleitung, Gebäudemanagement, Kämmerei oder Personalamt) nicht verursachungsgerecht ermittelt und auf andere Verwaltungsleistungen umgelegt. Damit ist es
nicht möglich, die „Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit der Verwaltung“ im Sinne des
§ 27 Abs. 1 Satz 1 GemHVO-Doppik zu beurteilen.
Im Übrigen erschwert eine fehlende KLR die Kalkulation von Gebühren und Entgelten.
Mangelhafte Kalkulationen, z. B. aufgrund nicht enthaltener Kosten, können (bei rechtlichen
Auseinandersetzungen) dazu führen, dass die betreffende Gebührensatzung bzw.
Entgeltordnung nicht den rechtlichen Anforderungen genügt, ggf. auch zu deren
(Teil-)Nichtigkeit.
24
Vgl. dazu bereits Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern (2020): Jahresbericht 2020 (Teil 2) – Kommunalfinanzbericht 2020, S. 39 f.
43
2
KoFiStA – KommunalFinanzStrukturAnalyse
Der Landesrechnungshof wendet sein KoFiStA-Kennzahlenset 2021 bereits zum fünften Mal an. Dafür hat er auch in diesem Jahr die Jahresabschlussdaten bei den Landkreisen, kreisfreien und großen kreisangehörigen Städten erhoben und ausgewertet.
Der Verzug bei der Feststellung der Jahresabschlüsse ist noch immer nicht durchgehend beseitigt. Damit ist weiterhin keine vollumfängliche Analyse der aktuellen Finanz-, Ertrags-, Vermögens- und Liquiditätslage möglich. Dies gilt insbesondere für
die Hansestädte Stralsund, Greifswald und Wismar sowie den Landkreis Rostock.
Insgesamt stellte der Landesrechnungshof von 2012 bis 2019 eine überwiegend positive Entwicklung der Haushalts- und Wirtschaftslage fest.
1
Veröffentlichung des KoFiStA-Kennzahlensets
(119) Seit 2017 nutzt der Landesrechnungshof sein doppisches KoFiStA-Kennzahlenset,
um die Finanz-, Ertrags-, Vermögens- und Liquiditätslage von Kommunen zu analysieren.
Datengrundlage sind die festgestellten Jahresabschlüsse der Landkreise, kreisfreien und
großen kreisangehörigen Städte.
(120) In 2020 passte der Landesrechnungshof die Veröffentlichungspraxis für sein KoFiStA-Kennzahlenset an. Die Informationen werden seither parallel zur Veröffentlichung des
Kommunalfinanzberichts auf der Internetseite des Landesrechnungshofes unter www.lrhmv.de veröffentlicht.25
Dazu zählen eine Übersicht aller zwölf KoFiStA-Kennzahlen einschließlich der jeweiligen Datenquellen, Formeln und Definitionen sowie die zwölf KoFiStA-Datenblätter.
(121) Der Landesrechnungshof hat für diesen Beitrag drei Kennzahlen des KoFiStA-Kennzahlensets ausgewählt, die er im Folgenden darstellt und (vertiefend) analysiert.
(122) Die Landkreise, kreisfreien und großen kreisangehörigen Städte sowie das
Innenministerium hatten Gelegenheit, zu den KoFiStA-Kennzahlen Stellung zu nehmen.
(123) Die Anmerkungen der Kommunen zu den Daten hat der Landesrechnungshof geklärt
und ggf. berücksichtigt. Weitergehende Anregungen der Kommunen zur Weiterentwicklung
der Kennzahlen (z. B. zu den Berechnungsgrundlagen) wird der Landesrechnungshof für
zukünftige Veröffentlichungen prüfen.
(124) Das Innenministerium verweist auf das RUBIKON-Datenbanksystem. Dieses sei
auch auf eine Erfassung und Auswertung von Jahresabschlüssen ausgelegt. Es ermögliche
25
44
https://www.lrh-mv.de/KoFiStA/.
eine Analyse der Haushaltswirtschaft und der Ertrags-, Finanz- und Vermögenslage der
Kommunen. Aufgrund der privatwirtschaftlich geprägten Bilanzkennzahlen von KoFiStA bestehe die Gefahr von Fehlinterpretationen.
(125) Der Landesrechnungshof weist darauf hin, dass nach seiner Auffassung das KoFiStA-Kennzahlenset und das RUBIKON-Datenbanksystem selbstständig und ergänzend nebeneinander stehen. In RUBIKON findet weder eine über den Gesichtspunkt der dauernden
Leistungsfähigkeit hinausgehende Interpretation der ermittelten Kennzahlen, noch ein Zeitreihenvergleich statt. KoFiStA stellt hingegen ergänzende und übergreifende Bezüge her.
Konkurrenzen zwischen RUBIKON und KoFiStA bestehen daher nicht. Auch die geäußerten
Bedenken, dass es sich bei KoFiStA um privatwirtschaftliche Kennzahlen handele, sind unbegründet. Soweit die verwendeten Kennzahlen sich an bewährten Kennzahlen aus der Privatwirtschaft orientieren, wurden diese angepasst bzw. werden sie unter Berücksichtigung
der kommunalen Besonderheiten interpretiert.
2
Anwendung des KoFiStA-Kennzahlensets
2.1
Erhebung von Jahresabschlussdaten
(126) Der Landesrechnungshof hat alle erforderlichen Basisdaten aus den festgestellten
Jahresabschlüssen direkt bei den Landkreisen, kreisfreien und großen kreisangehörigen
Städten erhoben (Stand der Abfrage: 30. Juni 2021).
(127) Alle zwölf Kommunen haben die Abfrage des Landesrechnungshofes beantwortet.
(128) Der Verzug bei der Auf- und Feststellung der Jahresabschlüsse besteht fort. Allerdings hat sich die Datengrundlage im Vergleich zum Kommunalfinanzbericht 2020 weiter
verbessert.26
(129) Im Folgenden analysiert der Landesrechnungshof anhand der festgestellten Jahresabschlüsse 2012 bis 2019 die Eigenkapitalquote, die Kreditquote sowie die Reinvestitionsquote der Landkreise, kreisfreien und großen kreisangehörigen Städte.27 Für die Landkreise
und [kreisfreien] Städte wurden interkommunale Vergleichsgruppen gebildet.
2.2
Eigenkapitalquote
(130) Die Berechnung, Beschreibung und Entwicklung der Eigenkapitalquote geht aus Tabelle 14 hervor.
26
27
Vgl. Abschnitt III.1, S. 37 ff.
Sofern Kommunen ihre Vorjahresangaben bei der aktuellen Datenerhebung korrigiert haben, wurden diese
Daten auch rückwirkend berücksichtigt.
45
Tabelle 14: Eigenkapitalquote, 2012-2019, in %28
Eigenkapital
(§ 47 Abs.5 Nr.1)
x 100
Bilanzsumme
Berechnung (Datenquelle)
Die Eigenkapitalquote bildet die Generationengerechtigkeit und Leistungsfähigkeit der Kommunen ab.
Beschreibung der Kennzahl
Insbesondere der Entwicklungsverlauf dieser Kennzahl ist ein Indikator für die Nachhaltigkeit
und die Generationengerechtigkeit. Ein gleichbleibender Wert ist Indiz für einen bewussten und
sorgsamen Ressourceneinsatz.
Anzustreben ist ein möglichst hoher und zumindest konstanter Wert.
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
Hansestadt Greifswald
74,21
75,03
72,60
71,72
72,53
Neubrandenburg
54,90
55,76
57,80
58,47
58,58
60,67
65,69
70,54
Hansestadt Rostock
46,32
46,96
48,42
49,96
53,18
57,51
58,51
59,17
Landeshauptstadt Schwerin
42,54
41,92
40,86
40,02
40,58
39,24
39,37
38,69
Hansestadt Stralsund
44,88
45,23
46,07
45,95
Hansestadt Wismar
42,51
42,47
41,44
41,86
40,88
43,35
Landkreis LudwigslustParchim
12,18
13,12
16,27
18,08
23,52
25,81
24,60
24,84
Landkreis Mecklenburgische Seenplatte
17,17
13,38
13,32
13,09
15,99
17,92
19,99
22,02
Landkreis
Nordwestmecklenburg
27,93
29,90
34,42
34,37
35,01
34,96
35,06
27,66
Landkreis Rostock
13,81
18,18
24,61
29,81
36,52
Landkreis VorpommernGreifswald
0,00
0,00
0,00
0,00
0,00
0,00
0,00
0,00
Landkreis VorpommernRügen
22,08
20,46
24,47
30,73
34,94
37,36
40,93
38,05
Mittelwert
33,21
33,53
35,02
36,17
37,43
35,20
35,52
35,12
Quelle: Eigene Berechnungen auf Grundlage der Datenabfrage bei den Kommunen.
(131) In der Vergleichsgruppe der Städte bewegte sich die Eigenkapitalquote im Betrachtungszeitraum zwischen rund 75 % (Hansestadt Greifswald, 2013) und rund 39 % (Landeshauptstadt Schwerin, 2019). Bei den Städten Neubrandenburg und Rostock stieg die Eigenkapitalquote von 2012 bis 2019 um rund 16 bzw. 13 Prozentpunkte an, bei den anderen
Städten war sie weitestgehend konstant.
(132) Die höchste Eigenkapitalquote in der Vergleichsgruppe der Landkreise hatte mit rund
41 % der Landkreis Vorpommern-Rügen (2018). Die niedrigste Eigenkapitalquote wies der
Landkreis Ludwigslust-Parchim mit 12,2 % (2012) auf, konnte diese jedoch bis 2017
(25,8 %) konsequent steigern. Im Jahr 2018 sank die Eigenkapitalquote wieder leicht ab
(24,6 %) und stieg im aktuellen Berichtsjahr wiederum leicht an (24,8 %).
Der Landkreis Vorpommern-Greifswald wurde in der Betrachtung vernachlässigt, da dieser
ein negatives Eigenkapital aufweist.
28
46
Paragraphen ohne Gesetzesangabe in den Tabellen des Beitrags sind die der GemHVO-Doppik.
(133) Die Eigenkapitalquote zeigt im Beobachtungszeitraum insgesamt einen steigenden
bis konstanten Trend. Im Jahr 2012 betrug der Mittelwert aller ausgewerteten Kommunen
noch 33,21 %. Bis 2016 stieg dieser auf 37,43 % an.29 Seit 2017 liegt der Mittelwert der Eigenkapitalquote relativ konstant bei rund 35 %.30 Damit wird das Ziel, die intergenerative
Gerechtigkeit einzuhalten, weitestgehend erreicht.
(134) Um der Forderung nach intergenerativer Gerechtigkeit zu entsprechen, sollten die
Eigenkapitalquoten weiterhin zumindest stabil gehalten werden.
2.3
Kreditquote
(135) Als möglicher Indikator für den Grad der Verschuldung am Kreditmarkt wird in Tabelle 15 die Kreditquote dargestellt.
(136) In der Vergleichsgruppe der Städte weisen die Stadt Neubrandenburg mit 22,1 %
(2013) die höchste und die Hansestadt Rostock mit 4 % (2019) im Beobachtungszeitraum
die niedrigste Kreditquote auf. In den Folgejahren hat die Stadt Neubrandenburg ihre Kreditquote kontinuierlich bis auf 7,2 % (2019) gesenkt. Auch die Kreditquoten der Hansestädte
Wismar und Rostock sind im Zeitverlauf durchgehend gesunken.
(137) Die niedrigste Kreditquote bei den Landkreisen weist der Landkreis Vorpommern-Rügen auf (10,3 %, 2019). Ähnlich niedrige Werte sind auch beim Landkreis Nordwestmecklenburg festzustellen, allerdings stieg hier die Kreditquote in den letzten zwei Jahren (20182019) wieder leicht an. Die mit Abstand höchste Kreditquote hatte mit 53,1 % (2016) der
Landkreis Vorpommern-Greifswald. Dieser hat es aber über einen Drei-Jahres-Zeitraum
(2017-2019) erstmalig geschafft, seine Kreditquote um rund 7 Prozentpunkte auf 46,6 %
(2019) zu senken. Das Ziel tendenziell sinkender Quoten wird über einen Drei-Jahres-Zeitraum darüber hinaus nur von den Landkreisen Mecklenburgische Seenplatte, Rostock und
Vorpommern-Rügen erreicht.
(138) Die Kreditquote ist fast durchgehend gesunken. Dies begrüßt der Landesrechnungshof ausdrücklich, da damit die Abhängigkeit von Fremdkapitalgebern sowie das finanzielle
Risiko sinken. Der Mittelwert lag 2012 bei 20,87 % und sank bis 2016 auf 19,52 %. Im Jahr
2017 stieg der Wert zunächst wieder auf 20,45 % an, fällt bis 2019 dann aber wieder auf
18,24 %. Dies ist die bisher niedrigste durchschnittliche Kreditquote im gesamten Beobachtungszeitraum.
29
30
2016 lagen erst von elf Kommunen Jahresabschlussdaten vor.
2017 lagen erst von neun, 2018 und 2019 erst von acht Kommunen Jahresabschlussdaten vor.
47
Tabelle 15 : Kreditquote, 2012-2019, in %
Verbindlichkeiten aus Kreditaufnahmenoder gleichartig
(§ 47 Abs.5 Nr. 4.2+4.3 )
x 100
Bilanzsumme
Berechnung (Datenquelle)
Die Kreditquote ist ein Indikator für den Grad der Verschuldung am Kreditmarkt. Diese Kenn zahl kann durch die Pro-Kopf-Verschuldung (in Euro/EW) ergänzt werden. Ausgelagerte Kredite
(z. B. Kredite der Eigengesellschaften) können bei Vorliegen eines Gesamtabschlusses ebenfalls erfasst werden.
Beschreibung der Kennzahl
Mit Blick auf die jeweils unterschiedliche Inanspruchnahme von Investitionskrediten und Kassenkrediten kann zur Interpretation dieser Kennzahl auch die Kassenkreditquote herangezogen
werden.
Unberücksichtigt bleiben bei der hier ausgewiesenen Kennzahl u. a. die Verbindlichkeiten gegenüber dem sonstigen öffentlichen Bereich. Darunter fallen beispielsweise die Verbindlichkeiten ggü. dem Kommunalen Aufbaufonds. Ggf. kann die Kennzahl um diese Verbindlichkeiten
erweitert werden.
Anzustreben ist eine möglichst niedrige und im Zeitablauf sinkende Quote.
2012
Hansestadt Greifswald
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
7,32
6,78
8,34
7,92
6,72
22,02
22,09
20,99
19,31
18,61
16,29
12,45
7,21
12,60
11,47
11,45
11,07
8,71
4,85
4,43
4,02
Landeshauptstadt Schwerin
21,75
19,59
20,36
20,32
19,86
20,52
18,52
17,85
Hansestadt Stralsund
17,19
15,62
14,57
15,66
Hansestadt Wismar
20,51
19,92
19,52
18,63
17,10
16,11
Landkreis LudwigslustParchim
26,80
27,70
25,11
24,65
22,06
20,44
23,47
23,20
Landkreis Mecklenburgische Seenplatte
21,34
25,29
27,66
29,96
27,73
26,92
23,80
22,07
Landkreis
Nordwestmecklenburg
15,58
14,83
13,88
14,32
13,22
12,16
13,03
14,74
Landkreis Rostock
24,86
21,41
18,17
17,74
13,15
Landkreis VorpommernGreifswald
45,13
49,16
51,41
52,20
53,14
52,89
51,40
46,55
Landkreis VorpommernRügen
15,32
14,04
15,72
15,00
14,37
13,87
12,83
10,30
Mittelwert
20,87
20,66
20,60
20,56
19,52
20,45
19,99
18,24
Neubrandenburg
Hansestadt Rostock
31
Quelle: Eigene Berechnungen auf Grundlage der Datenabfrage bei den Kommunen.
(139) Mit steigenden Kreditquoten erhöhen sich die Abhängigkeit vom Kapitalmarkt sowie
die Anfälligkeit bei Zinsänderungen (Umschuldungen, Nutzung variabler Verzinsungen etc.).
Die Kommunen sollten daher weiterhin niedrige und im Zeitablauf sinkende Kreditquoten anstreben.
(140) Das Innenministerium merkt an, dass die Kennzahl aus seiner Sicht aufgrund der Zusammenrechnung von Kassen- und Investitionskrediten zur Analyse und Steuerung der
31
48
Die Kommune weist darauf hin, dass in ihren Eigenbetrieben die wesentliche Investitionstätigkeit stattfinde
und dies bei der Interpretation berücksichtigt werden müsse. Auch Neubrandenburg hat in den Vorjahren auf
die Ausgliederung eines Großteils des Anlagevermögens auf einen Eigenbetrieb hingewiesen. Die Stellungnahmen beider Kommunen verdeutlichen die Wichtigkeit von Konzernabschlüssen und aussagefähigen Beteiligungsberichten.
kommunalen Haushaltswirtschaft nicht geeignet sei. Die Verbindlichkeiten aus Investitionskrediten seien für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit einer Kommune nicht relevant.
(141) Der Landesrechnungshof teilt die Auffassung des Innenministeriums nicht. KoFiStA
beschränkt sich in seiner Aussagekraft nicht nur auf die Einschätzung der dauernden Leistungsfähigkeit, sondern zielt auf eine umfassende Analyse (vgl. Tz. 125). Bei der Interpretation sind auch die verschiedenen KoFiStA-Kennzahlen untereinander in Bezug zu setzen.
Die Kreditquote gibt u. a. unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit Auskunft
darüber, inwieweit die Haushaltswirtschaft der Kommunen auf Fremdkapital angewiesen ist
und wie dies (Interpretation zusammen mit der Kennzahl Durchschnittliche rechnerische Tilgungsdauer) die zukünftige Haushaltswirtschaft der Kommune prägt. Die Kennzahl Kassenkreditquote kann ebenfalls herangezogen werden.
(142) Zwei Kommunen wiesen darauf hin, dass Verbindlichkeiten gegenüber dem sonstigen öffentlichen Bereich nicht erfasst würden.
(143) Die Beschreibung der Kennzahl enthält den Hinweis, dass die Kommunen diese eigenständig ergänzen können. Eine Betrachtung der Kennzahl inklusive der Verbindlichkeiten gegenüber dem sonstigen öffentlichen Bereich hat der Landesrechnungshof im Kommunalfinanzbericht 2019 vorgenommen.32 Diese Verbindlichkeiten weisen zum Teil besondere
Konditionen auf. Um dadurch ggf. entstehende Sondereffekte auszuschließen und eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten, bleiben sie bei der Berechnung der Kennzahl durch den
Landesrechnungshof unberücksichtigt.
2.4
Reinvestitionsquote
(144) Die Reinvestitionsquote in Tabelle 16 erlaubt Aussagen zum Investitionsverhalten
der Kommunen. Dabei berücksichtigt sie den Werteverzehr (Abschreibungen) des Vermögens.
32
Vgl. Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern (2019): Jahresbericht 2019 (Teil 2) – Kommunalfinanzbericht 2019, S. 74 f.
49
Tabelle 16: Reinvestitionsquote, 2012-2019, in %
Auszahlungen für Anlagevermögen
(§ 3 Abs. 1 Nr . 25)
x 100
Abschreibungen
(§ 2 Abs. 1 Nr. 14)
Berechnung (Datenquelle)
Die Reinvestitionsquote erlaubt Aussagen zum Investitionsverhalten unter Berücksichtigung
des Werteverzehrs.
Damit die Infrastruktur einer Kommune im Regelfall erhalten bleibt, ist ein Wert von mindestens 100 % anzustreben. Bei Erneuerung einer überalterten Infrastruktur, dem Aufbau zusätzlicher Vermögenswerte oder Reinvestitionen unter Berücksichtigung der Preisentwicklung liegt
dieser Wert über 100 %.
Beschreibung der Kennzahl
Die Kennzahl sollte kritisch auf ihre gemeindespezifische Aussagekraft überprüft werden,
insbesondere, wenn der angestrebte Wert von 100 % nicht erreicht wird. Dies ist nicht
zwangsläufig negativ zu beurteilen, da eine Substanzverringerung unproblematisch sein kann.
Zum Beispiel werden investive Maßnahmen aufgrund begrenzter Kapazitäten (Personal,
bauausführende Unternehmen etc.) verschoben und Ermächtigungen auf Folgejahre übertragen.
Behält die Kommune auch die geplanten investiven Auszahlungen, die in Folgejahren ermächtigt wurden, im Blick, ergibt sich ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild.
2012
Hansestadt Greifswald
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
90,50
153,17
246,64
163,55
135,54
Neubrandenburg
189,38
338,85
291,18
348,87
629,90
296,27
236,37
96,15
Hansestadt Rostock
119,87
77,09
72,16
79,53
71,92
99,34
139,73
131,30
Landeshauptstadt Schwerin
102,31
108,37
141,74
125,33
106,00
126,42
162,20
264,02
Hansestadt Stralsund
78,64
84,68
47,81
50,42
172,78
181,48
159,27
132,38
217,25
118,84
Landkreis LudwigslustParchim
51,69
143,78
42,48
57,56
54,57
49,16
258,29
328,17
Landkreis Mecklenburgische
Seenplatte
72,07
74,60
165,73
119,51
99,37
63,95
54,05
111,67
Landkreis
Nordwestmecklenburg
66,69
85,51
177,30
153,23
126,19
86,16
167,08
264,06
Landkreis Rostock
22,51
67,29
52,90
62,15
92,41
Landkreis VorpommernGreifswald
73,77
89,22
58,28
49,03
144,96
239,11
166,91
164,54
Landkreis VorpommernRügen
131,26
192,05
88,64
147,21
91,31
70,82
76,18
76,44
97,62
133,01
128,68
124,06
160,86
127,79
157,60
179,54
Hansestadt Wismar
Mittelwert
Quelle: Eigene Berechnungen auf Grundlage der Datenabfrage bei den Kommunen.
(145) In der Vergleichsgruppe der Städte schwankt die Reinvestitionsquote zwischen
47,8 % (Hansestadt Stralsund, 2014) und 629,9 % (Stadt Neubrandburg, 2016).
(146) Bei den Landkreisen weisen der Landkreis Rostock mit 22,5 % (2012) die niedrigste
und der Landkreis Ludwigslust-Parchim mit 328,2 % (2019) im Beobachtungszeitraum die
höchste Reinvestitionsquote auf. Die Reinvestitionsquote des Landkreises Rostock liegt wie
bereits in den Vorjahren auch im Berichtsjahr unter 100 %. Ebenso weist der Landkreis Vorpommern-Rügen seit 2016 Quoten von unter 100 % aus.
(147) Damit der Werteverzehr des Anlagevermögens durch Neuinvestitionen ausgeglichen
wird und das Anlagevermögen nicht überaltert, sollte die Reinvestitionsquote mindestens
100 % betragen. Das Ziel der Generationengerechtigkeit würde somit erreicht. Bei Berück50
sichtigung der Inflation müsste dieser Wert über 100 % liegen. Werte von unter 100 % stehen für einen bilanziellen Substanzverlust. Dies kann u. a. bei einem starken Bevölkerungsrückgang zeitweise sachgerecht sein.
(148) Der Mittelwert der Reinvestitionsquote lag 2012 noch bei 97,62 % und damit unter
dem anzustrebenden Wert von 100 %. Nach 2012 hat die durchschnittliche Reinvestitionsquote der ausgewerteten Kommunen jedoch stark zugenommen und erreicht 2019 einen
Wert von 179,54 %. Allerdings unterliegt die durchschnittliche Quote im Betrachtungszeitraum recht großen jährlichen Schwankungen. Insgesamt deutet die steigende Reinvestitionsquote auf eine zunehmende Investitionstätigkeit der Kommunen hin. Dies könnte durch
die größtenteils positive Entwicklung der Jahresergebnisse begründet sein. Mitursächlich
können auch entsprechende Förderprogramme des Landes sein.
(149) Reinvestitionsquoten von weit über 100 % bedürfen einer tiefer gehenden Analyse.
Sie können insbesondere die Anschaffung zusätzlicher Vermögenswerte, das Nachholen
bislang unterlassener Reinvestitionen oder den Ausgleich von Preissteigerungen abbilden.
Diese bilanzielle Substanzmehrung hat in der Zukunft erhöhte Abschreibungen zur Folge.
Der Landesrechnungshof weist klarstellend darauf hin, dass bei der Berechnung der Kennzahl die Auszahlungen für Finanzanlagen und Investitionszuwendungen unberücksichtigt
bleiben, da diese keiner planmäßigen Abschreibung unterliegen.
(150) Das Innenministerium hinterfragt die Kennzahl der Reinvestitionsquote mit Blick auf
ihre Geeignetheit zu Steuerungszwecken, auch weil letztlich ihre Interpretation schwierig
sei. Beispielsweise könnten unterlassene Reinvestitionen auch auf Ausgliederungen, weggefallene Aufgaben oder entbehrliches und damit nicht mehr erneuerungsbedürftiges Vermögen zurückzuführen sein.
(151) Der Landesrechnungshof verweist auf die Beschreibung der Kennzahl. Dort weist er
darauf hin, dass bei deren Interpretation besondere Aufmerksamkeit auf die spezifischen
Gegebenheiten der Kommune zu legen ist. In einem ersten Schritt hat die Kommune daher
etwaige Auffälligkeiten für sich zu klären und anschließend zu bewerten. Dann kann sie die
Kennzahl im Zusammenhang mit anderen Kennzahlen und den weiteren Informationen interpretieren. Insbesondere bei einer Zeitreihenbetrachtung kann die Kommune in jedem Fall
übergeordnete Entwicklungen und Tendenzen erkennen.
3
Fazit
(152) Die Eigenkapital- und die Kreditquote geben korrespondierend an, in welchem Umfang das Vermögen der Kommunen durch Eigenkapital bzw. Fremdkapital finanziert wird.
Beide Kennzahlen stehen zueinander im Verhältnis. Tendenziell gilt, dass die Kommune, je
51
höher die Eigenkapitalquote ist, unabhängiger von Fremdkapitalgebern sein sollte. Die Kreditquote bildet insoweit das Gegenstück zur Eigenkapitalquote.
(153) Die vorliegende Untersuchung bestätigt diese tendenzielle Abhängigkeit der Kennzahlen voneinander. So ist zu beobachten, dass in der Regel Kommunen mit relativ hoher
Eigenkapitalquote vergleichsweise geringere Kreditquoten aufweisen. Die Eigenkapitalquote
zeigt im Beobachtungszeitraum insgesamt einen steigenden bis konstanten Trend. Die Kreditquote ist korrespondierend dazu fast durchgehend gesunken.
Gleichzeitig deutet die steigende durchschnittliche Reinvestitionsquote darauf hin, dass es
den Kommunen (auch) wieder aus eigener Kraft gelingt, Investitionsvorhaben durchzuführen.
Die Entwicklung der dargestellten Kennzahlen bildet insoweit die positive Entwicklung der
Kommunalfinanzen in den letzten Jahren ab.33
Welche
Auswirkungen
die
SARS-CoV-2-Pandemie
Kommunen hat, bleibt insoweit abzuwarten.
33
52
Vgl. Abschnitt II., S. 3 ff.
auf
die
Haushaltssituation
der
3
Geldanlage einer Kommune bei der Greensill Bank AG
Eine Kommune legte im Februar 2021 bei der Greensill Bank AG eine Million Euro an.
Einen Monat später wurde die Insolvenz der Bank bekannt gegeben.
Der Landesrechnungshof hat die Kommune zu den Umständen der Anlage befragt.
Deren Antworten deuten darauf hin, dass der Grundsatz „Sicherheit vor Ertrag“ noch
stärker hätte gewichtet werden können.
1
Rechtliche Rahmenbedingungen
(154) Die KV M-V gibt vor, dass bei einer Geldanlage auf ausreichend Sicherheit zu achten ist. Die Anlagen sollen einen angemessenen Ertrag erwirtschaften. 34 Nach dem Leitfaden zur Erstellung von Dienstanweisungen zur Organisation des Rechnungswesens sind
nicht benötigte Finanzmittel sicher und mit möglichst hohem Ertrag anzulegen. 35 Die Vorlage
zu der Arbeitsweisung zur „Anlage nicht benötigter Mittel“ besagt, dass diese u. a. Regelungen enthalten sollte über
•
„Verantwortliche für die Buchung der Mittel,
•
die unterschiedliche Verwendung der nicht benötigten Mittel,
•
die Art der möglichen Anlagen,
•
die Dauer der Anlagen und
•
die Höhe des Risikogrades“.36
Ein Vermerk „Anlage freier Finanzmittel“ des Innenministeriums aus 2017 (Stand vor dem
19. Oktober 2021) stellt noch einmal deutlich heraus, dass bei der Anlage freier Finanzmittel
„Sicherheit vor Ertrag“ geht.37
In diesem Vermerk spricht das Innenministerium auch die Problematik des weggefallenen
Schutzes durch den freiwilligen Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes deutscher
Banken für kommunale Einlagen an. Diese Änderung trat für kommunale Neuanlagen bei
privaten Banken ab dem 1. Oktober 2017 in Kraft.
Das Innenministerium führt dort aus, dass „bei Anlagen, die nicht durch ein Einlagensicherungssystem oder institutsbezogenes Sicherungssystem geschützt sind, [...] sich die Gemeinde besonders sorgfältig zu unterrichten [hat]. Anhaltspunkte können z. B. das Rating
34
35
36
37
Vgl. § 56 Abs. 2 Satz 2 KV M-V.
Vgl. Anlage 4 zur GemHVO-GemKVO-DoppVV M-V unter Teil A Nr. 2.4.4.
Anlage 4 zur GemHVO-GemKVO-DoppVV M-V unter Teil B Nr. 22.
Vermerk des Innenministeriums vom 28. November 2017, Geschäftszeichen II 320-174-50000-2012/047-009
unter Nr. 2.2.
53
des Kreditinstitutes sein, welches auf jeden Fall eine anlagewürdige Bonität (Fachbegriff: investment grade) ausweisen muss.“
2
Geldanlage durch die Kommune
(155) Die Kommune suchte nach Anlagemöglichkeiten für freie Finanzmittel, über die sie
aufgrund eines auslaufenden Festgelds verfügte.
Zum Werdegang berichtet sie wie folgt:
Zunächst habe die Kommune selbst Informationen über Anlagemöglichkeiten eingeholt. Dies
sei bei drei Instituten geschehen, die zum damaligen Zeitpunkt Einlagensicherungssysteme
für Kommunen aufwiesen. Sie wäre von diesen darüber informiert worden, dass Geldanlagen aktuell nur unter Inkaufnahme von negativen Zinsen möglich wären. Darüber hinaus seien Geldanlagen für ein Jahr nicht möglich gewesen. Die Kommune habe auch weitere Angebote eingeholt.
Gleichzeitig habe eine Vermittlungsgesellschaft38 vier Anlagemöglichkeiten bei verschiedenen Instituten angeboten.Zwei Angebote waren von Banken, die nach Kenntnis des Landesrechnungshofes zum damaligen Zeitpunkt einem Einlagensicherungs- bzw. Institutssicherungssystem angeschlossen waren. Diese boten eine negative Verzinsung an. Ein drittes
Angebot bot bei zwölfmonatiger Laufzeit keine Verzinsung (0 %). Das anbietende Institut
wies jedoch ein höheres Rating (Rating: A) auf, als das Institut, welches in einem weiteren
Angebot eine positive Verzinsung anbot (Rating: BBB+).
Die Kommune hat sich nach Auswertung der Angebote für das einzig positiv verzinste Angebot entschieden. Die Vermittlungsgesellschaft habe auch darauf hingewiesen, dass über 50
Kommunen bereits Geldanlagen bei diesem Institut vorgenommen hätten.
Die Kommune legte am 16. Februar 2021 bei der Greensill Bank AG eine Million Euro zu einem Zinssatz von 0,07 % für ein Jahr an.
Am 3. März 2021 erließ die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gegenüber der Greensill Bank ein Veräußerungs- und Zahlungsverbot wegen drohender Überschuldung.39
Am 16. März 2021 eröffnete das Amtsgericht Bremen das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Greensill Bank AG und bestellte einen Insolvenzverwalter.
38
39
54
Die Kommune gab an, bereits mehrere Jahre, nachweislich seit 2019, mit der Vermittlungsgesellschaft eine
Geschäftsbeziehung zu haben.
Vgl. Pressemitteilung der BaFin vom 3. März 2021; https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/
DE/Pressemitteilung/2021/pm_210303_Greensill.html.
Eine Gläubigerversammlung fand am 8. Juni 2021 statt. Laut Presseberichten nährte der Insolvenzverwalter die Hoffnung, dass die Kommunen keinen Totalverlust erleiden. Es sei jedoch von einer langen Verfahrensdauer auszugehen.40
3
Auffälligkeiten
(156) Auf Nachfrage des Landesrechnungshofes äußerte die Kommune, dass es für die
„Anlage von Termingeldern“ keine gesonderten Vorschriften gäbe. Eine „Anlagerichtlinie“ sei
aber in Erarbeitung und solle zeitnah in Kraft treten.
