ander sonderlich aus Meißen jhnen*) einbilden dürfen, der Hoch,
deutschen Sprache ihrer Mundart halber Richter und Schlichter
zu seyn . . ." Die städtische Sprechweise will er noch anerkennen,
den breiten bäurischen Dialekt weist er ganz zurück. Aus der Fülle
der Kritiken befragen wir nur den Berlin-Kölner Rettor Böditer^
i6yo, der uns durch seinen Wirkungskreis am nächsten steht: „So
ist die meißnische Sprache nicht eine Regel der hd. Sprache,
sondern nur ein Dialectus in der oberländischen Sprachteilung.
Sie kommt der hd. Sprache (gemeint ist hier schon die Gemeinsprache,
nhd. Schriftsprache) sehr nahe, sie hat aber auch viel unzierliche
Sonderheiten in der Ausrede und etliche unbrauchbare
Wörter, die in der hd. keine Statt finden, Zeberer für Zauberer,
Plut für Blut, selt für daselbst, mir für wir usw. In Summa,
der gemeine Mann redet nirgend hb., die gelahrte, geschickte,
gereiste Leute aber auch außer Meißen." Mit diesem Bewußtsein
der auch über dem Meißnischen stehenden Schriftsprache, das sich
seit der Aufnahmeperiode allmählich entwickelt hat, kann die Kritik
am Meißnischen geübt werden. Aus dieser neuen Stellung heraus
ist es zu verstehen, nicht nur, daß im weiten norddeutschen Gebiet
die obs. Richtung in der Aussprache nicht durchdrang, sondern auch,
daß in der Folgezeit in Berlin die Entwicklung eher vom Obs. ab,
als zum Obs. hin einsetzt. Die einmal übernommene, hier
Anfang des 16. Jahrhunderts festgewordene Lautgrundlage,
der Lautsiand, blieb, aber die Aussprache der Laute
folgt eigenen Regeln.
Schließlich haben wir für beide Gebiete die verschiedene
äußere und innere Sprachgeschichte heranzuziehen, Verschiedenheiten
des syntaktischen Baues, der hier viel Niederdeutsches
bewahrte, verschiedenen Wortschatz. Wohl drang mit der neuen
Sprache auch neues obs. Sprachgut ein, etwa Strippe, Stulle und
vieles andere (s. Kap. V) sind aus dem Obs. übernommen, aber
außerordentlich viele Alltagsbezeichnungen bleiben auch die gewohnten,
höchstens ins Hd. umgesetzt. Das erklärt sich schon
daraus, daß wir für die ältere Periode bei den unteren Klassen
ja nur sehr allmähliche obs. Durchdringung anzunehmen haben.
*) jhnen: sich.