Die Kommune ist damit nicht den Empfehlungen des Innenministeriums hinsichtlich der Arbeitsweisung zur „Anlage nicht benötigter Mittel“ gefolgt. Insbesondere eine selbst gesetzte
Grenze bzgl. des Risikogrades hätte unter Umständen die konkrete Anlage untersagt.
Der Landesrechnungshof begrüßt, dass eine Anlagerichtlinie in Erarbeitung ist. Diese sollte
mindestens den Ansprüchen des Innenministeriums genügen. Die Richtlinie könnte auch ein
Mindestrating enthalten, welches besser als das vorliegende BBB+ Rating der ausstellenden Ratingagentur oder vergleichbarer Ratings anderer Agenturen ist. Eine Geldanlage bei
der Greensill Bank AG wäre bei einer solchen Vorgabe nicht zustande gekommen. Klargestellt werden sollte, dass auch negative Zinsen bei entsprechendem Marktumfeld und Sicherheit in Kauf genommen werden können.
(157) Die Kommune wählte die Anlageform mit dem höchsten Zinsertrag bei vergleichsweise schlechterem Rating bzw. fehlender Institutssicherung. Das deutet darauf hin, dass
sie den Grundsatz „Sicherheit vor Ertrag“ stärker hätte berücksichtigen sollen.
Auch wenn die gewählte Anlage durch eine Vermittlungsgesellschaft angeboten wurde, entbindet dies die Kommune nicht von einer kritischen Prüfung. Für diese Prüfung bietet sich
eine dementsprechend gestaltete Anlagerichtlinie an.
(158) Die Kommune beachtete ebenfalls nicht die Ausführungen des Innenministeriums
hinsichtlich Anlagen, die nicht durch ein Einlagensicherungssystem oder institutsbezogenes
Sicherungssystem geschützt sind. Die Kommune hätte sich in einem solchen Fall besonders sorgfältig unterrichten müssen. 41
Wäre dies geschehen, hätte u. a. auffallen müssen, dass sich das Rating der Greensill Bank
AG bereits im September 2020 von A- auf BBB+ bei negativem Ausblick verschlechterte. 42
40
41
42
Vgl. Website der Neue Kämmerer: https://www.derneuekaemmerer.de/recht/greensill-bank/greensill-bank-insolvenzverwalter-naehrt-hoffnung-fuer-kommunen-18216/.
Ein erster Schritt könnte dabei eine Internetrecherche darstellen.
Vgl. Mitteilung der Ratingagentur Scope Ratings GmbH vom 17. Oktober 2020: https://www.scoperatings.com/#!search/research/detail/164895EN.
55
Das außergewöhnliche Wachstum der Greensill Bank AG und Berichte über auffällige Kreditkonzentrationen waren zum Zeitpunkt der Anlage ebenfalls bekannt.43
(159) In der Gesamtschau gab es mehrere Ansatzpunkte, die Anlass hätten geben müssen, die Anlage vor dem Hintergrund des Grundsatzes „Sicherheit vor Ertrag“ kritisch zu hinterfragen.
(160) Die Kommune äußerte, dass sie seit Bekanntwerden der Meldung der BaFin vom
3. März 2021 versucht habe, das Geld – auch mit Hilfe einer Rechtsanwaltskanzlei – „zurückzuholen“. Die Versuche blieben bislang ohne Erfolg.
(161) In ihrer Stellungnahme schildert die Kommune nochmals, wie sie die Entscheidung
zur Geldanlage getroffen hat. Sie hätte vor dem Problem gestanden, „den Spagat einerseits
das Geld sicher, andererseits wirtschaftlich anzulegen, also insbesondere Zinsverluste möglichst zu vermeiden, hinzubekommen.“ Die Anlageentscheidung entspräche auch der im Entwurf vorliegenden Anlagerichtlinie der Kommune. Diese sehe ein BBB+ als Mindestrating
vor. „Die Vorlage zur ,Anlage nicht benötigter Mittel’ des lnnenministeriums wurde bei der
Geldanlage vollumfänglich beachtet. Die Anlage wäre auch bei Vorhandensein einer entsprechenden Arbeitsanweisung nicht anders verlaufen, da diese auf die Vorlage des lnnenministeriums zurückzuführen wäre.“
Die Kommune führt aus, dass die in den „vom Bankenverband veröffentlichten Papieren enthaltene Zuordnung der Kommunen zu ,professionellen lnvestoren und bankähnlichen Kunden’“ aus ihrer Sicht „nicht sachgerecht“ sei.
Sie weist darauf hin, dass die Geldanlagen auf mehrere „kleinere Finanzpakete“ umgestellt
worden seien. „Eine selbst gesetzte Grenze unter 1 Mio € hätte zur Folge, dass eine Geldanlage von den Banken in der Regel abgewiesen“ würde. Anlagen wären „bei verschiedenen Banken mit Geldanlagen von 1 Mio bis 1,5 Mio €“ getätigt worden. Klumpenrisiken44
würden so vermieden.
(162) Der Landesrechnungshof verweist auf seine Feststellungen und Ausführungen unter
Tzn. 156 ff. Mit Blick auf die jüngsten Erfahrungen sollte die Kommune prüfen, ob sie das in
ihrem Entwurf der Anlagerichtlinie vorgesehene Mindestrating erhöht.
Soweit die Kommune ihre Zuordnung zu professionellen Investoren und bankähnlichen Kunden für nicht sachgerecht hält, sollte sie dies zum Anlass nehmen, ihr Anlageverhalten entsprechend neu auszurichten. Die Zuordnung und ihre Folgen sind unabhängig von der Auf-
43
44
56
Vgl. u. a. Website der Wirtschaftswoche: https://www.wiwo.de/my/unternehmen/industrie/thyssenkrupp-steeldie-ominoese-rolle-einer-bremer-privatbank-beim-kaufangebot/26569244.html?ticket=ST-849711-ghypyKp1mt7HJUE2frDE-ap2.
Risiko eines Verlusts, welches sich aus der Konzentration der Anlagen auf eine einzige Bank ergibt.
fassung der Kommune zu beachten. Entsprechend hat die Kommune dem Grundsatz der
Sicherheit herausragende Bedeutung beizumessen.
Die selbst gesetzte Grenze von einer Million Euro für Geldanlagen erscheint – auch angesichts des Gesamtumfangs der berichteten Geldanlagen – relativ hoch. Insoweit rät der
Landesrechnungshof dazu, deren Höhe zu überprüfen. Soweit die Kommune darauf verweist, dass eine niedrigere Geldanlage von den Banken in der Regel abgewiesen werde,
schließt dies entsprechende Anlagebemühungen für niedrigere Beträge nicht aus.
4
Schlussfolgerungen
(163) Der dargestellte Vorgang verdeutlicht, welche Risiken im Rahmen der Anlage von
freien Finanzmitteln entstehen können.
(164) Der Landerechnungshof weist die Kommunen auf folgende Maßgaben und Grundsätze hin:
•
Die Vorlage zur „Anlage nicht benötigter Mittel“ des Innenministeriums ist für die Erstellung entsprechender Arbeitsanweisungen zu nutzen.
•
Die gesetzlichen Anforderungen und die weiteren Hinweise des Innenministeriums
sind zu beachten.
•
Insbesondere hat sich die Kommune bei Anlagen, welche nicht durch Einlagensicherungssysteme oder institutsbezogene Sicherungssysteme geschützt sind, besonders sorgfältig zu unterrichten. Ein Anhaltspunkt kann beispielsweise das Rating des Kreditinstitutes sein.
•
Kassenkredite sind bei vorhandener Liquidität im Rahmen einer dementsprechend
ausgestalteten Liquiditätsplanung zu vermeiden.
•
Es wird empfohlen, sich auch über die Besonderheiten der jeweiligen Ratingagentur zu informieren und in Zweifelsfällen Rücksprache mit der Rechtsaufsichtsbehörde zu halten.
•
Anlageentscheidungen und ihre Grundlagen sind stets und sorgfältig zu dokumentieren.
•
Klumpenrisiken, d. h. die Geldanlage bei nur einem Institut, sind zu vermeiden.
(165) Im Nachgang zur Übersendung des Entwurfs dieses Berichtsbeitrages teilte das Innenministerium mit, dass der Vermerk „Anlage freier Finanzmittel“ inhaltlich um Klarstellungen zur Inanspruchnahme von negativen Zinsen/Verwahrentgelten ergänzt worden sei. So
werde bezüglich der Geldanlage bei Kreditinstituten, welche nicht einem institutsbezogenen
Sicherungssystem angehören, klargestellt, dass es rechtsaufsichtlich nicht zu beanstanden
57
sei, wenn eine Kommune im Rahmen ihrer eigenverantwortlichen Abwägung und Entscheidung Verwahrentgelte/Negativzinsen und damit einen Werteverzehr in Kauf nimmt, um das –
auch bei einem guten Rating – verbleibende Risiko eines Substanzverlustes für kommunale
Geldanlagen bei einem Kreditinstitut, welches nicht einem institutsbezogenen Sicherungssystem angehört, zu vermeiden. Der Vermerk sei in seiner aktuellen Fassung im Downloadpool für Kommunen eingestellt.
(166) Der Landesrechnungshof begrüßt die vorgenommene Ergänzung. Darüber hinaus
sollte das Innenministerium Empfehlungen zum Mindestrating prüfen.
58
4
Gesetz zur Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit der Kommunen
während der SARS-CoV-2-Pandemie
Das Infektionsgeschehen der SARS-CoV-2-Pandemie stellte die Kommunen des Landes unter anderem vor das Problem, wie sie Sitzungen unter persönlicher Anwesenheit der Mandatsträger durchführen und das Öffentlichkeitsprinzip wahren können.
Um die Kommunen in die Lage zu versetzen, die pandemiebedingten Herausforderungen zu bewältigen, hat das Land das Gesetz zur Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit der Kommunen während der SARS-CoV-2-Pandemie45 erlassen. Dieses ermöglicht, von organisationsrechtlichen Vorschriften der Kommunalverfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern abzuweichen. Insbesondere ist es möglich, Sitzungen
der Vertretungen als Videokonferenz durchzuführen. Daneben sieht das Gesetz in bestimmten Fällen Ausnahmen von haushaltsrechtlichen Vorschriften vor.
Der Landesrechnungshof hat bei den Landkreisen, kreisfreien und großen kreisangehörigen Städten erfragt, ob und wie sie die Möglichkeiten dieses Gesetzes nutzen.
1
Einführung
(167)
Oberstes Willensbildungs- und Beschlussorgan der Kommunen ist die jeweilige Ver-
tretung der Bürgerinnen und Bürger.
(168) Die Sitzungen dieser Vertretungen führen die Kommunen in Präsenz durch.
Ein zentrales Problem besteht darin, diese in der Pandemie durchzuführen. Ursache dafür
sind ggf. geltende Kontaktverbote und (räumliche) Schwierigkeiten bei der Einhaltung der
Hygieneregeln. Zudem können – trotz deren Beachtung – Risiken bei einem hochdynamischen Infektionsgeschehen bestehen. Vergleichbare Probleme sind mit der Einhaltung des
Öffentlichkeitsprinzips verbunden.
(169) Darüber hinaus hat die Landesregierung darauf hingewiesen, dass die Haushaltswirtschaft der Kommunen mit dem Problem konfrontiert sei, dass die möglichen finanziellen
Auswirkungen der Pandemie sowie etwaige Unterstützungsleistungen von Bund und Land
nur eingeschränkt planbar seien.46
(170) Den identifizierten Problemen und Herausforderungen ist das Land mit dem Gesetz
zur Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit der Kommunen während der SARS-CoV-2Pandemie (Gesetz) begegnet.
45
46
Vgl. Gesetz zur Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit der Kommunen während der SARS-CoV-2-Pandemie vom 28. Januar 2021, GVOBI. M-V vom 29. Januar 2021, S. 66 - 67. Das Gesetz trat am Tage nach seiner Verkündung in Kraft.
Vgl. Drs. 7/5581, S. 1.
59
Im Ländervergleich hat Mecklenburg-Vorpommern dabei relativ spät eine ausdrückliche gesetzliche Sonderregelung getroffen.47 Zuvor hatte das Innenministerium die Beschlussfassung im Umlaufverfahren zur Vermeidung der Ausbreitung der Pandemie auf der Grundlage
von § 1 Abs. 3 Satz 1 und § 2 Abs. 2 des Kommunalen Standarderprobungsgesetzes
(KommStEG M-V) zugelassen. 48 Im Bereich des Haushaltsrechts hat es mit Erlassen Leitlinien zur Auslegung des geltenden Haushaltsrechts und Planungshinweise vor dem Hintergrund der Pandemie zur Verfügung gestellt. 49
Das Gesetz tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2021 außer Kraft. Das Innenministerium kann
durch Rechtsverordnung bestimmen, dass dessen Regelungen in 2022 ganz oder teilweise
fortgelten, soweit diese zur Sicherung der Ziele nach § 150 weiterhin erforderlich sind.
(171) Der Landesrechnungshof hat die Landkreise, kreisfreien und großen kreisangehörigen Städte (zwölf Kommunen) befragt, ob und inwieweit sie (wesentliche) Möglichkeiten des
Gesetzes nutzen. Die Abfrage bezog sich auf den Zeitraum bis zum 30. Juni 2021.
2
Angaben der Kommunen
2.1
Nutzung der Abweichung von Präsenzsitzungen
(172) Der Landesrechnungshof erfragte, ob und wie die Kommunen die mit dem Gesetz
eingeräumte Möglichkeit, Sitzungen als Video- und/oder Hybridkonferenzen durchzuführen,
nutzten.
(173) Die Befragung erbrachte folgende Ergebnisse:
•
Sitzungen in Form von Video- und/oder Hybridkonferenzen führten zehn Kommunen durch.
•
Fünf Kommunen nutzten ein und denselben Anbieter, gefolgt vom einem weiteren
Webkonferenzsystem (drei Kommunen). Darüber hinaus verwendeten die Kommunen (z. T. ergänzend) verschiedene andere technische Lösungen. Die Angaben
ließen den Rückschluss darauf zu, dass die Kommunen dabei teilweise externe ITDienstleister beauftragt haben.
•
Sieben Kommunen haben zusätzliche Technik beschafft, um Video- und/oder Hybridkonferenzen durchzuführen.
47
48
49
50
60
So haben z. B. die Länder Hessen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Brandenburg bereits im
Frühjahr 2020 entsprechende Rechtsvorschriften erlassen.
Entscheidung vom 24. März 2020, Az.: II 300-172-444.0-2012/014-011.
Vgl. Drs. 7/5581, S. 10.
Die Handlungsfähigkeit der kommunalen Organe und Verwaltungen soll nach Abs. 2 auch während der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 aufrechterhalten und die Haushaltswirtschaft gesichert werden.
•
Fünf der Kommunen gaben an, dass sie trotz der eingeräumten Möglichkeit, Videound/oder Hybridkonferenzen durchzuführen, Sitzungen verschieben oder ausfallen
lassen mussten.
(174) Damit nutzten nahezu alle Kommunen die Möglichkeit, ihre Sitzungen als Videobzw. Hybridkonferenzen abzuhalten. Dies spricht dafür, dass der gesetzlichen Regelung ein
entsprechender Bedarf gegenüberstand.
(175) Der Landesrechnungshof weist darauf hin, dass der Datenschutz zu gewährleisten
ist. Dies ist bei einigen der genutzten technischen Lösungen fraglich. So bestehen bei dem
meistgenutzten Videokonferenz-Anbieter datenschutzrechtliche Bedenken.51
(176) Der Landesrechnungshof fordert die Kommunen auf, die eingesetzten technischen
Lösungen datenschutzrechtlich zu prüfen. Er empfiehlt dabei die „Orientierungshilfe Videokonferenzsysteme“ und die entsprechende Checkliste der Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder zu verwenden. 52 Die danach vorzunehmende Prüfung umfasst auch die Fälle, in denen Kommunen IT-Dienstleister beauftragt haben. Hier ist jeweils zu prüfen, ob die Dienstleister ihrerseits die datenschutzrechtlichen Anforderungen einhalten. Die vertraglichen Grundlagen sind entsprechend zu gestalten. Das Innenministerium sollte dies aufsichtsrechtlich (beratend) begleiten. Der Landesrechnungshof hält dies auch bei den kreisangehörigen Kommunen für erforderlich. Diese
verfügen i. d. R. über eine geringere Verwaltungskraft.
Der Landesrechnungshof regt darüber hinaus an, einheitliche technische (datenschutzkonforme) Lösungen in interkommunaler Zusammenarbeit zu prüfen.
2.2
Notwendigkeit einer Regelung für außergewöhnliche Notsituationen
(177) Die Erfahrungen mit den Auswirkungen der Pandemie legen es nahe, die KV M-V so
auszugestalten, dass die Handlungsfähigkeit der Vertretungen/Gremien in Notsituationen jederzeit gewahrt bleibt. Andere Länder haben unter diesem Gesichtspunkt Vorschriften für
das Verfahren in außergewöhnlichen Notsituationen eingeführt. 53 Der Landesrechnungshof
hat erfragt, ob die zwölf Kommunen einen entsprechenden Bedarf sehen.
51
52
53
Vgl. zur datenschutzrechtlichen Beurteilung verschiedener Videokonferenzsysteme z. B.: Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit: Hinweise für Berliner Verantwortliche zu Anbietern von Videokonferenzsystemen, Stand: 18. Februar 2021. Abrufbar unter https://www.datenschutz-berlin.de/infothekund-service/themen-a-bis-z/corona-pandemie.
Abrufbar unter: https://www.datenschutzkonferenz-online.de/orientierungshilfen.html.
Vgl. z. B. (mit teilweise unterschiedlichen Regelungsansätzen) § 56a Kommunalverfassungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt, § 50a Kommunalverfassung des Landes Brandenburg und § 35a Gemeindeordnung
Schleswig-Holstein.
61
(178) Aus der Sicht von acht Kommunen sollte die KV M-V eine entsprechende Dauervorschrift für außergewöhnliche Notsituationen enthalten. Drei Kommunen machten keine Angaben. Nur eine Kommune verneinte einen Bedarf.
(179) Der Landesrechnungshof regt an, die Aufnahme einer dauerhaften Vorschrift für Notfallsituationen zu prüfen. Die Vorschrift sollte die Handlungsfähigkeit der Kommunen auf
rechtssicherer Grundlage auch in der Krise (Pandemien, Naturkatastrophen etc.) gewährleisten. Dabei sind insbesondere die notwendigen Beschlussfassungen der Vertretung und ihrer
Ausschüsse sicherzustellen.
Gleichzeitig ist einer unzulässigen Ausweitung entgegenzuwirken. Das Leitbild der Präsenzsitzung ist weitestgehend sicherzustellen, da diese einen umfassenderen Austausch ermöglicht (z. B. Beratung von Teilnehmern, die gerade nicht das Wort ergriffen haben, Möglichkeit
der unmittelbaren Reaktion). Gleiches gilt für das Öffentlichkeitsprinzip. Insoweit erscheint es
dem Landesrechnungshof sinnvoll, dass es bei einer Dauervorschrift den Kommunalaufsichtsbehörden obliegt, die Anwendbarkeit der Regelungen für Notfallsituationen festzustellen und zu befristen.54
(180) Das Innenministerium teilt mit, dass es die Notwendigkeit einer dauerhaften Regelung für Notsituationen prüfen werde. Es werde hierbei auch die Auffassung des Landesrechnungshofes berücksichtigen.
(181) Der Landesrechnungshof begrüßt dieses Vorgehen.
2.3
Nutzung der Abweichungen von den haushaltsrechtlichen Vorschriften
(182) Der Landesrechnungshof erfragte, ob und inwieweit die zwölf Kommunen die vom
Gesetz vorgesehenen Abweichungsmöglichkeiten von haushaltsrechtlichen Vorschriften
nutzten.
(183) Die Abfrage ergab:
•
Nach dem Gesetz kann abweichend von § 45 Abs. 3 Nr. 2 KV M-V der Höchstbetrag der Kassenkredite unabhängig von der Festsetzung in einer Haushaltssatzung
oder Nachtragshaushaltssatzung durch Beschluss der Gemeindevertretung angepasst werden.
Bis zum Stichtag (30. Juni 2021) hatten zwei Kommunen ihren Höchstbetrag für
Kassenkredite angepasst. Beide Anpassungen lagen im zweistelligen Millionenbereich.
54
62
Vgl. § 56a Abs. 1 Satz 2 Kommunalverfassungsgesetz des Landes Sachsen-Anhalt.
Das Ergebnis könnte dafür sprechen, dass der Bedarf an dieser Regelung begrenzt
ist. Soweit erwogen wird, das Gesetz (ganz oder teilweise) fortgelten zu lassen,
wäre diese Regelung besonders kritisch zu prüfen. Dafür spricht auch, dass Kassenkredite grundsätzlich restriktiv gehandhabt werden sollten. Ihnen stehen keine
Vermögenswerte gegenüber. Es handelt sich um kurzfristige Kredite, mit denen ein
erhöhtes Zinsrisiko einhergeht. Daher sind solche Kredite zu vermeiden und bedürfen einer besonderen Aufmerksamkeit der Aufsicht.
•
Das Gesetz ermöglicht es, abweichend von § 48 Abs. 2 Nr. 4 KV M-V auf eine
Nachtragshaushaltssatzung zu verzichten, wenn die Einstellung von Bediensteten
und die Einrichtung der entsprechenden zusätzlichen Stellen im Stellenplan zur Bewältigung der Pandemie notwendig sind.
Acht Kommunen gaben an, zusätzliches Personal zur Bewältigung der Pandemie
eingestellt zu haben. Bei den Antworten blieb teilweise unklar, ob und inwieweit sie
dabei tatsächlich auf die im Gesetz verankerte Abweichungsmöglichkeit zurückgriffen. Aus den Anmerkungen war erkennbar, dass die Kommunen vorrangig kurzfristige Verträge auf Stundenbasis geschlossen haben. Weiterhin haben sie bei medizinischem Personal Honorarverträge geschlossen. Auch Leiharbeit und die Hilfe
der Bundeswehr nahm eine Kommune in Anspruch. Eine Anpassung des Stellenplans dürfte in diesen Fällen nicht notwendig gewesen sein.
•
Überplanmäßige und außerplanmäßige Auszahlungen oder Aufwendungen, die
aufgrund der Pandemie zu leisten sind, sind abweichend von § 50 Abs. 1 KV M-V
auch zulässig, wenn deren Deckung nicht gewährleistet ist.
Alle zwölf Kommunen leisteten überplanmäßige und außerplanmäßige Aufwendungen und Auszahlungen aufgrund der Pandemie.
Einige Kommunen konnten keine Angaben für 2021 und damit für den zeitlichen
Geltungsbereich des Gesetzes machen.
Der Landesrechnungshof weist darauf hin, dass bei der mit dem Gesetz möglichen
Ausnahme zuvor geklärt werden muss, ob und in welcher Höhe finanzielle Auswirkungen der Pandemie vorliegen. Nur für diesen Fall und in dieser Höhe kann die
Kommune davon Gebrauch machen.
Angaben zur Nutzung dieser Ausnahme müssten damit auch unterjährig möglich
und bezifferbar sein. Das Ergebnis könnte auf Schwierigkeiten hindeuten, die tatsächlichen finanziellen Folgen der Pandemie abzugrenzen und zu beziffern.
63
Der Landesrechnungshof weist darauf hin, dass diese Regelung im Gesetz die Budgethoheit der Vertretung betrifft. Der Eingriff sollte auf das absolut notwendige Maß
beschränkt bleiben. Ihre Verlängerung sollte mit Blick auf die aktuelle Entwicklung
der Pandemie kritisch geprüft werden.
•
Alle zwölf Kommunen gaben an, Mindererträge und Mindereinzahlungen zu verzeichnen. Nur eine Kommune konnte einen konkreten Betrag dazu angeben. Der
Rest machte Schätzungen oder keine Angaben.
Der Landesrechnungshof empfiehlt den Kommunen, die Entwicklung der Erträge
und Einzahlungen fortlaufend zu überwachen. Dies ist gerade bei einer dynamischen Entwicklung notwendig, um rechtzeitig reagieren zu können.
•
Die Fristverlängerung zur Auf- und Feststellung der Jahresabschlüsse 2019 und
2020 nutzten fünf Kommunen. Vier der fünf Kommunen waren dabei ohnehin mit
den Jahresabschlüssen in Verzug. Drei der fünf Kommunen hielten die Verlängerung um jeweils ein Jahr für nicht ausreichend. Es handelte sich hierbei ebenfalls
(ausschließlich) um Kommunen, die ohnehin in Verzug waren.
Wenn sich die Kommunen ohnehin mit den Jahresabschlüssen in Verzug befanden,
sieht der Landesrechnungshof die Gefahr, dass die Ursachen für die Verzögerungen nicht (nur) in der Pandemie liegen. Hier wird durch die Fristverlängerung der
notwendige Aufholprozess beeinträchtigt. Die überwiegende Anzahl der Kommunen
war dagegen nicht auf die Fristverlängerung angewiesen. Von weiteren Fristverlängerungen sollte abgesehen werden.
(184) Das Innenministerium trägt vor, dass es für die kommunale Haushaltswirtschaft 2022
eine Anwendung der Verordnungsermächtigung nach § 4 des Gesetzes anstrebe. 55 Hierbei
sei auch vorgesehen, die Abweichungsmöglichkeit bzgl. der Kassenkredite weiterhin zuzulassen. Gerade mit dieser Regelung werde den besonderen krisenbedingten Unwägbarkeiten Rechnung getragen.
Bei den Jahresabschlüssen sehe die Verordnungsermächtigung lediglich die mögliche Fortgeltung der Bestimmungen vor, sodass „eine Fortschreibung der Fristverlängerung zur Aufund Feststellung der Jahresabschlüsse für die Haushaltsjahre 2021 ff. rechtlich nicht möglich“ sei. Eine solche Fristverlängerung wäre, mit Blick auf die zwischenzeitlich erreichten
Fortschritte bei der Nachholung der Jahresabschlüsse, auch nicht angezeigt. Die Einschätzung des Landesrechnungshofes werde geteilt.
55
64
Danach kann das Innenministerium durch Rechtsverordnung bestimmen, dass die Regelungen nach § 2 (Abweichungen von organisationsrechtlichen Vorschriften der KV M-V) im Jahr 2022 und nach § 3 (Abweichungen von haushaltsrechtlichen Vorschriften der KV M-V) für das Haushaltsjahr 2022 ganz oder teilweise fortgelten, soweit diese zur Sicherung der Ziele des Gesetzes (§ 1) weiterhin erforderlich sind.
(185) Der Landesrechnungshof weist darauf hin, dass die Verordnungsermächtigung nach
§ 4 des Gesetzes auch eine nur teilweise Fortgeltung der Regelungen für das Haushaltsjahr
2022 ermöglicht. Insoweit hält er eine differenzierte Prüfung und Anwendung der Verordnungsermächtigung für erforderlich.
Der Hinweis, von weiteren Fristverlängerungen bzgl. der Jahresabschlüsse abzusehen,
nimmt nicht Bezug auf § 4 des Gesetzes. Er ist generell zu verstehen und mit Blick auf die
Rückäußerungen der Kommunen angezeigt. Diese halten teilweise eine Verlängerung um
jeweils ein Jahr für nicht ausreichend. Etwaigen Anliegen zur weiteren Fristverlängerung
sollte jedoch nicht durch weitere Anpassungen von Regelungen nachgekommen werden.
Der Landesrechnungshof begrüßt, dass das Innenministerium seine Einschätzung teilt.
3
Fazit
(186) Die gesetzliche Regelung, Sitzungen als Videokonferenzen abhalten zu können, war
wichtig und notwendig, um eine rechtssichere Grundlage für die Durchführung von Sitzungen unter Pandemiebedingungen zu schaffen.
Der Landesrechnungshof regt an, zu prüfen, wie zukünftig in vergleichbaren Lagen den notwendigen demokratischen Entscheidungsprozessen rechtssicher Rechnung getragen werden kann. Für solche Fälle könnte der Einsatz elektronischer Medien für die Gremienarbeit
geregelt und verstetigt werden.
Das Innenministerium sollte sorgfältig und kritisch prüfen, ob und inwieweit es die Möglichkeiten zur Abweichung von den haushaltsrechtlichen Vorschriften verlängert. Oberste Priorität ist hier, so schnell wie möglich zu den ursprünglichen Vorschriften der KV M-V zurück zu
kehren. Dies gebietet bereits der Sinn und Zweck derjenigen Vorschriften, von denen abgewichen wird. Ausnahmetatbestände beinhalten das Risiko, dass sie sachfremd ausgeweitet
werden. Ihre Anwendung in der Praxis bedarf der besonderen Aufmerksamkeit der Aufsichtsbehörden.
65
5
Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes
Derzeit sind nur sehr wenige Verwaltungsleistungen mit dem vom Onlinezugangsgesetz geforderten Reifegrad elektronisch verfügbar. Die Kommunen schätzen die fristgemäße Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes als unwahrscheinlich ein. Das
Onlinezugangsgesetz wird nicht fristgemäß umgesetzt werden.
Der Reifegrad 3 kann derzeit in der Regel schon deshalb nicht erreicht werden, weil
das Land notwendige Basisdienste noch immer nicht bereitgestellt und die Voraussetzungen für Nutzerkonten noch nicht geschaffen hat.
Die Kommunen kritisierten, dass sie bei der Konzeptionierung des MV-Serviceportals
nicht einbezogen und ihre Anforderungen nicht berücksichtigt worden seien. Als
Gründe für die Verzögerung bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes benannten sie insbesondere fehlende rechtliche Regelungen, die nicht vollständig geklärte
Finanzierung der Umsetzung sowie fehlende Standards und Schnittstellen für die Anbindung von Fachverfahren.
Der Betrieb eigener kommunaler Portale erfordert die Umsetzung der Vorgaben des
Onlinezugangsgesetzes. Für den Betrieb dieser Portale fehlt bisher der Rechtsrahmen.
(187) Das Onlinezugangsgesetz (OZG) verpflichtet das Land Mecklenburg-Vorpommern,
bis spätestens zum 31. Dezember 2022 seine Verwaltungsleistungen auch elektronisch über
Verwaltungsportale anzubieten. Dies betrifft insgesamt etwa 582 OZG-Leistungsbündel56 mit
über 6.600 einzelnen Verwaltungsleistungen. Davon liegen 460 OZG-Leistungsbündel in föderaler Zuständigkeit (Länder und Kommunen).57
Da in Mecklenburg-Vorpommern rund 90 % der Verwaltungsverfahren auf kommunaler Ebene vollzogen werden, bedarf eine erfolgreiche Umsetzung des OZG deren Mitwirkung.
(188) Der Landesrechnungshof hatte bereits im Kommunalfinanzbericht 2020 auf Grundlage einer Befragung der Landkreise, kreisfreien Städte und großen kreisangehörigen Städte
über den Fortschritt und die Probleme der Umsetzung des OZG berichtet 58. Er hat diese und
das Ministerium für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung (Energieministerium) um aktuelle Auskünfte zur Umsetzung des OZG gebeten. Die sechs Städte sowie fünf der sechs
Landkreise und das Energieministerium sind dieser Bitte nachgekommen.
56
57
58
66
Ein OZG-Leistungsbündel umfasst mehrere Verwaltungsleistungen, die aus Nutzersicht zusammenhängen.
Zahlenangaben auf Basis des OZG-Umsetzungskatalogs, Stand 24. September 2021.
Vgl. Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern: Jahresbericht 2020 Teil 2 – Kommunalfinanzbericht
2020: Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes in den Landkreisen, kreisfreien Städten und großen kreisangehörigen Städten, Tzn. 165 ff.
(189) Die Kommunen und das Energieministerium hatten Gelegenheit, zum Beitrag Stellung zu nehmen. Der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte (MSE) sowie die Hansestädte
Rostock und Stralsund haben hiervon Gebrauch gemacht.
1
Umsetzungsstand
(190) Eine Verwaltungsleistung i. S. d. OZG umfasst die elektronische Abwicklung von
Verwaltungsverfahren und die dazu erforderliche elektronische Information und Kommunikation mit dem Nutzer über allgemein zugängliche Netze. Um den Umsetzungsgrad einer
Verwaltungsleistung feststellen zu können, hat das Bundesministerium des Innern, für Bau
und Heimat (BMI) ein Reifegradmodell59 entwickelt. Danach ist OZG-Konformität mit dem
Erreichen des Reifegrads 3 gegeben. Die Online-Leistung kann einschließlich aller Nachweise vollständig digital abgewickelt werden und der Bescheid wird digital zugestellt. Die
Vorteile eines Portalverbundes gemäß OZG ergeben sich, wenn mit dem Reifegrad 4 ein interoperables Nutzerkonto genutzt werden kann und Verwaltungen alle notwendige Daten
und Nachweise aus Registern der Verwaltung abrufen können (Once-Only-Prinzip).
Tabelle 17: Reifegradmodell für elektronisch angebotene Verwaltungsleistungen
Reifegrad
0
1
2
Offline
Verwaltungsleistungen
finden, Informationen bereitstellen
§ 3 EGovG
M-V
Formularassistent
3
4
Digitaler Rückkanal
• Verwal-
•
tungsleistungen müssen
unabhängig
von der Zuständigkeit
gefunden
werden,
Informationen müssen
über das
Portal zur
Verfügung
gestellt werden
• Antragsfor•
•
•
mular wird
bereitgestellt
elektronischer Assistent unterstützt beim
Ausfüllen
Daten können elektronisch übermittelt werden
Antragstellung muss
noch schriftlich erfolgen
Nutzerkonto, digitale Über- elektronische elektronische
elektronische mittlung be- Kommunika- Bekanntgabe
Authentifizieglaubigter
tion
VerwaltungsrunG
Nachweise
§ 3a VwVfG
akt
§ 33 Abs. 5
M-V,
§ 41 Abs. 2a
VwVfG M-V,
§ 2 EGovG
VwVfG M-V
§ 5 EGovG
M-V
M-V
• identitäts•
•
geprüfte Anmeldung
elektronische Authentifizierung mit einem dem jeweils erforderlichen
Vertrauensniveau angepassten
Mittel (eIDAS-konform)
Antragsbzw. Widerspruchsverfahren online (Schriftformersatz)
• Uploadmög- • elektroni•
lichkeit für
Nachweise
einschließlich Signaturprüfung
soweit erforderlich
•
sches Postfach für
rechtssichere Kommunikation (authentifiziert,
verschlüsselt, integritätsgesichert)
ggf. weitere
Kanäle wie
z. B. Chatbots
• Möglichkeit
im Portal,
Bescheid
rechtsverbindlich
elektronisch
abzurufen
(authentifiziert,
verschlüsselt, integritätsgesichert)
E-Payment
§ 4 EGovG
M-V
interoperables Nutzerkonto,
Once Only
freigeben
• Abwicklung
• Anmeldung
der Zahlungen von Gebühren und
Auslagen
über marktübliche EPaymentSysteme
z.B. Paypal,
Giropay
•
über beliebiges Nutzerkonto des
Portalverbundes
Dokumente,
die der Verwaltung bereits vorliegen, werden
mit Einwilligung der
Nutzer direkt
aus den
Quellsystemen abgerufen
Quelle: Eigene Darstellung auf der Basis des Reifegradmodells des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat. 60
59
60
Das für das Digitalisierungsprogramm Bund entwickelte OZG-Reifegradmodell wird gemäß Beschluss des
IT-Planungsrats auch im Digitalisierungsprogramm Föderal angewendet.
Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat: Digitalisierungsprogramm OZG Bund – Reifegradmodell, Version 1.1.
67
(191) Der Landkreis MSE hat in seiner Stellungnahme ausgeführt, dass das interoperable
Nutzerkonto bereits bei Reifegrad 3 benötigt werde. Erst mit dem Reifegrad 4 seien gestellte
Anträge auch für die Bearbeiter direkt im Fachverfahren ersichtlich und bearbeitbar. Erst dadurch entfalle die manuelle Übertragung von Antragsdaten.
(192) Der Landesrechnungshof stimmt der Auffassung des Landkreises MSE zu, dass sich
ein Mehrwert aus der Umsetzung des OZG erst ergibt, wenn die Daten und Dokumente sich
medienbruchfrei in den Fachverfahren verarbeiten lassen. Dies ist aber kein Kriterium des
Reifegradmodells. Das interoperable Nutzerkonto ist im Reifegradmodell des BMI erst bei
Reifegrad 4 vorgesehen.
(193) Der Landesrechnungshof hatte um Auskunft gebeten, wie viele OZG-Leistungsbündel mit dem Reifegrad 3 angeboten werden.
Vier Kommunen hatten angegeben, dass sie keine Leistungen mit Reifegrad 3 anbieten.
Die anderen Kommunen hatten zwischen 2 und 70 Leistungsbündel gemeldet. Bei zwei dieser Kommunen ergibt sich aus den beigefügten Erläuterungen, dass der Reifegrad 3 nicht
vorliegen kann, weil z. B. keine Nutzerkonten als zentrale Identifizierungs- und Authentifizierungskomponente zur Verfügung stehen, eine elektronische Bekanntmachung von Verwaltungsakten nicht möglich oder die Leistung nicht in das Landesportal integriert ist.
Bei den übrigen Kommunen ist davon auszugehen, dass die angegebenen Leistungen in der
Regel nicht den Reifegrad 3 erreichen können, da z. B. notwendige Basisdienste durch das
Land noch nicht bereitgestellt sind bzw. der Rechtsrahmen für ihre Nutzung zum Auskunftszeitpunkt fehlte und die Voraussetzungen für OZG-konforme Nutzerkonten noch nicht vorlagen.
(194) Gemessen an der Zielvorgabe des OZG werden bisher nur wenige Leistungen durch
die Kommunen elektronisch angeboten. Ein Jahr vor Ablauf der OZG-Umsetzungsfrist erfüllen diese Leistungen bisher nicht die Vorgaben des OZG.
(195) Der Landesrechnungshof hatte die Kommunen um eine Einschätzung gebeten, ob
die Vorgaben des OZG bis Ende 2022 umgesetzt werden können.
(196) Unter Verweis auf die Verantwortlichkeit des Landes hatten diese mitgeteilt, dass sie
eine fristgemäße Umsetzung für unrealistisch bzw. für wenig wahrscheinlich hielten.
(197) Der Landesrechnungshof begrüßt die Bemühungen der Kommunen, zunehmend Verwaltungsleistungen digital anzubieten. Angesichts des mitgeteilten Umsetzungsgrades und
basierend auf den Einschätzungen der Kommunen hält der Landesrechnungshof eine fristgerechte und zügige Umsetzung der Vorgaben des OZG für nicht realistisch.
68
Sollte dies eintreten, verstieße das Land Mecklenburg-Vorpommern zum einen gegen Bundesrecht. Zum anderen schadet die Verzögerung den Interessen des Landes, weil wichtige
Ziele der Verwaltungsdigitalisierung nicht zeitnah erreicht werden könnten:
•
Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Mecklenburg-Vorpommern durch kostengünstige, schnellere und einfachere Genehmigungsverfahren,
•
Verbesserung der Qualität und Beschleunigung des Verwaltungshandelns,
•
Stärkung der Handlungsfähigkeit von Land und Kommunen durch die Entlastung
der Beschäftigten von Routineaufgaben zugunsten der Wahrnehmung qualifizierter
Verwaltungsaufgaben,
•
Förderung digitaler Technologien wie z. B. Automatisierung und Künstliche Intelligenz und
•
Erhöhung der Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger.
Der Landesrechnungshof fordert die Landesregierung auf, im Zusammenwirken mit den
Kommunen Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Umsetzung des OZG zu beschleunigen.
(198) Die Hansestadt Rostock hat ausgeführt, dass die Umsetzung des OZG nicht automatisch zu kostengünstigeren, schnelleren und einfacheren Genehmigungsverfahren führe.
Dieser Teil der Verwaltungsmodernisierung werde die Kommunen noch mehrere Jahre beschäftigen. Die Umsetzung des OZG stelle nur den Beginn des Digitalisierungsprozesses
dar.
(199) Der Landesrechnungshof teilt diese Auffassung. Die erfolgreiche Umsetzung des
OZG beendet nicht den Modernisierungsprozess. Die o. g. Ziele der Digitalisierung können
nur erreicht werden, wenn die Digitalisierung der Verwaltung ganzheitlich gedacht und umgesetzt wird.
(200) Der Landesrechnungshof empfiehlt dem Energieministerium, gemeinsam mit den
Kommunen einen landesspezifischen OZG-Umsetzungskatalog zu erarbeiten. Darin sollten
bezogen auf die einzelnen OZG-Leistungsbündel die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten sowie Umsetzungsfristen festgelegt werden. Der Fortschritt bei der Umsetzung des
OZG sollte anhand dieses Katalogs nachgehalten werden. Der Landesrechnungshof empfiehlt, dass die Landesregierung auf der Basis dieses Katalogs regelmäßig den Landtag
über den Stand der Umsetzung informiert.
(201) Die Hansestadt Rostock hat mitgeteilt, dass sie die Empfehlungen des Landesrechnungshofes teile. Sie verwies darauf, dass seitens der Landesregierung bzw. des Energie-
69
ministeriums ausreichend Kompetenzen und Ressourcen vorhanden sein müssen, damit die
Führungs- und Steuerungsrolle ausgefüllt werden könne.
(202) Der Landesrechnungshof hält dies auch für erforderlich. Das Energieministerium sollte seine Prozesse und seine Aufbauorganisation so optimieren, dass es die für die Steuerung erforderlichen Ressourcen bereitstellen kann.
2
Probleme bei der Umsetzung des OZG
(203) Als Ursachen dafür, dass der Reifegrad 3 bei OZG-Leistungen noch nicht erreicht
wurde, führten die Kommunen an, dass sie bei der Entwicklung des MV-Serviceportals nicht
beteiligt worden seien. Es mangele an Koordinierung, Beratung und Unterstützungsleistungen beim Umsetzungsprozess. Zuständigkeiten seien ungeklärt, Aufgaben seien verspätet
zugeteilt worden. Standards und technische Rahmenbedingungen seien nicht definiert.
(204) Die Hansestadt Rostock hat ausgeführt, dass die in einer Arbeitsgruppe zur Weiterentwicklung des MV-Serviceportals besprochenen Umsetzungen nur zögerlich angegangen
worden seien.
(205) Der Landesrechnungshof hält es für erforderlich, dass Umsetzungsmaßnahmen nicht
nur gemeinsam besprochen werden, sondern dass auch die Umsetzung koordiniert erfolgt.
(206) Die Hansestadt Stralsund hat darauf hingewiesen, dass die Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern über keinen vollständigen Überblick über die im Rahmen des Einer-für-Alle-Prinzips (EfA) in den einzelnen Bundesländern entwickelten Leistungspakete und Lösungen verfügen. Die Informationskampagne des Energieministeriums zu der in MecklenburgVorpommern entwickelten EfA-Leistung „Bauantrag Online“ sei da eine Ausnahme und ein
positives Beispiel.
(207) Das Energieministerium ist nach Auffassung des Landesrechnungshofes nicht nur in
der Verantwortung, über seine im Themenfeld Wohnen und Bauen entwickelten EfA-Leistungen zu informieren. Es sollte auch – ggf. zusammen mit der jeweiligen obersten Fachaufsichtsbehörde – über die in anderen Bundesländern entwickelten EfA-Leistungen informieren und deren Einführung in Mecklenburg-Vorpommern koordinieren.
(208) Das Energieministerium teilte mit, dass es zum 1. Juli 2021 ein „Programmmanagement“ aufgesetzt habe. Das „Programmmanagement“ bestehe u. a. aus Vertretern des Büros kooperatives E-Government, des Zweckverbands Elektronische Verwaltung und des
Landkreistags.
(209) Der Landesrechnungshof begrüßt das Bemühen des Energieministeriums, die Zusammenarbeit mit den Kommunen zu institutionalisieren. Mit Blick darauf, dass das OZG be-
70
reits 2017 erlassen wurde und die durch das OZG gesetzte Umsetzungsfrist in einem Jahr
abläuft, erfolgt die Einführung des „Programmmanagements“ zu spät.
(210) Der Landesrechnungshof bezweifelt, dass das „Programmmanagement“ die geeignete Organisationsform ist. Es fehlt an verbindlichen Verfahrensregelungen sowie der verbindlichen Festlegung von Programmzielen und zeitlichen Umsetzungsvorgaben, die das
„Programmmanagement“ koordinieren, steuern und überwachen könnte. Zur Beschleunigung der Umsetzung des OZG hält der Landesrechnungshof eine ebenenübergreifende
Projektorganisation für erforderlich.
Diese muss sicherstellen, dass die Belange der Kommunen als Vollzugsebene, insbesondere deren Anforderungen für die Anbindung ihrer Leistungen an das Portal, berücksichtigt
werden.
(211) Die Hansestadt Rostock hat hinsichtlich der Anforderungen für die Anbindung kommunaler Leistungen an das Landesportal ausgeführt, dass es für die Kommunen wichtig sei,
dass standardisierte Integrationsszenarien angeboten und entwickelt werden. Es müsse definiert sein, wie die Daten und Dokumente aus dem MV-Serviceportal in die Infrastruktur der
Kommunen überführt werden sollen.
(212) Der Landesrechnungshof teilt die Auffassung der Hansestadt Rostock. Die Digitalisierung darf nicht nur die Schnittstelle zwischen Bürger/Unternehmen und Verwaltung betreffen, sondern muss eine durchgehende medienbruchfreie elektronische Abwicklung der
Verwaltungsleistungen ermöglichen. Die Errichtung einer bloßen „digitalen Fassade“ würde
lediglich den Anschein einer modernen digitalen Verwaltung erwecken.
Die Landesregierung ist verantwortlich für die Umsetzung des OZG. Das Energieministerium muss daher Standards und Schnittstellen definieren, damit Daten und Dokumente medienbruchfrei zwischen dem MV-Serviceportal und den IT-Infrastrukturen der Kommunen
übertragen werden können. Dies betrifft insbesondere die Weiterverarbeitung der Daten in
Fachverfahren und die Ablage von Dokumenten in elektronischen Akten. Dies könnte z. B.
in einem Ausführungsgesetz oder dem bereits bestehenden E-Government-Gesetz M-V geregelt werden. Der Landesrechnungshof hatte dies bereits im Kommunalfinanzbericht
202061 für erforderlich gehalten.
(213) Der Landesrechnungshof hält auch die Besetzung des „Programmmanagements“ für
unvollständig. So vermisst er die Beteiligung von Vertretern des Städte- und Gemeindetags
und von involvierten IT-Dienstleistern.
61
Vgl. Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern (2020): Jahresbericht 2020 (Teil 2) – Kommunalfinanzbericht 2020, Tz. 167.
71
(214) Die Hansestadt Rostock teilte mit, dass der Städte- und Gemeindetag durch eine Abordnung des Zweckverbands elektronische Verwaltung in Mecklenburg-Vorpommern (eGoMV) vertreten sei. Eine Beteiligung von IT-Dienstleistern am Programmmanagement sei
nicht zielführend. In ähnlichen Runden habe eine Beteiligung oft dazu geführt, dass die Infrastrukturebene, nicht aber die wichtigen Themen Kulturwandel, Recht, Prozesse, Daten und
Organisation diskutiert worden seien.
Der Landkreis MSE verwies darauf, dass die Einbindung der IT-Dienstleister über die Landkreise bzw. kommunalen Träger erfolgen solle.
(215) Der Landesrechnungshof begrüßt die Beteiligung des eGo-MV. Er teilt die Auffassung der Hansestadt Rostock, dass sich die beteiligten Verwaltungen zunächst mit den Themen Recht, Prozesse, Daten und Organisation befassen und daraus ihre Anforderungen ableiten. Hierbei ist eine Beteiligung von IT-Dienstleistern nicht zwingend erforderlich. Die technische Umsetzung ist eine nachfolgende Frage. In den Gremien zur technischen Umsetzung
ist die Anwesenheit der IT-Dienstleister erforderlich.
(216) Die Kommunen führten aus, dass die Finanzierung der OZG-Umsetzung nicht vollständig geklärt sei.
(217) Das E-Government-Gesetz Mecklenburg-Vorpommern verpflichtet die Nutzer der EGovernment-Basisdienste, die Mehrkosten zu tragen. Der Entwurf der Basisdienste-Landesverordnung sieht vor, dass Kommunen zur Nutzung der vom Land bereitgestellten E-Government-Basisdienste verpflichtet sind. Die Frage der konkreten Finanzierung wird dort nicht
geregelt.
(218) Der Landesrechnungshof empfiehlt, die Kosten für die Umsetzung des OZG auf der
kommunalen Ebene zu ermitteln und unter Berücksichtigung der Vorwegabzüge im Finanzausgleich transparente Regelungen zur Kostenverteilung zu erlassen.
(219) Die Kommunen verwiesen auf die Zuständigkeit des Landes. Als Grund für die zögerliche Umsetzung des OZG führten sie fehlende rechtliche Regelungen an. Sie hielten ein
Ausführungsgesetz für erforderlich.
(220) Die Landesregierung hat 2020 einen Entwurf zur Änderung des E-Government-Gesetzes des Landes erarbeitet, der die Voraussetzungen für den Betrieb des MV-Serviceportals regelt. Die Landesregierung wird nunmehr durch § 15 Abs. 5 EGovG M-V ermächtigt, in
einer Rechtsverordnung die Verwendung bestimmter IT-Komponenten, Standards und Sicherheitsvorgaben, Maßnahmen zum Schutz personenbezogener Daten, Art und Weise der
Nutzung, Einrichtung und Verwaltung der Nutzerkonten und Identifizierung der Nutzer zu regeln. Davon hat sie bisher nicht Gebrauch gemacht.
72
(221) Die Änderungen des E-Government-Gesetzes sind erst im November 2020, also
knapp zwei Jahre vor Auslaufen der Umsetzungsfrist des OZG, in Kraft getreten. Das Energieministerium hat den Entwurf einer Landesverordnung über die Bereitstellung, Ausgestaltung und Nutzung von E-Government-Basisdiensten dem Kabinett erst im September 2021
vorgelegt. Die Verordnung ist am 4. Oktober 2021 – d. h. knapp ein Jahr vor Ablauf der
OZG-Umsetzungsfrist – in Kraft treten.
Die rechtlichen Regelungen erfolgten im Hinblick auf die Umsetzungsfrist des OZG zu spät.
Die Verordnung regelt die Bereitstellung von Basisdiensten, die unerlässlich sind, damit der
Reifegrad 3 erreicht werden kann (z. B. Signaturdienste). Im verspäteten Erlass dieser Verordnung ist einer der Gründe für die Verzögerungen bei der Umsetzung von OZG-Leistungen mit mindestens Reifegrad 3 zu sehen.
(222) Die Landesregierung hat nicht vollumfänglich von der Verordnungsermächtigung Gebrauch gemacht. Insbesondere enthält die Verordnung keine Regelungen zu Standards
oder Sicherheitsvorgaben.
Der Landesrechnungshof hält dies für erforderlich. Die Landesregierung sollte Regelungen
zu Standards und Sicherheitsvorgaben erlassen.
(223) Der Landkreis MSE hat kritisiert, dass die Basisdienste-Landesverordnung nicht die
Bereitstellung und Nutzung von Basisdiensten regele. Die Grundstruktur der in der Basisdienste-Landesverordnung aufgeführten Komponenten entspräche nicht der Struktur der
durch das MV-Serviceportal bereitgestellten Komponenten.
(224) Die kommunalen Gebietskörperschaften teilten mit, dass bisher keine oder kaum
Fachverfahren an das MV-Serviceportal angeschlossen wurden. Dies liege im wesentlichen
an fehlenden standardisierten Schnittstellen.
(225) Die medienbruchfreie Anbindung von Fachverfahren ist eine wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Digitalisierung. Der Landesrechnungshof empfiehlt dem Energieministerium, ein Verzeichnis der im Land eingesetzten Fachverfahren zu erstellen. Dieses sollte die Kommunen dabei unterstützen darauf hinzuwirken, dass die Fachverfahrenshersteller
standardisierte Schnittstellen für die Anbindung an das MV-Serviceportal bereitstellen. Da
unterschiedliche Kommunen häufig identische Fachverfahren verwenden, könnten so mit
den Herstellern koordinierte Verhandlungen geführt werden.
(226) Der Landkreis MSE hat ausgeführt, dass eine medienbruchfreie Anbindung von
Fachverfahren an das MV-Serviceportal einen Mehrwert bringe. Eine bloße Aufstellung der
zurzeit verwendeten Fachverfahren laufe aber ins Leere. Das Land müsse zuerst die OZG-
73
Leistungen landesrechtlich spezifizieren und die nach dem OZG-Leitfaden geforderte Typisierung vornehmen. Erst danach könnten die Fachverfahren dazu erfasst werden.
(227) Der Landesrechnungshof hält es für erforderlich, dass gemäß dem Vorgehensmodell
des OZG-Leitfadens
•
die Regelungskompetenz erhoben,
•
die Besonderheiten des Landesrechts (Normenscreening) erfasst sowie
•
die Zuständigkeitsverteilung (Zuständigkeitslandkarte) analysiert und
die Fachverfahrenslandschaft erhoben werden.
•
Er hatte bereits im Kommunalfinanzbericht 2020 62 gefordert, dass die Landesregierung eine
Übersicht über die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten für die Verwaltungsleistungen
erstellt.
Dies ist bisher nicht erfolgt. Das Energieministerium sollte dies unverzüglich nachholen.
3
Kommunale Portale
(228) Die Landeshauptstadt Schwerin, die Hansestadt Stralsund sowie der Landkreis Ludwigslust-Parchim (LUP) betreiben jeweils ein eigenes Serviceportal auf der Basis der Software OpenR@thaus. Der Landkreis LUP beabsichtigt, die kreisangehörigen Gemeinden im
Trägerverbund in ein Kreisportal zusammenzuführen. Zukünftig könnten dann kreisliche
Leistungen auch über das Portal einer kreisangehörigen Gemeinde angeboten werden. Im
MV-Serviceportal werde derzeit auf die Angebote der beiden Serviceportale verlinkt.
(229) Mit der Entscheidung für eigene Serviceportale haben sich die Landeshauptstadt
Schwerin, die Hansestadt Stralsund und der Landkreis LUP bei der Umsetzung der OZGLeistungen von den Verzögerung bei der Bereitstellung des MV-Serviceportals unabhängig
gemacht. Allerdings können bestimmte Funktionalitäten nicht angeboten werden, weil bisher
der notwendige Rechtsrahmen fehlt.
(230) Der Betrieb eigener Portale setzt voraus, dass diese die Anforderungen des OZG erfüllen. Die über das eigene Portal angebotenen Leistungen müssen in das Verwaltungsportal
des Landes integriert werden. Die Authentifizierung im Portal muss mit einem OZG-konformen Nutzerkonto erfolgen.
(231) Der Landtag hat im E-Government-Gesetz den Rechtsrahmen für das MV-Serviceportal geschaffen. Im Entwurf der Basisdiensteverordnung wird die Nutzung der vom Land
62
74
Vgl. Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern (2020): Jahresbericht 2020 (Teil 2) – Kommunalfinanzbericht 2020, Tzn. 173-175.
bereitgestellten Basisdienste geregelt. Ein Rechtsrahmen für den Betrieb kommunaler Portale fehlt.
Die Landesregierung sollte eine gesetzliche Regelung für den Betrieb kommunaler Portale
initiieren.
(232) Das Energieministerium sollte zusammen mit den Kommunen prüfen, ob die kommunalen Serviceportale für eine Weiterentwicklung des MV-Serviceportals genutzt werden
können.
(233) Die Hansestadt Rostock hat ausgeführt, dass sie seit 2017 den Ansatz verfolge, eine
E-Government-Plattform für Land und Kommunen zu entwickeln, die alle Anforderungen erfüllen könne. Dazu seien Kooperationsverträge mit dem Energieministerium, dem eGo-MV
und der Landeshauptstadt Schwerin geschlossen und eine Mitwirkung im HRO@Business
angeboten worden. Die Projektergebnisse hätten maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der MV-Service-Plattform gehabt. Eine Plattform für alle Onlinedienste eröffne die Möglichkeit einer kooperativen, wirtschaftlichen und ressourcenschonenden OZG-Umsetzung.
Besonders für Verwaltungsleistungen mit gleichem oder ähnlichem Rechtsrahmen (7080 %) eigne sich die „Einer für Alle“-Vorgehensweise.
Eine Vielfalt von Portalen mit unterschiedlichen Infrastrukturen bedürfe einer mehrfachen
Beauftragung unterschiedlicher IT-Dienstleister. Es sei keine Kommune bekannt, die einen
spürbaren Vorsprung bei der Umsetzung des OZG durch eigene Portale erreicht habe.
(234) Der Landkreis MSE hat mitgeteilt, dass die konsequente Nutzung und Erweiterung
des MV-Serviceportals Grundlage für die Umsetzung des OZG sei. Für den Aufbau eines
parallelen kommunalen Serviceportals fehle eine rechtliche Normierung. Die Anbindung weiterer Leistungen und Anpassungen führten zu Mehraufwänden, die zu vermeiden seien.
(235) Der Landesrechnungshof hatte bereits im Kommunalfinanzbericht 202063 darauf hingewiesen, dass der Betrieb kommunaler Portale die technischen und organisatorischen Anforderungen erhöhe und dadurch deren wirtschaftlicher Betrieb fraglich sei. Zudem fehlt es
für deren Betrieb an einer Rechtsgrundlage.
Die erfolgreiche Umsetzung des OZG bedarf einer gemeinsamen und abgestimmten Vorgehensweise der kommunalen Ebene zusammen mit der Landesregierung und insbesondere
dem Energieministerium. Der Landesrechnungshof hatte bereits im Kommunalfinanzbericht
2020 Verbesserungen bei der Zusammenarbeit und der Steuerung angemahnt.
63
Vgl. Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern (2020): Jahresbericht 2020 (Teil 2) – Kommunalfinanzbericht 2020, Tz. 189.
75
(236) Das Energieministerium sollte stärker darauf hinwirken, dass das OZG in Mecklenburg-Vorpommern einheitlich und kooperativ umgesetzt wird. Dabei sollten die Erfahrungen
und Vorleistungen der Vorreiter (Hansestadt Rostock, Landeshauptstadt Schwerin, Landkreis LUP) genutzt werden.
76
IV. Überörtliche Prüfungen
1
Überörtliche Prüfung der Landeshauptstadt Schwerin: Teilprüfung
„Haushaltswesen/Finanzen“
Der Landesrechnungshof prüfte die Haushalts- und Wirtschaftsführung der Landeshauptstadt Schwerin. Der Betrachtungszeitraum erstreckte sich von 2012 bis 2017
(teilweise 2018).
Der Stadt ist es bis 2017 nicht gelungen den Haushalt jahresbezogen sowohl in der
Planung als auch in der Rechnung auszugleichen. Für 2018 wurde – ohne Berücksichtigung von Fehlbeträgen aus Vorjahren – erstmals ein Überschuss (vor der Rücklagenentnahme) von 7,5 Mio. Euro erzielt. Zurückzuführen war dies vor allem auf eine
Konsolidierungshilfe/Bedarfszuweisung des Landes und damit auf einen Einmaleffekt.
Auffällig waren wiederholte deutliche Abweichungen zwischen Planung und Rechnung. Es bestehen Zweifel, ob die Haushaltspläne unter diesen Bedingungen ihre
Funktion erfüllen konnten.
Auch wenn es der Stadt 2018 gelungen ist, die Kassenkredite zurückzuführen, gibt
deren Höhe Anlass zur Kritik. Von den Kassenkrediten der kommunalen Ebene in
Mecklenburg-Vorpommern entfiel auf die Stadt ein Anteil von rd. 34,6 %.
Das Ziel eines vollständigen Haushaltsausgleichs wird auch längerfristig nicht erreicht. Damit wird auch ein Ziel der 2015 abgeschlossenen Konsolidierungsvereinbarung verfehlt.
1
Prüfungsgegenstand
(237) Der Landesrechnungshof hat die Haushaltsentwicklung und -struktur der Landeshauptstadt Schwerin (Stadt) geprüft und analysiert. Daneben hat er Einzelfeststellungen zur
Haushaltsplanung und -durchführung getroffen. Bei den örtlichen Erhebungen wurde u. a.
auf Jahresabschlüsse bis 2017 zurückgegriffen. Die Ergebnisse des Jahresabschlusses
2018 wurden zusätzlich berücksichtigt.
2
Einführung des Neuen Kommunalen Haushaltsrechts (NKHR)
(238) Im Kommunal-Doppik-Einführungsgesetz vom 14. Dezember 2007 hatte der Gesetzgeber festgeschrieben, dass die Gemeinden ab dem Haushaltsjahr 2012 ihre Bücher nach
den Regeln der doppelten Buchführung für Gemeinden (Doppik) führen. Zu Beginn des ersten Haushaltsjahres nach diesen Regeln war eine Eröffnungsbilanz zu erstellen.
77
(239) Bei der Einführung des NKHR hatte die Stadt erhebliche Probleme. Die Eröffnungsbilanz wäre so rechtzeitig aufzustellen gewesen, dass sie bis zum 30. November 2012 durch
die Stadtvertretung hätte festgestellt werden können. Tatsächlich hat die Stadtvertretung die
Eröffnungsbilanz erst am 29. Februar 2016 mit einer Verspätung von 39 Monaten festgestellt.
(240) Durch die erhebliche Verspätung bei der Aufstellung der Eröffnungsbilanz kam es
auch zur zeitverzögerten Aufstellung der nachfolgenden Jahresabschlüsse.
(241) Das Rechnungsprüfungsamt konstatierte, dass das interne Kontrollsystem der Stadt
mit wesentlichen Mängeln behaftet war. Der Landesrechnungshof teilt diese Feststellung.
(242) Die Stadt hat in ihrer Stellungnahme zu den Prüfungsfeststellungen darauf hingewiesen, dass der Jahresabschluss 2019 fristgemäß festgestellt und der Jahresabschluss 2020
fristgemäß aufgestellt worden seien.
(243) Die Stadt hat den Aufwand und die Zeit für die Vorbereitung der Doppik-Einführung
zum damaligen Zeitpunkt unterschätzt.
Sie sollte dies zum Anlass nehmen, zukünftig bei ähnlich umfangreichen Projekten organisatorische Maßnahmen zu ergreifen, die eine termingerechte Durchführung ermöglichen. Es ist
auf ein entsprechendes Projektmanagement zu achten.
Der Landesrechnungshof begrüßt, dass die Stadt die Jahresabschlüsse nunmehr fristgerecht feststellt.
3
Haushaltsentwicklung
(244) Gemäß § 43 Abs. 1 KV M-V hat die Gemeinde ihre Haushaltswirtschaft so zu planen
und zu führen, dass die stetige Aufgabenerfüllung gesichert ist. Dabei besteht gemäß
§ 43 Abs. 6 KV M-V die Pflicht, den Haushalt in jedem Jahr in Planung und Rechnung auszugleichen.
(245) Zur Haushaltsentwicklung hat der Landesrechnungshof festgestellt:
•
Der Stadt ist es bis 2017 nicht gelungen den Haushalt jahresbezogen sowohl in der
Planung als auch in der Rechnung auszugleichen64. Für 2018 wurde – ohne Berücksichtigung von Fehlbeträgen aus Vorjahren – erstmals ein Überschuss (vor der Rücklagenentnahme) von 7,5 Mio. Euro erzielt. Zurückzuführen war dies vor allem auf
eine Konsolidierungshilfe/Bedarfszuweisung des Landes i. H. v. 12,7 Mio. Euro und
damit auf einen Einmaleffekt.
64
78
2016 und 2017 konnte die Stadt in der Rechnung einen Haushaltsausgleich darstellen, da sie auf zweckge bundene Rücklagen für investive Zwecke zurückgreifen konnte.
•
Der Haushaltsplan soll eine planvolle und transparente Steuerung der Verwendung
der Mittel für die kommunalen Aufgaben ermöglichen (Steuerungsfunktion). Darüber hinaus soll er die Mittelverwendung mit den zur Verfügung stehenden Mitteln
abstimmen (Bedarfsdeckungsfunktion).
Auffällig waren wiederholte deutliche Abweichungen zwischen Planung und Rechnung im Betrachtungszeitraum (2012 bis 2018) (vgl. Abbildung 19). Es bestehen
daher Zweifel daran, dass die Haushaltspläne ihre Funktionen tatsächlich erfüllen
konnten.
Abbildung 19: Ergebnisplanung und -rechnung vor Veränderung der Rücklagen, 2012-2022, in Mio.
Euro
20
10
in Mio. Euro
0
-10
Ergebnisplanung
Ergebnisrechnung
-20
-30
-40
-50
2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022
Quelle: Haushaltssatzungen, Jahresabschlüsse, Haushaltsplan 2019/2020; eigene Darstellung.
•
Entgegen dem in der Ergebnisrechnung erreichten Rückgang der Defizite wird
nach der mittelfristigen Ergebnisplanung des Doppelhaushalts 2019/2020 das Defizit des ordentlichen Ergebnisses im Jahr 2022 auf über 46 Mio. Euro ansteigen.
Der Anstieg des veranschlagten Defizits für das Haushaltsjahr 2022 resultiert nicht
aus dem Rückgang der Einnahmen, sondern hauptsächlich aus dem Anstieg von
Aufwendungen.
(246) Die deutlichen Abweichungen zwischen Planung und Rechnung sollten der Stadt Anlass geben, die dafür maßgeblichen Ursachen zu ermitteln. Möglichkeiten zur Gewinnung
genauer Informationen und realitätsnaher Prognosen der Ansätze sollten geprüft werden.
Der Prozess der Haushaltsaufstellung ist nach Möglichkeit so umzustellen, dass Abweichungen, wie die festgestellten, vermieden werden und der Haushaltsplan damit seine
Funktionen uneingeschränkt erfüllen kann.
79
(247) Die Stadt führte zu den Prüfungsfeststellungen aus, dass diese für die Jahre 2012 bis
2018 zuträfen. Grund der deutlichen Abweichungen sei die verspätete Feststellung der Eröffnungsbilanz. Der erste doppische Jahresabschluss des Haushaltsjahres 2012 sei erst in
2017 festgestellt worden. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse hätten somit erstmals in die
Haushaltsplanung des Doppelhaushalts 2019/2020 einfließen können. Weiterhin seien ab
dem Jahr 2016 Konsolidierungshilfen ein Bestandteil des Jahresabschlusses. Nach den
Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung (Vorsichtsprinzip) sei eine Veranschlagung der
Mittel im Haushaltsplan nicht erfolgt. Der Prozess der Haushaltsplanung sei mit der Aufstellung des ersten Doppelhaushalts 2017/2018 grundlegend angepasst und weiter verfeinert
worden.
(248) Die Ausführungen der Stadt belegen die Bedeutung der Eröffnungsbilanz und aktueller Jahresabschlüsse für die Haushaltsplanung. Sie bestätigen weiterhin, dass die Haushaltspläne aus den von der Stadt genannten Gründen ihre Funktion nur eingeschränkt erfüllen konnten. Der Landesrechnungshof begrüßt die Bemühungen der Stadt, die Qualität der
Haushaltsplanung zu verbessern. Das Ergebnis der eingeleiteten Maßnahmen sollte die
Stadt evaluieren.
(249) Die Stadt sollte bei der Steuerung durch den Haushaltsplan insbesondere die Aufwendungen für Personal und für die soziale Sicherung, die diesen durch hohe absolute Beträge prägen, kritisch prüfen. Die Stadt ergänzte in der Stellungnahme zu den Feststellungen
die zugrundeliegenden Daten nur um Angaben aus dem Haushaltsplan 2021/2022. Die Feststellungen bzgl. der Ursachen des Anstiegs des veranschlagten Defizits für das Haushaltsjahr 2022 und die Wertungen des Landesrechnungshofes bleiben davon unberührt.
3.1
Entwicklung der Erträge und Aufwendungen
(250) Für einen Ausgleich des Ergebnishaushalts ist es grundsätzlich erforderlich, dass der
Gesamtbetrag der Erträge den Gesamtbetrag der Aufwendungen erreicht oder übersteigt. 65
(251) Zu den Erträgen hat der Landesrechnungshof festgestellt:
•
Die laufenden Erträge der Stadt sind kontinuierlich gestiegen. Entwicklung und
Struktur der Erträge sind Abbildung 20 zu entnehmen.
65
80
Zu den genauen Anforderungen vgl. § 16 GemHVO-Doppik.
Abbildung 20: Struktur der Erträge, 2012-2018, in Mio. Euro
350
300
sonstige laufende Erträge
Zinserträge, sonstige Finanzerträge
Kostenerstattungen, Kostenumlagen
Privatrechtliche Leistungsentgelte
Öffentlich-rechtliche Leistungsentgelte
Erträge soziale Sicherung
Zuwendungen, allgemeinne
Umlagen
Steuern und ähnliche Abgaben
in Mio. Euro
250
200
150
100
50
0
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
Quelle: Jahresabschlüsse; eigene Darstellung.
Bei den Steuererträgen und den Erträgen der sozialen Sicherung sind erhebliche
Steigerungen im Betrachtungszeitraum (2012 bis 2018) zu verzeichnen.
−
Die Steigerung der Erträge der sozialen Sicherung geht allerdings einher mit
gestiegenen Aufwendungen für die soziale Sicherung. Sie können daher nicht
zur grundsätzlichen Besserung der Haushaltssituation beitragen.
−
Die Steuererträge konnten von 2012 bis 2018 um rd. 32,3 Mio. Euro gesteigert
werden. Bei allen Steuerarten waren Ertragssteigerungen zu verzeichnen. Während 2006 der Anteil der Steuererträge am Verwaltungshaushalt 20 % betrug,
konnte die Stadt innerhalb von 10 Jahren diesen Anteil um rd. 10 Prozentpunkte
steigern.
Maßgeblichen Anteil an dieser Entwicklung hat der Anstieg der Gewerbesteuererträge von 2012 bis 2017 um rd. 11,6 Mio. Euro. Auch 2018 konnten die Erträge aus der Gewerbesteuer weiter gesteigert werden.
Die Grundsteuer B ist in den Jahren 2017 und (deutlicher) 2018 rückläufig. Der
Rückgang resultiert aus der Reduzierung des Hebesatzes von 630 v. H. im Jahr
2017 auf 595 v. H. im Jahr 2018.
•
In 2018 resultiert eine hohe Ertragssteigerung aus den Bedarfszuweisungen des
Landes für die Haushaltskonsolidierung.
(252) Die Stadt wies in ihrer Stellungnahme zu den Prüfungsfeststellungen darauf hin,
dass sie sich im Verbund der Kommunen in Deutschland und Mecklenburg-Vorpommern
dazu verpflichtet habe, die Grundsteuerreform nicht für Steuererhöhungen zu nutzen. Den-
81
noch werde die Stadt nicht auf Steuereinnahmen verzichten. Ziel sei eine aufkommensneutrale Umsetzung der Steuerreform. Der Grundsteuerhebesatz von 595 v. H. sei überdurchschnittlich hoch. Eine Umfrage des Deutschen Städtetages zu den Realsteuerhebesätzen
2020 und 2021 vom 30. Juni 2021 zeige, dass im Bundesdurchschnitt der Realsteuerhebesatz für die Grundsteuer B bei ca. 475 v. H. liege.
(253) Der Landesrechnungshof fordert die Stadt mit Blick auf die Haushaltslage auf, den
Hebesatz der Grundsteuer B mindestens wieder auf das Niveau von 2017 anzuheben. Die
Hebesätze müssen sich am konkreten Finanzbedarf der Stadt orientieren. Bei erheblichen
Haushaltsproblemen sind sie ggf. auch deutlich über den vergleichsweise herangezogenen
Durchschnittshebesätzen festzusetzen.66
Die Auswirkungen der anstehenden Grundsteuerreform sind frühzeitig zu bewerten. Verringerten Erträgen ist zumindest im Sinne des (auch von der Stadt verfolgten) Ziels einer Aufkommensneutralität entgegenzuwirken.
(254) Zu den Aufwendungen hat der Landesrechnungshof festgestellt:
Die laufenden Aufwendungen haben sich zwischen 2012 und 2018 nicht im selben
•
Maße wie die laufenden Erträge entwickelt. Innerhalb von sieben Jahren haben die
Aufwendungen um rd. 43,3 Mio. Euro zugenommen. Dies entspricht einer Steigerung von 16,3 %. Entwicklung und Struktur der Aufwendungen ist der Abbildung 21
zu entnehmen.
Abbildung 21: Struktur der Aufwendungen, 2012-2018, in Mio. Euro
350
300
sonstige laufende Aufwendungen
Zinsaufwendungen, sonstige Finanzaufwendungen
Aufwendungen der sozialen
Sicherung
Zuwendungen, Umlagen
und sonstige Transferaufwendungen
Abschreibungen
Aufwendungen für Sachund Dienstleistungen
Versorgungsaufwendungen
Personalaufwendungen
in Mio. Euro
250
200
150
100
50
0
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
Quelle: Jahresabschlüsse; eigene Darstellung.
•
Den höchsten Anteil an den Aufwendungen haben die Aufwendungen der sozialen
Sicherung. Sie sind von 2012 bis 2018 um rd. 25,4 Mio. Euro gestiegen. Um ein re-
66
82
Vgl. Nr. 18.1.3 c) GemHVO-GemKVO-DoppVV M-V.
alistisches Bild über deren Einfluss auf das Defizit der Stadt zu erhalten, müssen
den Aufwendungen allerdings die Erträge der sozialen Sicherung gegenübergestellt
werden (vgl. Abbildung 22).
Abbildung 22: Differenz von Aufwendungen und Erträgen der sozialen Sicherung, 2012-2018, in Mio.
Euro
70 %
60
53,5
54,3
51,5
53,8
50
60 %
46,0
48,2 %
40
in Mio. Euro
52,1
54,9
50 %
46,0 %
42,3 %
41,7 %
38,5 %
40,3 %
34,6 %
30
20
40 %
Differenz von Aufwendungen und Erträgen der sozialen
Sicherung
30 %
Eigenanteil Schwerin
20 %
10
10 %
0
0%
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
Quelle: Jahresabschlüsse; eigene Darstellung.
Eine Betrachtung der reinen Erträge und Aufwendungen der sozialen Sicherung
kann steigende Belastungen im Bereich der sozialen Leistungen nicht belegen.
Dies gilt auch, wenn die mit der sozialen Sicherung befassten Teilhaushalte (mit
Personalaufwendungen) einbezogen werden. Die Belastungen sind nahezu konstant.
(255)
Die Stadt sollte die Ursache der finanziellen Situation umgehend umfassend analy-
sieren. Dabei ist insbesondere das Ausgabeverhalten im Bereich der freiwilligen Aufgaben
in den Blick zu nehmen. Ein Verweis allein auf hohe und nach wie vor steigende Belastungen im Bereich der sozialen Leistungen greift als Ursachenanalyse zu kurz.
(256) Die Stadt merkte zu den Feststellungen an, dass „in vielen anderen Städten der konjunkturelle Effekt des Betrachtungszeitraums auf die Sozialaufwendungen durchgeschlagen
ist. In der Landeshauptstadt Schwerin war eine konsequente Stagnation bzw. leichte Steigerung zu verzeichnen.“ Die Landkreise hätten demgegenüber allein vor dem Hintergrund
der höheren Erstattungsquote positive Effekte zu verzeichnen und würden somit „von allein“
teilkonsolidiert.
Das Ausgabeverhalten im Bereich der freiwilligen Aufgaben behalte die Stadt stets im Blick.
Rückblickend seien die Aufwendungen für das Theater stets die kostenintensivste Position
im freiwilligen Aufgabenbereich gewesen. Mit dem geschlossenen Theaterpakt sei diese Position inzwischen entfallen. Die übrigen Aufwendungen für freiwillige Aufgaben würden u. a.
83
auch geleistet, um nicht mittelfristig neue Probleme in der Funktionsweise der Stadt zu
schaffen.
(257) Der Landesrechnungshof nimmt die erläuternden Ausführungen zur Kenntnis. Sie
stehen seinen Feststellungen und Wertungen nicht entgegen.
3.2
Entwicklung der Personalaufwendungen
(258) Eine große Aufwandsposition im Haushalt der Stadt sind die Personalaufwendungen.
Sie sind von 2012 bis 2018 unter Berücksichtigung der Zuführungen zu den Pensionsrückstellungen und den Versorgungsaufwendungen um rd. 15,7 Mio. Euro (rd. 34 %) angestiegen. Die reinen Personalaufwendungen sind um rd. 23 % gestiegen.
(259) Ursächlich hierfür sind Tarifsteigerungen, die Zunahme der Zuführungen zu den Pensionsrückstellungen und die schwankenden Versorgungsaufwendungen.
Daneben war eine Zunahme der im Haushaltsplan veranschlagten Planstellen zu verzeichnen. So stieg die Zahl der Planstellen zwischen 2012 und 2017 um rd. 49 VzÄ.
(260) Die Stadt weist darauf hin, dass die Steigerung der Personalaufwendungen einen Bezugszeitraum von sieben Jahren umfasse. Bei einer jährlichen Betrachtung innerhalb des
Bezugszeitraums ergäbe sich eine Steigerung der Personalaufwendungen von ca. 3 %. In
den Jahren 2016 und 2017 hätten Tarifsteigerungen und personelle Aufstockungen im Bereich der Ausländerbehörde sowie des Unterhaltsvorschusses die größten Anstiege verursacht.
Die Entwicklung der Zahl der Planstellen sei in den jeweiligen Genehmigungsverfahren zu
den Haushalten abgestimmt worden. Mit der Haushaltsplanung für 2018 sei die Zahl der
Planstellen bereits um 20 VzÄ niedriger angesetzt worden.
(261) Mit Blick auf die Tatsache, dass die Stadt die dauernde Leistungsfähigkeit auch zukünftig nicht erreichen kann, ist die Entwicklung der Personalaufwendungen kritisch zu prüfen. Ggf. ist hierzu eine umfassende Aufgabenkritik und eine darauf basierende Ermittlung
der Stellenbedarfe notwendig.
3.3
Entwicklung der Kreditschulden
(262) Mit dem Haushaltsjahr 2018 konnte die Stadt bei der Entwicklung der Kreditschulden
eine Trendwende herbeiführen. Am Ende des Haushaltsjahres 2018 beliefen sich die Kreditschulden der Stadt auf rd. 217 Mio. Euro. Der Gesamtbestand sank gegenüber 2012 um
rd. 5,2 Mio. Euro.
Die Struktur der Kreditschulden hat sich zwischen 2012 und 2017 verändert. Während die
Stadt die Schulden aus Investitionskrediten seit dem 1. Januar 2012 (Eröffnungsbilanz) um
84
über 36 Mio. Euro zurückführen konnte, stiegen im gleichen Zeitraum die Kassenkredite um
rd. 52 Mio. Euro (vgl. Abbildung 23). Einwohnerbezogen sind die Schulden von 2012 bis
2017 um rd. 100 Euro je Einwohner angewachsen.
Abbildung 23:
Struktur der Kreditschulden von der Eröffnungsbilanz bis 2018, in Mio. Euro
250
225
200
in Mio. Euro
175
150
Verbindlichkeiten die Kreditaufnahmen gleich kommen
125
Kredite gegenüber sonstigem öffentlichen Bereich
Investitionskredite
100
Kassenkredite
75
50
25
0
EB
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
Quelle: Eröffnungsbilanz, Jahresabschlüsse, Prüfberichte RPA (ohne 2018); eigene Darstellung.
(263) Der Anstieg der Kreditschulden resultiert aus dem fehlenden bzw. nicht ausreichenden Ausgleich des Finanzhaushalts. In der Folge wurden die planmäßigen Tilgungen der Investitionskredite mit Kassenkrediten finanziert, die deshalb ihrerseits stiegen bzw. nicht abgebaut werden konnten.
(264) Wegen hoher Steigerungen bei den Steuereinnahmen (+7,8 Mio. Euro), den Schlüsselzuweisungen (+4,5 Mio. Euro) und den Bedarfszuweisungen (+12,7 Mio. Euro) im Vergleich zum Vorjahr konnte 2018 ein Überschuss beim Saldo der ordentlichen Ein- und Auszahlungen i. H. v. rd. 20,3 Mio. Euro erzielt werden.
Dadurch ist es erstmals seit Einführung der Doppik gelungen, den Bestand der Kassenkredite im Vergleich zum Vorjahr zurückzuführen.
(265) Der Landesrechnungshof weist darauf hin, dass der Überschuss beim Saldo der ordentlichen Ein- und Auszahlungen 2018 zum überwiegenden Teil allerdings nicht auf nachhaltige und strukturelle Verbesserungen der Haushaltssituation zurückzuführen ist, sondern
auf eine Bedarfszuweisung.
(266) Auch wenn es der Stadt 2018 gelungen ist die Kassenkredite zurückzuführen, gibt
deren Höhe Anlass zur Kritik.
Von den Kassenkrediten der kommunalen Ebene in Mecklenburg-Vorpommern im Jahr
2018 i. H. v. 394 Mio. Euro entfielen allein auf die Stadt weiterhin rd. 136,2 Mio. Euro. Dies
85
entspricht einem Anteil von rd. 34,6 %. Im Gegensatz dazu beträgt der Anteil an der Bevölkerung des Landes lediglich rd. 6 %
(267) Kassenkredite sollen übergangsweise der Erhaltung der Zahlungsfähigkeit dienen.
Sie sind keine Deckungsmittel, sondern sollen den verzögerten Eingang von Deckungsmitteln überbrücken.
(268) Die Kassenkredite werden in der Stadt jedoch nicht mehr ausschließlich zur Absicherung der rechtzeitigen Leistung von Ausgaben verwendet, sondern sind struktureller Finanzierungsbestandteil der kommunalen Aufgabenerfüllung geworden. Das verstößt gegen die
im § 53 KV M-V geregelten Verwendungsbeschränkungen für Kassenkredite. Hieraus ergibt
sich für die Stadt auch ein erhebliches Zinsrisiko, wenn die Zinsen für die Kassenkredite steigen sollten.
4
Haushaltsplanung: Veranschlagung von Investitionen
(269) Die Stadt hat bei der Veranschlagung von Investitionen § 9 und § 17a GemHVODoppik zu beachten.
§ 9 GemHVO-Doppik regelt Mindestvoraussetzungen für die Planung von Investitionen
(Wirtschaftlichkeitsberechnung, Vorliegen einer Planung einschließlich Klärung der Investitionskosten und Darstellung der Folgekosten), die deren langfristigen Auswirkungen auf den
Haushalt Rechnung tragen.
§ 17a GemHVO-Doppik definiert strenge Anforderungen, unter denen Gemeinden mit weggefallener oder gefährdeter dauernder Leistungsfähigkeit Investitionen im freiwilligen Aufgabenbereich durch Kreditaufnahmen finanzieren dürfen.
(270) Die Stadt hatte im Haushaltsplan eine Investition in erheblicher Höhe (insgesamt 2
Mio. Euro) veranschlagt, obwohl diese noch nicht veranschlagungsreif war. Die Höhe der damit verbundenen Folgekosten blieb ungeklärt. Damit hat sie § 9 GemHVO-Doppik sowie die
Grundsätze der Haushaltswahrheit und -klarheit nicht hinreichend beachtet. Die Voraussetzungen für die Genehmigung einer Kredit- bzw. Verpflichtungsermächtigung lagen nicht vor,
denn die Stadt konnte die Voraussetzungen des § 17a GemHVO-Doppik nicht nachweisen.
(271) Der Landesrechnungshof erwartet, dass bei zukünftigen Investitionsmaßnahmen alle
haushaltsrechtlichen Vorschriften eingehalten werden.
86
5
Haushaltsdurchführung
5.1
Haushaltsermächtigungen, die über das Haushaltsjahr hinaus gehen
(272) Für den Haushalt gilt das Jährlichkeitsprinzip, das in § 45 Abs. 1 KV M-V zum
Ausdruck kommt.
Davon gibt es Ausnahmen, zu denen
•
die Übertragung von Haushaltsansätzen gem. § 15 GemHVO-Doppik,
•
die Weitergeltung von Kreditermächtigungen für Kredite für Investitionen und
Investitionsförderungsmaßnahmen gem. § 52 Abs. 3 KV M-V und
•
die Weitergeltung der Festsetzung der Verpflichtungsermächtigungen gem.
§ 54 Abs. 3 KV M-V
gehören.
§ 53 GemHVO-Doppik regelt, wie diese Tatbestände im Jahresabschluss abzubilden sind.
Der Übersicht kommt besondere Bedeutung zu, da übertragene bzw. fortgeltende
Haushaltsermächtigungen auf die Haushaltswirtschaft der Folgejahre Auswirkungen haben.
Mit dem Jahresabschluss wird auf Basis dieser Übersicht verbindlich festgestellt, welche
Ermächtigungen in das Folgejahr übertragen werden und weitergelten.67
(273) Während die Übertragungen von Aufwands- und Auszahlungsermächtigungen (ordentliche und außerordentliche) der Stadt nur ein geringes Volumen aufweisen, sind die
übertragenen Ermächtigungen für die Investitionsauszahlungen sehr hoch. Der Anteil der
Übertragungen an den Gesamtermächtigungen für Investitionsauszahlungen hat in den vergangenen Haushaltsjahren zwischen 32,5 % und 57,2 % gelegen.
(274) Die hohen Anteile deuten darauf hin, dass die Stadt für Investitionsmaßnahmen
Haushaltsmittel zu frühzeitig bzw. über den benötigten Umfang hinaus veranschlagt und
diese damit unnötig gebunden hat.
(275) Kreditermächtigungen gelten bis zum Ende des Haushaltsfolgejahres und wenn die
Haushaltssatzung für das übernächste Haushaltsjahr nicht rechtzeitig bekannt gemacht
wird, bis zur öffentlichen Bekanntmachung dieser Haushaltssatzung (§ 52 Abs. 3 KV M-V).
(276) Aus den Haushaltsjahren 201068 und 2011 verfügte die Stadt noch über Kreditermächtigungen ohne Umschuldung i. H. v. rd. 7,9 Mio. Euro. Sie hat 2012, 2015, 2017 und
67
68
Wille in Bräse/Wille/Lehmitz „Kommunales Haushaltsrecht Mecklenburg-Vorpommern“, 1. Auflage 2019, § 53
GemHVO-Doppik, S. 327. Dort wird auch zur Frage der Kompetenz zur Entscheidung über die Übertragung
ausgeführt.
Die Haushaltssatzung für 2012 trat erst am 17. Dezember 2012 mit ihrer Veröffentlichung in Kraft.
87
2018 Investitionskredite in Anspruch genommen. In allen vier Haushaltsjahren hat sie dafür
Kreditermächtigungen aus Vorjahren eingesetzt.
(277) Nach § 53 GemHVO-Doppik sind u. a. die über das Haushaltsjahr hinaus geltenden
Ermächtigungen für die Aufnahme von Krediten für Investitionen und Investitionsförderungsmaßnahmen unter Angabe der betroffenen Teilhaushalte in einer Übersicht darzustellen. Sie
war gemäß § 42 Abs. 2 Nr. 5 GemHVO-Doppik a. F. eine Anlage zum Jahresabschluss. Die
Stadt hat die übertragenen Kreditermächtigungen bis zum Jahresabschluss 2017 in den jeweiligen Jahresabschlüssen nicht dargestellt.
Auch in den Finanzrechnungen der Jahresabschlüsse 69 fehlt es an den entsprechenden Angaben zu über das Haushaltsjahr hinaus geltenden Ermächtigungen für die Aufnahme von
Investitionskrediten.
(278) Im Jahresabschluss 2018 hat die Stadt nach dem Hinweis des Landesrechnungshofes erstmals die übertragenen Kreditermächtigungen dargestellt. Sie stellte diese in einer
Gesamtsumme dar und teilte sie nicht auf die betroffenen Teilhaushalte auf.
Der Landesrechnungshof weist darauf hin, dass zukünftig die in § 53 GemHVO-Doppik vorgesehene Aufteilung der übertragenen Kreditermächtigungen auf die Teilhaushalte zu erfolgen hat.
(279) Die
Stadt
hat
sich
für
den
Hinweis
zur
Darstellung
der
übertragenen
Kreditermächtigungen bedankt und angekündigt, ihn künftig zu berücksichtigen. Der
Landesrechnungshof begrüßt dieses Vorgehen.
5.2
Kosten- und Leistungsrechnung
(280) Nach § 27 Abs. 1 GemHVO-Doppik a. F. war nach den örtlichen Bedürfnissen als
Grundlage für die Verwaltungssteuerung sowie für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit und
Leistungsfähigkeit der Verwaltung eine Kosten- und Leistungsrechnung (KLR) zu führen.
Mit der Novellierung der GemHVO-Doppik hat der Verordnungsgeber die ursprüngliche
Pflicht zur Einführung einer KLR aufgeweicht. Auf eine KLR kann danach verzichtet werden,
wenn durch eine angemessene Produktgliederung und interne Leistungsverrechnung eine
ausreichende Steuerungsgrundlage gegeben ist. Zielgruppe für diese Novellierung waren
kleine amtsangehörige Gemeinden und nicht Gemeinden in der Größenordnung der Stadt.70
69
70
88
Nach der VV zu § 61 GemHVO-Doppik sind durch das Innenministerium u. a. die Muster der Finanzrechnung
verbindlich bekannt gemacht worden.
Vgl. Müller-Elmau, Krischok, Lemitz in Bräse/Wille/Lehmitz „Kommunales Haushaltsrecht Mecklenburg-Vorpommern“, 1. Auflge 2019, § 27 GemHVO-Doppik, S. 229.
(281) Nach Auskunft des Rechnungsprüfungsamtes hat die Stadt bereits seit 2012 die Erlöse und die Kosten aus den Erträgen und Aufwendungen hergeleitet. 71 Diese seien im
Buchwerk im Bereich Wirtschaftlichkeit/Kostenrechnung dargestellt.
(282) Ob und in welchem genauen Umfang die Stadt eine KLR umsetzt, blieb nach dem
Ergebnis der örtlichen Erhebungen und der Stellungnahme zu den Prüfungsfeststellungen
unklar.
Der Landesrechnungshof kann allerdings feststellen, dass die Stadt eine KLR nicht im
vollen Umfang umgesetzt hat. Sie hat in ihrer Stellungnahme vorgetragen, dass sie
Umlagen noch nicht realisiere. Darüber hinaus verwies sie auf einen erheblichen
personellen Aufwand für die Umsetzung der Forderungen des Landesrechnungshofes zur
Einführung und Implementierung einer (vollständigen) KLR. Die Stadt kündigte an, im
„Rahmen der personellen Gegebenheiten [...] weiter am Aufbau der KLR“ zu arbeiten.
(283) Die Stadt sollte die KLR zeitnah vollständig einführen und umsetzen. Dies bedeutet
einen erheblichen Aufwand, hat aber vielfältigen praktischen Nutzen, wie
5.3
•
Unterstützung des Haushaltskreislaufs,
•
Ermöglichung der internen Leistungsverrechnung,
•
Lieferung von Kennzahlen,
•
Vereinfachung der Gebührenkalkulation und
•
Ermöglichung von interkommunalen Leistungsvergleichen.
Interne Leistungsverrechnung
(284) Interne Leistungsbeziehungen zwischen den Teilhaushalten sind gemäß § 11 Abs. 6
GemHVO-Doppik verursachungsgerecht zu verrechnen.
(285) Eine verursachungsgerechte Verrechnung der internen Leistungsbeziehungen
zwischen den Teilhaushalten hat die Stadt bisher nicht durchgeführt. Eine Veranschlagung
von internen Leistungsbeziehungen im Haushaltsplan hat sie zwischen 2012 und 2017 nur
bei ausgewählten Teilhaushalten vorgenommen.
(286) Der Landesrechnungshof erwartet, dass zukünftig sowohl in der Planung als auch in
der Rechnung die internen Leistungsbeziehungen über alle Teilhaushalte vollständig
dargestellt werden.
71
Bericht des Rechnungsprüfungsamtes über die Prüfung des Jahresabschlusses 2016, S. 43.
89
6
Freigabeerklärungen
(287) § 59 Abs. 2 KV M-V
gibt
vor,
dass
wenn
„die
Kassengeschäfte
oder
das
Rechnungswesen ganz oder zum Teil automatisiert [werden], ... die Programme vor ihrer
Anwendung vom Anwender zu prüfen und vom Bürgermeister zur Anwendung freizugeben
[sind].“ Näheres regelt § 12 Abs. 1 GemKVO-Doppik.
(288) Die von der Stadt vorgelegten Unterlagen verdeutlichen Verstöße gegen diese Vorschriften. Die Stadt gab an, dass bei zwei Verfahren keine Freigabeerklärungen vorlägen.
Von den lt. Übersicht vorhandenen zehn Freigabeerklärungen hat die Stadt dem Landesrechnungshof nur fünf übersandt. Zwei Erklärungen, welche in zusammengefasster Form
vorlagen,
entsprachen
nicht
den
Anforderungen
einer
Freigabeerklärung
gemäß
§ 59 Abs. 2 KV M-V i. V. m. § 12 Abs. 1 Nr. 1 GemKVO-Doppik.
(289) In der Gesamtsicht wird bei fehlenden bzw. unvollständigen Freigabeerklärungen gegen den § 59 Abs. 2 KV M-V i. V. m. § 12 Abs. 1 Nr. 1 GemKVO-Doppik verstoßen. Werden
diese Vorschriften nicht beachtet, ist die Buchführung nicht ordnungsgemäß. Bei fehlenden
bzw. unvollständigen Freigaben besteht die Gefahr, dass die Integrität und Stabilität der genutzten Programme nicht gewährleistet ist.
(290) Der Landesrechnungshof fordert daher die Stadt auf, EDV-Programme, die der Automation des Rechnungswesens dienen,
•
zu identifizieren,
•
zu prüfen/testen,
•
festgestellte Mängel zu beseitigen und sodann
•
nach Maßgabe der § 59 Abs. 2 KV M-V i. V. m. § 12 Abs. 1 Nr. 1 GemKVO-Doppik
freizugeben.
Des Weiteren empfiehlt der Landesrechnungshof der Stadt, zukünftig aussagekräftige Übersichten über entsprechende Verfahren und Schnittstellen vorzuhalten. Sie sollte auch Versionsstände und durchgeführte Updates der Programme enthalten und die entsprechenden
Freigabeerklärungen fortschreiben. So können ggf. nicht durchgeführte/veraltete Freigabeerklärungen für neuere Versionen erkannt werden.
7
Anlagevermögen
(291) Das Anlagevermögen einer Kommune umfasst die Vermögensbestandteile, welche
der Kommune langfristig zur Verfügung stehen. Zum großen Teil besteht das Anlagevermögen aus Sachanlagen (Grundstücke, Gebäude etc.) und aus Finanzanlagen (bspw. Beteiligungen). Nach § 34 Abs. 1 GemHVO-Doppik sind „bei Vermögensgegenständen des
90
Anlagevermögens, deren Nutzung zeitlich begrenzt ist, … die Anschaffungs- oder
Herstellungskosten um planmäßige Abschreibungen zu vermindern.“
(292) Im Bereich des Anlagevermögens gab es insbesondere bezüglich der Sporthallen
Ungenauigkeiten. Dies führte u. a. zu Mängeln bei der verursachergerechten Zuordnung
des Aufwands.
(293) Die Stadt berichtete in ihrer Stellungnahme über vorgenommene Prüfungen und
Korrekturen. Im übrigen erläuterte die Stadt die von ihr angelegten Maßstäbe zur
Abschreibungsdauer. Der Landesrechnungshof begrüßt die konstruktive Aufnahme seiner
Hinweise.
8
Konsolidierungsvereinbarung
(294) Nach der Verordnung zum Kommunalen Haushaltskonsolidierungsfonds Mecklenburg-Vorpommern bietet die Landesregierung hoch defizitären Kommunen, bei denen
der Haushaltsausgleich aus eigener Kraft aussichtslos erscheint, Mittel als „Hilfe zur Selbsthilfe“ an. Für den Erhalt von Konsolidierungshilfen aus dem kommunalen Haushaltskonsolidierungsfonds ist der Abschluss einer entsprechenden Konsolidierungsvereinbarung Voraussetzung. Am 27. Juli 2015 hatten das Innenministerium und die Stadt eine Konsolidierungsvereinbarung abgeschlossen. Danach erhielt die Stadt Konsolidierungshilfe als nicht
rückzahlbaren Zuschuss. Sie sollte die Stadt dabei unterstützen, bis zum 31. Dezember 2020 eigenständig und auf Dauer einen jahresbezogenen Haushaltsausgleich, unter Berücksichtigung der Auszahlungen zur Tilgung von Investitionskrediten, zu erreichen. Ein weiteres Ziel war die Erlangung eines vollständigen Haushaltsausgleichs entsprechend
§ 16 Abs. 2 Nr. 2 GemHVO-Doppik, d. h. Abbau der aus den Vorjahren angesammelten Defizite des Finanzhaushalts. Eine Rückführung der Defizite, die aus der kameralen Haushaltsrechnung stammen, haben die Vertragsparteien nicht vereinbart. Diese Defizite haben
sich in den Kassenkrediten niedergeschlagen.
Um die Konsolidierungsziele zu erreichen, sieht die Konsolidierungsvereinbarung Teilziele
vor. Dabei sollte der jahresbezogene negative Saldo der laufenden Ein- und Auszahlungen
der Finanzrechnung bestimmte Werte nicht überschreiten.
(295) Die Höhe der festgelegten Teilziele war nach Auffassung des Landesrechnungshofes nicht angemessen.
Vor dem Hintergrund der Abweichungen der Finanzrechnung vom Finanzplan in den Jahren
2012
bis
2014
(vgl.
Tzn. 245 ff.)
konnte
die
Stadt
diese
Ziele
ohne
weitere
Konsolidierungsanstrengungen erreichen. Mit der Vereinbarung war daher (über die
ohnehin geltenden gesetzlichen Verpflichtungen hinaus) kein weiterer Anreiz für die Stadt
verbunden, nachhaltige strukturelle Probleme zu beseitigen.
91
(296) Weiterhin hat der Landesrechnungshof festgestellt, dass
•
die Stadt die Konsolidierungsziele in der Haushaltsplanung 2017 und 2018 nicht berücksichtigte und
•
in der mittelfristigen Finanzplanung des Haushaltsplans 2017/2018 sowie im Haushaltsplan 2019/2020 für 2020 und die Folgejahre keinen ausgeglichenen Haushalt
darstellte.
(297) Das Innenministerium widerspricht der Auffassung des Landesrechnungshofes, dass
die Höhe der in der Konsolidierungsvereinbarung festgelegten Teilziele nicht angemessen
gewesen sei. Die zwischen ihm und der Stadt vereinbarten Ziele hätten zum Zeitpunkt der
Unterzeichnung der Vereinbarung ein realistisch erreichbares Maß dargestellt. Vorausgegangen sei ein äußerst intensiver Verhandlungsprozess. Wichtig sei dabei gewesen, dass
sich die Konsolidierungspotentiale, die der Beratende Beauftragte für die Stadt identifiziert
habe, vollständig in den Zielen widerspiegelten. Dies sei erreicht worden. Das Innenministerium verweist auf eine Anpassung des Teilziels 2018 aufgrund des zum 1. Januar 2018 geänderten FAG M-V.
(298) Der Landesrechnungshof bleibt bei seiner Auffassung.
Bereits bei Abschluss der Konsolidierungsvereinbarung war erkennbar, dass die Stadt nicht
über verlässliche Planungsgrundlagen verfügte. Der Landesrechnungshof verweist insoweit
auf die Ursachenanalyse der Stadt, die u. a. die fehlende Eröffnungsbilanz anführt (Tz. 247).
Dies führte dazu, dass in der Vergangenheit die Planansätze in der mittelfristigen Finanzplanung des Finanzhaushalts, die Grundlage für die Formulierung der Konsolidierungsziele waren, erhebliche Abweichungen gegenüber der Finanzrechnung aufwiesen. Die Anpassung
des Teilziels 2018 berührt die Feststellungen und Wertungen des Landesrechnungshofes
nicht, weil sie sich bzgl. der Festlegung der Teilziele auf den Zeitpunkt des Abschlusses der
Konsolidierungsvereinbarung bezieht.
(299) Unter Berücksichtigung des Stands der Kassenkredite zum 31. Dezember 2017
i. H. v. 160,6 Mio. Euro72 werden die Kassenkredite nach der mittelfristigen Finanzplanung
zum Ende des Jahres 2022 auf rd. 265,4 Mio. Euro steigen.
Damit ist das in der Konsolidierungsvereinbarung beschriebene Ziel eines vollständigen
Haushaltsausgleichs nach § 16 Abs. 2 Nr. 2 GemHVO-Doppik in weite Ferne gerückt. Sie
hat ihr Ziel damit nicht erreicht.
(300) Die Stadt hat keine Bedenken gegen die Veröffentlichung des Berichtsbeitrages erhoben. Sie verweist allgemein auf die teilweise unverändert bestehenden unterschiedlichen
Auffassungen.
72
92
In dieser Summe sind auch die Defizite aus der kameralen Haushaltsrechnung abgebildet.
2
Überörtliche Prüfung der Landeshauptstadt Schwerin: Teilprüfung
„Vermögens-/Grundstücksgeschäfte“
Der Landesrechnungshof prüfte bei der Landeshauptstadt Schwerin, ob und inwieweit beim Erwerb, der Veräußerung und der Verwaltung von Immobilien die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit eingehalten wurden.
Grundsätzlich ist ein Erwerb bzw. eine Veräußerung zum vollen Wert sicherzustellen.
Gleiches gilt für die Nutzungsüberlassung (z. B. Vermietung/Verpachtung). Den damit
verbundenen Maßgaben hat die Stadt teilweise nicht Rechnung getragen.
Die Feststellungen des Landesrechnungshofes legen in der Gesamtsicht den Schluss
nahe, dass die Grundsätze der Einnahmebeschaffung (ggf. bei gleichzeitigem Erreichen weiterer Ziele) bei Immobiliengeschäften nicht hinreichend stark gewichtet werden.
1
Prüfungsgegenstand
(301) Die KV M-V regelt in § 56 i. V. m. § 43 Abs. 4 KV M-V, dass Kommunen Immobilien73
grundsätzlich nur zum vollen Wert veräußern dürfen. Entsprechendes gilt für die Nutzungsüberlassung an Dritte (z. B. Vermietung/Verpachtung).
Einzelheiten zur Ermittlung des vollen Wertes bei Immobilien und zu den Genehmigungsverfahren regelt ein Durchführungserlass74.
Im Nachgang zur Prüfung hat das Innenministerium den Kommunen Arbeitshilfen zum
Durchführungserlass zu § 56 KV M-V zur Verfügung gestellt und in einem Rundschreiben 75
ergänzende Erläuterungen vorgenommen.
2
Rahmenbedingungen der Veräußerung und Verwaltung von Immobilien
2.1
Festlegung von Zielen und Strategien
(302) Das Immobilieneigentum stellt für die Stadt einen beträchtlichen Anteil am Vermögen
dar. So belaufen sich z. B. die Bilanzposten A 1.2.1 (Wald und Forsten), A 1.2.2 (Sonstige
unbebaute Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte) und A 1.2.3 (Bebaute Grundstü-
73
74
75
Der Landesrechnungshof verwendet den Begriff „Immobilie“ nachfolgend für Grundstücke und ggf. deren Bestandteile.
Durchführungserlass zu § 56 der Kommunalverfassung vom 13. Dezember 2018 – II 330 - 174-620002016/020-017 – (AmtsBl. M-V 2018 S. 683), zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 1. März 2019
(AmtsBl. M-V 2019 S. 369). Der aktuelle Durchführungserlass entspricht inhaltlich weitgehend den Vorgängererlassen.
Rundschreiben II 330-174-62000-2019/020-019 vom 2. November 2020.
93
cke und grundstücksgleiche Rechte) im Jahresabschluss 2019 auf insgesamt rd.
481 Mio. Euro und damit auf rd. 45 % der Bilanzsumme (rd. 1,06 Mrd. Euro).
Entscheidungen über die städtischen Immobilien haben zudem langfristige Auswirkungen,
weshalb diese sorgfältig vorzubereiten sind. Veräußert die Stadt Immobilien, gehen zukünftige (andere) Verwendungs- und Verwertungsmöglichkeiten endgültig verloren. Eine Einflussnahme auf deren weitere Entwicklung ist nur eingeschränkt möglich. Auch Mietverträge sind
i. d. R. auf eine langfristige Bindung angelegt und schränken die Verfügbarkeit der Immobilien ein.
Mit Blick auf diese Tatsachen ist eine fortlaufende Analyse des Immobilienbestands und eine
darauf basierende Festlegung von Zielen und Strategien unerlässlich.
(303) Die Stadt hat ihren Immobilienbestand nicht umfassend analysiert. Übergreifende
Ziele und Strategien hat sie nicht festgelegt und allenfalls Teilaspekte betrachtet. Damit besteht das Risiko, dass sie lediglich auf den Einzelvertrag bezogene, am kurzfristigen Erfolg
orientierte Entscheidungen trifft, die den übergeordneten Zielen der Kommune im Ergebnis
zuwiderlaufen.
(304) Der Landesrechnungshof hat aufgrund der Feststellungen konkrete Handlungsschritte empfohlen. Dazu gehören
2.2
•
Ermittlung der Bedarfe,
•
Festlegung von Zielen,
•
Analyse des Bestands,
•
Abgleich des Immobilienbestands mit Bedarfen und Zielen,
•
Ableitung von Strategien zur Bedarfsdeckung und Zielerreichung und
•
Maßnahmen zur Kontrolle.
Zentralisierte Aufgabenwahrnehmung
(305) Im Immobilienbereich ist zur Umsetzung der Ziele und Strategien, der Vermeidung
von Informationsverlusten und zur vollständigen sowie einheitlichen Umsetzung der rechtlichen Maßgaben eine weitestgehende Zentralisierung anzustreben. Damit können die Kommunen bei jeweils gleichartigen Aufgaben und Verwaltungsabläufen hohe Routinegrade erreichen. Daneben erleichtert dies die Einführung standardisierter Prozesse.
(306) Den vorliegenden Unterlagen konnte der Landesrechnungshof entnehmen, dass die
Stadt sich selbst das Ziel gesetzt hat, die Verwaltung und Bewirtschaftung von Immobilien zu
zentralisieren.
94
Er stellte allerdings fest, dass sie dieses Ziel aktuell nicht erreicht. Die Zuständigkeiten im
Immobilienbereich waren zum Zeitpunkt der Erhebungen über verschiedene Organisationseinheiten dezentral verteilt. Die mit der Zentralisierung angestrebten Vorteile kann die Stadt
so nicht erzielen.
(307) Der Landesrechnungshof empfiehlt der Stadt, die angestrebte Zentralisierung konsequent umzusetzen. Ausnahmen sind dabei weitestgehend zu vermeiden.
2.3
Interne Beteiligung bei Immobilienveräußerungen
(308) Zur Vermeidung von Informationsverlusten sollte die Stadt die Entscheidungsprozesse zur geplanten Veräußerung von Immobilien verwaltungsintern umfassend kommunizieren (z. B. durch interne Veröffentlichungen). Daneben sollte sie intern Fachstrukturen gezielt
beteiligen, die z. B. potenziell Interesse an einer Nutzung haben bzw. Hinweise zur Art und
Weise der Veräußerung geben könnten. Auf diese Weise kann sie spezifische Interessen
und Informationen frühzeitig berücksichtigen und Fehlentscheidungen vorbeugen. Dazu sind
notwendige Verfahrensschritte zu definieren, umzusetzen und zu dokumentieren.
(309) Einen solchen strukturierten Entscheidungsprozess gab es nicht. Fachstrukturen
wurden lediglich einbezogen, soweit im Veräußerungsprozess konkrete Fragen zu klären
waren (z. B. Leitungsrechte, Verkehr, Naturschutz).
(310) Der Landesrechnungshof empfiehlt intern frühzeitig über Veräußerungsabsichten zu
informieren und eine gezielte und strukturierte interne Beteiligung sicherzustellen.
(311) Die Stadt hat in ihrer Stellungnahme zu den Prüfungsfeststellungen mitgeteilt, dass
die umfassende Ermittlung der entscheidungserheblichen Tatsachen Grundlage der Verkaufsentscheidung sei. Die Einhaltung dieses Grundsatzes werde sie noch stärker prüfen.
Beteiligungsprozesse werde sie zukünftig vollständig dokumentieren und Arbeitshilfen
(Formblätter) verwenden.
(312) Der Landesrechnungshof begrüßt die angekündigten Maßnahmen. Die Beteiligungsprozesse sollte die Stadt im Zuge dieser Maßnahmen überarbeiten und definieren.
2.4
Führung eines Vertragsregisters
(313) Ein wirtschaftliches und sparsames Verwaltungshandeln erfordert, dass die Kommune einen Überblick über alle abgeschlossenen Verträge besitzt. Dies ermöglicht es, zunächst Verbindlichkeiten und finanzielle Risiken ohne größeren Verwaltungsaufwand zu erkennen. Ggf. sind Detailanalysen hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit einzelner Verträge und/
oder Vertragsgruppen zu veranlassen.
95
(314) Bei den örtlichen Erhebungen teilte die Stadt mit, dass der Aufbau eines zentralen
Vertragsregisters beabsichtigt gewesen sei. Die entsprechenden (technischen) Voraussetzungen lägen vor, das Vertragsregister werde jedoch nicht geführt.
(315) Ein sachgerecht geführtes zentrales Vertragsregister
•
verbessert die Entscheidungsgrundlagen zur zentralen Steuerung,
•
ermöglicht die Bereitstellung von Informationen über die Einhaltung vertraglicher
Verpflichtungen, Rechte und Fristen,
•
stellt Informationen für die Haushaltsplanung zentral zur Verfügung,
•
stellt vertragliche Risiken transparent dar und
•
ermöglicht Einsparungen/Erzielung höherer Einnahmen durch rechtzeitige Vertragsanpassungen sowie durch die Verringerung/Vermeidung etwaiger Doppelverträge.
(316) Der Landesrechnungshof empfiehlt, ein vollständiges zentrales Vertragsregister zu
führen und das Vertragsregister im Bedarfsfall zu einem Vertragsmanagementsystem auszubauen. Ein solches (IT-)System automatisiert zusätzlich die Prozesse des Vertragsabschlusses, der Vertragsverwaltung, der Termin-/Projektüberwachung und des Risikomanagements.
(317) Die Stadt hat in ihrer Stellungnahme zu den Prüfungsfeststellungen auf die verwendete Software zur Liegenschaftsverwaltung verwiesen. Über diese führe sie ein zentrales
Vertragsregister. Dem berechtigten Ansatz des Landesrechnungshofes solle dadurch Rechnung getragen werden, dass beim ZGM die Einführung der elektronischen Akte vorbereitet
werde. Das ZGM arbeite zudem daran, alle Verträge sukzessive in das Programm zur Liegenschaftsverwaltung einzupflegen. Sobald dieser Prozess abgeschlossen sei, könnten die
Vorteile eines Vertragsregisters realisiert werden.
(318) Der Landesrechnungshof begrüßt, dass die Stadt die Notwendigkeit eines Vertragsregisters anerkennt. Er weist darauf hin, dass das vom Landesrechnungshof empfohlene
zentrale Vertragsregister sich auf die gesamten Verträge der Verwaltung erstreckt. Nur so
kann es seine Aufgabe, die vielfältigen vertraglichen Rechte und Pflichten der Kommune
transparent zu machen, erfüllen. Das von der Stadt angekündigte Vertragsregister bezieht
sich lediglich auf einen Teilbereich (Liegenschaften). Die Empfehlung des Landesrechnungshofes setzt sie damit noch nicht vollständig um.
3
Durchführung der Veräußerung von Immobilien
(319) Bei der Veräußerung von Immobilien sind verschiedene rechtliche Anforderungen zu
beachten:
96
•
Gemäß § 56 Abs. 4 Satz 1 KV M-V darf die Kommune Vermögensgegenstände
(wie u. a. Immobilien) nur veräußern, wenn sie diese zur Erfüllung ihrer Aufgaben in
absehbarer Zeit nicht benötigt. Mit dieser Vorschrift wird dem Vorrang der stetigen
Aufgabenerfüllung (§ 43 Abs. 1 Satz 1 KV M-V) Rechnung getragen.
•
Die Veräußerung hat gem. § 56 Abs. 4 Satz 2 KV M-V zum vollen Wert zu erfolgen.
Unter dem unbestimmten Rechtsbegriff des vollen Wertes ist bei Immobilien der
Verkehrswert zu verstehen. Dies ist der Preis, der zum Zeitpunkt der Veräußerung
im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den Eigenschaften und der sonstigen Beschaffenheit ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu
erzielen wäre (vgl. § 194 BauGB). Dazu ist u. a. eine Vollwertigkeitserklärung gem.
§ 56 Abs. 7 KV M-V erforderlich.
Eine Veräußerung unter dem vollen Wert ist nur dann möglich, wenn ein besonderes öffentliches Interesse dies rechtfertigt. In diesen Fällen ist nach § 56 Abs. 6 Nr. 1 KV M-V die Genehmigung der Rechtsaufsichtsbehörde erforderlich.
(320) Zu den geprüften Immobilienveräußerungen hat der Landesrechnungshof in einzelnen Fällen76 u. a. Feststellungen dazu getroffen, dass die Stadt
•
die Prüfung der Notwendigkeit der Immobilie zur Aufgabenerfüllung unzureichend
dokumentiert hat,
•
vor Grundstücksveräußerungen keinen Verkehrswert ermittelte,
•
Veräußerungen auf der Grundlage von verfristeten bzw. ungeeigneten Gutachten
vornahm bzw. Gutachten nicht an die Änderung der wertbildenden Merkmale anpasste,
•
bei der Wertermittlung durch den Bodenrichtwert Abschläge vornahm, die unbegründet blieben,
•
wegen fehlender Informationen die Entscheidungsgrundlagen für die Gremien lückenhaft und/oder unzureichend waren,
•
Bietverfahren nicht ausreichend veröffentlichte und es an der erforderlichen Transparenz fehlte,
•
in geeigneten Fällen keine Bietverfahren durchführte und damit ggf. auf höhere Einnahmen verzichtete,
76
Aus den von Schwerin aufgelisteten 139 Verkaufsfällen zwischen dem 1. Januar 2015 und dem
30. Juni 2019 hat er stichprobenweise ca. 40 Aktenvorgänge gesichtet. Zu ca. der Hälfte dieser Vorgänge
hat er in der Prüfungsmitteilung Feststellungen getroffen.
97
•
bei einer Grundstücksveräußerung die wegen des möglichen Beschaffungscharakters gebotene vergaberechtliche Prüfung unterließ und
•
mit einem Verkauf eines Grundstücks im Ergebnis einen Zuschuss an einen Verein
leistete77, was mit dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sowie den
Konsolidierungspflichten unvereinbar war.
Der Landesrechnungshof hat der Stadt konkrete Maßnahmen empfohlen, um die festgestellten Mängel in Zukunft zu vermeiden.
Er merkte an, dass Wertgutachten als Grundlage zur Festlegung des vollen Wertes zum Zeitpunkt der vertraglichen Vereinbarung wegen der teilweise dynamischen Preisentwicklung generell nicht älter als zwölf Monate sein sollten. Insoweit regte er auch eine Anpassung des
Durchführungserlasses an (dort bislang 24 Monate).78
(321) Die Stadt hat mitgeteilt, dass die Empfehlungen aufgenommen würden.
Diese will sie wie folgt umsetzen, um dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit
durch den Verkauf zum vollen Wert höchste Priorität zu verleihen:
•
Die umfassende Ermittlung der entscheidungserheblichen Tatsachen und deren
Darstellung in der Beschlussvorlage sowie die Beachtung des Gremienvorbehalts
bildeten die Grundlage der Verkaufsentscheidung durch die Stadt. In Zukunft werde
sie die Einhaltung dieser Grundsätze noch stärker prüfen.
•
Beteiligungsprozesse werde sie zukünftig vollständig dokumentieren. Die einheitliche und rechtssichere Aufgabenerfüllung werde sie durch die Einführung von Arbeitshilfen in Form von Formblättern sicherstellen.
•
Die Überprüfung, ob vertragliche Bau- und Investitionsverpflichtungen erfüllt würden, werde mittels eines Formblattes standardisiert.
•
Beim Verkauf von Arrondierungsflächen79 werde sie Augenmerk darauf legen, die
Abschläge zu beschränken.
•
Die Beschlussempfehlungen für die politischen Gremien enthielten künftig eine allgemeine Preissteigerungsklausel, so dass eine Anpassung des vereinbarten Prei-
77
78
79
98
Die Stadt verpflichtete den Käufer zu bestimmten Leistungen zu Gunsten des Vereins. Dies hatte zur Folge,
dass der Verkaufspreis sank.
Vgl. zu kürzeren Fristen z. B. auch Freistaat Sachsen: VwV kommunale Grundstücksveräußerung vom
13. April 2017 (SächsABl. S. 584) unter IV Nr. 1 – „Das Verkehrswertgutachten soll zum Zeitpunkt des Abschlusses des Rechtsgeschäftes nicht älter als zwölf Monate sein.“ Eine kürzere Frist sieht auch das Land
Brandenburg in der Verordnung über die Genehmigungsfreiheit von Rechtsgeschäften der Gemeinden (GVBl.
II/09, S. 118) im § 2 Abs. 1 Nr. 2 vor. Auch dort ist als Höchstgrenze für das Alter des Gutachtens eine Frist
von zwölf Monaten vorgesehen.
Unter Arrondierungsflächen sind selbständig nicht bebaubare Teilflächen zu verstehen. Der Käufer erwirbt
diese z. B., weil sie zusammen mit (seinem) angrenzenden Grundstück den Grenzverlauf und damit die Nutzungsmöglichkeit verbessern.
ses an eine zwischenzeitliche Erhöhung des Bodenrichtwerts ohne nochmalige Beschlussfassung des zuständigen Gremiums möglich sei.
•
Die Stadt werde die Art der Veröffentlichung im Sinne des Durchführungserlasses
anpassen.
•
Bietverfahren würde sie zukünftig in der Regel auf der Grundlage eines Mindestpreises durchführen.
•
Im Falle nicht befriedigender Kaufangebote werde sie Nachverhandlungen zur Erzielung eines höheren Verkaufserlöses anstreben.
(322) Der Landesrechnungshof geht davon aus, dass die Rechtsvorschriften künftig durchgehend beachtet werden und begrüßt die angekündigte Umsetzung seiner Empfehlungen.
(323) Die Stadt weist in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass es sich bei den aufgelisteten
Feststellungen „um Einzelfälle sehr unterschiedlicher Sachverhalte“ handele. Sie verweist
auf ihre Stellungnahme im Prüfungsverfahren. In einigen Fällen teile sie die Beanstandungen nicht. Ein systematisches Fehlverhalten könne sie nicht erkennen. Die Hinweise und
Empfehlungen des Landesrechnungshofes seien für den Bereich Grundstücksvermarktung
„bereits aufgenommen und umgesetzt“.
(324) Die Feststellungen des Landesrechnungshofes bieten – unabhängig vom Einzelfall –
Anlass, Maßnahmen zu ergreifen. Sie sollten genutzt werden, um den gesetzlichen Anforderungen und dem Grundsatz der Einnahmebeschaffung (besser) Rechnung zu tragen.
Dies geschieht mit der von der Stadt berichteten Umsetzung der Hinweise und Anregungen
des Landesrechnungshofes, die er begrüßt.
4
Durchführung der Vermietung/Überlassung von Immobilien
(325) Die Überlassung der Nutzung von Vermögensgegenständen (hier: Immobilien) an
Dritte
bemisst
sich
durch
einen
entsprechenden
gesetzlichen
Verweis
(vgl.
§ 56 Abs. 5 KV M-V) an vergleichbaren Maßstäben wie deren Veräußerung. Damit gilt auch
hier, dass die Kommune die überlassene Immobilie nicht selbst zur Erfüllung ihrer Aufgaben
benötigen darf und ein dem Wert entsprechendes Entgelt vereinbaren muss.
(326) Dem Grundsatz, marktgerechte Entgelte bei der Vermietung von Immobilien zu vereinbaren, hat die Stadt nicht vollumfänglich Rechnung getragen. Das Bemühen zur Vereinbarung solcher Entgelte ist deutlich zu forcieren, um dem Grundsatz der wirtschaftlichen
und sparsamen Haushaltsführung zu entsprechen.
Die langjährig geübte Praxis der (weitestgehend unentgeltlichen) Nutzungsüberlassung von
Sportstätten ist ebenfalls mit dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nicht
99
vereinbar und intransparent. Sie wird mit einem Beschluss aus dem Jahr 1993 gerechtfertigt.
Bereits mit Blick auf den Zeitablauf und die zwischenzeitlich geänderten rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen ist eine Überprüfung geboten. Der Landesrechnungshof
hält eine grundsätzliche Überprüfung für zwingend.
(327) Die Stadt schilderte in ihrer Stellungnahme zu den Prüfungsfeststellungen das aktuelle Vorgehen bei der Anpassung der Nutzungsentgelte. Generell sei der Fokus auf die Erschließung zusätzlicher Einnahmequellen und die Steigerung der Einnahmen gerichtet. Die
Beanstandung, dass Einnahmemöglichkeiten nicht oder nicht vollständig erhoben würden,
träfe aktuell nicht zu.
Im Bereich der Sportstätten sah die Stadt keinen Handlungsbedarf.
(328) Der Landesrechnungshof begrüßt die verstärkten Bemühungen zur Erzielung von
marktgerechten Entgelten.
Die Position der Stadt im Bereich der Sportstätten ist mit Blick auf die aufgezeigten Defizite
nicht nachvollziehbar. Bereits aus eigenem Interesse sollte ihr daran gelegen sein, Entscheidungsgrundlagen transparent darzustellen und ihr Handeln am Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit auszurichten. Dazu sind nach einer kritischen Analyse und wirtschaftlichen Betrachtung des bisherigen Vertragswesens im Bereich der Sportstätten angemessene
Verfahrensweisen festzulegen.
(329) Die Stadt verweist zur Überlassung der Sportstätten in ihrer Stellungnahme auf einen
Beschluss der Stadtvertretung aus dem Jahre 1993. Dieser Beschluss sei noch in Kraft.
(330) Der Landesrechnungshof hat diesen Umstand bei seiner Bewertung berücksichtigt
(Tz. 326).
100
3
Beitreibung von Rundfunkbeiträgen
Der Landesrechnungshof hat die Vollstreckung von Rundfunkbeiträgen durch die
Kommunen geprüft. Diese müssen sie auf der Grundlage entsprechender Ersuchen
der Landesrundfunkanstalten durchführen.
Regelmäßig hat der Beitragsservice die Forderungen später als eine Woche nach Fälligkeit gemahnt, einzelne Forderungen sogar erst sechs Jahre nach ihrer Fälligkeit.
Ebenso unregelmäßig hat er für gemahnte, offene Forderungen Vollstreckungsersuchen erstellt. Teilweise waren von der Mahnung bis zur Erstellung eines Vollstreckungsersuchens bis zu zehn Jahre vergangen.
Die Bearbeitung von Vollstreckungsersuchen ist für die Kommunen mit erheblichem
Aufwand verbunden. Zum Ausgleich des durch die Vollstreckungskosten nicht gedeckten Vollstreckungsaufwands erhalten sie eine Pauschale von 25 Euro. Die Auskömmlichkeit dieser Pauschale ist zweifelhaft.
Vollstreckungsmaßnahmen der Kommunen erfolgten mit erheblicher Verzögerung
und oft mit unwirtschaftlichen Maßnahmen. Hinzu kamen fehlende Regelungen in
Dienstanweisungen oder der Zuständigkeiten sowie eine geringe Stellenbesetzung
der Vollstreckungsstellen. Die Beitreibung ist dadurch erschwert.
1
Prüfungsgegenstand und Prüfungsablauf
(331) Den Rundfunkbeitrag, den die Beitragsschuldner an die Landesrundfunkanstalten
(hier: NDR) zu leisten haben, erheben die Rundfunkanstalten entsprechend den gesetzlichen Regelungen in eigenem Namen und auf eigene Rechnung durch den „ARD ZDF
Deutschlandradio Beitragsservice“ (Beitragsservice).
Der Beitragsservice besteht u. a. aus der Gemeinschaftseinrichtung Zentraler Beitragsservice (ZBS) sowie den dezentralen Einheiten bei den Landesrundfunkanstalten. Zahlen Beitragspflichtige nicht, leitet der ZBS ein mehrstufiges, schriftliches Mahnverfahren ein, an
dessen Ende das Vollstreckungsersuchen an das örtliche Vollstreckungsorgan (hier: Kommune) gestellt wird.
(332) Der Landesrechnungshof hat in der Prüfung
•
in einer ersten Stufe bei allen 116 Kommunen80, die zum Prüfungszeitpunkt zur
Vollstreckung verpflichtet waren, Daten zum Aufbau der Vollstreckungsstellen, zum
Ablauf der Vollstreckungsverfahren sowie zu einzelnen Fallzahlen abgefragt und
80
Dabei handelte es sich um kreisfreie Städte, große kreisangehörige Städte, amtsfreie Gemeinden und Ämter.
101
auf dieser Basis 15 Kommunen ausgewählt, bei denen er stichprobenweise die Be-
•
arbeitung der Vollstreckungsersuchen prüfte.
2
Vollstreckungsersuchen
(333) Rückständige Rundfunkbeiträge setzt die zuständige Landesrundfunkanstalt fest, die
Festsetzungsbescheide werden im Verwaltungsvollstreckungsverfahren vollstreckt (vgl. § 10
RBStV).
Voraussetzung für die Vollstreckung von rückständigen Rundfunkbeiträgen ist u.a. der Ablauf von einer Woche nachdem sie fällig geworden sind. Vor Anordnung der Vollstreckung
soll der Schuldner mit einer Zahlungsfrist von einer weiteren Woche besonders gemahnt
werden.81
(334) Vollstreckungsersuchen des Beitragsservice (i. d. R. über den ZBS) umfassten Fälligkeiten, die bis zu elf Jahre zurücklagen. Regelmäßig hat der Beitragsservice die Forderungen später als eine Woche nach Fälligkeit gemahnt, einzelne Forderungen sogar erst sechs
Jahre nach ihrer Fälligkeit. Ebenso unregelmäßig hat er für gemahnte, offene Forderungen
Vollstreckungsersuchen erstellt. Teilweise waren von der Mahnung bis zur Erstellung eines
Vollstreckungsersuchens bis zu zehn Jahre vergangen.
(335) Davon ausgehend, dass von der Fälligkeit einer Forderung bis zu deren Vollstreckbarkeit lediglich 14 Tage vergehen sollten 82, sind die Zeiträume beim Beitragsservice deutlich zu lang. Diese Verfahrensweise des Beitragsservice führt zu hohen Rückständen bei oftmals ohnehin nicht zahlungskräftigen oder zahlungsunwilligen Schuldnern. Die Beitreibung
wird erschwert.
(336) Die Praxis des Beitragsservice ist nach Auffassung des Landesrechnungshofes zu
verbessern. Das Land und die Kommunen sollten daher beim Beitragsservice die Probleme
benennen und auf eine Beschleunigung der Prozesse hinwirken.
3
Vollstreckungskosten
(337) Leistet die Vollstreckungsbehörde einer anderen Behörde Vollstreckungshilfe, hat die
ersuchende Behörde der Vollstreckungsbehörde je Ersuchen einen Betrag zum Ausgleich
des durch die Vollstreckungskosten nicht gedeckten Verwaltungsaufwands zu zahlen. 83 Für
die rückständigen Rundfunkbeiträge ist der Ausgleichsbetrag für jeden Einzelfall auf 25 Euro
festgesetzt.84
81
82
83
84
Vgl. § 3 Abs. 3 VwVG.
Vgl. § 3 Abs. 2 und 3 VwVG.
Vgl. § 111 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 VwVfG M-V.
Vgl. § 3 VollstrZustKLVO M-V.
102
(338) Rund ein Drittel der befragten Kommunen erklärte, dass 25 Euro zum Ausgleich des
durch die Vollstreckungskosten nicht gedeckten Vollstreckungsaufwands bei der Vollstreckung rückständiger Rundfunkbeiträge nicht ausreichend sei. 20 davon haben den tatsächlichen Aufwand berechnet bzw. kalkuliert. Die Spannweite reicht von 26,73 Euro bis
258,86 Euro.
(339) Der gesondert geregelte Ausgleichsbetrag von 25 Euro für die Vollstreckung der Bescheide über rückständige Rundfunkbeiträge weicht von den ansonsten festgesetzten Pauschalen85 ab, die überwiegend deutlich höher sind. Der Landesrechnungshof geht davon
aus, dass sich diese Pauschalen an den tatsächlichen Gegebenheiten orientieren. Insoweit
kann er die abweichende Regelung für die Rundfunkbeiträge nicht nachvollziehen.
Der durchschnittliche Ausgleichsbetrag für die Vollstreckung des Rundfunkbeitrags in anderen Ländern, die dafür eine Pauschale vorsehen, liegt bei 31,21 Euro86 und zeigt deutlich,
dass die Pauschale in Mecklenburg Vorpommern im unteren Bereich liegt. Auch die Berechnungen bzw. Kalkulationen der Kommunen zeigen einen deutlich höheren Ausgleichsbedarf.
(340) Der Landesrechnungshof regt an, dass das Land den Ausgleichsbetrag für die Vollstreckung der Bescheide über rückständige Rundfunkbeiträge prüft und anpasst.
4
Befreiung von der Beitragspflicht
(341) Empfänger von Sozialgeld oder Arbeitslosengeld II (ALG II) sind auf Antrag von der
Beitragspflicht zu befreien. Die Dauer der Befreiung richtet sich nach dem Gültigkeitszeitraum des Nachweises. Sie beginnt frühestens drei Jahre vor dem Ersten des Monats, indem die Befreiung beantragt wird.
(342) Mit Bewilligung der Leistung informieren die Jobcenter den Empfänger dieser Sozialleistungen über die Möglichkeit der Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht mittels eines
Informationsblattes oder durch Übergabe einer Bescheinigung über den Leistungsbezug zur
Vorlage beim Beitragsservice.
(343) Eine Vielzahl der rückständigen Beitragsschuldner war Empfänger von Sozialleistungen, die eine Befreiung von der Beitragspflicht hätten beantragen können, dies aber nicht
taten. Diese Beitragsschuldner verfügten zudem über kein pfändbares Vermögen.
85
86
Vgl. § 2 VollstrZustKLVO M-V.
Eigene Berechnung des Durchschnitts der Pauschalen der Länder Berlin, Freie Hansestadt Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Andere Bundesländer sehen dynamische Beträge als Ausgleichsbetrag vor. Ein direkter Vergleich mit diesen ist daher nicht
möglich.
103
(344) Um die Vollstreckungsersuchen des Beitragsservice in diesen Fällen zu erledigen
bzw. zukünftige Vollstreckungsersuchen zu vermeiden, versuchten die Kommunen, die Beitragsschuldner zur Beantragung der Befreiung von der Beitragspflicht zu bewegen. Dies war
sehr zeitaufwändig und darüber hinaus wenig erfolgreich.
(345) Die Feststellungen zeigen, dass das Verfahren zur Befreiung von der Beitragspflicht
dem Adressatenkreis nicht ausreichend zugänglich ist.
Das Land und die Kommunen sollten auf eine Anpassung des Verfahrens hinwirken. Es ist
nicht Aufgabe der Kommunen, die Befreiung von der Betragspflicht für den Beitragsservice
umzusetzen. Fälle, in denen eine Befreiung von der Beitragspflicht möglich ist, sollten nicht
in die Vollstreckung gelangen.
5
Übertragung der Vollstreckung
(346) Landkreise, kreisfreie Städte, große kreisangehörigen Städte, amtsfreie Gemeinden
und Ämter können durch öffentlich-rechtlichen Vertrag vereinbaren, dass ein Beteiligter zur
Erfüllung seiner Aufgaben die Verwaltung eines anderen Beteiligten in Anspruch nimmt (Verwaltungsvereinbarung). Der öffentlich-rechtliche Vertrag bedarf der Genehmigung der
Rechtsaufsichtsbehörde (vgl. § 167 KV M-V).
(347) Von den 116 befragten Kommunen hatten elf die Vollstreckung vollständig und 17
Teilaufgaben ihrer Vollstreckung übertragen.
(348) In den Vereinbarungen und Verträgen bezüglich der Übertragung konkreter Aufgaben fehlten oftmals die Verfahrensbeschreibung (u. a. Registrierung der Vollstreckungsaufträge, Überwachung der Erledigung), die Zuständigkeit bei Ratenzahlungen und Festlegungen zur Aufbewahrung der Unterlagen.
Genehmigungen der Rechtsaufsichtsbehörde lagen teilweise nicht vor.
(349) Die vorliegenden Verträge sind ggf. um die Verfahrensbeschreibung, die Zuständigkeiten und die Aufbewahrung der Unterlagen durch den Außendienst zu ergänzen. Die notwendige Genehmigung der Rechtsaufsichtsbehörde ist einzuholen.
6
Personelle Ausstattung
(350) Grundvoraussetzung für eine ordnungsgemäße und wirtschaftliche Aufgabenerfüllung ist eine angemessene personelle Ausstattung der Kommunen. Angemessen ist die personelle Ausstattung dann, wenn sie den für die Aufgabenerfüllung notwendigen Personalbedarf deckt.
(351) Der Landesrechnungshof stellte hierzu fest:
104
•
Für Aufgaben der Vollstreckung durchgeführte Stellenbedarfsermittlungen waren
veraltet oder fehlten.
•
Ermittelte Stellenbedarfe haben die Kommunen durch den Stellenplan nicht immer
gedeckt.
•
Tatsächliche Stellenbesetzungen waren geringer als die mit dem Stellenplan zur
Verfügung gestellten Stellen.
(352) Soweit keine Stellenbedarfsermittlungen vorliegen, sind die Kommunen gehalten,
eine solche durchzuführen und regelmäßig zu aktualisieren. Im Anschluss ist zu prüfen, ob
die zur Verfügung stehenden Stellen ausreichen, um den ermittelten Bedarf zu decken. Der
Stellenplan ist unter Beachtung der rechtlichen Vorschriften dem Stellenbedarf anzupassen.
Die darin vorgesehenen Stellen sind zu besetzen. Die Wahrnehmung der Vollstreckungsaufgaben ist sicherzustellen.
7
Dienstanweisungen
(353) Um die ordnungsgemäße Erledigung der Aufgaben des Kassen- und Rechnungswesens sicherzustellen, ist von dem Bürgermeister eine Dienstanweisung unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten zu erlassen. Die Dienstanweisung muss hinreichend bestimmt sein und mindestens Bestimmungen enthalten über die Aufbau- und Ablauforganisation mit Festlegungen über das Vollstreckungsverfahren (vgl. § 28 Abs. 1 GemHVO-Doppik).
(354) Der Landesrechnungshof hatte die Kommunen gebeten, alle erlassenen Dienstanweisungen mitzuteilen, die Regelungen zur Vollstreckung beinhalten.
(355) Dienstanweisungen mit Regelungen zur Vollstreckung waren nicht immer erlassen
bzw. unvollständig. In den dem Landesrechnungshof vorgelegten Dienstanweisungen waren
z. B. regelmäßig nur die Zuständigkeiten und die Tätigkeiten des Außendienstes geregelt.
Damit haben die Kommunen gegen die Vorgaben des § 28 GemHVO-Doppik verstoßen.
(356) Die Kommunen sollten zur ordnungsgemäßen Erledigung der Vollstreckung die Abläufe der Vollstreckungsmaßnahmen definieren. Fehlende Dienstanweisungen sind umgehend zu erlassen.
Mittels Dienstanweisung sind auch die Tätigkeiten des Innendienstes und die Verwaltungsverfahren der Vollstreckung zu regeln.
105
8
Erfassung der Vollstreckungsersuchen des Beitragsservice
(357) Der Beitragsservice kann die Vollstreckungsersuchen der Vollstreckungsbehörde in
Papierform oder über eine Schnittstelle elektronisch übergeben.
Die in den Kommunen eingesetzten Vollstreckungs- und HKR-Verfahren ermöglichen eine
automatisierte Überwachung der Erledigung von Vollstreckungsersuchen.
(358) 81 Kommunen erhielten die Vollstreckungsersuchen in Papierform und 30 in elektronischer Form über eine Schnittstelle.
(359) Die Mehrheit der Kommunen erfasste die Vollstreckungsersuchen im Vollstreckungsverfahren/-modul bzw. im HKR-Verfahren. Sieben Kommunen gaben an, die Vollstreckungsersuchen in einer Excel-Tabelle zu erfassen, drei auf andere Weise. Die Überwachung der
Erledigung der Vollstreckungsersuchen erfolgte somit in diesen zehn Kommunen manuell.
Die Erfassung erfolgte bei elektronisch übergebenen Vollstreckungsersuchen durchschnittlich rd. 3,5 Tage (Spannweite von 0 bis 14 Tage) nach Eingang und bei Vollstreckungsersuchen in Papierform durchschnittlich rd. 11 Tage (Spannweite von 0 bis 70 Tage) nach Eingang.
(360) Die Erfassung der Vollstreckungsersuchen sollte zügig und mit geringem Aufwand erfolgen. Insbesondere unter dem Aspekt einer zügigen Erfassung und somit zeitnahen Vollstreckung sollten alle Kommunen die Nutzung einer elektronischen Schnittstelle prüfen.
9
Vollstreckungsankündigung
(361) Bei der Ankündigung der Vollstreckung sowie bei der Zahlungsaufforderung handelt
es sich um eine Bekanntgabe einer verwaltungsinternen Maßnahme. Sie enthält keine eigenständige, den Empfänger belastende Regelung.
Die per Post übersandte Vollstreckungsankündigung ist somit noch keine Vollstreckungsmaßnahme. Der Schuldner erhält nochmals die Möglichkeit, die Vollstreckung zu vermeiden.
(362) Die Kommunen, die der Landesrechnungshof vor Ort geprüft hat, haben unmittelbar
nach der Erfassung der Vollstreckungsersuchen bzw. der Übergabe der Ersuchen an die
Vollstreckung gegenüber dem Schuldner Vollstreckungsmaßnahmen angekündigt. Anschließend fand jedoch oft über Monate keine weitere Bearbeitung statt.
(363) Die Vollstreckbarkeit einer Forderung wird durch ihre zügige Bearbeitung erhöht, da
die Anordnungsdaten regelmäßig noch den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen. Gegenüber dem Schuldner angekündigte Maßnahmen sind deshalb, auch aus Gründen der
Glaubhaftigkeit, schnellstmöglich umzusetzen.
106
10
Vollstreckungsmaßnahmen
(364) Dem Gläubiger obliegt die Wahl der Vollstreckungsart. Die Einziehung der Forderung hat wie jegliches Verwaltungshandeln nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu erfolgen.
(365) Laut Befragung prüfen 64 Kommunen Maßnahmen des Innendienstes, bevor der
Außendienst beauftragt wird. 29 Kommunen beginnen die Vollstreckung mit der Beauftragung des Außendienstes.
Elf Kommunen gaben an, die Vollstreckung mit Maßnahmen wie Vollstreckungsankündigung und eine Kommune mit der Ladung des Schuldners zu beginnen.
(366) Von den vor Ort geprüften Kommunen übergaben acht die Vollstreckungsaufträge
unmittelbar an den Außendienst. Vollstreckungsmaßnahmen des Innendienstes führten sie
zuvor nicht durch. Zwei von diesen Kommunen hatten in der Befragung angegeben, sie
würden die Vollstreckung mit dem Innendienst beginnen.
(367) Vielfach dienten die Außendiensttätigkeiten lediglich der persönlichen Überbringung
weiterer Vollstreckungs-/Pfändungsankündigungen. Da die Schuldner mehrheitlich nicht
persönlich erreichbar waren, hinterlegte der Außendienst diese im Briefkasten. Des Weiteren holte er monatliche Ratenzahlungen von 5, 10 oder 20 Euro persönlich beim Schuldner
ab.
(368) Ziel der Vollstreckung ist, dass die Kommune die Forderung unverzüglich einzieht.
Dafür ist es auch unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit notwendig, die dafür jeweils geeignete Vollstreckungsart zu wählen. Dies ist regelmäßig die Forderungspfändung durch den
Innendienst.
(369) Der Außendienst ist zeitaufwändig und kostenintensiv. Deshalb sollte er sich nur auf
unbedingt notwendige Vollstreckungen beschränken.
Unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit sind kosten- und zeitintensive Außendienstmaßnahmen erst nach Ausschöpfung aller Handlungsmöglichkeiten des Innendienstes durchzuführen.
11
Stellungnahmen
(370) Der Landesrechnungshof gab den 15 Kommunen, bei denen er stichprobenweise die
Bearbeitung der Vollstreckungsersuchen prüfte (Tz. 332), Gelegenheit sich zur Sachverhaltsdarstellung zu äußern. Eine Kommune verwies auf ihre Stellungnahme im Prüfungsverfahren. Diese ist bereits in die mit dem Jahresberichtsbeitrag dargestellten Prüfungsergebnisse eingeflossen.
107
4
Vergabewesen im kreisangehörigen Raum
Der Landesrechnungshof hat Vergaben nach VOB und VOL 87 in sechs Eigenbetrieben
von Kommunen geprüft.
Dabei hat er festgestellt, dass in einigen geprüften Eigenbetrieben keine Übersicht
über das Vergabewesen besteht. Sie waren nicht in der Lage, vollständig Auskünfte
über die in einem Haushaltsjahr durchgeführten Vergaben zu erteilen. Zurückzuführen
ist dies u. a. auf eine nicht ordnungsgemäße Aktenführung und Dokumentation des
Vergabeverfahrens.
Die Durchführung der Vergaben der geprüften Eigenbetriebe entspricht in großen Teilen nicht den rechtlichen Vorschriften. Elementare Vergabevorschriften wurden nicht
beachtet.
(371) Nachdem der Landesrechnungshof in der Vergangenheit Vergabeprüfungen in den
Landkreisen und kreisangehörigen Kommunen durchgeführt hat, führte er in sechs Eigenbetrieben eine Querschnittsprüfung durch. Prüfungsgegenstand war die Einhaltung des Vergaberechts.
(372) Dazu hat der Landesrechnungshof rd. 50 Vergaben der Eigenbetriebe der Haushaltsjahre 2016 und 2017 ausgewählt.
1
Auswertung der Vergabelisten
(373) Der Landesrechnungshof hat für diese Auswahl von den Eigenbetrieben eine Übersicht sämtlicher Vergaben der betreffenden Haushaltsjahre ab einem Auftragswert von über
500 Euro (netto) angefordert.
Eine solche Übersicht ist für eine effektive Kontrolle der Haushaltsdurchführung durch die
zuständigen Gremien und die Behördenleitung erforderlich. Sie bildet daneben die Grundlage für die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgabe der örtlichen Prüfung. 88
(374) Solche Übersichten führte keiner der Eigenbetriebe. Sie mussten diese eigens für die
Abfrage des Landesrechnungshofes erstellen. Die Vergabeübersichten wiesen teils auf mangelnde Kenntnisse im Vergabewesen hin. So haben Eigenbetriebe z. B. vergaberechtliche
Grundbegriffe undifferenziert verwandt. Der Landesrechnungshof hat u. a. festgestellt, dass
Abschlagszahlungen, Schlussrechnungen und Nachtragsvereinbarungen als eigenständige
87
88
Die Prüfung betraf bei Liefer- und (Dienst-) Leistungen ausschließlich Vergaben, die noch unter Geltung der
VOL vergeben wurden.
Vgl. dazu und zu den Inhalten der Übersicht die Erläuterungen zum KPG M-V, Stand 05/2021, Tz. 54, abrufbar unter:
https://www.regierung-mv.de/Landesregierung/im/Kommunales/.
108
Vergaben aufgelistet wurden. Weiterhin waren häufig Zahlungen ausgewiesen, die nicht
dem Vergaberecht unterliegen.
Insofern ist festzustellen, dass einige Eigenbetriebe nicht in der Lage waren, inhaltlich fehlerfrei Auskunft über die in einem Haushaltsjahr durchgeführten Vergaben zu erteilen.
(375) Der Landesrechnungshof sieht die Eigenbetriebe in der Pflicht, sich durch geeignete
Maßnahmen eine lückenlose und inhaltlich fehlerfreie Übersicht über alle jährlichen Vergaben zu verschaffen.
2
Aktenführung und Dokumentationspflichten im Vergabebereich
(376) Eine Vergabeakte muss alle relevanten Unterlagen enthalten, die den Vergabevorgang vollständig und nachvollziehbar abbilden.
Die Notwendigkeit der aktenmäßigen Abbildung des Vergabeverfahrens ergibt sich bereits
aus der allgemeinen Pflicht der Verwaltung zur Aktenführung. Diese leitet sich aus dem
Rechtsstaatsprinzip ab.89
Die in den vergaberechtlichen Vorschriften geregelten Dokumentationspflichten konkretisieren, ergänzen und/oder erweitern die allgemeinen Grundsätze der Aktenführung. Wichtigster Teil der Dokumentation ist der sog. Vergabevermerk (vgl. § 20 VOB und § 20 VOL [jetzt
§ 6 UVgO]). Dieser muss so gefasst sein, dass das Verfahren durch einen mit der jeweiligen
Sachlage vertrauten Dritten nachvollziehbar wird.
(377) Eine Sichtung der Vergabevorgänge ergab:
•
Zu einigen Vergabevorgängen gab es keine Akten, die eine vergaberechtskonforme
Beauftragung belegen.
•
Vergabevorgänge waren teilweise in der Akte lückenhaft abgebildet.
•
Die Qualität der Aktenführung war bei den Vergaben nach VOL deutlich schlechter
als bei den Vergaben nach der VOB. Der Landesrechnungshof sieht als Ursache
zum einen, dass Vergaben von Baumaßnahmen häufig zentral oder unter Einbindung externer Experten durchgeführt werden. Dem gegenüber werden VOL-Vergaben oft dezentral und verwaltungsintern durchgeführt, sodass die einzelnen Mitarbeiter diese selten durchführen.
•
Die Einhaltung vergaberechtlicher Dokumentationspflichten stellt einen wesentlichen Schwachpunkt nahezu aller geprüften Vergabeverfahren dar. Mehr als die
89
Zu den Anforderungen an die Aktenführung verweist der Landesrechnungshof auf das „Positionspapier Aktenführung und E-Akte“ der Rechnungshöfe des Bundes und der Länder. Dieses ist abrufbar unter: www.lrhmv.de/Veröffentlichungen/Gemeinsame-Dokumente-der-Rechnungshöfe/
109
Hälfte der Vergabeverfahren war inhaltlich nicht vollständig und zeitnah abgebildet
worden. Bei zehn Maßnahmen dreier Eigenbetriebe fehlte der Vergabevermerk als
Kernbestandteil der Vergabeakte vollständig.
(378) Die Vergabeverfahren sind vollständig und nachvollziehbar aktenmäßig abzubilden.
Die Dokumentationen müssen die einzelnen Stufen des Vergabeverfahrens, die Begründungen einzelner Entscheidungen (insbesondere bei Abweichungen vom Regelfall der Öffentlichen Ausschreibung) sowie getroffene Maßnahmen zeitnah und prüfbar darzustellen. Die
fehlende ordnungsgemäße Dokumentation stellt die Rechtmäßigkeit eines Vergabeverfahrens in Frage. Dies kann z. B. negative Folgen haben, wenn Mitbewerber ihre Möglichkeiten
zum Rechtsschutz nutzen.
Der Landesrechnungshof empfiehlt für die Erstellung eines ordnungsgemäßen Vergabevermerkes z. B. die Verwendung der einschlägigen Formblätter und Checklisten des Innenministeriums zur Dokumentation bzw. deren Kontrolle 90, um die lückenlose Abbildung von Vergabeverfahren zu gewährleisten .
3
Unterlassung erforderlicher Vergabeverfahren
(379) Ein Eigenbetrieb führte in zwei Fällen wiederholender gleichartiger Leistungen die eigentlich erforderlichen Vergabeverfahren nicht durch. Stattdessen beauftragte er die Leistungen über einen längeren Zeitraum jeweils unmittelbar. Durch dieses Vorgehen wurden
Leistungen in erheblichem Wertumfang (vgl. Tzn. 397 ff. und 401) dem Wettbewerb entzogen. Bei zwei weiteren Eigenbetrieben betraf dies Leistungen in einem geringeren Wertumfang.
Damit haben die Eigenbetriebe gegen die Grundsätze des Wettbewerbs, der Transparenz
und der Gleichbehandlung verstoßen.
(380) Derartige Verstöße gegen das Vergaberecht sind abzustellen.
4
Mängel durchgeführter Vergabeverfahren
(381) Die Prüfung musste sich auf Vergabevorgänge beschränken, zu denen die Eigenbetriebe dem Landesrechnungshof Vergabeunterlagen vorlegen konnten. Nur dokumentierte
Verfahrensschritte konnte er bewerten.
4.1
Schätzung des Auftragswertes
(382) Der Auftragswert ist nach den vergaberechtlichen Vorschriften zu schätzen. Auf eine
Ermittlung des Auftragswertes verweist auch § 13 VgG M-V. Die Kostenschätzung ist für die
90
Abrufbar unter: https://www.regierung-mv.de/Landesregierung/im/Kommunales/.
110
Wahl der Vergabeart ebenso von Bedeutung wie für die Haushaltsaufstellung. Je näher der
ermittelte Wert an den Schwellenwerten 91 liegt, desto bedeutsamer ist eine sorgfältige Kostenschätzung, da die Überschreitung der Schwellenwerte zur europaweiten Ausschreibung
(Offenes Verfahren) verpflichtet.
(383) Der Landesrechnungshof stellte hierzu fest:
Bei über 40 % der geprüften Vergaben waren die ausgewiesenen Kostenschätzun-
•
gen mangels Begründungen nicht nachvollziehbar. Dies betrifft alle Eigenbetriebe
in unterschiedlichem Maße.
Für einige Maßnahmen wurden keine Kostenschätzungen vorgelegt.
•
(384) Der Landesrechnungshof weist darauf hin, dass sorgfältige Kostenschätzungen vor
der Einleitung einer Vergabe vorzunehmen und zu dokumentieren sind.
4.2
Begründung der Vergabeart
(385) Zu Beginn jedes Vergabeverfahrens hat der Auftraggeber die Vergabeart zu bestimmen. Er hat die Vergabeart aktenkundig zu begründen.
(386) Bei drei Eigenbetrieben fehlte die Begründung für das Abweichen von der Öffentlichen Ausschreibung gänzlich oder die Begründung war inhaltlich unklar bzw. nicht nachvollziehbar.
(387) Die Eigenbetriebe sind verpflichtet, zu Beginn jedes Vergabeverfahrens die Vergabeart zu bestimmen und das Abweichen von der Öffentlichen Ausschreibung zu begründen.
4.3
Kennzeichnung der Angebote
(388) Die vergaberechtlichen Vorschriften regeln, ob und inwieweit Angebote zu kennzeichnen sind.
(389) Die Eigenbetriebe haben diese Vorschriften nicht konsequent beachtet und die
Kennzeichnung entsprach nicht den rechtlichen Maßgaben.
Insgesamt sind mehr als ein Drittel der Maßnahmen davon betroffen.
In den Niederschriften zur Angebotsöffnung haben die Eigenbetriebe dennoch regelmäßig
die ordnungsgemäße Kennzeichnung der Angebote bestätigt.
(390) Der Landesrechnungshof erwartet, dass die Eigenbetriebe die Kennzeichnung der
Angebote gemäß den vergaberechtlichen Vorschriften vornehmen.
91
Das anzuwendende Vergaberecht und die Überprüfungsmöglichkeiten unterscheiden sich danach, ob eine
Auftragsvergabe mit nationaler oder mit europaweiter Publizität in Rede steht. Abgrenzungsmerkmal hierfür
sind die jeweiligen Schwellenwerte eines Auftrags. Eine Regelung hierzu enthält § 106 Abs. 2 GWB.
111
4.4
Nachweis der Eignung
(391) Bei dem Nachweis der Eignung muss der Auftraggeber die spezifischen Anforderungen der gewählten Vergabeart beachten.
(392)
Eine Prüfung der Eignung fand nicht oder nicht in ausreichendem Maße nach den je-
weiligen spezifischen Anforderungen statt.
In nahezu 40 % der geprüften Vergaben enthielten die Vergabeakten weder die Eignungsnachweise noch eine Dokumentation über die Eignungsprüfung.
(393) Die Eigenbetriebe haben künftig die Nachweise der Eignung vollständig aktenkundig
in den Vergabeakten zu dokumentieren. Die teilweise zu findende Formulierung, dass sie
nur Bieter ausgewählt hätten, deren Eignung bekannt sei, reicht dazu nicht aus.
4.5
Veröffentlichung
(394) Der Auftraggeber hat je nach Vergabeart und Höhe des Auftragswerts 92 Informationsund Veröffentlichungspflichten zu beachten (z. B. § 20 Abs. 3 VOB/A).
(395) Der Landesrechnungshof hat festgestellt, dass die Eigenbetriebe in den meisten Fällen die vorgeschriebenen Veröffentlichungen nicht vornahmen.
(396) Die Eigenbetriebe haben künftig die vorgeschriebenen Veröffentlichungen vor und
nach den Beschränkten Ausschreibungen bzw. Freihändigen Vergaben einzuhalten.
5
Darstellung herausgehobener Einzelfälle
5.1
Reinigungsleistungen und Reparaturarbeiten
(397) In der Maßnahmenliste eines Eigenbetriebs war für die Jahre 2016 und 2017 eine
Freihändige Vergabe für Reinigungsleistungen ausgewiesen. Vergabeunterlagen zu diesem
Vorgang konnte er dem Landesrechnungshof nicht vorlegen.
(398) Nach Aufklärung des Sachverhaltes im Zuge der örtlichen Erhebungen zeigte sich,
dass der Eigenbetrieb
•
die Leistung möglicherweise über einen Zeitraum von über 28 Jahren nie ausgeschrieben hat,
•
die genauen vertraglichen Grundlagen für die Leistung nicht klären konnte und
•
damit Aufträge in erheblichem finanziellen Umfang (von 1998 bis 2018 insgesamt
mindestens 600.000 Euro) dem Wettbewerb entzogen hat.
92
Die Schätzung des Auftragswertes vor Ausschreibung bzw. Vergabe ist auch für die Einhaltung dieser Vorschrift von Bedeutung.
112
(399) Soweit der Eigenbetrieb von einen fortlaufenden Vertrag ausging gilt:
„Je länger ein Vertrag dauert, desto länger wird der Gegenstand des Vertrages dem Wettbewerb entzogen. […] Besonders lange Laufzeiten eines Vertrages bedürfen deshalb einer
besonderen Rechtfertigung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses und im Hinblick auf ihre Verhältnismäßigkeit. Die Gründe sind in der Vergabeakte zeitnah zu dokumentieren.“93
Zwingende Gründe für die lange Laufzeit hat der Eigenbetrieb nicht dargelegt. Diese sind
auch nicht ersichtlich.
Die Vorgehensweise des Eigenbetriebes ist mit dem Sinn und Zweck der vergaberechtlichen Vorschriften (Sicherung der Transparenz des Wettbewerbs und des Grundsatzes der
Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit) auch unter diesem Gesichtspunkt unvereinbar.
(400)
Der Landesrechnungshof erwartet, dass der Eigenbetrieb die vertraglichen Grundla-
gen klärt und die Leistung ordnungsgemäß vergibt.
(401)
In einem weiteren Fall vergab der Eigenbetrieb Reparaturarbeiten und Dienstleistun-
gen in Form einer Vielzahl von Einzelaufträgen im Wert von insgesamt rd. 282.000 Euro an
ein Unternehmen, ohne diese Leistungen dem Wettbewerb zu unterstellen. Vergabeunterlagen konnte der Eigenbetrieb auch hier nicht vorlegen. Die ordnungsgemäße Durchführung
von Vergabeverfahren ist nicht nachgewiesen.
5.2
Fahrzeugbeschaffung für Strandreinigung/-pflege
(402) In einem anderen Fall wurden für die Strandreinigung und -pflege drei Fahrzeuge in
drei Losen im Wert von insgesamt ca. 400.000 Euro im Wege einer Beschränkten Ausschreibung beschafft.
(403) Auch bei dieser Vergabe hat der Landesrechnungshof verschiedene Verstöße gegen
das Vergaberecht festgestellt.
Zu diesen Mängeln gehörten u. a.:
•
Es lag keine Schätzung der Auftragswerte für die drei Lose vor. Somit war nicht
prüfbar, ob die Angebote wirtschaftlich waren und ob der Eigenbetrieb eine zulässige Vergabeart gewählt hat.
•
Die gewählte Vergabeart (Beschränkte Ausschreibung) ist zumindest für zwei Lose
nicht schlüssig begründet. Bei einer sorgfältigen Kostenschätzung wäre diese Vergabeart nach dem geltenden Vergabeerlass nicht zulässig gewesen.
93
Hüttinger, Beck‘scher Vergaberechtskommentar, GWB, 3. Auflage 2017, § 103, Rn. 104.
113
•
Für zwei Lose lagen jeweils zwei verschiedene Angebotspreise vor, von denen jeweils die Angebote mit dem höheren Preis beauftragt wurden. Weshalb die Angebote mit einem höheren Preis den Zuschlag erhielten, ist nicht begründet worden.
(404) Der Landesrechnungshof erwartet, dass die Eigenbetriebe die Vergabeakten so führen, dass diese alle Entscheidungen innerhalb des Vergabeverfahrens transparent und
nachvollziehbar abbilden.
6
Fehlende Nutzung von Rahmenvereinbarung
(405) Insbesondere bei regelmäßig wiederkehrenden Lieferungen oder Leistungen, die
auch verschiedene Lieferungen und Leistungen betreffen können, sollten die Auftraggeber
anstelle von Einzelvereinbarungen/-aufträgen den Abschluss von Rahmenvereinbarungen
prüfen.
Bei solchen Vereinbarungen legt der Auftraggeber die Bedingungen für zukünftige Aufträge,
die er im Laufe eines bestimmten Zeitraumes vergeben will, fest. Rahmenvereinbarungen
gestatten dem Auftraggeber, viele Einzelaufträge in einem einzigen Vergabeverfahren zu
bündeln. So kann der Auftraggeber den Verwaltungsaufwand gegenüber Einzelvergaben erheblich senken. Gleichzeitig wird vermieden, dass diese Art der Lieferungen und Leistungen
weitgehend dem Wettbewerb entzogen wird, wenn der Auftragswert der einzelnen Lieferungen oder Leistungen selbst einen geringen Umfang hat.
(406) Der Landesrechnungshof stellte fest, dass ein Eigenbetrieb regelmäßig wiederkehrende Leistungen (vgl. die Fälle unter Tzn. 397 ff. und 401) in Form von Einzelaufträgen
beauftragte, zu denen keine Vergabeunterlagen existierten. Der Gesamtumfang der Aufträge war in der Summe erheblich. Der Eigenbetrieb hat die Nutzung von Rahmenvereinbarungen dennoch nicht geprüft.
(407) Neben der ohnehin notwendigen Beachtung der vergaberechtlichen Vorschriften erwartet der Landesrechnungshof, dass die Eigenbetriebe künftig für wiederkehrende Lieferungen oder Leistungen das Instrument der Rahmenvereinbarung prüfen. Sie sind aufgefordert,
diese möglichst weitgehend dem Wettbewerb zu unterstellen, da sie teilweise einen erheblichen finanziellen Gesamtumfang erreichen.
7
Stellungnahmen
(408) Der Landesrechnungshof räumte den geprüften Eigenbetrieben die Möglichkeit zur
Stellungnahme zu den Sachverhaltsdarstellungen ein. Diese äußerten sich nicht.
114
8
Empfehlungen des Landesrechnungshofes
(409)
Vor dem Hintergrund der Feststellungen haben die Eigenbetriebe die erforderlichen
Voraussetzungen für die Einhaltung und Umsetzung sämtlicher vergaberechtlicher Maßgaben zu überprüfen.
Dazu gehören:
•
Die Eigenbetriebe sollten das Vergabewesen organisatorisch und personell zentralisieren und Formen der kommunalen Zusammenarbeit prüfen. 94 Der Landesrechnungshof hat festgestellt, dass von den geprüften Eigenbetrieben lediglich zwei
über eine zentrale Vergabestelle verfügten.
•
Die mit den Vergaben betrauten Bediensteten sind ausreichend zu schulen. Der
Landesrechnungshof hat festgestellt, dass die Eigenbetriebe teilweise keine Schulungsnachweise vorlegen konnten.
•
Die Eigenbetriebe sollten die Checklisten des Innenministeriums (vgl. Tz. 378) und
die Formblätter des Vergabehandbuchs des Bundes 95 zur Dokumentation und internen Kontrolle des Vergabeverfahrens verwenden.
•
Die für die örtliche Prüfung zuständigen Rechnungsprüfungsausschüsse/ Rechnungsprüfungsämter sind gehalten, ihrem gesetzlichen Prüfauftrag bzgl. der Vergaben auch bei den Eigenbetrieben nachzukommen. Der Landesrechnungshof hat
festgestellt, dass von den sechs geprüften Eigenbetrieben lediglich zwei Nachweise
über die Vergabeprüfungen für die Haushaltsjahre 2016 und 2017 vorlegen konnten.
94
95
Vgl. dazu Rundschreiben Nr. 04/2016 des Landesrechnungshofes Mecklenburg-Vorpommern „Kommunales
Vergabewesen“ unter 3.2 und 3.3. abrufbar unter: https://www.lrh-mv.de/Veröffentlichungen/Rundschreiben/.
Abrufbar unter www.fib-bund.de/Inhalt/Vergabe/VHB/. Zu dessen Anwendung vgl. Nr. IV VgE M-V.
115
5
Prüfung des Landkreises Rostock, Verträge für Leistungen nach § 34
SGB VIII
Wegen des hohen Anteils der Personalkosten an den Gesamtkosten ist es besonders
wichtig, dass der Landkreis bei den Vertragsverhandlungen die Plausibilität und Angemessenheit der Personalkosten intensiv prüft.
Der Landkreis Rostock dokumentierte in zahlreichen Fällen nicht nachvollziehbar, wie
er die Personal-, Sach- und Investitionskosten verhandelte. Das erschwert nachfolgende Verhandlungen.
Nicht nachvollziehbar waren die verhandelten Kosten der Zentralverwaltungen. Der
Landkreis dokumentierte beispielsweise nicht, weshalb er hierfür bei zwei freien Trägern einen höheren Prozentsatz bezogen auf die gesamten Personalkosten anerkannte als bei den übrigen freien Trägern.
Die Kosten für Abschreibungen kalkulierte der Landkreis nach unterschiedlichen Verfahren. Dies wirkte sich entsprechend auf die verhandelten Entgelte aus. Der Landkreis dokumentierte nicht nachvollziehbar, ob er höheren Kosten in den Entgelten für
betriebsnotwendige Investitionen zustimmte.
Für Weiterbildungen und Supervisionen wurden Kosten einkalkuliert. Ob die freien
Träger diese durchführten, überprüfte der Landkreis nicht.
Der Landesrechnungshof hält eine Aktualisierung der Empfehlungen des Landesjugendamtes und des Landesrahmenvertrags Kinder- und Jugendhilfe aus den 1990er
Jahren für dringend geboten.
(410) Wird eine Leistung ganz oder teilweise in einer Einrichtung erbracht, ist der Träger
der öffentlichen Jugendhilfe zur Übernahme des Entgelts gegenüber dem Leistungsberechtigten verpflichtet, wenn mit dem Träger der Einrichtung oder seinem Verband Leistungs-,
Entgelt- und Qualitätsentwicklungsvereinbarungen (LEQ) abgeschlossen worden sind (§ 78b
Abs. 1 SGB VIII96).
Der Landesrechnungshof hat beim Landkreis Rostock (Landkreis) den Abschluss der Vereinbarungen mit Einrichtungsträgern (freie Träger) für die Gewährung der Hilfen zur Erziehung nach § 34 SGB VIII (Heimerziehung, sonstige betreute Wohnformen) und für junge
Volljährige nach § 41 SGB VIII (Hilfen für junge Volljährige) geprüft. Dabei hat er unter Verweis auf § 8 Abs. 3 KPG M-V97 auch bei den freien Trägern erhoben.
96
Sozialgesetzbuch (SGB) - Achtes Buch (VIII) - Kinder- und Jugendhilfe, Artikel 1 des Gesetzes vom
26. Juni 1990, BGBl. I S. 1163, in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. September 2012,
BGBl. I S. 2022, zuletzt geändert durch Artikel 12 des Gesetzes vom 4. Mai 2021, BGBl. I S. 882.
116
(411) Im Landkreis bestanden98 mit 13 freien Trägern LEQ für 34 Einrichtungen. Die freien
Träger stellten insgesamt 233 Plätze zur Verfügung.
Der jährliche Gesamtfehlbetrag der Leistungen (Heimerziehung, sonstige betreute Wohnformen und Hilfen für junge Volljährige) lag von 2014 bis 2018 bei rd. 7,4 Mio. Euro.
(412) Die im Prüfungszeitraum vereinbarten Entgelte (Tagessatz pro belegtem Platz) für
die 30 geprüften Einrichtungen im Landkreis wiesen eine große Spannbreite auf. Sie reichten von 47,69 Euro bis 142,04 Euro.
Abbildung 24: Übersicht vereinbarte Entgelte für Leistungen nach § 34 SGB VIII (Tagessätze)
150
Tagessatz
140
Mittelwert (Tagessatz)
130
120
110
100
in Euro
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 33 34
Einrichtungen
Quelle: Landkreis Rostock; eigene Berechnungen.
Diese Spannbreite ist darauf zurückzuführen, dass die Angebote von Leistungen nach § 34
SGB VIII entsprechend der differenzierten Hilfebedarfe sehr unterschiedlich ausgestaltet
sind.
1
Vertragsverhandlungen
(413) Eine Vereinbarung über ein leistungsgerechtes Entgelt kommt zustande, wenn sich
der Landkreis und der freie Träger über den Inhalt, den Umfang und die Qualität des Leistungsangebotes (Leistungsvereinbarung), über das Entgelt (Entgeltvereinbarung) und zu
den Grundsätzen und Maßstäben für die Bewertung der Qualität (Qualitätsentwicklungsvereinbarung) einigen.
97
98
Kommunalprüfungsgesetz (KPG M-V) vom 6. April 1993, GVOBl. M-V S. 250, 874, zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 23. Juli 2019, GVOBl. M-V S. 467.
Stichtag: 1. Januar 2019.
117
1.1
Vorbereitung der Verhandlungen durch den Landkreis
(414) Der Landkreis erstellt als örtlicher Träger der öffentlichen Jugendhilfe in Vorbereitung
der Verhandlungen einen vollständigen Anforderungskatalog über die einzureichenden Unterlagen.99
Er stellte den freien Trägern Muster-Entgeltanträge 100 zur Verfügung. Da diese nicht verbindlich zu verwenden waren, konnten die freien Träger sie modifizieren oder durch eigene Anträge ersetzen. Dies führte dazu, dass die freien Träger Kostenpositionen an unterschiedlichen Stellen in den Antragsformularen auswiesen und die eindeutige Zuordnung zur richtigen Kostenart fehlte. So kam es beispielsweise vor, dass freie Träger in zahlreichen Fällen
Kosten für betriebsnotwendige Investitionen im Bereich der Sachkosten aufführten.
Die Erhöhung der Investitionskosten bei den freien Trägern steht unter dem Zustimmungsvorbehalt des Landkreises (§ 78c Abs. 2 Satz 3 SGB VIII).
Durch das Ausweisen der Investitionskosten im Bereich der Sachkosten, also außerhalb des
Bereichs der betriebsnotwendigen Investitionen, besteht die Gefahr, dass der Landkreis als
Zustimmungsbehörde seinen rechtlichen Pflichten nicht nachkommt und die damit verbundenen Steuerungsmöglichkeiten nicht ausübt.
(415) Der Landkreis sollte darauf hinwirken, dass die freien Träger die Muster-Entgeltanträge einheitlich verwenden und alle Kosten innerhalb der zutreffenden Kostenart ausweisen.
1.2
Bildung von Orientierungswerten
(416) Der Landkreis wendete für einige Kostenpositionen pauschale Werte an, z. B. für den
Lebensmittel- und den Betreuungsaufwand sowie für die Weiterbildung und Supervision. Er
verfügte über keine schriftliche Arbeitsgrundlage, in der diese pauschalen Werte festgelegt
waren. Der Landesrechnungshof konnte nicht erkennen, nach welchen Maßstäben der
Landkreis diese ermittelte.
(417) Der Landesrechnungshof hält es für zielführend, dass der Landkreis für wesentliche
Kostenpositionen Orientierungswerte als Arbeitsgrundlage für die Sachbearbeitung bei Entgeltverhandlungen erarbeitet. Mit nachvollziehbar gebildeten Orientierungswerten wären
zum einen diese Kostenpositionen für den Landkreis leicht als plausibel und angemessen
einzuordnen. Zum anderen könnte er in diesem Fall auf die Vorlage einzelner Belege verzichten. Dies bietet sich insbesondere bei Positionen von eher geringer finanzieller Bedeu-
99
100
Vgl. § 6 Abs. 4 Satz 1 Landesrahmenvertrag Kinder- und Jugendhilfe vom 9. September 1999 (RV M-V).
Anlage 1.1 (Antrag), Formblatt A (Einrichtungsbezogenes Entgelt für Grundleistungen), Formblatt B (Entgelt
für individuelle Sonderleistungen), Formblatt C (Entgelt für betriebsnotwendige Investitionen), Formblatt D
(Anrechnung von Erstattungen), Formblätter F1 und F2 (Berechnung der Personalkosten) Formblatt G (Ermittlung der Abschreibungen).
118
tung an. Sofern es bei einzelnen Einrichtungen erforderlich ist, die Orientierungswerte übersteigende Kosten zu verhandeln, sind die Gründe dafür vom Landkreis zu dokumentieren.
2
Plausibilisierung und Angemessenheit einzelner Kostenpositionen
(418) Entgelte müssen leistungsgerecht, also plausibel und angemessen sein (§ 78c
Abs. 2 SGB VIII). Plausibel ist das Entgelt, wenn der freie Träger geeignete Nachweise für
eine Kostenposition vorlegt. Angemessen bezogen auf die Höhe der Kosten für Abschreibungen ist es, wenn zwischen mehreren Berechnungs-Alternativen diejenige gewählt wird,
die die niedrigsten Kosten verursacht.
2.1
Personalkosten
(419) Die Personalkosten sind plausibel, wenn diese Kosten tatsächlich anfallen und einkalkulierte Kostensteigerungen auf der Basis eines Tarifvertrages oder einer arbeitsvertraglichen Richtlinie, einer abgeschlossenen Entgeltordnung, eines Vorstandsbeschlusses oder
einer Betriebsvereinbarung geltend gemacht werden. Der Anteil der Personalkosten macht
bis zu 81 % der Gesamtkosten aus. Deshalb ist es besonders wichtig, dass der Landkreis
die Personalkosten intensiv auf Plausibilität und Angemessenheit prüft.
2.1.1 Vergütungsgrundlagen
(420) Nur drei freie Träger legten dem Landkreis einen unterschriebenen Vorstandsbeschluss zur Vergütung oder einen eigenen Tarifvertrag mit aktuellen Entgelttabellen vor.
Von sechs freien Trägern lagen dem Landkreis zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarungen keine bzw. nur für einen Teil der Einrichtungen unterschriebene Vorstandsbeschlüsse, Betriebsvereinbarungen oder eigene Tarifverträge nebst Vergütungstabellen vor.
Der Landkreis teilte mit, dass sich die Vergütungsunterlagen von vier freien Trägern im Archiv befänden. Er konnte diese allerdings nicht vorlegen.
Dem Landkreis lagen für Verhandlungen bei 10 der 13 freien Träger keine von ihnen als
gültig erklärten Vergütungsgrundlagen vor. Ihm fehlte in diesen Fällen die Grundlage, um
die Plausibilität der von den freien Trägern geltend gemachten Personalkosten zu prüfen.
(421) Der Landkreis sollte stets die gültigen Grundlagen für die Personalkosten-Kalkulation
in den Einrichtungsgrundakten aufbewahren.
2.1.2 Eingruppierungen
(422) In mehreren Fällen akzeptierte der Landkreis Eingruppierungen, insbesondere von
leitendem und pädagogischem Personal, als tarifgerecht, obwohl nach Aktenlage bestimmte
Eingruppierungsmerkmale nicht erfüllt waren bzw. maßgebliche Informationen nicht vorla119
gen. Die Gründe für seine Entscheidungen dokumentierte der Landkreis in mehreren Fällen
nicht.
Die Einstufung des pädagogischen Personals in die Erfahrungsstufen hängt vom Nachweis
der Berufserfahrung ab. Der Landkreis dokumentierte in mehreren Fällen nicht, weshalb er
die Einstufung des pädagogischen Personals der freien Träger in höhere Erfahrungsstufen
als in die Eingangsstufe akzeptierte.
(423) Der Landkreis sollte die verhandelten Eingruppierungen und Erfahrungsstufen künftig
nachvollziehbar dokumentieren.
2.1.3 N.N.-Stellen
(424) Für zum Zeitpunkt der Verhandlungen bei den freien Trägern nicht besetzte Stellen
(N.N.-Stellen) kalkulierte der Landkreis die dafür beantragten Personalkosten in das Entgelt
prospektiv ein. Das so vereinbarte Entgelt zahlte der Landkreis nach dem Abschluss der
Vereinbarungen an die freien Träger, sobald er Plätze in den Einrichtungen belegte. Er versäumte es jedoch sich darüber zu informieren, ob und ab wann die freien Träger die N.N.Stellen besetzten. Eine Umfrage des Landesrechnungshofes bei den freien Trägern ergab,
dass sie die im Antragsverfahren in den jeweiligen Stellenplänen ausgewiesenen N.N.-Stellen teilweise erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung besetzten.
(425) Der Landesrechnungshof weist darauf hin, dass die vereinbarte Qualität der Leistung
nur sichergestellt werden kann, wenn die vorgesehenen Stellen tatsächlich besetzt sind.
Dies hat der Landkreis regelmäßig zu prüfen. Soweit sich herausstellt, dass N.N.-Stellen
über einen längeren Zeitraum nicht besetzt werden, wäre dies ein Anlass für den Landkreis,
rechtzeitig zu neuen Verhandlungen aufzurufen.
2.1.4 Weiterbildung/Supervision
(426) Der Landkreis verhandelte die Kosten für die Weiterbildung und die Supervision in
der Regel mit einem pauschalen Wert der pädagogischen Mitarbeiter und/oder der Leitung.
Mit fünf freien Trägern verhandelte er höhere pauschale Werte als den pauschalen Ansatz
für Weiterbildung und Supervision, ohne die Gründe dafür zu dokumentieren.
(427) Der Landkreis sollte die Gründe für ein Abweichen vom Pauschalwert künftig dokumentieren.
(428) Eine Abfrage des Landesrechnungshofes bei den freien Trägern zeigte, dass Weiterbildungen und Supervision teilweise nicht in dem vereinbarten Umfang durchgeführt wurden.
Teilweise wurde zum Personenkreis und zum Umfang der Teilnahme an Weiterbildung und
Supervision nichts verbindlich festgelegt.
120
(429) Der Landkreis sollte bei künftigen Verhandlungen in den Leistungsbeschreibungen
mit den freien Trägern festlegen, für welchen Personenkreis (z. B. pädagogisches Personal,
Leitung) und in welchem Umfang Weiterbildung und Supervision als Qualitätsanforderungsmerkmal vereinbart werden. Er sollte bei Neuverhandlungen prüfen und dokumentieren, ob
die in den Leistungsbeschreibungen vereinbarten Weiterbildungen und Supervisionen im
vorangegangenen Vereinbarungszeitraum stattgefunden haben.
2.2
Kosten der Zentralverwaltungen
(430) Der Landkreis verhandelte die Kosten für die Zentralverwaltung in der Regel mit einem pauschalen Wert von 5,0 % der Löhne und Gehälter.
Bei einem freien Träger erkannte der Landkreis neben bereits verhandelten 6,0 % der Löhne und Gehälter zusätzliche Kosten für dessen Zentralverwaltung an. Dieser freie Träger erhielt auf diesem Weg für die Zentralverwaltung seiner fünf Einrichtungen bis zu 8,9 % der
Löhne und Gehälter. Der Landkreis gab an, dass er für diese fünf Einrichtungen Kompromisslösungen eingegangen sei. Er verfügte dabei nicht über Nachweise oder Berechnungen
zu den verhandelten Kosten.
Bei einem weiteren freien Träger verhandelte der Landkreis für eine Einrichtung Kosten der
Zentralverwaltung von insgesamt 8,6 % der Löhne und Gehälter. Der Landkreis erklärte auf
Nachfrage des Landesrechnungshofes, dass er bei dieser Einrichtung 5,0 % der Löhne und
Gehälter für Kosten der Zentralverwaltung in den Sachkosten angesetzt habe. Unter der Position „Zentralverwaltung ...“ in den Personalkosten habe er „andere Aufwendungen eingestellt“ (12.000 Euro). Der Landkreis gab keine Auskunft darüber, welche Kosten er dort konkret veranschlagte.
Um die höheren Kostenansätze nachvollziehen zu können, befragte der Landesrechnungshof die beiden freien Träger nach den konkreten Aufgaben der Zentralverwaltungen für ihre
Einrichtungen. Er erhielt dazu jedoch keine Auskunft.
Die Kosten für die Zentralverwaltung sind als plausibel anzunehmen, wenn die Personalund Sachkosten mit Ist-Kosten belegt werden und der Verteilerschlüssel offen gelegt wird.
(431) Der Landkreis sollte künftig in den Verhandlungen überprüfen, inwieweit die Leistungen der Zentralverwaltungen notwendig sowie die Kosten dafür plausibel und angemessen
sind. Hierzu sollte er sich die Personal- und Sachkosten unter Angabe der Ist-Kosten belegen und den Verteilerschlüssel offen legen lassen. Gründe für das Abweichungen von Pauschalen sollte er dokumentieren.
121
2.3
Kosten für Abschreibungen
(432) Der Landkreis akzeptierte bei der Kalkulation von Abschreibungen bei Gebäuden unterschiedliche Berechnungsgrundlagen der freien Träger, die zu unterschiedlich hohen Abschreibungssätzen führten. Mit einem der freien Träger verhandelte der Landkreis unter
Missachtung des Rahmenvertrags Kinder- und Jugendhilfe Mecklenburg-Vorpommern
(RV M-V)101 für eine der Einrichtungen pauschale Beträge für die Kosten für Abschreibungen
für Gebäude und für das Inventar. Die Grundlage der Kalkulation und der Aufteilung der Beträge war nicht aktenkundig.
(433) Der Landesrechnungshof hält klare Vorgaben für erforderlich, auf welcher Basis Abschreibungen auf Gebäude akzeptiert werden können. Andernfalls führen die verschiedenen
Herangehensweisen zu nicht begründbaren, unterschiedlichen Auswirkungen in den Entgeltkalkulationen. Insofern wäre eine klärende und der aktuellen Rechtslage angepasste Überarbeitung der Regelungen im RV M-V geboten. Der Landkreis sollte auf eine solche hinwirken.
Künftig hat der Landkreis in den Verhandlungen nach den Vorgaben im RV M-V die rechtlichen Grundlagen zu beachten.
3
Empfehlungen des Landesjugendamtes und Landesrahmenvertrag
(434) Der Landkreis führte die Verhandlungen auf Basis der „Empfehlungen des Landesjugendamtes Mecklenburg-Vorpommern zur Arbeit mit der Allgemeinen Pflegesatzvereinbarung M-V“ mit Stand vom 14. Dezember 1994 (Empfehlungen des Landesjugendamtes M-V)
und des RV M-V durch. Der Landesrechnungshof hält weiterhin sowohl die Empfehlungen
des Landesjugendamtes M-V als auch des RV M-V für grundlegend überarbeitungsbedürftig.102 Die Vertragsparteien103 sollten die Inhalte des RV M-V überprüfen. Ergänzungen sind
insbesondere dort erforderlich, wo die Prüfung des Landesrechnungshofes uneinheitliche,
teilweise auf Unsicherheiten bei der Verhandlungsführung zurückzuführende Herangehensweisen gezeigt hat, die z. B. Verpflichtung zur Vorlage von Nachweisen, Nachweis der
durchgeführten Weiterbildungen und Supervisionen, Behandlung von Abschreibungen.
4
Prüfungsrechte des Landesrechnungshofes
(435) Der Landesrechnungshof hat die freien Träger in die Prüfung einbezogen. Unter Hinweis auf § 8 Abs. 3 KPG M-V forderte er Unterlagen zu durchgeführten Weiterbildungen und
Supervisionen, der Besetzung von in Stellenplänen ausgewiesenen N.N.-Stellen und den
101
102
103
Vom 9. September 1999.
Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern: Jahresbericht 2020 (Teil 2) – Kommunalfinanzbericht 2020,
Tz. 271.
Liga der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege in Mecklenburg-Vorpommern e. V., Landkreistag Mecklenburg-Vorpommern e. V., Städte- und Gemeindetag Mecklenburg-Vorpommern e. V. und Verbund für soziale Projekte e. V. unter Beteiligung des KSV.
122
Aufgaben der Zentralverwaltung an. Zwei freie Träger reichten die erbetenen Unterlagen
nicht ein. Dem Landesrechnungshof war es dadurch nicht möglich, bei diesen freien Trägern die Kosten für die Durchführung von Weiterbildung und Supervision (Tz. 426) und die
Kosten der Zentralverwaltung (Tz. 430) zu prüfen.
(436) Der Landesrechnungshof erwartet, dass der Landkreis die offen gebliebenen Punkte
spätestens im Rahmen der nächsten Vertragsverhandlungen klärt. Der Landesrechnungshof wird seine Prüfungsrechte bei den freien Trägern künftig verstärkt wahrnehmen.
5
Stellungnahme des Landkreises Rostock
(437) Der Landkreis teilte mit, dass er folgende Festlegungen getroffen habe:
•
„Verbesserung der Dokumentation des Verhandlungsgeschehens
•
Überarbeitung der Kalkulationstabellen zu Formularen mit klar definierten Eingabefeldern
•
Ergänzung der Nachweisanforderungen um die im Bericht aufgeführten Defizite
•
mittelfristig Erstellung einer Kostenvergleichsübersicht
•
mittelfristig Erstellung einer SGB-übergreifenden Übersicht der Leitungskräfte der
einzelnen Angebote und Stellenanteile
•
mittel- bis langfristig Erstellung einer Verwaltungsrichtlinie für den Abschluss von
Vereinbarungen und zur Berechnung der Entgelte in den stationären Einrichtungen
des Landkreises Rostock nach §§ 78b bis 78e SGB VIII, in dieser sollen für einige
Kostenpositionen Pauschalen definiert werden“.
(438) Der Landesrechnungshof hält es für notwendig, dass der Landkreis seine Festlegungen zeitnah umsetzt.
123
6
Erhaltung kommunaler Radwege in den Landkreisen Mecklenburgische
Seenplatte und Vorpommern-Greifswald
Die Landkreise Mecklenburgische Seenplatte und Vorpommern-Greifswald haben bei
kommunalen Radwegen Aufgaben der Erhaltung als freiwillige Aufgaben übernommen. Das ist grundsätzlich zu begrüßen. Die organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen für eine effektive und wirtschaftliche Wahrnehmung dieser Aufgaben
haben sie jedoch in weiten Teilen noch nicht hergestellt. Die Erhaltung der kommunalen Radwege erfolgte nicht zielgerichtet und systematisch.
(439) Bei den kommunalen Radwegen handelt es sich vielfach um touristische Radwege.
In Mecklenburg-Vorpommern stehen diese angesichts ihrer wirtschaftlichen und touristischen Bedeutung sowie der Berichterstattung in den Medien über ihre Mängel besonders im
Fokus der Öffentlichkeit. Zuständig für den Bau und die Erhaltung der kommunalen Radwege sind regelmäßig die anliegenden Gemeinden. Abweichend davon übernahmen die Landkreise Mecklenburgische Seenplatte und Vorpommern-Greifswald die Erhaltung der durch
ihr Kreisgebiet verlaufenden, überwiegend touristisch genutzten kommunalen Radwege per
Kreistagsbeschluss als freiwillige Aufgabe in eigener Zuständigkeit.
Geprüft wurde, ob die Landkreise die Aufgaben der Erhaltung der kommunalen Radwege
und insbesondere der touristischen Radwege in den Haushaltsjahren ab 2015 zielgerichtet,
systematisch und bedarfsgerecht geplant und umgesetzt haben.
1
Landkreis Mecklenburgische Seenplatte
(440) Mit Beschluss des Kreistags vom 19. März 2012 hat der Landkreis Mecklenburgische
Seenplatte die Grundlage dafür geschaffen, Radwege in gemeindlicher Baulastträgerschaft
in eigener Zuständigkeit zu erhalten:
„1. Der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte weist in Abstimmung mit den Städten und
Gemeinden unter Beachtung eines künftig zu planenden Wanderwegnetzes ein kreisliches Radwegenetz aus. Das Radwegekonzept ist dem Kreistag zur Beschlussfassung
vorzulegen.
2. (….)
3. Der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte unterhält und baut dieses kreisliche Radwegenetz unabhängig von der künftigen Baulastträgerschaft aus.
4. Die Finanzierung für den Bau und die Unterhaltung der kreislichen Radwege inklusive
der dazugehörigen Infrastruktur erfolgt durch den Landkreis Mecklenburgische Seenplatte und die betroffenen Städte/Gemeinden können sich an den Kosten beteiligen.“
124
1.1
Das Radwegekonzept
(441) Das damalige Amt für Wirtschaft, Kultur, Tourismus hat den Kreistagsbeschluss mit
dem „Radwegekonzept für den Landkreis Mecklenburgische Seenplatte“ (Konzept) mit
Stand vom 24. Februar 2014 umgesetzt.104 Im Konzept werden die Radwegenetze für den
Alltagsverkehr und den touristischen Radverkehr dargestellt:
Abbildung 25: Radwegenetz (Alltagsverkehr/touristisches Radwegenetz)
Quelle: Radwegekonzept für den Landkreis Mecklenburgische Seenplatte, 24. Februar 2014, S. 11.
(442) Das Konzept legt nicht zweifelsfrei fest, was unter einem „kreislichen“ Radwegenetz
(Nr. 1 des Kreistagsbeschlusses vom 19. März 2012) zu verstehen ist. Insbesondere bleibt
offen, welche Streckenabschnitte, für die Dritte wie beispielsweise der Bund, das Land oder
Private die Baulast tragen bzw. erhaltungspflichtig sind, zum „kreislichen“ Radwegenetz gehören.
(443) Für straßenbegleitende Radwege entlang der Bundes- und Landesstraßen soll der
Landkreis nach dem Konzept die Aufgabe der Erhaltung nicht wahrnehmen. Angaben zu
den Längen dieser Radwegabschnitte fehlen.
104
Der Kreistag hat am 28. April 2014 (Beschluss-Nr. B-KT I/37/2014) das Konzept beschlossen und den Landrat mit der Umsetzung beauftragt.
125
(444) Da die Erhaltung der Radwege des „kreislichen“ Radwegenetzes unabhängig von
künftigen Baulastträgerschaften erfolgen soll, wären im Konzept Aussagen zu Baulastträgerschaften und Eigentumsverhältnissen einzelner Routenabschnitte erforderlich gewesen.
(445) Im Konzept ist nicht erkennbar, welche Radwege im Zuge einer Radwegeroute 105
selbstständig verlaufen oder auf vorhandenen klassifizierten Straßen und Wegen mitgeführt
werden. Baut oder unterhält der Landkreis eine Radroute, so kann dies bedeuten, dass er
beispielsweise Streckenabschnitte eines Radwegs, die über Gemeindestraßen verlaufen,
baut und unterhält. Dies dürfte nicht vom Kreistagsbeschluss vom 19. März 2012 gedeckt
sein.
(446) Das Konzept weist für gleiche Radrouten unterschiedliche Längen aus. Mehrfachbelegungen sind nicht nachvollziehbar abgebildet.
(447) Die Längenangaben von Radwegen, insbesondere zu den Radwegen als eigenständige bauliche Anlage, sind im Radwegekonzept nicht nachvollziehbar ausgewiesen oder fehlen. Damit fehlen im Konzept konkrete Aussagen über die tatsächlichen Längen der Radwege, die gemäß Kreistagsbeschluss vom 19. März 2012 zu erhalten und zu bauen sind.
(448) Die im Radwegekonzept aufgelisteten Unterhaltungsleistungen dienen in der Regel
der Gewährleistung der Verkehrssicherheit und können nicht den baulichen Bestand der
Radwege dauerhaft sichern. Weitere Leistungsbereiche der Erhaltung wie die Instandsetzung sind im Konzept nicht aufgeführt.
(449) Der Landkreis teilte mit, er habe schon zum Zeitpunkt der Prüfung festgelegt, auf
Grund der Erfahrungen bei der Umsetzung des Konzepts, der gewählten Organisationsstruktur und ihrer Schwächen ein neues Radwegekonzept zu erarbeiten. Das Radwegemanagement solle nach Überprüfung der Netzstruktur auf Basis einer umfassenden Bestandsanalyse und eines Unterhaltungskonzepts neu organisiert werden. Das Konzept sei zwischenzeitlich in Auftrag gegeben worden und seine Fertigstellung für den 31. August 2022
vertraglich gebunden.
Der Landkreis erklärte weiterhin, es sei beabsichtigt, die Feststellungen und Empfehlungen
des Landesrechnungshofes im neuen Konzept zu berücksichtigen. Ebenso würden die weiteren organisatorischen Empfehlungen in die Neustrukturierung mit einbezogen.
(450) Der Landesrechnungshof empfiehlt dem Landkreis, bei der Erarbeitung des neuen
Radwegekonzepts folgende Aspekte vorrangig zu beachten und umzusetzen:
105
Ein Radweg ist eine eigenständige bauliche Anlage. Eine Radroute stellt hingegen den Verlauf eines Radweges dar und kann über andere eigenständige bauliche Anlagen wie beispielsweise Landes- oder Gemeindestraßen führen.
126
1. Das „kreisliche“ Radwegenetz ist klar zu definieren. Die Streckenabschnitte sind unter Beibehaltung der Netzebenen eindeutig in Lage und Länge unter Berücksichtigung von Mehrfachbelegungen zu bestimmen.
2. Für jeden Streckenabschnitt sollte die Zuordnung der Baulastträgerschaft bzw. des
Eigentums vorgenommen und dokumentiert werden. Hiermit könnten Radroutenabschnitte mit ungeklärten Rechtsverhältnissen identifiziert und festgestellt werden, ob
der Landkreis, eine kreisangehörige Gemeinde oder ein Dritter (z. B. Bund, Land
und Private) zum Bau oder zur Erhaltung des Streckenabschnitts verpflichtet ist.
3. Nach lückenloser Zuordnung der Baulastträgerschaft sollten die Kosten für die Erhaltung des „kreislichen“ Radwegenetzes überschlägig ermittelt werden.
4. Es sollte geprüft werden, ob Radrouten erweitert, zusammengelegt oder vielleicht
auch aufgegeben werden sollten. Aktuelle Daten, wie z. B. Radverkehrsstärken anhand von Radverkehrszählungen, sollten dabei als Grundlage dienen.
1.2
Beteiligung der kreisangehörigen Gemeinden an der Finanzierung des
kreislichen Radwegenetzes
(451) Nach Nr. 4 des Kreistagsbeschlusses vom 19. März 2012 ist den kreisangehörigen
Gemeinden eine finanzielle Beteiligung an den Unterhaltungskosten für das kreisliche Radwegenetz freigestellt.
(452) Der Altkreis Müritz hatte seit dem Jahr 2003 den Ausbau und die Unterhaltung für
die in seinem Gebiet gelegenen touristischen Radwege übernommen. Er hatte mit insgesamt 22 Ämtern und Städten Vereinbarungen über eine anteilige Beteiligung an den Kosten
geschlossen. Nach Auslaufen der letzten dieser Vereinbarungen im Jahr 2015 trägt allein
der Landkreis die Kosten für die Erhaltung von Streckenabschnitten des Radwegenetzes,
für die Gemeinden Träger der Straßenbaulast sind.
(453) Der Landesrechnungshof empfiehlt, bei geplanten größeren Erhaltungsvorhaben
grundsätzlich die betroffenen gemeindlichen Baulastträger unter Darstellung insbesondere
der Kosten und Eigenanteile schriftlich zu informieren und auf eine mögliche Kostenbeteiligung hinzuweisen. Darüber hinaus sollte der Landkreis alternative Möglichkeiten des Baus
und der Erhaltung von Radwegen des „kreislichen“ Radwegenetzes prüfen. So käme für die
freiwillige Übernahme von gesetzlichen Pflichtaufgaben auch die kommunale Zusammenarbeit nach § 149 ff. KV M-V106 grundsätzlich in Betracht.
106
Kommunalverfassung für das Land Mecklenburg-Vorpommern (Kommunalverfassung - KV M-V) vom
13. Juli 2011 (GVOBl. M-V S. 777), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 23. Juli 2019 (GVOBl. MV S. 467).
127
2
Landkreis Vorpommern-Greifswald
(454) Mit Beschluss des Kreistages vom 5. Oktober 2015 hat der Landkreis VorpommernGreifswald die Grundlage dafür geschaffen, Radfernwege künftig in seiner Zuständigkeit zu
erhalten:
1. „Der Landkreis Vorpommern-Greifswald wird weiterhin Verantwortung für die Unterhaltung und den Ausbau der von der Landesregierung ausgewiesenen Radfernwege
übernehmen.
2. Die Finanzierung von Fremdleistungen soll anteilig (50 % der Eigenmittel) durch die
an den Radfernwegen liegenden Gemeinden erfolgen.
3. Wo immer es sich anbietet, ist die Verantwortung an Dritte zu übertragen.“107
Danach hat der Landkreis nur einen Teil der kommunalen touristisch genutzten Radwege
(Radfernwege) auszubauen und zu unterhalten (siehe Abbildung 26).
Abbildung 26: Übersicht Radfernwege im Landkreis Vorpommern-Greifswald, Stand: 2013
Quelle: Landkreis Vorpommern-Greifswald; E-Mail vom 30. Oktober 2019.
107
Durchnummerierung des Kreistagsbeschlusses durch den Landesrechnungshof.
128
2.1
Baulastträgerschaft bei Radfernwegen
(455) In den tabellarischen Übersichten des Landkreises zu den einzelnen Radfernrouten
und -wegen im Kreisgebiet fehlen zu den Radfernwegen abschnittsbezogene Aussagen zu
Baulastträgerschaften und Eigentumsverhältnissen. Der Landkreis hätte anlässlich der
Übernahme von Pflichtaufgaben der Gemeinden feststellen müssen, für welche Radwegabschnitte diese aufgrund bestehender gesetzlicher Regelungen für den Ausbau und die Unterhaltung zuständig sind.
(456) Nach Angabe des Landkreises verlaufen als „sonstig“ bezeichnete Wege auch auf
Gemeindestraßen. In diesen Fällen handelt es sich nicht um einen (reinen) Radweg als
selbstständige bauliche Anlage. Die Baulastträgeraufgaben für Gemeindestraßen liegen
ausschließlich bei den betroffenen Gemeinden. Es ist zweifelhaft, ob der Landkreis mit dem
Kreistagsbeschluss vom 5. Oktober 2015 auch zum Ausbau oder zur Unterhaltung von Gemeindestraßen ermächtigt worden ist.
(457) Der Landkreis teilte mit, er habe weder den Ausbau noch die Unterhaltung von Gemeindestraßen übernommen. Er beschränke sich darauf, die Gemeinden bei der Ertüchtigung dieser Wege für ihre Nutzung als Radfernweg zu unterstützen.
(458) Hierzu bemerkt der Landesrechnungshof, dass er im Rahmen dieser Prüfung nicht
abschließend beurteilen kann, ob und inwieweit es möglich ist, Radfernwege, die über Gemeindestraßen geführt werden, zu ertüchtigen, ohne dabei zugleich die Gemeindestraßen
auszubauen oder zu unterhalten.
2.2
Beschreibung und Übertragung der Aufgaben
(459) Der Kreistagsbeschluss enthält keine eindeutige Aufgabenbeschreibung, welche
konkreten Leistungen mit der Unterhaltung der Radfernwege verbunden sein sollen. Der
Landkreis hat kein Konzept erstellt, aus dem sich die Zuständigkeiten für Umbau, Instandsetzung und Erneuerung von Radfernwegen ergeben.
(460) Der Landkreis hat seine Kreisstraßenmeisterei Anklam mit der Aufgabe der Erhaltung der Radfernwege betraut. Spätestens mit Übertragung dieser Aufgabe hätte er festlegen müssen, welche Aufgaben der Erhaltung in welchem Umfang und in welchem Zeitraum
übernommen werden sollen. Es fehlt eine wesentliche Arbeitsgrundlage zur Bestimmung
des erforderlichen Personaleinsatzes und der erforderlichen Haushaltsmittel.
(461) Der Landkreis teilte mit, er tue vor Ort das, was jeweils nötig und möglich sei, um die
Wege als Radfernwege zu nutzen. Das könnten ganz unterschiedliche und auch unkonventionelle Maßnahmen sein. Es werde im Einzelfall entschieden.
129
(462) Hierzu merkt der Landesrechnungshof an, dass die Aufgabe der Erhaltung von Radfernwegen ohne konzeptionelle Grundlage nicht effektiv und wirtschaftlich wahrgenommen
werden kann. Er empfiehlt, die Erhaltungsziele, Verantwortlichkeiten und Zeiträume eindeutig zu beschreiben.
2.3
Beteiligung kreisangehöriger Gemeinden an der Finanzierung der Radfernwege
(463) Der Landkreis hat sein mit Nr. 2 des Kreistagsbeschlusses vom 5. Oktober 2015 gesetztes Ziel, mit den Gemeinden Vereinbarungen zur Mitfinanzierung der Unterhaltung der
gemeindlichen Radfernwege zu treffen, nicht erreicht. Er hat die Unterhaltung der Radfernwege ausschließlich selbst finanziert. Der Landesrechnungshof empfiehlt zu prüfen, ob Vereinbarungen mit den Gemeinden über eine anteilige Finanzierung der Erhaltung von Radwegen getroffen werden können.
3
Systematische Erhaltung kommunaler Radwege
(464) Das kommunale Straßen- und Wegenetz einschließlich der Radwege unterliegt ständigen Beanspruchungen, die zu einem Verschleiß der Substanz führen. Um die Verkehrssicherheit zu gewährleisten und die angestrebte Nutzungsdauer zu erreichen, sind zeit- und
bedarfsgerechte Erhaltungsmaßnahmen erforderlich. Die Baulastträger sind verpflichtet, für
die Standsicherheit, die Verkehrssicherheit und die Dauerhaftigkeit ihrer Straßen und Wege
unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots zu sorgen. Dies können sie nur mit einer systematischen Straßen- und Wegeerhaltung sicherstellen (vgl. (Abbildung 27).
Abbildung 27: Ablaufdiagramm einer systematischen Straßenerhaltung
Quelle: Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) : Entwicklung eines Bauwerks-Management-Systems für das deutsche‚
Fernstraßennetz – Stufen 1 und 2; Heft B 43. Bild 5, S. 14 (2003); eigene Darstellung.
130
(465) Die Erhaltung der kommunalen Radwege in den Landkreisen MSE und VG wird nicht
zielgerichtet und systematisch betrieben.
3.1
Erhaltungsziele und Bedarfsprognose
(466) Im Landkreis MSE wird die Aufgabe der Erhaltung des kreislichen Radwegenetzes
durch eine Eigengesellschaft wahrgenommen. Hierfür hat der Landkreis der Eigengesellschaft keine klar formulierten Erhaltungsziele vorgegeben. Weder der Landkreis MSE noch
die Eigengesellschaft haben eine Finanzbedarfsprognose für diese Aufgabe erstellt und fortgeschrieben.
(467) Im Landkreis VG wird die Aufgabe der Erhaltung von kommunalen Radwegen, insbesondere der Radfernwege, durch das Amt für Hoch- und Tiefbau/Immobilienmanagement
und die Kreisstraßenmeisterei Anklam wahrgenommen. Auch der Landkreis VG hat keine
klar formulierten Erhaltungsziele vorgegeben bzw. überprüft oder Bedarfsprognosen entwickelt und fortgeschrieben.
(468) Der Landkreis VG teilte mit, die Bemerkungen des Landesrechnungshofes träfen zu.
Er sei daran interessiert, Erhaltungsziele zu formulieren und daraus ein Erhaltungskonzept
abzuleiten. Bislang scheitere die Umsetzung an den dafür notwendigen personellen Ressourcen.
(469) Der Landesrechnungshof empfiehlt beiden Landkreisen, klar definierte und realisierbare Ziele anhand bestimmter Zielkriterien zu entwickeln und bei der Bedarfsprognose der
künftig zu erhaltenden Radwege zu berücksichtigen. Hierbei sollten die Erfahrungen und
Vorschläge der Eigengesellschaft (Landkreis MSE) bzw. der Kreisstraßenmeisterei Anklam
(Landkreis VG) einfließen. Die Ziele und Prognosen sollten dokumentiert werden. Die festgelegten Erhaltungsziele und Bedarfsprognosen sollten regelmäßig überprüft und fortgeschrieben werden.
3.2
Dokumentation der Bestandsdaten
(470) Weder der Landkreis MSE noch die Eigengesellschaft verfügen über alle für eine
systematische Straßenerhaltung benötigten Daten wie Netz-, Bestands- und Zustandsdaten
zum kreislichen Radwegenetz.
(471) Dem Landkreis VG liegen die für eine systematische Straßenerhaltung benötigten
wesentlichen Daten wie Netz-, Bestands- und Zustandsdaten des Radfernwegenetzes nicht
vollständig vor.
131
(472) Der Landkreis VG teilte mit, die Bemerkungen des Landesrechnungshofes seien
grundsätzlich richtig. Es sei sinnvoll, sich bei der systematischen Erfassung der Radfernwege an den vorgeschriebenen Erfassungen für klassifizierte Straßen zu orientieren.
(473) Der Landesrechnungshof empfiehlt beiden Landkreisen, die Bestandsdaten der zu
erhaltenden Radwege zügig zu vervollständigen und zu aktualisieren. Im Rahmen ihrer Straßenaufsicht sollten die Landkreise zeitnah darauf Einfluss nehmen, dass die kreisangehörigen Gemeinden die Bestandsdaten der Radwege in ihrer Baulastträgerschaft aktuell und
entsprechend den gesetzlichen Vorgaben vollständig erheben und dokumentieren.
3.3
Zustandserfassung und -bewertung
(474) Der Landkreis MSE hat bei seinen Zustandserfassungen und -bewertungen der
Kreisstraßen auch die in seiner Baulast befindlichen straßenbegleitenden Radwege zu berücksichtigen.
(475) Die Kreisstraßenmeistereien des Landkreises MSE führen auf den straßenbegleitenden Radwegen in der Baulast des Kreises Streckenkontrollen nicht regelmäßig durch und
dokumentieren Kontrollen nicht ausreichend.
(476) Die Eigengesellschaft hat bisher keine Zustandserfassungen und -bewertungen des
Radwegenetzes des Landkreises MSE im Sinne der technischen Regelwerke durchgeführt.
Auch Streckenkontrollen im kreislichen Radwegenetz (ca. 400 km) und die Kontrollen der
wegweisenden Beschilderungen (rd. 1.423 km) führt die Gesellschaft nur unregelmäßig
durch.
(477) Der Landkreis VG hat bislang eine Zustandserfassung und -bewertung für die Radfernwege entsprechend den geltenden technischen Regelwerken nicht vorgenommen.
(478) Der Landkreis VG teilte mit, diese Feststellung treffe zu. Eine systematische Erfassung des Zustands der Radwege solle aber nicht vor Erfassung des Zustands der Kreisstraßen stehen. Für diese werde das Thema derzeit im Zusammenhang mit der Einführung „wesentlicher Produkte“ geprüft.
(479) Fehlen Zustandserfassungen und -bewertungen, kann keine sinnvolle Erhaltungsstrategie entwickelt werden. Der Landesrechnungshof empfiehlt beiden Landkreisen, diese
Verfahren in regelmäßigen Abständen von drei bis fünf Jahren durchzuführen.
3.4
Erhaltungsplanung, Finanzbedarf und Dringlichkeitsreihung
(480) Eine zielgerichtete und systematische Erhaltung der Radwege setzt ferner die Bildung von Streckenabschnitten, die Zuordnung von Erhaltungsmaßnahmen, die Prüfung und
Wahl von Erhaltungszielen und -strategien, die Ermittlung des (Gesamt-)Bedarfs, die Rei132
hung der Maßnahmen nach Dringlichkeit (Priorisierung) und die Erstellung von Erhaltungsund Bauprogrammen voraus.
(481) Bei dem Landkreis MSE sind diese Voraussetzungen sämtlich nicht erfüllt.
(482) Der Landkreis VG hat die Prüfung verschiedener Erhaltungsstrategien, die Priorisierung, die Finanzbedarfsermittlung, die Programmbildung und die Mittelbereitstellung nicht
bzw. nicht ausreichend vorgenommen.
(483) Der Landkreis VG teilte mit, diese Bemerkungen träfen zu. Die Bedarfsermittlung
und Priorisierung erfolge durch das mit der Wegeunterhaltung befasste leitende Personal.
Die Bereitstellung der finanziellen Mittel für die freiwillige Aufgabe gestalte sich in einem
Landkreis, dessen finanzielle Leistungsfähigkeit als weggefallen gelte, sehr schwierig.
(484) Der Landesrechnungshof empfiehlt beiden Landkreisen, auf der Grundlage vorheriger Zustandserfassungen und -bewertungen Ziele zur Erhaltung der Radfernwege festzulegen und ein Erhaltungsprogramm aufzustellen
4
Fazit und Empfehlungen
(485) Die Entscheidung der Landkreise, die Erhaltung der durch ihr Kreisgebiet verlaufenden touristischen Radwege (insbesondere von Radfernwegen) als freiwillige Aufgabe in eigener Zuständigkeit zu übernehmen, sollte mit Blick auf die angespannte Haushaltslage einiger kreisangehöriger Gemeinden und das unterschiedlich stark ausgeprägte wirtschaftliche Interesse gemeindlicher Baulastträger an einem guten Erhaltungszustand der touristischen Radwege grundsätzlich unterstützt werden. Die Landkreise sollten jedoch die Prüfungserkenntnisse und Empfehlungen des Landesrechnungshofes dazu nutzen, die Aufgabe der Erhaltung der touristischen Radwege noch effektiver und wirtschaftlicher zu erfüllen.
133
V.
Prüfung kommunaler Beteiligungen
1
Verzögerungen bei der Jahresabschlussprüfung
Bei 86 von 362, d. h. bei rund einem Viertel, der kommunalen Wirtschaftsbetriebe
wurden in 2020 die Prüfungen der Jahresabschlüsse für das Geschäftsjahr 2019 nicht
fristgerecht abgeschlossen. Trotz der coronabedingten Rahmenbedingungen ist eine
leichte Verbesserung zu erkennen: So konnten im Vergleich zum Vorjahr zehn kommunale Wirtschaftsbetriebe mehr ihre Jahresabschlussprüfungen innerhalb der gesetzlichen Fristen beenden.
(486) Kommunale Wirtschaftsbetriebe können in verschiedenen Organisationsformen betrieben werden: als Eigenbetriebe, Zweckverbände, Gesellschaften des privaten Rechts und
Kommunalunternehmen. Abhängig von ihrer Organisationsform gelten für kommunale Wirtschaftsbetriebe unterschiedliche Fristen für die Aufstellung, Prüfung, Feststellung sowie Offenlegung und Bekanntmachung ihrer Jahresabschlüsse. Diese ergeben sich aus Tabelle 18.
Tabelle 18: Fristen zur Aufstellung, Prüfung, Feststellung sowie Offenlegung und Bekanntmachung
des Jahresabschlusses und Lageberichts bei kommunalen Wirtschaftsbetrieben mit Prüfungspflicht nach Abschnitt III Kommunalprüfungsgesetz Mecklenburg Vorpommern
Fristen für
Aufstellung des Jahresabschlusses und Lageberichts
Prüfung des Jahresabschlusses und Lageberichts
kleine Gesellschaft des
privaten Rechts
(§ 267 Abs. 1 HGB)
Eigenbetrieb
und Zweckverband
Kommunalunternehmen
innerhalb von 4 Monaten
nach dem Ende des Wirtschaftsjahrs
in den ersten 3 Monaten des
Geschäftsjahrs für das vergangene Geschäftsjahr
in den ersten 3 Monaten des
Geschäftsjahrs für das vergangene Geschäftsjahr
(§ 39 Abs. 1 EigVO M-V bzw.
§ 42 Abs. 2 i. V. m.
§ 39 Abs. 1 EigVO M-V)
(§ 70b Abs. 1 KV M-V i. V. m.
§ 264 Abs. 1 Satz 3 HGB)
(§ 73 Abs. 1 Nr. 2 KV M-V
i. V. m.
§ 264 Abs. 1 Satz 3 HGB)
bis zum Ablauf von 9 Monaten nach Ende des Wirtschaftsjahrs
bis zum Ablauf von 9 Monaten nach Ende des Wirtschaftsjahrs
bis zum Ablauf von 9 Monaten nach Ende des Wirtschaftsjahrs
(§ 39 Abs. 2 EigVO M-V
i. V. m. §§ 13 Abs. 4 KPG MV bzw. § 42 Abs. 2 EigVO MV i. V. m. §§ 39 Abs. 2 EigVO
M-V, 13 Abs. 4 KPG M-V)
(§ 70b Abs. 2 KV M-V i. V. m.
13 Abs. 4 KPG M-V)
(§ 73 Abs. 1 Nr. 2 KV M-V
i. V. m. 13 Abs. 4 KPG M-V)
gemäß Satzung
bis spätestens zum Ablauf der
ersten 11 Monate des Geschäftsjahrs
Feststellung des geprüften
bis zum Ende des auf das
Jahresabschlusses und Lage- Wirtschaftsjahr folgenden
berichts
Wirtschaftsjahrs, jedoch vor
Feststellung des Jahresabschlusses der Gemeinde
(§ 42a Abs. 2 GmbHG)
(§ 40 Abs. 1 EigVO M-V bzw.
§ 42 Abs. 2 i. V. m.
§ 40 Abs. 1 EigVO M-V)
Offenlegung und Bekanntmachung des festgestellten und
geprüften Jahresabschlusses
und Lageberichts
Bekanntmachung und Auslegung nach Erhalt des Weiterleitungsschreibens des Landesrechnungshofes
Bekanntmachung und Auslegung nach Erhalt des Weiterleitungsschreibens des Landesrechnungshofes
spätestens 1 Jahr nach dem
Abschlussstichtag des Geschäftsjahrs im elektronischen Bundesanzeiger
135
Fristen für
Eigenbetrieb
und Zweckverband
(§ 14 Abs. 5 KPG M-V)
Kommunalunternehmen
(§ 14 Abs. 5 KPG M-V)
kleine Gesellschaft des
privaten Rechts
(§ 267 Abs. 1 HGB)
(§ 325 Abs. 1,1a HGB)
und
Bekanntmachung und Auslegung nach Erhalt des Weiterleitungsschreibens des Landesrechnungshofes
(§ 14 Abs. 5 KPG M-V)
Quelle: Eigene Darstellung.
(487) Bei 86 von 362 bzw. bei rund einem Viertel der kommunalen Wirtschaftsbetriebe
konnten die Prüfungen der Jahresabschlüsse für das Geschäftsjahr 2019 nicht fristgerecht
abgeschlossen werden. Bei neun Wirtschaftsbetrieben waren die Jahresabschlussprüfungen
bis zum 9. September 2021 und damit mehr als 20 Monate nach dem Ende des Wirtschaftsjahrs noch nicht beendet (vgl. Tabelle 19).
Erfreulich ist, dass im Vergleich zum Vorjahr eine leichte Verbesserung in Bezug auf die Einhaltung der Fristen für die Jahresabschlussprüfung zu erkennen ist. Insgesamt konnten trotz
der coronabedingten Rahmenbedingungen zehn kommunale Wirtschaftsbetriebe mehr ihre
Jahresabschlussprüfungen für das Geschäftsjahr 2019 innerhalb der gesetzlichen Fristen
abschließen.
(488) Der häufigste Grund für die Prüfungsverzögerungen war, dass die kommunalen Wirtschaftsbetriebe den Abschlussprüfern die Unterlagen zum Jahresabschluss und Lagebericht
nicht vollständig in der vereinbarten Form und zum vereinbarten Termin bzw. in einem nicht
prüffähigen Zustand zur Verfügung gestellt haben. Teilweise lag es auch daran, dass sich
der Prüfungsbeginn verschob, da es bei der Prüfung des Vorjahrs bereits Verzögerungen
gegeben hatte. Es kam auch vor, dass sich die Mitglieder des geschäftsführenden Organs
weigerten, den Jahresabschluss zu unterschreiben, da sie selbst erst unterjährig bzw. erst
nach dem Ende des Geschäftsjahrs, für das der Jahresabschluss aufgestellt wurde, als Mitglieder des geschäftsführenden Organs eingesetzt wurden und somit für den aufzustellenden Jahresabschluss nicht verantwortlich zeichnen wollten.
136
Tabelle 19: Einhaltung der Fristen bei der Durchführung der Jahresabschlussprüfung nach Abschnitt III Kommunalprüfungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern, 2018 und 2019, Stand:
9. September 2021
Eigenbetrieb
2019
Zweckverband
2018
2019
2018
fristgerecht innerhalb von neun Monaten abgeschlossene Prüfungen
45
47
24
24
nach neun bis zwölf Monaten abgeschlossene Prüfungen
25
18
8
nach mehr als zwölf Monaten abgeschlossene Prüfungen
11
19
2
noch nicht abgeschlossene Prüfungen
5
4
1
86
88
35
Gesamt
Kommunalunternehmen
2019
2019
2019
2018
195
276
267
9
30
31
63
58
2
1
9
14
30
3
4
9
8
239
239
362
363
2
1
2018
Gesamt
205
35
2
2018
kleine Gesellschaft privaten
Rechts
1
Quelle: Eigene Darstellung auf Basis einer Auswertung der eingegangenen Prüfungsberichte für die Geschäftsjahre 2019 und 2018. Als Zeitpunkt
für den Abschluss der Prüfung war das Datum des Bestätigungs- bzw. Versagungsvermerks maßgeblich.
(489) Verzögerungen bei der Jahresabschlussprüfung führen zu Verzögerungen bei der
Feststellung des Jahresabschlusses. Letztere führen wiederum dazu, dass die beteiligte
kommunale Körperschaft ihren eigenen Jahresabschluss nicht fristgerecht feststellen kann.
Darüber hinaus läuft der kommunale Wirtschaftsbetrieb Gefahr, dass er seinen Jahresabschluss nicht fristgerecht im Bundesanzeiger offenlegen kann und er somit ein Ordnungsgeld von bis zu 25.000 Euro zu zahlen hat.
(490) Das geschäftsführende Organ eines kommunalen Wirtschaftsbetriebs ist verpflichtet,
dem Abschlussprüfer den Jahresabschluss, den Lagebericht und alle weiteren Unterlagen,
die der Abschlussprüfer für die Jahresabschlussprüfung benötigt, unverzüglich nach der
Aufstellung innerhalb der gesetzlichen Fristen vorzulegen. Dazu gehört auch, den aufgestellten Jahresabschluss zu unterzeichnen.
Eine Verletzung der Aufklärungs- und Nachweispflichten kann sich im Prüfungsergebnis des
Abschlussprüfers – z. B. in Form einer Einschränkung oder Versagung des Bestätigungsvermerks bzw. eines Nichterteilungsvermerks (§ 322 HGB) – niederschlagen. Darüber hinaus macht sich das geschäftsführende Organ unter Umständen schadensersatzpflichtig,
wenn durch Pflichtverletzungen die Prüfung verzögert oder abgebrochen wird bzw. dem
kommunalen Wirtschaftsbetrieb ein günstigeres Prüfungsurteil entgeht.
Eine Verletzung der Vorlagepflicht kann zudem die sofortige Abberufung als Mitglied des
geschäftsführenden Organs und die Versagung der Entlastung zur Folge haben.
(491) Prüfungsverzögerungen aufgrund von unvollständigen, nicht unterzeichneten, nicht
prüffähigen bzw. nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellten Unterlagen und daraus ggf. resultierende Mehrkosten sind für den Landesrechnungshof nicht hinnehmbar. In einem kommunalen Unternehmen ist das geschäftsführende Organ insbesondere verpflichtet, den
137
Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu befolgen und unnötige Ausgaben zu
vermeiden.
(492) Der Landesrechnungshof empfiehlt den kommunalen Gesellschaftern bzw. Trägern
von kommunalen Wirtschaftsbetrieben, sich vom geschäftsführenden Organ regelmäßig
über den Stand der Jahresabschlussprüfung berichten zu lassen, um – ggf. auch mit Unterstützung der zuständigen Rechtsaufsichtsbehörde – rechtzeitig Maßnahmen zur Vermeidung
von Prüfungsverzögerungen und Mehrkosten ergreifen zu können.
138
2
Länderübergreifende kommunale Beteiligung
Bei länderübergreifenden kommunalen Beteiligungen, die der Anzeigepflicht nach
§ 77 Abs. 1 KV M-V unterliegen (unmittelbare oder mittelbare Beteiligung der Gemeinde mit mehr als 20% an Unternehmen und Einrichtungen), ist deren Sitz entscheidendes Kriterium für die Prüfungspflicht nach Abschnitt III KPG M-V.
(493) Der Landesrechnungshof hatte im Kommunalfinanzbericht 2020 (Tzn. 466 bis 474)
Feststellungen zu einer GmbH (T) getroffen, an der sowohl eine Stadt in Schleswig-Holstein
(S) als auch eine Stadt in Mecklenburg-Vorpommern (A) mittelbar beteiligt sind. Dabei ist
die Beteiligung der Stadt S höher als die der Stadt A, die seinerzeit Sitz der Gesellschaft
war.
Der Landesrechnungshof hatte unter anderem festgestellt, dass nicht eindeutig festgelegt
war, ob nach dem Gesellschaftsvertrag die landesrechtlichen Bestimmungen SchleswigHolsteins oder Mecklenburg-Vorpommerns maßgeblich sein sollten. Da der Sitz der Gesellschaft ursprünglich in der Stadt S liegen sollte, bezog sich der Gesellschaftsvertrag überwiegend auf Bestimmungen Schleswig-Holsteins. Die T GmbH war der Ansicht, nicht der
Prüfungspflicht nach Abschnitt III KPG M-V zu unterliegen. Die Prüfung der Jahresabschlüsse für 2017 und 2018 erfolgte aber auch nicht nach dem Kommunalprüfungsgesetz Schleswig-Holsteins. Dieses führte der Landesrechnungshof auf die unklaren Regelungen zurück.
(494) Der Landesrechnungshof hat daher mit dem Innenministerium als Grundsatzfrage
besprochen, wie bei länderübergreifenden Beteiligungen zu verfahren ist. Im Ergebnis ist
der Sitz des Unternehmens bzw. der Einrichtung das entscheidende Kriterium für die Prüfungspflicht des Jahresabschlusses nach Abschnitt III KPG M-V.
Der Sitz in A führte für die T GmbH dazu, dass sie der Prüfungspflicht nach Abschnitt III
KPG M-V unterlag. Dieses teilte das Ministerium der für die T GmbH zuständigen unteren
Rechtsaufsichtsbehörde mit. Die T GmbH informierte zwischenzeitlich, dass sie ihren Sitz
nach S verlege. Damit unterliegt sie künftig nicht mehr der Prüfungspflicht nach dem KPG
M-V.
(495) Der Landesrechnungshof begrüßt, dass mit der Anknüpfung an den Sitz eines Unternehmens ein eindeutiges Kriterium festgelegt wurde, um für gleichartige Fälle die Prüfungspflicht nach Abschnitt III KPG-M-V zu bestimmen.
139
VI. Umsetzung von Landtagsentschließungen
1
Entschließung des Landtags zu dem Berichtsbeitrag „Umsetzung des
NKHR M-V“
(Jahresbericht 2019 (Teil 2) – Kommunalfinanzbericht 2019, Tzn. 156-182)
Der Landtag hat beschlossen: „In Bezug auf die Textzahlen 168 bis 178 wird das Ministerium für Inneres und Europa gebeten, die bestehenden Regelungen zum Beteiligungsbericht zu überarbeiten und zu konkretisieren, insbesondere indem konkrete
Regelungen zu Inhalt und Aufbau des Beteiligungsberichts getroffen sowie Muster
und detaillierte Leitfäden und Arbeitshilfen für die Kommunen bereitgestellt werden.“108
(496) Der Landesrechnungshof führte zu den Veränderungen im Bereich des Gesamtabschlusses und des Beteiligungsberichts durch das Doppik-Erleichterungsgesetz aus.
Er befand die „Einschränkungen hinsichtlich des Gesamtabschlusses, insbesondere aus
Transparenzgründen [...] bedenklich“. Durch die nunmehr herausgehobenen Bedeutung der
Beteiligungsberichte sah „der Landesrechnungshof das Innenministerium in der Pflicht, die
Regelungen (der Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern) zum Beteiligungsbericht
zu überarbeiten“. Für zweckmäßig hielt er
•
die Schaffung konkreter, gesetzlicher Regelungen zum Inhalt und Aufbau des Beteiligungsberichts,
•
die Bereitstellung von Mustern zu den Beteiligungsberichten sowie
•
die Bereitstellung von aussagekräftigen Leitfäden und Arbeitshilfen zur Gestaltung.
Dem schloss sich der Landtag mit o. g. Beschluss an.
Das Innenministerium hatte zuvor mitgeteilt, dass es „zunächst keinen weiteren Regulierungsbedarf“ sehe. Umfang und Inhalt des Beteiligungsberichts seien ausreichend geregelt.
(497) Auf die Nachfrage des Landesrechnungshofes zur Umsetzung der Entschließung
des Landtags führte das Innenministerium aus, dass es „im Rahmen einer Arbeitsgruppe
unter Beteiligung der Spitzenverbände und Kommunen die Regelungen zum Beteiligungsbericht überprüfen [werde,] um vor dem Hintergrund des angestrebten Bürokratieabbaus
sinnvolle Best Practice Beispiele aus der kommunalen Ebene zu nutzen“.
(498) Der Landesrechnungshof begrüßt das angekündigte Vorgehen.
108
Drs. 7/4942 Beschlussempfehlung I.2.; beschlossen in der 88. Sitzung des Landtags Mecklenburg-Vorpommern vom 13. Mai 2020.
141
Das Innenministerium sollte die Überprüfung zeitnah vornehmen.
Die anschließende Überarbeitung der Regelungen muss den inhaltlichen Maßgaben des
Landtagsbeschlusses genügen. Das Ziel des Bürokratieabbaus steht dem nicht entgegen.
Die benannten Maßnahmen helfen dabei, Unsicherheiten zu beseitigen und unnötigen Aufwand zu vermeiden. Ein einheitlicher Aufbau der Beteiligungsberichte erhöht die Zugänglichkeit und Vergleichbarkeit für die Vertretungen und die Aufsichtsbehörden. Das Argument des
Bürokratieabbaus darf zudem das Ziel größtmöglicher Transparenz und damit den Sinn und
Zweck des Beteiligungsberichts nicht gefährden.
142
2
Entschließungen des Landtags zur Prüfung „Kommunales
Forderungsmanagement“
(Jahresbericht 2015 (Teil 1) – Kommunalfinanzbericht 2015, Tzn. 160-220)
Der Landtag hat beschlossen: „Das Ministerium für Inneres und Sport wird gebeten,
im Rahmen seiner Rechtsaufsicht darauf hinzuwirken, dass das Forderungsmanagement in den Kommunalbehörden optimiert wird und entsprechende Kennzahlen zur
Steuerung definiert werden. Dabei ist sicherzustellen, dass alle rechtlichen und technischen Notwendigkeiten umgesetzt werden und ein funktionierendes Beschwerdeund Informationsmanagement eingerichtet wird.“ 109
(499) Zur Umsetzung der Landtagsentschließung hatte das Innenministerium bereits in der
Vergangenheit berichtet. Den Inhalt der Antwort hat der Landesrechnungshof im Kommunalfinanzbericht 2016 (Tzn. 514-518) wiedergegeben.
Das Innenministerium teilte zum damaligem Zeitpunkt zusammengefasst mit:
•
Die unteren Rechtsaufsichtsbehörden seien auf den Kommunalfinanzbericht 2015
und die darin enthaltenen Prüfungsfeststellungen zum kommunalen Forderungsmanagement hingewiesen worden. Sie seien gebeten worden, bei den ihrer Aufsicht unterstehenden Körperschaften darauf hinzuwirken, dass den Erfordernissen
eines effizienten Forderungsmanagements umfassend Rechnung zu tragen sei.
•
Darüber hinausgehende rechtsaufsichtliche Einwirkungen auf kommunale Körperschaften seien mit dem vorhandenen Personalbestand nicht möglich gewesen.
•
Das Innenministerium merkte an, dass mit Blick auf die bundesseitig vorgesehene
Änderung zum Unterhaltsvorschuss zu befürchten sei, dass bei den Landkreisen
und den kreisfreien Städten der Umfang der offenen Forderungen ab 2017 eher
noch zunehmen werde.
(500) Die Landtagsentschließung ist aus Sicht des Landesrechnungshofes als dauerhafte
Aufforderung zu verstehen, dem Forderungsmanagement in den Kommunen besondere
Aufmerksamkeit zu widmen. Das Innenministerium verwies zudem selbst auf aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen, die Einfluss auf das Forderungsmanagement haben
können. Der Landesrechnungshof erfragte daher erneut den aktuellen Umsetzungsstand.
(501) Das Innenministerium beschränkte sich zunächst auf einen Verweis auf seine bisherigen Ausführungen.
109
Drs. 6/5596 [Beschlussempfehlung 1.1.1 e]; beschlossen in der 124. Sitzung des Landtags MecklenburgVorpommern vom 6. Juli 2016).
143
Offen blieb damit, ob und inwieweit
•
die unteren Rechtsaufsichtsbehörden die Bitte des Innenministeriums umsetzten
und dies zu einem effizienteren Forderungsmanagement führte,
•
zwischenzeitlich weitergehend aufsichtsrechtlich auf kommunale Körperschaften
(z. B. wegen eines geänderten Personalbestands) eingewirkt wurde und
•
aus den prognostizierten Entwicklungen weiterer Handlungsbedarf entstand.
(502) Der Landesrechnungshof sieht auf Grund des Dauercharakters der Entschließung,
der benannten offenen Punkte und der noch ausstehenden vollständigen Umsetzung der
Entschließung (Definition von Kennzahlen) weiterhin aufsichtsrechtlichen Handlungsbedarf.
(503) Das Innenministerium führte nunmehr aus:
„Eine allgemeine nachträgliche Wirksamkeitskontrolle, ob die Beratung durch die unteren
Rechtsaufsichtsbehörden zu einem effizienteren Forderungsmanagement der Kommunen
geführt hat, steht dem Ministerium für Inneres und Europa aufgrund des nicht konkret begründbaren rechtsaufsichtlichen Informationsbedürfnisses nicht zu.“
(504) Der Landesrechnungshof weist darauf hin, dass es dem Innenministerium unbenommen ist, die unteren Rechtsaufsichtsbehörden (ggf. formlos) um Informationen zu bitten.
Auch kann es entsprechende Informationen durch Erfahrungsaustausche etc. gewinnen.
(505) Das Innenministerium präzisiert darüber hinaus seine bisherigen Ausführungen in der
Stellungnahme. Es sei weiterhin zum Thema Forderungsmanagement rechtsaufsichtlich tätig gewesen. Beispielsweise seien im Vorjahr die unteren Rechtaufsichtsbehörden und die
Kommunen mit Rundschreiben über den Umgang mit Niederschlagungen, Stundungen und
Erlassen von Forderungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie beraten worden.
(506)
Das Innenministerium sollte nicht nur anlassbezogen tätig werden. Eine regelmäßige
aufsichtsrechtliche Überprüfung des Forderungsmanagements im kommunalen Bereich trägt
es nicht vor (Tz. 503). Ein lediglich reaktives Vorgehen z. B. aus Anlass der Pandemie oder
nach dem Bekanntwerden eventueller Mängel wäre unzureichend.
(507) Der Landesrechnungshof verweist auf sein Rundschreiben Nr. 02/2017 zum Kommunalen Forderungsmanagement. Dieses hat auch die Steuerung mittels Kennzahlen zum Gegenstand.110 Die dort enthaltenen Kennzahlen könnte das Innenministerium (ggf. nach eigenen Ergänzungen und Anpassungen) den Kommunen empfehlen und aufsichtsrechtlich nutzen. Damit würde es zugleich der Landtagsentschließung, Kennzahlen zur Steuerung zu definieren, entsprechen.
110
Vgl. Rundschreiben Nr. 02/2017 des Landesrechnungshofes Mecklenburg-Vorpommern, Kommunales Forderungsmanagement, S. 5 f.
144
(508) Das Innenministerium trägt vor, dass es mit Blick auf ein effizientes Arbeiten davon
Abstand genommen habe, den Kommunen die mit dem Rundschreiben des Landesrechnungshofes bekanntgegebenen Kennzahlen zum Forderungsmanagement nochmals zu
empfehlen.
(509) Der Landesrechnungshof begrüßt, dass über die Nutzung seiner Kennzahlen Einvernehmen besteht. Er weist darauf hin, dass diese Kennzahlen auch zur regelmäßigen aufsichtsrechtlichen Überprüfung des Forderungsmanagements im kommunalen Bereich genutzt werden können.
(510) Der Landesrechnungshof fordert das Innenministerium auf, weiterhin fortlaufend aufsichtsrechtlich für ein funktionierendes und effizientes Forderungsmanagement der Kommunen Sorge zu tragen.
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Vom Senat des Landesrechnungshofes beschlossen am 10. November 2021.
145